Zitate aus dem Vortrag in Essen (14.02.1922):
Man muß für die weltgeschichtliche Tatsache des Russentums
überhaupt, seine Lage und Entwicklung zwischen den großen,
alten Kulturen - dem Abendland, China, Indien und dem Islam - und im Laufe
der Jahrhunderte, sein Volkstum, seine Seele verstehen. Politisches und
wirtschaftliches Leben ist Leben überhaupt und ist noch in den scheinbar
nüchternsten Fragen des Tages Ausdruck, Form, Teil dieses Lebens.
(Oswald Spengler, Das Doppelantlitz Rußlands und
die deutschen Ostprobleme, 1922, in: Politische Schriften,
S. 109 ).
Man kann diese Dinge mit »russischen« Augen zu betrachten
versuchen, wie es unsere kommunistischen und demokratischen Schriftsteller
und Parteileute tun, das heißt von sozialen Ideologien des Abendlandes
aus. Das ist aber nicht russisch, auch wenn es heute noch so viele Stadtmenschen
in Rußland gibt, die es selbst dafür halten. Oder mit westeuropäischen,
indem man das russische Volk wie jedes andere Volk »Europas«
beurteilt. Aber das ist ebenso falsch. In Wirklichkeit ist der echte Russe
uns seelisch sehr fremd, so fremd wie Inder und Chinese, bei dem man ebenfalls
niemals auf den Grund der Seele schaut. »Rußland und Europa«,
wie die Russen sehr richtig unterscheiden, das »Mütterchen«
Rußland gegen das »Vaterland« westlicher Völker,
sind zwei Welten, die einander sehr fernstehen. Der Russe begreift diese
Fremdheit. Er kommt, wenn er nicht gemischten Blutes ist, nie über
eine scheue Abneigung oder naive Bewunderung gegenüber Deutschen,
Franzosen und Engländern hinaus. Der Tartare und Türke ist ihm
in seinen Lebensäußerungen verständlicher und näher.
Wir lassen uns durch den geographischen Begriff »Europa« verführen,
der erst aus dem gedruckten Kartenbild seit 1500 entstanden ist, aber
das wirkliche Europa hört an der Weichsel auf. ( ).
Die Tätigkeit der deutschen Ritterorden im baltischen Gebiet war
Kolonisation in einem fremden Erdteil und ist von ihren Teilnehmern nie
anders aufgefaßt worden. (Oswald Spengler, Das
Doppelantlitz Rußlands und die deutschen Ostprobleme,
1922, in: Politische Schriften, S. 109-110 ).
Wollen wir uns dieses fremdartige Volkstum verständlich machen,
so müssen wir auf unsere eigene Vergangenheit zurückblicken.
Die russische Geschichte von 900 bis 1900 entspricht nicht der abendländischen
in diesen Jahrhunderten, sondern derjenigen von der Römerzeit bis
auf Karl den Großen nd die Stauferkaiser. Unsre Heldendichtung von
Arminius bis zum Hildebrand-, Roland- und Nibelungenlied wiederholt sich
in den russischen Bylinen, Volksgesängen, die mit den Recken am Hofe
des Fürsten Wladimir ( 1015), mit Igors Heerfahrt und Ilja
von Murom beginnen und über Iwan den Schrecklichen, Peter den Großen
und den Brand von Moskau bis in die Gegenwart fruchtbar und lebendig geblieben
sind.1 Aber es spricht ein sehr verschiedenes Urgefühl aus diesen
beiden Welten ursprünglichster Dichtung. Das russische Leben hat
einen anderen Sinn. Die unendliche Ebene schuf ein weicheres Volkstum,
demütig und schwermütig, auch seelisch in der flachen Weite
aufgehend, ohne eigentlich persönlichen Willen, zur Unterwerfung
geneigt. (Oswald Spengler, Das Doppelantlitz
Rußlands und die deutschen Ostprobleme, 1922, in:
Politische Schriften, S. 110 ).
Das
russische Leben hat einen anderen Sinn. Die unendliche Ebene schuf ein weicheres
Volkstum, demütig und schwermütig, auch seelisch in der flachen Weite
aufgehend, ohne eigentlich persönlichen Willen, zur Unterwerfung geneigt.
(Oswald Spengler, Das Doppelantlitz Rußlands und die deutschen
Ostprobleme, 1922, in: Politische Schriften, S. 110 ).
Noch tiefer aber liegt ein dunkler mystischer Zug nach Byzanz,
nach Jerusalem, der sich in Formen des orthodoxen Christentums und zahlreicher
Sekten kleidet und so eine Macht auch innerhalb der großen Politik
gewesen ist, in welchem aber eine ungeborene neue Religion eines noch
unmündigen Volkstums schlummert. Das alles hat nichts vom Westen,
denn auch Polen und Balkanslawen sind »Asiaten«. Und auch
wirtschaftlich lebte dies Volk in eigenen, gänzlich »uneuropäischen«
Formen. (Oswald Spengler, Das Doppelantlitz Rußlands und
die deutschen Ostprobleme, 1922, in: Politische Schriften,
S. 110 ).
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