Lob, Kritik, Skepsis.
Einleitung.
Es ist kaum zu glauben, was Ernst Jünger so alles geleistet hat.
Ich kann und werde im folgenden Text gar nicht auf alles, was Jünger
geschafft hat, eingehen und verweise in diesem Zusammenhang auf die oben
angebenen Seiten (**),
besonders auf jene Seite, die u.a. bereits Ausschnitte aus dem Lebenslauf
Jüngers enthält (**),
wozu diese Seite lediglich eine Ergänzung darstellt.
Ernst Jünger hat schon früh und bis an sein Lebensende immer
wieder bedeutsame Fragen der Philosophie aufgegriffen und sich dabei der
Zeitadiagnostik, der Sprach- und Naturphilosophie sowie der Geschichtsphilosophie
zugewandt. Er war Soldat, Zoologe, Schriftsteller und Philosoph. Er war
Soldat, Zoologe, Schriftsteller und Philosoph. Beeinflußt haben
ihn vor allem Schopenhauer,
Nietzsche
und Spengler.
Mit seinem Bruder Friedrich
Georg Jünger und mit Heidegger
verband ihn eine enge Zusammenarbeit: Freie Heroengemeinschaft
(**)
nannte Ernst Jünger dieses Dreiergespann.
Niemals ließ Jünger sich vom Nationalsozialismus beeindrucken,
und in seinem Roman Auf den Marmorklippen (1939) karikierte
er Hitler als Oberförster. Aufgrund seiner Popularität, die
in allen Jünger-Epochen ungeheuer war, wagte die Regierung nicht,
ihn anzutasten. In der französischen Gegenwartsliteratur zählt
Jünger neben Nietzsche und Heidegger zu den beliebtesten deutschen
Autoren. Jünger bekam den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt. Jünger
war es, der den Zeitgeist der Moderne auf den Begriff Mobilmachung
in seiner Schrift Die Mobilmachung des Planeten durch die Gestalt
des Arbeiters (1930) brachte. Von Jünger übernahm
später übrigens Sloterdijk
diesen Begriff, um ihn zu einer der tragenden Säulen in seiner Gedankenwelt
zu machen. Jünger meinte nämlich, daß die moralisch wichtige
Differenz zwischen Krieg und Frieden praktisch neutralisiert wird. Denn
wie im Krieg wird auch bei technischen Großprojekten in der Arbeit
alles intensiviert und dynamisiert und die letzten Reserven an die Front
gebracht. Dieser politisch-dynamische Prozeß ist Jünger zufolge
die Signatur der Moderne. Ironisch sollte Sloterdijk später feststellen,
daß kapitalistische Staaten im Modus potentieller Mobilmachung leben.
Eine kleine Ferienreise in dem deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen
übersteigt das kinetische Volumen der mobiliserten deutschen Armee
von 1914, wobei hier die großen Ferien - die Sommerferien - noch
nicht einmal gemeint sind. Genau dieser Prozeß soll gemäß
Sloterdijk zum Stillstand gebracht (vgl. Peter Sloterdijk, Eurotaoismus,
1989) und ein Menschentypus beschrieben werden, der nicht mehr für
Mobilmachungsprozesse mißbraucht werden kann (vgl. Peter Sloterdijk,
Weltfremdheit, 1993). Übrigens benutzt Sloterdijk nicht
immer nur ein Fahrrad (**).
Es wollen ihn Leute im Flugzeug gesehen haben.
Biographie.
Lebenslauf mit Tabelle dazu.
Ernst Jünger
|
1. Stadium
(Winter) |
2. Stadium
(Frühling) |
3. Stadium
(Sommer) |
4. Stadium
(Herbst) |
Vor-/Urdenken:
Jüngers
Vor-/Urphilosophie |
Frühdenken:
Jüngers
Frühphilosophie |
Hochdenken:
Jüngers
Hochphilosophie |
Spätdenken:
Jüngers
Spätphilosophie |
(Dauer: 19
Jahre) |
(Dauer: 18
Jahre) |
(Dauer: 19
Jahre) |
(Dauer: 47
Jahre)* |
1895 bis
1914 |
1914 bis
1932 |
1932 bis
1951 |
1951 bis
1998 * |
Geburt
(29.03.) |
DER
ARBEITER |
Tod
(17.02.) |
Übergang
Schule
/ Fremdenlegion bzw. Krieg |
| |
Der
Waldgang |
Frühe
Kindheit |
Grund-
schule |
Gym-
nasium |
1914
- 1918 |
1918
- 1926 |
1926
- 1932 |
1932
- 1939 |
1939
- 1944 |
1944
- 1951 |
1951
- 1957 |
1957
- 1960 |
1960
- 1998 * |
|
Ernst Jünger wurde am 29. März 1895 in Heidelberg als ältestes
von sieben Kindern des Chemikers Dr. Ernst Georg Jünger (1868-1943)
und dessen späterer Frau Karolina (geborene Lampl; 1873-1950) geboren.
Er wurde protestantisch getauft. Seine Kindheit verbrachte Jünger
unter anderem in Hannover, wo sich sein Vater ein Labor als Lebensmittelchemiker
eingerichtet hatte, in Schwarzenberg und schließlich ab 1907 in
Rehburg. Sein Vater hatte zuvor als Bergwerksunternehmer beträchtliche
Einkünfte erzielt. 1901 wurde Ernst Jünger am Lyceum II in Hannover
eingeschult. Nicht zuletzt wegen der häufigen Umzüge der Familie
war er zunächst ein schlechter Schüler. 1905 bis 1907 verbrachte
Ernst Jünger auf Internaten in Hannover und Braunschweig. Ab 1907
lebte er wieder bei seiner Familie in Rehburg und besuchte gemeinsam mit
seinen Geschwistern die Scharnhorst-Realschule in Wunstorf. In dieser
Zeit entdeckte der mittelmäßige Schüler neben seiner Vorliebe
für Abenteuerromane auch die Liebe für die Insektenkunde. 1911
trat Jünger gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich Georg (**)
dem Wunstorfer Wandervogel-Club bei. Dort fand er den Stoff für seine
ersten Gedichte, die in einer Wandervogel-Zeitschrift veröffentlicht
wurden. Dem Außenseiter brachten sie die Anerkennung seiner Lehrer
und Mitschüler ein. Er genoß von diesem Zeitpunkt an den Ruf
des Poeten und Dandys.
Im
Sommer 1913 trat Ernst Jünger als Schüler, der inzwischen ein
Gymnasium in Hameln besuchte, in Verdun der Fremdenlegion bei. Aus dem
Ausbildungslager in Sidi bel Abbès (Algerien) floh er mit einem
Kameraden, doch in Marokko wurde er aber schnell aufgegriffen und zur
Legion zurückgebracht. Doch schon bald darauf konnte er nach einer
von seinem Vater betriebenen Intervention des Auswärtigen Amtes wieder
entlassen werden. Diese Episode seines Lebens wird übrigens vor allem
in dem Buch Afrikanische Spiele (**)
verarbeitet.
Wir
hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen
und waren in den kurzen Ausbildungswochen zu einem großen, begeisterten
Körper zusammengeschmolzen. Aufgewachsen in einem Zeitalter der
Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen,
nach der großen Gefahr. (Ernst Jünger, In Stahlgewittern,
1920**).
|
Als Kriegsfreiwilliger meldete sich Ernst Jünger am 1. August 1914
- 4 Tage nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges - beim Füsilier-Regiment
73 in Hannover. Nach dem Notabitur absolvierte er die militärische
Ausbildung und kam im Dezember mit einem Ersatztransport an die Champagne-Front
in Frankreich. (**).
Am 24. April 1915 wurde er erstmals verwundet. Im Heimaturlaub schlug
er auf Anraten seines Vaters die Offizierslaufbahn ein. Wieder zurück
in Frankreich, wurde er bald Leutnant und Zugführer und machte sich
durch spektakuläre Aktionen bei Patrouillen und Stoßtrupps
einen Namen. Im Laufe des dritten Kriegsjahres 1916 war Jüngers Regiment
an sämtlichen Brennpunkten der Westfront eingesetzt. Während
der zweiten Somme-Schlacht wurde Jünger am Vorabend der Offensive
verwundet und kam ins Lazarett. In der Folgezeit wurde sein gesamter Zug
aufgerieben. Ende 1916 erhielt Jünger für ein besonders waghalsiges
Unternehmen das Eiserne Kreuz. 1917 wurde Jünger zum Chef der 7.
Kompanie befördert und rettete durch einen Zufall seinem Bruder Friedrich
Georg (**)
auf dem Schlachtfeld von Langemarck das Leben. Daraufhin folgten weitere
Auszeichnungen. Im März 1918 überlebte Ernst Jünger einen
Granateinschlag, der fast seine gesamte Kompanie vernichtet hatte. Am
22. September 1918 erhielt Jünger den Pour le Mérite und damit
die höchste militärische Auszeichnung, die im Deutschen Reich
vergeben wurde. Dazu beigetragen hatten vor allem seine vielen verschiedenen
tollkühnen Aktionen und seine insgesamt 14 Verwundungen. Das Kriegsende
erlebte Jünger nach einer im August 1918 vor Cambrai erlittenen Verwundung
im Lazarett.
Von den ca. 12 Millionen deutschen Soldaten, die im Verlauf des Ersten
Weltkrieges Dienst taten, erhielten nur 687 die höchste Tapferkeitsauszeichnung
- den Pour le Mérite. Selbst unter der Maßgabe, daß
der Orden nur an Offiziere verliehen werden konnte, war eine Verleihung
extrem unwahrscheinlich. Außerdem betraf der Großteil der
Verleihungen höhere Dienstgrade. Lediglich 11 Führer einer Infanteriekompanie
haben diese Auszeichnung erhalten, darunter Ernst Jünger (gleichzeitig
mit Erwin Rommel und Ferdinand Schörner), der zudem noch einer von
15 Soldaten war, die sich neben dem Pour le Mérite auch
das Goldene Verwundeten-Abzeichen (nach 6 Verwundungen) verdient
hatten.
Während des gesamten Kriegsverlaufes notierte Jünger seine
Erlebnisse im Tagebuch, das er ständig mit sich führte. Seinen
Frontalltag verbrachte er vor allem am Ende des Krieges damit, in den
Gefechtspausen Werke von Nietzsche (**),
Schopenhauer (**)
und Kubin (**)
zu lesen. Außerdem ließ er sich aus der Heimat entomologische
Zeitschriften schicken.
Nach dem Ersten Weltkrieg diente Jünger zunächst noch in der
Reichswehr, in der er unter anderem mit der Ausarbeitung von Dienstvorschriften
für den Infanteriekampf befaßt war. Unter anderem nahm er 1920
an Einsätzen zur Niederschlagung des Kapp-Putsches teil. Bald profilierte
er sich als entschiedener Gegner der Republik, hielt sich aber aus den
politischen Auseinandersetzungen weitgehend heraus und überarbeitete
seine Kriegsaufzeichnungen, die in die Werke In Stahlgewittern
(**),
Der Kampf als inneres Erlebnis (**),
Sturm (**),
Das Wäldchen 125 (**)
und Feuer und Blut (**)
einflossen. Jüngers Erstlingswerk - In Stahlgewittern - wurde
von der rechten Presse mit Begeisterung aufgenommen und als Siegfried-Buch
bezeichnet, andererseits aber auch von der Linken wegen der Drastik und
Realistik der Darstellung beachtet.
Jünger studierte Zoologie und Philosophie in Leipzig, nachdem er
aus der Reichswehr 1923 ausgetreten war. Dennoch war er noch in diesem
Jahr 1923 für kurze Zeit in das Freikorps von Gerhard Roßbach
eingetreten und vor allem als reisender Verbindungsmann zu anderen Teilen
der nationalen Bewegung aktiv. Am 3. August 1925 heiratete er Gretha von
Jeinsen. Er schrieb zahlreiche Artikel für nationalrevolutionäre
Publikationsorgane wie Die Standarte, Arminius, Der Vormarsch
oder Ernst Niekischs (**)
Widerstand - Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik.
Wir
Nationalisten glauben an keine Wahrheiten. Wir glauben an keine allgemeine
Moral. Wir glauben an keine Menschheit als ein Kollektivwesen mit
zentralem Gewissen und einheitlichem Recht. Wir glauben vielmehr an
ein schärferes Bedingtsein von Wahrheit, Recht und Moral durch
Zeit, Raum und Blut. Wir glauben an den Wert des Besonderen.
(Ernst Jünger, Das Sonderrecht des Nationalismus, in: Ders., Publizistik, 1926, S. 280**) |
Das Studium brach Jünger am 26. Mai 1926 ohne Abschluß ab
und wandte sich ganz der Schriftstellerei zu. Er schrieb zahlreiche Artikel
für nationalrevolutionäre Publikationsorgane wie Die Standarte,
Arminius, Der Vormarsch oder Ernst Niekischs Widerstand - Zeitschrift
für nationalrevolutionäre Politik. 1927 zog die Familie
Jünger nach Berlin. Im selben Jahr lehnte er ein von der NSDAP angebotenes
Reichstagsmandat ab. In den folgenden Jahren wechselte Jünger mehrfach
seine Publikationsorgane und rief eigene, kurzlebige nationalistische
Zeitschriften ins Leben. Grund dafür waren wiederkehrende Auseinandersetzungen
innerhalb des nationalistischen Lagers über einen möglichen
Legalitätskurs der Weimarer Republik gegenüber.
Erläuterung der Lebenslauf-Tabelle
(**).
Erläuterung der Jünger-Tabelle
( )
- Denk-Biographie von Ernst Jünger (1895-1998 ):
1. Stadium (Winter
- 1895-1914) und seine 3 Stufen:
Jüngers frühe Kindheit (1. Stufe); Grundschulzeit (2.
Stufe); Gymnasialzeit (3. Stufe), also bis zum Übergang von
der Schule in den Weltkriegsdienst (1914).
2. Stadium (Frühling
- 1914-1932) und seine 3 Stufen:
Jüngers Reichswehrzeit während des 1. Weltkrieges, also
die Zeit von 1914 bis 1918 (4. Stufe); die Reichswehrzeit nach dem
1. Weltkrieg und die Studiumszeit, also die Zeit von 1918 bis 1926
(5. Stufe); die Zeit nach seinem abgebrochenen Studium bis zum Erscheinen
seines Buches Der Arbeiter, also die Zeit von 1926 bis 1932
(6. Stufe).
3. Stadium (Sommer
- 1932-1951) und seine 3 Stufen:
Jüngers Buch Der Arbeiter bis zur Einberufung
zur Wehrmacht, also die Zeit von 1932 bis 1939 (7. Stufe); seine
Wehrmachtszeit, also die Zeit von 1939 bis 1944 (8. Stufe); vom
Ende seiner Wehrmachtszeit bis zum Erscheinen des Buches Der
Waldgang, also die Zeit von 1944 bis 1951 (9. Stufe).
4. Stadium (Herbst
- 1951-1969 [1998]) und seine
3 Stufen: Jüngers Buch Der Waldgang
bis zum Erscheinen seines Buches Gläserne Bienen, also
die Zeit von 1951 bis 1957 (10. Stufe); vom Erscheinen seines Buches
Gläserne Bienen bis zum Tod seiner ersten Frau Gretha,
also die Zeit von 1957 bis 1960 (11. Stufe); vom Tod seiner ersten Frau Gretha bis zum Ende der folgenden 9 bzw. 38 Jahre, also die
Zeit von 1960 bis 1969 bzw. 1998 (12. Stufe).
5. Stadium (Winter
- 1969-1998), wenn man es berücksichtigen
will, betrifft die Zeit von 1969 bis 1998 (13. Stufe) - eine Zeit,
die man als die Zeit nach Jüngers zweiter Geburt bezeichnen
kann.
|
Konservative Revolution |
Textausschnitte aus dem Buch Die Konservative Revolution in Deutschland
1918-1932 von Armin Mohler und Karlheinz Weißmann.
Jünger gehörte nicht zu den Nationalrevolutionären
der ersten Stunde. Er schloß sich der Bewegung erst Mitte der
zwanziger Jahre an, als ihre Konjunktur bereits vorbei zu sein schien.
Allerdings ging es ihm weniger um praktische Handlungsmöglichkeiten
als um eine nationalistische »Weltanschauung«. Damit unterschied
sich Jünger sehr deutlich von der nationalrevolutionären
Szene, die trotz der Niederlagen von 1923 weiterbestand. Die Feme-
und Geheimbünde, vor allem die aus der Marinebrigade Ehrhardt
hervorgegangene »Organisation Consul« (OC), existierten
weiter, konnten aber ohne die Deckung staatlicher Organe,552 die sie
im »Nachkrieg« besessen hatten, kaum noch Wirkung entfalten.
Was bis dahin durchaus als Vorzug hatte gelten können
- das Fehlen einer »eigengearteten Ideologie« -erwies
sich jetzt als Nachteil. Das erklärt das Tempo, in dem Jünger
zur Zentralfigur eines »Neuen Nationalismus« aufstieg.
Er betrachtete den Nationalismus nicht nur als ein notwendiges und
heilsames Fieber, das jeden erfaßte, der am Wiederaufstieg Deutschlands
mitwirken wollte. Er hielt ihn wie Barrès für die notwendige
Konsequenz der nihilistischen Lage, in die die Moderne durch das Zerbrechen
ihrer eigenen Verheißungen geraten war. Vermochte man nicht
mehr an die innerweltlichen Religionen des Fortschritts zu glauben
und konnte auch die Selbstverständlichkeit älterer Lebensformen
nicht zurückgewonnen werden, blieb nur die Öffnung nach
vorn. Der Nationalismus mußte selbst »modern« sein,
wenn er Wirksamkeit entfalten wollte. Er war aus einem Maschinenkrieg
geboren und hatte sich in einer Welt der Technik zu bewähren.
Trotzdem durfte die Modernität des Nationalismus nicht dahin
führen, die Illusionen der Moderne um eine weitere zu ergänzen:
»Wir Nationalisten glauben an keine allgemeinen Wahrheiten.
Wir glauben an keine allgemeine Moral. Wir glauben an keine Menschheit
als an ein Kollektivwesen mit zentralern Gewissen und einheitlichern
Recht. Wir glauben vielmehr an ein schärfstes Bedingtsein von
Wahrheit, Recht und Moral durch Zeit, Raum und Blut. Wir glauben an
den Wert des Besonderen.« (Ernst Jünger, Das Sonderrecht
des Nationalismus, in: Ders., Publizistik, 1926, S. 280).
In dieser Abkehr des Nationalismus von den Universalien
des 18. und 19. Jahrhunderts wurde auch eine »alte Wahrheit«
wiedergefunden, aber nicht durch die nostalgische Rückkehr in
die heile Welt der Vergangenheit, sondern durch ein neues Denken,
das sich bewußt der Rationalität als Methode bediente,
ohne dabei die Macht des Irrationalen zu verkennen und ohne die Täuschung,
daß alle Erkenntnis für alle zugänglich sein kann.
Jünger postulierte damit erneut, was Barrès als te
sens du relatif bezeichnete. Bis Mitte der zwanziger Jahre hatte
Jünger eine durchaus konventionelle Vorstellung vom« Vaterland«
vertreten. Erst sein verstärktes politisches Interesse führte
ihn über diesen Punkt hinaus. Nach einern kurzen Intermezzo im
Freikorps Roßbach ttat er 1925 dem Stahlhelm bei. Irn September
des Jahres wurde er Mitarbeiter an der Standarte, einer Beilage der
Stahlhelm-Zeitung. Er karn damit in Kontakt zu einern Kreis junger
Männer, darunter Helmut Franke, Franz Schauwecker, Friedrich
Wilhelm Heinz, Wilhelm Weiß und Wilhelm Kleinau, später
noch Friedrich Hielscher, die alle - und eben anders als Jünger
- durch den Nachkrieg geprägt waren. Etwas von der gewaltsamen
Atmosphäre der revolutionären Jahre zwischen 1919 und 1923
hatte sich hier erhalten.
In diesern Milieu gab es neben der verständlichen
Forderung nach Anerkennung des Frontsoldaten eine diffuse Mischung
aus Rachebedürfnis, Landsknechtsromantik und Verschwörerturn.
Aber erst durch Jünger bildete sich eine konsistente nationalistische,
genauer: nationalrevolutionäre Ideologie. Manches darin war schon
vorgedacht worden -von Stadtler, Moeller und anderen aus dem Kreis
des Juni-Klubs -, aber Jünger durchdrang den Nationalismus neu
und verlieh ihm erst die Dynamik, die ihn in der zweiten Hälfte
der zwanziger Jahre, gerade als die Republik zur Ruhe zu kommen schien,
kennzeichnen und zu einer politischen und intellektuellen Potenz machen
sollt.
Dabei war keineswegs deutlich, was die Nationalisten
konkret anstrebten, aber Frankes Postulat, man müsse den Stahlhelm
zum Kern des »deutschen Faschismus« machen, hätte
wahrscheinlich allgemeine Zustimmung gefunden. Unter »Faschismus«
wurde allerdings keine Kopie des italienischen Vorbildes verstanden,
sondern eine nationale Variante der antiparlamentarischen Bewegungen,
die damals in vielen Ländern an Einfluß gewannen. Jünger
hat vom Auftreten eines bestimmten neuen »Menschenschlages bei
allen Völkern Europas« gesprochen. (Vgl. Ernst Jünger,
Vorwort des Herausgebers, in: Ders., Publizistik, 1926, S.
184). Durch den Krieg sei der alte Optimismus der Aufklärung
und des wissenschaftlichen Positivismus dahin, die »Frontgeneration«
melde ihr Recht darauf an, die Welt nach ihrem Willen zu formen, die
Jungen hätten in den großen Schlachten ihren »...eigenen
Stil erkannt«. (Vgl. Ernst Jünger, ebd.). Der Krieg
sei ihr Vater und an soldatischen Tugenden wollten sie auch die politische
Ordnung messen. Ihr Zukunftsstaat werde vor allem durch vier Merkmale
charakterisiert sein: »national, sozial, wehrhaft und autoritativ«.
(Vgl. Ernst Jünger, Schließt euch zusammen! , in: Ders., Publizistik, 1926, S. 175). Die Diktatur bejahte man als Mittel,
aber nicht als Zweck.
Der »Neue« oder »Soldatische Nationalismus«
war trotz des Pathos der Tat vor allem ein literarisches Phänomen.
Seine Protagonisten hatten eigene Zeitschriften, wie die erwähnte
Standarte, die aber von der Stahlhelm-Führung bald als
untragbar angesehen wurde, dann das Blatt Arminius, es folgten
Der Vormarsch und Die Kommenden. Die meisten dieser
Organe waren kurzlebig, die Zahl ihrer Abonnenten klein, niemals genügte
die finanzielle Basis. Trotzdem drangen die nationalistischen Ideen
durch ein kapillarisches System in die bündische Jugend und Wehrorganisationen
ein. Dagegen gab es .unter den Nationalrevolutionären starke
Vorbehalte gegenüber der bürgerlichen Rechten und eine deutliche
Affinität zur Programmatik der Nationalsozialisten.
Spannungsfrei war das Verhältnis aber nie,
und ausgerechnet als die NSDAP zu ihrem Siegeszug durch die Parlamente
antrat, verschärfte Ernst Jünger seine Kritik an Hitler
und der Partei bis zum offenen Bruch und wandte sich dann sukzessive
von jeder politischen Aktivität im unmittelbaren Sinne ab. Auf
diesem Weg folgte ihm allerdings nur ein Teil der Nationalrevolutionäre.
Einige resignierten, andere schlossen sich dem Nationalsozialismus
Hitlers oder dessen untalentierten Konkurrenten an, eine dritte Gruppe
wechselte auf die Seite jenes Mannes, der mit einem gewissen Recht
als Hitlers feindlicher Zwilling bezeichnet worden ist: Ernst Niekisch.
So wenig wie Jünger gehörte Niekisch zu
den ftühen Nationalisten, und seine Entwicklung bis zu dieser
Position war noch ungleich schwieriger und überraschender als
die Jüngers. Niekisch hatte ursprünglich der SPD angehört
und schon vor dem Krieg gewisse Aussichten, eine Karriere als Funktionär
zu durchlaufen. In der Phase des Umsturzes von 1918 wandte er sich
aber von der Mehrheits-Sozialdemokratie ab und spielte eine gewisse
Rolle für die radikale Linke in Bayern. Seine Stellung als Vorsitzender
des Zentralrats der (ersten) Räterepublik in München brachte
ihm sogar zwei Jahre Festungshaft ein. Nach seiner Entlassung im Sommer
1921 deutete wenig auf einen Bruch mit seiner politischen Vergangenheit
hin. Niekisch, der sich zwischenzeitlich der USPD angeschlossen hatte,
kehrte nach deren Selbstauflösung in die SPD zurück, sah
seinen Ehrgeiz durch Partei- und Gewerkschaftsarbeit aber kaum befriedigt.
Hinzu kamen immer stärkere Zweifel an der Tragfähigkeit
linker Schlüsselvorstellungen. In seiner 1925 erschienenen Schrift
Der Weg der deutschen Arbeiterschaft zum Staat vertrat er bereits
die Forderung, daß »die Idee der sozialen Demokratie,
bevor sie sich des Staates zu ermächtigen vermag, zuerst noch
im Element des Nationalen untertauchen müßte« (ebd.,
1925, S. 22).
Die Veröffentlichung dieser Schrift löste
bei der sozialdemokratischen Führung eine gewisse Beunruhigung
aus und führte mittelfristig zum Konflikt zwischen Niekisch und
der Partei.
Am 14. Oktober 1930 dankte Jünger Schmitt für
die Übersendung von Der Begriff des Politischen mit der Bemerkung,
er »schätze das Wort zu sehr, um nicht die vollkommene
Sicherheit, Kaltblütigkeit und Bösartigkeit [des] ... Hiebes
zu würdigen, der durch alle Paraden geht«.
Während Schmitt dem politischen Geschehen näher
zu kommen trachtete, hatte sich Jünger nach Erscheinen des Abenteuerlichen
Herzens im Jahr 1929 von seinem politischen Aktivismus immer weiter
entfernt. Die Feststellung: »Man kann sich heute nicht in Gesellschaft
um Deutschland bemühen« (ebd., S. 94) konnte nur als Absage
an alle Versuche praktischer Einflußnahme verstanden werden.
Auffällig war auch, daß Jünger begann, die nationalistischen
Passagen aus seinen Büchern zu tilgen. Dieser Prozeß der
Distanzierung erreichte 1932 mit dem Erscheinen von Der Arbeiter
- Herrschaft und Gestalt seinen Höhepunkt.
Der Arbeiter war wie schon der zwei Jahre
zuvor erschienene Essay Die totale Mobilmachung ein apokalyptischer
Text: die Beschwörung einer Krise, die über die konkrete
politische, wirtschaftliche, soziale und moralische Krise hinausging
und »große« Lösungen anbot. Technokratische
Modelle, »Pläne« für die Reorganisation von
Staat und Gesellschaft hatten in dieser Zeit Konjunktur, da das freie
Spiel in Politik und Wirtschaft so offensichtlich versagte. Für
die äußerste Linke gewannen die gerade eingeführten
»Fünfjahrespläne« der Sowjetunion Vorbildfunktion,
Teile der professionellen Ökonomie folgten John M. Keynes, und
in Deutschland gab es Kreise von Nonkonformisten, in denen sich Linke,
Liberale und Rechte, Sozialdemokraten, Bankiers, Konservative und
Nationalsozialisten zum Gedankenaustausch trafen.
Ihre Vorstellungen fanden ebenso Eingang in den
»W.T.B.-Plan« des Gewerkschaftsbundes, in Gregor Strassers
»Wirtschaftliches Sofortprogramm der NSDAP« oder in das
»Sofortprogramm« Günther Gerekes, der noch als Reichskommissar
für die Arbeitsbeschaffung in das Kabinett Schleicher eintrat.
Mit dem Appell an die »antikapitalistische Sehnsucht«
konnte Strasser die Juliwahlen von 1932 zum Triumph für die NSDAP
machen, und der ADGB-Vorsitzende Theodor Leipart sammelte die Befürworter
der nationalen Autarkie, die die freien Gewerkschaften aus der »Umklammerung«
der SPD lösen wollten. In seiner berühmten Bernauer Rede
vom 14. Oktober des Jahres erklärte er, die Aufgabe des Arbeiters
sei »Dienst am Volk«, und er sprach vom »soldatischen
Geist der Einordnung und der Hingabe für das Ganze«, der
das Proletariat zukünftig beseelen müsse.
Die Vermutung, daß Leipart durch Jüngers
Arbeiter inspiriert wurde, hat vieles für sich. Das Buch
traf den Nerv der Zeit und erlebte in kurzer Zeit mehrere Auflagen.
Aber es rief auch eine Reihe von Mißverständnissen und
scharfe Ablehnung hervor. Einige betrachteten den Arbeiter als Plädoyer
für sowjetische Methoden, andere als unpolitische Technikverherrlichung
und wieder andere als Niederschlag einer nihilistischen Philosophie
des Sachzwangs. Gerade die Anhänger Jüngers aus den nationalrevolutionären
Bünden fühlten sich irritiert. Eine Irritation, die kaum
zu beseitigen war, wenn man den Arbeiter als neue Verkörperung
von Nietzsches »Übermenschen« oder als Programm eines
»deutschen Bolschewismus« las, nur vergrößert
wurde durch Jüngers Bejahung der Modernität und kaum gemildert
durch die Betonung des inneren Zusammenhangs von »totaler«
und »nationaler« Mobilmachung.
Die Wirkung von Jüngers Arbeiter war
in vielem derjenigen von Spenglers Untergang ähnlich.
Im einen wie im anderen Fall erlebten gerade die »konservativen
Menschen ... eine außerordentliche Erschütterung«,
weil ihnen die Einsicht abverlangt wurde, daß der »Nomos
der Ahnen erlischt«. Diese Gemeinsamkeit war auch insofern kein
Zufall, als die Spenglersche Geschichtsphilosophie eine außerordentliche
Bedeutung für Jüngers Denken besaß; Jünger gehörte
zu den wenigen im Lager der Konservativen Revolution, die bereit waren,
die Diagnose Spenglers grundsätzlich anzuerkennen. (Jünger
bekannte sich vor allem zu Spenglers Schicksalsbegriff. .... Zu den
wenigen anderen, die Spengler diesbezüglich folgten, gehörten
neben Jünger Albrecht Erich Günther. .... Allerdings hat
Spengler Jüngers Vorstellung vom Arbeiter offenbar
nicht interessiert, vgl. den Brief in Reaktion auf die Übersendung
eines Exemplars vom 5. September 1932, in: Spengler, Briefe,
S. 667 f. [**]).
Seine Forderung nach »organischer Konstruktion« (Ernst
Jünger, Der Arbeiter, 1932, S. 313) war auch eine Konsequenz
aus der Einsicht, daß sich die »Kultur« nicht wiederbeleben
ließ und jetzt die Gestaltung der »Zivilisation«
gefordert war. Die paradoxe Formel bezeichnete eine äußerste
Möglichkeit dessen, was die Konservative Revolution überhaupt
erstrebte.
Jünger hatte sein Konzept damit sehr stark
auf die Zukunft gerichtet, aber er war kein Utopist. Gerade auf der
Gegenseite erkannte man, daß für die »Herrschaft«
seiner »Gestalt« Hegels Idee des »Weltgeistes«
Pate gestanden hatte. Jüngers Modell einer »organischen
Konstruktion » im Politischen war Preußen, dieser seinem
Wesen nach künstliche Staat, der dem naturhaften des deutschen
Volkes entgegenstand, ihm aber die letzte gültige Gestalt gegeben
hatte. Das verband Jünger nach wie vor mit der nationalrevolutionären
Programmatik, die ein »drittes Preußen« nach dem
friderizianischen und bismarckschen forderte, zwar auf dem alten Boden
jenseits des Limes erwachsen, aber modern, fast avantgardistisch in
seinem politischen Stil. Die Frage, auf welchem Weg man »Preußen
treiben« sollte, hätte Jünger 1932 wohl kaum schlüssig
beantworten können. Nach den enttäuschten Erwartungen in
den Stahlhelm, den vergeblichen Bemühungen um einen Zusammenschluß
der Bünde und dem Scheitern des Landvolks zählte er sich
1930 noch unter die »Freunde der nationalsozialistischen Partei«
(Ernst Jünger, Reinheit der Mittel, in: Ders., Publizistik,
S. 516), aber gerade der Erfolg Hitlers und die Art dieses Erfolges
trugen zur wachsenden Entfremdung bei.
Jüngers erster Kontakt zur NSDAP läßt
sich aufden Januar 1923 datieren. Damals war er von Hitlers Redetalent
außerordentlich beeindruckt worden, und unmittelbar nach dem
Putsch hatte er ihm (wie übrigens auch Ludendorff) seinen Respekt
für den Versuch eines Umsturzes bekundet. Dann allerdings wandelte
sich die Einschätzung. Möglicherweise hat Hitlers gewachsenes
Selbstbewußtsein dazu beigetragen, der Übergang vom«
Trommler« zum »Führer«. Jedenfalls neigte Jünger,
nachdem er sich selbst der Politik zugewandt hatte, dazu, in der NSDAP
lediglich die »deutsche Arbeiterbewegung der Zukunft«
(Ernst Jünger, Nationalismus und Nationalsozialismus,
in: Ders., Publizistik, S. 318) zu sehen, deren Vorsitzender gut beraten
war, seinen und den Hinweisen seiner Freunde zu folgen.
Gerade das zu tun, war Hitler aber nicht bereit.
Weder wollte er an dem ursprünglichen Plan eines Putsches festhalten,
noch hätte er jene Einschränkung seiner Propaganda auf »reine
Mittel« akzeptiert, die Jünger vorschlug. Jünger und
sein Kreis sehnten sich nach einem »sauberen« (keineswegs
unblutigen) Kampf, bei dem Revolutionäre und Konterrevolutionäre
offen gegeneinander antraten. Das war ebenso realitätsblind wie
die Forderung an Hitler und seine Anhänger, in der Auseinandersetzung
mit der Weimarer Republik auf alle Parolen - «Novemberverrat«,
»Dolchstoß«, »Jüdische Verschwörung«
- zu verzichten, die, eben weil sie Verkürzungen oder Verfälschungen
enthielten, massenwirksam sein konnten.
Auch als Nationalist war Jünger ein Intellektueller
und litt an dieser Eigenschaft, der Entfernung vom Leben, von der
Gefahr, von der Tat. Er konnte diesen Mangel überspielen, aber
zuletzt blieb nur die Wahl zwischen der Existenz des Berufsrevolutionärs
- Jüngers Sympathie für Trotzki wies in diese Richtung -
oder dem Zurück in die Position des Analytikers. Jünger
hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden, ein Sachverhalt,
den man nicht völlig davon trennen kann, daß er, der in
vielem als Protagonist der Antiromantik gelten darf, die prinzipielle
Verwerfung der Romantik ablehnte, die Carl Schmitt in seiner bereits
1919 erschienenen Untersuchung Politische Romantik vollrogen hatte.
Für das Auftreten der neuen »Gestalt«,
die Jünger erwartete, ließ sich mit politischen Mitteln
wenig erreichen. Seine frühe und deutliche Distanzierung von
der Regierung Hitler - Zurückweisung eines Reichstagsmandats
und der Aufnahme in die »Deutsche Akademie der Dichtung«
- war im Kern moralischer Natur. Das im genauen Sinne politische Interesse
Schmitts, der vor 1933 keinerlei Sympathie für Hitler oder die
NSDAP erkennen ließ, erklärt dagegen viel von dessen Bereitschaft,
sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren und den Schritt
auf die Seite der Nationalsozialisten zu vollzieben, gerade weil er
keine anderen als politische Erwartungen in sie setzte.
Das dann mit der Regierungsübernahme Hitlers
und den Märzwahlen installierte neue Regime betrachtete Jung
wie viele Konservativ-Revolutionäre von Anfang an mit Mißtrauen.
Umgekehrt galt den Nationalsozialisten gerade diese politische Strömung
als gefahrlicher Konkurrent. Vor allem die Nationalrevolutionäre,
in deren Reihen sich seit dem Beginn der dreißiger Jahre auch
abtrünnige Parteimitglieder der NSDAP gesammelt hatten, waren
verdächtig, und daß sich die »Schwarze Front«
Otto Strassers der Parole der »Konservativen Revolution«
bediente, förderte die Feindseligkeit noch. Schon im Februar
1933 wurde die Wohnung Ernst Jüngers ein erstes Mal von der Gestapo
durchsucht. Es folgten Verhaftungen (Josef »Beppo« Römer,
Harro Schulze-Boysen, erst mit Verzögerung traf dieses Schicksal
Niekisch und die Widerstands-Bewegung) oder die Flucht ins Ausland
(Karl O. Paetel, Otto Strasser). Emigration war über kurz oder
lang auch das Schicksal derjenigen Jungkonservativen, die man aus
rassischen Gründen zurücksetzte und dann entrechtete (Rudolf
Borchardt, Ernst Kantorowicz, Hans Rothfels, HansJoachim Schoeps).
Für die übrigen - abgesehen von den Neophyten (Alfred Baeumler,
Ernst Krieck, Otto Westphal, Kleo Pleyer, in gewissem Sinne auch Friedrich
Gogarten, Emanuel Hirsch, Gottftied Benn und Martin Heidegger) - blieben
Anpassung, »innere Emigration« oder Widerstand. Wie in
der ganzen Bevölkerung war auch im Lager der Konservativen Revolution
der Anteil jener am größten, der sich zur Anpassung entschloß
(die Mehrheit paßt sich immer an
- das ist noch nie anders gewesen! HB).
Ein sehr frühes Beispiel für die kaschierte
Auseinandersetzung mit den neuen Verhältnissen war auch die 1934
(in Niekischs Widerstandsverlag) erschienene Sammlung von Gedichten
Friedrich Georg Jüngers, darunter ein Stück mit dem Titel
Der Mohn, das sogar im Exil als Signal eines freien Geistes
vermerkt wurde. Noch bedeutsamer dürfte das 1939 (in der Hanseatischen
Verlagsanstalt) veröffentlichte Werk Ernst Jüngers Auf
den Marmorklippen gewesen sein, wobei die Prominenz des Autors
ihn vor Maßnahmen staatlicher Stellen schützte, denen durchaus
bewußt war, daß man es mit einer verschlüsselten
Generalkritik an den Verhältnissen zu tun hatte. Neben diesen
bekannteren Fällen wären noch einige Romane zu nennen, die
von Schriftstellern geschrieben wurden, die der Konservativen Revolution
nahe standen, so Werner Bergengruen (Der Großtyrann und das
Gericht, 1935), Jochen Klepper (Der Vater; 1937), Reinhold
Schneider (Las Casas vor Karl V.:, 1938) oder Friedrich Reck-Malleczewen
(Bockelson - Geschichte eines Massenwahns, 1937). Obwohl diese
Schriften keine direkten Attacken auf das nationalsozialistische System
oder seine Repräsentanten enthalten durften, vielmehr die Sprache
der Herrschenden benutzten, konnte man sie wie »Palimpseste«
auf ihre verborgene Bedeutung hin lesen.
Jünger hatte kurz nach der Machtübernahme
Hitlers in einem Kreis junger, radikaler Nationalsozialisten aus Österreich
um Edgar Traugott und Meinhart Sild begeisterte Anhänger gefunden,
die den Arbeiter als Manifest des neuen Deutschland lasen.
Sie traten mit ihm in Verbindung und wurden wohlwollend gehört,
stellten aber mit wachsender Erbitterung fest, daß der Autor
nicht bereit war, ihren ideologischen Vorgaben zu folgen.
Seit dem Erscheinen der Marmorklippen beschränkten
sich Sild und Traugott nicht mehr darauf, den »Bruch«
(Ernst Jünger an Meinhart Sild, 7. Juli 1942) im Werk Jüngers
zu beklagen, der Ton wurde teilweise bedrohlich. Jünger blieb
trotzdem verständnisvoll. Auf den Vorwurf mangelnder ideologischer
Folgerichtigkeit antwortete er, daß ein »geradliniges
Fortschreiten« in jene Richtung, die er im Arbeiter entworfen
habe, wohl möglich gewesen wäre, aber das hätte »in
eine reine Masken- und Automatenwelt geführt«. In dem Brief,
aus dem dieser Passus stammt und den Jünger am 21. September
1942 an Traugott schickte, heißt es abschließend: »Unter
ihren Bemerkungen fiel mir der Satz auf; daß Sie und Ihre Freunde
die Menschen nur nach ihrem funktionalen Charakter werteten. Wichtig
ist aber ohne Zweifel nur, was übrig bleibt. wenn man den Menschen
seiner Funktion beraubt, sei es seiner technisch-politischen, sei
es der des Lebens überhaupt. Das ist sein metaphysischer, unteilbarer
und unorganisierbarer Rest.« (Ernst Jünger an Edgar Traugott,
21. September 1942).
Ein Bewußtsein von der Existenz dieses »Restes«
gab es im Denken Hitlers und seiner Anhänger nicht.
Wenn nach 1945 keine Fortsetzung der Konservativen
Revolution möglich war, dann ist das ganz wesentlich aus der
Art der Niederlage Deutschlands zu erklären. Auch der Zweite
Weltkrieg war ein »Verfassungskrieg«, und die neuen Ordnungen,
die in den Reststaaten installiert wurden, hatten Vorgaben zu folgen,
die nicht nur ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus verhindern
sollten, sondern auch jede Anknüpfung an die spezifisch deutsche
Tradition des politischen Denkens erschwerten. Zwar gab es in der
Bundesrepublik durchaus aktive Politiker, die noch durch die Ideen
der Konservativen Revolution geprägt worden waren (Eugen Gerstenmaier,
Hermann Ehlers, Jakob Kaiser), und übten Denker wie Ernst Jünger,
Martin Heidegger und Gottfried Benn erheblichen geistigen Einfluß
aus, die in gewissem Sinn diese Übetlieferung fortsetzten. Auch
gab es unterirdische Wirkungen, aber intellektuelle Sammlungsversuche
blieben ohne Resonanz. Die Erschütterung durch den Zusammenbruch
war eben nicht nur eine politische und materielle, sondern auch eine
geistige gewesen. Eine Reihe der Protagonisten brach auf spektakuläre
Weise mit den alten Überzeugungen. Das bekannteste Beispiel dürfte
Ernst Niekisch gewesen sein, der schwer versehrt aus dem Zuchthaus
befreit worden war und dann nach Ostberlin ging, um sich der SED zur
Verfügung zu stellen. Weniger bekannt ist der Fall Günther
Gereke, Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung im Kabinett Schleicher,
von den Nationalsozialisten abgesetzt und verurteilt, im Zusammenhang
mit dem Attentat von 1944 erneut inhaftiert, nach Kriegsende Mitbegründer
der CDU, in verschiedenen Funktionen der niedersächsischen Landesregierung,
dann von seiner Partei wegen Ostkontakten ausgeschlossen und 1952
in die DDR übergesiedelt. |
Armin Mohler und Karlheinz Weißmann, Die
Konservatiev Revolution in Deutschland 1918-1932, 1950 bzw. 2005,
S. 146-149, 183-187, 197, 201, 207-208.
Zur Erinnerung an die deutsche Besatzung in Frankreich.
  
 

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