Wozu gibt es Sexualität? Das Königsproblem der
Evolutionsbiologie (2012) **
Die Nachteile der Sexualität
Sexualität ist
komplex, ineffizient und teuer.
Die sexuelle Fortpflanzung ist erheblich komplexer als die asexuelle Reproduktion,
und zwar unter anderem durch die folgenden Umstände, die zwar nicht
für alle sich sexuell fortpflanzenden Lebewesen zutreffen, jedoch
für die meisten höheren Tierarten:
| Frühzeitige
Aufteilung der Zellen in Geschlechtszellen (Keimzellen, Gameten) und Körperzellen. | | Aufteilung
der Gameten in zwei unterschiedliche Typen, die sich bereits von der Größe
her ganz erheblich unterscheiden (Anisogamie). Bei allen höheren tierischen
Lebewesen einschließlich des Menschen werden die Gameten der Weibchen Eizellen
(Eier) genannt, die der Männchen Spermatozoen oder SpermienDie
Anisogamie (Eier sind teuer, Spermien dagegen billig) ist die Basis für die
unterschiedlichen Elterninvestments der beiden Geschlechter und damit letztlich
auch für die sexuelle Selektion. | | Bei
sogenannten diploiden Arten (zu denen auch der Mensch zählt) enthalten die
Gameten jeweils nur einen Satz Chromosomen, das heißt, sie sind haploid,
während die Körperzellen jeweils zwei Chromosomensätze beinhalten,
die folglich diploid sind. Bei solchen Arten kommt es während der Produktion
der Gameten zum komplexen Vorgang der Reduktionsteilung (Meiose), weshalb die
Gameten dann auch Meiogameten genannt werden. | | Bei
der Befruchtung kommt es zu einer komplexen Vereinigung von zwei haploiden Gameten
unterschiedlicher Paarungstypen zu einer diploiden Zygote, aus der sich dann durch
weitere Zellteilungen (Mitose) und die nachfolgende Spezialisierung der aus ihr
hervorgegangenen diploiden Zellen zunächst ein Embryo und später das
ausgewachsene Individuum entwickeln. |
Daneben besteht in sich sexuell reproduzierenden Populationen noch ein
logistisches Problem, denn die verschiedenen Individuen müssen -
bevor sie sich fortpflanzen können - zunächst einen geeigneten
Sexualpartner finden. Das kann sich aber insbesondere bei vergleichsweise
kurzlebigen Spezies oder geringer Populationsdichte als ausgesprochen
schwierig erweisen. Die ausschließlich asexuelle Reproduktion dominiert
deshalb vor allem bei Spezies, die die Evolution erst vor noch nicht allzu
langer Zeit hervorgebracht hat (das ist genau
umgekehrt [!], denn die sexuelle Reproduktion ist jünger als
die asexuelle; HB). (Ebd., S. 21).
Und schließlich
ist getrenntgeschlechtliche Sexualität teuer, da die Männchen keinen
eigenen Nachwuchs zur Welt bringen können, mit den Weibchen jedoch um die
Ressourcen des Lebensraums konkurrieren. (Ebd., S. 22).Sexualität
erzeugt eine geringere Zahl an Nachkommen.
Würden in einer getrenntgeschlechtlichen Population weibliche, sich
asexuell fortpflanzende Mutanten zur Welt kommen, die lauter Nachkommen
des gleichen Typs hätten (weiblich; fähig zur asexuellen Fortpflanzung;
Nachkommen ebenfalls weiblich), dann könnten sich diese sukzessive
in der Population durchsetzen, da sie doppelt so viele fortpflanzungsfähige
Nachkommen produzieren könnten wie die restlichen getrenntgeschlechtlichen
Individuen. Das gleiche würde für Hermaphroditen-Mutanten gelten.
Die
getrenntgeschlechtlichen Individuen der Population benötigten zur eigenen
Bestandserhaltung mindestens eine Fertilitätsrate von 2,0 (mindestens zwei
Nachkommen pro Weibchen), die Mutanten (asexuell, Hermaphroditen) dagegen nur
eine von 1,0 (mindestens ein Nachkomme pro Individuum).
Getrenntgeschlechtliche Populationen sind folglich - gemessen an der Zahl
ihrer potenziellen Nachkommen - reproduktiv weniger leistungsfähig
als Hermaphroditen oder sich asexuell vermehrende Populationen.
Allerdings wird bei
einer solchen Aussage implizit angenommen, daß männliche Individuen
nur ihre Gene zum Nachwuchs beisteuern. Das ist zwar bei vielen Arten tatsächlich
der Fall, bei anderen (insbesondere beim Menschen) jedoch nicht. Der reproduktive
Nachteil getrenntgeschlechtlicher Populationen gegenüber Hermaphroditen oder
sich asexuell fortpflanzenden Populationen könnte sich deshalb in der Praxis
auch als geringer erweisen, als es gemäß der obigen Rechnung den Anschein
hat. (Ebd., S. 22).Sexualität begünstigt egoistische
Gen-Kombinationen.
Da bei der genetischen Rekombination nicht alle Gene weitergegeben werden,
ist ein Aufkommen von Mutanten vorstellbar, die sich auf die Verbreitung
ihrer eigenen Gene auf Kosten alternativer Allele spezialisiert haben
(zum Beispiel durch Beeinflussung der Meiose). Solche Gen-Kombinationen
werden »egoistisch« genannt. (Ebd., S. 23).
Rekombination
kann günstige Gen-Kombinationen zerstören.Bei
der genetischen Rekombination werden die Gene beider Elternteile durchmischt,
wodurch besonders günstige Gen-Kombinationen auch wieder zerstört werden
können. Etwas Vergleichbares ist bei der asexuellen Fortpflanzung nicht möglich,
denn dort kann es höchstens durch Mutationen zu einer »Verschlechterung«
des Genoms kommen. (Ebd., S. 23).
4.30.2) Die Vorteile der Sexualität
Rekombination
erzeugt eine enorme genetische Vielfalt.Sexualität
erzeugt aufgrund der genetischen Rekombination eine ungeheure genetische Vielfalt,
die ihrerseits das »Grundmaterial« fur die natürliche Auslese
liefert. Es sind die genetischen Unterschiede, die die Evolution in Gang setzen.
Bei genetischer Gleichförmigkeit aller Individuen einer Art wäre Evolution
durch natürliche Auslese nicht möglich. Daneben bringt die Durchmischung
der Gene eine höhere Flexibilität mit sich, wodurch die Anpassung an
neue Umweltbedingungen, Krankheitserreger und Parasiten erleichtert wird.In
diploiden Individuen (mit doppelten Chromosomensätzen) kann das zweite Allel
als Backup dienen, falls einmal ein Allel verlorengegangen ist (beziehungsweise
zerstört wurde). Aus den gleichen Gründen können diploide Spezies
höhere Mutationsraten verkraften, weswegen sie sich besonders schnell an
verändernde Rahmenbedingungen anpassen können. Und schließlich
codieren verschiedene Allele meist für leicht unterschiedliche Merkmale,
wodurch sich die Flexibilität des Phänotyps gegenüber unterschiedlichen
Umgebungsbedingungen erhöhen kann (Heterozygotenvorteil).Die
Ausführungen im Abschnitt Sexualität
machten aber bereits deutlich, daß die genetische Rekombination keineswegs
erklären kann, warum sich die Getrenntgeschlechtlichkeit bei höheren
Lebewesen gegenüber dem Hermaphroditismus durchgesetzt hat. (Ebd.,
S. 25).Sexualität kann ungünstige Mutationen entfernen.Die
Mindestzahl der ungünstigen Mutationen innerhalb einer Population kann bei
der asexuellen Reproduktion nicht mehr reduziert werden, höchstens durch
Rückmutationen, die aber extrem unwahrscheinlich und selten sind. Bei der
sexuellen Fortpflanzung könnten dagegen nachteilige Mutationen wieder durch
genetische Rekombinationen verloren gehen. Dies dürfte insbesondere dann
der Fall sein, wenn die Weibchen aus der Menge der Männchen diejenigen bevorzugen,
die besonders gut an den Lebensraum angepaßt sind und folglich nur über
sehr wenige nachteilige Mutationen verfügen.Der
genannte Vorteil dürfte sich besonders stark in getrenntgeschlechtlichen
Populationen (und weniger stark bei Hermaphroditen) bemerkbar machen, allerdings
auch nur dann, wenn die Männchen im Durchschnitt den deutlich geringeren
Anteil an den Elterninvestments tragen, so daß es zu einer verstärkten
Auslese unter den männlichen Individuen kommen kann.Das
gerade erzielte Ergebnis steht in einem direkten Bezug zum nächsten Punkt
»Sexualität kann günstige Mutationen beschleunigt verbreiten«
(**):
Die Sexualität ist sowohl in der Lage, ungünstige Mutationen aus dem
Gen-Pool einer Population effizient zu entfernen, als auch günstige Mutationen
beschleunigt zu verbreiten. Allerdings setzt dies voraus, daß in der Population
ein nennenswerter Unterschied in der potenziellen Fruchtbarkeit von männlich
versus weiblich besteht. (Ebd., S. 26).Sexualität
kann günstige Mutationen beschleunigt verbreiten.:
Die viel höhere potentielle Fruchtbarkeit des männlichen Geschlechts
(nur bei durchschnittlich signifikant verminderten Elterninvestments) in Kombination
mit dem weiblichen Partnerwahlverhalten (im Tierreich meist anhand sogenannter
Fitneßindikatoren) kann zu einer deutlich beschleunigten Verbreitung von
Erfolgsmerkmalen innerhalb einer Population führen. Viele männliche
Individuen werden dann nämlich keine oder nur sehr wenige Nachkommen haben,
andere dafür vergleichsweise viele. Getrenntgeschlechtliche Populationen
sind folglich Hermaphroditen gegenüber von der Fortpflanzung her zwar quantitativ
unterlegen, doch qualitativ überlegen: dies ist einer ihrer entscheidenden
Vorteile.In diesem Zusammenhang ist zusätzlich
zu beachten, daß Männer häufiger von genetischen Mutationen betroffen
sind als Frauen, was möglicherweise auf die männliche XY-Chromosomen-Asymmetrie
zurückzuführen ist. (Bei den Ameisen etwa sind die
Männchen haploid, die Weibchen dagegen diploid. Anch dieser Umstand sorgt
für eine schnellere Ausprägung genetischer Mutationen auf der männlichen
Seite.). Beispielsweise sind sechs von sieben Inselbegabten Männer.
Der bekannte Inselbegabte Kim Peek verfügt zwar über außergewöhnliche
geistige Fähigkeiten, die sich auf ein gegenüber nichtautistischen Menschen
völlig anders strukturiertes Gehirn zurückführen lassen, gleichzeitig
ist er aber auch geistig behindert. Die meisten Mutationen dieser Art wirken sich
nämlich in der Summe eher ungünstig aus. Dennoch kann der Natur auf
diese Weise gelegentlich ein »Volltreffer« gelingen. So behauptet
der Hirnforscher Michael FitzgeraId etwa, selbst bei Genies wie Einstein, Newton,
Beethoven oder Mozart habe eine mehr oder weniger starke Ausprägung von Autismus
vorgelegen. (Die meisten Sozialwissenschaftler und auch einige Biologen sind der
Auffassung, der Mensch habe die genetische Evolution mehr oder weniger aufgehoben.
Auch die sogenannte Leere-Blatt-Hypothese
[**] geht von dieser
Annahme aus. Inselbegabte wie Kim Peek oder Matt Savage demonstrieren aber in
aller Deutlichkeit, daß dies nicht der Fall sein kann. Offenbar besitzt
das menschliche Gehirn ein für uns geradezu unvorstellbares genetisches Entwicklungspotenzial.).Auch
bei der Intelligenz scheint eine ähnlich asymmetrische GeschIechterverteilung
wie bei Inselbegabten vorzuliegen: die Varianz der Intelligenzverteilung bei Männern
ist deutlich höher als bei Frauen. Beispielsweise ergab ein Test unter 2.500
Geschwistern, daß sich unter den »klügsten« und »dümmsten«
zwei Prozent einer Bevölkerung doppelt so viele Männer wie Frauen befinden.Beispiel:
| | Stellen
wir uns nun in einem Gedankenexperiment vor, ein Mensch habe durch eine genetische
Mutation die Gabe erhalten, durch zehnmimltiges Handauflegen Krebs zu heilen.Wir
können drei Fälle unterscheiden: | Die
Person ist eine Frau.Vermutlich
würde die Frau ihre Bestimmung darin sehen, möglichst viele Krebskranke
zu heilen. Sie würde zwar viel Geld verdienen, aber kaum Zeitfür eigene
Kinder haben. Gegebenenfalls würde sie kinderlos bleiben. In der nächsten
Generation wäre die genetische Mutation wahrscheinlich Der
Mann würde ebenfalls seine Bestimmung darin sehen, möglichst viele Krebskranke
zu heilen. Er würde viel Geld verdienen, eine Ehefrau, viele Freundinnen
und viele Kinder haben. In der nächsten Generation gäbe es wahrscheinlich
bereits fünf oder mehr Menschen mit der gleichen genetischen Mutation. | | Die
Person ist ein Mann in einer Gesellschaft mit geschlechtsneutralen Lebensentwürfen.Der
Mann würde gleichfalls seine Bestimmung darin sehen, möglichst viele
Krebskranke zu heilen. Er würde zwar viel Geld verdienen, aber kaum Zeit
für eigene Kinder haben, da er für jedes Kind die Hälfte der Familienarbeit
leisten müßte. Gegebenenfalls würde er kinderlos bleiben. In der
nächsten Generation wäre die genetische Mutation wahrscheinlich bereits
wieder verschwunden. |
| Während
die Natur also dem weiblichen Geschlecht den Hauptteil der Fortpflanzungsarbeit
zugewiesen hat, kommt es dem männlichen Geschlecht zu, die Evolution zu beschleunigen
und für eine möglichst rasche Anpassung an den Lebensraum zu sorgen,
das heißt, die Evolutionsfähigkeit zu verbessern. (Vgl. Christoph von
der Malsburg, Ist die Evolution blind?, 1987, a.a.O.). Es ist folglich
von Vorteil, wenn das männliche Geschlecht stärker von Mutationen betroffen
ist, denn dann können ungünstige Mutationen leichter »eliminiert«
und günstige gefordert werden, und zwar alles auf ganz natürliche Weise.
Vermutlich ist ein Großteil des menschlichen Intellekts auf genau diese
Weise entstanden.Leider verkennen selbst ausgewiesene
Experten mitunter die wahre Dynamik der Fortpflanzung in getrenntgeschlechtlichen
Populationen .... (Ebd., S. 26-28).Sexualität fördert
die Entfaltung von Reproduktionsinteressen.Die
unterschiedlichen elterlichen Aufwände für die beiden Geschlechter haben
noch eine andere Konsequenz, die im Rahmen der Systemischen Evolutionstheorie
eine wesentliche Rolle spielt: Je geringer der männliche Anteil an den elterlichen
Investments ist, desto stärker kann sich das männliche Reproduktionsinteresse
entfalten.Denn im Grunde könnte ja die folgende
Kritik an der Systemischen Evolutionstheorie geäußert werden: | Das
Kriterium natürliches Reproduktionsinteresse fordert zwar, daß die
Reproduktionsinteressen der Individuen nicht negativ mit dem Grad ihrer Anpassung
an den Lebensraum korrelieren, sie könnten dann aber theoretisch so stark
positiv korrelieren, daß mit zunehmender Anpassung an den Lebensraum durchschnittlich
mehr Nachkommen in die Welt gesetzt werden als anschließend versorgt werden
können. Die Reproduktionsinteressen würden zwar in einem solchen Falle
nicht negativ mit dem Grad der Anpassung der Individuen an den Lebensraum korrelieren,
trotzdem würde der Reproduktionserfolg der Individuen mit zunehmender Anpassung
sinken. Dies wäre dann eine Verletzung des Prinzips der natürlichen
Auslese, welches aber angeblich aus den Prinzipien der Systemischen Evolutionstheorie
ableitbar ist. | Zoologen weisen beispielsweise darauf
hin, daß sowohl zu geringe als auch zu hohe Reproduktionsinteressen (etwa
in Form zu kleiner beziehungsweise zu großer Gelegegrößen bei
Vögeln aus evolutionärer Sicht von Nachteil sind. Sie prognostizieren
aber, daß sich solche Interessenabweichungen innerhalb einer Population
- sofern keine systematische Ursache vorliegt - langfristig ausgleichen werden.Allerdings
haben solche Überlegungen für das männliche Geschlecht eine umso
geringere Bedeutung, je kleiner deren Anteil an den Elterninvestments ist, wodurch
eine umso größere Varianz beim männlichen Reproduktionserfolg
möglich wird. Unter solchen Verhältnissen dürfte das männliche
Reproduktionsinteresse allgemein sehr hoch sein, und weitere Abweichungen nach
oben werden - anders als beim weiblichen Geschlecht - kaum negative Konsequenzen
nach sich ziehen. Ist der männliche Anteil an den Elterninvestments beispielsweise
nahezu vernachlässigbar (die Männchen steuern lediglich ihre Gene zum
Nachwuchs bei), dann dürfte das männliche Reproduktionsinteresse praktisch
unlimitiert hoch sein, und die Männchen werden jede erdenkliche Gelegenheit
zur Fortpflanzung nutzen wollen, schließlich entstehen für sie dabei
keine zusätzlichen Lasten.Aus evolutionärer
Sicht ist die Höhe des männlichen Reproduktionsinteresses von größerer
Bedeutung als die des weiblichen (vgl. Peter Mersch, Die
Emanzipation - ein Irrtum!, 2007, S. 94ff. [**]).
In familien- und bevölkerungspolitischen Überlegungen konzentriert man
sich dagegen fast ausschließlich auf die weiblichen Reproduktionsinteressen,
was dem Gesamtkomplex »Fortpflanzung« aber nicht gerecht wird.Die
bisherigen Aufzählungen der Nachteile und Vorteile der Sexualität lassen
weitere Zweifel an der Stichhaltigkeit der Theorie der egoistischen Gene (vgl.
Richard Dawkins, Das egoiustische Gen, 1976) aufkommen.Denn
aus Sicht der egoistischen Gene stellt die sexuelle Fortpflanzung zunächst
einmal ein Risiko dar, da dabei nicht sicher ist, welcher Anteil des eigenen Erbmaterials
bei den Nachkommen zur Geltung kommen wird. Bei der asexuellen Fortpflanzung wird
das gesamte eigene Erbgut an die nächste Generation weitergeben, bei der
sexuellen Fortpflanzung dagegen nur teilweise. Biologen sprechen deshalb auch
von den »zweifachen Kosten der Sexualität« für die Weibchen.Ferner
könnten viele der eigenen Allele rezessiv im Vergleich zum Erbmaterial des
Fortpflanzungspartners sein. Auch könnte die Kombination mit den Genen des
Sexualpartners zu einer geringeren Anpassung an den Lebensraum führen und
sich in der Folge als ausgesprochen ungünstig erweisen. Möglicherweise
könnten sich die eigenen Nachkommen dann nicht einmal mehr fortpflanzen,
so daß mit ihnen das genetische Aus käme.Trotz
all dieser offenkundigen Nachteile aus genzentrischer Sicht hat sich die sexuelle
Fortpflanzung evolutionär durchgesetzt.Wie
wir gesehen haben, spielt das männliche Geschlecht - aufgrund dessen größerer
Varianz beim Fortpflanzungserfolg - für die Verbreitung von Genen eine bedeutendere
Rolle als das weibliche. Auch ist es bei vielen biologischen Arten einer höheren
Mutationsrate (Mutagenität) ausgesetzt.Bei
den meisten sozialen Insekten etwa sind die Männchen haploid, weswegen sich
genetische Mutationen bei ihnen unmittelbar im Phänotyp bemerkbar machen
werden. Vor der Paarung unterliegen die Männchen jedoch zunächst noch
einer gesonderten (sexuellen) Selektion. Bei den Treiberameisen beispielsweise
entscheiden die Arbeiterinnen, welches zugeflogene und dann entflügelte Männchen
zur Königin darf. Bei anderen Ameisenarten kämpfen flügellose Männchen
solange gegeneinander, bis nur noch eins übriggeblieben ist, während
die geflügelten Exemplare einem weiteren Wettbewerb ausgesetzt sind. Gegebenenfalls
konkuuieren die siegreichen geflügelten und ungeflügelten Individuen
am Ende um den Zugang zur Königin, wobei sie sich mit allerlei Tricks gegenseitig
zu überlisten versuchen (zum Beispiel bei der tropischen Ameise Cardiocondyla
obscurior). Es ist deshalb von Vorteil, wenn sich bei ihnen günstige Mutationen
sofort in Merkmalen ausprägen können, denn nur dann können sie
einen Einfluß auf die sexuelle Selektion nehmen. Ein Merkmal, welches erst
bei den Enkeln zur Geltung käme, würde in diesem Zusammenhang nichts
nützen.Offenbar geht es bei der Evolution
also nicht nur um die Verbreitung der eigenen Gene, sondern ganz entscheidend
auch um deren Verbesserung. Die Reproduktion besitzt stets sowohl quantitative
als auch qualitative Aspekte, wobei letztere speziell bei höheren Lebewesen
von vorrangiger Bedeutung zu sein scheinen.Wenn
- wie bei vielen Ameisenarten - alle Arbeiterinnen Schwestern sind und sich genetisch
zu 75 Prozent gleichen, dann stellen ihre Gene kein Alleinstellungsmerkmal mehr
dar. Auch - und das ist ganz wichtig - besitzen Ameisenweibchen keine fälschungssicheren
Fitneßindikatoren. Solche Merkmale entfalten sich erst in der Konkurrenz,
wie sie nur unter den Männchen besteht.Erst
durch die sexuelle Auslese unter den Männchen und der dadurch bedingten überproportionalen
Ausbreitung der Gene der erfolgreicheren männlichen Exemplare entsteht so
etwas wie eine beschleunigte Evolution beziehungsweise Anpassung an den Lebensraum,
und erst hierdurch kommt ein ganz wesentlicher Vorteil getrenntgeschlechtlicher
Populationen zur Geltung.Aus Sicht ihrer Gene
verfolgen die beiden Geschlechter dabei recht unterschiedliche Strategien: Männchen
wollen, daß sich ihre Gene durchsetzen, während die Weibchen vor allem
an einer Verbesserung beziehungsweise Optimierung ihres genetischen Materials
interessiert sind, andernfalls wäre die Parthenogenese (Jungfernzeugung)
für sie die bessere Wahl. Daß dies tatsächlich so ist, läßt
sich selbst am weiblichen Partnerwahlverhalten in modernen menschlichen Gesellschaften
erkennen.Egoistisch im Sinne ihrer Gene verhalten
sich folglich in erster Linie männliche Individuen. Man könnte die Theorie
der egoistischen Gene deshalb gewissermaßen auch als male-centric
bezeichnen. (Ebd., S. 28-30).Sexuelle Arbeitsteilung kann
den Reproduktionserfolg erhöhen.Lebewesen
geht es vor allem um den eigenen Selbsterhalt und die Fortpflanzung. Aus diesem
Grund gliedern Soziobiologen den Lebensaufwand eines Individuums in die beiden
Unterbereiche somatischer Aufwand und Reproduktionsaufwand, wobei
ersterer primär dazu dient, Reproduktionspotenzial zu akkumulieren und letzterer
dazu, dieses dann wieder zu verausgaben (vgl. Eckart Voland, Die Natur des
Menschen, 2007, S. 84).Adam Smith rechnete
in seinem Hauptwerk »Der Wohlstand der Nationen« (1776) vor, daß
ein Nagelmacher, der alles selbst ausführt, pro Tag höchstens ein paar
hundert Nägel herstellen kann, während er in einer Nagelfabrik, in der
die Arbeiten gemäß dem Prinzip der Arbeitsteilung in kleine Einzelschritte
zerlegt sind, umgerechnet mehr als 4800 Nägel pro Tag produzieren kann. Eine
arbeitsteilige Produktionsweise kann folglich äußerst effizient sein.Aus
dem gleichen Grund kann es von Vorteil sein, die beiden zentralen Lebensaufgaben
zwischen den Geschlechtern aufzuteilen: Das männliche Geschlecht kümmert
sich dann vorwiegend um den Selbsterhalt und das weibliche um die Fortpflanzung.
Auch ist damit eine effizientere Erfüllung des Darwinschen Selektionsprinzips
möglich, welches von einer gleichzeitigen Optimierung der beiden Lebensaufgaben
Selbsterhalt und Fortpflanzung (übersetzt: »Individuen, die sich besser
selbsterhalten können, pflanzen sich häufiger fort«) spricht.
Bei einer fehlenden Auftrennung der genannten Lebensbereiche dürfte es dagegen
immer zu Zielkonflikten kommen.Ist der. Gesamtprozeß
der Fortpflanzung (inklusive Erziehung, Bildu.ng und Sozialisation) mit einem
ähnlich hohen Aufwand verbunden wie die Ressourcenbeschaffung (Selbsterhalt),
könnte eine solch strikte sexuelle Arbeitsteilung gemäß den Berechnungen
Adam Smiths sogar reproduktiv leistungsfähiger sein als die Fortpflanzungsweise
von Hermaphroditen oder sich asexuell vermehrenden Populationen.Die
Anthropologen Kuhn und Stiner sind der Ansicht, die spezifische menschliche Arbeitsteilung
zwischen den Geschlechtem habe einen entscheidenden evolutionären Vorteil
dargestellt, da es dem Homo sapiens sapiens auf diese Weise gelungen sei,
mehr Nachwuchs durchzubringen. Bei den Homo sapiens neanderthalensis soll
eine ähnlich strikte sexuelle Arbeitsteilung nicht bestanden haben, was entscheidend
zu deren Aussterben beigetragen habe. Allerdings ging die menschliche sexuelle
Arbeitsteilung mit einem Autonomieverlust auf weiblicher Seite einher. (Ebd.,
S. 30-31).Sexualität fördert die Entstehung sozialer
Gemeinschaften.Die Sexualität hatte
maßgeblichen Anteil an der Entstehung sozialer Gemeinschaften. Denn einerseits
können sich in sexuell reproduzierenden Populationen die Individuen nicht
mehr selbstständig fortpflanzen, weswegen sie sich zunächst um einen
Sexualpartner bemühen müssen. Bei der anschließenden Paarung handelt
es sich dann um einen kooperativen Vorgang zum Zwecke der gemeinsamen Fortpflanzung.Wenn
die verschiedenen Individuen einer Population ohnehin regelmäßig zusammenkommen
müssen, damit sie sich fortpflanzen können, dann erleichtert dies das
Entstehen sozialer Gemeinschaften, zumal die Mitglieder ihre Bedürfnisse
(zum Beispiel Schutz) darin oftmals in der Summe viel besser befriedigen können,
als wenn sie auf sich allein gestellt wären.Ein
gewichtiges Problem in sozialen Gemeinschaften stellt die soziale Arbeitsteilung
dar (in Abgrenzung zur sexuellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern), denn
dabei dienen die verrichteten Arbeiten nicht mehr ausschließlich dem eigenen
Selbsterhalt (oder dem der eigenen Nachkommen), sondern ganz wesentlich auch dem
Nutzen anderer. In arbeitsteiligen sozialen Gemeinschaften haben besonders leistungsfähige
(fitte) Individuen oftmals besonders viel zu tun. Wenn sich beispielsweise ein
Individuum bei der Ressourcenbeschaffung oder der Feindbeobachtung sehr leicht
tut, dann dürfte es für die Gemeinschaft insgesamt von Vorteil sein,
dieses nun für solche Aufgaben verstärkt einzusetzen. Die restlichen
Individuen würden die verbliebenen Aufgaben dann unter sich aufteilen. Besonders
kompetente oder engagierte (beziehungsweise sozial eingestellte) Individuen hätten
dann aber weniger Zeit, sich um ihren eigenen Nachwuchs zu bemühen, wodurch
sich ihre Reproduktionschancen und damit auch ihr Reproduktionsinteresse reduzieren
dürften. Sie würden deshalb in der Folge weniger Nachkommen haben als
weniger gut angepaßte Individuen, was einer Verletzung des Prinzips der
natürlichen Selektion gleichkäme. In der Natur tritt die soziale Arbeitsteilung
deshalb stets in Kombination mit einer sexuellen Arbeitsteilung auf, weil sich
erst hierdurch soziale Arbeit und Evolutionsprinzipien miteinander vereinbaren
lassen.Dabei haben sich insbesondere zwei verschiedene
Modelle durchgesetzt: | Modell
MenschDie soziale
Arbeitsteilung beschränkt sich im wesentlichen auf die Männchen, die
im Gegenzug kaum etwas mit der Reproduktionsarbeit zu tun haben. Diese ist dann
in erster Linie die Aufgabe der Weibchen. | | Modell
InsektenDie soziale
Arbeitsteilung beschränkt sich im wesentlichen auf arbeitsame Weibchen (und
gegebenenfalls auch auf die Männchen), die im Gegenzug kaum etwas mit der
Reproduktionsarbeit zu tun haben. Die Fortpflanzung ist dann vor allem die Aufgabe
darauf spezialisierter Weibchen.Ein
entsprechendes Modell ist bei den Ameisen implementiert: Die verschiedenen sozialen
Arbeiten werden von unfruchtbaren Weibchen (Arbeiterinnen) ausgeübt, während
die Männchen lediglich der Befruchtung der Königinnen dienen, und wiederum
nur die können sich fortpflanzen. Vor dem Zugang zu den Königinnen müssen
sich die Männchen bewähren, und zwar entweder durch Ausscheidungskämpfe
oder durch sexuelle Selektion. | Soziale Gemeinschaften
scheinen in der Natur also bereits dann entstehen und sich auch halten zu können,
wenn die darin verrichteten sozialen Arbeiten nicht zu einer Reduzierung der persönlichen
Fortpflanzungschancen beziehungsweise Reproduktionsinteressen führen, die
Zusammenarbeit aber noch weitere Vorteile bietet. Die Ameisenarbeiterinnen stellen
sozusagen den Grenzfall dieser Regel dar: Ihr persönlicher potenzieller Fortpflanzungserfolg
ist nämlich gleich Null. Kooperative oder altruistische Handlungen können
ihre Fortpflanzungschancen folglich nicht weiter mindern. Allerdings können
die Arbeiterinnen auf diese Weise für eine stärkere Weitergabe ihrer
Gene an die nächste Generation sorgen, und zwar selbst dann, wenn sie - wie
etwa bei den Bienen - nur relativ schwach mit den anderen Töchtern der Königinnen
verwandt sind. Die folgenden Ausführungen zum Altruismus werden diesen Gesichtspunkt
noch weiter vertiefen. (Ebd., S. 32-33).Sexualität
erzeugt neue Interaktionsweisen.Bei vielen
biologischen Arten ist mit der Sexualität auch die Gefallenf wollen-Kommunikation
gekommen, die nicht nur eine Vielfalt an neuen Lebensformen erzeugt hat, sondern
auch ganz neue Formen des gemeinsamen Zusammenlebens und der Interaktion ermöglichte.
Mit der Gefallen-wollen-Kommunikation ist der gegenseitige Respekt (die Zivilisation)
in die Welt gekommen. Davor ging es nur um fressen oder gefressen werden.
Ein Gefallen-wollen innerhalb der gleichen Population scheint ohne Sexualität
fund Getrenntgeschlechtlichkeit kaum vorstellbar zu sein. Allerdings kann dies
artenübergreifend im Einzelfall durchaus anders aussehen. Beispielsweise
könnte eine Baumsorte besonders schmackhafte Früchte entwickeln, damit
deren Kerne durch Nutznießer möglichst weit verstreut werden.Betrachten
wir zunächst eine Population aus lauter Hermaphroditen (Zwittern). Auch hier
könnten die einzelnen Individuen ihre potenziellen Fortpflanzungspartner
vor einer Paarung auf Fitneß testen, zum Beispiel, indem sie mit ihnen kämpfen
oder tanzen. Allerdings wäre ein solches Verfahren äußerst ineffizient,
da jeder Test die eigene Fitneß und die des potenziellen Partners reduziert.
Energetisch günstiger und auch unverbindlicher ist da schon die Begutachtung
fälschungssicherer Fitneßindikatoren. Fälschungssicher ist ein
Fitneßsignal aber nur, wenn zu seiner Hervorbringung tatsächlich eine
entsprechend hohe Fitneß erforderlich ist. Doch dann entsteht unmittelbar
das folgende Dilemma: Hat etwa ein hermaphroditischer Pfau enorme Energiemengen
in sein Fitneßsignal investiert, stünde ihm weniger Energie zur Aufzucht
seiner Nachkommen zur Verfügung, was ihn automatisch weniger attraktiv für
andere Fortpflanzungspartner macht, denn deren Gene würden durch ihn weniger
stark verbreitet. Sein Fitneßindikator würde sich folglich eher negativ
auf seinen Fortpflanzungserfolg auswirken. Also kämen vor allem Fitneßindikatoren
in Betracht, die nach der Befruchtung entweder wieder abgelegt oder idealerweise
sogar für die Nachwuchsarbeit genutzt werden können (zum Beispiel ein
besonders hoher Körperfettanteil). Die beiderseitige Fitneß wäre
auf diese Weise zwar durch die Fortpflanzungspartner testbar, jedoch nur auf eine
sehr limitierte Weise. Das eigentlich Charakteristische der Gefallen-wollen-Kommunikation,
nämlich das einseitige Sich-Anbieten und Gefallen-wollen (Altruismus; Bauen
einladender, luxuriöser Nester; Schenken von Blumen und Brillanten), das
sich aus der unterschiedlichen potenziellen Fruchtbarkeit und den unterschiedlichen
Reproduktionsaufwänden der beiden Geschlechter speist, könnte sich in
einer solchen Konstellation nicht ausbilden.Altruistische
Verhaltensweisen können sich in getrenntgeschlechtlichen Populationen
viel leichter als in sich auf andere Weise fortpflanzende Populationen durchsetzen,
da sie sich bei den Individuen, die die deutlich geringeren Reproduktionsaufwände
haben, nicht notwendigerweise nachteilig auf den Reproduktionserfolg auswirken
müssen, und zwar selbst dann nicht, wenn die einseitig erbrachten Leistungen
überhaupt nicht erwidert werden. Beim Menschen gilt das für die Männer,
bei den sozialen Insekten entsprechend für die unfruchtbaren Weibchen.Im
Abschnitt Kooperation
und Altruismus konnte darüberhinaus gezeigt werden, daß in
getrenntgeschlechtlichen Populationen altruistische Verhaltensweisen auf Seiten
der Männchen sogar eine Erhöhung des Reproduktionserfolges bewirken
können, da sie einem mit Fitneß assoziiertem Handicap gleichkommen.Für
fortpflanzungsfähige und -willige Weibchen sieht die Situation dagegen ganz
anders aus. Ein Weibchen, welches einem anderen Weibchen bei der Aufzucht derer
Jungen hilft, dabei aber keine vergleichbaren Leistungen zurückerhält,
beeinträchtigt möglicherweise seinen eigenen Reproduktionserfolg, da
ihm nun weniger Ressourcen für die eigenen Jungen zur Verfügung stehen.Ganz
ähnlich sieht die Situation bei der asexuellen Fortpflanzung oder in Hermaphroditenpopulationen
aus. In allen diesen Fällen müssen kooperative oder altruistische Handlungen
vom Empfänger zeitnah und in vergleichbarer Stärke erwidert werden,
sonst sind sie für den Geber von Nachteil. Dies wurde in der Soziobiologie
anhand des Gefangenendilemmas aufgezeigt, welches nur unter ganz bestimmten Rahmenbedingungen
mittels Strategien wie TIT FOR TAT (»wie du mir, so
ich dir«, Fairneßprinzip) aufgelöst werden kann.Ein
entscheidender evolutionärer Vorteil getrenntgeschlechtlicher Populationen
scheint also zu sein, daß in ihnen eine Vielfalt an komplexen Interaktionsmustern
zwischen den Individuen entstehen kann, allen voran die Gefallen-wollen-Kommunikation,
aber auch der Altruismus.Kooperation könnte
sich allerdings auch bei asexueller Fortpflanzung und in Hermaphroditenpopulationen
ausbilden, und zwar insbesondere dann, wenn eine Gruppe auf diese Weise Aufgaben
bewältigen kann, denen ein einzelnes Individuum nicht gewachsen ist (etwa
das Erlegen eines sehr großen Beutetiers). Ein Beleg für die Möglichkeit
solcher Interaktionen wäre die Existenz kooperativen Verhaltens bei weiblichen
Tieren. Für gewöhnlich ist so etwas aber fast nur unter Verwandten zu
beobachten, wo eine Kooperation die Verbreitung der eigenen Gene fordert. So betreuen
bei Affen weibliche Familienangehörige die Nachkommen gemeinsam, und Löwinnen
eines Rudels - überwiegend Schwestern oder Mütter und Töchter -
unterstützen sich bei der Jagd. (Ebd., S. 34-36).Sexualität
kann Evolutionen ohne äußeren Selektionsdruck bewirken.Anhand
theoretischer Überlegungen und eines Beispiels können die folgenden
Zusammenhänge nachgewiesen werden: | Die
getrenntgeschlechtliche Fortpflanzung in Verbindung mit der unterschiedlichen
Fruchtbarkeit von männlich versus weiblich und den damit zusammenhängenden
geringeren Elterninvestments des männlichen Geschlechts kann für (eine
beschleunigte) Evolution sorgen, und zwar selbst dann, wenn die Reproduktion der
gesamten Population nicht einmal mengenmäßig bestandserhaltend ist.
Die in verschiedenen Fassungen der Darwinschen Evolutionstheorie genannte Fruchtbarkeitsvoraussetzung
für die natürliche Auslese, zum Beispiel»Alle
Populationen sind so fruchtbar, daß ihre Größe ohne Beschränkungen
exponentiell zunehmen würde.« (Ernst Mayr, Das ist Evolution,
2005, S. 148).oder | | »Pflanzen
und Tiere produzieren mehr Nachkommen, als die Umwelt ernähren kann.«
(Manuela Lenzen, Evolutionstheorien in den Natur- und Sozialwissenschaften,
2003, S. 49).kann
dann entfallen. Für eine Evolution genügt es bereits, wenn die Summe
der männlichen Reproduktionsinteressen größer ist als die Summe
der weiblichen Reproduktionsinteressen (beziehungsweise deren Reproduktionskapazitäten).
Im Vordergrund würde dann allerdings nicht mehr der Kampf ums Dasein (Konkurrenz
um natürliche Ressourcen wie Nahrung oder Raum) stehen, sondern der Wettbewerb
um Fortpflanzungspartner. All dies macht deutlich, daß die eigentliche Triebfeder
der Evolution das den Lebewesen innewohnende Eigeninteresse (Selbsterhaltungs-
und Reproduktionsinteresse) ist und nicht die natürliche Auslese beziehungsweise
Survival of the Fittest. | | Auf
Dauer wird der beschriebene Mechanismus der sexuellen Selektion aber nur dann
funktionieren, wenn die Partnerwahlpräferenzen der wirklichen Fitneß
der Fortpflanzungspartner (in Relation zum Lebensraum) entsprechen. Im Beispiel
war dies der Fall. | Mit anderen Worten: Befinden sich
bei einer biologischen Art die im Rahmen der sexuellen Selektion verwendeten
Fitneßindikatoren im Einklang mit der wirklichen Fitneß der Sexualpartner,
dann wird auf das Geschlecht, welches die durchschnittlich höhere potenzielle
Fruchtbarkeit aufweist (üblicherweise das männliche Geschlecht) ein
künstlicher Selektionsdruck ausgeübt, so daß für die weitere
Evolution der biologischen Art ein äußerer, durch den Lebensraum ausgeübter
Selektionsdruck (natürliche Selektion) nicht länger erforderlich
ist. Die Spezies könnte selbst dann evolvieren, wenn die Populationszahlen
zurückgehen.Das männliche Geschlecht
muß sich dabei aber - speziell im Zusammenwirken mit der Gefallen-wollen-Kommunikation
respektive sexuellen Selektion - nicht nur ganz intensiv fortpflanzen »wollen«,
sondern es muß auch Mitglieder des anderen Geschlechts von sich überzeugen
können, das heißt gefallen. Hierfür sind gegebenenfalls jede Menge
Energie, Einsatzwillen und manchmal eben auch Innovationen erforderlich.Insgesamt
kann festgehalten werden:Mit der getrenntgeschlechtlichen
Fortpflanzung kam die Gefallen-wollen-Kommunikation, und die ersetzt | Kampf
durch Wettbewerb, | | Dominanz
durch Gefallen-wollen, | | Fressen-und-Gefressen-werden
- und damit den Tod - durch Respekt, Kultur und Geschmack und | | Stärke
durch Innovation, | ohne dabei auf den ständigen
Überlebenskampf einer viel zu großen Schar an Nachkommen angewiesen
zu sein. Sie ermöglicht das Entstehen eigenständiger Evolutionsumgebungen,
in denen der Wettbewerb um den Geschmack und die Präferenzen einer Gruppe
von Selektierern im Vordergrund steht. (Ebd., S. 38-39).Sexualität
ist verschwenderisch.Die wesentlichen Gründe
dafür wurden bereits genannt: | In
getrenntgeschlechtlichen Populationen müssen gegenüber anderen Reproduktionsarten
doppelt so viele Individuen »produziert« werden. | | Die
in getrenntgeschlechtlichen Populationen häufig anzutreffende Gefallen-wollen-Kommuikation
ist per se verschwenderischer als die dominante Kommumkation. | | Bei
der sexuellen Selektion (Gefallen-wollen-Kommunikation) kommen meist ausgesprochen
verschwenderische Fitneßindikatoren (Handicaps) und Werbemaßnahmen
zum Einsatz. | Man könnte geneigt sein, die aufgelisteten
Punkte allesamt unter Die
Nachteile der Sexualität aufzuführen. Allerdings soll der Begriff
Vorteil hier im Sinne »evolutionärer Vorteil« verstanden werden,
und dann könnte man die Dinge auch genau anders herum betrachten.Einige
Wissenschaftler behaupten nun aber, beim Leben handele es sich um eine dissipative
Struktur, die sich im Nichtgleichgewichtssystem Erde zur Ausgleichung sonneninduzierter
Gradienten ausbildet, und dabei ihren lokalen Organisationsgrad um den Preis der
Entropieerzeugung in der Umgebung erhält. Ihr Fazit ist, das Leben schaffe
Ordnung aus Unordnung, allerdings im Dienst der Erzeugung von noch mehr Unordnung.Ganz
ähnlich sieht dies Jacques Neiryncks in seinem 1994 veröffentlichten
Buch »Der göttliche Ingenieur«. Argumentiert man in dieser Weise
vor dem Hintergrund des 2.
Hauptsatzes der Thermodynamik (Entropiesatz), dann könnte man durchaus
folgern: Getrenntgeschlechtliche Sexualität ist verschwenderischer als andere
Fortpflanzungsweisen. Mithilfe der Gefallen-wollen-Kommunikation ist sie in der
Lage, die Ressourcen (inklusive Energie) der Natur und vorhandene Nischen stärker
auszunutzen, als dies andere Reproduktionsarten tun werden und können. Sie
dürfte sich deshalb allein schon aus energetischen Gründen durchsetzen.
(Ebd., S. 39-40).
4.30.3) Zusammenfassung
Die Vorteile der genetischen Rekombination
waren sicherlich von sehr großer Bedeutung für die Entstehung und Durchsetzung
der Sexualität, allerdings erklären sie noch nicht, warum sich die getrenntgeschlechtliche
Fortpflanzung bei höheren Lebewesen gegenüber dem Hermaphroditismus
durchgesetzt hat. Die auf den letzten Seiten dargelegten Analysen lassen dafür
nur einen Schluß zu: Der entscheidende evolutionäre Vorteil getrenntgeschlechtlicher
Populationen resultiert aus dem Unterschied in der patenziellen Fruchtbarkeit
von männlich versus weiblich (vgl. Eckart Voland, Die Natur des Menschen,
2007, S. 49) und den damit verbundenen geringeren Elterninvestments des männlichen
Geschlechts. Solche Populationen sind Hermaphroditen und sich asexuell fortpflanzenden
Populationen gegenüber zwar häufig quantitativ unterlegen, jedoch
bezüglich der qualitativen Verbesserung des Genpools (beschleunigte
Evolution) weit überlegen. Darüberhinaus können sich erst in ihnen
komplexere Interaktionsweisen wie Gefallen-wollen-Kommunikat.ion und Altruismus
ausbilden und durchsetzen. Bei der Sexualität geht es somit ganz wesentlich
auch um Kommunikation. (Ebd., S. 45).Mit der auf der sexuellen
Fortpflanzung beruhenden Gefallen-wollen-Kommunikation sind der gegenseitige Respekt
und die Kultur in die Welt gekommen. Davor drehte sich praktisch alles nur ums
Fressen-oder-Gefressen-Werden. Erst die Sexualität hat die moderne
Welt möglich gemacht. (Ebd., S. 45). |