
Ernst
Jünger (1895-1998) |
Krieg, Arbeit, Waldgang Nationalismus, Anarchie, Konservativismus |
Ernst Jünger hat schon früh und bis an sein Lebensende immer
wieder bedeutsame Fragen der Philosophie aufgegriffen und sich dabei der
Zeitadiagnostik, der Sprach- und Naturphilosophie sowie der Geschichtsphilosophie
zugewandt. Er war Soldat, Zoologe, Schriftsteller und Philosoph. Beeinflußt
haben ihn vor allem Schopenhauer ( ),
Nietzsche ( )
und Spengler ( ).
Eine enge Zusammenarbeit verband ihn mit seinem Bruder Friedrich Georg
( )
und mit Heidegger ( ).

1. Stadium (Winter) | 2.
Stadium (Frühling) | 3.
Stadium (Sommer) | 4.
Stadium (Herbst) | Vor-/Urdenken:
Jüngers Vor-/Urphilosophie | Frühdenken:
Jüngers Frühphilosophie | Hochdenken:
Jüngers Hochphilosophie | Spätdenken:
Jüngers Spätphilosophie | (Dauer:
19 Jahre) | (Dauer: 18 Jahre) | (Dauer:
19 Jahre) | (Dauer: 47 Jahre)* |
1895 bis 1914 | 1914
bis 1932 | 1932 bis 1951 | 1951
bis 1998 * |
Geburt (29.03.) | DER
ARBEITER | Tod
(17.02.) |
Übergang
Schule / Fremdenlegion bzw. Krieg | | | Der Waldgang |
Frühe Kindheit
| Grund- schule | Gym- nasium
| 1914 - 1918 |
1918 - 1926 | 1926 - 1932 | 1932 -
1939 | 1939 - 1944 | 1944 -
1951 | 1951 - 1957 | 1957 -
1960 | 1960 - 1998 * |
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* 29 Jahre Winter
(1969-1998) (5. Stadium) Ernst Jünger wurde am 29.
März 1895 in Heidelberg als ältestes von sieben Kindern des Chemikers
Dr. Ernst Georg Jünger (1868-1943) und dessen späterer Frau Karolina
(geborene Lampl; 1873-1950) geboren. Er wurde protestantisch getauft. Seine Kindheit
verbrachte Jünger unter anderem in Hannover, wo sich sein Vater ein Labor
als Lebensmittelchemiker eingerichtet hatte, in Schwarzenberg und schließlich
ab 1907 in Rehburg. Sein Vater hatte zuvor als Bergwerksunternehmer beträchtliche
Einkünfte erzielt. 1901 wurde Ernst Jünger am Lyceum II in Hannover
eingeschult. Nicht zuletzt wegen der häufigen Umzüge der Familie war
er zunächst ein schlechter Schüler. 1905 bis 1907 verbrachte Ernst Jünger
auf Internaten in Hannover und Braunschweig. Ab 1907 lebte er wieder bei seiner
Familie in Rehburg und besuchte gemeinsam mit seinen Geschwistern die Scharnhorst-Realschule
in Wunstorf. In dieser Zeit entdeckte der mittelmäßige Schüler
neben seiner Vorliebe für Abenteuerromane auch die Liebe für die Insektenkunde.
1911 trat Jünger gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich Georg ( )
dem Wunstorfer Wandervogel-Club bei. Dort fand er den Stoff für seine ersten
Gedichte, die in einer Wandervogel-Zeitschrift veröffentlicht wurden. Dem
Außenseiter brachten sie die Anerkennung seiner Lehrer und Mitschüler
ein. Er genoß von diesem Zeitpunkt an den Ruf des Poeten und Dandys. Im
Sommer 1913 trat Ernst Jünger als Schüler, der inzwischen ein Gymnasium
in Hameln besuchte, in Verdun der Fremdenlegion bei. Aus dem Ausbildungslager
in Sidi bel Abbès (Algerien) floh er mit einem Kameraden, doch in Marokko
wurde er aber schnell aufgegriffen und zur Legion zurückgebracht. Doch schon
bald darauf konnte er nach einer von seinem Vater betriebenen Intervention des
Auswärtigen Amtes wieder entlassen werden. Diese Episode seines Lebens wird
übrigens vor allem in dem Buch Afrikanische Spiele ( )
verarbeitet.Wir
hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in
den kurzen Ausbildungswochen zu einem großen, begeisterten Körper zusammengeschmolzen.
Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht
nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. (Ernst Jünger,
In Stahlgewittern, 1920 ).
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|  |
Als Kriegsfreiwilliger meldete sich Ernst Jünger am 1. August 1914
- 4 Tage nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges - beim Füsilier-Regiment
73 in Hannover. Nach dem Notabitur absolvierte er die militärische
Ausbildung und kam im Dezember mit einem Ersatztransport an die Champagne-Front
in Frankreich. ( ).
Am 24. April 1915 wurde er erstmals verwundet. Im Heimaturlaub schlug
er auf Anraten seines Vaters die Offizierslaufbahn ein. Wieder zurück
in Frankreich, wurde er bald Leutnant und Zugführer und machte sich
durch spektakuläre Aktionen bei Patrouillen und Stoßtrupps
einen Namen. Im Laufe des dritten Kriegsjahres 1916 war Jüngers Regiment
an sämtlichen Brennpunkten der Westfront eingesetzt. Während
der zweiten Somme-Schlacht wurde Jünger am Vorabend der Offensive
verwundet und kam ins Lazarett. In der Folgezeit wurde sein gesamter Zug
aufgerieben. Ende 1916 erhielt Jünger für ein besonders waghalsiges
Unternehmen das Eiserne Kreuz. 1917 wurde Jünger zum Chef der 7.
Kompanie befördert und rettete durch einen Zufall seinem Bruder Friedrich
Georg ( )
auf dem Schlachtfeld von Langemarck das Leben. Daraufhin folgten weitere
Auszeichnungen. Im März 1918 überlebte Ernst Jünger einen
Granateinschlag, der fast seine gesamte Kompanie vernichtet hatte. Am
22. September 1918 erhielt Jünger den Pour le Mérite und damit
die höchste militärische Auszeichnung, die im Deutschen Reich
vergeben wurde. Dazu beigetragen hatten vor allem seine vielen verschiedenen
tollkühnen Aktionen und seine insgesamt 14 Verwundungen. Das Kriegsende
erlebte Jünger nach einer im August 1918 vor Cambrai erlittenen Verwundung
im Lazarett.
Von den ca. 12 Millionen deutschen Soldaten, die
im Verlauf des Ersten Weltkrieges Dienst taten, erhielten nur 687 die höchste
Tapferkeitsauszeichnung - den Pour le Mérite. Selbst unter
der Maßgabe, daß der Orden nur an Offiziere verliehen werden konnte,
war eine Verleihung extrem unwahrscheinlich. Außerdem betraf der Großteil
der Verleihungen höhere Dienstgrade. Lediglich 11 Führer einer Infanteriekompanie
haben diese Auszeichnung erhalten, darunter Ernst Jünger (gleichzeitig mit
Erwin Rommel und Ferdinand Schörner), der zudem noch einer von 15 Soldaten
war, die sich neben dem Pour le Mérite auch das Goldene Verwundeten-Abzeichen
(nach 6 Verwundungen) verdient hatten.Während des gesamten Kriegsverlaufes
notierte Jünger seine Erlebnisse im Tagebuch, das er ständig mit sich
führte. Seinen Frontalltag verbrachte er vor allem am Ende des Krieges damit,
in den Gefechtspausen Werke von Nietzsche ( ),
Schopenhauer ( )
und Kubin ( )
zu lesen. Außerdem ließ er sich aus der Heimat entomologische Zeitschriften
schicken.Nach dem Ersten Weltkrieg diente Jünger zunächst noch
in der Reichswehr, in der er unter anderem mit der Ausarbeitung von Dienstvorschriften
für den Infanteriekampf befaßt war. Unter anderem nahm er 1920 an Einsätzen
zur Niederschlagung des Kapp-Putsches teil. Bald profilierte er sich als entschiedener
Gegner der Republik, hielt sich aber aus den politischen Auseinandersetzungen
weitgehend heraus und überarbeitete seine Kriegsaufzeichnungen, die in die
Werke In Stahlgewittern ( ),
Der Kampf als inneres Erlebnis ( ),
Sturm ( ),
Das Wäldchen 125 ( )
und Feuer und Blut ( )
einflossen. Jüngers Erstlingswerk - In Stahlgewittern - wurde von
der rechten Presse mit Begeisterung aufgenommen und als Siegfried-Buch
bezeichnet, andererseits aber auch von der Linken wegen der Drastik und Realistik
der Darstellung beachtet.
Jünger studierte Zoologie und Philosophie in Leipzig, nachdem er
aus der Reichswehr 1923 ausgetreten war. Dennoch war er noch in diesem
Jahr 1923 für kurze Zeit in das Freikorps von Gerhard Roßbach
eingetreten und vor allem als reisender Verbindungsmann zu anderen Teilen
der nationalen Bewegung aktiv. Am 3. August 1925 heiratete er Gretha von
Jeinsen. Er schrieb zahlreiche Artikel für nationalrevolutionäre
Publikationsorgane wie Die Standarte, Arminius, Der Vormarsch
oder Ernst Niekischs ( )
Widerstand - Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik.
Wir
Nationalisten glauben an keine Wahrheiten. Wir glauben an keine allgemeine Moral.
Wir glauben an keine Menschheit als ein Kollektivwesen mit zentralem Gewissen
und einheitlichem Recht. Wir glauben vielmehr an ein schärferes Bedingtsein
von Wahrheit, Recht und Moral durch Zeit, Raum und Blut. Wir glauben an den Wert
des Besonderen. (Ernst Jünger, Das Sonderrecht des Nationalismus,
in: Publizistik, 1926, S. 280 ) |
Das
Studium brach Jünger am 26. Mai 1926 ohne Abschluß ab und wandte sich
ganz der Schriftstellerei zu. Er schrieb zahlreiche Artikel für nationalrevolutionäre
Publikationsorgane wie Die Standarte, Arminius, Der Vormarsch oder Ernst
Niekischs Widerstand - Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik.
1927 zog die Familie Jünger nach Berlin. Im selben Jahr lehnte er ein von
der NSDAP angebotenes Reichstagsmandat ab. In den folgenden Jahren wechselte Jünger
mehrfach seine Publikationsorgane und rief eigene, kurzlebige nationalistische
Zeitschriften ins Leben. Grund dafür waren wiederkehrende Auseinandersetzungen
innerhalb des nationalistischen Lagers über einen möglichen Legalitätskurs
der Weimarer Republik gegenüber. Seltsame
Vorlieben und die Art, in der der Mensch von einem großen, scheinbar ganz
geschlossenen Gebiet nichts beachtet als einen bestimmten Teil, sind sehr bezeichnend
für das Wesen einer Persönlichkeit. So sehe ich einen Sinn darin, daß
ich mich während meiner anatomischen Studien nie mit der Knochenlehre befreunden
konnte, daß ich mich für die Geologie nur da erwärmte, wo sie
mit der Paläontologie zusammenhing, daß von allen belebten Schichten
wiederum die Juraformation für mich von je einen märchenhaften Glanz
besaß ... und daß mir von allen tausend Ländern, die die Welt
trägt, gerade Zentralafrika das verlockendste war und heute noch ist. Von
all diesem weiß ich, warum es so ist - wie aber ist die Abneigung zu erklären,
die ich vor den Pflanzen und Tieren Australiens, ganz besonders vor den Beuteltieren,
empfinde ...? Durch solche Neigungen und Abneigungen spricht unser Innerstes,
das uns selbst ewig verborgen bleiben wird, das sich auszudrücken sucht,
indem es sich ins Gleichnis setzt, und das mit nachtwandlerischer Sicherheit den
Grad der Verwandtschaft spürt, die uns mit allen Dingen der Welt verbindet
und unsere Perspektive bestimmt. (Ernst Jünger, Das abenteuerliche
Herz , 1929 ). |
Man
kann sich heute nicht in Gesellschaft um Deutschland bemühen; man muß
es einsam tun wie ein Mensch, der mit seinem Buschmesser im Urwald Bresche schlägt
und den nur die Hoffnung erhält, daß irgendwo im Dickicht andere an
der gleichen Arbeit sind. (Ernst Jünger, Das abenteuerliche Herz
, 1929 ). |
1929
erregte Ernst Jüngers an die Tradition des europäischen Surrealismus
anknüpfende Buch Das abenteuerliche Herz ( )
Aufsehen, zumal es als Literarisierung des Autors und Abwendung von
der Politik interpretiert wurde. 1930 fungierte Jünger als Herausgeber mehrerer
nationalrevolutionärer Sammelbände. Um ihn herum bildete sich ein Zirkel
nationalistischer Publizisten aus teilweise sehr unterschiedlichen Flügeln,
von späteren Nationalsozialisten bis zum Nationalbolschewisten Ernst Niekisch
( ).
Zum Ende der 1920er Jahre trat Jünger zunehmend in den Dialog mit politischen
Gegnern der Rechten und zog sich gleichzeitig aus der politischen Publizistik
zurück. Erst in dieser Zeit wurde seine Kriegsliteratur außerhalb nationalistischer
und militärischer Kreise populär. 1932
erschien Jüngers Großessay Der Arbeiter - Herrschaft und Gestalt
( );
darin etablierte er eine jene Wahrnehmungsästhetik, mit der sich der Text
unter der Hand von seinen imperialen, nationalistischen Ideen löst.Mein
neues Buch ( )
beschäftigt sich mit der Herrschaft und Gestalt des Arbeiters. Das erste
Gefühl, das mich veranlaßte, mich diesem Thema zuzuwenden, war das
einer gewissen Neugierde. Unterstellt, lautete die Fragestellung ungefähr,
der Arbeiter vollendet seinen Weg zur Macht, auf dem er in vielen Staaten und
unter mannigfaltigen Formulierungen bereits weit vorgedrungen ist, so bezeichnet
dieser Punkt für ihn keinen Abschluß, sondern erst den Beginn seiner
Existenz. In dem gleichen Augenblick, in dem die Herrschaft gewährleistet
ist, wächst auch der Umkreis der Verantwortung. Man kann dies auch so formulieren,
daß in dem gleichen Augenblick, in dem die Herrschaft zur Tatsache wird,
die Ansprüche von Schichten, die sich wirtschaftlich oder sozial benachteiligt
fühlen, nicht mehr genügen, sondern daß eine umfassende, sich
auf die Totalität des Lebens beziehende Befehlssprache erwartet werden muß,
wie sie zu allen Zeiten das Kennzeichen einer neuen Aristokratie gewesen ist.
(Ernst Jünger, in einer Rundfunkansprache zum Erscheinen des Arbeiters,
1932). |
Das
bedeutet, daß das Maß der Freiheit des Einzelnen genau dem Maße
entspricht, in dem er Arbeiter ist. Arbeiter, Vertreter einer großen, in
die Geschichte eintretenden Gestalt zu sein, bedeutet, Anteil zu haben an einem
neuen, vom Schicksal zur Herrschaft bestimmten Menschentum. (Ernst Jünger,
in einer Rundfunkansprache zum Erscheinen des Arbeiters, 1932 ).
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Die Wirkung von Jüngers
Arbeiter ( )
war in vielem ähnlich derjenigen von Spenglers Untergang des Abendlandes.
Im einen wie im anderen Fall erlebten gerade die konservativen Menschen
... eine außerordentliche Erschütterung, weil ihnen die Einsicht
abverlangt wurde, daß der Nomos der Ahnen erlischt (Albrecht
Erich Günther). Diese Gemeinsamkeit war insofern kein Zufall, als die Spenglersche
Geschichtsphilosophie große Bedeutung für Jüngers Denken besaß.
Man könnte sicher die Ähnlichkeit zwischen dem von Spengler geforderten
Ethos und dem heroischen Realismus nachweisen, und Jüngers Forderung
nach organischer Konstruktion erschien auch als Konsequenz der Einsicht,
daß sich die Kultur nicht wiederbeleben ließ und jetzt
die Gestaltung der Zivilisation gefordert war. Spengler hat diese
Nähe allerdings nicht gesehen. Das hängt vielleicht auch damit zusammen,
daß er sich mit der 1931 erschienenen Schrift Der Mensch und die Technik
( )
auf Distanz zum futuristischen Elan seiner früheren Jahre gegangen war. Letztlich
war es aber Desinteresse an einer anderen, selbständigen Deutung. Nachdem
Jünger ihm den Arbeiter mit einer respektvollen Widmung ( )
zugesandt hatte, antwortete Spengler sehr höflich, doch auch mit Unverständnis:
Wenn man dem angeblichen sterbenden Bauerntum »den Arbeiter«,
das heißt den Fabrikarbeiter, als neuen Typus gegenüberstellt, entfernt
man sich von der Wirklichkeit und damit von jedem Einfluß auf die Zukunft,
die ganz andre Wege gehen wird. (Oswald Spengler an Ernst Jünger).Ernst
Jünger war u.a. auch eng befreundet mit Albrecht Erich Günther ( ).
Günther zählte zu den entschlossenen Verfechtern des Spenglerschen
Wegs. Er hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg und der Teilnahme an den Freikorpskämpfen
zuerst einem radikalen Nationalkommunismus zugewandt, dann aber eine Korrektur
vollzogen. 1926 war er neben Wilhelm Stapel ( )
in die Schriftleitung des Deutschen Volkstums eingetreten. Anders als der
in vielem noch den Vorkriegstraditionen verhaftete Stapel neigte Günther
zum Bruch mit Überlieferungen und war skeptisch gegenüber den üblichen
konservativen Affekten. So veröffentlichte er einen stark diskutierten Aufsatz
unter der bezeichnenden Überschrift Zivilisation. Er plädierte
hier unter ausdrücklichem Bezug auf Spenglers Preußentum und Sozialismus
( )
für einen organisatorischen - wie er sagte: kategorischen - Sozialismus.
Vor allem aber ging es ihm um den Abschied von aller Kultursentimentalität:
Wie die Jahrtausende alte Einsicht in unsere individuelle Sterblichkeit
die Tatkraft des Menschen nicht gemindert, sondern ihre verantwortliche Anspannung
begründet hat, so bewirkt die Überzeugung von der Endlichkeit der geschichtlichen
Gestaltungskraft eines Volkes eine harte, männliche Entschlossenheit, die
gesetzte Frist rühmlich zu nutzen. Inhalt und Duktus der Argumentation
Günthers erinnern nicht zufällig an Ernst Jünger, denn beide waren,
wie schon gesagt, eng befreundet, und es wäre reizvoll zu untersuchen, ob
Günther Jünger beeinflußte, und wenn ja, wie stark. Jedenfalls
entwickelten beide bis zum Beginn der 1930er Jahre eine Position, die durch Bejahung
der Modernität und vor allem der Technik gekennzeichnet war. Diesen Weg haben
viele Anhänger Jüngers nicht nachvollziehen können, was hinreichend
ihre verstörten Reaktionen auf den 1932 erschienen Arbeiter ( )
erklärt. Günther gehörte zum engeren Kreis von Ernst Jünger,
dem auch noch dessen Bruder Friedrich Georg Jünger ( ),
Franz Schauwecker ( )
und Helmut Franke, später Edmund Schultz, Friedrich Hielscher ( )
und Arnolt Bronnen ( )
zugerechnet werden müssen. Sie waren die eigentlichen Protagonisten des Neuen
Nationalismus. „Neu“ war dieser Nationalismus insofern, als er sich scharf
von den Vertretern einer älteren, bürgerlichen „Vaterländerei“
absetzte und deren Nostalgien verachtete. „Nationalistisch“ war er insofern, als
er offen die Wiederherstellung der deutschen Weltmachtstellung propagierte und
zur Erreichung dieses Zwecks keinen anderen Weg als den der Gewalt sah: der Gewalt
gegen die Weimarer Demokratie einerseits, gegen die Garantiemächte des Versailler
Diktats (   ).
Bis 1933 verfaßte Jünger schätzungsweise 140 Artikel.
Trotz seiner Sympathie für die Idee einer nationalen Revolution hielt
sich Jünger, nach anfänglichen Kontakten, von Hitler und der
NSDAP fern. Am 29. Januar 1926 schenkte er Hitler sein
Buch Feuer und Blut ( )
mit einer persönlichen Widmung: »Dem nationalen Führer
Adolf Hitler!« ( ),
wofür sich dieser mit großer Freude bedankte. In Jüngers
politischen Schriften dieser Zeit finden sich vereinzelte antijüdische
Äußerungen. So schrieb er 1930 über Nationalismus
und Judenfrage: ... die nationalen Bewegungen, die sich als
revolutionär bezeichnen litten unter einem Mangel an
Folgerichtigkeit, da bei ihnen der Stoß gegen den Juden
immer viel zu flach angesetzt wird, um wirksam zu sein. Diese
Äußerungen seien im Zusammenhang mit seinem radikalen Anti-Liberalismus
und Anti-Demokratismus (Harro Segeberg )
zu sehen und richteten sich daher in erster Linie gegen die Assimilation
der deutschen Juden. Jünger präferierte, wie damals auch sein
Bruder Friedrich Georg ( )
und andere Nationalrevolutionäre, das orthodoxe Judentum bzw. später
den modernen Zionismus. Franz Schauwecker ( )
und Friedrich Hielscher ( )
etwa sprachen sich hierbei besonders für Martin Bubers ( )
spirituellen Zionismus aus.
Die NSDAP versuchte nach ihrer Machtübernahme
erneut, Ernst Jünger für sich zu gewinnen. Ihm wurde ein Sitz im Reichstag
angeboten, den er ablehnte. 1933 kam es auch zu einer Hausdurchsuchung durch die
Geheime Staatspolizei (Gestapo) wegen Jüngers Kontakte zu Kommunisten und
zu Ernst Niekisch ( ).
Im selben Jahr wies Jünger die Aufnahme in die nationalsozialistisch
gesäuberte Dichterakademie zurück, und seine Wohnung
wurde erneut von der Gestapo durchsucht, woraufhin Jünger sich nach Goslar
zurückzog.Die
schlechte Rasse wird daran erkannt, daß sie sich durch den Vergleich mit
anderen zu erhöhen, andere durch den Vergleich mit sich zu erniedrigen sucht.
(Ernst Jünger, Blätter und Steine, 1934 ).
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1939 wurde Jünger zum Hauptmann befördert und zur Wehrmacht
eingezogen; zunächst tat er als Kompaniechef am Westwall gegenüber
der Maginot-Linie Dienst. In dieser Zeit erhielt er die Spange zum Eisernen
Kreuz II. Klasse. 1941 wurde seine Einheit nach Paris verlegt. Ernst Jünger
kam im Sommer des Jahres in den Stab des Militärbefehlshabers von
Frankreich, später Chef des Generalstabes der Heeresgruppe B, wo
er unter anderem für die Briefzensur zuständig war. Als wichtiges
Zeitdokument einer deutschen, nicht-nationalsozialistischen Sicht des
Zweiten Weltkrieges, entstanden die Pariser Tagebücher, die einige
Jahre später in das Buch Strahlungen ( )
Eingang fanden. Jünger kam in Kontakt zu Widerstandkreisen innerhalb
der Wehrmacht und dokumentierte für sie die Auseinandersetzungen
zwischen NSDAP-Stellen und der Wehrmacht im besetzten Frankreich. 1942
schickte der Militärbefehlshaber in Frankreich Carl-Heinrich von
Stülpnagel Jünger in den Kaukasus, angeblich um die Truppenmoral
vor einem eventuellen Attentat auf Adolf Hitler zu untersuchen. Noch 1942
kehrte Ernst Jünger nach Paris zurück. 1942 begannen auch die
Arbeiten an dem Aufruf Der Friede ( )
von 1944, der als Aufruf an die Jugend Europas nach einem Sturz Hitlers
gedacht war. Jünger stand zahlreichen Beteiligten des Attentats vom
20. Juli 1944 nahe. Nachdem den Westalliierten die Landung in der Normandie
und der Vorstoß ins Landesinnere gelungen war, verließ Jünger
mit den abziehenden deutschen Truppen Paris Ende August 1944 und kehrte
nach Deutschland zurück, wo er im September 1944 - im Alter von 49einhalb
Jahren - aus der Wehrmacht entlassen wurde. Er zog sich nach Kirchhorst
(in der Nähe von Hannover) zurück, wo er gegen Kriegsende als
Volkssturmkommandant befahl, keinen Widerstand gegen die anrückenden
alliierten Truppen zu leisten. Jüngers Sohn Ernstel wurde 1944 aufgrund
kritischer Bemerkungen in ein Strafbataillon versetzt und fiel am 29.
November in Italien.
Nach
dem Erdbeben schlägt man auf die Seismographen ein. Man kann jedoch die Barometer
nicht für die Taifune büßen lassen, falls man nicht zu den Primitiven
zählen will. (Ernst Jünger, Strahlungen, 1949 ).
|
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Jünger auf
den jungen Journalisten Armin Mohler ( )
aufmerksam, da dieser 1946 in der Weltwoche einen recht positiven Artikel über
ihn veröffentlicht hatte. Und von 1949 bis 1953 war Mohler Privatsekretär
von Jünger. 1949 lernte Jünger den LSD-Entdecker Albert Hofmann kennen;
gemeinsam experimentierten beide mit der Droge. Jünger schrieb anschließend
ein Buch über seine LSD-Erfahrungen mit dem Titel Besuch auf Godenholm
( ).Daneben
wird niemand übersehen, daß in der Welt der Tatsachen der Nihilismus
sich den letzten Zielen annähert. Nur war beim Eintritt in seine Zone der
Kopf bereits gefährdet, der Leib dagegen noch in Sicherheit. Nun ist es umgekehrt.
Das Haupt ist jenseits der Linie. (Ernst Jünger, Über die Linie,
1950 ).
| 1951
entstand Jüngers Essay Der Waldgang ( ),
eine Widerstandsfibel gegen Totalitarismus und Anpassung. Fortsetzung und Abschluß
dieser Thematik sind in dem 1977 erschienenen Roman Eumeswil ( )
zu sehen, in dem Jünger das Gebäude seiner Weltweisheit
(Armin Mohler) errichtete. Darin ist die Gestalt des Waldgängers zu der des
Anarchen weiterentwickelt - auch mit häufiger Bezugnahme auf Max Stirner
( )
und dessen 1844 erschienenes Buch Der Einzige und sein Eigentum ( ).
Noch vor der Zeit der sogenannten 68er,
nämlich zu einem Zeitpunkt, als man noch eher glauben durfte, die richtigen
Lektionen gezogen zu haben und mit der Bundesrepublik über ein Staatswesen
zu verfügen, das die Herausforderungen der Zukunft bestehen könnte,
notierte Ernst Jünger den Satz: »Wo der Liberalismus seine äußersten
Grenzen erreicht, schließt er den Mördern die Tür auf. Das ist
Gesetz!« (Karlheinz Weißmann, in: Sezession,
Februar 2008, S. 1 ).Waldgänger
nennen wir ... jenen, der durch den großen Prozeß vereinzelt und heimatlos
geworden, sich endlich der Vernichtung ausgeliefert sieht. Das könnte das
Schicksal vieler, ja aller sein - es muß also noch eine Bestimmung hinzukommen.
Diese liegt darin, daß der Waldgänger Widerstand zu leisten entschlossen
ist und den, vielleicht aussichtslosen, Kampf zu führen gedenkt. Waldgänger
ist also jener, der ein ursprüngliches Verhältnis zur Freiheit besitzt,
das sich, zeitlich gesehen, darin äußert, daß er dem Automatismus
sich zu widersetzen und dessen ethische Konsequenz, den Fatalismus, nicht zu
ziehen gedenkt. (Ernst Jünger, Der Waldgang, 1951, S. 28 ).
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Am 26. September 1996 konvertierte Ernst Jünger
zum römisch-katholischen Glauben. (Ich weiß nicht, ob Jünger dieses
Datum gewählt hat oder nicht - es ist ja der Geburtstag des Katholiken Martin
Heidegger ).
Jüngers Konversion wurde erst nach seinem Tod bekannt, der am 17.02.1998
kam. Jünger starb also 40 Tage vor seinem 103. Geburtstag. An der Beerdigung
nahmen 2000 Menschen teil, darunter auch z.B. Erwin Teufel als Ministerpräsident
von Baden-Württemberg und ein Vertreter der Bundesregierung sowie fünf
Generäle der Bundeswehr.
Philosophie muß sich von Wissenschaft
und Dichtung unterscheiden, wobei es zwischen ihnen Überschneidungen gibt.
Karl Jaspers ( )
hat die Eigenart der Philosophie prägnant bestimmt: »Die Art der in
der Philosophie zu gewinnenden Gewißheit ist nicht die wissenschaftliche,
nämlich die gleiche für jeden Verstand, sondern ist eine Vergewisserung,
bei deren Gelingen das ganze Wesen des Menschen mitspricht.« Nicht der einzelne
Gegenstand, sondern das Ganze des Seins ist der Raum der Philosophie, der nach
dem Sinn befragt wird. Philosophie bedeutet radikales Fragen. Von der Dichtung
unterscheidet sie, daß sich dieses Fragen in jedem Fall auf die Wirklichkeit
bezieht und die Phantasie eine untergeordnete Rolle spielt. Vor allem ist Philosophie
in jedem Fall ein methodisches Vorgehen auf dem Weg der Erkenntnis, kein freies
Assoziieren. Beide Unterscheidungen treffen für Jünger nicht eindeutig
zu. Dazu ist sein Werk zu heterogen, widmet sich auf verschiedene Art und Weise
verschiedenen Gegenständen. Jünger hat Romane und Erzählungen geschrieben
und ständig Tagebuch geführt. Und er hat sich in seinen Essays immer
auf seine Eigenschaft als Beobachter, der beschreibt, was er sieht, berufen. Dennoch
oder gerade deshalb hat Jünger einen genuin philosophischen Anspruch. Das
geht so weit, daß sogar seine Dichtung »wesentlich Metaphysik«
(Hans-Peter Schwarz )
ist, was nicht unbedingt für Jüngers Dichtung spricht. Ich kenne keinen,
der vom erzählerischen Werk Jüngers, von den Marmorklippen ( )
einmal abgesehen, nachhaltig ergriffen worden wäre. Es ist von der Metaphysik
verstellt. Jünger will uns in Heliopolis ( ),
den Gläsernen Bienen ( )
oder Eumeswil ( )
um jeden Preis eine philosophische Deutung der Gegenwart aufdrängen. Jünger
ist aber nur dort echt, wo er seine genauen Beobachtungen nicht in eine erzählerische
Form gießen muß: Im Tagebuch und im Essay. Deshalb wird Jüngers
Name auch immer mit den Stahlgewittern ( ),
dem Arbeiter ( )
und mit dem Waldgang ( )
in Verbindung gebracht werden. In ihnen erschöpft sich Jünger nicht
in der Beschreibung der Lage, er ist hier im besten Sinne Philosoph. Er bleibt
nicht im Empirischen hängen, sondern verfeinert die induktive Methode. Aus
dem, was ist (»das alles gibt es also«), was man aber auch sehen muß,
ergibt sich die radikale Frage, nach dem Sinn des Ganzen. Den wollte Jünger
der Lage gleichsam ablauschen: dem Weltkrieg, der Technik, der Massengesellschaft
und schließlich dem Einzelnen. (Erik Lehnert, Über Jünger
zur Philosophie, in: Sezession,
Februar 2008, S. 37 ).Der
von Jünger sehr geschätzte Lichtenberg ( )
schreibt: »Man bedenkt nicht, daß Sprechen, ohne Rücksicht von
was, eine Philosophie ist. Jeder, der Deutsch spricht, ist ein Volksphilosoph
und unsere Universitätsphilosophie besteht in Einschränkungen von jener.«
( ).
Vielleicht ist so das Verhältnis zu beschreiben, in dem Jünger zu dem
stand, was man unter akademischer Philosophie versteht. Jünger hat sich ganz
bewußt in diese Ecke gestellt. Als sich nach dem Ersten Weltkrieg die Frage
der Studienwahl stellte, hat er nicht Philosophie, sondern Zoologie studiert.
Er folgte damit einem Zug der Zeit. Die Universitätsphilosophie stand im
Ruf der völligen Lebensferne und Abstraktheit, so daß die Wißbegierigen,
die den Sinn des Lebens suchen wollten, in die Naturwissenschaften und die Medizin
gingen. Es sei nur an Gottfried Benn ( )
erinnert, der diese Entscheidung schon vor dem Weltkrieg traf. Nicht umsonst hat
die Generation des Fronterlebnisses sich den großen Außenseiter der
Philosophie, Nietzsche ( ),
zum Leitstern gewählt. Jünger hat sich neben Nietzsche vor allem mit
Goethe ( )
beschäftigt. Hierin ist er vermutlich Oswald Spengler ( )
gefolgt, der der Philosophie ebenfalls von außen entscheidende Impulse gab
und durch die Prognose des Untergangs des Abendlandes ( )
die 1920er Jahre und damit auch Jüngers geistige Entwicklung prägte.
( ).
(Erik Lehnert, Über Jünger zur Philosophie, in: Sezession,
Februar 2008, S. 37-38 )Bei
Jünger äußerte sich diese vor allem in der Zeitkritik, die an
sich noch nicht philosophisch sein muß. Daß sie es ist, hat Heidegger
( )
indirekt bewiesen. Die Auseinandersetzung Heideggers mit Jüngers Werk ist
als Aspekt der Philosophiegeschichte immer wieder behandelt worden und hat dazu
geführt, in diesem Austausch so etwas wie einen philosophischen Ritterschlag
für Jünger zu sehen. Heidegger war vom Arbeiter
( )
so gepackt, daß er darüber ein privates Seminar für seine höheren
Semester, vor allem aber die Assistenten veranstaltete. Hier hat Heidegger den
Impuls für seine Technikkritik her und damit den Kern seiner Kritik am Nationalsozialismus.
Heidegger hat offenbar früh gesehen, daß es Jünger nicht um eine
verquere Art des Nationalbolschewismus ging, sondern um eine planetarische ...
Entwicklung, die sich aus zwei Ereignissen, die dem Zeitalter der Massen und der
Technik die Konsequenzen abtrotzen, speist: dem Ersten Weltkrieg und der Erfahrung
des technischen Krieges, in dem der einzelne Mensch bedeutungslos wird ... sowie
der russischen Revolution .... Wenn man sich anschaut, wie sich in den verschiedensten
Ländern in den 1920er und 1930er Jahren die Formierung der Massen vollzog,
wie sie einem Plan unterworfen wurden, hat Jünger keine Gespenster gesehen.
Für Heidegger ist Jüngers Einsicht entscheidend,
daß die Technik nichts ist, was der Mensch steuern kann. Es ist Nietzsches
( )
Einsicht: »Einst aber werden größere Drachen zur Welt kommen.«
( ).
(Erik Lehnert, Über Jünger zur Philosophie, in: Sezession,
Februar 2008, S. 38 ).Gleichzeitig
wird etwas offenbar, was schon seit Nietzsche kein Geheimnis mehr war: die Macht
des Nihilismus. Jünger widmet ihm seine Schrift Über die Linie
( ),
die in einer Festschrift für Heidegger ( )
erscheint. Der reagiert darauf mehrfach, freundlich, aber doch Jüngers Überlegungen
in zentralen Punkten kritisierend. Während Jünger davon redet, daß
»in der Welt der Tatsachen der Nihilismus sich den letzten Zielen«
( )
annähere, meint Heidegger, daß es keine Ziele mehr geben könne,
weil es nichts gebe, was außerhalb des Nihilismus stünde. Jünger
sei metaphysisch befangen, restaurativ, könne die notwendige »Verwindung
der Metaphysik« nicht mittragen. Dazu hat Jünger auch gar keinen Grund.
Der Unterschied zwischen Jünger und Heidegger in den 1950er Jahren liegt
in deren jüngster Vergangenheit. Heidegger hatte, wie auch Benn ( ),
1933 mehr als ein Jahr geglaubt, die NS-Bewegung sei das antinihilistische Moment,
auf das alle gewartet hatten. Die sich bald einstellende Enttäuschung wog
bei Heidegger offenbar schwerer, wie sich den seit einigen Jahren vorliegenden
Manuskripten der 1930er und 1940er Jahre entnehmen läßt: Konsequenterweise
war damit alles dem Nihilismus anheimgefallen und nur der »letzte Gott«
( )
läßt hoffen. Dagegen hatte Jünger nie Illusionen über den
Nationalsozialismus und konnte so nach 1945 recht ungebrochen die »eigene
Brust« anführen: »Hier steht ein jeder, gleichviel von welchem
Stand und Range, im unmittelbaren und souveränen Kampfe, und mit seinem Siege
verändert sich die Welt.« ( ).
Hier blitzt Jüngers echte Anteilnahme am Menschen auf und damit auch seine
philosophische Haltung. (Erik Lehnert, Über Jünger zur Philosophie,
in: Sezession,
Februar 2008, S. 38 ). |  |
Jünger
ist Existenzphilosoph. Damit ist nicht gemeint, daß Jünger einer so
bezeichneten philosophischen Strömung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
anhängt. Existenzphilosophie ist ein Phänomen der Gegenaufklärung.
Mit Kierkegaard ( )
geht es um den Menschen als »Synthesis von Unendlichkeit und Endlichkeit,
von dem Zeitlichen und dem Ewigen, von Freiheit und Notwendigkeit« ( ),
die erst im Bewußtsein dieses Verhältnisses zu sich selbst findet.
Jünger nennt das nicht Existenz, sondern Soldat, Arbeiter, Waldgänger.
Und natürlich ist der Einzelne immer mehr als er selbst, er weist über
sich hinaus. Existentiell heißt für Jünger: Erkenne die Lage und
damit auch die Feinde. Diese haben Jünger und die Philosophie gemeinsam:
Positivismus, Materialismus, Relativismus und schließlich den Nihilismus.
Es geht Jünger um das Absolute und das Konkrete. Er definiert den Freiheitsanspruch
als Arbeitsanspruch, Freiheit stellt sich dar als Ausdruck der Notwendigkeit.
»Das bedeutet, daß das Maß der Freiheit des Einzelnen genau
dem Maße entspricht, in dem er Arbeiter ist. Arbeiter, Vertreter einer großen,
in die Geschichte eintretenden Gestalt zu sein, bedeutet, Anteil zu haben an einem
neuen, vom Schicksal zur Herrschaft bestimmten Menschentum.« ( ).
Das bedeutet die Verinnerlichung des Freiheitsbegriffs Preußens: in Freiheit
dienen. Nur gab es dieses Preußen nicht mehr, keinen König und keinen
Gott. Daher die Selbstverpflichtung des Menschen als Antwort auf die Frage: Warum
handeln, wenn wir doch sterben müssen? - Weil wir gar nicht anders können.
Dieses Verständnis setzt sich im Waldgang fort: »Waldgänger ist
also jener, der ein ursprüngliches Verhältnis zur Freiheit besitzt,
das sich, zeitlich gesehen, darin äußert, daß er dem Automatismus
sich zu widersetzen und dessen ethische Konsequenz, den Fatalismus, nicht zu ziehen
gedenkt.« ( ).
(Erik Lehnert, Über Jünger zur Philosophie, in: Sezession,
Februar 2008, S. 38-39 ).Wo
der Verstand dem Urphänomen begegnet, stößt er auf Stärkeres.
Hier muß er haltmachen; hier kann ihm ein Damaskus zuteil werden.
(Ernst Jünger, An der Zeitmauer, 1959 ).
|
Bereits 1959 hat Jünger dann seine zweite
Leidenschaft, die Geschichtsphilosophie, zu einem Höhepunkt geführt
und ein bis heute nicht gänzlich ausgedeutetes Buch geschrieben, das damals
ein gewisses Aufsehen erregte: An der Zeitmauer ( ).
Das, was später als Ende der Geschichte und Ende des Menschen die Runde machte,
ist hier in aller Deutlichkeit gesehen. (     ).
Eine völlig neue Phase der Erdgeschichte eröffnet sich, wenn der Mensch
sich und seine Artgenossen selbst auslöschen oder die Evolution selbst in
die Hand nehmen kann. Der Weltstaat erscheint da nur als Zwischenstadium. Jünger,
das wird hier deutlich, ist kein Alt-Konservativer, er hält den Prozeß
der Modernisierung für unaufhaltbar, wenn auch für bedauerlich. Trotzdem
weiß er, daß das Leben nicht aufgeht, daß wir uns nicht selbst
in der Hand haben und daß es mehr gibt als die handgreifliche Realität.
Das, was man in der Metaphysik als Grundbegriff bezeichnet, hat Jünger in
Worte gefaßt und damit oftmals überhaupt erst sichtbar gemacht. Dabei
bleibt es nicht aus, daß sich in Jüngers Werk manche Zeitgeistverhaftung
findet. Die Themen, die er aufgriff, waren virulent, gegenwärtig, aktuell.
Da es Jünger aber nicht darum geht, und auch das zieht ihn auf die Seite
der Philosophie, eine Weltanschauung zu basteln, wird er nie mainstream.
Er läßt sich immer neu beeindrucken: »Wo der Verstand dem Urphänomen
begegnet, stößt er auf Stärkeres. Hier muß er haltmachen;
hier kann ihm ein Damaskus zuteil werden.« ( ).
(Erik Lehnert, Über Jünger zur Philosophie, in: Sezession,
Februar 2008, S. 39 ).Die
Revolutionen künden sich in den Sternen an. Das war längst so, ehe Menschen
die Erde bewohnt haben. Dort sind die Maßstäbe zur Einteilung der Weltzeit,
vom flüchtigen Augenblick bis zu den Lichtjahren. Daher deuten sich die tiefsten
Veränderungen der menschlichen Ordnung in der Sternkunde an. Der Blick auf
den gestirnten Himmel wirft die erste, die unsichtbare Bahn. Dem folgen die Erscheinungen.
Die Moderne beginnt und endet mit der kopernikanischen Revolution. Jeder neue
Blick auf das All hat einen metaphysischen Hintergrund. Das All und das Auge verändern
sich gleichzeitig. Das gilt auch nach der Erfindung der Fernrohre und innerhalb
komplizierter Berechnungen. In die Erfassung großer Zeitalter teilen sich
heute Geschichte und Naturgeschichte, ohne uns zu befriedigen, obwohl ihnen nicht
nur eine Fülle neuen Materials, sondern auch neuer Meßgeräte und
Uhren zur Verfügung steht. Die Einteilung läßt sich auf eine Gerade
oder auf einen Kreis abtragen, je nachdem, ob ein lineares oder ein zyklisches
System angenommen wird. Eine Verbindung von beiden gibt die Spirale, in der die
Entwicklung sich sowohl fortbewegt als auch wiederkehrt, wenngleich auf verschiedenen
Ebenen. Es scheint, daß zyklische Systeme dem Geist gemäßer sind.
Wir bauen auch die Uhren rund, obwohl kein logischer Zwang dazu besteht. Auch
Katastrophen werden als wiederkehrend angenommen, so Fluten und Verwüstung,
Feuer und Eiszeiten. Das periodische Wachsen und Schwinden der weißen Kappen
hat etwas Pulsierendes. Man hat den Eindruck, daß es noch einer kleinen
Änderung bedürfte, und ein indisches Philosophem würde konzipiert.
(Ernst Jünger, An der Zeitmauer, 1959, in: Sämtliche Werke, 2.
Abteilung, Band 8, S. 451 ).
| Der
klassische Darwinismus zählt zu den linearen Systemen, doch dringen zyklische
Vorstellungen in ihn ein. Die Darstellung der dürren Stammbäume in den
Lehrbüchern beginnt sich zu belauben, nimmt Busch- und Kugelformen an. Das
»biogenetische Grundgesetz« ist als Beleg des linear aufsteigenden
Fortschreitens gedacht. Es läßt sich ebensogut als Wiederholung und
Wiedervollzug des Schöpfungsgedankens im Einzelnen auffassen und als Dienst,
den die gesamte Natur, ja das Universum selbst, an seiner Bildung zu leisten hat.
Das große Theater kreist um ihn herum. Mit jedem Menschen wird die Welt
neu konzipiert. In der Entwicklung der Tierstämme herrscht über dem
lückenlosen Fortfließen des Bios die Wiederkehr von Bildungselementen,
die von der Verwandtschaft unabhängig sind: der ideale Eingriff formender
Prinzipien. Jeder der großen Stämme bildet in sich fliegende, schwimmende,
landbewohnende Wesen aus, Parasiten und Nachahmer, Raubtiere und Pflanzenfresser,
und es ist erstaunlich, welche Ähnlichkeit von Form und Wesen bei größter
Fremdheit der Blutlinien auftreten kann. Ein Saurier lebt als Vogel, eine Eule
nach Art des Murmeltiers. Wenn man »den Fisch« nicht mehr als eine
Art Stafettenläufer im anatomischen System, sondern als Lebensform und -schicksal
auffaßt, kann man sagen, daß es Würmer, Schlangen, Saurier, Vögel,
Säugetiere und auch Menschen gibt, die Fische sind. Das setzt eine geringfügige
Verschiebung der Optik voraus, die eintreten könnte, wenn der Nominalismusstreit
in eine neue Instanz getrieben würde, worauf Anzeichen hinweisen. Es gibt
viele mögliche Natursysteme neben, außer und über dem unseren.
(Ernst Jünger, An der Zeitmauer, 1959, in: Sämtliche Werke, 2.
Abteilung, Band 8, S. 452 ).
| Eine
Ordnung der Menschheitsgeschichte unter Richtpunkten, die außerhalb der
Kultur- und Völkergeschichte liegen, also etwa den astrologischen ähneln
würden, scheint heute besonders schwierig, auch abgesehen von dem großen
Anfall an Tatsachen. Dieser besteht nicht nur darin, daß sich, vor allem
durch die Ausbildung der Archäologie, unsere Kenntnis der Frühgeschichte
erweitert hat und noch fortwährend ausdehnt, so daß nicht nur neues
Licht auf die uns bekannten Kulturen fällt, sondern auch ganz unbekannte
auftauchen. Dazu kommt der erstaunliche Einblick in die Vorgeschichte, der nicht
nur ein neues Feld, sondern eine neue Dimension erschließt. Je mehr Tatsachen
anfallen, desto entschiedener muß der Geist auf seinem Herrschaftsanspruch,
auf Ordnung und Benennung, bestehen. Vielleicht ist bereits der Andrang von Tatsachen
ein Symptom der Schwächung, ein hellenistischer Zug. Der Geist wird zum Museumsdirektor,
zum Kustos unkontrollierbarer Sammlungen. Bereits aus diesem Grunde ist Spenglers
System mit seiner Einteilung in acht Kulturen dem Toynbees vorzuziehen, das sich
auf deren einundzwanzig stützt. Auch diese Zahl könnte durch archäologische
Ergebnisse und feinere Einteilung vermehrt werden. Es bleibt aber richtig, daß
der Geist der Forschung die Aufträge erteilt, nicht umgekehrt. Tatsachen
schaffen Belege, nicht Wahrheiten. Wo geforscht wird, wurde das Feld bereits durch
geistige Vetos und Placets abgesteckt. Was gefunden wird, ist daher nicht zufällig.
(Ernst Jünger, An der Zeitmauer, 1959, in: Sämtliche Werke, 2.
Abteilung, Band 8, S. 453 ).
| Medizinisch
gesprochen, kann die Deutung zwar Prognose und Diagnose, aber sie kann kein Rezept
geben. Es fragt sich ..., was überhaupt von der Deutung erwartet werden darf.
Sie mag entbehrlich scheinen, wenn sie nichts ändern oder bessern kann, bedenklich
sogar, indem sie unabänderliches anleuchtet. Das führt dann zu der Frage,
warum ein so starkes Bedürfnis nach Deutung besteht. Wie jedes Bedürfnis,
ist auch dieses ein Ausdruck der Unzufriedenheit. Es entspringt der Vermutung,
daß ein Ergänzendes hinzutreten müßte, damit das Spiel seine
Bedeutung erhält. In diesem Sinn ist der Deutende der Hinzutretende, der
zwar nichts ändert, aber Sicherheit verleiht. Je mehr der Umsatz, der Umtrieb
zunimmt, je mehr das Leben großstädtisch, technisch-abstrakt wird,
desto stärker muß dies Anliegen hervortreten. Das wird besonders dann
der Fall sein, wenn es zu Krisen oder gar zu Katastrophen kommt, angesichts deren
der technische Optimismus bedroht wird oder zusammenbricht. Dann fühlt der
Mensch sich einer Deutung bedürftig, eines Hinweises auf Mächte, die
außerhalb der Zirkulation liegen. (Ernst Jünger, An der Zeitmauer,
1959 ).
|
Endzeit-Idee und
Geschichtslosigkeit nach dem Jahr 2000 verknüpfte ... Ernst Jünger 1932.
Seine letzte Prognose auf das 21. Jahrhundert gab er 1993. Er glaubte, daß
sich der bereits zu beobachtende Ausstieg des Menschen aus der Geschichte nach
der Jahrtausendwende fortsetzen werde. Seit 200 Jahren befänden wir uns in
einer Weltrevolution, die uns in gewisser Weise schon jetzt aus der Geschichte
verdrängt habe. Er sprach von apokalyptischen Visionen am Ende des Jahrtausends,
indem er den Untergang der »Titanic« 1912 als prophetisches Zeichen
wertete. Eine allgemeine »Fellachisierung« greife um sich: wenn auch
auf unterschiedlichem Niveau, so doch im Einvernehmen darüber, daß
ein historisches Bewußtsein entbehrlich wird: »Man lebt für den
Tag.« Jünger prophezeite den Weltstaat, nicht jedoch den Weltfrieden.
Er rechnete mit einer Zunahme des Terrorismus, dessen Bekämpfung keine geschichtliche
Dignität besitze. (Alexander Demandt).So
ist zu hoffen, daß das alte Mantra: »Erkenne Dich selbst« hier
(im Wiederaufleben der Vorgeschichte) eine neue Werkstatt und Meisterschule finden
wird. (Ernst Jünger, An der Zeitmauer, 1959, in: Gesammelte
Werke, S. 495 ).
|
Jünger hat es nicht zu einem philosophischen
System gebracht. Seine Schriften bestehen in der Mehrzahl aus Essays, Notizen,
Tagebüchern, selten wird mal ein Gedanke länger durchgehalten. Die Neigung
zur kleinen Form ist jedoch kein Argument gegen Jünger, weil wir wissen,
daß Nietzsche ( )
und nach ihm auch Dávila ( )
keine andere Möglichkeit mehr gesehen haben, den Gedanken im Strom der Zeit
und der Beliebigkeit festzuhalten. Es spricht für Jünger, daß
er sich bis ins hohe Alter immer wieder der Anstrengung unterworfen hat, einem
Gedanken methodisch nachzugehen. Das Werk Jüngers bietet auch deshalb viel,
weil in ihm eine Entwicklung stattfindet, die es glaubwürdig und nachvollziehbar
macht. Gerhard Nebel ( ),
der sich vielleicht am konsequentesten an die philosophische Auslegung Jüngers
machte, hat seine Jünger-Lektüre als »Grenzniederlegung«
bezeichnet, die ihm die Augen für die Wirklichkeit geöffnet und aus
der Realität befreit habe. Darin liegt vielleicht der bleibende Rang Jüngers.
Er ist philosophisch sicherlich nicht der bedeutendste Geist des 20. Jahrhunderts.
Aber er vermag es, mit seiner am Konkreten geschulten Art der Darstellung dem
noch nicht festgelegten Sucher eine Richtung zu geben. Mit der Lektüre Jüngers,
den Essays und Kriegstagebüchern, war bei mir der erste und entscheidende
Schritt in die Welt des Geistes getan, ohne den die weiteren nicht hätten
folgen können. (Erik Lehnert, Über Jünger zur Philosophie,
in: Sezession,
Februar 2008, S. 39 ).Wo
der Liberalismus seine äußersten Grenzen erreicht, schließt er
den Mördern die Tür auf. Das ist Gesetz! (Ernst Jünger,
1960er Jahre). |
Jüngers Werk steht exemplarisch
für die denkerische Durchdringung jener epochalen Erfahrung des Tragischen,
die den Materialschlachten des Ersten Weltkrieges abgerungen war und Gestalt angenommen
hatte im Sozialismus des Schützengrabens, um sich dann in den Konflikt jener
feindlichen Brüder aufzuspalten, die sich schließlich im Weltbürgerkrieg
der Ideologien zermalmen sollten: Kommunismus und Faschismus. Im Gegensatz zu
Brecht ( )
attestierte Jünger beiden Bewegungen die historische Notwendigkeit gleichrangiger
Erscheinungsformen des mobilisierten Arbeiters. (Siegfried Gerlich, Ernst
Jünger, in: Sezession,
Februar 2008, S. 41 ).Wie
hat der deutsche Soldat zweimal hintereinander unter einer unfähigen politischen
Führung gegen die ganze wider ihn verbündete Welt sich halten können?
Das ist die einzige Frage, die man meiner Ansicht nach in 100 Jahren stellen wird.
(Ernst Jünger, im Le-Monde-Interview am 22.02.1973). |
Alles,
was sie heute von sich weisen, wird eines schönen Tages zur Hintertüre
wieder hereinkommen. (Ernst Jünger, im Le-Monde- Interview
am 22.02.1973). |
Ich
bin ja nie mit Staatsformen zurechtgekommen, sondern schon als Unterprimaner in
die Fremdenlegion ausgerissen, offenbar, weil mir die bürgerlichen Umstände
nicht zusagten, und das ist eben mein Elend bis heute. Aber im Zusammenhang mit
dem Goethe-Preis habe ich zahllose Briefe bekommen, und da heißt es immer
weider, mit dem Preis gerade an mich deute sich eine »Tendenzwende«
an. Daher wohl auch die Aufregung. Ich wünsche aber gar keine Tendenzwende.
(Ernst Jünger, im Spiegel-Interview aus Anlaß der Verleihung
des Goethe-Preises, 1982). |
Was
darf man denn heute? Die Sachen, die man darf, sind doch, sagen wir mal, dem Barock
gegenüber, gewaltig reduziert. .... Zum Beispiel dürfen Sie heute nicht
mehr sagen: »Ich bin ein Faschist.« Dann sind Sie schon gleich der
Unterste. (Ernst Jünger, im Spiegel-Interview aus
Anlaß der Verleihung des Goethe-Preises, 1982). |
Ernst
Jünger hat sich schon sehr früh nach Abenteuern gesehnt, ist 18jährig
in die Fremdenlegion geradezu geflüchtet und hat den Ausbruch des Ersten
Weltkrieges als Erlösung empfunden. ( ).
Er hat aber auch gezeigt, daß Abenteuer nicht unbedingt eine Sache der Tat
sein müssen. .... In Zeiten, in denen das Abenteuer durch Agenturen und Versicherungen
vermittelt und gehegt wird, muß man an den Punkt gelangen, sein eigenes
Leben als Abenteuer zu begreifen. Darin liegt vielleicht eine kaum zu überbietende
Tragik, aber wo gibt es eine Kontinuität, die zu durchbrechen sich lohnen
würde? Sollen wir unsere »versagenden Nerven« und damit unser
Temperament durch »Rauschmittel« bändigen? Heute lautet das Abenteuer:
Bindung, Tradition, Kontinuität. (Erik Lehnert, Abenteuer, in:
Sezession, Februar
2008, S. 60 ).Zur
Zeit beschäftigt mich ein neues Abenteuer, nämlich das des Uralters.
(Ernst Jünger, Siebzig verweht, 1997 ). |
Ernst Jünger hat sowohl das 20. Jahrhundert als auch bereits das
21. Jahrhundert beschrieben, obwohl das 21. Jahrhundert für einen Menschen,
dessen Leben von 1895 bis 1998 weilte, zur Zukunft gehörte. Trotzdem hat
Ernst Jünger auch hier wieder das Fast-Unmögliche geschafft und die
Zukunft prophezeit.
Friedrich Georg Jünger ( )
erregte Aufsehen durch sein noch vor dem 2. Weltkrieg vollendetes, jedoch erst
1946 veröffentlichtes Buch Die Perfektion der Technik ( ),
in dem er den Raubbau schildert, den seiner Ansicht nach die Technik mit der Erde
und den seelischen Kräften des Menschen treibt. Durch dieses Buch wurde das
Apokalyptische der technischen Entwicklung zur Diskussion gestellt.Die
Technik insgesamt und der von ihr entwickelte Universalarbeiterplan, der volkommene
Technizität erstrebt, dieser Arbeitsplan, der mit einer Universalmaschinerie
verbunden ist, untersteht den Gesetzen der Wärmelehre und den von ihr beschriebenen
Verlusten nicht weniger als jede beliebige Maschine. (Friedrich Georg
Jünger, Die Perfektion der Technik, 1946, S. 354 ).
|
Manche glauben, aus der Entropie (   )
auf die Endlichkeit der Welt und dadurch auf die Existenz Gottes schließen
zu können. Deshalb folgte auf die Technikkritik von Friedrich
Georg Jünger bald eine Anti-Technikkritik, z.B. von Bense ( ):
Wir haben eine Welt hervorgebracht, und eine außerordentlich weit
zurückreichende Tradition bezeugt die Herkunft dieser Welt aus den ältesten
Bemühungen unserer Intelligenz. Aber heute sind wir nicht in der Lage, diese
Welt theoretisch, geistig, intellektuell, rational zu beherrschen. Ihre Theorie
fehlt, und damit fehlt die Klarheit des technischen Ethos, das heißt, die
Möglichkeit, seinsgerechte ethische Urteile innerhalb dieser Welt zu fällen.
.... Wir perfektionieren vielleicht noch diese Welt, aber wir sind außerstande,
den Menschen dieser Welt zu perfektionieren. Das ist die bedrückende Situation
unserer technischen Existenz. (Max Bense, Technische Existenz, 1949,
S. 202 ).
Kann man überhaupt die Frage, ob der Mensch sich an die Technik anpassen
soll (wie es z.B. der obige Text von Max Bense indirekt fordert) oder die Technik
an ein ursprünglicheres Menschenmaß zurückgebunden
werden muß (wie es z.B. der obige Text von Friedrich Georg Jünger nahelegt ),
beantworten, ohne die Technologie oder Techno-Logie, ohne das Wesen
des Technik ( )
und das Wesen des Menschen ( )
zu kennen? Der Mensch richtet sich doch so oder so nach der Technik - es
ist also egal, ob er sich bewußt und ausdrücklich an sie anpassen will
oder sich bewußt und ausdrücklich ursprünglicher machen
will. Nichts geht ohne die Technik!Heidegger ( )
hatte schon das 1932 veröffentlichte Buch Der Arbeiter ( )
von Ernst Jünger sehr stark beeindruckt ( )
- seitdem wurden Heideggers geschichtsphilosophischen Vorstellungen von Jüngers
Ideen stark mitbestimmt -, doch in dem 1946 veröffentlichten Buch Die
Perfektion der Technik ( )
von Friedrich Georg Jünger erkannte Heidegger Positionen, die seinen entsprachen.
Die Einsicht Ernst Jüngers, daß der Mensch die Technik nicht steuern
kann, scheint hierbei der Klebstoff für diese Dreier-Beziehung
gewesen zu sein. Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte einen weiteren Grund,
weil angeblich - d.h. laut Siegerjustiz ( )
- Heidegger und die Brüder Jünger dem Nationalsozialismus zu nahe gestanden
hätten. Freie Heroengemeinschaft nennt Karlheinz
Weißmann ( )
die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg sich intensiverende Beziehung zwischen
Heidegger und den Jünger-Brüdern.Selbst einem oberflächlichen
Leser Martin Heideggers und der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger
fallen gravierende Veränderungen in deren Textaussagen zwischen der ersten
und der zweiten Nachkriegszeit auf. Sie sind nicht mit »Reifung«,
dem Übergang von einem Früh- zu einem Spätwerk oder individuellen
Einsichten ausreichend zu erklären, in ihnen spiegelte sich vielmehr die
Massivität bestimmter historischer und individueller Erfahrungen, die zur
Korrektur früherer Urteile zwang. (Karlheinz Weißmann, Freie
Heroengemeinschaft, in: Sezession,
Februar 2008, S. 44 ).In
der zweiten Hälfte der 1940er Jahre intensivierten sich die Beziehungen der
»freien Heroengemeinschaft« (Ernst Jünger), und in diese letzte
Blütezeit des deutschen Zeitschriftenwesens fallen sogar Pläne zur Gründung
einer gemeinsamen Publikation, die von Ernst Klett verlegerisch gestützt
werden sollte. Zuletzt war man aber zu einzelgängerisch, auch zu empfindlich
in bestimmten Punkten und leicht verstimmt über das vermeintliche oder tatsächliche
Mißverstehen hier und dort. (Ebd., Februar 2008, S. 45 ).Reine
Noblesse steckt hinter der Haltung der Brüder Jünger, die weder
die Besatzungsmächte noch die »45er« als berufene Instanzen betrachteten,
vor denen man sich zu rechtfertigen hatte; ein halbes Jahr nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges schrieb Friedrich Georg Jünger in einem Brief ahnungsvoll: »Ich
weiß recht gut, was gewesen ist, und ich ahne auch, was heraufkommt.«
(Karlheinz Weißmann, Freie Heroengemeinschaft, in: Sezession,
Februar 2008, S. 45 ). |