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aus Korea stammende Byung-Chul Han meint zu wissen, worin die Ethik der Ausbeutung
besteht: Das Problem ist, daß sie so listig ist
und dadurch so verheerend effizient. Ich will Ihnen erzählen, worin diese
List besteht. Karl Marx hat eine Gesellschaft kritisiert, die durch eine Fremdherrschaft
regiert wurde. Im Kapitalismus wird der Arbeiter ausgebeutet, und diese Fremdausbeutung
stößt ab einem bestimmten Produktionsniveau an ihre Grenzen. Ganz anders
die Selbstausbeutung, der wir uns heute freiwillig unterwerfen. Die Selbstausbeutung
ist grenzenlos! Wir beuten uns freiwillig aus, bis wir zusammenbrechen. Wenn ich
scheitere, mache ich mich selbst für dieses Scheitern verantwortlich. Wenn
ich leide, wenn ich pleitegehe, dann bin nur ich selbst schuld. Selbstausbeutung
ist eine Ausbeutung ohne Herrschaft, denn sie geschieht völlig freiwillig.
Und weil sie unter dem Zeichen der Freiheit steht, ist sie so effektiv. Niemals
bildet sich ein Kollektiv, ein »Wir«, das sich gegen das System erheben
könnte.  Die
Negativität ist etwas, das eine immunologische Abwehrreaktion hervorruft.
So ist der Andere das Negative, das in das Eigene eindringt und dies zu negieren,
zu zerstören sucht. Ich habe behauptet, daß wir heute in einem postimmunologischen
Zeitalter leben. Die psychischen Erkrankungen von heute wie Depression, ADHS oder
Burnout sind keine Infektionen, die durch eine virale oder bakterielle Negativität
verursacht werden, sondern Infarkte, für die das Übermaß an Positivität
verantwortlich ist. Die Gewalt geht nicht nur von der Negativität, sondern
auch von der Positivität aus, nicht nur vom Anderen, sondern auch vom Gleichen.
Die Gewalt der Positivität oder des Gleichen ist eine postimmunologische
Gewalt. Krank macht die Fettleibigkeit des Systems. Es gibt bekanntlich keine
Immunreaktion auf das Fett.  Wir
leben in einer Gesellschaft, die ganz auf Produktion, ganz auf Positivität
gerichtet ist. Sie schafft die Negativität des Anderen oder des Fremden ab,
um die Kreisläufe der Produktion und des Konsums zu beschleunigen. Zulässig
sind nur konsumierbare Differenzen. Den Anderen, dem die Andersheit genommen worden
ist, kann man nicht lieben, sondern nur konsumieren. Vielleicht deshalb wächst
heute wieder das Interesse für die Apokalypse. Man spürt eine Hölle
des Gleichen, der man entkommen möchte.  Der
Andere, das ist auch der Gegenstand, ja der Anstand. Wir haben die Fähigkeit,
die Anständigkeit verloren, den Anderen in seiner Andersheit zu sehen, weil
wir alles mit unserer Intimität überfluten. Der Andere ist etwas, das
mich in Frage stellt, das mich aus meiner narzißtischen Innerlichkeit herausreißt.
 Eine
Gesellschaft ohne den Anderen ist eine Gesellschaft ohne Eros. .... Der Eros richtet
sich auf den ganz Anderen. .... Das Begehren wird vom Unmöglichen genährt.
Wenn es aber, etwa in der Werbung, ständig heißt: »du kannst«
und »alles ist möglich«, dann ist das das Ende des erotischen
Begehrens. Es gibt keine Liebe mehr, weil wir uns zu frei wähnen, weil wir
zwischen zu vielen Optionen wählen. .... Die Transzendenz ist auch eine Negativität,
während die Immanenz eine Positivität darstellt. So äußert
sich das Übermaß an Positivität als ein Terror der Immanenz. Die
Transparenzgesellschaft ist eine Positivgesellschaft. 
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