Hurra, wir werden Unterschicht! Zur Theorie der gesellschaftlichen
Reproduktion. (2007) **
Seit
einigen Jahren sind in den westlichen lndustrienationen gesellschattliche Veränderungen
zu beobachten, die von einer Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und
der Herausbildung einer neuen »Unterschicht« geprägt sind. Als
Ursache für diesen auch »Brasilianisierung des Westens« genannten
Prozeß gilt allgemein die Globalisierung unter dem neoliberalen Paradigma
des freien Marktes. Peter Mersch zeigt
dagegen auf, daß diese Entwicklung in den jeweiligen Gesellschaften ganz
entscheidend aus sich selbst heraus erfolgt.Seit
der weiblichen Emanzipation und der sie begleitenden Individualisierung haben
Frauen die freie Wahl zwischen produktiven und reproduktiven Tätigkeiten.
In den Industrienationen ist aber die Wirtschaft marktwirtschaftlich organisiert,
die gesellschaftliche Reproduktion dagegen sozialistisch, denn der Nutzen aus
dem langjährigen Aufziehen von Kindern wird sozialisiert. Seitdem die Frauenbewegung
die »Mauer« des Patriarchats zu Fall gebracht hat, wandern insbesondere
die qualifiziertesten Frauen in die profitablere Wirtschaft ab, wodurch es zu
einer Vernachlässigung der gesellschaftlichen Reproduktion und damit zum
Phänomen des demographischen Wandels kommt. Maßnahmen zur Verbesserung
der Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden daran nur unwesentlich etwas ändern
können.In modernen Gesellschaften
setzt sozialer Erfolg meist Bildung voraus. Weil nun aber Frauen um so weniger
Kinder in die Welt setzen, je gebildeter und beruflich engagierter sie sind, und
sich meist Frauen und Männer mit ähnlichem Bildungsniveau zusammenfinden,
können die Kompetenzen einer Generation nicht mehr ausreichend an die nächste
weitergegeben werden. Die Folgen: Die Generationengerechtigkeit
wird verletzt, und die Gesellschaften »brasilianisieren« sukzessive
in Richtung Entwicklungsland.Das Fazit
des Autors ist: Die Emanzipation der Frauen macht eine Angleichung der Organisation
von Wirtschaft und Nachwuchsarbeit zwingend erforderlich. Der Individualisierung
auf Seiten der Frauen müssen nun die entsprechenden Institutionalisierungen
folgen. Das Buch zeigt detailliert auf, was zu tun ist.(Ebd.,
Klappentext). |
Vorwort
Seit einigen Jahren sind in den entwickelten
Ländern gesellschaftliche Veränderungen zu beobachten, die von einer
Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse, Langzeitarbeitslosigkeit, wachsender
sozialer Ungleichheit, Armutsszenarien und der Herausbildung eines abgehängten
Prekariats beziehungsweise einer «Unterschicht« charakterisiert sind.
Als Ursache dieses Prozesses, der in der Soziologie den Namen »Brasilianisierung«
trägt, und für den ein Zukunftsbild einer Gesellschaft skizziert wird,
bei dem am Ende eine zahlenmäßig kleine herrschende Klasse einer großen
dienenden Klasse gegenübersteht, wird meist die Globalisierung unter dem
neoliberalen Paradigma des freien Marktes vermutet, wodurch es weltweit zu einer
Angleichung der Arbeitskultur an die Standards der Entwicklungsländer wie
etwa Brasilien komme. Gemäß dieser Auffassung hat die Brasilianisierung
des Westens also primär ökonomische Ursachen. Im Prinzip stellt man
sich den Ablauf so vor: Die Globalisierung macht es leicht möglich, Arbeiten
in Entwicklungsländer mit sehr niedrigen Lohnniveaus und unzureichenden Arbeitsstandards
- zum Beispiel bezüglich Kinderarbeit oder Umweltschutz - zu verlegen und
die Arbeitsergebnisse dann zu deutlich niedrigeren Kosten und oft auch schneller
in die Abnehmerländer zu transportieren. In den entwickelten Ländern
gehen hierdurch zahlreiche Arbeitsplätze verloren, was immer mehr Arbeitnehmer
zu Lohnzugeständnissen und in prekäre Arbeitsverhältnisse zwingt.
Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Gewinner dieses Vorgangs sind die herrschenden
Klassen in den beteiligten Ländern und ein wenig auch die Arbeitnehmer in
den Entwicklungsländern, Verlierer die Arbeitnehmer in den entwickelten Ländern,
deren Arbeitskultur sich dabei zunehmend »brasilianisiert«, und natürlich
die entwickelten Staaten selbst, denen Steuern auf Arbeitseinkommen verloren gehen,
während gleichzeitig die sozialstaatlichen Ausgaben steigen, so daß
sie zu Abstrichen bei wohlfahrtsstaatlichen Leistungen und im Bildungssystem gezwungen
sind. Die drastisch angestiegenen Gewinne der herrschenden Klassen werden dagegen
zu erheblichen Anteilen in Steueroasen verschoben. (Ebd., S. i).Das
erste Kapitel »Bevölkerungsschrumpfung«
beschäftigt sich mit dem Phänomen des demographischen Wandels, für
den insbesondere die folgenden Erscheinungen charakteristisch sind: | Es
werden weniger Kinder in die Welt gesetzt, als für eine zahlenmäßige
Bestandserhaltung der Bevölkerung erforderlich wären. | | Der
Geburtenrückgang ist in erster Linie auf das Verschwinden von kinderreichen
Familien und weniger auf die Zunahme der Kinderlosigkeit zurückzuführen. | | Gebildete
beziehungsweise sozial erfolgreiche Bevölkerungskreise setzen im Durchschnitt
deutlich weniger Kinder in die Welt als sozial schwache und bildungsfeme Schichten.
Dieser Punkt spielt innerhalb der öffentlichen Diskussion zum demographischen
Wandel so gut wie keine Rolle. Im Rahmen des vorliegenden Buches wird aber der
Nachweis geführt, daß es sich im Vergleich zu den rückläufigen
Geburtenzahlen hierbei um das gravierendere Teilproblem des demographischen Wandels
handelt. |
Alle drei Phänomene können gemäß der ökonomischen
Fertilitätstheorie (und einigen alternativen Ansätzen) wesentlich
auf die im Rahmen der weiblichen Emanzipation drastisch angestiegenen
biographischen und ökonomischen Opportunitätskosten von Kindern
für Frauen zurückgeführt werden. In patriarchalischen Gesellschaften,
in denen die Rolle der Frauen meist von vornherein festliegt, bestehen
entsprechende Hindernisse dagegen nicht. (Ebd., S. ii).
Empirische Studien deuten an,
daß ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderzahl für
Männer zur Zeit noch weniger ausgeprägt ist als für Frauen, allerdings
dürfte für sie im Rahmen der zunehmenden Bildungshomogamie bei Paaren
(gleiches oder ähnliches Bildungsniveau in Paaren) eine sukzessive Angleichung
hin zu den aktuell bei den Frauen vorfindbaren Verhältnissen stattfinden.
(Ebd., S. iii).Im Kapitel »Evolution«
werden zunächst die evolutionstheoretischen Grundlagen vermittelt und die
Prinzipien »Variation«, »Selektion« und »Vererbung«
erläutert. Es wird gezeigt, daß das Evolutionsprinzip ein von jeder
Absichtlichkeit oder höherer Zweckmäßigkeit freies Optimierungsverfahren
ist, welches es Populationen erlaubt, ihre fortlaufende Anpassung an sich gleichfalls
verändernde Umgebungen sicherzustellen. Erst durch die natürliche Selektion
erhält die Evolution so etwas wie eine Richtung. Generationengerechtigkeit
bedeutet, daß die heutige Generation der nächsten Generation die Möglichkeit
gibt, sich ihre Bedürfnisse mindestens im gleichen Ausmaß wie die heutige
Generation zu erfüllen. Dazu muß sie aber insbesondere alle Merkmale,
die ihr im Leben behilflich waren, an die nächste Generation weitergeben,
denn dann dürften die Nachkommen im Schnitt gleich gut oder sogar besser
als ihre Eltern an diejenige Umwelt angepaßt sein, in der die Selektion
stattfand. Die Kompetenzen der nächsten Generation werden in erster Linie
durch diejenigen der vorangegangenen Generation bestimmt, die tatsächlich
Eltern sind. Aus Sicht der nächsten Generation kommt es deshalb vor allem
darauf an, daß die Gesamtheit ihrer Eltern im Durchschnitt möglichst
kompetent ist. In modernen Gesellschaften verfugt aber üblicherweise die
Teilmenge der Eltern innerhalb einer Generation über durchschnittlich geringere
Kompetenzen als die gesamte Generation, denn der Anteil der Kinderlosen steigt
mit dem Bildungsniveau, und das durchschnittliche Bildungsniveau von Eltern fällt
mit der Zahl ihrer Kinder. Der nächsten Generation einer etwa vom Fischfang
lebenden Population dürfte es letztendlich ziemlich egal sein, ob sie ausstirbt,
weil ihr See längst leergefischt ist, dessen Wasser verseucht wurde, sie
zahlenmäßig zu klein ist, um die schweren Fischerboote zu bewegen,
oder sie nicht die geistigen Kompetenzen besitzt, um unter den gegebenen Verhältnissen
Fische zu fangen. (Ebd., S. iii).Ein erstes wesentliches
Resultat des vorliegenden Buches ist folglich: Die natürliche Selektion ist
ein Verfahren, mit der die Natur Generationengerchtigkeit implementiert. (Woraus
sich unmittelbar ein Dilemma ergibt: Die Anwendung der Evolutionstheorie auf menschliche
Gesellschaften gilt allgemein als Sozialdarwinismus,
die Duldung oder gar Förderung eines gesellschaftlichen Reproduktionsverhaltens,
welches den Prinzipien der Evolutionstheorie zuwiderläuft, mißachtet
dagegen die Generationengerechtigkeit
!). Verletzt eine Population mit ihrem Reproduktinsverhalten das Prinzip
der natürlichen Selektion, dann verletzt sie auch das Prinzip der Generationengerechtigkeit:
Die Populationsentwicklung ist dann nicht länger nachhaltig. Das Evolutionskapitel
beschäftigt sich weiter mit der sexuellen Selektion, die neben der natürlichen
Selektion für die Evolution von großer Bedeutung ist, und bei der es
darum geht, dem anderen Geschlecht im Vorfeld der Paarung Erfolgsmerkmale zu signalisieren
und geeignete Partner zu wählen. Für menschliche Kulturen läßt
sich nun aber weltweit beobachten, daß Frauen bei der Partnerwahl eher erfolgreiche
und wohlhabende Männer, Männer dagegen eher hübsche und jüngere
(und damit fruchtbare) Frauen levorzugen. Das menschliche Paarungsverhalten bestand
offenbar zu allen Zeiten darin, daß Männer um sozialen und beruflichen
Erfolg konkurrierten, wodurch sich ihre Chancen bei den wohlgeratensten und gesellschaftlich
angesehensten Frauen erhöhten. Ein wohlhabenderer Mann konnte anschlieiend
eine größere Zahl an Nachkommen ernähren. Der Selektionsmechanismus
menschlicher Gesellschaften orientierte sich somit zu allen Zeiten am sozialen
Erfolg, wie es gemäß der Evolutionstheorie auch zu erwarten ist. In
modernen bildungsdurchlässigen Gesellschaften korreliert ein späterer
beruflicher Erfolg sehr stark mit dem erreichten Bildungsniveau. Bildung ist nun
das höchste Gut und zum entscheidenden Kriterium für den sozialen Erfolg
geworden. Doch gleichzeitig zeigen sich eine Reihe neuer Phänomene: | In
Folge des allgemeinen Einsatzes leistungsfdhiger Kontrazeptiva ist Paarungserfolg
nicht länger gleichzusetzen mit Reproduktionserfolg. Beispielsweise haben
erfolgreiche Männer zwar auch heute noch häufiger Sex und mehr Sexualpartnerinnen
als weniger erfolgreiche Männer, keineswegs aber mehr Kinder. | | Im
Rahmen der Gleichberechtigung der Geschlechter scheint sich ein »gleiches
oder ähnliches Bildungsniveau« als ein entscheidendes sexuelles Selektionskriterium
herauszukristallisieren, wie aus der zunehmenden Bildungshomogamie bei Paaren
auszulesen ist. | Auch in modernen Gesellschaften orientiert
sich der Selektionsmechanismus somit noch immer am sozialen Erfolg, jetzt aber
ganz entscheidend über den Bildungserfolg vermittelt. (Ebd., S. iv-v).Im
Kapitel »Bevölkerungsschrumpfung«
wurde nun aber für moderne, »gleichberechtigte« Gesellschaften
ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderzahl festgestellt,
welcher wesentlich auf die in Folge der beruflichen weiblichen Emanzipation deutlich
angestiegenen Opportunitätskosten von Kindern für Frauen zurückgeführt
werden konnte. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Aufhebung einer biologisch
bedingten Asymmetrie zwischen den Geschlechtern: Ein Mann kann seine Erfolgsmerkmale
im Prinzip an um so mehr Nachkommen weitergeben, je beruflich erfolgreicher er
ist und um so mehr Geld er verdient; bei einer Frau dürfte es bereits aus
biologischen Gründen genau umgekehrt sein. Paaren sich in »gleichberechtigten«
Gesellschaften in erster Linie Frauen und Männer mit gleichem oder ähnlichem
Bildungsniveau, dann können Erfolgsmerkmale nicht mehr in ausreichendem Umfang
an die nächste Generation weitergegeben werden, da die Frauen nun der Engpaß
sind. Mit anderen Worten: Solche Gesellschaften verletzen trotz aller Erfolgsorientierung
das Kriterium der natürlichen Selektion und damit auch das Prinzip der Generationengerechtigkeit.
Sie dürften auf lange Sicht ihre Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde
Umgebungen und Anforderungen (zum Beispiel Globalisierung, Wissensgesellschaft)
verlieren. (Ebd., S. v).Ein zweites Resultat des vorliegenden
Buches ist deshalb: Die berufsorientierte weibliche Emanzipation hat massiv in
den seit mehreren Millionen Jahren etablierten und der Anpassung an eine sich
wandelnde Umwelt dienenden empfindlichen sexuellen Selektionsmechanismus der biologischen
Art Mensch eingegriffen und ihn in seiner Wirkungsweise zerstört. (**).
(Ebd., S. v).Im Rahmen der weiteren Ausführungen wird darauf
hingewiesen, daß praktisch alle gesellschaftlichen Veränderungen und
Maßnahmen das Potential besitzen, in den reproduktiven Selektionsmechanismus
einzugreifen. Je nachdem, ob die Richtung der Veränderung dabei die natürliche
Selektion unterstützt oder eher ins Gegenteil verkehrt, wird die Maßnahme
- übliche Tabuisierungen ignorierend - als eugenisch oder dysgenisch bezeichnet.
Eugenische Maßnahmen wirken sich folglich positiv auf die Generationengerechtigkeit
aus, dysgenische Maßnahmen dagegen negativ. (Ebd., S. v).Im
Kapitel »Familienpolitik«
werden verschiedene familienpolitische oder sonstige gesellschaftliche Maßnahmen
auf eugenische beziehungsweise dysgenische Effekte hin untersucht. Dabei zeigt
sich, daß unter anderem Kindergelderhöhung, Erziehungsgehalt, bedingungsloses
Grundeinkommen (**|**|****|**|**)
und Zuwanderung allesamt vorwiegend dysgenische Wirkungen haben dürften,
Steuersenkungen für Familien, Steuererhöhungen für Kinderlose und
eventuell auch Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf dagegen eher eugenische. (Ebd., S.v i).Die Begriffseinteilung
ist aber zusätzlich noch in der Lage, einen Beitrag zu einer grundsätzlichen
gesellschaftspolitischen Problemstellung mit enormen ethischen Implikationen zu
liefern: Wo sollte der Wohlfahrtsstaat helfend eingreifen, und wo sollte er sich
tunlichst zurückhalten? Die Ergebnisse des vorliegenden Buches lassen eigentlich
nur einen Schluß zu: Es ist absolut sinnvoll und ethisch sogar geboten,
Menschen in Not zu helfen, und sie nach Möglichkeit in die Lage zu versetzen,
sich und ihre Nachkommen aus einem selbst erwirtschafteten Einkommen zu unterhalten.
Konkret: Einen Behinderten als wertlos aus der Gesellschaft auszurangieren, ist
Sozialdarwinismus
der finstersten Sorte, ihm zu helfen, ein eigenständiges Leben in Würde
zu führen, dagegen human und erstrebenswert. (Ebd., S. vi).Auf
der anderen Seite verletzen wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen, die eine einseitige
Erhöhung der Geburtenziffern in sozial schwachen und bildungsfernen Schichten
zur Folge haben, die Generationengerechtigkeit.
Bei gesellschaftlichen Verhältnissen, die es als normal ansehen, wenn arbeitslose
und schlecht ausgebildete Paare unter Sozialhilfebedingungen fünf oder mehr
Kinder in die Welt setzen, während Paare mit hoher Bildung zu Kinderlosigkeit
tendieren beziehungsweise dazu regelrecht verdammt sind, dürfte es sich deshalb
um Menschenrechtsverletzungen handeln. Üblicherweise werden gegen die hier
vorgetragenen evolutionstheoretischen Überlegungen Einwände erhoben,
hinter denen eine Theorie steckt, die in unserer Gesellschaft auf breiteste Akzeptanz
stößt, ohne je offen ausgesprochen zu werden. Und diese Theorie lautet
in etwa wie folgt: »Menschen kommen als unbeschriebenes Blatt auf die Welt.
Menschliche Säuglinge sind folglich zunächst einmal alle gleich. Mit
entsprechenden Bildungsmaßnahmen und Förderprogrammen können sie
dann zu beliebiger Kompetenz geführt werden. Die Weitergabe menschlicher
Kompetenzen erfolgt also nicht über Gene, sondern über kulturelle Mechanismen.
Das gilt im wesentlichen auch für die beiden Geschlechter. So kommt man nicht
als Frau zur Welt, sondern wird dazu gemacht. Sind zu einem späteren Zeitpunkt
intellektuelle Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen feststellbar, dann
ist das in erster Linie die Folge einer unterschiedlichen Sozialisation. Es ist
somit egal, wer in einer Gesellschaft Kinder bekommt. Wenn sozial schwache und
bildungsferne Schichten mehr Kinder bekommen als Schichten mit hohem sozioökonomischem
Status oder Bildungsniveau, dann müssen deren Kinder eben gezielt gefördert
werden. Diese Theorie, die im Rahmen der Ausführungen kulturistische Evolutionstheorie
genannt wird , kann jedoch widerlegt werden. Mehr noch: Sie scheint nicht nur
die Generationengerechtigkeit zu verletzen, sondern auch erhebliche weitere negative
ethische Implikationen zu besitzen. (Ebd., S. vi-vii).Wie
das Kapitel »Reproduktion«
zeigen wird, avanciert das Humankapital in modernen Gesellschaften zur wichtigsten
Ressource. Gleichzeitig verschiebt die Globalisierung die Machtverhältnisse
zwischen Staaten und Unternehmen, denn letztere können es sich nun zunehmend
aussuchen, wo sie die von ihnen benötigen Humanressourcen einkaufen. Hierdurch
geraten Nationalstaaten bezüglich ihrer wichtigsten Ressource in ein Lieferantenverhältnis
gegenüber den globaloperierenden Unternehmen, und damit in eine zunehmende
Standortkonkurrenz untereinander. Genau hier könnte nun die eingangs erwähnte
ökonomische Theorie der Brasilianisierung des Westens und der Welt ansetzen.
Allerdings gibt es für Nationalstaaten auch Alternativen, die deutlich werden,
wenn man die Strategien sich dem Wettbewerb ausgesetzter Unternehmen betrachtet,
denn diese investieren zum Teil erhebliche Summen in ihre Reproduktion, die dort
den Namen Forschung & Entwicklung trägt. (Ebd., S. vii).Anders
als Staaten betrachten Unternehmen reproduktive Tätigkeiten als nach wirtschaftlichen
Gesichtspunkten zu finanzierende Investitionen. So arbeiten in den Forschungslabors
der Pharmakonzerne häufig die qualifiziertesten und bestbezahlten Mitarbeiter,
denn was hier verpaßt wird, kann später nur noch schwer aufgeholt werden.
Ein neues Medikament bedarf nicht selten ähnlich langer Entwicklungszeiten,
wie sie in der gesellschaftlichen Reproduktion üblich sind. Und anders als
Staaten erwarten ökonomisch denkende Unternehmen dabei nicht, daß ihre
Mitarbeiter die kostenintensiven und möglicherweise erst nach mehr als zwanzig
Jahren Gewinn erwirtschaftenden Reproduktionsarbeiten auf eigene Rechnung zu erbringen
haben. (Ebd., S. vii).Die Empfehlung, ein Staat solle im
Rahmen der Globalisierung verstärkt in die Bildung seiner Bürger - und
damit in die gesellschaftliche Reproduktion - investieren, ist auch von anderen
schon häufiger erhoben worden; allerdings dürfte sie - rein auf die
Bildung beschränkt - zu kurz greifen, denn entsprechende Maßnahmen
dürften gemäß der im Kapitel »Evolution«
erzielten Ergebnissen in ihrer Wirkung so lange verpuffen, wie gesellschaftsweit
ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderzahl bestehen bleibt.
Mit Bildung allein lassen sich die ungünstigen Effekte einer negativen beziehungsweise
dysgenischen Selektion wohl nur mildern, keineswegs jedoch neutralisieren. An
dieser Stelle sollen von vornherein einige mögliche Mißverständnisse
ausgeräumt werden: Aus der im vorliegenden Buch aufgestellten Behauptung,
daß Bildungsmaßnahmen die durch das aktuelle Reproduktionsverhalten
der Bevölkerung bewirkten dysgenischen Effekte nicht wieder aufheben könnten,
folgt keineswegs, daß solche Maßnahmen nun zu unterlassen seien. Im
Gegenteil: Alles was zur Verbesserung der Situation beitragen kann, sollte getan
werden. Nur sollte man sich nicht zu viel davon versprechen. Viel wichtiger wären
Maßnahmen, die qualifizierte Menschen dazu bewegen können, wieder vermehrt
Nachwuchs in die Weil zu setzen. Ferner soll an keiner Stelle suggeriert werden,
ein persönliches Abgleiten etwa in die Langzeiltarbeitslosigkeit sei ein
Zeichen für mangelhafte Qualifikalionen und damit letztendlich selbstverschuldet.
Das Buch beschreibl einen Prozeß, bei dem sich eine Gesellschaft reprodukliv
zunehmend selbst beschwert. Am Ende werden aus hochqualifizierten Konzertpianisten
und Schauspielern Sozialhilfeempfänger, weil sich die Gesellschaft vor lauter
Sozialhilfeempfängern Konzertsale und Schauspielhauser (und Kultur generell)
nicht mehr leisten kann. Und schließlich argumentiert das gesamte Buch -
ähnlich wie die Evolutionslheorie - statislisch und nicht einzelfallbezogen.
Es ist durchaus möglich, daß eine konkrete arme und »bildungsferne«
Familie intelligente Kinder hat. Und es ist auch möglich, daß es diese
dann trotz ihrer Intelligenz nur zu einem Hauptschulabschluß schaffen. Die
stalistischen Aussagen, daß hohe Intelligenz mit hohem Bildungsniveau und
beruflichem Erfolg korreliert und intelligente Eltern mil höherer Wahrscheinlichkeit
intelligente Kinder bekommen, sind für moderne Gesellschaften dennoch gültig.
(Ebd., S. viii).Im Kapitel »Familie«
wird die historische Entwicklung der menschlichen Reproduktionseinheit »Familie«
beschrieben. Dabei wird deutlich, daß das bislang weltweit dominierende
patriarchalische Ernährermodell ganz wesentlich auf unbezahlter Familienarbeit
basiert, eine Eigenart, die in den modernen Familienmodellen, welche von einer
grundsätzlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der paritätischen
Aufteilung von Familienarbeit zwischen den Geschlechtern ausgehen, nicht angetastet
wird. Größere Familien, die gemäß Kapitel »Bevölkerungsschrumpfung«
für eine bestandserhaltende Bevölkerungsentwicklung unerläßlich
sind, sind hierdurch in aller Regel auch heute noch dazu gezwungen, während
der so genannten Familienphase zum Ernährermodell zurückzukehren, was
für die daran beteiligten Frauen meist zu einem Verzicht auf wesentliche
Errungenschaften der weiblichen Emanzipation, insbesondere Berufstätigkeit
und ökonomische Unabhängigkeit, führt. Gerade für moderne,
gebildete Frauen dürfte deshalb die Gründung einer größeren
Familie heute keine ernsthafte Option mehr sein, was sich auch empirisch belegen
läßt. Ein Ergebnis des Kapitels ist: Es existiert zur Zeit kein befriedigendes
Familienmodell für größere Familien unter den Rahmenbedingungen
der Geschlechtergleichberechtigung. Allerdings wird das vorliegende Buch ein solches
vorschlagen. (Ebd., S. viii-ix).
Das Kapitel »Reproduktion«
wendet sich weiter der Individualisierungsthese und dem Verhältnis
von Individual- und Kollektivaufgaben zu. (**|**).
Es zeigt auf, daß Individualisierungsprozesse fast immer mit einer
gleichzeitigen Institutionalisierung einhergehen, in deren Rahmen kollektive
Aufgaben zum Teil oder in Gänze an Dritte verlagert werden. Dieser
Schritt ist aber im Rahmen der weiblichen Emanzipation und der sie begleitenden
Individualisierung auf Seiten der Frauen bislang unterblieben. Statt dessen
wurde die Reproduktionsorganisation des Patriarchats im wesentlichen unverändert
beibehalten. In modernen Gesellschaften ist die Wirtschaft (Produktion)
meist marktwirtschaftlich organisiert, die gesellschaftliche Reproduktion
dagegen sozialistisch. Oder anders ausgedrückt: Aufwendungen beim
Aufziehen von Nachkommen sind individuell zu erbringen, der Nutzen aus
dieser Tätigkeit wird dann aber sozialisiert, weswegen es innerhalb
der gesellschaftlichen Reproduktion unter den Rahmenbedingungen der Geschlechtergleichberechtigung
und der freien Wahlmöglichkeit von Frauen zwischen produktiven und
reproduktiven Tätigkeiten zwangsläufig zur »Tragik
der Allmende« kommen wird, und dies um so mehr, als die in der
Reproduktion eingesparten zeitlichen Aufwände auch noch gewinnbringend
beruflich eingesetzt werden können, was wiederum gut ausgebildeten
und beruflich qualifizierten Frauen und Männern besonders gut gelingen
dürfte. (Ebd., S. ix).
Ein
weiteres Resultat des vorliegenden Buches ist deshalb: Die Gleichberechtigung
der Geschlechter macht eine völlige Neuorganisation der gesellschaftlichen
Reproduktion erforderlich. (Ebd., S. ix).Zwar sind patriarchalische
Gesellschaften mit der aktuellen Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion
kompatibel, nicht jedoch Marktwirtschaften, die von einer Gleichberechtigung der
Geschlechter ausgehen. In diesem Fall dürfte es notwendig werden, die marktwirtschaftliche
Organisation der Produktion (Wirtschaft) auf die gesellschaftliche Reproduktion
auszuweiten. (Es ist ja keineswegs so, daß die Gesellschaft all dies nicht
wüßte). Dies hätte dann insbesondere die Professionalisierbarkeit
von Familienarbeit mit eigenen Kindern zur Folge. (So naheliegend und banal diese
Aussage letztendlich ist, so sehr stellt sie gleichzeitig einen Tabubruch in unserer
Gesellschaft dar). Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf werden das Problem dagegen nicht lösen können, da es einen
anderen Hintergrund hat. Wird der aktuelle Zustand der unterschiedlichen und vor
allem inkompatiblen Organisationsweisen von Wirtschaft und Reproduktion beibehalten,
wird es zwangsläufig zu einer Plünderung des Humanvermögens kommen.
Der langfristige Zusammenbruch unserer Gesellschaft wäre dann unvermeidlich.
(Ebd., S. x).Im Prinzip wird hier behauptet, die aktuelle Organisation
der gesellschaftlichen Reproduktion bewirke in Marktwirtschaften unter der Voraussetzung
der Gleichberechtigung der Geschlechter eine Brasilianisierung der Gesellschaft
von innen heraus. Dies ist vergleichbar mit der Behauptung, die Menschheit selbst
verursache die globale Erwärmung. In beiden Fällen ist in erster Linie
die nächste Generation betroffen, es geht also letztendlich um Fragen der
Generationengerechtigkeit.
Beide Behauptungen lassen sich durch empirische Daten sehr weit bestätigen,
obwohl es natürlich jeweils noch Unsicherheiten gibt, was Kritiker veranlassen
könnte, die Hypothesen zurückzuweisen. Es sollte dann allerdings die
Frage erlaubt sein: »Und was ist, wenn die Behauptungen doch zutreffend
sind, und man nicht reagiert, obwohl es noch möglich wäre?«
(Ebd., S. x-xi).Als Gegenmaßnahme für die erkannte Fehlsteuerung
wird im Laufe des Buches zunächst einmal vorgeschlagen, die Nachwuchsarbeit
(ähnlich wie zur Zeit bereits Altersversorgung und Schulbildung) als gesellschaftliche
Kollektivaufgabe zu verstehen, die prinzipiell von allen Bürgern anteilsmäßig
in direkter oder indirekter Form zu erbringen ist. Ferner wird angesichts einer
Erdbevölkerung von ca. 6,7 Milliarden Menschen den Bürgern empfohlen,
sich in Zukunft nicht mehr zu vermehren, sondern bestenfalls zu ersetzen, und
zwar ganz besonders dann, wenn die Versorgung des eigenen Nachwuchses nicht selbst
erwirtschaftet werden kann. Eine solche Regelung sollte zwar nicht mit Zwangsmitteln
durchgesetzt, jedoch als anzustrebende Norm klar kommuniziert werden. Als Grundlage
für ein zukunftstaugliches Fortpflanzungsverhalten wird deshalb die folgende
Handlungsmaxime und modifizierte verantwortete Elternschaft vorgeschlagen: | Jedem
steht es in unserer Gesellschaft frei, Kinder in die Welt zu setzen. Doch bitte
beachten Sie: .... Ein unkontrollierter Bevölkerungszuwachs sollte ... unbedingt
vermieden werden. Beschränken Sie sich nach Möglichkeit auf maximal
zwei Kinder pro Paar. Der Staat wird Maßnahmen ergreifen und fördern,
die für eine möglichst optimale Vereinbarkeit einer kleineren Familie
mit bis zu zwei Kindern mit einem Beruf und für einen relativ fairen Familienlastenausgleich
sorgen werden. | | Allerdings
ist die Gesellschaft auf eine insgesamt bestandserhaltende Reproduktion angewiesen.
Wenn viele Menschen kinderlos bleiben, kann eine solche nicht gewährleistet
werden. Deshalb ist es in unserer Gesellschaft zusätzlich Ihre Aufgabe, als
Paar zwei Kinder aufzuziehen, als Einzelperson ein Kind. Damit leisten Sie Ihren
Beitrag zu einer bestandserhaltenden gesellschaftlichen Reproduktion. Sie müssen
das aber nicht selbst tun, sondern Sie können die Aufgabe zum Teil oder in
Gänze anderen Fachleuten überlassen. Dafür müssen Sie dann
aber regelmäßig einen bestimmten Betrag abführen, damit diese
das auch in der entsprechenden Qualität für Sie tun können. | In
einem zweiten Schritt wird sodann vorgeschlagen, die marktwirtschaftliche Organisation
der Produktion in Teilen auf die Reproduktion zu übertragen. (Ebd.,
S. xi-xii).Damit eine Gesellschaft auch in der Zukunft noch weiter
existieren kann und das Prinzip der Generationengerechtigkeit
eingehalten wird, bedarf es einer nachhaltigen Bevölkerungsentwicklung, mit
anderen Worten, einer sowohl quantitativ als auch qualitativ bestandserhaltenden
Reproduktion. Deshalb muß jeder Bürger für einen Nachfolger seiner
eigenen Person sorgen, entweder durch direktes Aufziehen eines Kindes oder alternativ
dazu durch Abführen von Unterhalt. Gemäß Kapitel »Was
tun?« würden mit diesen Zahlungen dann professionelle und
entsprechend gut ausgebildete, staatlich angestellte Familienfrauen oder auch
-männer, so genannte Familienmanager/innen, finanziert, die für das
Aufziehen ihrer Kinder vergütet werden. Der Staat übernähme dabei
die Kapazitätsplanung. Über die Zahl der beschäftigten Familienmanager/innen
könnte er die Bevölkerungsentwicklung in ganz engen Grenzen halten.
Werden mehr Kinder in herkömmlichen Partnerschaften geboren, dann sänken
die Einnahmen aus den Unterhaltszahlungen und es würden weniger Familienmanager/innen
neu eingestellt. Sänke die Zahl der in herkömmlichen Partnerschaften
geborenen Kinder, dann würde die Entwicklung genau anders herum sein. Die
Familienmanager/innen würden somit für einen automatischen Ausgleich
zu niedriger Fertilitätsraten sorgen. Gleichzeitig würde ihre hohe Qualifikation
zu einer Anhebung der Geburtenzahlen in Familien mit hohem Bildungsniveau führen.
(Ebd., S. xii).Bei dem gerade Gesagten handelt es sich um eine
völlige Neudefinition der gesellschaftlichen Nachwuchsarbeit, und zwar weg
vom Prinzip »jeder macht es so, wie er lustig ist« hin zu einer planerischen
und menschenwürdigen Vorgehensweise, die den begrenzten Ressourcen dieser
Erde gerecht wird. Moderne Gesellschaften könnten dann sogar - wie das Kapitel
»Bevölkerungsplanung«
zeigen wird - die eigene Bevölkerungsentwicklung beherrschen, ohne dabei
in Persönlichkeitsrechte eingreifen zu müssen. In der Folge wären
dann globale Bevölkerungskonferenzen vorstellbar, in denen Nationalstaaten
- um die Tragfähigkeit der Erde besorgt - ihre jeweiligen zukünftigen
Bevölkerungsentwicklungen untereinander abstimmten. (Ebd., S. xii).Leider
spielen reproduktive gesellschaftliche Prozesse in den Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften
so gut wie keine Rolle. Meist beschränkt man sich in diesem Zusammenhang
auf familiensoziologische und demographische Fragestellungen. Damit wird man aber
der Mächtigkeit der gesellschaftlichen Reproduktion nicht gerecht. Selbst
Themen wie Generationengerechtigkeit
sind ohne die Berücksichtigung reproduktiver Prozesse kaum ernsthaft zu behandeln.
Und auch die Evolutionstheorie macht unmißverständlich klar, daß
die großen Veränderungen in der Natur reproduktiv erfolgen. (Ebd.,
S. xii-xiii).Eine weitere Kernaussage des vorliegenden Buches ist
deshalb: Es fehlt eine Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion. (Ebd.,
S. xiii).Ich gebe zu, dies ist ein komplexes Thema, da eine solche
Disziplin ja generationenübergreifende Gesichtspunkte behandeln müßte,
die ganz leicht den eigenen Erfahrungshorizont sprengen können. Auch ist
die gesellschaftliche Reproduktion letztendlich eine Transformation der Bevölkerung
auf sich selbst und damit eine Operation von hoher Abstraktheit. Ferner würden
viele Fragestellungen vor allem Rechte von Menschen tangieren, die zur Zeit noch
nicht geboren sind, folglich auch kein Stimmrecht haben. Auf der anderen Seite
erkennen wir aber auch zunehmend in vielen anderen Wissenschaftsdisziplinen, daß
sich die Menschheit solchen Themen endlich zuwenden muß .... (Ebd.,
S. xiii).Das vorliegende Buch versucht, zu einer solchen Theorie
einen Beitrag zu leisten. Durch die Verbindung von Erkenntnissen aus Soziologie,
Evolutionsbiologie, Soziobiologie, Anthropologie, Ökonomie, Politologie und
Demographie gelingt es unter anderem, das Problem des demographischen Wandels
in einem ganz neuen Licht darzustellen. (Ebd., S. xiii).Einige
der auf den nächsten Seiten präsentierten und in diesem Vorwort stark
verdichteten Befunde zum Zustand unserer Gesellschaft sind so schwerwiegend (einem
Unternehmen mit vergleichbaren Organisationsmängeln wi!rde man den Rat erteilen,
den Geschäftsbetrieb zwecks Vermeidung weiterer Verluste baldmöglichst
einzustellen), daß es mir nicht immer leicht fiel, sie zu Papier zu bringen.
Manche Formulierungen mögen respektlos klingen (womit ich natürlich
vielen die Gelegenheit gebe, einzelne Sätze aus dem Zusammenhang zu reißen
und auf dieser Basis dann weite Teile des Buches zu kritisieren), allerdings möchte
ich auch ein wenig wachrütteln, denn die Sorge ist groß. Viel Zeit
bleibt uns nicht mehr. (Ebd., S. xiii).Überalterung
und Unterjüngung, Kinderlosigkeit, Armut unter Kindern, Langzeitarbeitslosigkeit,
Herausbildung einer »Unterschicht«, Gewalt an Schulen, schlechte PISA-Resultate,
vernachlässigte Kinder, Staatsverschuldung, Abbau des Sozialstaates, Verlust
an Kultur und vieles andere mehr dürften alle eine gemeinsame Ursache haben
und letztendlich nur Ausprägungen ein und desselben Problems sein. Folgt
ein Entwicklungsland in seinen reproduktiven Verhalten dem Prinzip der natürlichen
Selektion, dann hat es Chancen, sich zu evolvieren und ein »entwickeltes«
Land zu werden. Widerspricht ein entwickeltes Land in seinem Reproduktionsverhalten
der natürlichen Selektion, dann hat es gute Chancen, zu »brasilianisieren«
und ein Entwicklungsland zu werden. Die jeweiligen Prozesse dürften dabei
aber so langsam voranschreiten, daß sie kaum als solche wahrgenommen werden.
Die Evolutionsprinzipien beschreiben, wie auf der Erde aus Chaos Ordnung entsteht.
Ändert man deren Richtung, dann dürfte Ordnung wieder in Chaos übergehen,
und es werden sich ähnliche Effekte zeigen wie diejenigen, die gerade beschrieben
wurden. Strak vereinfachend könnte man in diesem Sinne sagen: Hartz IV ist
eine Begleiterscheinung des demographischen Wandels. Weitere Symptome dieser Art
werden folgen. (Ebd., S. xiii-xiv).Unsere Gesellschaft definiert
sich überwiegend über die Wirtschaft: wenn es der Wirtschaft gut geht,
dann geht es uns allen gut. Bislang sahen das nur die Männer so, seit wenigen
Jahrzehnten nun auch die Frauen. Das vorliegende Buch zeigt aber unmißverständlich:
dies ist ein Irrtum. Die Bevölkerung ist das Fundament, nicht die Wirtschaft.
Wenn die wichtigste Ressource in modemen Wissensgesellschaften das Humankapital
ist, also die Kompetenzen und das Wissen der Menschen und damit diese selbst,
dann ist der Zustand der Bevölkerung von größerer Bedeutung als
der der Wirtschaft. (Ebd., S. xiv). Zahlreiche
Themen sind ... komplett tabuisiert. Die Gesellschaftswissenschaften haben sich
sogar ihr eigenes Denkgebäude mit Tabus zugezimmert. Was früher die
römsiche Inquisition war, leistet die Wissenschaft vielerorts nun selbst.
(Ebd., S. xv-xvi).
1) Bevölkerungsschrumpfung
1.2) Der demographische Wandel
Die fortgeschrittenen Industrienationen
befinden sich auf dem Weg hin zu Wissensgesellschaften: Nicht mehr die Ressourcen
Arbeit, Kapital und Rohstoffe (Boden; HB) spielen
die entscheidende Rolle, sondern die geistigen Fähigkeiten und das tehoretische
Wissen ihrer Menschen. (Ebd., S. 4).Gleichzeitig entwickeln
diese Staaten ein demographisches Problem: Die Lebenserwartung steigt, während
die Geburtenrate sinkt. (Ebd., S. 4).Die fortgeschrittenen
Industrienationen befinden sich mehrheitlich im demographischen Wandel,
dere sich allgemein in drei unabhängigen Teiaspekten ausdrückt: | Es
werden zu wenige Kinder geboren oder etwas präziser ausgedrückt:
die gesellschaftliche Reproduktion ist insgesamt mengenmäßig nicht
bestandserhaltend. (Fertiltätsrate < 2,1). Analysen zeigen: Der Geburtenrückgang
in Deutschland ist wie auch in den USA und in den übrigen europäischen
Ländern einschließlich der Länder Nordeuropas Ergebnis des zunehmenden
Verschwindens der Mehrkindfamilie mit drei oder mehr Kindern. (Vgl. Hans Bertram
/ W. Rösler / N. Ehlert, Nachhaltige Familienpolitik, 2005, S. 10)
und wenier das Resultat einer zunehmenden Kinderlosigkeit. | | In
sozial schwachen beziehungsweise bildungsfernen Schichten werden mehr Kinder geboren
als in Schichten mit hohem sozioökonomischen Status beziehungsweise Bildungsniveau.
Wissenschaftlich ausgedrückt: Es besteht ein negativer Zusammenhang zwischen
Kinderzahl und sozialer Position beziehungsweise Bildungsniveau. Dieser Zusammenhang
besteht in analoger Weise auch länderübergreifend und nennt sich dann
demographisch-ökonomisches
Paradoxon (vgl. Herwig Birg,
Strategische Optionen der Familien- und Migrationspolitik in Deutschland und
Europa [**],
in: Christian Leipert
[Hrsg.], Demographie und Wohlstand, 2003, S. 30 [**]).
Mit anderen Worten: In reichen und entwickelten Ländern werden pro Frau viel
weniger Kinder geboren als in armen, unterentwickelten Ländern. Auch bei
dieser Erscheinung könnet man von einer fehlenden Bestandserhaltung sprechen,
diesmal aber nicht bezüglich der Zahl an Menschen, sondern der Kompetenzen
und Qualifikationen. (Ebd., S. 4-5). |
1.3) Fertiltitätstheorien
Demographen, Ökonomen
und Sozialwissenschaftler machen sich ... Gedanken darüber, wie das weltweit
und auch historisch sehr unterschiedliche Fortpflanzungsverhalten der Menschheit
zu erklären ist. (Ebd., S. 6).Die
ökonomische Theorie der Fertilität (vgl. Paul B. Hill / Johannes Kopp,
Familiensoziologie, 2002, S. 198ff.) von Harvey Leibenstein und Gary S.
Becker
gilt als eines der überzeugendsten theoretischen Modelle, um das global sehr
unterschiedliche Fertilitätsverhlaten von Bevölkerungen zu erklären.
Insbesondere die sehr niedrigen Fertilitätsraten in den entwickelten Staaten
ließen sich mit älteren Theorien nicht in Einklang bringen. (Ebd.,
S. 6).Gemäß der ökonomischen
Theorie lassen sich drei verschiedene Nutzenarten für Kinder unterscheiden
(vgl. Thomas Klein, Sozialstrukturanalyse, 2005, S. 81): | Konsumnutzen | | Einkommensnutzen | | Sicherheitsnutzen | Diesen
Nutzenarten stehen zwei Kostenarten gegenüber: | Opportunitätskosten | | Dierekte
Kosten | Wägt man die verschiedenen Nutzen-
und Kostenarten gegeneinander ab, dann läßt sich feststellen: -
Kinder haben einen Konsumnutzen (mehr
als früher! HB) ... -
Kinder haben einen vergleichsweise geringen Einkommensnutzen (geringer
als früher! HB) ... -
Kinder haben keinen Sicherheitsnutzen (sehr
viel anders als früher [denn früher war er sehr hoch]! HB)
... -
Kinder sind mit hohen Opportunitätskosten verbunden (höher
als früher! HB) ... -
Kinder kosten Geld (mehr als früher! HB)
... | Fazit: Einzig der Konsumnutzen kann heute Kinder
noch ausreichend rechtfertigen. Dieser reicht aber bei den meisten Personen nicht
aus, um große Familienstärken zu bewirken. (Ebd., S. 7-10).Die
sozialpsychologische Theorie der Fertilität benutzt zwar eine etwas andere
Terminologie als die ökonomische Fertilitätstheorie, ist aber konzeptionell
mit ihr weitestgehend deckungsgleich. Sie entspringt im Gegensatz zur ökonomischen
Theorie eher sozialpsychologsichen Forschungsarbeiten. Als Nutzen für Kinder
stellt sie heraus: | materieller
Nutzen | | psychologischer
Nutzen | | sozial-normativer
Nutzen (zum Beispiel Statusgewinn durch Kinder, Vererbunbg des Familienanmens).
(Ebd., S. 13). |
Bei
der biographischen Fertilitätstheorie (vgl. Herwig, Birg / Ernst-Jürgen
Flöthmann / Iris Reiter, Biographische Theorie der demographischen Reproduktion,
1991) handelt es sich um die demographische Entsprechung der Individualisierungsthese
(vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft, 1986). Sie argumentiert ökonomisch,
konzentriert sich aber kostenseitig auf die biographischen Opportunitätskosten
der Familiengründung und klammert Nutzenaspekte und dierekte Kosten weitestgehend
aus. ([**|**|**]).
(Ebd., S. 13-14).Kernausassagen der Theorie sind (vgl. Herwig,
Birg / Ernst-Jürgen Flöthmann / Iris Reiter, Biographische Theorie
der demographischen Reproduktion, 1991): |
Die Größe
des biographischen Universums nimmt durch den Wegfall sozialer,
normativer und ökonomischer Beschränkungen permanent zu. |
| Je
größer das biographische Universum ist bzw. je vielfältiger die
Optionen für eine Biographie sind, desto größer ist die Zahl der
Alternativen, die mit einer biographischen Festlegung aus dem Möglichkeitsspielraum
ausscheiden. | | Bei
einer Expansion des biographischen Möglichkeitsspielraums steigt das Risiko
einer biographischen Festlegung. | | In
Gesellschaften mit Konkurrenzprinzip im Individualverhalten ist das Risiko biographischer
Festlegungen in der Familienbiographie größer als das Risiko von Festlegungen
in der Ausbildungs- und Erwerbsbiographie. | | Das
Risiko familialer Festlegungen läßt sich aufschieben oder vermeiden. | | Schlußfolgerung:
Die Wahrscheinlichkeit der demographisch relevanten biographischen Festlegungen
nimmt ab. |
Dies bedeutet: Durch die zunehmende Individualisierung (vgl. Ulrich Beck,
Risikogesellschaft, 1986) steigt die Anzahl der Lebenslaufalternativen
für eine konkrete Person. Bei einer Familiengründung erfolgt
aber eine sehr große biographische Festlegung für einen längeren
Zeitraum, und folglich scheiden sehr viele Lebenslaufalternativen aus
dem sogenannten biographischen Universum aus. Dies macht es wahrscheinlicher,
daß eine solche Festlegung zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht erfolgt,
zumal familiale Entscheidungen größere Risiken bergen können
als Ausbildungs- und Karriereentscheidungen. Die Konsequenz ist, daß
die Entscheidung für eine Familiengründung immer später
oder gegebenfalls gar nicht mehr getroffen wird. (Ebd., S. 13-14).
Die
biographische Fertilitätstheorie gilt allgemein als eine der schlüssigsten
Thesen für die Erklärung der niedrigen Fertilitätsraten in entwickelten
Gesellschaften. Denn immerhin konnten einzelne Folgerungen der Theorie empirisch
bestätigt werden. (Vgl. Herwig Birg,
Strategische Optionen der Familien- und Migrationspolitik in Deutschland und
Europa [**],
in: Christian Leipert
[Hrsg.], Demographie und Wohlstand, 2003, S. 27-56 [**]).
(Ebd., S. 14-15).
Einen zusätzlichen Gesichtspunkt liefert
die sogenannte verantwortete Elternschaft, die eine Familiengründung
davon abhängig macht, daß ein Wohlergehen des Kindes in vieler
Hinsicht verantwortet werden kann. Gesellschaftlich niedrige Fertilitätsraten
können deshalb paradoxerweise auch Ausdruck einer hohen Wertschätzung
von Kindern sein. (Ebd., S. 15).
Die Theorie ist bezüglich
der ökonomischen Aspekte kongruent mit der ökonomischen Theorie der
Fertilität, berücksichtigt darüber hinaus aber auch psychologische
oder soziologische Aspekte. (Ebd., S. 15).
1.5) Warum sich die demographische Krise verschärft
Nehmen wir einmal an, eine demographische Analyse sei zu dem Ergebnis
gekommen, die meisten Nachhaltigkeitsanforderungen ließen sich mit
1,1 Millionen jährlichen Geburten erfüllen. (Diese Zahl ist
willkürlich gewählt und stellt keine persönliche Empfehlung
dar). Unter anderem hätte die Untersuchung ergeben, daß damit
sowohl der prognostizierte Humankapitalbedarf der Wirtschaft abgedeckt
als auch der zukünftigen Generation nicht zu hohe Pro-Kopf-Belastungen
etwa bei der Altenpflege oder der Unterstützung von Rentnern und
anderen Leistungsempfängern beziehungsweise Hilfsbedürftige
aufgebürdet würden. Bei einer Jahrgangsstärke von 1,2 Millionen
Menschen hätte dies für die daran beteiligten 600000 Frauen
eine Ziel-Fertilitätsrate von 1,83 zur Folge (wobei einfachheitshalber
eine vernachlässigbare Sterblichkeit in jungen Jahren angenommen
wird). Bei Jahrgangsstärken von 1 Million bzw. 700000 (in Deutschland
wurden in 2005 nur noch 686000 Kinder geboren) ergeben sich demgegenüber
Fertilitätsraten von 2,2 bzw. 3,14 (siehe Abbildung).
Dies sind in beiden Fällen Werte, die auch bei sehr optimistischer
Betrachtung unter den aktuellen Rahmenbedingungen als unrealistisch angenommen
werden müssen. Hinzu kommt, daß auf schrumpfende Jahrgänge
mehr Arbeit und höhere Belastungen zukommen werden, so daß
eher weitersinkende Fertilitätsraten angenommen werden müssen.
Jahrgangsstärke | Gebärfähige
Frauen | Ziel-Fertilitätsrate | 1
200 000 | 600
000 | 1,83 | 1
000 000 | 500
000 | 2,20 |
700 000 | 350
000 | 3,14 |
Abbildung
1) Ziel-Fertilitätsraten bei unterschiedlichen Jahrgangsstärken (**)
(**) | Bliebe
die Fertilitätsrate dagegen bei ungefähr 1,4, so würden (wie die
folgende Abbildung
zeigt) 600000 Frauen nur noch 840000 Kinder zur Welt bringen, 350000 Frauen sogar
nur noch 490000. Davon wäre natürlich nur die Hälfte weiblich,
was die Zahl der gebärfähigen Frauen mit der Zeit weiter reduzieren
würde.Jahrgangsstärke | Gebärfähige
Frauen | Geburten | 1
200 000 | 600
000 | 840 000 | 1
000 000 | 500
000 | 700 000 |
700 000 | 350
000 | 490 000 |
Abbildung
2) Geburten bei Fertilitätsrate 1,4 (**)
(**) | Will
man die Langzeitfolgen dieser Entwicklung abmildern, wird dies aus ökonomischen
Gründen eine Spezialisierung im Rahemn der Reproduktion zur Folge haben müssen,
das heißt, weniger Frauen müssen durchschnittlich mehr Kinder in die
Welt setzen und aufziehen beziehungsweise aufziehen lassen (**).
Oder anders ausgedrückt: Mehr Frauen müssen sich ganz ausschließlich
auf die gesellschaftliche Reproduktion konzentrieren. Dies hätte zwangsläufig
eine Rückkehr der Mehrkindfamilie zur Folge. (Ebd., S. 20-22).Seit
Jahren steigt der Anteil der Studierenden, von denen mindestens ein Elternteil
einen Hochschulanschluß besitzt, in Deutschland kontinuierlich an (vgl.
E. Schnitzer / W. Isserstedt / E. Middendorff, Die wirtschaftliche und soziale
Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 119), siehe
die folgende Abbildung.
Anders als von einigen Autoren behauptet (Ralph Bollmann, 2006, Lob des Imperiums
- Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens, S. 84), ist die relative
Geburtenschwäche der Akademiker eben gerade nicht die Chance für Kinder
aus sozial schwachen Schichten. (Ebd., S. 22).Jahr | Studierende
mit mindestens einem Elternteil mit Hochschulabschluß | 1985 | 29
% | 1988 | 25
% | 1991 | 37
% | 1994 | 36
% | 1997 | 39
% | 2000 | 44
% |
Abbildung
3) Höchster Bildungsabschluß der Eltern von Studierenden |
2) Evolution
2.1) Leben und Energie
Grundlage jeglichen Lebens
auf der Erde ist. die die Erdoberfläche erreichende Sonnenenergie, denn Lebewesen
benötigen vor allem Energie. (Ebd., S. 23).Die
Sonne liefert pro Jahr eine Energiemenge von etwa 3,9 Yottajoule auf die Erdoberfläche,
das sind 3,9 Millionen Exajoule, wobei ein Exajoule wiederum einer Milliarde Gigajoule
entspricht, und bei einem Gigajoule selbst handelt es sich um eine Milliarde Joule.
Um ein Gefühl für die Größenordnungen zu bekommen: Ein Mensch
benötigt pro Tag ca. 2000 Kcal an Nahrungsenergie. (**).
Umgerechnet in Joule (1 cal = 4,18 Joule) und Jahr entspricht dies einem Energiebedarf
von ca. 3 Gigajoule pro Jahr. Die gesamte Menschheit von zur Zeit etwa 6,7 Milliarden
Menschen hat demzufolge einen jährlichen Nahrungsenergiebedarf von ca. 20
Exajoule. Gemäß den folgenden Ausführungen handelt es sich bei
Nahrungsenergie letztendlich um Sonnenenergie. (Ebd., S. 23).
Allerdings
stehen heute hinter jeder Kalorie, die wir als Lebensmittel zu uns nehmen. bis
zu zehn Kalorien fossiler Energie, die für Kunstdünger, Landwirtschaftsmaschinen,
Kühlung, Verarbeitung, Transport u.s.w. aufgebracht werden müssen. (Vgl.
Franz Josef Radermacher / Bert Beyers, Welt mit Zukunft - Überleben im
21. Jahrhundert, 2007, S. 64). (Ebd., S. 23). Zusatz-Info: Kcal = Kilokalorie;
1 cal = 4,187 J bzw. 1 J = 0,239 cal; J ist die SI-Einheit der Energie, benannt
nach dem englischen Physiker James Prescott Joule (1818-1889). (Ebd., S.
23). |
Die
Evolution des Lebens auf der Erde könnte auch als eine Evolution der Nutzung
von Energie verstanden werden. Pflanzen nehmen Sonnenenergie über die Photosynthese
direkt auf, und speichern sie für sonnenarme Zeiten in Form von Stärke
beziehungsweise teilweise auch als Fett ab. Sie kommen deshalb ohne Fortbewegung
aus. Die Photosynthese der Pflanzen ist die auf der Erde am weitesten verbreitete
Nutzung von Sonnenenergie. Daneben gewinnen auch einige Bakterien ihre Energie
direkt aus dem Sonnenlicht. (Ebd., S. 23).Tiere nutzen Sonnenenergie
indirekt, zum Beispiel durch Verzehr der in Pflanzen gespeicherten Energie. Man
nennt sie dann Pflanzenfresser (Herbivoren). Dafür müssen sie
sich allerdings von Pflanze zu Pflanze fortbewegen. Über den Verzehr von
Pflanzen kann mehr Energie pro Zeiteinheit aufgenommen werden als über eine
direkte Nutzung von Sonnenergie. Die Evolution der Tiere ging folglich mit einer
Steigerung der Energieeffizienz einher. Tiere speichern den größten
Teil ihrer Energiereserven als Fett ab. Ein Grund dafür ist die hohe Energiedichte
von Fett (900 Kcal pro 100 g). Ein Tier kann dann im Vergleich zu anderen Energieträgern
mehr Energie pro kg zusätzlichem Körpergewicht mit sich herumtragen.
Viele Pflanzenfresser sind den ganzen Tag mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt.
Elefanten nehmen beispielsweise täglich etwa 200 Kilogramm Nahrung beziehungsweise
250000 Kcal zu sich, wofür sie allein 17 Stunden benötigen. Sie fressen
vor allem Gras, aber auch Früchte, Wurzeln, Zweige und Rinde. Daneben trinken
sie 70 bis 150 Liter Wasser am Tag. (Ebd., S. 23-24).Tierisches
Gewebe besitzt in der Regel eine höhere Energiedichte als pflanzliches. Die
Evolution der Fleischfresser (Carnivoren) bedeutete deshalb eine weitere
Steigerung der Energieeffizienz. Anders als viele Pflanzenfresser können
sich Fleischfresser bei der Nahrungsaufnahme meist auf wenige Stunden pro Tag
beschränken. Allerdings ist ihre Nahrungsbeschaffung im Gegenzug mit einem
höheren Energieaufwand verbunden. Deshalb können Fleischfresser nicht
die maximale Größe von Pflanzenfressern erreichen und diese wiederum
nicht die maximale Größe von Pflanzen. (Verdoppelt man den Durchmesser
einer Kugel, so verachtfacht sich ihr Volumen. Ein nach allen Seiten doppelt so
großer Löwe wäre also 8-mal so schwer. Er müßte dann
nicht nur überall wesentlich stabiler konstruiert sein, sondern würde
bei Beschleunigungen auch viel mehr Energie verbrauchen.). (Ebd., S. 24).Der
moderne Mensch ist wie die meisten anderen Primaten ein Allesfresser (Omnivore),
er kann also sowohl Pflanzen als auch tierische Produkte verdauen. Allerdings
ist die Vergrößerung des menschlichen Gehirnvolumens in der Altsteinzeit
ohne den enormen Fleischkonsum unserer Vorfahren nicht erklärbar. (Vgl. Josef
H. Reichholf, Das Rätsel der Menschwerdung - Die Entstehung des Menschen
im Wechselspiel mit der Natur, 1990, S. 115ff.; Peter Mersch, Migräne,
2006, S. 40ff.). (Ebd., S. 24).In der Natur geht es also
in erster Linie um Energie. Da nicht nur die Sonnenenergie, sondern auch Lebewesen
selbst Energie darstellen, heißt das Prinzip »fressen oder gefressen
werden«, wobei die relative Position in der Nahrungskette (Energiekette)
von entscheidender Bedeutung ist. Lebewesen, die gezielt auf die Jagd nach Energie
in anderen Lebewesen gehen, nennt man deren natürliche Feinde, sie nehmen
somit in der Nahrungskette einen höheren Rang ein als ihre Nahrung.
(Ebd., S. 24).Innerhalb der Nahrungskette existieren noch so genannte
Destruenten, die abgestorbene Pflanzen und tote Tiere zersetzen und Böden
wieder mit zusätzlichen Mineralstoffen anreichern. (Ebd., S. 25).Der
Mensch hat die Energieeffizienz nochmals und auf vielfältige Weise gesteigert.
Zunächst trat er aufgrund seiner intelligenten Jagdstrategien und der Erfindung
von Waffen und des Feuers als das gefährlichste Raubtier aller Zeiten auf.
Dabei konzentrierte er sich über weite Strecken sogar darauf, die größten
Pflanzenfresser (zum Beispiel Mammuts) zu jagen, die davor noch keine natürlichen
Feinde besaßen. Auf diese Weise konnte er den Zeitaufwand für die Nahrungssuche
und -aufnahme drastisch reduzieren. Die freigewordene Zeit stand nun für
die Weiterentwicklung von Waffen, die Verfeinerung der Kommunikation, aber insbesondere
auch die Verbesserung der Brutpflege zur Verfügung. Dies erlaubte es dem
Menschen, sich sukzessive auf der Erde auszubreiten. (Ebd., S. 25).Mit
der Beherrschung des Feuers und dem Erfinden des Kochens gelang dem Menschen eine
weitere Steigerung der Energieeffizienz, da nun die Nahrung zum Teil bereits außerhalb
der eigenen Verdauungsorgane aufgeschlüsselt werden konnte. Dazu war allerdings
eine separate Energiequelle (Holz) erforderlich, eine Innovation von geradezu
historischer Tragweite, gelang es doch damit einem Lebewesen zum ersten Mal, eine
zusätzliche Energiequelle gezielt für die eigenen Zwecke einzusetzen.
Heute verbraucht der durchschnittliche US-Amerikaner mehr als 100-mal soviel Energie
für andere Belange, wie für die Versorgung des eigenen Körpers.
(Ebd., S. 25).Als die Bevölkerungszahlen stiegen, die Nahrungsversorgung
aufgrund der begrenzten Ressourcen aber immer schwieriger wurde, erfand der Mensch
vor ca. 10 000 Jahren Ackerbau und Viehzucht. Mit dieser, als neolithische
Revolution bezeichneten Innovation, begann der Mensch, sich quasi aus der Natur
herauszulösen und sich seine eigene Natur zu schaffen .... Sich seine eigene
Natur zu schaffen, hat einige offenkundige Nachteile: Man muß unter anderem
durch eigene Arbeit für all das sorgen, wofür die Natur normalerweise
ganz automatisch sorgt. Die paradiesischen Verhältnisse der Altsteinzeit,
als der Mensch nur nach den Früchten der Natur zu greifen brauchte, waren
also vorbei. (Ebd., S. 25).Doch gleichzeitig gab es einige
entscheidende Vorteile, die die Nachteile des harten Arbeitens mehr als aufwogen.
Dazu zählten die stärkere Unabhängigkeit gegenüber den Launen
der Natur und die Erhöhung der Erträge pro Quadratkilometer Boden. Allerdings
erfolgte der Wandel vom Jagen und Sammeln hin zu Ackerbau und Viehzucht weniger
aus strategischen Überlegungen heraus, sondern in erster Linie aus reiner
Not.»Als
das Zeitalter des Paläolithikums (Altsteinzeit) sich seinem Ende näherte,
in der mesolithischen Periode (mittlere Steinzeit: vor 20000 bis 10000 Jahren),
kam es in Europa. Nordamerika und Asien auf breiter Front zu einem Aussterben
der großen Säugetiere. Das fiel zusammen mit einer grundlegend veränderten
Nutzung der Umwelt sowie anderer Nahrungsquellen durch die Jäger und Sammler.
Überall auf der Welt begannen die Menschen ausgedehnter zu jagen und zu sammeln;
so wurden alle Nischen ihrer Umwelt besser genutzt. .... Zum
ersten Mal tauchen vor 15000 Jahren im Nahen Osten Mahlsteine und grobe Mörser
unter den archäologischen Funden auf sie weisen auf den Beginn der Nutzung
von Getreide durch den Menschen hin. ....Als
... vor 10000 Jahren die Bevölkerungszahlen zunahmen und große Pflanzenfresser
entweder ausgerottet oder sehr selten geworden waren, mußte die Menschheit
zunehmend häufiger auf kleine Säugetiere, Fisch, Geflügel und gesammeltes
Pflanzenmaterial zurückgreifen, um ihren Kalorienbedarf zu decken. Schrittweise,
je mehr sich auch diese Ressourcen zu erschöpfen drohten, wurde angesichts
wachsender Bevölkerungszahlen der Ackerbau zum vorherrschenden Lebensstil
und das Getreide zum bestimmenden Kalorien- und Proteinlieferanten in vielen,
wenn auch nicht in allen prähistorischen Kulturen.« (Loren Cordain,
2004, S. 5f.). | Die Revolution bei der Nahrungsbeschaffung
hatte einige unmittelbare Konsequenzen (vgl. Thomas Junker, Die Evolution des
Menschen, 2006, S. 107ff.; Jared Diamond, Der dritte Schimpanse, 2006,
S. 232ff.; Loren Cordain, 2004): | Ausdifferenzierung
der Arbeitsteilung: Gab es vorher im wesentlichen eine Arbeitsteilung zwischen
den Geschlechtem (Männer: Sicherstellen des Überlebens auf täglicher
Basis, Frauen: Sicherstellen des Überlebens in der Zukunft), so erfolgten
nun weitere Spezialisierungen im Rahmen der Nahrungsproduktion (Bauer, Hirte)
und bei anderen, gegebenenfalls sogar rein geistigen Tätigkeiten. | | Verstädterung:
Die außerhalb der Städte produzierte Nahrung konnte eine große
Zahl an Menschen auf gesicherte Weise versorgen. Die Menschen wurden seßhaft,
und es bildeten sich die ersten Städte heraus. | | Kulturelle
und wissenschaftliche Weiterentwicklung: Verstädterung und Arbeitsteilung
führten zu einer verbesserten Kommunikation, einer Vertiefung des Wissens
und einem schnelleren Wissenszuwachs. Es entstanden die ersten Hochkulturen (ich
nenne sie: Historienkulturen! HB). | | Bevölkerungsexplosion:
Die eigene Nahrungsproduktion machte den Menschen unabhängig
von der Natur und schützte ihn gleichzeitig vor natürlichen Feinden.
In Verbindung mit der veränderten Nahrungszusammensetzung kam es zu einem
deutlichen Bevölkerungszuwachs. | | Ungehinderte
Ausbreitung über die ganze Erde: Die Umstellung
von Jagen/Sammeln auf Ackerbau/Viehzucht erlaubte es dem Menschen, bislang unbewohnte
Gebiete zu besiedeln. Dazu mußte lediglich die Nahrungsmittelproduktion
gemäß den erlernten und beherrschten Methoden in die neue Lokation
exportiert werden. Immer mehr Land wurde der Natur entrissen. | Die
mit der veränderten Nahrungsbeschaffung einhergehende Veränderung in
der Nahrungszusammensetzung hatte aber auch erhebliche gesundheitliche Konsequenzen:»Als
die vorwiegend auf Fleisch aufbauende Kost der Jäger und Sammler durch eine
auf Getreide beruhende Ernährung ersetzt wurde, waren die Folgen in allen
Erdteilen gleich: Das Höhenwachstum entwickelte sich rückläufig
(die Menschen wurden kleiner), die Kindersterblichkeit nahm zu, die Lebenserwartung
sank (die Menschen starben früher), Infektionserkrankungen traten häufiger
auf, Eisenmangelkrankheiten (Blutarmut) nahmen zu, ebenso wie Knochenerweichung,
Deformationen des Schädels und andere auf Mineralstoffmängel zurückzuführende
Knochenerkrankungen, und es kam vermehrt zu Dentalkaries sowie anderen krankhaften
Veränderungen des Zahnschmelzes.« (Loren
Cordain, 2004, S. 6f.). | Als weitere negative Effekte
der neolithischen Revolution sind zu nennen: Soziale Ungleichheiten, Sklaverei,
Gewaltherrschaft. (Ebd., S. 26).Der entscheidende Grund für
den Durchbruch und den langfristigen Erfolg von Ackerbau und Viehzucht war aber
wohl die weitere Steigerung der Energieeffizienz, denn nun konnte pro Quadratkilometer
Land mehr Energie gewonnen werden als dies Jäger/Sammler-Kulturen möglich
war. (Ebd., S. 26).Weitere Steigerungen des Energieertrags
setzten eine verstärkte Arbeitsteilung und den Einsatz zusätzlicher
Arbeitskräfte voraus, sei es als Mensch (zum Teil als Sklave) oder Tier (Pferd,
Ochse, Esel u.s.w.). Natürlich mußten die Arbeitskräfte genährt
werden, das heißt sie benötigten Energie. (Ebd., S. 28).Später
erschloß der Mensch dann weitere Energiequellen, insbesondere die fossilen
Brennstoffe Kohle, Öl und Gas, bei denen es sich um Ablagerungen früherer
Lebewesen und damit um Sonnenenergie handelt. Der Mensch nutzt also heute ganz
gezielt die Energie, die vor Jahrmillionen von der Sonne auf die Erde eingeflossen
ist. Die fossilen Brennstoffe haben das Zeitalter der Technik erst möglich
gemacht. Seitdem werden Arbeitsleistungen in erster Linie durch Maschinen erbracht.
Auf menschliche und tierische Arbeitskräfte konnte zunehmend verzichtet werden.
Ein günstiger Nebeneffekt war die Beendigung der Sklaverei. (Ebd.,
S. 28).Die von der Menschheit neben der Nahrung pro Jahr verbrauchte
Primärenergie (fossile Brennstoffe, Atomenergie, erneuerbare Energiequellen)
wird auf ca. 430 Exajoule geschätzt. Zusammen mit den für die Nahrung
verbrauchten 20 Exajoule ergibt sich ein jährlicher Gesamtenergieverbrauch
der Menschheit von ca. 450 Exajoule, soviel wie etwa 150 Milliarden Naturmenschen
verbrauchen würden. Zum Vergleich: Die gesamte von der Sonne auf der Erdoberfläche
eintreffende Energie entspricht ungefähr dem 9000-fachen des aktuellen menschlichen
Energiebedarfs. Die Menschheit nutzt aktuell bereits rund die Hälfte der
weltweiten Netto-Photosynthesekapazität, also des Überschusses, der
aus der Fähigkeit der Pflanzen resultiert, Sonnenenergie zu speichern. (Vgl.
Franz Josef Radermacher / Bert Beyers, Welt mit Zukunft - Überleben im
21. Jahrhundert, 2007, S. 64). Der Primärenergieverbrauch pro Kopf
und Land ist weltweit sehr unterschiedlich, in Deutschland sind es ca. 172 Gigajoule,
in den USA 325, in Norwegen 392 und in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE)
gar fast 700. Überspitzt könnte man sagen: Jeder Deutsche beschäftigt
noch zusätzliche 60 Sklaven, jeder US-Amerikaner sogar 110. Würden alle
Menschen auf der Erde den gleichen Energiebedarf wie die US-Amerikaner haben,
dann hätte die Menschheit einen jährlichen Energieverbrauch von ca.
2200 Exajoule. Die gesamte auf der Erde nutzbare Sonnenenergieleistung wäre
dann nur noch 1800-mal so groß, nähme man die VAE als Maßstab,
dann sogar nur noch das 870-fache. (**).
(Ebd., S. 28).Da der Vorrat an fossilen Brennstoffen
sich in den nächsten 50 Jahren dem Ende zuneigen dürfte und der bisherige
Energieverbrauch bereits klimatische Veränderungen zur Folge hat, sind für
die Zukunft neue Energiekonzepte erforderlich. Entweder der Menschheit gelingt
es, neue leistungsfähige Energiequellen (zum Beispiel Kernfusion) zu erschließen
- wobei einige Kritiker darin einen Widerspruch zum 2.
Hauptsatz der Thermodynamik erkennen wollen (vgl. Entropie;
und vgl. z.B. Jeremy Rifkin, Entropie - Ein neues Weltbild, 1985; Jacques
Neirynck, Der göttliche Ingenieur - Die Evolution der Technik, 1994)
und vor möglichen klimatischen Folgen warnen -, oder sie muß ihren
Energieverbrauch reduzieren und den Energiebedarf hauptsächlich aus erneuerbaren
Energiequellen decken. Letzteres hätte vermutlich erhebliche gesellschaftliche
Veränderungen zur Folge. Beispielsweise basieren die momentanen Wirtschafts-
und Globalisierungsprozesse ganz erheblich auf der freien Verfügbarkeit nahezu
unbegrenzter Mengen an Energie. (Ebd., S. 28-29).Die Ausführungen
in diesem Abschnitt sollten in erster Linie deutlich machen, daß es sich
bei biologischen, gesellschaftlichen und technischen Evolutionen ganz wesentlich
um Evolutionen in der Nutzung von Energie handelt. (Ebd., S. 29).
2.2) Leben und Fortpflanzung
Eine allgemeinverbindliche
Definition des Begriffes Leben existiert nicht. Was Leben ist, was sein
Wesen ausmacht, ist letztendlich auch für die Wissenschaften eine offene
und vieldiskutierte Frage. Üblicherweise wird aber angenommen, daß
eine Entität mindestens die folgenden Eigenschaften besitzen muß, um
ein Lebewesen zu sein: | Selbstregulierung
(Homöostase).Selbstregulierung
bezeichnet die Fähigkeit, sich mittels Rückkopplung selbst innerhalb
gewisser Grenzen in einem stabilen Zustand zu halten. | | Stoffwechsel
(Metabolismus).Lebewesen
sind entropiearme Systeme hoher Ordnung. Mit anderen Worten: Sie halten Energie
konzentriert vor. (Was sie für natürliche Feinde so interessant macht).
Damit dieser unwahrscheinliche Zustand aufrechterhalten werden kann, ist eine
ständige Zufuhr von Energie bei gleichzeitiger Abgabe (Export) von Entropie
(Entropie ist ein Maß für die energetische Unordnung eines Systems)
erforderlich. Dies geschieht über den Stoffwechsel.Tiere
nehmen energiereiche Nährstoffe wie Fett oder Glukose auf und bauen sie in
energiearme Verbindungen wie Wasser und Kohlendioxid ab. Dabei wird sehr viel
Energie freigesetzt, welche zur Aufrechterhaltung des entropiearmen Zustandes
im Inneren des Lebewesens eingesetzt werden kann.Übersteigt
die innere Entropie des Lebewesens einen bestimmten Maximalwert, stirbt es. Sofort
nach dem Tod zerfällt es, und die Entropie strebt einem Maximum zu.Vereinfacht
könnte man sagen: Lebewesen erhalten ihre innere Ordnung auf Kosten einer
zunehmenden Unordnung in ihrer Umgebung. Je mehr Energie ein Lebewesen verbraucht,
desto mehr Unordnung schafft es. (Vgl. Neirynck, 2006). In Deutschland benötigt
jeder Bürger im Durchschnitt die 60-fache Energiemenge eines steinzeitlich
lebenden Jägers. | | Fähigkeit
zur Selbstreproduktion (Fortpflanzung beziehungsweise Selbstreplikation). | In
diesem Sinne ist ein Hurrikan kein Lebewesen, denn ihm fehlt allein schon die
Fortpflanzung. Die meisten Lebewesen pflanzen sich geschlechtlich fort. Konkret
heißt das: Es gibt zwei Geschlechter - Männchen und Weibchen -, die
gelegentlich Sex miteinander haben. Wenn sie dabei erfolgreich waren, wird (üblicherweise)
das Weibchen schwanger, und es trägt dann nach einer mehr oder weniger langen
Zeit (und zwischen den verschiedenen Arten auf sehr unterschiedliche Weise) Nachwuchs
aus. In der Soziobiologie bezeichnet man den Nachwuchs auch als Reproduktionserfolg.
Seit der Erfindung der Pille und anderer sicherer Kontrazeptiva haben Menschen
jedoch in erster Linie Sex, um Spaß miteinander zu haben, nicht aber um
Kinder zu zeugen. Paarungserfolg und Reproduktionserfolg sind deshalb zu unterscheiden.
Hatte ein Mann in seinem Leben viele Sexualpartnerinnen und häufigen Sex,
dann war sein Paarungserfolg entsprechend groß. Entstanden aus diesen sexuellen
Vereinigungen aber keine oder nur sehr wenige Kinder, dann hatte er nur einen
geringen Reproduktionserfolg. Die Unterscheidung zwischen Paarungs- und Reproduktionserfolg
wird in der weiteren Diskussion noch eine wesentliche Rolle spielen. (Ebd.,
S. 29-30).Die Biologie teilt Lebewesen unter anderem in Arten beziehungsweise
Spezies ein; unsere Art ist der Mensch. Eine Population stellt demgegenüber
eine Gruppe von Individuen (Phänotypen) der gleichen Art dar, die
eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden und in einem einheitlichen Verbreitungsgebiet
leben. Auch wenn es beim Menschen praktisch keine abgeschlossenen Populationen
mehr gibt, könnte man in diesem Sinne dennoch grob vereinfacht sagen: Der
Mensch ist eine biologische Art, die deutsche Bevölkerung dagegen eine menschliche
Population, der einzelne Deutsche ein Individuum. Während ein einzelnes Individuum
im Glücksfall vielleicht hundert oder auch etwas mehr Jahre alt werden kann,
können Arten und Populationen viele Millionen oder im Extremfall gar einige
Milliarden Jahre existieren. Damit das geschehen kann, sind allerdings zwei Dinge
erforderlich: Die Population muß sich stets | ausreichend
fortpflanzen und | | an
die sich ständig verändernde Umwelt rechtzeitig und angemessen anpassen. | Doch
was ist nun eine ausreichende Fortpflanzung? Demographen verwenden dazu den Begriff
der Fertilitätsrate; dies ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau.
Damit die deutsche Bevölkerung auf Dauer ungefähr gleich groß
bleibt, müßte sie eine Fertilitätsrate von 2,1 haben (einige Kinder
sterben vor dem Erwachsenenalter oder sind unfruchtbar, deshalb benötigt
man etwas mehr als zwei). Seit vielen Jahren hat Deutschland aber nur eine Fertilitätsrate
von weniger als 1,4. Würde diese Zahl die nächsten 1000 Jahre unverändert
bleiben und würden stets etwa genauso viele Menschen zu- wie auswandern,
dann lebten im Jahr 3000 in Deutschland nur noch 128 Menschen. Würde die
deutsche Fertilitätsrate dagegen die nächsten 1000 Jahre konstant bei
2,3 liegen, dann gäbe es im Jahr 3000 fast 1,7 Milliarden Deutsche. Sich
ausreichend fortzupflanzen scheint also gar nicht so einfach zu sein. Wie man
es macht, ist es offenbar verkehrt. Ich werde allerdings im Laufe des Buches ein
Verfahren vorstellen, welches es einer modernen menschlichen Population erlauben
würde, sich auf Dauer mit einer Fertilitätsrate von exakt 2,1 fortzupflanzen.
(**). Demographen nennen das eine
bestandserhaltende Fertilität. (**).
Eine solche Bevölkerung wäre dann im demographischen Gleichgewicht.
Gemäß der zweiten Bedingung müssen sich Populationen stets an
ihre Umgebung anpassen, wenn sie auf Dauer existieren wollen. Sollte zum Beispiel
eine Löwenpopulation im Laufe der Zeit immer schneller werden, dann werden
die Antilopen aus dem gleichen Lebensraum mit Gegenmaßnahmen (Anpassungen)
reagieren müssen, wollen sie nicht restlos ausgerottet werden. (Ebd.,
S. 31-32).
Offenbar
besitzen Populationen nur eine sehr rudimentäre Fortpflanzungshomöostase.
So weist Dawkins etwa auf eine fehlende Gruppenselektion hin (vgl. Richard Dawkins,
Das egoistische Gen, 1976), wie noch näher in diesem Kapitel erläutert
wird. Im vorliegenden Buch wird allerdings eine leistungsfdhige Fortpflanzungshomöostase
für modeme menschliche Gesellschaften vorgeschlagen. (Ebd., S. 31-32). Im
Sinne der Definitionen des vorangegangenen Kapitels ist eine Fertilität demgegenüber
erst dann bestandserhaltend, wenn die beiden obigen Bedingungen (ausreichende
Fortpflanzung, angemessene Anpassung an die Umwelt) erfüllt sind, das beißt,
die Reproduktion quantitativ und qualitativ bestandserhaltend ist. (Ebd.,
S. 32). |
Die
Frage ist nun: Wie gelingt diese Anpassung an eine sich verändernde Umgebung?
Wie schaffen es Populationen, sich über Millionen von Jahren an sich gleichfalls
verändernde Umweltbedingungen anzupassen? Die Antwort darauf gibt die Evolutionstheorie.
(Ebd., S. 32).
2.3) Die Evolutionstheorie
Die von Charles Darwin entwickelte
biologische Evolutionstheorie (im folgenden einfachheitshalber »Evolutionstheorie«
genannt) erklärt die Entwicklung des Lebens auf der Erde und die fortlaufende
Anpassung von Populationen an ihren Lebensraum. In ihr spielt der Fortpflanzungsmechanismus
eine entscheidende Rolle. Die Kernhypothesen der Evolutionstheorie sind: | ....
Variation .... | | ....
Selektion .... | | ....
Vererbung .... | Für die ursprüngliche
Darwinsche Evolutionstheorie spielt es keine Rolle, ob die Vererbung über
Gene oder etwa durch Erziehung (beziehungsweise Imitation der Eltern) erfolgt.
Für die moderne synthetische Evolutionstheorie steht aber die Genetik im
Vordergrund: Die Individuen einer Population unterscheiden sich durch erbliche
Zufallsveränderungen (Variation). Durch die natürliche Selektion
werden diejenigen Veränderungen, die ihren Träger besser an eine gegebene
Umwelt anpassen, häufiger an die nächste Generation weitergegeben (Vererbung).
(Ebd., S. 32-33).Die Kernaussage der Evolutionstheorie ist nun:
Wenn die drei Voraussetzungen Variation, Selektion und Vererbung gegeben sind,
ist Evolution unvermeidlich die Folge. (Ebd., S. 33).Ich
möchte dies an einem visuellen Beispiel verdeutlichen: Nehmen Sie ein Blatt
Papier und markieren darauf einen roten Punkt, der den aktuellen Zustand der Umgebung
repräsentieren soll. Hierbei handelt es sich um eine starke Vereinfachung,
da Umgebung üblicherweise mehr als zwei Dimensionen hat. (Allerdings
sind solche Vereinfachungen in wissenschaftlichen Überlegungen üblich.
(Vgl. Lisa Randall, Verborgene Universien - Eine Reise in den extradimensionalen
Raum, 3. Auflage, 2006, S. 47ff.). Und nun markieren Sie rund um den Umgebungspunkt
einige weitere schwarze Punkte, die den Individuen einer Population entsprechen
sollen (Variation). Bildlich gesprochen: Ein Individuum ist um so besser an die
aktuelle Umgebung angepaßt, je geringer sein Abstand zum roten Punkt ist.
Stellen Sie sich nun vor, die Umgebung würde sich mit der Zeit verändern,
das heißt, auf dem Blatt bewegen. Wenn nun diejenigen Individuen, die dichter
am roten Umegebungspunkt sind, mehr Nachkommen durchbringen als andere (Selektion)
und die Nachkommen in der Regel ihren Eltern ähneln (Vererbung), dann wird
die gesamte Population der Bewegung des roten Umgebungspunktes folgen. Wenn sich
der rote Umgebungspunkt nur langsam bewegt, dann ist der Selektionsdruck
gering, und die gesamte Population wird sich kaum verändern. Bewegt sich
der Umgebungspunkt dagegen schnell, dann ist der Selektionsdruck groß,
so daß gegebenfalls nur noch deutlich veränderte Individuen ihm folgen
können. (Ebd., S. 34).Man könnte ... das Evolutionsprinzip
auch als Optimierungsalgorithmus verstehen, der die fortlaufende Anpassung von
Populationen an sich gleichfalls verändernde Umgebungen sicherstellt, ein
von jeder Absichtlichkeit oder höherer Zweckmäßigkeit freies Verfahren.
(Vgl. Franz M. Wuketits, Evolution - Die Entwicklung des Lebens, 2005,
S. 25). Erst die natürliche Selektion verleiht der Evolution so etwas wie
eine Richtung. (Vgl. Franz M. Wuketits, ebd., 2005, S. 25). (Ebd.,
S. 34).Die Evolutionstheorie erklärt, wie auf der Erde aus
Chaos zunehmende lokale Ordnung (das heißt, Evolution beziehungsweise Entwicklung)
in Form von Leben entstehen konnte, was aufgrund des 2.
Hauptsatzes der Thermodynamik (Entropiesatz),
der im Universum eine generelle Entwicklung von der Ordnung hin zum Chaos postuliert,
zunächst nicht erwartet werden konnte. (Ebd., S. 34).»Wenn
es Lebewesen gibt, die in ihrer Form untereinander variieren, und wenn es eine
Selektion dahingehend gibt, daß nur einige dieser Lebewesen überleben,
und wenn die Überlebenden all das an ihre Nachkommen weiterreichen, was ihnen
beim Überleben behilflich war, dann müssen diese Nachkommen im Schnitt
besser als ihre Eltern an diejenige Umwelt angepaßt sein, in der die Selektion
stattfand. Es ist der zwingende Charakter dieses Prozesses, der die Evolution
zu einem derart mächtigen Erklärungswerkzeug gemacht hat: Wenn die drei
Voraussetzungen - Variation, Selektion und Vererbung - gegeben sind, ist Evolution
unvermeidlich die Folge. Aus diesem Grund nennt Dennett diesen Prozeß auch
den Evolutionsalgorithmus. Er ist ein von jeder Absichlichkeit freies
Verfahren - ein Prinzip, wonach Gestaltung ohne Zutun eines Geistes aus
dem Chaos entstehen kann ....« (Susan Blackmore, Evolution und Meme,
in: Alexander Becker et al., Gene, Meme und Gehirne, 2003, S. 50).
(Ebd., S. 34-35).Wird der Algorithmus der natürlichen Selektion
in sein Gegenteil verkehrt, das heißt, pflanzen sich in erster Linie die
weniger gut angepaßten Individuen fort, dann dürfte lokale Ordnung
wieder sukzessive in Chaos übergehen. (Ebd., S. 35).Die
Natur implementiert über die Prinzipien der Evolutionstheorie so etwas wie
Generationengerechtigkeit.
Generationengerechtigkeit bedeutet, daß die heutige Generation der nächsten
Generation die Möglichkeit gibt, sich ihre Bedürfnisse mindestens im
gleichen Ausmaß wie die heutige Generation zu erfüllen (Jög Tremmel,
Bevölkerungspolitik im Kontext ökologischer Generationenegerechtigkeit,
2005,S. 98). Oder anders ausgedrückt: Wenn Individuen gemäß der
natürlichen Selektion all das an ihre Nachkommen weiterreichen, was ihnen
beim Überleben behilflich war, dann müssen diese Nachkommen im Schnitt
gleich gut oder besser als ihre Eltern an diejenige Umwelt angepaßt sein,
in der die Selektion stattfand. Hat sich diese Umwelt in der Zwischenzeit kaum
verändert, dann kann sich die Folgegeneration ihre Bedürfnisse gleich
gut oder besser erfüllen als die vorangegangene. Das Prinzip der Generationengerechtigkeit
ist also gewahrt. (Ebd., S. 35).Der Gegenstand der Evolutionstheorie
ist die Population inklusive deren reproduktives Verhalten (vgl. Ernst Mayr, Das
ist Evolution, 2005, S. 147ff.), was ihre unmittelbare Relevanz für demographische
Fragestellungen begründet. Für Richard Dawkins ist die Einheit der Selektion
hingegen das Gen. (Vgl. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, 1976,
S. 50f.). Allerdings beschränkt sich die Fortpflanzung von Spezies auf Mitglieder
der gleichen Art beziehungsweise sogar der gleichen Population (Letzteres erklärt
die Artenbildung), so daß die Evolutionstheorie ohne en Populationsgedanken
auf Schwierigkeiten stoßen dürfte. (Ebd., S. 35-36).Strenggenommen
ist die natürliche Selektion kein Auswahlverfahren, sondern ein Eliminierungsverfahren
in Hinblick auf die Fortpflanzung. (Vgl. Ernst Mayr, Das ist Evolution,
2005, S. 150). Denn es scheiden die am wenigsten gut angepaßten Individuen
aus, während besser angepaßte (tauglichere) Individuen eine größere
reproduktive Überlebenschance besitzen. (Ebd., S. 36)Die
Evolutionstheorie wird häufig mit einem »Kampf ums Dasein« in
Verbindung gebracht. Ein üblicher Einwand ist, einen solchen Überlebenskampf
gäbe es in modernen Gesellschaften nicht mehr (siehe die Diskussion in den
folgenden Abschnitten), weswegen die Theorie auf menschliche Gesellschaften nicht
anwendbar wäre. Allerdings kommt der Optimierungsalgorithmus der natürlichen
Selektion auch ohne die Nebenbedingung der Ressourcenverknappung und dem damit
verbundenen gnadenlosen Kampf ums Überleben aus. Statt dessen reicht bereits
eine ganz normale Konkurrenz unter den Individuen. Auf diesem Mißverständnis
beruht ganz wesentlich die Kritik Joachim Bauers an Kernaussagen der Evolutionstheorie.
(Vgl. Joachim Bauer, Prinzip Menschlichkeit - Warum wir von Natur aus kooperieren,
2006). »Die Macht der natürlichen Auslese ist größer als
uns bloße Intuition zu erwarten erlaubt. .... Denken Sie an eine Herde von
tausend grauen Pferden und darunter ein paar Individuen mit leicht abweichenden
Grautönen sowie Mutationen, die dieses Merkmal beeinflussen können.
Besuchen Sie die Herde alle hundert Jahre einmal und entfernen Sie die Variante
mit der jeweils hellsten Farbe. Einfache Berechnungen können zeigen, daß
diese Vorgehensweise innerhalb von einer Million Jahren in einer Herde einheitlich
schwarzer Pferde resultieren könnte. Mit anderen Worten: Zufallsbedingte
Variation und eine sogar sehr mild wirkende Selektion können
Erstaunliches hervorbringen.« (Franz M. Wuketits, Was ist Soziobiologie?,
2002, S. 35f.). (Ebd., S. 36).Im allgemeinen
wird das Wachstum von Populationen durch ökologische Faktoren wie Nahrung
oder Raum gehemmt. (Vgl. Franz M. Wuketits, Darwin und der Darwinismus,
2005, S. 62). Allerdings gelang es dem Menschen, die beschränkenden Faktoren
durch einen direkten Eingriff in die Natur (Ackerbau und Viehzucht, Erschließung
neuer Böden, Ertragssteigerung durch Düngemittel, Medizin, Kleidung,
geschützte Umgebungen u.s.w.) sehr stark zurückzudrängen. Siehe
dazu auch die Ausführungen im Abschnitt »Leben
und Energie« ab Seite 23. (Ebd., S. 36-37).
2.4) Paarungssysteme und sexuelle Selektion
Mit
Elterninvestment wird in der Soziobiologie die Gesamtheit der Maßnamhen
bezeichnet, die Lebewesen ergreifen, um Nachkommen zu zeugen und sie für
das Leben und ohne spätere eigene Fortpflanzung vorzubereiten und fit zu
machen. Dabei werden Brutpflege (= Gesamtheit der Verhaltensweisen, die
Lebewesen bei der Aufzucht ihrer Jungen entwickeln) und Brutfürsorge
(= alle Verhaltensweisen von Eltern, die ihrem Nachwuchs im voraus günstige
Entwicklungsmöglichkeiten bieten) unterscheiden. (Vgl. Franz M. Wuketits,
Was ist Soziobiologie?, 2002, S. 42f.) (Ebd., S. 110).Sexualpartner,
die den höheren elterlichen Aufwand treiben, stellen im allgemeinen für
das andere Geschlecht die knappere Ressource dar. Das Konzept des Elterninvestments
ist deshalb in der Lage, die Geschlechterrolle und die Intensität des Paarungswettbewerbs
vorherzusagen: | Das
Geschlecht, welches die geringeren Elterninvestments erbringt, konkurriert
untereinander um die Fortpflanzungspartner. | | Das
Geschlecht mit dem höheren elterlichen Aufwand wählt (selektiert)
die Fortpflanzungspartner unter den konkurrierenden Individuen nach bestimmten
Kriterien aus. | Bei vielen Tierarten und auch dem Menschen
belastet die Fortpflanzung die Weibchen ungleich stärker als die Männchen.
(Vgl. Franz M. Wuketits, Was ist Soziobiologie?, 2002, S. 45). Erstere
sind dann bei der Wahl der Sexualpartner selektiver, während letztere um
die Weibchen konkurrieren. Darwin entwickelte das Konzept der sexuellen Selektion
und versuchte damit zu verdeutlichen, daß die Auswahl der Männchen
seitens der Weibchen und die damit einhergehende Konkurrenz unter den Männchen
eine große Bedeutung in der Evolution hat. (Vgl. Franz M. Wuketits, ebd.,
S. 39). (Ebd., S. 37).Im Rahmen der sexuellen Selektion wählen
die Weibchen bevorzugt Männchen mit bestimmten Merkmalen aus, die eine besonders
große genetische Fitneß des Sexualpartners erwarten lassen. Durch
die Auswahl desjenigen Männchens mit der besten genetischen Fitneß
wird die Fitneß der Nachkommen erhalten oder sogar erhöht. (**)
(Ebd., S. 37-38).Der Mensch hebt sich in der Natur durch
besonders ausgeprägte Elterninvestments hervor (vgl. Thoams P. Weber, Soziobiologie,
2003, S. 80), was eine direkte Folge der Entwicklung des menschlichen Gehirns
sein dürfte. Damit die Passage des im Laufe der Menschwerdung immer größer
werdenden Kopfes von Säuglingen während der Geburt durch den Muttermund
und die Beckenknochen der Frau noch möglich war, bedurfte es seitens der
Natur einer Doppelstrategie: Menschliche Säuglinge kommen als hilflose Frühgeburten
zur Welt, damit ihr Kopf nach der Geburt noch weiter wachsen kann (vgl. Paul B.
Hill / Johannes Kopp, Familiensoziologie, 2002, S. 27). Ein Kind muß
deshalb unbedingt durch Erwachsene aufgezogen, beschützt und über eine
längere Zeit sogar getragen werden (vgl. Jacques Neirynck, Der göttliche
Ingenieur - Die Evolution der Technik, 1994, S. 88; Ernst Mayr, Das ist
Evolution, 2005, S. 303ff.). (Ebd., S. 41).Damit verbunden
waren eine ganze Reihe weiterer Veränderungen (vgl. Thomas Junker, Die
Evolution des Menschen, 2006, S. 74ff.): | Herausbildung
der menschlichen Familienstruktur und die damit einhergehende Arbeitsteilung der
Geschlechter: Der Mann sorgt für Fleisch und Schutz, die Frau zieht die Kinder
auf. Diese grundlegende Familienorganisation entwickelte sich beim Menschen vermutlich
bereits vor zwei Millionen Jahren (vgl. Thomas Junker, Die Evolution des Menschen,
2006, S. 75). Unter Primaten kommen dauerhafte Kernfamilien nur beim Menschen
vor (vgl. Thoams P. Weber, Soziobiologie, 2003, S. 74). | | Angleichung
des Körpergewichts zwischen den Geschlechtern als Ausdruck relativer Monogamie. | | Ständige
sexuelle Empfänglichkeit der Frauen, möglicherweise um das Interesse
und die Loyalität des zugehörigen monogamen Mannes auf rechtzuerhalten. | | Körperliche
Verdeckung des Eisprungzeitpunktes bei den Frauen. | Einige
Anthropologen sind der Ansicht, die spezifische menschliche Arbeitsteilung zwischen
den Geschlechtern habe einen entscheidenden evolutionären Vorteil dargestellt,
da es dem Homo Sapiens (Homo Sapiens Sapiens; HB)
auf diese Weise gelungen sei, mehr Nachwuchs durchzubringen. Bei den Neandertalern
soll eine ähnlich strikte sexuelle Arbeitsteilung nicht bestanden haben,
was entscheidend zu deren Aussterben beigetragen habe (Steven L. Kuhn / Mary C.
Stiner, What's a Mother to Do? The Division of Labor among Neandertals and
Modern Humans in Eurasia, in: Current Anthropology, 2006). (Ebd., S.
41).In diesem Zusammenhang sind auch die folgenden Fakten zu bedenken: | Der
enorme Größenzuwachs des menschlichen Gehirns während der Altsteinzeit
läßt sich nur mit einer fleischbetonten Ernährung erklären
(Vgl. Josef H. Reichholf, Das Rätsel der Menschwerdung - Die Entstehung
des Menschen im Wechselspiel mit der Natur, 1990, S. 115ff.; L. C. Aiello
/ P. Wheeler, The Expensive-Tissue Hypothesis, 1995; Peter Mersch, Migräne,
2006, S. 40ff.). | | Die
spezifische menschliche Nahrung in Verbindung mit der Hilflosigkeit menschlicher
Säuglinge machte die Frauen in der Altsteinzeit von der regelmäßigen
Nahrungsversorgung durch männliche Jäger abhängig. Auf sich allein
gestellte Frauen konnten als Sammlerinnen nur eine Notnahrung beschaffen. Dies
erklärt den reziproken Altruismus des menschlichen Familienmodells. | | Ohne
die Errungenschaften der Medizin und Hygiene und der damit verbundenen verringerten
Säuglings-, Kinder- und Müttersterblichkeit mußten Frauen für
eine bestandserhaltende Reproduktion stets eher durchschnittlich 5-6 Kinder in
die Welt setzen und aufziehen und nicht wie heute durchschnittlich 2,1. (Eine
Voraussetzung für die Gleichberechtigung der Geschlechter und insbesondere
die freie Berufswahl der Frauen war folglich der medizinische Fortschritt). Gleichzeitig
war ihre Lebenserwartung während der größten Zeit der Menschheit
deutlich geringer als heute. Frauen waren deshalb über weite Strecken ihres
Lebens mit dem Gebären und Aufziehen von Kindern beschäftigt und dabei
auf die männlichen Versorgungsleistungen angewiesen. (Ebd., S. 42). |
2.5) Paarungs- versus Reproduktionserfolg
Offenbar
hat die Natur den Drang zur Reproduktion zumindest beim Menschen mit Lustgefühlen
unterlegt, die für sich allein schon ausreichen, den Fortpflanzungstrieb
zu stillen, und die möglicherweise - ähnlich wie die ständige sexuelle
Empfänglichkeit der Frauen - der gegenseitigen Partnerbindung dienen. Seit
der Einführung der Pille ist die Befruchtung durch die Frau sicher kontrollierbar,
während die angenehmen Fortpflanzungsgefühle beim Sex unabhängig
von den Fortpflanzungsabsichten bestehen bleiben. Dies hat zu einer Trennung von
Sexualität und Fortpflanzung (beziehungsweise von Paarnngs- und Reproduktionserfolg)
geführt, die die Reproduktion nicht länger als einen Trieb des Lebens
erscheinen läßt, sondern als eine ökonomisch abschätzbare
Verhaltensweise. Dies erklärt unter anderem auch die Bedeutung der ökonomischen
Theorie der Fertilität (siehe Abschnitt »Fertilitätstheorien«
ab Seite 6) für das Reproduktionsverhalten in entwickelten Gesellschaften.
(Ebd., S. 42-43).
2.6) Nichtbiologische Evolutionen
Gemäß der Evolutionstheorie
ist Evolution dann unvermeidlich, wenn die drei Voraussetzungen Variation, Selektion
und Vererbung gegeben sind. Im folgenden sollen drei nichtbiologische Bereiche
näher beschrieben werden, für die die genannten Bedingungen erfüllt
sind:Und
tatsächlich kann gezeigt werden, daß in allen Fällen Evolution
stattfindet, wobei die jeweilige Entwicklung selbständig und aus sich heraus
erfolgt. Sie ist damit in der Regel auch nur noch bedingt steuerbar. (Ebd.,
S. 43).Die ... Eliminierung der Tauglichsten ist das genaue
Gegenteil der natürlichen Selektion. Sie entspricht dem aktuellen Reproduktionsverhalten
moderner menschlicher Gesellschaften. Die langfristigen Folgen dürften in
beiden Fällen ähnlich verheerend sein. (Ebd., S. 43).KulturKernbestandteil
der Mem-Theorie ist die Behauptung einer neben der Evolution der Gene existierenden
zweiten, schnelleren und unabhängig von den Genen verlaufenden Evolution:
die kulturelle Evolution, deren Einheiten die Meme sind. (Vgl. Richard
Dawkins, Das egoistische Gen, 1976; Susan Blackmore, Evolution und Meme,
in: Alexander Becker et al., Gene, Meme und Gehirne, 2003). Lebewesen streben
nach Reproduktion, denn diese macht das Leben aus. Gemäß der Auffassung
von Richard Dawkins sind Lebewesen in erster Linie Überlebensmaschinen für
die im Rahmen der Reproduktion weiterzugebenden Gene. (Vgl. Richard Dawkins, ebd.,
S. 52ff.; Matt Ridley, Eros und Evolution, 1995, S. 20). Allerdings erklärt
sich hieraus noch nicht die Rolle der menschlichen Kultur, weswegen für Dawkins
das Konstrukt eines Kulturreplikators mit dem Namen Mem erforderlich wurde. (vgl.
Richard Dawkins, ebd., S. 316ff.). (Ebd., S. 43-44).Meme
sind also etwas grundsätzlich anderes als Gene, sollen sich aber nach einem
ähnlichen Schema als Überlebensmechanismus deuten lassen. Auch für
die Meme gilt der evolutionstheoretische Dreiklang von Variation, Selektion und
Vererbung (Replikation). (Ebd., S. 44).Meme vermehren sich,
anders als Gene, nicht über die biologische Vererbung, sondern durch Imitation.
Wann immer jemand etwas per Nachahmung von jemand anderem übernimmt - zum
Beispiel Wörter und Wendungen, Theorien, Techniken, Moden und Melodien -,
wird ein Mem repliziert (Vererbung). Der genetischen Mutation entsprechen
dabei die Abwandlungen oder Neukombinationen von Memen, wie sie im Prozeß
der Imitation unweigerlich geschehen (Variation). Und schließlich
findet sich auch so etwas wie eine Selektion von Memen. Meme stehen nämlich
in Konkurrenz zueinander. Sie brauchen gemäß Mem-Theorie zur Replikation
den menschlichen Geist als Ressource. Es kommt dann zum Survival of the Fittest,
denn nur wenige Theorien, Geschichten oder Melodien werden sich über einen
längeren Zeitraum in viele Gehirne einnisten. (Ebd., S. 44).Was
die Gene für die Lebewesen sind, sind die Meme für die Kultur. Die Akteure
sind letztendlich die Meme, die Menschen als deren vermeintliche Autoren dagegen
bloß deren Transportvehikel. Bei Memen handelt es sich also um Einheiten,
die ähnlich wie Gene danach »streben«, sich zu verbreiten und
zu vermehren. Meme wetteifern darum, in so viele Gehirne wie möglich zu gelangen
und sich dort zu behaupten. Diese Konkurrenz der Meme hat letztendlich unseren
Geist und unsere Kultur geformt. In diesem Sinne sind Menschen allesamt Mem-Maschinen.
(Ebd., S. 44).Ein Aspekt ist jedenfalls dabei nicht von der Hand
zu weisen: Menschen können sich anders als Tiere offenbar auch kulturell
verewigen. Möglicherweise ist dies mit ein Grund für das zunehmend feststellbare
Bedürfnis, im Internet eine virtuelle Spur der eigenen Person zu hinterlassen.
(Ebd., S. 44).Offenbar gibt es für Menschen zwei unterschiedliche
Strategien, sich in die Zukunft fortzupflanzen: | Kinder
in die Welt zu setzen (Vererbung über Gene). | | Etwas
kulturell Bleibendes zu hinterlassen, was für die Nachkommen von Bedeutung
ist (Vererbung über Meme). | Die Bedeutung einer
so genannten »großen« Person (zum Beispiel Beethoven) macht
sich jedenfalls weniger an deren Nachwuchs, sondern in erster Linie an deren Taten
und kulturellen Leistungen aus. (Ebd., S. 44-45).Technikln
den modernen Industriegesellschaften bewegt sich der Mensch nicht mehl in der
Natur, sondern vorwiegend in einer technisierten, künstlichen Umgebung. Diese
künstliche Umgebung entwickelt sich gemäß den gleichen Prinzipien,
wie die sie umgebende Natur. (Ebd., S. 45).Betrachten wir
als Beispiel einmal den Volkswagenkonzern mit seinem wichtigsten Produkt, dem
»VW Golf«. Der Golf konkurriert innerhalb eines bestimmten Marktsegments
direkt mit Produkten anderer Hersteller. Auf dem Markt existiert also eine Vielfalt
ähnlicher Produkte (Variation). Ökonomen weisen immer wieder
darauf hin, daß Konkurrenz den Markt belebt und die Weiterentwicklung fördert,
Staatsmonopole dagegen den Fortschritt behindern. Die Bedingung der Variation
ist also auch für die technische Evolution von entscheidender Bedeutung.
Je erfolgreicher sich der Golf verkaufen läßt, desto höher werden
die Einnahmen (Geld, Ressourcen) des Volkswagen Konzerns sein, weswegen dieser
entsprechend mehr in die Produkterneuerung und gegebenenfalls in zusätzliche
Produkte (= Nachwuchs) investieren kann (Selektion), wodurch er mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft besonders erfolgreich sein dürfte. Ein
Golf neuerer Generation wird in der Regel aber immer noch große Ähnlichkeiten
mit seinem Vorgängermodell besitzen (Vererbung). Auch ganz neue Produkte
werden üblicherweise auf den bei älteren Produkten gewonnen Erkenntnissen
und Fertigkeiten basieren. (Ebd., S. 45).Die drei Kriterien
der Evolutionstheorie sind also erfüllt. (Ebd., S. 46).Mit
anderen Worten: Der moderne Mensch bewegt sich zunehmend in einer künstlichen
und technisierten Welt, die seine Umgebung darstellt, und die sich gemäß
den Evolutionsprinzipien weiterentwickelt. Jacques Neirynck beschreibt in Der
göttliche Ingenieur (1994) den unvermeidlichen, ziellosen und sich verselbständigenden
Charakter der technischen Evolution. (Ebd., S. 46).Durch
eine Veränderung von Rahmenbedingungen kann in der Regel jedoch steuernd
auf die Richtung der technischen Evolution Einfluß genommen werden. Beispielsweise
könnte man allgemein beschließen, nur noch Autos zum Straßenverkehr
zuzulassen, die weniger als fünf Liter Benzin auf 100 km verbrauchen.
(Ebd., S. 46).Das Beispiel der technischen Evolution zeigt ganz
nebenbei, daß das Vererbungsprinzip der Evolutionstheorie auf Konstrukte
wie Meme nicht angewiesen ist. Statt dessen reicht bereits ein einfacher Statuserhaltungsmechanismus.
Bei der Fortpflanzung von Lebewesen dienen dazu die Gene. Im obigen Volkswagenbeispiel
könnte dies das Unternehmens-Know-how sein. Im Rahmen der kulturellen Evolution
könnte man sich dafür die menschlichen Gehirne, aber auch anderes Wissen
in Form von Bibliotheken, Archiven und Datenbanken vorstellen. (Ebd., S.
46).SportAuch
die Entwicklung des Leistungssports folgt den Gesetzen der Evolution. Dies soll
am Beispiel des Profifußballs verdeutlicht werden. Betrachten wir dazu einmal
die Fußball-Bundesliga als eine Population, die sich zu jedem Zeitpunkt
aus 18 Individuen zusammensetzt, und zwar den verschiedenen Bundesligamannschaften
(Variation). Eine Bundesliga-Saison entspräche einer Generation. In
unserem Beispiel besteht die Fortpflanzung nun darin, in die nächste Saison
zu kommen. Anders als beim Menschen handelt es sich hierbei natürlich um
eine nichtgeschlechtliche Fortpflanzung. Man darf sich das vereinfacht ungefähr
so vorstellen: Wenn Bayern München sowohl in der Saison 2005/2006 als auch
2006/2007 in der Fußball-Bundesliga spielt, dann handelt es sich hierbei
um zwei verschiedene Individuen. In der Saison 2005/2006 spielt sozusagen das
Elterntier und in der darauf folgenden Saison dann dessen Kind. Dabei bleibt der
Name unverändert, ähnlich wie dies im wirklichen Leben bei Eltern und
Kindern auch ist. Wenn wir uns nun die Spieler einer Mannschaft noch als deren
Gene vorstellen, dann haben die Mannschaften in einer Saison zwar nicht notwendigerweise
die gleichen Gene wie in der vorangegangenen Saison, aber wohl doch sehr ähnliche
(Vererbung). Auf diese Weise haben wir ein einfaches Vererbungsmodell konstruiert,
welches nun noch um das Prinzip der natürlichen Selektion erweitert werden
soll. Am Ende einer Fußballsaison bleiben die erfolgreicheren Mannschaften
der Fußball-Bundesliga erhalten, während die drei Mannschaften mit
den schwächsten Ergebnissen absteigen müssen. Mit anderen Worten: Die
Tauglichsten pflanzen sich in die nächste Saison (Generation) fort, während
schwächere Mannschaften (Individuen) eliminiert werden. Dieses Prinzip entspricht
exakt der natürlichen Selektion der Evolutionstheorie (Selektion).
Zusätzlich gilt zumindest für den Profisport: Besonders erfolgreiche
Mannschaften erzielen meist besonders hohe Einnahmen, können folglich teurere
und bessere Spieler beziehungsweise Trainer verpflichten als ihre direkten Widersacher
und eventuell damit ihren Vorsprung gegenüber der Konkurrenz sichern oder
sogar ausbauen. Auch dies entspricht dem Selektionsprinzip: Wer erfolgreicher
ist und mehr Einnahmen erzielt, pflanzt sich fort und kann zusätzlich auch
mehr in die Zukunft investieren. (Ebd., S. 46-47).Alle drei
Prinzipien der Evolutionstheorie - Variation, Selektion und Vererbung - sind also
erfüllt. Evolution ist somit unvermeidlich. (Ebd., S. 47).Bei
den Prinzipien Variation, Selektion und Vererbung handelt es sich um die zentralen
Mechanismen, die eine Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Anforderungen
und damit eine Spielentwicklung im Fußball überhaupt erst möglich
machen. Beispielsweise hat sich das Fußballspiel im Laufe der Zeit sowohl
in Bezug auf Tempo, Taktik als auch Professionalität deutlich verändert.
Diese Veränderungen geschahen aber nicht absichtsvoll oder waren gar von
langer Hand geplant, sondern sind Ergebnis einer fortlaufenden Optimierung auf
Basis der Evolutionsprinzipien im Zusammenwirken mit gleichzeitigen Änderungen
der äußeren Rahmenbedingungen. Es muß sich dabei auch nicht zwingend
um »Verbesserungen« handeln, die das Fußballspiel »schöner«
oder »attraktiver« als noch vor 50 Jahren machen, allerdings um Optimierungen
im Bezug auf die jeweils aktuellen Rahmenbedingungen. (Ebd., S. 47).Doch
nehmen wir einmal an, man würde die Fußball-Bundesliga ganz anders,
und zwar gemäß den folgenden Regeln organisieren: | Am
Ende einer Saison scheiden nicht die drei schwächsten Mannschaften aus, sondern
die drei besten, welche durch Mannschaften aus der zweiten Bundesliga ersetzt
werden. Damit die Mannschaften sich auch wirklich ernsthaft um die ersten Plätze
bemühen, hat man sich den folgenden Trick ausgedacht: Alle Spieler der ersten
drei Mannschaften erhalten am Saisonende ein Haus und eine lebenslängliche
üppige Rente. Sie werden also mit sozialem Erfolg belohnt. Im Gegenzug müssen
sie versprechen, niemals mehr professionell Fußball zu spielen. | Wie
würde sich dieses Regelwerk auf die Qualität der Fußball-Bundesliga
auswirken? Nun, wenn die Vereine auf ein riesiges Potential an preisgünstigen
und hochqualifizierten ausländischen Spielern zugreifen könnten, dann
könnte man dieses System vielleicht noch eine zeitlang durchhalten. Aber
stellen Sie sich vor, jede Mannschaft dürfte nur bis zu maximal drei ausländische
Spieler beschäftigen. Wie würde die Bundesliga in vielleicht zehn oder
zwanzig Jahren aussehen? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Talente wären
ausgegangen, auf dem Feld würde nur noch langweilig herumgekickt und die
Zuschauer hätten sich längst anderen Sportarten zugewendet. (Ebd.,
S. 48).Die hier gerade vorgestellte Eliminierung der Tauglichsten
ist das genaue Gegenteil der natürlichen Selektion. Sie entspricht dem aktuellen
Reproduktionsverhalten moderner menschlicher Gesellschaften. Die langfristigen
Folgen dürften in beiden Fällen ähnlich verheerend sein.
(Ebd., S. 48).
2.7) Individual- versus Gruppenselektion
Eine unter Evolutionsbiologen
häufig diskutierte Frage ist, ob biologische Arten so etwas wie eine Gruppenselektion
kennen. Oder anders ausgedrückt: Haben Individuen einen Gesamtblick für
die Größe der jeweiligen Population, so daß die einzelnen Mitglieder
ab einer bestimmten Populationsstärke ihre Nachwuchszahlen reduzieren, oder
entscheiden sie über die Zahl ihrer Nachkommen ausschließlich gemäß
individuellen, egoistischen Kriterien ganz eigenständig für sich?
(Ebd., S. 48).Die Beantwortung dieser Frage ist auch für demographische
Erörterungen von erheblicher Bedeutung, denn schließlich geht es hierbei
um das Thema Bevölkerungsentwicklung: Denken Familien bei der Nachwuchsentscheidung
ausschließlich an sich, oder betreiben sie ganz nebenbei auch noch ein wenig
Bevölkerungsplanung? (Ebd., S. 49).Das biologische
Konzept der Gruppenselektion stammt von Wynne-Edwards, der die Vermutung äußerte,
die Individuen einer Population würden zum Wohle der ganzen Gruppe weniger
Nachkommen haben, als sie zu bekommen fähig sind. (Vgl. V. C. Wynne-Edwards,
Evolution Through Group-Selection, 1986). Dabei dienen insbesondere wichtige
Funktionen des sozialen Lebens wie Territorialverhalten und Dominanzhierarchien
als Mechanismen der Populationsregulation. (Vgl. Richard Dawkins, Das egoistische
Gen, 1976, S. 203). (Ebd., S. 49).Relativ gut dokumentiert
ist, daß Tiere bei Überbevölkerung ihre Geburtenraten reduzieren,
wobei sie das in Experimenten selbst dann tun, wenn die Nahrung bewußt reichhaltig
angeboten wird. Gemäß Wynne-Edwards ist das ein Beleg für die
Existenz einer Gruppenselektion. Dawkins hält dem allerdings entgegen, Tiere
seien für die freie Wildbahn programmiert und würden deshalb bei Überbevölkerung
(= geringem Raumangebot) implizit von einer zukünftigen Hungersnot ausgehen.
(Vgl. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, 1976, S. 213). Trotz reichhaltiger
aktueller Nahrung würden sie eine baldige Nahrungsknappheit antizipieren
und folglich ihre Nachwuchszahlen reduzieren. (Ebd., S. 49).Unabhängig
davon, welche der beiden Auffassungen nun zutreffend ist oder nicht, in jedem
Fall dürften die Überlegungen auch für menschliche Gesellschaften
von Bedeutung sein, denn immerhin wurde bereits von anderen Autoren ein sogenanntes biologisches Massenwirkungsgesetz vorgeschlagen, welches ebenfalls eine Beziehung
zwischen Fertilität und Bevölkerungsdichte vermutet. (Vgl. Eckart Knaul,
Das biologische Massenwirkungsgesetz - Ursache von Aufstieg und Untergang von
Kulturen, 1985). Und tatsächlich ist die Fertilitätsrate in Städten
meist deutlich niedriger als auf dem Land, was insbesondere Stadtstaaten wie Hongkong
oder Singapur zu spüren bekommen, die mit Fertilitätsraten von 0,95
beziehungsweise 1,05 mittlerweile die Schlußlichter in der Welt bilden.
Auf der anderen Seite haben nun aber häufig auch Staaten niedrige Geburtenraten,
die gleichzeitig über geringe Bevölkerungsdichten verfügen (z.B.
Rußland: Fertilitätsrate 1,28 bei 8 Einwohner pro km²).
(Ebd., S. 49).Zur Zeit gehen fast alle gängigen Fertilitätstheorien
(zum Beispiel die ökonomische Theorie der Fertilität, siehe Abschnitt
»Fertilitätstheorien«
ab Seite 6) von einer Nachwuchsentscheidung auf individueller Familienbasis aus,
wenngleich daneben sehr wohl die Bedeutung von übergeordneten kulturellen
Gesichtspunkten gesehen wird. (Ebd., S. 49-50).Staatliche
und gegebenenfalls sogar international abgestimmte Gruppenselektion dürften
bereits im naher Zukunft zu den unerläßlichen Kompetenzen der Menschheit
zählen. (Ebd., S. 50).
2.8) Die Soziobiologie des Wohlfahrtsstaates
Der
Begriff Ressourcen der Evolutionstheorie übersetzt sich in modernen
Gesellschaften nahtlos in Geld: Wer Geld hat, hat den Zugriff auf Ressourcen
(zum Beispiel Energie) seiner Wahl. Gesellschaftlicher Erfolg läßt
sich folglich an einem entsprechenden Einkommen beziehungsweise Besitz oder auch
an einer mit entsprechenden Verfügungsrechten verbundenen gesellschaftlichen
(Macht-)Position ausmachen. Für menschliche Gesellschaften kann die natürliche
Selektion dann wie folgt vereinfacht formuliert werden: | Reproduktionserfolg
korreliert mit sozialem Erfolg. | Oder noch einfacher: | Wer
mehr Geld verdient, kann mehr in die Zukunft investieren. | ...
In modernen Gesellschaften existiert allerdings noch ein ganz anderes Kriterium,
welches mit sozialem Erfolg assoziiert ist: Bildung. Bildung ist in entwickelten
und auf dem Weg hin zu Wissensgesellschaften befindlichen Ländern der Königsweg
zum Geld, das heißt, zum Zugriff auf die Ressourcen. Sie ist das beste Kriterium
für die Abschätzung eines späteren beruflichen und sozialen Erfolges.
(Ebd., S. 50-51).Bildung avancierte zum entscheidenden Erfolgskriterium
unserer Gesellschaft. »Bildung ist das höchste Gut, Bildung ist teuer,
in Bildung muß investiert werden sowohl von den Einzelnen als auch von Staat
und Wirtschaft.« (Ulrich Beck, Was zur Wahl steht, 2004, S. 103).
... Bildung eröffnet in Gesellschaften unseres Typs die größte
Vielfalt an beruflichen Möglichkeiten. .... So weit so gut. Die Sache hat
leider nur einen Haken: Bildung steht der Reproduktion im Wege. So läßt
sich beispielsweise für die USA und Deutschland feststellen: »Je mehr
in die individuelle Bildung investiert wird, um so unwahrscheinlicher ist die
Entscheidung für Kinder, insbesondere für mehrere Kinder. .... Bei genauerer
Betrachtung der Kinderlosigkeit us-amerikanischer Frauen im Alter zwischen 40
und 44 Jahren und dem Vergleich mit Deutschland sind die Ausbildung und die erreichte
Berufsposition die beiden zentralen Faktoren für die individuelle Entscheidung,
ohne Kinder zu leben.« (Hans Bertram / W. Rösler / N. Ehlert, Nachhaltige
Familienpolitik, 2005, S. 14). Diese Ergebnisse gelten bezüglich des
Grades der Kinderlosigkeit als auch der vollständigen Fertilität ganz
ähnlich auch für schwedische (vgl. G. Neyer / G. Andersson / J. Hoem
/ M. Ronsen / A. Vikat, in: Hans Bertram / H. Krüger / C. K. Spieß
[Hrsg.], Wem gehört die Familie der Zukunft?, 2006) und französische
(Jan M. Hoem, Warum bekommen die Schweden mehr Kindr als die Deutschen?,
2006) Frauen, obwohl in vielen Studien und Medienberichten etwas anderes behauptet
wird. Allerdings zeigt die Analyse für Schweden, daß Frauen, die einen
Bildungsabschluß für den Unterrichts- oder den Gesundheitsbereich haben,
unabhängig vom Bildungsabschluß eine deutlich niedrigere Kinderlosigkeit
und eine deutlich höhere Zahl an Kindern (vollständige Fertilität)
aufweisen, als Frauen, die eine Ausbildung im Verwaltungsbereich, in den Sozialwissenschaften,
im Wirtschaftsbereich, aber auch in persönlichen Diensten haben. Man könnte
deshalb sagen: Je sicherer und kindorientierter die Beschäftigung, desto
mehr Kinder werden von den Frauen geboren. Grundschullehrerinnen weisen zum Beispiel
eine deutlich höhere Fertilität als Oberstufenlehrerinnen auf. Besonders
niedrig ist die Zahl der Kinder bei promovierten Geisteswissenschaftlerinnen.
(Ebd., S. 52-53).Eine bestandserhaltende gesellschaftliche Reproduktion
wird bei durchschnittlich 2,1 Kindern pro Frau erreicht. Eine solche Fertilitätsrate
ist aber primär unter den Erfolgreichen und Hochqualifizierten anzustreben,
denn das Selektionsprinzip reklamiert in erster Linie eine Bestandserhaltung unter
den am besten an die aktuellen Bedingungen engepaßten Individuen (Korrelation
zwischen sozialem Erfolg und Reproduktionserfolg). .... Reproduziert sich eine
Bevölkerung ... nur mit einer Fertilitätsrate von 1,38, der Bevölkerungsteil
mit hoher Bildung sogar nur mit einer Rate von 1,14, dann ist folglich in erster
Linie der Wert für die hohe Bildung von Interesse, weil er das Ausmaß
der tatsächlichen Nichtbestandserhaltung realistischer widerspiegelt.
(Ebd., S. 53).Insgesamt lassen die Daten aus verschiedenen internationalen
Erhebungen nur einen Schluß zu: Das Fortpflanzungsverhalten der Bevölkerungen
in den entwickelten Ländern widerspricht dem Prinzip der natürlichen
Selektion. Eine weitere Evolution solcher Populationen scheint deshalb kaum vorstellbar.
(Ebd., S. 54).Wenn sozialer Aufstieg Bildung voraussetzt, dieser
gleichzeitig aber die Fortpflanzungschancen signifikant reduziert, dann stellt
sich die Frage nach dem Sinn des sozialen Auftsiegs. geht es hier nur darum, ein
möglich angenehmes Leben zu führen und jedes Jahr ein- oder zweimal
einen Urlaub in fernen Ländern zu verbringen, und das alles auf Kosten eines
genetischen Ausscheidens asu dem Spiel der Evolution? (Ebd., S. 54).Das
Selektionsprinzip der Evolutionstheorie postuliert klipp und klar: Erfolgsmerkmale
werden insbesondere dadurch von einer Generation an die nöächste »vererbt«,
daß erfolgreiche Individuen im Durchschnitt mehr Nachkommen aufziehen als
weniger erfolgreiche. Wenn Bildung das höchste Gut ist und sich daran ganz
entscheidend gesellschaftlicher Erfolg ausmacht, dann müssen gemäß
Evolutionstheorie Menschen mit hohem Bildungserfolg im Durchschnitt mehr Nachkommen
haben als andere. Tatsächlich ist es in unserer Gesellschaft aber genau anders
herum. (Ebd., S. 54).Das empirisch nachgewiesene, mit Bildung
negativ assoziierte Fortpflanzungsverhalten moderner Gesellschaften wird auch
als das zentrale theoretische Problem der Soziobiologie bezeichnet, da
es im offenkundigen Widerspruch zu Grundprämissen der Evolutionstheorie steht.
Erklären läßt sich der weltweit bestehende negative Zusammenhang
zwischen Bildung und Kinderzahl durch die hohen Opportunitätskosten von Kindern
für qualifizierte und beruflich erfolgreiche Frauen: »Eine höhere
Bildung und damit bessere Erwerbschancen sollten ... für Frauen und Männer
unterschiedliche Effekte auf die Fertilitätsentscheidung haben. Während
bei Männern ein positiver Effekt erwartet wird, da sich mit einer höheren
Bildung auch das Einkommen erhöht, ist bei Frauen eher mit einem negativen
Effekt einer höheren Bildung auf die Fertilität aufgrund der gestiegenen
Opportunitätskosten zu rechnen.« (Johannes Kopp, Geburtenentwicklung
und Fertilitätsverhalten, 2002, S. 92). (Ebd., S. 54).Grundsätzlich
ist davon auszugehen, daß sich mit einem Fortschreiten der weiblichen Emanzipation
und insbesondere einer weiteren Steigerung der Frauenerwerbsquote die Ergebnisse
für Frauen und Männer angleichen werden, da es dann selbst für
beruflich erfolgreiche Männer immer schwerer werden dürfte, eine adäquate
Lebensgefährtin zu finden (siehe Bildungshomogamie), die bereit ist, für
die Gründung einer größeren Familie für eine längere
Zeit auf ihren Beruf zu verzichten. (Ebd., S. 57).Auch wird
bei einer geschlechtsneutralen Besetzung von Führungspositionen der Anteil
qualifizierter Männer, die sich die Finanzierung einer größeren
Familie leisten können, signifikant zurückgehen. Die anstelle der Männer
aufrückenden Frauen werden dagegen häufig kinderlos sein und bleiben.
Und die im öffentlichen Dienst etablierte so genannte Frauenquote dürfte
ebenso eine fertilitätssenkende Wirkung haben, da das Geschlecht bei einer
Auswahl von Bewerbern Vorrang vor dem Familienstatus hat, und Frauen in verantwortungsvollen
Positionen weniger Kinder haben. (Ebd., S. 57).Wir
können insgesamt die folgenden Zusammenhänge festhalten: | In
modernen Gesellschaften mit Gleichberechtigung der Geschlechter und allgemeiner
Verfügbarkeit oraler Kontrazeptiva besteht ein negativer Zusammenhang zwischen
gesellschaftlichem Erfolg und der Zahl an Nachkommen. Denn die Frauen haben um
so höhere Opportunitätskosten pro Kind, je beruflich erfolgreicher sie
sind. Bei einer paritätischen Aufteilung der Familienarbeit gilt dies entsprechend
auch für Männer. In solchen Gesellschaften besteht folglich eine negative
Selektion, bei der die am besten angepaßten Individuen »eliminiert«
werden, während weniger gut angepaßte Individuen eine größere
evolutionäre Überlebenschance besitzen. Die reproduktive Selektion solcher
Gesellschaften ist gegenläufig zur natürlichen Selektion der Evolution
und könnte auch als Elimination of the Fittest bezeichnet werden. | | In
patriarchalischen Gesellschaften besteht ein positiver Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem
Erfolg und der Zahl an Nachkommen. Denn die Frauen haben dabei vernachlässigbare
Opportunitätskosten pro Kind, während sich die Männer um so mehr
Kinder »leisten« können, je beruflich erfolgreicher sie sind.
In solchen Gesellschaften besteht folglich eine positive Selektion, bei der die
am wenigsten gut angepaßten Individuen »eliminiert« werden,
während besser angepaßte Individuen eine größere evolutionäre
Überlebenschance besitzen. Die reproduktive Selektion solcher Gesellschaften
entspricht der natürlichen Selektion der Evolution (= Survival of the Fittest).
| Allerdings müssen hierbei noch die Wirkungen
des Wohlfahrtsstaates berücksichtigt werden. In der Natur kann ein Individuum
auch dann schon von der Selektion ausgeschlossen werden, wenn es im Überlebenskampf
frühzeitig stirbt, beziehungsweise wenn dies allen seinen Nachkommen passiert
(zum Beispiel bei hoher Säuglingssterblichkeit). Eine solche Möglichkeit
schließt aber bereits der Wohlfahrtsstaat aus. Erzielt ein Mensch kein ausreichendes
Einkommen, erhält er die notwendigen Ressourcen von staatlichen Einrichtungen.
Auch ist die Sterblichkeit in sozial schwachen Schichten bis zum Ende der Fortpflanzungsperiode
nicht wesentlich höher als in Schichten mit hohem sozioökonomischem
Status. Jedem Einzelnen stehen eine ausreichend gute medizinische Versorgung und
ein akzeptabler Wohnraum zu. Der von Darwin angenommene Konkurrenzkampf um die
begrenzten Ressourcen findet also nur bedingt statt, weil der Wohlfahrtsstaat
praktisch keine begrenzten Ressourcen kennt. (Dank der Erfindungen
ist die Grenze für Ressourcen immer weiter verschoben worden!HB).
Es kann jedoch festgehalten werden: Unter den Bedingungen des Patriarchats führt
der Wohlfahrtsstaat aufgrund der Norm der verantworteten Elternschaft und der
weiblichen Partnerwahl-Präferenzen (sexuelle Selektion) noch zu keiner Verletzung
des Prinzips der natürlichen Selektion. (Ebd., S. 57-58).Im
Rahmen einer Bekräftigung der Norm der verantworteten Elternschaft sollte
Familien, die schon die Mittel für ihre beiden vorhandenen Kinder nicht erwirtschaften
können, von einem dritten und weiteren Kindern (das heißt, einer Vermehrung
statt Ersetzung der vorhandenen Kopfzahl) abgeraten werden. (Siehe dazu auch die
ergänzenden Ausführungen im Abschnitt »Nachwuchsarbeit
als Kollektivaufgabe« ab Seite 181). Allerdings sollte auf die Entscheidung
der Eltern möglichst kein direkter staatlicher Zwang ausgeübt werden.
Denn wenn Eltern in ihrem aktuellen Lebensraum schon nicht die Mittel für
das eigene Überleben finden und statt dessen auf Ersatzleistungen und Almosen
der Gemeinschaft angewiesen sind, dann ist es um so wahrscheinlicher, daß
drei, vier oder mehr Nachkommen diese Mittel später einmal erst recht nicht
finden werden. Die Eltern würden auf diese Weise zwar ihr (egoistisches)
Bedürfnis nach Vermehrung befriedigen, allerdings auf Kosten der Bedürfnisbefriedigung
ihrer Nachkommen. Im Klartext heißt das: die Eltern ignorierten das Prinzip
der Generationengerechtigkeit.
(Kein Wunder!Die Politiker tun es ja auch! HB).
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Hier soll nicht einer
staatlich verordneten Reduzierung der Geburtenzahlen in sozial schwachen Schichten
das Wort geredet werden. Statt dessen soll an Grundprinzipien der Solidargemeinschaft
und Generationengerechtigkeit erinnert werden: | In
Not geratenen Menschen sollte nach Möglichkeit so geholfen werden, daß
sie danach aus eigener Kraft für ihren Unterhalt und den ihrer Kinder sorgen
können: »Gerechtigkeit statt Geschenke! Es muß darum gehen, die
Familien in die Lage zu versetzen, ihre Kinder aus dem selbst erwirtschafteten
Einkommen zu unterhalten, statt dies aus einer Position eines Almosenempfängers
heraus zu tun.« (Jürgen Borchert, Der »Wiesbadener Entwurf«
einer familienpolitischen Strukturreform des Sozialstaats, 2002, S. 78). | | Ist
dies nicht möglich, dann sollten zusätzliche Sozialleistungen zwar für
ein ausreichendes Einkommen sorgen, nicht aber eine Reproduktion über das
Ersetzen der vorhandenen Kopfzahl hinaus fördern. Es sollte staatlicherseits
kommuniziert werden, daß eine Vermehrung (drei oder mehr Kinder pro Paar)
unter Sozialhilfebedingungen unerwünscht ist. (Ebd., S. 60-61).
|
Leider scheinen solche einfachen Prinzipien in
unserer Gesellschaft zunehmend in Vergessenheit zu geraten, wie auch die Analysen
im Abschnitt »Kindergeld«
ab Seite 164 zeigen werden. (Ebd., S. 61).Neben einem dem
Evolutionsprinzip zuwiderlaufenden Reproduktionsverhalten lassen sich in den entwickelten
Ländern auch für die so genannte Brutpflege Auffälligkeiten feststellen.
Hochqualifizierte Frauen bekommen nicht nur deutlich weniger Kinder, sondern reduzieren
bei starker Berufsorientierung offenbar auch ihre Erziehungsanstrengungen, was
zusätzlich zu Lasten der Kinder gehen kann: »Reproduktionsarbeit mutiert
zu einer Restgröße, deren Erfordernisse grundsätzlich nachrangig
behandelt werden. .... Für beruflich leitende Frauen, insbesondere jedoch
für die in Spitzenpositionen ist eine parallele Realisierung der beiden Lebensorientierungen
Beruf und Familie (man beachte die Reihenfolge! HB)
dem Sinne, daß regelmäßig kindbezogene Alltagsarbeit und eine
kontinuierliche Entwicklungsbegleitung der Kinder durch sie geleistet werden,
nicht möglich. Die alltägliche Erziehungsarbeit wird weitgehend delegiert
(oder findet ab der mittleren Kindheit nur noch sehr eingeschränkt statt).«
(Marianne Dierks, Karriere! - Kinder, Küche? Zur Reproduktionsarbeit in
Familien mit qualifizierten berufsorientierten Müttern, 2005, S. 398).
Ganz allgemein werden in der Bevölkerung zunehmend Erziehungs-, Verhaltens-
und Gesundheitsdefizite bei den Heranwachsenden reklamiert. (Vgl. Peter Mersch,
Die
Familienmanagerin, 2006, S. 105ff. [**]).
Allein zu diesem Thema gibt es eine umfangreiche Liste an einschlägiger Literatur.
Mittlerweile läßt sich in vielen modernen Gesellschaften ein immer
stärkerer Trend zu einer Trennung von Zeugungs- und Pflegetätigkeiten
erkennen: Mütter setzen zwar ihre Kinder in die Welt, ein erheblicher Teil
der Erziehungsarbeit wird dann aber ganz häufig bereits ab der frühen
Kindheit von Dritten geleistet33. Eltern können bei diesem Modell ihre spezifischen
Kompetenzen nur noch bedingt an ihre Kinder weitergeben. 33 Was bereits zu dem
Vorwurf geführt hat, Frauen würden auf diese Weise zu »Gebärmaschinen«
degradiert (vgl. KREUZ.NET 2007).
Es ist keineswegs sicher, ob sich auf diese Weise noch ausreichende Anreize für
das Gebären von Kindern finden lassen. Auch ist fraglich, ob eine solche
Vorgehensweise evolutionär stabil sein kann. (Vgl. Richard Dawkins, Das
egoistische Gen, 1976, S. 198). (Ebd., S. 61-62).
2.9) Demographisch-ökonomisches Paradoxon
Das beschriebene
nationale Fertilitätsproblem hat eine globale Entsprechung und nennt sich
dann demographisch-ökonomisches
Paradoxon (vgl. Herwig Birg,
Strategische Optionen der Familien- und Migrationspolitik in Deutschland und
Europa [**],
in: Christian Leipert
[Hrsg.], Demographie und Wohlstand, 2003, S. 30 [**]).
Übersetzt heißt dies nichts anderes als: Das aktuelle Reproduktionsverhalten
der Menschheit (bzw. einer bestimmten Gruppe von Menschen;
HB) entspricht nicht dem Selektionsprinzip der Evolutionstheorie.
So verfügen arme Entwicklungsländer im allgemeinen über deutlich
höhere Fertilutätsraten als entwickelte Nationen. Dies führt zu
immer größer werdender ökonomischer Ungleichheit (und
diese wiederum zu immer noch größer werdender demographischer Ungleichheit
u.s.w. u.s.w. u.s.w. [... ein Teuefelskreis]! HB). (Ebd.,
S. 62).Betrachten wir zur Veranschaulichung
einmal das folgende Beispiel: Eine Bevölkerung aus insgesamt 1001000 Personen
sei in 1001 Gruppen mit jeweils 1000 Personen gegliedert (oder die Erde in eine
entsprechende Zahl an Ländern). Die Gruppen seien mit den Ziffern 0 bis 1000
gekennzeichnet. Nehmen wir nun an, die Mitglieder der Gruppe 0 hätten ein
monatliches Einkommen von 100 Euro, die Mitglieder der Gruppe 1 von 101 Euro,
bis schließlich zur Gruppe 1000, in der jedes Mitglied monatlich 1100 Euro
verdient. Insgesamt ergibt dies ein monatliches Gesamteinkommen von 600600000
Euro, woraus sich ein monatliches Durchschnittseinkommen von 600 Euro pro Kopf
errechnet. Gemäß der Definition der Europäischen Union würden
alle Personen mit einem Einkommen niedriger als 300 Euro als arm gelten. In unserem
Beispiel wären dies 200000 Personen, das heißt fast 20 Prozent der
Bevölkerung. Nehmen wir nun zusätzlich an, die obige Bevölkerung
verhielte sich gemäß dem demographisch-ökonomischen Paradoxon,
das heißt, die ärmeren Bevölkerungsgruppen würden mehr, die
reicheren weniger Kinder in die Welt setzen. Einfachheitshalber sei angenommen,
die einzelnen Bevölkerungsgruppen G reproduzierten sich von einer Generation
zur nächsten gemäß der Formel:Mit anderen Worten: Die Gruppe 0 (die Ärmsten)
vervielfältigt sich mit dem Faktor 1,5 (bestände also in der nächsten
Generation nicht mehr aus 1000, sondern aus 1500 Personen), während die Gruppe
1000 (die Reichsten) nur einen Erneuerungsfaktor von 0,5 besäße (und
wäre dann nur noch 500 Personen stark). Insgesamt würde dabei die Bevölkerungszahl
unverändert bleiben: Auch die nächste Generation hätte insgesamt
1001000 Mitglieder. Allerdings schrumpfte das monatliche Gesamteinkommen der Bevölkerung
auf 517016500 Euro, was einem monatlichen Durchschnittseinkommen pro Kopf von
516,50 Euro zur Folge hätte. Als arm würden nun alle Menschen gelten,
die weniger als 258,25 Euro im Monat verdienten. Dies wären 225939 Personen
beziehungsweise 22,57 Prozent der Bevölkerung. Oder anders ausgedrückt:
Relative Armut breitete sich aus, und die Gesellschaft (bzw. die gesamte Welt)
würde zunehmend ungleicher. (Ebd., S. 62-63).Allerdings
könnte man das Modell auch etwas eigentumsorientierter gestalten. In diesem
Fall würde das Gesamteinkommen pro Gruppe generationenübergreifend unverändert
bleiben. Hätten etwa die 1000 Mitglieder der Gruppe 1000 in der ersten Generation
ein Gesamzeinkommen von 1100000 Euro, so teilten sich dieses in der nächsten
Generation nur noch 500 Personen, weswegen deren Pro-Kopf-Einkommen nun auf 2200
Euro angewachsen wäre. Möglicherweise ist eine solche Vorstellung sogar
realistischer als das erste Modell, zumindest im internationalen Kontext.
(Ebd., S. 63).Nimmt man dieses Modell als Basis, dann wären
in der zweiten Generation sogar fast 32 Prozent der Bevölkerung arm (vormals
20 Prozent), während eine kleiner werdende Elite immer reicher würde.
Mit anderen Worten: Große vermögen konzentrierten sich auf einige wenige
Superreiche, während der Rest der Bevölkerung zunehemnd verarmte. (Man
beachte: Das Modell argumentiert ausschließlich reproduktiv und benötigt
keinerlei Rückgriffe auf ökonomische Prozesse wie Globalisierung, Paradigma
des freien Marktes, Kapitalkonzentration u.s.w.). (Ebd., S. 63).Genauso
sieht aber auch die Realität längst aus: Auf Länderebene bewirken
die geringen Kinderzahlen der Oberschicht eine immer stärkere Konzentration
ihrer Vermögen, während weite Teile der Bevölkerung immer ärmer
werden. Auf globaler Ebene bewirken die geringen Geburtenzahlen der entwickelten
Länder ebenfalls eine immer stärkere Konzentration ihres Reichtums,
während die Entwicklungsländer immer bevölkerungsreicher und ärmer
werden. (Ebd., S. 63-64).An dieser Stelle möchte ich
eine gewisse Skepsis gegenüber verschiedenen Initiativen des globalen Ausgleichs
anmelden. Diese werden meines Erachtens nur dann erfolgreich sein, wenn es den
Entwicklungsländern gelingt, das Bevölkerungswachstum zu begrenzen.
In einigen Zukunftsszenarien wird bereits auf die Gefahr von globalen Völkerwanderungen
hingewiesen. Ursächlich dafür dürfte aber nicht nur eine durch
die reichen Länder bewirkte Ungleichheit sein, sondern auch das ungeplante
Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern selbst. Wenn die eine
Seite etwa gelobt, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und jeden Menschen
auf dem Globus die gleichen Verschmutzungsrechte zugesteht, dann kann das nur
funktionieren, wenn die andere Seite ihre Bevölkerungszahlen in Grenzen hält.
Einschränkungen auf der einen Seite und ungeplantes Wachstum auf der anderen
seite sind zwei Dinge, die nur schwer zueinander finden werden. (Ebd., S.
64).Auch fiür das global wirkende demographisch-ökonomische
Paradoxon gibt es naheliegende Gründe: Durch zivilisatorische Errungenschaften
(insbesondere der Medizin) können es sich die Menschen in den entwickelten
Ländern »leisten«, weniger Kinder in die Welt zu setzen, da die
Sterblichkeit gering ist. Einige der wichtigsten medizinischen Erkenntnisse (zum
Beispiel Hygiene) und viele Leistungen der Lebensmittelindustrie wurden aber auch
in die Dritte Welt exportiert, so daß dort Kinder nun eine deutlich höhere
Überlebenschance besitzen. Mit anderen Worten: Die Sterblichkeit geht zurück.
Die Bevölkerungen scheinen aber ihr Reproduktionsverhalten nur sehr langsam
an die veränderten Verhältnisse anzupassen, zumal wirksame Empfängnisverhütungsmittel
häufig gar nicht zur Verfügung stehen. Es wird aber erwartet, daß
eine solche Anpassung, die in zahlreichen Schwellenländern und sogar einigen
Entwicklungsländern bereits zu beobachten ist und den Namen demographischer
Übergang (**|**)
trägt, global noch stattfinden wird, so daß viele dieser Länder
noch in diesem Jahrhundert in den demographischen Wandel eintreten könnten.
Beschleunigende Effekte können offenbar durch Bildungsmaßnahmen - insbesondere
auf Seiten der Frauen - erzielt werden. (Ebd., S. 64).
Als
demographischer Übergang (**)
wird in der Demographie der Transformationsprozeß von hohen Geburten- und
Sterberaten zu niedrigen Geburten- und Sterberaten verstanden. Ursächlich
war dabei vor allem der Rückgang der Sterberaten, in erster Linie verursacht
durch Fortschritte in der Medizin und Hygiene und die Verbsserung der Ernährungsbasis.
... Viele Experten ordnen auch den heutigen demographischen Wandel mit seinen
extrem niedrigen Fertilitätsraten einer Spätphase (posttransformative
Phase) des demographischen Übergangs zu. Dies wird im vorliegenden Buch jedoch
nicht getan. Statt dessen wird der demographische Wandel als ein eigenständiges
Phänomen mit ganz anderen Ursachen verstanden. (Ebd.). |
Generell
läßt sich feststellen: Je höher die gesellschaftlichen Bildungsanforderungen
sind, desto mehr steigen die elterlichen Investitionen in Kinder und desto kürzer
wird gleichzeitig der speziell den Frauen für die Reproduktion zur Verfügung
stehende Zeitraum, was wiederum ein Sinken der Fertilitätsrate und eine Verlängerung
des Generationenabstands zur Folge haben dürfte. (Vgl. Hans Bertram / W.
Rösler / N. Ehlert, Nachhaltige Familienpolitik, 2005, S. 45f.).
(Ebd., S. 65).Durch die Überbevölkerung und den dadurch
verursachten Mangel an Ressourcen kann es in naher Zukunft in zahlreichen Ländern
der Erde vermehrt zu kriegerischen Auseinandersetzungen (insbesondere Bürgerkriegen)
kommen, bei denen es sich nach Meinung einiger Autoren um Mittel zur Bevölkerungsreduktion
handelt. (Vgl. Eckart Knaul, Das biologische Massenwirkungsgesetz - Ursache
von Aufstieg und Untergang von Kulturen, 1985; Jacques Neirynck, Der göttliche
Ingenieur - Die Evolution der Technik, 1994). Auch der globale Terrorismus
könnte Ausdruck eines sich global verschärfenden Bevölkerungsproblems
sein. (Vgl. Gunnar Heinsohn,
Söhne und Weltmacht, 2003 [**]).
(Ebd., S. 65).
2.10) Gesellschaftliche Adaptionsfähigkeit
2.10.1) Eugenik und Dysgenik
In den letzten
Abschnitten (**|**)
wurde herausgearbeitet, daß das Reproduktionsverhalten moderner menschlicher
Gesellschaften das Prinzip der natürlichen Selektion verletzt. Statt dessen
gelten nachweislich die folgenden Beziehungen: | Bildungserfolg
korreliert mit sozialem Erfolg. | | Reproduktionserfolg
korreliert negativ mit sozialem Erfolg. | | Reproduktionserfolg
korreliert negativ mit Bildungserfolg. | Diese für
moderne menschliche Gesellschaften und global für die gesamte Menschheit
(demographisch-ökonomisches
Paradoxon) beobachtbare Inversion des Prinzips der natürlichen Selektion
ist -wie bereits erwähnt -auch unter dem Namen zentrales Problem der Soziobiologie
(Daniel Vining, Social versus Reproductive Success - The Centra Theortical
Problem of Human Sociobiology, in: Behavioral and Brain Sciences, 9, 1986)
oder auch als negative Selektion bekannt. (Ebd., S. 65).Menschliche
Gesellschaften fördern ganz explizit kooperative Verhaltenaweisen und sanktionieren
unerwünschte Verletzungen des Prinzips. Dies scheint eine so lange Tradition
zu haben, daß es im menschlichen Gehirn dafür bereits entsprechende
Strukturen und biochemische Belohnungsprozesse gibt (vgl. Joachim Bauer,
Prinzip Menschlichkeit - Warum wir von Natur aus kooperieren, 2006). Für
menschliche Gesellschaften ist Kooperation wichtiger als Konkurrenz. (Vgl.
Franz Josef Radermacher / Bert Beyers, Welt mit Zukunft - Überleben im
21. Jahrhundert, 2007, S.88ff.) (Ebd., S. 68-69)Die
Gleichberechtigung der Geschlechter wird - sollte keine Lösung für die
mit ihr einhergehende Geburtenschwäche gefunden werden - erneut dem Patriarchat
weichen müssen. (**).
(Ebd., S. 69).
Vgl.
FAZ.NET, Nur das Patriarchat kann uns noch retten, 03. April 2006 [**];
Phillip Longman, The Empty Cradle - How Falling Birthrates Thraeten World Prosperity
and What to Do about it, 2004. (Ebd.). |
Auch
wenn die Begriffe Eugenik und Dysgenik durch die Vergangenheit negativ
besetzt sind, sollen sie im weiteren Text aus Gründen der Einfachheit im
folgenden Sinne verwendet werden (aber auch, um der Philosophie des vorliegenden
Buches treu zu bleiben, daß nämlich ein Tabu zunächst einmal etwas
sein könnte, was dem Erkenntnisgewinn im Wege steht):Das
Reproduktionsverhalten einer Gesellschaft ist | eugenisch,
wenn Reproduktionserfolg und sozialer Erfolg korrelieren, | | dysgenisch,
wenn Reproduktionserfolg und sozialer Erfolg dagegen negativ korrelieren. | Familien-
bzw. bevölkerungspolitische Maßnahmen gelten als | eugenisch,
wenn sie ein eugenisches, | | dysgenisch,
wenn sie ein dysgenisches | Reproduktionsverhalten
fördern. (Ebd., S. 69).In modernen Gesellschaften sind
sozialer Aufstieg und sozialer Erfolg ganz eng mit Bildung verknüpft. Bevölkerungspolitische
Maßnahmen, die in solchen Gesellschaften die Anhebung der Geburtenraten
in Schichten mit hohem Bildungsniveau zum Ziel haben, wären dann ebenfalls
als eugenisch zu bezeichnen. Die scheinbare Wertung kommt hierbei erst durch die
soziale Bedeutung der Bildung (»Bildung ist das höchste Gut«)
zustande. In Gesellschaften, in denen eher Laufleistung, Werfgenauigkeit oder
Muskelkraft von Vorteil sind, könnten die gleichen Maßnahmen dagegen
sogar ausgesprochen dysgenische Effekte haben. (Ebd., S. 69-70).Interessant
ist nun, daß in den meisten Gesellschaften, wie etwa der Bundesrepublik
Deutschland, die folgenden Maßnahmen allesamt (und zum Teil kumulierend)
dysgenisch wirken: | Bildung
und Gleichberechtigung der Frauen. | | Empfängnisverhütung. | | Rentenversicherung. | | Sozialhilfe. | | Kindergeld. | | Frauenquote.
(Ebd., S. 70). |
2.10.2) Sozialdarwinismus
Die Prinzipien der Evolutionstheorie
wirken eugenisch, moderne menschliche Gesellschaften reproduzieren sich dagegen
dysgenisch. (**).
(Ebd., S. 70).Die Anwendung der Evolutionstheorie auf menschliche
Gesellschaften wird häufig als Sozialdarwinismus bezeichnet und diskreditiert.
Meist steckt hinter einer solchen Kritik ein unzutreffendes Verständnis der
Evolutionstheorie. Eine Diskussion des Verhältnisses von Evolutionstheorie
und Sozialdarwinismus findet sich zum Beispiel in: Christian Vogel, Anthropologische
Spuren [Hrsg.: Volker Sommer], 2000, S. 179ff.. Der Brockhaus definiert Sozialdarwinismus
wie folgt: Sammelbegriff für alle sozialwissenschaftlichen Theorien, die
Charles Darwins Lehre von der natürlichen Auslese (Selektionstheorie) auf
die Entwicklung von menschlichen Gesellschaften übertragen. So wurde die
wirtschaftliche und soziale Entwicklung als vom Kampf der Individuen und Gruppen
ums Dasein verursacht gedacht und als Grundgesetz der Geschichte aufgefaßt
(L. F. Ward, W G. Summer). Der Sozialdarwinismus diente zeitweise als Rechtfertigung
für bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sowie
rassistische Theorien. (Vgl. Brockhaus in 18 Bänden, 2002, Band 13, S.
153). Man erkennt unmittelbar: Hier geht es in erster Linie um den Kampf ums Dasein.
Dieser spielt zwar auch in den ursprünglichen Darwinschen Formulierungen
eine Rolle (Antilopen kämpfen nun einmal gegenüber Löwen ums Überleben),
allerdings hat dieser Kampf für die Evolutionstheorie tatsächlich nur
eine untergeordnete Bedeutung, den sie kommt bereits mit einfacher Konkurrenz
aus. (Ebd., S. 70-71).Die ... Kriterien der Evolutionstheorie
sind Variation, Selektion und Vererbung, ihr Gegenstand ist die Weiterentwicklung
von Populationen und Arten mittels Reproduktion. Auf welche Weise die verschiedenen
Lebewesen ihre für die Reproduktion zusätzlich erforderlichen Ressourcen
erwirtschaften - ob durch Konkurrenz, Mord, Lug, Betrug, Kooperation oder Altruismus
-, ist der Evolutionstheorie letztendlich egal. (Ebd., S. 71).Physikalische
Gesetze legen zum Beispiel fest, daß Satelliten in geostationärer Umlaufbahn
etwa in 42000 km Entfernung vom Erdmittelpunkt (beziehungsweise in 36000 km Höhe
über der Erdoberfläche) verankert werden müssen. Im Umkehrschluß
heißt das: Ein Satellit in 15000 km Höhe befindet sich nicht in geostationärer
Position. (Ebd., S. 72).Die Evolutionstheorie behauptet nun
aber, Variation, Vererbung (die Nachkommen sind ihren Vorfahren ähnlich)
und die Korrelation zwischen individuellem Erfolg und Reproduktionserfolg (Selektion)
erwirke die Evolution in der Natur. Dieser Mechanismus erlaube es Populationen,
sich fortlaufend und über einen möglichst langen Zeitraum an eine sich
gleichfalls verändernde Umwelt anzupassen. (Ebd., S. 72).Eine
zwangsläufige Folgerung daraus ist: Haben die »Tüchtigen«
einer Population niedrigere Reproduktionsraten als deren Rest, ist eine fortgesetzte
Evolution dieser Population wenig wahrscheinlich. Eine solche Population verlöre
schon sehr bald ihre Adaptionsfähigkeit an sich verändernde Rahmenbedingungen,
und zwar um so eher, je stärker sich die Rahmenbedingungen verändern.
Natürlich hat dann eine anschließende Feststellung wie etwa: »Der
Verlust der Adaptionsfähigkeit unserer Gesellschaft an sich verändernde
globale Rahmenbedingungen sollte unbedingt vermieden werden.« einen
normativen Charakter. Aber wer wollte ernsthaft die Sinnhaftigkeit einer solchen
Norm bezweifeln? (Ebd., S. 72).Betrachten wir zur Verdeutlichung
einmal zwei verschiedene Giraffenpopulationen mit völlig unterschiedlichem
Reproduktionsverhalten. Der Körperbau der Giraffe ist durch deren hohe Statur,
den sehr verlängerten Hals, Vorderbeine, Kopf und Zunge für das Abweiden
hoher Baumzweige angepaßt. Sie kann dadurch Nahrung jenseits der Höhe,
bis zu welcher andere Huftiere aus ihrem Lebensraum hinaufreichen können,
erlangen. Wenn nun die Bäume auf den Fraß der Tiere oder aus anderen
Gründen mit einem Anheben der unteren Baumzweige reagieren, dann werden Giraffendividuen
mit besonders langen Hälsen einen Vorteil haben. Weil sie mehr Nahrung erhalten,
können sie sich besser als ihre kurzhalsigen Brüder und Schwestern vermehren.
Auf diese Weise verlängert sich der Hals der Giraffen mit der Zeit, und zwar
ausschließlich aus evolutionären Gründen. (Ebd., S. 72-73).Giraffen
könnten aber auch eine Strategie des demographischen Wandels verfolgen: Die
Giraffen mit dem längsten Hals fressen das hohe Laub nur zum Teil selbst,
einen größeren Teil (»Laub-Steuer«) brechen sie lediglich
ab und lassen ihn zu Boden fallen. Dort wird das Laub von ihren Brüdern und
Schwestern mit kürzeren Hälsen gierig aufgenommen und verzehrt. Weil
die langhalsigen Giraffen nun den ganzen Tag nicht nur für ihre eigene Nahrungsbeschaffung,
sondern auch für die der weniger gut angepaßten Individuen beschäftigt
sind, und es bei ihnen keine Aufgabenverteilung bezüglich der Nahrungsbeschaffung
zwischen den Geschlechtem gibt (mit anderen Worten: Giraffen-Weibchen sind emanzipiert),
haben sie kaum Zeit, sich um eigene Nachkommen zu bemühen. Das erledigen
dann für sie - sozusagen arbeitsteilig als Gegenleistung für die Nahrungsbeschaffung
- die kurzhalsigen Individuen, die deutlich mehr Jungen bekommen als langhalsige
Individuen. Mit der Zeit wird die gesamte Population auf diese Weise immer kurzhalsiger,
denn es werden entsprechende Anpassungsreize gesetzt. Der lange Hals stellt zwar
prinzipiell einen evolutionären Vorteil dar, allerdings führt er aufgrund
der Reproduktionsorganisation der Giraffenpopulation sehr bald zur genetischen
Elimination. Weil die kurzhalsigen Giraffen aber sich und ihre Nachkommen ohne
die Hilfe ihrer langhalsigen Brüder und Schwestern nicht mehr ausreichend
versorgen können, sterben sie kurze Zeit später ebenfalls aus, wobei
es zunächst eine längere Übergangszeit mit zunehmender Nahrungsverknappung
(Verarmung) geben dürfte. (Ebd., S. 73).Interpretiert
man die höheren Reproduktionschancen der »Tüchtigen« nicht
als das »angestrebte Ziel« der »natürlichen Auslese«,
sondern als deren zwangsläufiges Produkt, dann müßte aus dem zweiten
Giraffenbeispiel unmittelbar gefolgert werden: Die kurzhalsigen Giraffen sind
die »Tüchtigen«, denn sie haben die höchsten Reproduktionschancen.
(Oder auch: In modernen menschlichen Gesellschaften befinden sich die Tüchtigen
vorwiegend in sozial schwachen und bildungsfemen Schichten.). Leider hätte
man aber damit die Evolutionstheorie um eines ihrer wichtigsten Kriterien beraubt,
nämlich die Verknüpfung zwischen Ressourcenbeschaffung und Reproduktionserfolg.
Das Prinzip der natürlichen Selektion degenerierte auf diese Weise zur bloßen
Tautologie. Fehlt die Verbindung zwischen sozialem Erfolg und Reproduktionserfolg,
dann können Individuen Erfolgsmerkmale nicht ausreichend an ihre Nachkommen
weitergeben. Eine Generationengerechtigkeit
kann unter diesen Umständen nicht gegeben sein. Und das obige Beispiel zeigt
dann auch unmißverständlich: Die zweite Giraffenpopulation hat eine
ungünstige Fortpflanzungsstrategie gewählt und stirbt in der Folge als
Ganzes aus. Natürlich könnte man auch den letzten Satz als wertend abtun.
Dies macht aber keinen Sinn, denn letztendlich geht es in der Evolution darum,
die Überlebensfähigkeit von Individuen und Populationen zu verbessern.
In diesem Sinne ist eine frühzeitige Elimination aus Sicht der Population
dann tatsächlich ein unerwünschtes Ereignis. (Ebd., S. 73-74).In
den entwickelten Gesellschaften kann man nun ein ganz ähnliches Reproduktionsverhalten
wie das der zweiten Giraffenpopulationen beobachten, man muß dazu lediglich
»langen Hals« durch »großen Kopf« ersetzen. Die
sich verändernde Umweltbedingung heißt gesellschaftliche Weiterentwicklung
hin zur Wissensgesellschaft im Rahmen der Globalisierung. Wissen und kognitive
Fähigkeiten avancieren zu den Kompetenzen, die in modernen und sich im globalen
Wettbewerb befindlichen Gesellschaften die höchsten ökonomischen Vorteile
(= Erfolg, Geld, Ressourcen) versprechen. Tatsächlich führen sie aber
bevorzugt zur evolutionären Elimination, und zwar aus einem geradezu aberwitzigen
Grund: Bildung ist in unserer Gesellschaft zwar das höchste Gut, aber nur
solange es um die Produktion und nicht die Reproduktion geht. Für das langjährige
Aufziehen von Kindern ist dagegen angeblich Liebe das höchste Gut, und für
Bildung besteht plötzlich kein Bedarf mehr. Vielfach wird Bildung für
Familienarbeiten sogar regelrecht als Verschwendung aufgefaßt. So heißt
es dann etwa, eine akademisch ausgebildete Mutter, die sich ganz dem Aufziehen
ihrer Kinder widmet, verschwende die Investitionen in ihre Ausbildung und stehe
der Gesellschaft gegenüber im Soll. (Vgl. Christian Rickens, a.a.O., 2006,
S. 53). All dies zeigt, wie selbstverständlich die allgemeine Abwertung reproduktiver
Tätigkeiten in unserer Gesellschaft längst ist. (Ebd., S. 74-75).
2.10.2) Kulturistische Evolutionstheorie
Es gibt einen weiteren
Einwand gegen die Übertragung evolutionstheoreticher Überlegungen auf
gesellschaftliche Prozesse, hinter dem eine Theorie steckt, die in unserer Gesellschaft
auf breiteste Akzeptanz stößt. Und diese Theorie lautet in etwa wie
folgt: Menschen kommen als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Menschliche
Säuglinge sind folglich zunächst einmal alle gleich. Mit entsprechenden
Bildungsmaßnahmen und Förderprogrammen können sie dann zu beliebiger
Kompetenz geführt werden. Die Weitergabe menschlicher Kompetenzen erfolgt
also nicht über Gene, sondern über kulturelle Mechanismen. Das gilt
im wesentlichen auch für die beiden Geschlechter. So kommt man nicht als
Frau zur Welt, sondern wird dazu gemacht. Sind zu einem späteren Zeitpunkt
intellektuelle Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen feststellbar, dann
ist das in erster Linie die Folge einer unterschiedlichen Sozialisation. Es ist
somit egal, wer in einer Gesellschaft Kinder bekommt. Wenn sozial schwache und
bildungsferne Schichten mehr Kinder bekommen als Schichten mit hohem sozioökonomischem
Status oder Bildungsniveau, dann müssen deren Kinder eben gezielt gefördert
werden. Eine qualitative Nichtbestandserhaltung ist immer Folge unzureichender
Fördermaßnahmen für den kindlichen Nachwuchs. Diese Theorie
soll im folgenden kulturistische Evolutionstheorie genannt werden. (Eine weniger
freundliche Bezeichnung ist »Gutmenschentum«). Typische Aussagen im
Umfeld der Theorie sind: | Erst
die geringe Kinderzahl altrömischer Senatoren oder moderner Akademiker gibt
dem Nachwuchs aus unteren Gesellschaftsschichten Raum für die eigene Karriere.
(Ralph Bollmann, 2006, Lob des Imperiums - Der Untergang Roms und die Zukunft
des Westens, S. 84). | | Wenn
hauptsächlich die Schwachen Kinder bekommen, dann müssen wir eben aus
diesen Kindern Atomphysiker machen, Gerichtspräsidenten, Abgeordnete, verantwortungsvolle
Bürger. (Susanne Gaschke, Die Emanzipationsfalle - erfolgreich, einsam,
kinderlos, 2005, S. 102f.). | Betrachtet man die
Theorie im Detail, dann fällt zunächst auf, daß sie auf alle drei
Kriterien der Evolutionstheorie verzichtet: | Alle
Menschen verfügen bei der Geburt über gleiche Möglichkeiten. Folglich
gibt es keine angeborene Variation unter den Individuen einer Population. | | Reproduktionserfolg
und sozialer Erfolg (beziehungsweise die Fähigkeit der Ressourcenbeschaffung)
müssen nicht miteinander korrelieren. Das Selektionsprinzip ist somit
ohne Bedeutung. | | Alle
Menschen verfügen bei der Geburt über gleiche Möglichkeiten. Hervorstechende
Kompetenzen der Eltern werden nicht an ihre Nachkommen vererbt. Das Vererbungsprinzip
ist folglich nicht gültig. | Die Kernaussage der
Evolutionstheorie ist: Wenn die drei Voraussetzungen - Variation, Selektion
und Vererbung - gegeben sind, ist Evolution unvermeidlich die Folge.
(Vgl. Susan Blackmore, Evolution und Meme, in: Alexander Becker et al.,
Gene, Meme und Gehirne, 2003, S. 50). Es stellt sich nun umgekehrt die
Frage: Kann Evolution eventuell auch dann stattfinden, wenn eine oder mehrere
der drei Voraussetzungen Variation, Selektion und Vererbung nicht gegeben sind?
Die obige Theorie behauptet nichts weniger als: Ja, Evolution kann in modernen
menschlichen Gesellschaften sogar dann stattfinden, wenn keine der drei Kriterien
erfüllt ist. Falls Sie sich fragen sollten, ob denn in modernen Gesellschaften
Evolution überhaupt noch erforderlich ist, so ist dies zu bejahen. Denn auch
entwickelte Gesellschaften sind ständigen Veränderungen ausgesetzt (Technik,
Wissensgesellschaft, Globalisierung, Ressourcenverknappung, Klimawandel, ...),
auf die sie zu reagieren und an die sie sich anzupassen haben. Und schließlich
drücken auch die Begriffe Entwicklungsland und hochentwickeltes Land einen
gesellschaftlichen Evolutionsprozeß aus. (Ebd., S. 75-76).Der
Grundgedanke der kulturistischen Evolutionstheorie scheint sich in Teilen auf
die Mem-Theorie von Richard Dawkins zu stützen (vgl. Richard
Dawkins, Das egoistische Gen, 1976; Susan Blackmore, Evolution und Meme,
in: Alexander Becker et al., Gene, Meme und Gehirne, 2003): | Im
Rahmen der kulturellen Weiterentwicklung entstehen geistige Elemente, die sich
in die verschiedenen Gehirne der Mitglieder der Gesellschaft replizieren. | | Eine
gesellschaftliche Weiterentwicklung erfolgt durch kulturelle Weiterentwicklung.
Eine genetische Weiterentwicklung ihrer Mitglieder ist dagegen nicht erforderlich
und aufgrund der aktuellen menschlichen Reproduktionsstrategie auch gar nicht
mehr möglich. | Strenggenommen wird hier eine reine
Softwareevolution postuliert: Geboren wird immer der gleiche anpaßbare Mensch
mit der gleichen genbasierten Hardware. Wenn im Laufe der Zeit Veränderungen
oder gar Verbesserungen erfolgen, dann geschehen diese in der Software. Auf Computer
übertragen würde das bedeuten: Die Hardware ist längst ausgereift.
Alle Computer besitzen die gleiche Hauptspeichergröße, den gleichen
Prozessor, die gleiche Festplatte. Alle Weiterentwicklungen konzentrieren sich
auf das Betriebssystem und die Anwendungssoftware. (So könnte der manchmal
regelrecht hitzig ausgetragene Konflikt zwischen Soziobiologie und Soziologie
auch als ein Konflikt zwischen Hardware und Software interpretiert werden. Während
die Soziobiologie vor allem sehr niedrige und grundsätzliche menschliche
beziehungsweise biologische Verhaltensmuster untersucht, befaßt sich die
Soziologie in erster Linie mit höheren gesellschaftlichen und kulturellen
Themen. Oft werden dann zwischen den beiden Disziplinen Fronten aufgemacht, die
eigentlich nicht sein müßten.). Vergleicht man dagegen die wirkliche
Entwicklung in der Computerindustrie, dann dürfte die Aussage überraschen,
denn dort sind es in der Regel die Weiterentwicklungen in der Hardware, die neue
Softwareapplikationen ermöglichen. Und auch beim Menschen hat erst die enorme
Gehirnentwicklung während der Altsteinzeit die spätere kulturelle Entwicklung
ermöglicht. (Ebd., S. 76-77).Für die Diskussion
spielen auch die Begriffe Phänotyp und Genotyp eine wesentliche Rolle: | Phänotyp:
Meist wird als Phänotyp das äußere Erscheinungsbild eines Organismus
bezeichnet. Allerdings ist das nicht ganz korrekt, denn auch das Aussehen, die
Lage, die Größe der inneren Organe gehören dazu, ferner Verhaltensmerkmale
(zum Beispiel ob ein Lebewesen eher ängstlich oder aggressiv ist) und physiologische
Größen (zum Belspiel der Blutdruck eines Menschen). | | Genotyp:
Der vollständige Satz von Genen, den ein Organismus geerbt hat. Im Grunde
handelt es sich dabei um das Genom des Organismus. | Eine
Kernaussage der kulturistischen Evolutionstheorie ist nun, der Genotyp eines Menschen
stehe in modernen Gesellschaften in praktisch keinem direkten Zusammenhang mehr
mit seinen geistigen Kompetenzen, die aber Teil seines Phänotyps sind..
(Ebd., S. 77).Genauer betrachtet bestehen zwischen biologistischen
und kulturistischen Auffassungen Vorstellungsunterschiede von beträchtlicher
Tragweite: Die Evolution bringt Lebewesen hervor, die an einen bestimmten Lebensraum
angepaßt sind. Der Lebensraum selbst unterliegt ständigen Veränderungen.
Damit eine Population auf Dauer fortbestehen kann, müssen sich ihre Mitglieder
fortpflanzen, was veränderte Genotypen hervorbringt, die dann besser oder
schlechter an die sich wandelnde Umgebung angepaßt sind. Die Prinzipien
Variation, Selektion und Vererbung sorgen für möglichst gute Startbedingungen
der Folgegeneration. Viele Lebewesen sind aber darüber hinaus auch schon
zu ihren Lebzeiten so anpassungsfähig, daß sie mit einer Vielfalt an
Veränderungen in ihrem Lebensraum klarkommen. Dennoch: Die großen Anpassungen
an den Lebensraum erfolgen bei eher biologistischen Auffassungen über die
Gene. Eine Konsequenz daraus ist: Lebewesen müssen sterben, denn es wird
in regelmäßigen Abständen eine »verbesserte« Hardware
benötigt. Kulturistische Auffassungen behaupten nun aber, der Mensch habe
diese Verhältnisse durch Kultur und Technik sehr stark verändert und
den beschriebenen Prozeß beendet. Beispielsweise habe er erst gar nicht
mehr auf eine genetische Anpassung zur optischen Erkennung von Bakterien warten
müssen. Ihm genügte es statt dessen, das Mikroskop zu erfinden. Eine
fortlaufende natürliche genetische Adaption des Menschen an einen sich verändernden
Lebensraum (Gesellschaft, Kultur, Technik) sei nicht länger erforderlich.
Deshalb spiele es auch keine Rolle mehr, wer in unserer Gesellschaft Kinder in
die Welt setzt. Im Umkehrschluß bedeutete das allerdings: Eine solche Form
der regelmäßigen Anpassung wäre nicht länger möglich.
Die genetische Weiterentwicklung des Menschen mittels der natürlichen Selektion
wäre also zum Erliegen gekommen. Oder anders ausgedrückt: Die biologische
Evolution hätte ein Lebewesen hervorgebracht, bei der sie sich selbst ausgehebelt
hat. Dieses Lebewesen wäre nun auf ihre Leistungen nicht mehr angewiesen.
Eine unmittelbare Konsequenz daraus wäre: Veränderungen am Erbmaterial
des Menschen müßten in Zukunft gentechnologisch erfolgen. Die rigorose
Ablehnung der Anwendung der Lehre Charles Darwins auf menschliche Gesellschaften
könnte der Eugenik also zu einem späten Sieg verhelfen. (Ebd.,
S. 78).Ferner dürfte sich nun die Hoffnung aufdrängen,
Alterung und Tod und damit auch die Fortpflanzung könnten irgendwann einmal
der Vergangenheit angehören. Denn eine Populationsanpassung wäre ja
nicht wirklich mehr erforderlich (und auf natürliche Weise auch gar nicht
mehr möglich). Statt dessen könnte es genügen, die einzelnen Mitglieder
der Population durch technologische Maßnahmen ausreichend anpassungsfähig
zu halten oder alternativ die Umwelt durch Technik passend zu machen. (Ebd.,
S. 79).An dieser Stelle möchte ich dann doch einmal ganz »unwissenschaftlich«
meine Meinung äußern: Ich halte den Grundgedanken der kulturistischen
Evolutionstheorie für pure Religion. Die Auffassung hat möglicherweise
die Darwinsche Abstammungslehre zur Kenntnis genommen, aber nicht wirklich akzeptiert.
Sie hält den Menschen für ein Lebewesen, was zwar ursprünglich
einmal vom Affen abstammt, sich nun aber vollständig aus der Evolution herausgelöst
hat und damit einzigartig ist. Die Evolution hätte demzufolge ... Milliarden
Jahre benötigt, um auf der Erde den Menschen hervorzubringen, woraufhin sie
sich von der weiteren Entwicklung verabschiedet hat. Nicht Gott hätte also
den Menschen erschaffen, sondern die Evolution. Im Prinzip handelt es sich bei
der kulturistischen Evolutionstheorie um eine Variante des Kreationismus.
(Ebd., S. 79).
2.10.2) Widerlegung der kulturistischen Evolutionstheorie
Die
biologische Evolutionstheorie ist eine empirisch sehr weit überprüfte
Theorie. Doch welche Belege gibt es für die kulturistische Evolutionstheorie,
die in unserer Gesellschaft in Wissenschaft, Medien und Politik auf breiteste
Akzeptanz stößt? Die ernüchternde Antwort ist: Keine. Im Gegenteil:
Zahlreiche Fakten sprechen unmittelbar dagegen. Beispielsweise kann heute kein
Zweifel mehr daran bestehen, daß ein nennenswerter Teil des menschlichen
Denkens, Fühlens und Verhaltens eine biologische Basis besitzt, die im Überlebenskampf
während der Menschwerdung entstanden ist (vgl. Irenäus Eibl-Eibesfeldt,
Die Biologie des menschlichen Verhaltens - Grundriß der Humanethologie,
1984), Auch bei der Intelligenz kann von einer erheblichen erblichen Komponente
ausgegangen werden, wie die Zwillings- und Adoptionsforschung belegt (**).
Was Intelligenz genau ist, ist umstritten. Meist wird jedoch darunter verstanden,
daß es sich zum einen um eine allgemeine Lern-, Denk-, Vorstellungs-, Erinnerungs-,
und Problemlösefähigkeit handelt, und zum anderen um den Besitz von
Kenntnissen aus bestimmten Gebieten (Expertenwissen). (Vgl. Gerhard Roth, Aus
Sicht des Gehirns, 2003, S. 109). (Ebd., S. 79).
Vgl.
Birgitta Vom Lehm, Kindeswohl ade! Gesndheitsverhütung im Wohlstandsland,
2004; Peter Borkenau, Anlage und Umwelt - Eine Einführung in die Verhaltensgenetik,
1993; Rainer Riemann / Frank M. Spinath, Genetik und Persönlichkeit,
in: Jürgen Hennig / Petra Netter (Hrsg.), Biopsychologische Grundlagen
der Persönlichkeit, 2005; David Shaffer / Katherine Kipp, Developmental
Psychology, 7. Auflage, 2006, S. 105ff.; Volkmar Weiss, Die IQ-Falle,
2000; Jochen Paulus, Gene oder Umwelt? Falsch, Gene mal Umwelt, 2001;
Gerhard Roth, Aus Sicht des Gehirns, 2003, S. 110ff.. |
Die
einschlägige Forschung nennt eine Zahl von 117 Paaren eineiiger Zwillinge,
die zwischen 1937 und 1990 identifiziert wurden und entsprechenden Tests zur Verfügung
standen, Gefunden wurde, daß die Intelligenz von getrennt aufgewachsenen
eineiigen Zwillingen mit einem Koeffizienten zwischen 0,67 und 0,78 korreliert.
Dies bedeutet, daß ihre Intelligenz zwar nicht völlig gleich ist, aber
doch eine beträchtliche Ähnlichkeit aufweist. Man muß dabei berücksichtigen,
daß bei gemeinsam aufgewachsenen eineiigen Zwillingen der Korrelationskoeffizient
keineswegs 1 ist, wie man meinen könnte, sondern 0,86. Bei Tests an genetisch
nichtverwandten adoptierten Kindern und ihren Adoptiveltern fand man hinsichtlich
der Intelligenz eine sehr schwache Korrelation von 0,1 oder darunter, während
die Intelligenz von Eltern und ihren leiblichen Kindem, die von ihnen zur Adoption
freigegeben und also nicht von ihnen erzogen wurden, eine mittelstarke Korrelation
von 0,4 aufwies. (Ebd., S. 80).Was bedeuten diese vielfach
bestätigten Resultate? Sie lassen erst einmal den Schluß zu, daß
dasjenige, was man unter Intelligenz versteht, in einem erheblichen Maße
angeboren ist, und daß die Umwelteinflüsse dabei eine relativ geringe
Rolle spielen - wie anders kann man sonst erklären, daß es kaum eine
Korrelation zwischen der Intelligenz von Adoptiveltern und der ihrer Adoptivkinder
gibt! (Ebd., S. 80).Was Erziehung nach Ansicht von Experten
hinzufügt, macht aus der Sicht der IQ-Statistik fünfzehn bis zwanzig
Prozent der Gesamtintelligenz aus. Dies mag gering erscheinen, bedeutet aber,
daß zum Beispiel eine Person, die ohne jegliche geistige Förderung
einen IQ von 90 aufweist und damit leicht »minderbemittelt« wirken
kann, bei intensivster Förderung auf einen IQ von 105 oder gar 110 kommen
könnte und damit einen überdurchschnittlich intelligenten, wenngleich
im Normbereich liegenden Eindruck macht. Wir müssen dabei berücksichtigen,
daß zwei Drittel aller Personen im IQ-Intervall zwischen 85 und 115 liegen
und sich hier relativ kleine Veränderungen im Intelligenzquotienten deutlich
bemerkbar machen. (Ebd., S. 80).Die grundsätzliche Erblichkeit
der Intelligenz läßt sich aber auch unmittelbar evolutionstheoretisch
plausibilisieren. (Ebd., S. 80).In der Evolutionsbiologie
wurde lange darüber gestritten, ob erworbene Eigenschaften vererbt werden
können (Lamarckismus). Die Frage war etwa: Kann das tägliche Strecken
von Elterntieren bei der Nahrungsaufnahme über viele Generationen hinweg
bei der Verlängerung von Giraffenhälsen eine Rolle gespielt haben? Diese
Frage wird heute von den meisten Evolutionsbiologen verneint. (Vgl. Ernst Mayr,
Das ist Evolution, 2005, S. 197). (**)
(Ebd., S. 80-81).
Die
als Weismann-Barriere bezeichnete Regel, daß Erfahrungen, die ein Individuum
mit der Umwelt macht, nicht in den Erbgang einfließen können, wird
heute wieder von einigen wenigen Experten in Frage gestellt. (Vgl. Hans-Helmut
Niller, a.a.O., 2005; Joachim Bauer, Prinzip Menschlichkeit - Warum wir von
Natur aus kooperieren, 2006, S. 13). Die Weismann-Barriere ist nach dem deutschen
Biologen August Weismann (1834-1914) benannt und besagt, daß Erbinformationen
nur in Richtung Körperzellen wirken können, aber niemals umgekehrt.
Dieses Dogma wurde von August Weismann 1893 formuliert und unterstützt Darwins
Evolutionstheoerie. Individuell erworbene Eigenschaften werden durch die Weismann-Barriere
gehindert, ins Erbgut aufgenommen zu werden. Eine Vererbung individuellen Verhaltens
ist so nicht möglich. Durch die Barriere wird die DNS geschützt. Die
DNS kann höchstens durch zufällige oder toxische Mutationen verändert
werden, so die Darwinisten. Lamarcks Thesen zur Evolution verschwanden aus Lehrbüchern.
Seit Ende des 20. Jahrhunderts gibt es Zweifel am Weismann-Dogma. Das Enzym Rücktranscriptase
und andere Mechanismen ermöglichen gezielte Veränderungen der Erbinformationen.
Lamarcks Gedanken werden wieder diskutiert. Trotzdem konnte bis heute die Weismann-Barriere
nicht falsifiziert werden. |
Mit
anderen Worten: Giraffenhälse sind über Generationen hinweg deshalb
gewachsen, weil: | Elterntiere
mit besonders langen Hälsen einen evolutionären Vorteil hatten (mehr
Nahrung fanden und folglich mehr Nachwuchs bekamen) und | | die
Halslänge von Giraffen erblich ist, das heißt, zwischen Eltern und
Kindern korreliert. | Das herausragende Merkmal des Menschen
ist aber dessen Gehirnleistung beziehungsweise Intelligenz. (Vgl. Ernst Mayr,
Das ist Evolution, 2005, S. 308ff.; Thomas Junker, Die Evolution des
Menschen, 2006, S. 52ff.). So nahm die Größe des menschlichen Gehirns
binnen 3 Millionen Jahren von 450 ccm auf nun ca. 1350 ccm zu. Dies ist analog
zum Wachsen der Giraffenhälse nur erklärbar, wenn: | eine
erhöhte Gehirnleistung im Laufe der Geschichte der Menschheit leinen evolutionären
Vorteil darstellte, der sich in einer vermehrten Zahl an Nachkommen ausdrückte
und | | Intelligenz
beziehungsweise Gehirnleistung erblich ist, das heißt zwischen Eltern und
Kindern korreliert. | Denn nehmen wir einmal an, ein Frühmensch
hat ein Gehirn von 800 ccm wie alle anderen Männer in seinem Stamm. Allerdings
ist er ganz besonders lernbegierig, so daß er den anderen Männern in
der Jagd bald überlegen ist. Die daraus resultierende soziale Anerkennung
drückt sich schließlich in einer erhöhten Zahl an Nachkommen aus.
Die Annahme, ein Teil seiner Kinder könnte nun ein größeres Gehirn
von zum Beispiel 850 ccm entwickeln, entspräche aber der allgemein als widerlegt
geltenden Vermutung von der Erblichkeit erworbener Eigenschaften. (Ebd.,
S. 81).Evolutionstheoretisch ließe sich die Entwicklung dagegen
wie folgt erklären: Alle Mitglieder eines Frühmenschenstammes haben
ein Gehirn von ca. 800 ccm Größe. Ein Kind wird aufgrund einer Mutation
oder durch eine Vererbung mütterlicherseits mit einem Gehirn geboren, welches
zu einer Größe von 850 ccm ausreift. Im Erwachsenenalter zeigt sich:
Dieser Jäger ist geistig flexibler als seine Stammesbrüder, so daß
er bald die Führung bei der Jagd übernimmt. Die hohe soziale Stellung
drückt sich schließlich in einer erhöhten Zahl an Nachkommen aus,
von denen ein erheblicher Anteil aus Vererbungsgründen ebenfalls ein Gehirn
mit einer Größe von 850 ccm oder mehr hat. (Ebd., S. 81-82).Ein
Einwand könnte sein, daß Gehirngröße und Intelligenz nicht
korrelieren müssen. Abgesehen davon, daß eine solche Korrelation im
Rahmen der Menschwerdung auf jeden Fall vorhanden gewesen sein muß, scheinen
auch Untersuchungen beim heutigen Menschen einen statistischen Zusammenhang zwischen
Gehirngröße und Intelligenz zu bestätigen. (Vgl. Mens Health,
Es kommt also doch auf die Größe an, 2005). Allerdings ist die
Tatsache umstritten, zumal sich das Gehirngewicht bei Lebenden nicht sicher ermitteln
läßt (die genannte Untersuchung erzielte ihre Ergebnisse mit Todkranken,
deren Gehirn nach dem Ableben vermessen wurde). Wesentlich bedeutender für
die Intelligenz scheint aber die allgemeine Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns
zu sein. (Vgl. Gerhard Roth, Aus Sicht des Gehirns, 2003, S. 112; Siegfried
Lehrl / Bernd Fischer, a.a.O., 1990). Auch für diese werden genetische Ursachen
vermutet. (Ebd., S. 82).Ohne eine erhebliche erbliche Komponente
bei der Intelligenzbildung dürfte sich die gesamte menschliche Gehirnentwicklung
kaum erklären lassen. (Ebd., S. 82).Unter der Annahme
einer starken Korrelation der Intelligenz von Eltern und Kindern (**)
ist ... die beobachtete Entwicklung in einem durchlässigen Bildungssystem
exakt zu erwarten. Sie ist ... Ausdruck der Erblichkeit von Intelligenz.
(Ebd., S. 82).
Vgl.
Rainer Riemann / Frank M. Spinath, Genetik und Persönlichkeit,
in: Jürgen Hennig / Petra Netter [Hrsg.], Biopsychologische Grundlagen
der Persönlichkeit, 2005, S. 617; Volkmar Weiss, a.a.O, 2007. |
Richard
Lynn behauptet, die deutsche Bevölkerung sei mit einem durchschnittlichen
Intelligenzquotienten von 107 das intelligenteste Volk. (Vgl. Der Spiegel, Britische
Studie, 27.03.2006 [**]).
(Ebd., S. 82-83).
Der
Spiegel, 27. März 2006: Ein britischer Forscher hält die Deutschen
... für das Volk mit dem höchsten Intelligenzquotienten .... Der Psychologe
hat eine ungewöhnliche Erklärung für die Ergebnisse. .... Mit einem
durchschnittlichen Intelligenzquotienten von 107 liegen die Deutschen laut der
Untersuchung ... vor ... den Schweden (104) und den Italienern (102), wie die
Londoner »Times« in ihrer heutigen Ausgabe berichtet. Mit einem Durchschnitts-IQ
von 100 liegen die Briten zwar hinter der Spitzengruppe, aber immerhin sind sie
der Untersuchung zufolge noch klüger als die Franzosen (94). Die letzten
Plätze nehmen Rumänen, Türken und Serben ein. Als normal gilt ein
IQ von 85 bis 115; besonders intelligente Menschen können jedoch durchaus
Intelligenzquotienten von 145 erreichen. (**). |
Der
Flynn-Effekt bezeichnet die Tatsache, daß die Ergebnisse von IQ-Tests bis
in die 1990er Jahre jährlich besser wurden, die Intellignez also offenbar
zunahm (dieser Satz ist so nicht ganz richtig formuliert,
denn: der Flynn-Effekt bedeutet die jährlich besser werdenden Ergebnisse der IQ-Tests; HB). Heute ist der Flynn-Effekt zwar in den Entwicklungsländern,
allerdings nur noch in wenigen Industrienationen zu beobachten, wenngleich ein
unterschiedliches Tempo festgestellt wird. (**).
(Ebd., S. 83).
Sollte es sich beim Flynn-Effekt um ein zeitlich begrenztes Phänomen handeln, würde
dies bedeuten, daß die Menschen im allgemeinen intelligenter würden.
Flynn selbst glaubt allerdings nicht, daß dies der Fall ist. (Vgl. James Flynn
/ William Dickens, Heritability Estimates Versus Large Environmental Effects,
2001). (Ebd., S. 83). |
Neure
Untersuchungen zeigen ..., daß der Flynn-Effekt in den meisten Industrienationen
mittlerweile seine Wirkung verloren hat, und sich nun gegenläufige Effekte
einstellen. So stagniert der mittlere IQ in vielen Ländern ab etwa 1990 und
seit dem Ende der 1990er Jahre nimmt er sogar wieder ab. (**).
(Ebd., S. 83-84).
Ob
überhaupt und - wenn ja - bis zu welchem Ausmaß die Intelligenztests
bzw. IQ-Tests als wissenschaftlich bezeichnet werden dürfen, bleibt fraglich. |
In
ihrem Buch IQ and the Wealth of Nations (2002) stellen die Autoren Lynn
und Vanhanen die These auf, der Wohlsstand eines Landes korreliere mit dem durchschnittlichen
Intelligenzquotienten (IQ) der Bevölkerung. Auf Basis von Daten aus 81 Ländern
eine Korrelation von 0,82 zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen des Landes und dem durchschnittlichen
IQ der Bevölkerung und eine Korrelation von 0,64 zwischen dem Wirtschaftswachstum
und dem IQ. Sie stellen die These auf, daß der durchschnittliche IQ der
Bevölkerung sowohl auf genetischen als auch Umweltfaktoren beruhe. So könne
einerseits ein niedriger durchschnittlicher IQ ein niedriges Bruttoszialprodukt
bewirken, als auch umgekehrt ein niedriges Bruttoszialprodukt einen niedrigen
durchschnittlichen IQ. Wie nicht anders zu erwarten war, wurden die Autoren für
die Vorlage ihrer Resultate zum Teil recht hart kritisiert, denn sie hatten ein
Tabuthema berührt. Dabei sind ihre Resultate durchaus naheliegend: | Das
demographisch-ökonomische
Paradoxon behauptet einen weltweiten negativen Zusammenhang zwischen der ökonomischen
Leistungsfähigkeit eines Landes (seines Pro-Kopf-Einkommens) und der Fertilitätsrate. | | Gleichfalls
ist in vielen Ländern ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsniveau
und Kinderzahl zu beobachten. Das Bildungsniveau einer Person dürfte eng
mit ihrem IQ korrelieren. | Aufgrund dieser beiden Relationen
läßt sich ein Zusammenhang zwischen dem durchschnittliche IQ der Bevölkerung
und dem Pro-Kopf-Einkommen des Landes vermuten. Die folgende Tabelle
zeigt ausgewählte Länder mit ihren durchschnittlichen IQs und Fertilitätsraten.
Offenkundig besteht auch ein negativer Zusammenhang zwischen IQ und Fertilitätsrate,
was ebenfalls nicht überraschend ist. .... In jedem Fall sollten die ...
vorgetragenen Ergebnisse ernst genommen werden, denn sie legen nahe, daß
eine dauerhaft ausgeführte negative Selektion zu einem Abfall des durchschnittlichen
IQs der Bevölkerung führen kann und damit natürlich auch zu erheblichen
Wohlstandsverlusten. Es ist nicht auszuschließen, daß dabei langfristig
ein Gleichgewichtszustand auf niedrigerem Niveau erreicht wird. Denn mit dem Absinken
des IQs und den Qualifikationen der Bevölkerung dürfte deren Fertilitätsrate
gemäß dem demographisch-ökonomische
Paradoxon sukzessive wieder ansteigen. (Ebd., S. 84-85).Korrelation
von Intelligenz und Fertilität (am Beispiel ausgewählter Länder;
Stand: 2007) |
Stand: 2007 | Intelligenz- Quotient
(IQ) | Zusammengefaßte
Fruchtbarkeitsrate (TFR) | Südkorea | 106 | 1,27 | Japan | 105 | 1,40 | Deutschland | 103
(108) | 1,39 | Italien | 102 | 1,28 | Niederlande | 102 | 1,66 | Schweden | 101 | 1,66 | China | 100 | 1,73 | Großbritannien | 100 | 1,66 | Spanien |
99 | 1,28 | Australien |
98 | 1,76 | Frankreich |
98 | 1,84 | USA |
98 | 2,09 | Argentinien |
96 | 2,16 | Rußland |
96 | 1,28 | Israel |
94 | 2,41 | Irland |
93 | 1,86 |
| |
Stand:
2007 | Intelligenz- Quotient
(IQ) | Zusammengefaßte
Fruchtbarkeitsrate (TFR) | | Thailand |
91 | 1,64 | Türkei |
90 | 1,92 | Indonesien |
89 | 2,40 | Brasilien |
87 | 1,91 | Irak |
87 | 4,18 | Mexiko |
87 | 2,42 | Philippinen |
86 | 3,11 | Afghanistan |
83 | 6,69 | Ägypten |
83 | 2,83 | Bangladesh |
81 | 3,11 | Indien |
81 | 2,73 | Pakistan |
81 | 4,00 | Sudan |
72 | 4,72 | Ghana |
71 | 3,99 | Nigeria |
67 | 5,49 | DR
Kongo | 65 | 6,54 | |
Abbildung
4) IQs und Fertilitätsraten ausgewählter Länder |
Neben
der Intelligenz scheinen auch andere menschliche Attribute und Merkmale wie Risikofreudigkeit
bzw. Vertrauensbereitschaft eine erbliche Komponente zu besitzen (vgl. Armin Falk,
a.a.O., 2006). Dabei ist es unerheblich, ob diese Erblichkeit durch Genetik
oder Imitation (Memetik) vermittelt wird. denn entscheidend ist die nachgewiesene
Korrelation der Attribute zwischen Eltern und Kindern. (Ebd., S. 86).Aufgrund
des spezifischen Reproduktionsverhaltens moderner Gesellschaften scheiden die
Erfolgreichen und Kompetenzträger somit nicht nur bei der genetischen, sondern
weitestgehend auch bei der kulturellen Reproduktion aus: »Kulturgeschichte
begann, als das Survival-of-the-Fittest ein Imitation-of-the-Fittest
in Schlepptau nahm. Was immer Kultur definieren mag, sie gründet auf adaptiver
Imitation, also auf dem erfolgversprechenden Versuch einer vorteilhaften Teilhabe
an der Lebensleistung anderer. .... Konkurrenz entsteht dort, wo gleiche Lebensansprüche
vorherrschen und gleiche Ressourcen genutzt werden, also vorrangig innerhalb der
Populationen. Der evolutive Erfolg bemißt sich am genetischen Abschneiden
in diesem Wettbewerb, denn nur die Gene der erfolgreichen Individuen kommen eine
Runde weiter im unendlichen Evolutionsspiel, und wer erfolgreiche nachahmt, verbessert
ohne Frage seine Chancen. (Eckart Voland, Grundriß
der Soziobiologie, 1993, S. 24f.). Sowohl für biologistische als auch
kulturistische - beziehungsweise im Sinne von Richard Dawkins (vgl. Richard Dawkins,
Das egoistische Gen, 1976, S. 3l6ff.) für genetische als auch memetische
- Auffassungen gilt deshalb: Die Gesellschaft richtet sich am Erfolg aus. Gerade
wer der Meinung ist, der Mensch komme als »unbeschriebenes Blatt«
zur Welt und sei fast unbegrenzt formbar und anpassungsfähig, müßte
einen Sinn im Selektionsprinzip der Evolutionstheorie sehen, denn dieses sorgt
ganz nebenbei für ein besonders vollständiges Beschreiben des Blattes,
weil dann Kinder bevorzugt in Familien mit hohem Bildungsniveau, hoher sprachlicher
und kultureller Kompetenz und reichhaltiger Mimik und Gestik aufwachsen, und es
somit für sie besonders viel zum Nachahmen gibt. Wer auch dies noch anzweifelt
und der Auffassung ist, all dies könne Kindern auch auf anderem Wege (insbesondere
über staatliche Bildungseinrichtungen) und mit gleicher Qualität vermittelt
werden, der zweifelt generell an der Bedeutung und der Erziehungskompetenz von
Eltern. Im Prinzip wird die Rolle der Eltern dabei auf eine reine Gebär-
und Nährfunktion reduziert. (Ebd., S. 87).Um diese doch
sehr bedenklichen Konsequenzen der kulturistischen Evolutionstheorie noch deutlicher
herauszustellen, soll zunächst das Beispiel (**)
aus dem Abschnitt »Demographisch-ökonomisches
Paradoxon« ab Seite 62 ein wenig modifiziert werden (im Prinzip könnte
man sich die folgenden Überlegungen sparen, denn wie die letzten Seiten eindrucksvoll
gezeigt haben, ist Intelligenz im wesentlichen erblich): Eine Bevölkerung
(Population) aus insgesamt 1001000 Personen sei in 1001 Gruppen mit jeweils 1000
Personen gegliedert. Die Gruppen seien mit den Ziffern 0 bis 1000 gekennzeichnet.
Nehmen wir nun an, die Mitglieder der Gruppe 0 hätten ein durchschnittliches
Humankapital (eine Erläuterung des Begriffs wird im Abschnitt »Humankapital«
ab Seite 105 gegeben) der Größe 1000, die Mitglieder der Gruppe 1 von
1001, bis schließlich zur Gruppe 1000, in der jedes Mitglied ein durchschnittliches
Humankapital von 2000 hätte. Dies ergäbe ein durchschnittliches Humankapital
pro Kopf von 1500 für die gesamte Bevölkerung. Zusätzlich sollen
die folgenden Annahmen getroffen werden: | Eltern
ähneln ihren Kindern. Mit anderen Worten: Eltern »vererben« ihren
Kindern Kompetenzen, entweder über ihre Gene oder durch Imitation. Die zwischen
Eltern und Kindern feststellbaren Unterschiede sind zufällig und nicht zielgerichtet,
so daß sie sich pro Gruppe gegenseitig aufheben (sie schwanken also zufällig
um den Ausgangswert der Eltern). | | Unsere
fiktive Gesellschaft ist vollständig bildungsdurchlässig. Mit anderen
Worten: Das Humankapital eines Menschen korreliert mit den von seinen Eltern »ererbten«
Basiskompetenzen. | Wenn wir nun annehmen, die obige
Bevölkerung reproduziere sich umgekehrt proportional zu ihrem jeweiligen
Humankapital (in der Praxis würde das bedeuten: umgekehrt proportional zum
beruflichen Erfolg beziehungsweise Bildungsniveau), und zwar gemäß
der Formel:dann bliebe auf diese Weise zwar die Bevölkerungsgröße
unverändert, das durchschnittliche Humankapital der Bevölkerung sänke
aber auf 1417 pro Kopf. Oder anders ausgedrückt: Die Bevölkerung verlöre
Humankapital. (Ebd., S. 88).Manche werden einwenden, es sei
nicht sicher, daß das durchschnittliche Humankapital pro Gruppe durch die
Reproduktion unverändert bleibt, schließlich könnten weniger gebildete
Menschen ja gebildeten Nachwuchs hervorbringen, dazu bedürfe es lediglich
geeigneter Erziehungs-, Bildungs- und Integrationsanstrengungen. Leider verbirgt
sich hinter diesem Argument ein Denkfehler. Denn in unserer fiktiven Gesellschaft
gehen ja durch die Reproduktion zunächst einmal einige durch die Eltern (genetisch
oder memetisch) vermittelte Kompetenzen verloren, wobei wir angenonunen hatten,
diese Kompetenzen würden aufgrund der optimalen Bildungsdurchlässigkeit
der Gesellschaft mit dem finalen Humankapital der jeweiligen Person korrelieren.
(Ebd., S. 89).Wollte die Gesellschaft diesen Kompetenzverlust noch
wettmachen, dann müßte sie durch entsprechende Aktivitäten (insbesondere
Bildungsmaßnahmen) für eine nachträgliche Anhebung des Humankapitals
sorgen. (Natürlich im Rahmen des Möglichen.). Die fehlenden 6 Prozent
an Humankapital übersetzten sich deshalb in gesellschaftliche Kosten zum
Schließen der Lücke. Und diese Kosten wären wie immer durch die
Kompetenzträger zu erbringen, die nun gleich doppelt zur Kasse gebeten würden:
Einerseits müßten sie die Sozialleistungen für sozial schwache
und bildungsfeme Schichten erwirtschaften, andererseits die zusätzlichen
Bildungsmaßnahmen für deren Kinder. Unterblieben die gesellschaftlichen
Anstrengungen zum Schließen der Humankapitallücke (**),
dann würde es in der nächsten Generation wie beschrieben weitergehen,
weswegen dann vielleicht schon ein l2-prozentiger gesellschaftlicher Kompetenzverlust
zu bedauern wäre. Damit würde eine Spirale in Gang gesetzt, die der
Gesellschaft sukzessive ihre gesamten Kompetenzen rauben könnte. (Ebd.,
S. 89).
Sollte
der Humakapitalverlust doch genetische Ursachen haben, dann hätten die gesellschaftlichen
Bildungsmaßnahmen keinen Einfluß auf den hier beschriebenen Prozeß,
denn gemäß der Weismann-Barriere (**)
können Bildungsmaßnahmen keinen Einfluß auf den Erbgang nehmen.
(Ebd., S. 89). |
Nun
war aber eine der Kernaussagen der kulturistischen Evolutionstheorie (wir erinnern
uns): Es ist egal, wer in einer Gesellschaft Kinder bekommt. Wenn sozial schwache
und bildungsferne Schichten mehr Kinder bekommen als Schichten mit hohem sozioökonomischem
Status oder Bildungsniveau, dann müssen deren Kinder eben gezielt gefördert
werden. Daraus folgt aber zwangsläufig: Der elterliche Beitrag zur Entwicklung
der Kinder kann durch gesellschaftliche Fördermaßnahmen wieder ausgeglichen
werden, was erhebliche ethische Konsequenzen hätte: | Das
genetische Erbe der Eltern wäre ohne Bedeutung. Wer die leiblichen Eltern
sind, spielte somit keine Rolle. | | Die
Erziehungsleistungen der Eltern wären vernachlässigbar, denn alle Kompetenzen
könnten ja in gleicher Weise durch staatliche Einrichtungen vermittelt werden. | Beide
Punkte zusammen degradierten die Eltern zur Bedeutungslosigkeit. Im Prinzip wären
sie ersetzbar. (Bei dieser Haltung handelt es sich also letztendlich um eine Respektlosigkeit
dem Leben gegenüber). Wie wir gesehen haben, arbeitet die natürliche
Selektion der Evolution absichtslos. Ein als Konzertpianist tätiger Vater
ließe seine Tochter möglicherweise schon frühzeitig einmal ans
Klavier, während der Sohn einer Sopranistin vielleicht versuchte, einige
Übungsstücke seiner Mutter nachzusingen. Die kulturistische Evolutionstheorie
ersetzt nun aber Absichtslosigkeit durch staatliche Planung, in dem sie indirekt
behauptet, beide elterlichen Beiträge (inklusive der nicht erwähnten,
aber vermutlich erheblichen genetischen Beiträge) könnten durch das
gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern im Kindergarten ausgeglichen werden. Wäre
dies nicht der Fall, hätten ja die Kinder des Konzertpianisten und der Sopranistin
doch wieder irgendeinen Startvorteil. (Ebd., S. 89-90).Hatten
bestimmte Formen des Sozialdarwinismus die Absicht, angeblich wertlose und inkompetente
Menschen aus der Gesellschaft zu entfemen, oder sie doch wenigstens an der Reproduktion
zu hindern, so betreibt die kulturistische Evolutionstheorie die Elimination besonderer
Fähigkeiten, und zwar mit planerischen Mitteln. Stellten aktive Formen des
Sozialdarwinismus eine Verletzung von Menschenrechten dar, so ignoriert die kulturistische
Evolutionstheorie das Prinzip der Generationengerechtigkeit.
Beide Auffassungen sind deshalb aus ethischen Gründen abzulehnen. Chancengleichheit
bedeutet eigentlich nur: gleiche Chancen bei gleichen Voraussetzungen. Ein Mann
mit einer Körpergröße von 1,65 m würde wohl niemals Olympiasieger
im Hochsprung werden können. Er hätte zwar prinzipiell die gleichen
Chancen (er würde nicht von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen), nicht
aber die gleichen Möglichkeiten Weswegen zum Beispiel in manchen Sportarten
nicht nur nach Geschlecht, sondern auch nach Gewichtsklasse separiert wird.
(Ebd., S. 90).Da Bildung in unserer Gesellschaft das höchste
Gut und die wichtigste Voraussetzung für einen späteren beruflichen
Erfolg ist, schließt die kulturistische Evolutionstheorie das Vorhandensein
unterschiedlicher geistiger »Möglichkeiten«, insbesondere solchen,
die von den Eltern vermittelt oder gar vererbt werden, von vornherein aus. Aus
einem »Bildung-für-Alle« generiert auf diese Weise ein Zwang
zur Bildung: »Die Idee, daß alle gebildet sein sollten, ist doch eine
verkleidete sozialistische Utopie im neoliberalen Gewand, die die natürliche
Ungleichheit der Menschen ignoriert.« (Matthias Heine, Ich war Unterschicht,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29.10.2006 [**]).
Es wäre die Aufgabe einer Solidargemeinschaft, sich zu bemühen, allen
Menschen einen Lebenssinn zu geben, selbst dann, wenn sie nicht bildungsfähig
sind. Allerdings setzt dies ein ausgewogenes gesellschaftliches Reproduktionsverhalten
voraus. Um nicht mißverstanden zu werden: Hier wird nicht behauptet, Bildungsmaßnahmen
für sozial schwache beziehungsweise bildungsferne Schichten lohnten sich
nicht. Im Gegenteil: Jeder der bildungsfähig und -willig ist, sollte Zugang
zu einem möglichst breiten Bildungsangebot haben. Der Staat sollte alles
dafür tun, ein Optimum an Bildungsdurchlässigkeit zu erreichen. Die
Aussage ist allerdings: Solche Maßnahmen mögen für Einzelpersonen
sehr sinnvoll sein, sie stellen aber kein generelles gesellschaftliches Konzept
dar, um Generationengerechtigkeit
zu gewährleisten. (Ebd., S. 91).Sozialer Erfolg hängt
aber auch in modernen Gesellschaften nicht nur von den geistigen Kompetenzen,
sondern auch von körperlichen Merkmalen ab. Ein Großteil der genetischen
Vielfalt und Weiterentwicklung dient zum Beispiel der Abwehr von Krankheitserregern
oder der Verbesserung des Stoffwechsels. Dies soll am Beispiel der chronischen
Erkrankungen Migräne und Typ-2-Diabetes verdeutlicht werden. Menschen, die
frühzeitig an schwerer Migräne erkranken, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit
unter beruflichen Nachteilen zu leiden haben. Möglicherweise werden sie sogar
irgendwann ihre Arbeit wegen hoher Fehlzeiten verlieren. Sie gehören dann
zu den weniger erfolgreichen Menschen. In verschiedenen Studien konnte aber längst
nachgewiesen werden, daß sich die Verbreitung von Migräne umgekehrt
proportional zur sozialen Position verhält. Ein analoger Zusammenhang gilt
für Typ-2-Diabetes. Nimmt man - wie die Medizin - an, bei Migräne und
Diabetes spiele die genetische Disposition eine entscheidende Rolle (vgl. Peter
Mersch, Migräne,
2006, S. 225ff.), dann greifen bei einem negativen Zusammenhang zwischen sozialer
Position und Kinderzahl die im obigen Beispiel angeführten Mechanismen, und
die genetische Disposition für Migräne oder Diabetes dürfte sich
in der Bevölkerung weiter ausbreiten. Man vergleiche dazu auch die Ausführungen
in: Thomas Junker, Die Evolution des Menschen, 2006, S. 114). Normalerweise
verhält sich eine Population gemäß dem Evolutionsprinzip genau
umgekehrt. Beispielsweise konnten Untersuchungen zeigen, daß in einer Bevölkerung
um so seltener HLA-Antigene (bei Menschen, die das HLA-DQ2-Antigen besitzen, besteht
ein deutlich erhöhtes Risiko, an Zöliakie zu erkranken) nachgewiesen
werden können, je länger die Einführung von Getreide als Grundnahrungsmittel
bereits zurückliegt (Loren Cordain, 2004, S. 55f.). Dieses Ergebnis entspricht
dem Evolutionsprinzip: Eine Unverträglichkeit (fehlende Anpassung an die
Umwelt) wächst sich sukzessive genetisch aus, sofern sie mit evolutionären
Nachteilen verbunden ist. (Ebd., S. 91-92).Insgesamt konnte
auf den letzten Seiten unter anderem herausgearbeitet werden: | Intelligenz
ist zu mindestens 70 Prozent erblich. Es besteht eine hohe Korrelation zwischen
der Intelligenz getrennt aufwachsender eineiiger Zwillinge, eine beträchtliche
Korrelation zwischen der Intelligenz von leiblichen Eltern und ihren in anderen
Familien aufwachsenden Kindern und fast keine Korrelation zwischen der Intelligenz
von Adoptiveltern und Adoptivkindern. | | Der
durchschnittliche Intelligenzquotient eines Landes korreliert mit dessen Wirtschaftskraft. | | In
modernen Gesellschaften korreliert Intelligenz mit Bildungserfolg und Bildungserfolg
mit sozialem Erfolg. | | Der
durchschnittliche Intelligenzquotient der entwickelten Gesellschaften ist ...
rückläufig. Parallel dazu haben sich gesellschaftliche Phänomene
wie Langzeitarbeitslosigkeit und das Entstehen eines abgehängten Prekariats
(»Unterschicht«) herausgebildet. | | Ein
fortwährender negativer Zusammenhang zwischen sozialer Position beziehungsweise
Bildungsniveau und Zahl an Nachkommen dürfte die Generationengerechtigkeit
verletzten, soziale Ungleichheiten vergrößern und Brasilianisierungsprozesse
begünstigen. | | Ein
fortwährender negativer Zusammenhang zwischen sozialer Position beziehungsweise
Bildungsniveau und Zahl an Nachkommen dürfte einen gesellschaftsweiten Verlust
an Humankapital zur Folge haben, der durch zusätzliche Bildungsmaßnahmen
mcht mehr wettzumachen ist. | Die Befunde sind in der
Summe so schwerwiegend, daß sie keinen Raum für Tabuisierungen oder
ideologische Fixierungen lassen. Im Prinzip wird hier gesagt: Unser Staat zerstört
sich selbst von innen heraus. Und die Ursache dafür ist ganz wesentlich in
der einseitigen und sogar staatlich geförderten Priorisierung von produktiven
gegenüber reproduktiven Tätig keiten zu suchen. (Ebd., S. 92-93).Wer
der »kulturistischen« Auffassung ist, ein negativer Zusammenhang zwischen
sozioökonomischem Status beziehungsweise Bildungsniveau und Kinderzahl stelle
für eine Gesellschaft (beziehungsweise global gesehen für die ganze
Welt) kein substanzielles Problem dar, sollte präzise erläutern können,
mit welchen nachträglichen Mitteln aus einem »Weniger« dann doch
noch ein »Mehr« entstehen kann, wie aus einer geringeren Anpassung
an die äußeren Bedingungen eine größere werden kann, wie
ein Pro-Kopf-Verlust an Humankapital noch wett gemacht werden kann, zumal ja bei
dieser Reproduktionsweise gleichzeitig auch die Mittel schwinden, also diejenigen,
die die Kompetenzen für den Ausgleich der fehlenden Anpassung oder des Humankapitals
hätten. Und derjenige sollte erklären können, wie auf diese Weise
Generationengerechtigkeit
gewährleistet werden kann. Ein einfaches Behaupten von angeblichen Zusammenhängen
ist in diesem Falle nicht ausreichend. Dafür sind die möglichen langfristigen
Implikationen viel zu groß. (Ebd., S. 93).Solange
für die kulturistische Evolutionstheorie kein schlüssiges nachrechenbares
Konzept vorliegt, sollte man dem Einfachheitsprinzip folgen: Eine negative Selektion
belohnt gesellschaftlichen Mißerfolg mit genetischem »Überleben«
und wird deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach die Stärkung sozial schwacher
und bildungsferner Schichten zur Folge haben. Schlimmer noch: sie bestraft gesellschaftlichen
Erfolg mit genetischer Elimination, obwohl genau diese Personen erforderlich wären,
um sozial schwache und bildungsferne Bevölkerungskreise aus ihrer Misere
zu holen. Es sind die Leistungsträger, die die Ideen entwickeln, die Arbeitsplätze
schaffen, die Kultur weiterentwickeln und das Wissen vermitteln können, und
genau diese schwinden als Folge des aktuellen Reproduktionsverhaltens mehr und
mehr. (Ebd., S. 93-94).
3) Familie
Im westlichen Kulturkreis wird
heute unter Familie in der Regel die sogenannte Kernfamilie aus Vater, Mutter
und deren Kindern verstanden. In der Tat ist sie in modernen Gesellschaften die
weiterhin häufigste Familienform. Alternative Modelle wie Alleinerziehung,
Wohngemeinschaften, das Zusammenleben zweier Elternteile mit nichtgemeinsamen
oder gar jeweils eigenen Kindern nehmen zwar anteilsmäßig zu, bleiben
aber vorläufig noch in der Minderheit. (Ebd., S. ).Einige
Experten vermuten, in Wissensgesellschaften und aufgrund von Fortschritten in
der Telekommunikation könnten wieder vermehrt Heimarbeitsplätze entstehen,
so daß das »Ganze Haus« gleichfalls eine Renaissance erleben
würde. (Ebd., S. 96).Erst das verstärkte Aufkommen
von angenehmeren Jobs, bei denen in erster Linie intellektuelle und von Frauen
in gleicher Weise erbringbare Leistungen gefordert waren, ließ die klassische
Rollenaufteilung als eher günstig für den männlichen Teil der Bevölkerung
erscheinen (und deshalb die Frauen in die männliche
Welt drängen; HB). (Ebd., S. 97).Die berufsorientierte
weibliche Emanzipation hat die grundsätzliche Struktur der gesellschaftlichen
Reproduktionseinheit Familie in Frage gestellt. Nun sollen sowohl Männer
als auch Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen. In diesem Fall verliert der ursprüngliche
Arbeitsvertrag zwischen den Eheleuten - die Ehe - an Bedeutung beziehungsweise
Sinnahaftigkeit. Die Folgen sind heute bereits überall spürbar: Ehen
haben keinen wirklichen Bestand mehr. (Ebd., S. 98).Die Neue
Frauenbewegung hat ein anderes Familienmodell dagegen gestellt, welches in
unserer Gesellschaft mittlerweile auf breite Akzeptanz stößt. Es basiert
auf der Annahme einer grundsätzlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. | Mann
und Frau gehen beide arbeiten und verdienen dafür Geld. Außerdem teilen
sie sich die Familienarbeit und verdienen dafüir beide kein Geld. | Vielen
Familien erscheint die prinzipielle Vereinbarkeit dieser völlig unterschiedlichen
und zeitaufwändigen Aufgaben jedoch als Mythos; sie erleben beides als Addition.
(Vgl. Iris Radisch, Die Schule der Frauen - Wie wir die Familie neu erfinden,
2007, S. 139ff.). Auch scheint die Reduzierung der Arbeitszeiten bei beiden Ehepartnern
zwecks einer gerechteren Aufteilung der Familienarbeit aus ökonomischer Sicht
fur die betroffenen Familien häufig die schlechteste Lösung zu sein,
da dann beide Ehepartner auf eine Karrieremöglichkeit und somit zusätzliche
Verdienstmöglichkeiten verzichten müssen. Auch schließen zahlreiche
Berufe und hier insbesondere typische Männerberufe (Pilot, Lokführer,
Dachdecker, Fernfahrer u.s.w.) Vereinbarkeitsszenarien von vornherein weitestgehend
aus. (Ebd., S. 98-99).Die bisherigen Ausführungen konnten
deutlich machen: Der Geburtenrückgang in den entwickelten Ländern ist
in erster Linie auf das Verschwinden der Mehrkindfamilie mit drei oder mehr Kindern
zurückzuführen. Ferner konnte evolutionstheoretisch abgeleitet werden:
Solche größeren Familien sollten vor allem in sozial erfolgreichen
und gebildeten Schichten entstehen, wo sie aber wegen den seit der Emanzipation
der Frauen enorm angestiegenen Opportunitätskosten von Kindern für Frauen
nur noch besonders selten vorzufinden sind. Bei einer größeren Familie
mit vier oder fünf Kindern nimmt die Familienarbeit eine solche Größenordnung
an, daß ein Elternteil (in der Regel die Mutter) über einen Zeitraum
von zehn oder mehr Jahren keiner oder nur einer geringfügigen gleichzeitigen
Erwerbsarbeit nachgehen kann (Ausnahmen bestätigen die Regel). Damit verfügt
die Familie fast ausschließlich über das Einkommen des Ehemannes und
damit über deutlich geringere Einkünfte bei gleichzeitig wesentlich
höheren Kosten gegenüber berufstätigen Kleinfamilien beziehungsweise
Kinderlosen. Ferner sind solche Familien, die - wie gesagt - für die Bestandserhaltung
der Bevölkerung unbedingt erforderlich sind, dazu gezwungen, für einen
längeren Zeitraum zu einer modernen Abwandlung des patriarchalischen Ernährermodells
zurückzukehren, was aber eigentlich nicht mehr dem Zeitgeist entspricht.
(Ebd., S. 99).Dieses Familienmodell trägt den Namen Phasenmodell. | Mann
und Frau gehen beide arbeiten und verdienen dafür Geld. Die Frau unterbricht
ihre berufliche Tätigkeit für eine längere Familienphase und verdient
in dieser Zeit kein Geld. | Konkret heißt
das: Während der Familienphase kommt das patriarchalische Ernährermodell
zur Anwendung. Die Frau verzichtet dann auf nennenswerte Rentenansprüche,
vor allem aber auf ein eigenes nennenswertes Einkommen und damit auf eine Kernerrungenschaft
der weiblichen Emanzipation, nämlich Berufstätigkeit und ökonomische
Selbständigkeit. Die Alternativen lauten jetzt: Ökonomische Abhängigkeit
vom Ehemann oder von der Sozialhilfe. Daneben besitzt das Modell weitere Nachteile.
Speziell für gut ausgebildete Frauen dürfte es wenig attraktiv sein.
(Ebd., S. 100).Ferner wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche
Gesetze (zum Beispiel die Scheidungsgesetze) so umgestaltet, daß die Gründung
einer größeren Familie mittlerweile mit unkalkulierbaren Risiken für
beide Ehepartner verbunden ist. (Ebd., S. 100).Das klassische
Ernährermodell inklusive seiner modernen Variante Phasenmodell
hat in diesem Sinne also auch für größere Familien längst
ausgedient. An die Stelle des Ehemanns als Ernährer der Familie tritt mehr
und mehr der Staat. (Vgl. Norbert Bolz,
Die Helden der Familie, 2006, S. 35 [**]).
Dieser Tatbestand gilt in den entwickelten Ländern längst für einen
nennenswerten Anteil kinderreicher Familien. Ungefähr 60 Prozent aller Alleinerziehenden
mit zwei oder mehr Kindern gelten als arm. Bei Paaren öffnet sich die Schere
ab drei Kindern. (Ebd., S. 100).Man könnte auch sagen:
Basierte im Patriarchat die Familie noch auf Vereinbarungen zwischen Privatpersonen,
so wird sie unter den Gesetzen der Geschlechtergleichberechtigung mehr und mehr
zu einer öffentlichen Angelegenheit, bei der der Staat zunehmend in die Rolle
des vormals männlichen Ernährers schlüpft. Dies ist auch aus anderen
Gründen naheliegend: lm Abschnitt »Kollektivaufgaben«
ab Seite 138 wird aufgezeigt, daß so genannte Individualisierungsprozesse
- wie sie im Rahmen der weiblichen Emanzipation auf Seiten der Frauen stattgefunden
haben - üblicherweise mit einer Auslagerung von Kollektivaufgaben, die ja
einen Teil der vormaligen gesellschaftlichen Rolle ausgemacht haben, an Dritte,
häufig an den Wohlfahrtsstaat, einhergehen. Es ist also nur folgerichtig,
wenn der Wohlfahrtsstaat nun die Finanzierung größerer Familien in
seine Verantwortung übernimmt: Frauen und Männer als Individuen sind
unter den heutigen Verhältnissen dazu offenkundig nicht mehr in der Lage.
(Ebd., S. 100-101).Aber auch der im Abschnitt »Unternehmen
und Reproduktion« ab Seite 117 angestellte Vergleich zwischen der Produkt-Reproduktion
in Unternehmen (Forschung und Entwicklung) und der gesellschaftlichen Reproduktion
weist in die gleiche Richtung. Pharmakonzerne finanzieren ihre Forschungsaktivitäten
keineswegs produktbezogen, denn andernfalls könnten die mit einem Produkt
erzielten Milliardengewinne nicht für Forschungsaktivitäten in ganz
anderen zukunftsträchtigen Bereichen verwendet werden. (Ebd., S. 101).Es
könnte deshalb auch für menschliche Gesellschaften Sinn machen, sich
an dieser Vorgehensweise zu orientieren: Die Gemeinschaft der Kinderlosen investiert
einen Teil ihrer Gewinne in die gesellschaftliche Nachwuchsarbeit. Die Verteilung
der Gelder erfolgt dann über zentrale Instanzen. Dabei würde zunächst
ein alternatives (ergänzendes) Familienmodell zur Unterstützung von
Mehrkindfamilien implementiert. Konkret könnte das so aussehen: | Der
Mann geht arbeiten und verdient Geld, die Frau zieht die Kinder auf und verdient
dafür ebenfalls Geld. | Dieses Familienmodell
wird im Rahmen des vorliegenden Buches als Familienmanagermodell bezeichnet. Wie
noch gezeigt wird, dürfte es das einzige Familienmodell sein, welches einen
nennenswerten Anteil gut ausgebildeter Frauen unter den Gesetzen der Gleichberechtigung
der Geschlechter zur Gründung einer Mehrkindfamilie bewegen könnte.
Natürlich würde auch die umgekehrte Variante (Die Frau geht arbeiten
und verdient Geld, der Mann zieht die Kinder auf und verdient dafür ebenfalls
Geld) funktionieren, allerdings dürften solche Konstellationen eher selten
sein. Ferner würde das Modell Alleinerziehung (Die Frau zieht die Kinder
auf und verdient dafür Geld) - gegebenenfalls im Zusammenleben mit unterschiedlichen
Partnern - unterstützen, was für moderne Gesellschaften unerläßlich
zu sein scheint. (Ebd., S. 101).
4) Reproduktion
Es
gibt gar keinen Primat der Ökonomie .... Die meisten - und Politiker sowieso
- wissen nicht, was Deutschland ist. Denn ob sich etwas rechnet oder nicht, hängt
zunächst einmal ganz entscheidend davon ab, für wen sich sich etwas
rechnet. Und da schienen doch seit vielen Jahren die Fronten verwechslt zu werden.
Macht man es dann richtig, stellt sich heraus: nichts rechnet sich so sehr für
Deutschland wie gebildete und guterzogene Kinder. (Ebd., S. 103).
4.1) Wissensgesellschaft
Der Begriff Wissensgesellschaft
bezeichnet eine Gesellschaftsform in hochentwickelten Ländern, in der kognitive
Fähigkeiten und individuelles und kollektives Wissen zur Grundlage des sozialen
und ökonomischen Zusammenlebens werden. Eine ganz ähnliche Intention
besitzt der Begriff »Informationsgesellschaft«, allerdings stehen
dabei spezifische technische Aspekte wie die Informationstechnologie stärker
im Vordergrund, so daß dem Begriff »Wissensgesellschaft« heute
in der Regel der Vorzug gegeben wird. Eine Vorstufe davon benennt der Begriff
»Dienstleistungsgesellschaft«, in der nicht die Produktion von Waren,
sondern das Abwickeln nichtmaterieller Dienstleistungen zum wichtigsten Teil der
wirtschaftlichen Wertschöpfungskette geworden ist. (**).
Gemeinsam ist allen diesen Begriffen und Ansätzen die zunehmende Relevanz
eher nichtmaterieller Prozesse und Produkte für das Wirtschafts- und Sozialleben
(»Dematerialisierung«). Wissensgesellschaften sind also letztendlich
intelligente Gesellschaften, in ihnen werden Wissen und kognitive Fähigkeiten
zu den entscheidenden Produktionsfaktoren. (Ebd., S. 104-105).
4.2) Humankapital
Die in Wissensgesellschaften besonders relevanten
Produktionsfaktoren können wie folgt eingeteilt werden: | Humankapital
- Das in ausgebildeten und lernfähigen Individuen repräsentierte
Leistungspotential einer Bevölkerung | | Sozialkapital -
Bewährte und intakte soziale Strukturen, Traditionen, elementare Normen und
Sanktionen. | | Wissenskapital -
Das nicht an Personen gebundene, ökonomisch relevante
Wissen. | Es läßt sich argumentieren, daß
neben den obige Ressourcen auch das »Reproduktionskapital« für
die Stärke und zukünftige Entwicklung einer Gesellschaft von entscheidender
Bedeutung sein könnte. | Reproduktionskapital
- Das in ausgebildeten und lernfähigen Individuen repräsentierte
Reproduktions- und Erziehungspotential einer Bevölkerung | ...
Der Unterscheidung von Human- und Reproduktionskapital liegt der Gedanke zugrunde,
daß die Erneuerung der Ressource Humankapital selbst Ressourcen bindet und
nicht kontextfrei zu haben ist. Die Quantitäten und Qualitäten dieser
Ressourcen bestimmen ganz wesentlich die zukünftigen Quantitäten und
Qualitäten des Humankapitals. (Ebd., S. 105-106).Und
damit bin ich bei einem sehr ernsten problem moderner Gesellschaften, welches
in den vergangenen Kapiteln herausgearbeitet werden konnte: | Das
Humankapital eines Menschen korreliert schon aus biologischen Gründen mit
dem seiner Eltern. | | Humankapitalreiche
Frauen paaren sich meist mit humankapitalreichen Männern - und umgekehrt. | | Frauen,
und nun zunehmend auch Männer, haben um so weniger Nachkommen, je höher
ihr Humankapital ist. Dieses wird dann nämlich priorisiert in der produktion
angefordert, wodurch es zu einem Verlust an Reproduktionskapital kommt. | Die
zwangsläufige Folgerung daraus ist (dies wurde noch etwas formaler in einem
Beispiel im Abschnitt »Widerlegung
der kulturistischen Evolutionstheorie« ab Seite 79 nachgewiesen): | Die
nächste Generation wird durchschnittlich pro Kopf weniger Humankapital besitzen,
als die vorangegangene. Für das Reproduktionskapital dürften ganz ähnliche
Aussagen gelten. | Wir haben es hier mit einem klassischen
Organisationsfehler zu tun. Und natürlich auch mit der noch öfter zu
bemängelnden allgemeinen gesellschaftlichen Entwertung reproduktiver Tätigkeiten
und Kompetenzen. Denn eine humankapitalreiche Frau hat ja in modernen Gesellschaften
die Alternativen, ihr Humankapital produktiv einzusetzen, wodurch sie reich werden
kann, oder es als Reproduktionskapital »multipliziert« an die nächste
Generation weiterzugeben, wodurch sie arm werden kann. Sie dürfte sich unter
diesen Gegebenheiten in aller Regel für den produktiven Weg entscheiden und
sich dabei vermutlich mit einem humankapitalreichen Mann paaren (ohne
dadurch Kinder zu bekommen, versteht sich; HB), so daß auch
dessen Kompetenzen der nächsten Generation nicht mehr zur Verfügung
stehen. (Ebd., S. 106-107).Grundsätzlich läßt
sich feststellen: In der Produktion werden Ressourcen konsumiert, in der Reproduktion
- sofern es sich um erneuerbare Ressourcen handelt - dann wieder aufgebaut. Stärkt
man die Produktion auf Kosten der Reproduktion, werden sich Ressourcen schneller
verbrauchen, möglicherweise sogar deutlich schneller, als sie von der Reproduktion
wiederhergestellt werden können. Man beginnt dann von der Substanz zu leben.
Genau dies erleben wir aber zur Zeit in den entwickelten westlichen Staaten: Männer
und Frauen in die Produktion, kaum jemand in die Reproduktion. (Ebd., S.
107).Die relative Gleichgewichtigkeit von Produktion und Reproduktion
war eines der Erfolgsgeheimnisse der Spezies Mensch. Durch die klare und effiziente
Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern (Männer: Produktion, Frauen: Reproduktion)
konnten besonders viele Kinder durchgebracht, aufgezogen und unterrichtet werden.
Die sexuelle Arbeitsteilung des Menschen stellte einen evolutionären Vorteil
dar. Allerdings ist diese heute nicht mehr in gleichem Umfang vonnöten. Aufgrund
der hohen Säuglings-, Kinder- und Müttersterblichkeit war in der gesamten
Geschichte der Menschheit wohl eher eine Fertilitätsrate von fünf oder
mehr zur Bestandssicherung einer Population erforderlich. Durch bessere Medizin,
Hygiene und Ernährung reichen heute bereits durchschnittlich 2,1 Kinder pro
Frau. Berücksichtigt man zusätzlich noch die gleichzeitig deutlich gestiegene
Lebenserwartung, dann besteht nun die Möglichkeit, die Gewichtung von Produktion
und Reproduktion anteilsmäßig ein wenig in Richtung Produktion zu verschieben.
Wie weit das allerdings sinnvoll ist, wird auf den nächsten Seiten diskutiert.
(Ebd., S. 107-108).Im vorliegenden Buch wird einfachheitshalber
überall dort, wo eine Unterscheidung von Human- und Reproduktionskapital
nicht unmittelbar von Bedeutung ist, nur der etabliertere Begriff Humankapital
(beziehungsweise Humanvermögen) verwendet (Ebd., S. 108).
4.3) Marktwirtschaft und Reproduktion
Eine der wichtigsten
Aufgaben eines Staates in Wissensgesellschaften ist die Sicherung, Reproduktion
und Mehrung des Humanvermögens. (Vgl. Peter Mersch, Land
ohne Kinder, 2006, S. 39ff.). Dies gilt insbesondere dann, wenn -
wie in der gesamten Europäischen Union - kaum weitere natürliche Ressourcen
(Rohstoffe, Erdöl u.s.w.) zur Verfügung stehen, die bei einer Minderung
des Humanvermögens für einen temporären Ausgleich sorgen könnten.
Deutschland wird auch als Land der Dichter und Denker bezeichnet, was bereits
darauf hinweist, daß Intelligenz und Kompetenzen seiner Menschen Schlüselfaktoren
für seinen Erfolg waren und sind (und hoffentlich auch
bleiben! HB), ja man könnte sagen: Geistige Fähigkeiten
und theoretisches Wissen sind das Öl der Deutschen. (Ebd., S. 108).Einzelpersonen
und Unternehmen gehen einer wirtschaftlichen Tätigkeit nach, ein Staat sorgt
dagegen dafür, daß diese dies innerhalb seiner Grenzen möglichst
erfolgreich und störungsfrei tun können. dabei spielen diverse Faktoren
eine entscheidende Rolle: »Die Vorstellung einer »Standortkonkurrenz«
zwischen ganzen Volkswirtschaften bezieht sich nicht etwa nur auf Löhne und
Abgaben, sondern auf den Zusammenhang zwischen politischen (z.B. Rechtssicherheit,
sozialer Friede), ökonomischen und soziokulturellen Standortfaktoren; zu
letzteren zählen insbesondere die Arbeitskräfte mit ihren Motivationen
und Fähigkeiten, also das sogenannte Humanvermögen, aber auch die infrastrukturellen
Voraussetzungen der Produktivität wie Forschung, Kommunikation oder Lebensqualität.«
(Vgl. Franz-Xaver Kaufmann,
Schrumpfende Gesellschaft, 2005, S. 170 [**]).
Optimalerweise hält sich ein Staat also aus dem eigentlichen Marktgeschehen
weitestgehend heraus und sorgt statt dessen für attraktive Infrastrukturen
und leistungsfähige Regelwerke, auf denen sich die Märkte entwickeln
können. Marktwirtschaften ... fußen dabei üblicherweise auf den
folgenden Grundregeln: | Privateigentum: Privateigentum
und privatwirtschaftliche Regelungsformen haben Vorrang gegenüber staatlichen
Einflußnahmen. Insbesondere ist es nicht Aufgabe des Staates, unternehmerisch
tätig zu werden. | | Markt
als Steuerungsinstrument: Allein der Markt,
also Angebot und Nachfrage, entscheidet über Art, Preis und
Menge der Sach- und Dienstleistungen. | | Wettbewerb:
Der Staat hat für funktionierende Märkte zu
sorgen und im Falle deutlich unvollkommener Märkte regulierend einzugreifen | Daneben
verbleibt als eine wesentliche staatliche Aufgabe die Reproduktion und Mehrung
des Humanvermögens. Denn gemäß den obigen Darstellungen (und den
weiteren Ausführungen des vorliegenden Buches) stellt ja das Humankapital
in Form von »gut ausgebildeten, orientierten und motivierten Menschen«
eines der wichtigsten vermarktbaren »Produkte« eines Landes dar. Anders
als beim Erdöl handelt sich hierbei jedoch um eine erneuerbare Ressource,
die regelmäßig in hoher Qualität »reproduziert« werden
kann und muß. Wie im Abschnitt »Widerlegung
der kulturistischen Evolutionstheorie« ab Seite 79 gezeigt wurde, spielen
dabei aber nicht nur Erziehung und Bildung, sondern ganz entscheidend auch erbliche
Faktoren eine Rolle. Die über den durchschnittlichen Intelligenzquotienten
grob meßbaren Humankapitalqualitäten ein Bevölkerung scheinen
eng mit dem Wohlstand eines Landes zu korrelieren. All dies hebt die enorme Bedeutung
der gesellschaftlichen Reproduktion aus Sicht eines Territorialstaates hervor.
(Ebd., S. 109-110).Die gesellschaftliche Reproduktion ist jedoch
- anders als das eigentliche Wirtschaftsgeschehen - in den Industrienationen zur
Zeit sozialistisch organisiert (der Aufwand für das Aufziehen von Kindern
ist von den Familen privat zu erbringen, der Nutzen wird dagegen sozialisiert),
weswegen es gemäß den Ausführungen im Abschnitt »Die
Tragik der Allmende« ab Seite 143 zu den dort beschriebenen Problemen
kommen wird, was ja in den meisten modernen Gesellschaften auch längst zu
beobachten ist. Im Kapitel »Was
tun?« ab Seite 179 wird vorgeschlagen, einige marktwirtschaftliche
Elemente nun auch auf die gesellschaftliche Reproduktion zu übertragen. Es
erscheint nämlich kaum vorstellbar, daß eine marktwirtschaftliche Produktion
und eine sozialistisch organisierte Reproduktion dauerhaft im gleichen Wirtschaftsraum
erfolgreich nebeneinander existieren können. In Unternehmen wird dies jedenfalls
nicht so praktiziert, wie in den nächsten Abschnitten gezeigt wird.
(Ebd., S. 110).
4.4) Staat und Unternehmen
Abstrakt könnte
man ein Land mit einem Forstbetrieb vergleichen, der etwa Obstbäume anpflanzt.
Diverse lokale, aber auch globaloperierende Lebensmittelkonzerne haben temporäre
Rechte daran erworben, die Früchte von ausgewählten Bäumen exklusiv
ernten zu können. Einige Unternehmen sind vorwiegend an Äpfeln interessiert,
andere an unterschiedlichen Früchten, zum Teil auch an speziellen Sorten,
die nur von ganz wenigen Forstbetrieben in ausreichender Menge angeboten werden.
(Ebd., S. 111).Im übertragenen Sinne: Die Forstbetriebe sind
die Gesellschaften (die Staaten), die Bäume die Menschen, die Früchte
deren Kompetenzen und die Lebensmittelkonzerne die Unternehmen. Die Lebensmittelkonzerne
(Unternehmen) entwickeln sich folglich zu den Kunden der Forstbetriebe (Staaten),
beziehungsweise die Forstbetriebe (Staaten) umgekehrt zu deren Lieferanten.
(Ebd., S. 111).Das eigentliche Geschäft wird mit Marmelade
oder Obstsäften (= VW Golf, Transrapid, Aspirin) gemacht. Dies ist
aber das Geschäft der Lebensmittelkonzerne (Unternehmen), welche es sich
letztendlich aussuchen können, wo auf der Welt sie ihre Früchte einkaufen.
Wenn ein Forstbetrieb (Staat) sehr ertragreiche und leicht zugängliche Bäume
mit besonders wohlschmeckenden und saftigen Sorten zu akzeptablen Konditionen
und unter leistungsfrthigen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzubieten
hat (= Michael Schumacher), dann wird sein Angebot möglicherweise viele Interessenten
ansprechen. Die Aufgabe des Forstbetriebes wäre es also, stets eine ausreichende
Menge an möglichst ertragreichen Bäumen bereitzustellen und dafür
zu sorgen, daß deren Früchte unter fairen Marktbedingungen erworben
und möglichst leicht geerntet werden können (zum Beispiel durch Infrastrukturentwicklungen).
Es ist nicht seine Aufgabe, in den Markt oder das Geschäft der Lebensmittelkonzerne
direkt hineinzuregieren. (Ebd., S. 111).Der Fokus der Lebensmittelkonzerne
(Unternehmen) liegt folglich auf der Produktion, der des Forstbetriebes (Staat)
auf der Reproduktion. (Ebd., S. 111).Da aber der Forstbetrieb
letztendlich auch nur an den Früchten Geld verdient, könnte er auf die
Idee kommen, die Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit zu reduzieren,
den Ertrag pro Baum zu steigern und die Investitionen in neue Pflanzen zu vernachlässigen.
Auch wäre eine Möglichkeit, in erster Linie Bäume mit weniger schmackhaften
Früchten für die Reproduktion zurückzuhalten, da für diese
keine Abnehmer gefunden werden können. Und schließlich könnte
er bei Bedarf Bäume pflanzen, die in anderen Forstbetrieben beziehungsweise
Baumschulen herangewachsen sind (Zuwanderung). Eine Zeitlang wird das vielleicht
noch gut gehen und die Einnahmen sogar steigern, da gleichzeitig weniger Geld
für die Aufforstung ausgegeben werden muß. Aber irgendwann werden die
vorhandenen Bäume immer älter und ertragsärmer, so daß sie
für die Lebensmittelkonzerne uninteressant werden, zumal ein immer größerer
Anteil der nachkommenden Bäume nur noch Früchte von minderer Qualität
trägt. Die global operierenden Lebensmittelkonzerne werden sich bald nach
anderen Forstbetrieben umschauen. Verzweifelt wird der Forstbetrieb versuchen,
den Verkauf und damit die Konjunktur wieder anzukurbeln und den Ertrag pro Baum
zu steigern, nicht erkennend, daß die Probleme längst wesentlich aus
der nicht ausreichenden Nachhaltigkeit der eigenen Geschäftstätigkeit
her resultieren. (Ebd., S. 111-112).
4.5) Produktivität und Reproduktivität
Wie das
Forstbetriebsbeispiel deutlich macht, haben wir es hier mit einem scheinbaren
Konflikt zwischen Produktion und Reproduktion zu tun. Norbert Bolz
erläutert dies wie folgt: »Die Faustregel lautet: je produktiver, desto
weniger reproduktiv. Das gilt natürlich nicht nur individuell, sondern auch
gesellschaftlich. ndustriegesellschaften sind sehr produktiv, aber nur schwach
reproduktiv. So erleben wir im Westen seit Jahrzehnten eine reproduktive Depression.
Und der Grund dafür sit denkbar einfach: Produktion ist profitabel, Reproduktion
ist kostspielig. Die Welt der Reproduktion hat es mit Menschen und Verpflichtungen
zu tun; die Welt der Produktion hat es mit Dingen und Dienstleistungen zu tun.«
(Norbert Bolz,
Die Helden der Familie, 2006, S. 67 [**]).
(Ebd., S. 112).Karl Otto Hondrich sieht in der Verdrängung
von Reproduktivität durch Produktivität sogar ein Naturgesetz: »Die
Steigerung der Produktivität ist denn auch die Erklärung für das,
was die Wirtschaft mit den Menschen tut: Sie stößt diejenigen ab, die,
gemessen an ihrem Lohn, nicht mehr oder noch nicht genug produktiv sind. Sie braucht,
trotz erhöhter Produktion, weniger Menschen als früher. Bei denjenigen,
die sie braucht, achtet sie auf das günstigste Verhältnis von Aufwand
und Ertrag. Es kann bei denjenigen, die im Ausland angeworben werden, günstiger
sein als bei hierzulande Geborenen, bei Frauen ohne Kinder günstiger als
bei Menschen, die Kinder bekommen, direkt oder indirekt: Hohe Produktivität
der Arbeit erzeugt niedrige Reproduktivität. Das Gesetz sinkender Reproduktivität
durch steigende Produktivität kann auch, dramatisierend, als Vernichtung
oder Erübrigung von menschlichem Nachwuchs durch ökonomische Effizienz
bezeichnet werden. Der Kinderreichtum oder die natürliche Jugend, auf die
die menschliche Spezies ... gesetzt hat, wird durch eine Art künstliche oder
soziokulturelle Jugend ersetzt. Das Verdrängen von Reproduktivität durch
Produktivität scheint selbst die Kraft eines Naturgesetztes zu haben.«
(Karl Otto Hondrich, a.a.O., 2007, S. 65). Doch ist dies tatsächlich zutreffend?
(Ebd., S. 112-113).Wie in den nächsten
Abschnitten gezeigt wird, haben auch Unternehmen eine Reproduktion, und diese
nennt sich üblicherweise Forschung & Entwicklung. Im Unternehmensumfeld
sind aber genau gegenläufige Effekte beobachtbar: Je intensiver Unternehmen
im Wettbewerb stehen, je produktiver und erfolgreicher sie sind, desto mehr investieren
sie in die betriebsinterne Reproduktion. Und auch in der Natur läßt
sich eine entsprechende Entwicklung beobachten: Der Mensch ist das bislang leistungsfähigste
(produktivste) Lebewesen, was die Evolution hervorgebracht hat. Und es ist gleichzeitig
das Lebewesen, welches die größten Investitionen in den Nachwuchs,
das heißt, in die Reproduktion tätigt. Dies ging so weit, daß
... die Hälfte der Menschheit (die Frauen) fast ausschließlich für
reproduktive Aufgaben reserviert wurde. Allerdings unterscheidet die Soziobiologie
zwei grundsätzlich unterschiedliche Wege, wie biologische Arten das genetische
Überleben sichern. (Franz M. Wuketits, Was ist Soziobiologie?,
2002, S. 33ff.): | Die
Produktion möglichst vieler Nachkommen, gleichsam nach der Devise: »Die
Menge soll es machen«. Dabei wird in jeden einzelnen Nachkommen wenig oder
nichts investiert. Aufgrund einer statistischen Wahrscheinlichkeit bleibt der
eine oder andere Nachkomme so lange am Leben, bis er sich selbst fortpflanzt.
Bei dieser Strategie steht also die Quantität der Nachkommen im Vordergrund. | | Die
Zeugung sehr weniger Nachkommen, die aber optimal betreut werden, sozusagen nach
dem Motto: »Jeder ist ein kostbares Gut, das es zu schützen gilt«.
Die Wahrscheinlichkeit, daß wenige sehr gut betreute Nachkommen das Fortpflanzungsalter
erreichen, ist relativ hoch. Bei dieser Strategie steht also die Qualität
der Nachkommen im Vordergrund. | Den ersten Weg bezeichnet
man in der Soziobiologie als R-Strategie, den zweiten als K-Strategie.
K steht für die Tragekapazität eines Lebensraums, R für
die Wachstumsrate einer Population. (Ebd., S. 113-114).Der
Mensch zeichnet sich in der Natur durch eine besonders ausgeprägte K-Strategie
aus. Karl Otto Hondrich schreibt allerdings dazu: »In der Stammesgeschichte
des Menschen hat sich die Qualitätssicherung durchgesetzt. Die menschliche
Spezies, zunächst quantitativ überaus erfolgreich, hat selbst einen
Umschlag von der Quantität in die Qualität erfahren. So etwas ist mcines
Wissens von keiner anderen Lebensart bekannt.« (Karl Otto Hondrich, a.a.O.,
2007, S. 38). Dies ist nicht richtig: Der Mensch hat in seiner gesamten Geschichte
immer eine ausgeprägte K-Strategie verfolgt. (Ebd., S. 114).Versteht
man unter Reproduktivität lediglich die Zahl der pro Person »produzierten«
Nachkommen, dann hat Karl Otto Hondrich recht: Der Mensch ist ausgesprochen produktiv,
aber nur sehr schwach reproduktiv. Versteht man , stattdessen darunter die Zahl
an Nachkommen, die letztendlich das Fortpflanzungsalter erreichen, dann sieht
es bereits ganz anders aus: Der Mensch hat sich wie kaum ein anderes Lebewesen
über den gesamten Planeten ausbreiten können, so daß mittlerweile
mehr als 6,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Doch wie lassen sich die
offenkundigen Widersprüche in den bisherigen Aussagen auflösen? Ein
Grundgedanke in der Argumentation Karl Otto Hondrichs scheint zu sein: Moderne
menschliche Gesellschaften sind so enorm produktiv, daß sie mit immer weniger
Menschen auskommen. Was früher Menschen machten, erledigen heute Maschinen.
(Von Hondrich als »künstliche Kinder in Form der Produktivitätssteigerung«
genannt; vgl. Karl Otto Hondrich. a.a.O., 2007, S. 94). Folglich können immer
mehr Frauen der Produktion zugeführt werden, da für ihre reproduktiven
Tätigkeiten ein deutlich verringerter Bedarf besteht. Die Sache hat leider
nur einen kleinen Haken. Der wohl herausragendste Grund für die ständigen
Produktivitätssteigerungen in modernen menschlichen Gesellschaften ist die
fast beliebige Verfügbarkeit von Energie. Und diese Energie stammt zum Großteil
aus nicht erneuerbaren fossilen Brennstoffen. (Ebd., S. 114).Bedurfte
der Pyramidenbau der alten Ägypter noch eine enorme Zahl an Sklaven und Tieren,
so würden dafür heute einige wenige Arbeiter und ein paar große
Krans reichen, die allerdings alle mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden.
Jeder Deutsche verbraucht insgesamt mehr als sechzig Mal soviel Energie wie ein
steinzeitlicher Jäger. Man könnte deshallb auch sagen: Auf dem Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland leben nicht 83 Millionen Menschen, sondern 5 Milliarden.
Denn unsere 83 Millionen Bürger mobilisieren in etwa soviel Energie, wie
das 5 Milliarden »Naturmenschen« tun würden. (Anführungszeichen
von mir; HB). Damit diese 5 Milliarden »Naturmenschen« ihre
kollektive Leistungsfähigkeit erhalten können, müßten sie
vermutlich jedes Jahr mehr als 60 Millionen Kinder in die Welt setzen. Zum Vergleich
dazu: In der Bundesrepublik Deutschland wurden im letzten Jahr weniger als 700000
Kinder geboren. Auch das bestätigt eindrucksvoll: Je produktiver eine Gesellschaft
ist, desto effizienter verbraucht sie ihre Humanressourcen und desto weniger reproduktiv
muß sie folglich sein, denn man kommt ja dann mit viel weniger Humanressourcen
aus, um die gleichen Aufgaben erledigen zu können. Allerdings steigen dabei
gleichzeitig auch die Anforderungen an die Kompetenzen der wenigen noch verbliebenen
Menschen, da sie ja mit komplexer Technik hantieren müssen. Es ist ein Unterschied,
ob man einer unter vielen Galeerenruderern ist, oder ob man fast allein auf der
Brücke eines 500 Meter langen Öltankers steht. (Ebd., S. 115).Wie
jedoch die beiden vorangegangen Kapitel deutlich gemacht haben, werden in den
meisten modernen Gesellschaften aus den gestiegenen Qualitätsanforderungen
an die wenigen verbliebenen Humanressourcen die falschen Konsequenzen gezogen:
Anstatt ganz gezielt in die Qualität und Qualifikation des verbliebenen Nachwuchses
und damit in Humankapital zu investieren, wird die Reproduktion immer mehr in
bildungsfeme und sozial schwache Schichten abgedrängt und damit weiter entwertet.
Profan gesagt: Statt Kapitäne bildet man Galeerenruderer heran. Derweil werden
die qualifiziertesten Männer und Frauen in der Produktion verbraucht. Unabhängig
davon haben wir es bei der obigen Argumentation mit einem Taschenspielertrick
zu tun. Denn die erneuerbare Ressource menschliche Arbeitskraft wurde in
modernen Gesellschaften in erheblichem Maße durch nicht erneuerbare
Ressourcen ersetzt. (Ebd., S. 115).Kein Mensch weiß
zur Zeit, wie moderne Gesellschaften funktionieren werden, wenn sich das fossile
Zeitalter dem Ende zuneigen sollte. Selbst die so genannte Globalisierung könnte
dann ein abruptes Ende finden. Auch dürften Zweifel daran angebracht sein,
ob die wenigen und möglicherweise auch weniger qualifizierten zukünftigen
Erwerbstätigen die dann anstehenden gewaltigen Umstellungsaufgaben noch bewältigen
können. Doch dafür hat Karl Otto Hondrich ein anderes Patentrezept:
Die Zuwanderung (**):
»Auch junge qualtfizierte Einwanderer rechnen sich für Wirtschaft und
Sozialstaat in der Regel besser als hierzulande geborene Kinder. Letztere müssen
hier erzogen, großgezogen, gepflegt, gebildet werden. Für erstere geschieht
das alles in der Herkunftsgesellschaft. .... In Ägypten, Indien, Vietnam,
Brasilien werden die Kinder geboren und großgezogen, von denen ein Teil
später in die deutschen sozialen Sicherungssysteme einzahlt (das
bedeutet Kolonialismus! HB).« (Vgl. Karl Otto Hondrich. a.a.O.,
2007, S. 94f.). Wie das obige Forstbetriebsbeispiel gezeigt hat, macht die Globalisierung,
welche insbesondere mit einer Globalisierung der Arbeitsmärkte einhergeht,
die entwickelten Nationalstaaten zu Konkurrenten um die Gunst der global operierenden
Unternehmen bezüglich ihrer wichtigsten Ressource, dem Humankapital, das
heißt den Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen ihrer Menschen.
Zwischen Nationalstaaten und Unternehmen entwickelt sich auf diese Weise eine
Lieferanten-Kunden-Beziehung, bei der die Kompetenzen der Bürger die wichtigsten
vermarktbaren staatlichen »Produkte« sind. Ist die Qualität der
Produkte generell niedrig, wird sich das Land eher als Niedriglohnland positionieren
müssen. Sinkt die Qualität der Produkte bei weiterhin hohem Lohnniveau,
werden viele Arbeitsplätze in andere Länder abwandern und zahlreiche
noch qualifizierte Bürger dazu. (Ebd., S. 116).
Franz-Xaver
Kaufmann kommt dagegen zu dem Ergebnis, daß der »Beitrag, den die
Zuwanderung zur Minderung der skizzierten Investitionslücke in Humankapital
bisher geleistet hat, als deutlich unterproportional zur Zahl der Zuwanderer«
einzuschätzen ist. (Vgl. Franz-Xaver Kaufmann,
Schrumpfende Gesellschaft, 2005, S. 86. [**]).
(Ebd.). |
Für
die entwickelten Nationalstaaten avanciert im Rahmen der Globalisierung und auf
dem Weg hin zu Wissensgesellschaften die Reproduktion des Humanvermögens,
das heißt, die Erhaltung und Erneuerung der menschlichen Kompetenzen, zu
einer zentralen Aufgabe. Mit anderen Worten: Die Bedeutung der gesellschaftlichen
Reproduktion steigt und nicht sinkt! (Ebd., S. 116).Deshalb
empfehlen verschiedene Autoren verstärkte Investitionen in die Bildung. (Vgl.
Ulrich Beck, Was zur Wahl steht, 2005, S. 98; Thomas L. Friedman, Die
Welt ist flach - Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts, 2006, S. 32lff.).
Gesellschaftliche Reproduktion ist aber mehr als nur Bildung, sie beginnt bereits
im Mutterleib, setzt sich mit der kindlichen Erziehung fort, umfaßt alle
weiteren Bildungsmaßnahmen, und selbst Aspekte eines gesundheitsbewußten
Lebensstils gehören dazu. Dabei sind alle frühkindlichen Maßnahmen
von besonderer Bedeutung, denn was da bereits versäumt wurde, kann zu einern
späteren Zeitpunkt kaum noch nachgeholt werden. (Ebd., S. 117).Im
Rahmen der Globalisierung kann deshalb der Rat nur lauten: Der Staat muß
die gesellschaftliche Reproduktion aufwerten. Dies gilt insbesondere für
die (früh)kindliche Erziehung, die heute stattdessen immer stärker in
Sozialhilfeumgebungen oder wenig entwickelte Länder abgedrängt wird.
Dabei sind auch die im Kapitel »Evolution«
ab Seite 23 festgestellten Bedingungen der natürlichen Selektion zu beachten.
Alle empirischen Daten und theoretischen Überlegungen weisen darauf hin,
daß Investitionen in die Bildung sich ganz besonders dann auszahlen werden,
wenn Gebildete mehr Nachwuchs bekommen. Oder anders ausgedrückt: Will man
das Bildungsniveau in der Bevölkerung insgesamt anheben, dann besteht der
naheliegendste und vermutlich auch einzig effiziente Weg darin, für eine
höhere Fertilität unter Gebildeten zu sorgen. (Ebd., S. 117).
4.6) Unternehmen und Reproduktion
Auch Unternehmen kennen die Unterscheidung von Produktion und
Reproduktion (Erneuerung). Betrachten wir dazu einmal den Pharmakonzern
Pfizer und eines seiner bekanntesten Produkte: Viagra. Medikamente besitzen
üblicherweise einen Patentschutz von bis zu 20 Jahren. In dieser
Zeit kann mit dem Produkt ein maximaler Gewinn erzielt werden. In der
Regel werden einige Jahre nach Einführung eines ganz neuen Wirkstoffes
die Konkurrenten mit vergleichbaren und manchmal sogar wirkstärkeren
Produkten nachziehen, ganz so wie es in der Natur üblich ist. Meist
gilt aber immer noch das Gesetz: Der Gewinn des Erstproduktes entspricht
den Umsätzen der Folgeprodukte. Wenn der Patentschutz eines umsatzstarken
Medikamentes ausläuft, dann werden zahlreiche Generika auf den Markt
drängen und den Preis deutlich unterbieten. Nun dürfte die Vermarktung
des Produktes schwieriger werden, es altert sozusagen. Oft kann der Hersteller
noch kleinere Verbesserungen vornehmen, die etwa für eine schnellere
Wirksamkeit oder bessere Verträglichkeit sorgen. Viagra würde
dann zum Beispiel als »Viagra Turbo« auf den Markt gehen und
die konkurrierenden Generika wieder etwas auf Abstand halten. Man könnte
solche Produktinnovationen mit Qualifizierungsmaßnahmen beim Menschen
vergleichen, mit dem Ziel, die Produktlaufzeiten zu verlängern. Aber
irgendwann dürfte es dann auch bei Viagra soweit sein: es können
kaum noch Gewinne erzielt werden. Das Produkt geht dann in Rente. Doch
wovon sollte Pfizer dann leben? Selbstverständlich von den Produkten,
die in der Zwischenzeit in den Forschungs- und Entwicklungslabors entstanden
und zur Marktreife gebracht worden sind. Zum Beispiel« Viagra für
Frauen«. (Ebd., S. 117-118).
High-Tech-Unternehmen, die es gewohnt
sind, auf Märkten mit anderen Unternehmen um Kunden zu konkurrieren, wissen,
daß sie in die aktuellen und zukünftigen Produkte investieren müssen,
das heißt, in Forschung und Entwicklung, oder abstrakter ausgedrückt:
in ihre Produkt-Reproduktion. Tun sie dies nicht, laufen sie Gefahr, den technologischen
Anschluß und damit Kunden an andere Anbieter zu verlieren. Je besser ihre
aktuellen Produkte sind, desto mehr können sie verdienen, desto mehr Mittel
stehen ihnen für die Reproduktion, das heißt, für Investitionen
in die Zukunft, zur Verfügung. Auch hier bewahrheitet sich also das Selektionsprinzip
der Evolutionstheorie: | Wer
mehr Geld verdient, kann mehr in die Zukunft investieren. | Mit
zunehmender Konkurrenz steigt die Bedeutung der Reproduktion. Innovativen Unternehmen
sind die Zusammenhänge längst bewußt: »In zukunftsfähigen
Unternehmen sind die Abteilungen für Forschung und Entwicklung die gehätschelten
Lieblingskinder, die üppig wachsen und gedeihen. Zeitgleich wird in den anderen
Abteilungen stetig Personal abgebaut.« (Götz W. Werner, Einkommen
für alle, 2007, S. 71). Einige Unternehmen bestehen sogar überwiegend
aus einem Management zuzüglich einer Entwicklungsabteilung (Reproduktion),
während die gesamte Produktion ausgelagert ist. Um es salopp zu sagen: Nike
könnte sich auf den Entwurf neuer Schuhmodelle konzentrieren, die Herstellung
der Schuhe aber der Konkurrenz überlassen. (Ebd., S. 118).Eine
ähnliche Entwicklung hat im Staatswesen stattgefunden. So ist zum Beispiel
aus einem ehemaligen Monopol-Staatsunternehmen das global operierende privatwirtschaftliche
Unternehmen »Deutsche Telekom« geworden, das daraufhin den Wind des
Wettbewerbs verspürte und folgerichtigerweise sofort in die Produkterneuerung
(Reproduktion) investierte, etwas, was man sich von dieser Transaktion auch erhofft
hatte. Der Staat hat sich also auf diese Weise eigener produktiver Aufgaben entledigt,
was schon bald zu mehr Wettbewerb und damit verstärkter Innovation (Reproduktion)
führte. (Ebd., S. 119).Bei Produktion
und Reproduktion handelt es sich um eigenständige und gleichgewichtige Aufgaben.
Das folgende Beispiel macht deutlich, daß diese nur schwer miteinander vereinbar
sind. Unternehmen investieren in neue Produkte (das heißt in ihre Reproduktion)
häufig ähnlich lange vor, wie dies menschliche Gesellschaften beim Aufziehen
von Nachwuchs tun. Ein neues Medikament hat in der Pharmaindustrie heute üblicherweise
eine Entwicklungszeit von 12 bis 15 Jahren. In zahlreichen anderen Branchen (zum
Beispiel Automobilindustrie) sieht es ganz ähnlich aus. Rechnet man die Grundlagenforschung
dazu, dann führen neue Erkenntnisse manchmal erst in 25 Jahren zu neuen Produkten,
wobei die Produkteinflihrung nicht selten nochmals mehrere Jahre andauern kann.
Erst dann können endlich Gewinne eingefahren werden. Und kommt es im Rahmen
von Produktzulassungsprozessen zu Problemen, dann muß gegebenenfalls eine
neue Produktlinie, deren Entwicklung 20 Jahre vorher hoffnungsfroh begonnen wurde,
am Ende sogar vollständig eingestellt werden. Betrachten wir deshalb einmal
das folgende fiktive Pharmaunternehmen: Die eigentliche Produktion besteht in
der Herstellung von verschiedenen Medikamenten. Damit wird letztendlich das Geld
verdient. In der Produktion arbeiten ausschließlich Frauen, die für
ihre Tätigkeit auch entlohnt werden. In der Forschung (Reproduktion = Produkterneuerung)
sind dagegen ausschließlich Männer beschäftigt. Diese erhalten
kein Gehalt, da mit der Forschung keine Einnahmen erzielt werden. Statt dessen
werden die Forscher von den weiblichen Produktionsmitarbeitern täglich zum
Essen eingeladen und etwas Hübsches zum Anziehen dürfen sie sich hin
und wieder auch noch aussuchen. Irgendwann ist es den Forschern zu bunt. Aber
anstatt auf einer ordentlichen Bezahlung für ihre reproduktiven und auf lange
Sicht für das Unternehmen bedeutungsvollen Tätigkeiten zu bestehen,
beharren sie auf ihrem Recht, nun ebenfalls in der Produktion beschäftigt
zu werden, um Geld verdienen zu können. Aus Gründen der Geschlechtergleichstellung
kann man ihnen diesen Wunsch nicht verwehren, so daß nun massenhaft Männer
in die Produktion drängen. Die Folge ist: Die Reproduktion liegt danieder,
die Zukunft des Unternehmens steht auf dem Spiel. Gleichzeitig ist jetzt das Arbeitsangebot
für die Produktion zu groß, so daß Frauen ab 50 in Frührente
geschickt werden und weniger qualifizierte entlassen. 50-jährige Männer
werden erst gar nicht übernommen und bei den weniger qualifizierten gilt
das Gleiche. Ebenso sinken die Gehälter, während die Anforderungen steigen,
denn die Auswahl an potentiellen Arbeitnehmern ist groß. Weil die Innovation
der Produkte zu wünschen übrig läßt, wird in rationellere
Produktionstechniken investiert, wozu hohe Anleihen aufgenommen werden. Damit
hofft man die Preise der vorhandenen Produkte senken zu können und konkurrenzfähig
zu bleiben. Wie man sieht: Business as usual! Die Forderung
nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf entspricht in unserem
Pharmakonzern-Beispiel dem Anliegen, vorwiegend die Männer sollten neben
der Produktion auch noch ein wenig Forschung betreiben: Tagsüber Herstellen
von Pillen, abends unentgeltliches Forschen im Labor. In ernsthaften Unternehmen
wäre man sich sehr schnell im klaren darüber: Dies kann und wird nicht
funktionieren. Aber Staaten sind ja auch keine ernsthaften, gewinnorientierten
Unternehmen .... (Ebd., S. 119-120).
4.7) Staat und Reproduktion
Hart kalkulierende und durch
und durch ökonomisch denkende, gewinnorientierte Unternehmen investieren
Milliardensummen in ihre Reproduktion, obwohl sich diese nicht unmittelbar »rechnet«.
Sie beschäftigen in diesen Bereichen üblicherweise ihre fähigsten
Mitarbeiter. Oft repräsentieren solche Abteilungen sogar die eigentliche
Kernkompetenz des Unternehmens, während fast alles andere ausgelagert werden
könnte und zum Teil auch wird. Dabei fällt aber vor allem eins auf:
Leistungsfähige Unternehmen organisieren sowohl ihre produktiven als auch
reproduktiven Bereiche marktwirtschaftlich, Staaten tun dies dagegen nicht.
(Ebd., S. 120).Wenn folglich ein Staat die eigene Reproduktionsarbeit
vernachlässigt und keine ausreichenden Investitionen in sein Hauptvermögen
- das Humanvermögen - tätigt, dann hat das nichts mit einem Trend zum
Primat der Ökonomie zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit unprofessionellem
Management und einer völlig verfehlten (sozialistischen) Organisation der
gesellschaftlichen Reproduktion. (Ebd., S. 121).Leider haben
die Globalisierung und der Trend zur Wissensgesellschaft noch nicht zu der Erkenntnis
geführt, daß eine kritische staatliche Aufgabe nun die Reproduktion
ist, und diese dann auch entsprechend zu oganisieren ist. Statt dessen liegt der
Fokus weiterhin auf der wirtschaftlichen Entwicklung. (Ebd., S. 121).
4.8) Sind Frauen heute emanzipiert?
Reproduktionsarbeit gilt
in unserer Gesellschaft als grundsätzlich minderwertig. Und da diese vorrangig
von Frauen erbracht wird, ist deren Emanzipationsprozeß noch nicht abgeschlossen,
was ein wesentlicher Grund für die immer noch von Frauen reklamierte Benachteiligung
sein dürfte. (Ebd., S. 122).Wenn es tatsächlich
Frauen jedes Qualifikationsniveaus gibt, die lieber eine größere Familie
gründen würden als irgendwo einer Erwerbsarbeit nachzugehen (vgl. Hans
Bertram / W. Rösler / N. Ehlert, Nachhaltige Familienpolitik, 2005,
S. 14; Catherine Hakim, Work-Lifestyle in the 21st Century, 2005), dann
ist die grundsätzliche Nichtkommerzialisierbarkeit dieser für unsere
Gesellschaft so eminent wichtigen Familienarbeit nicht mit den Prinzipien der
Geschlechtergleichberechtigung vereinbar, weil sonst solche Frauen in ihrer Lebensplanung
massiv benachteilgt werden. Letztendlich sind das Brutalitäten. (Ebd.,
S. 122).Die Antwort auf die Eingangsfrage lautet also: Nein, Frauen
sind heute nicht vollständig emanzipiert. Und das liegt weniger an einer
unzureichenden Gleichbehandlung in vormals männlichen Arbeitsfeldern oder
an fehlenden Quotenregelungen, sondern vor allem an der fehlenden Kommerzialisierbarkeit
vormals weiblicher Tätigkeiten. Wenn Männlichkeit heute in unserer Gesellschaft
noch immer höher als Weiblichkeit bewertet wird (vgl. Margret Karsch, Feminismus
für Eilige, 2004), dann ist ein Grund dafür die Trivialisierung,
Marginalisierung und Proletarisierung reproduktiver Tätigkeiten (Marianne
Dierks, Karriere! - Kinder, Küche? Zur Reproduktionsarbeit in Familien
mit qualifizierten berufsorientierten Müttern, 2005, S. 409), wozu feministische
Positionen maßgeblich beigetragen haben (vgl. Alice Schwarzer, a.a.O., 1975,
S. 277ff.). Die Folgen tragen nun in erster Linie die Kinder (vgl. Norbert Bolz,
Die Helden der Familie, 2006, S. 47 [**]).
.... Den Preis für die bisherige Form der Emanzipation der Frauen zahlen
folglich die kommenden Generationen. (Ebd., S. 122).
4.9) Sind Frauen heute benachteilgt?
Mittlerweile
gibt es in unserer Gesellschaft ein ganzes Bündel an Maßnahmen, welches
gezielt der Förderung und Gleichstellung von Fraun dient. Beispielsweise
wurde im öffentlichen Dienst eine Frauenquote implementiert, die gezielt
der anteilsmäßigen Stellenbesetzung mit Frauen dient. (Ebd.,
S. 124).Betrachtet man Privilegien vom Standpunkt der Lebensoption
aus, dann ließe sich ... die folgende Rangordnung argumentieren: | Kinderlose
Frau | | Kinderloser
Mann | | Mann
mit unterhaltspflichtigen Kindern beziehungsweise Familie | | Frau
mit unterhaltspflichtigen Kindern beziehungsweise Familie | Ein
Mann hat in westlichen Gesellschaften im wesentlichen nur eine Lebensoption: Einen
Beruf finden und Geld verdienen. Hat er dies geschafft, dann kann er an eine Familiengründung
denken. Oft müssen Männer auf dem Wege dahin erheblich Kompromisse eingehen.
Die meisten schmutzigen, gefährlichen, lauten, ungesunden und körperlich
stark belastenden Jobs werden von ihnen ausgeführt. Eine Frau hat dagegen
heute zwei völlig unterschiedliche Lebensoptionen. | Einen
Beruf finden und Geld verdienen (ähnlich wie die Männer) | | Einen
Partner finden und gegebenenfalls mit ihm eine Familie gründen. Verfügt
der lebensgefährte über ein ausreichendes Einkommen, könnte er
sie und die Kinder ernähren. | Diese große
Vielfalt dürfte der entscheidende Grund dafür sein, warum deutlich mehr
jüngere Frauen als Männer die alten Bundesländer verlassen, um
in den alten Bundeländern ihr Glück zu suchen. Ein Mann kann seine Chancen
mehr oder weniger direkt beim lokalen Arbeitsamt erfahren, eine Frau hat dagegen
Aletrnativen. (Ebd., S. 124).Das Problem der Frauen ist nun
leider aber, daß sie durch Ausübung ihrer wesentlichen biologischen
Funktion, nämlich das Gebären und Nähren von Kindern, aus ihrer
Spitzenposition als Prinzessin an das gesellschaftliche Ende /nun als Magd) katapultiert
werden können. Es ist beispielsweise keineswegs unwahrscheinlich, daß
eine akademisch ausgebildete und beruflich erfolgreiche und engagierte Frau nach
der Geburt eines Kindes ihre Arbeit oder doch zumindest jegliche Möglichkeit
auf Karriere aufgeben muß. Und wenn dies nicht beim ersten Kind der Fall
war, mit jedem weiteren Kind wird es umso wahrscheinlicher. Bei Männern sieht
das etwas anders aus: Ein gut ausgebildeter Familienvater ist zwar gegenüber
einem entsprechenden kinderlosen Mann ökonomisch benachteiligt, allerdings
muß er mit keinen direkten beruflichen Nachteilen rechnen (wohl
aber mit privaten bzw. scheidungsrechtlichen! HB). Er kann meist immer
noch ein recht ähnliches Leben wie vorher führen. (Ebd., S. 124-125).Dennoch,
und das wird leider in der öffentlichen Debatte immer wieder übersehen:
Ein Familienvater ist in unserer heutigen Gesellschaft gegenüber einer kinderlosen
Frau, die dies auch bleiben möchte - und das ist der springende Punkt - klar
benachteiligt. Benachteiligung macht sich in unserer Gesellschaft weniger am Geschlecht,
sondern viel mehr an der Tatsache aus, ob man Familie, das heißt, Kinder
hat. Nicht Frauen werden benachteiligt, sondern Eltern, und unter den Eltern wiederum
ganz besonders die Frauen. Wie wir gesehen haben, verschlechtert ein gut verdienendes
Paar seine ökonomische Situation durch eine Familiengründung zum Teil
erheblich, während dies bei einem von der Sozialhilfe lebenden Paar üblicherweise
nicht der Fall ist. Daraus läßt sich nun aber keineswegs der Schluß
ziehen, gut verdienende Paare seien in unserer Gesellschaft grundsätzlich
benachteiligt und folglich in besonderem Maße zu schützen. Für
Frauen gilt dies analog. Sollte zum Beispiel ein Familienvater mit drei Kindern
im Rahmen einer Bewerbung um eine höhere Position im öffentlichen Dienst
bei gleicher Qualifikation aufgrund einer existierenden Frauenquotenregelung gegen
eine kinderlose Frau unterliegen, dann handelt es sich hierbei um eine klare Diskriminierung.
Der Vorteil der Männer gegenüber den Frauen ist aber: Sie verschlechtem
durch eine Familiengründung ihre gesellschaftliche Position im Vergleich
zu Frauen in aller Regel nur geringfügig. (**).
Dies sollte eigentlich nicht weiter verwundern, denn wie im Kapitel »Evolution«
ab Seite 23 dargestellt wurde, leiten sich ja bereits wesentliche Verhaltensunterschiede
zwischen den Geschlechtern (zum Beispiel im Paarungsverhalten) ganz entscheidend
aus den gegenüber den Männern sehr viel höheren Elterninvestments
der Frauen ab. Diese können nicht einfach wegdiskutiert werden, es sei denn,
es gelingt in Zukunft, Kinder vollständig in Brutkästen und außerhalb
eines Mutterleibs aufwachsen zu lassen. (Ebd., S. 125-126).
Aus
dem gleichen Grund haben sich die männlichen Forscher aus unserem Pharmakonzernbeispiel
der letzten Abschnitte zwar nach einem Wechsel in die Produktion noch nicht vollständig
emanzipiert (sie sind noch immer nicht in der Lage, aus ihren wirklichen Kompetenzen
und Neigungen ein Einkommen zu generieren), aber sie werden nicht länger
gegenüber den weiblichen Produktionsmitarbeitern benachteiligt: Für
die gleiche Arbeit in der Produktion erhalten sie das gleiche Geld, und wenn sie
ihre parallele Forschungstätigkeit aufgeben, sind sie in jeder Hinsicht gleich.
(Ebd.). |
Die
große Schwäche der meisten bisherigen familienpolitischen Initiativen
war das fehlende Bemühen um eine bessere Anerkennung reproduktiver Leistungen.
Reproduktion ist langfristig wichtiger und mächtiger als Produktion, die
Evolutionsgesetze machen es deutlich. Der Fortschritt des Lebens (und der Technik
ja offenkundig auch) steckt vor allem in der Reproduktion, deutlich weniger in
der Produktion. (Ebd., S. 126).Was weiterhin fehlt, ist ein
Modell, wie Frauen (und gegebenenfalls auch Männer) in unserer Gesellschaft
mit qualifizierter Reproduktionsarbeit bezüglich ihren eigenen Kindern eine
ihnen angemessene Anerkennung erlangen können, die sich naturgemäß
dann auch in Geld ausdrücken muß. Knallhart kalkulierende Unternehmen
haben dieses Problem ftir ihre eigenen Reproduktionsabteilungen längst elegant
gelöst. (Ebd., S. 126).Wir reden seit Jahrzehnten über
vergleichsweise marginale und auch nicht sauber belegbare Probleme, wie etwa die
angeblich ungleiche Bezahlung von Frauen im Beruf, während andere Frauen
trotz jahrzehntelanger anstrengender, fokussierter und hochqualifizierter Familienarbeit
nicht einmal einen Anspruch auf eine angemessene Altersrente erwerben, von einer
Vergütung ihrer Leistungen ganz zu schweigen. (Ebd., S. 126).Um
unser Land für Familienfrauen - und nur um diese geht es - lebenswerter zu
machen (Maria Welser / Ursula von der Leyen, Wir müssen unser Land für
die Frauen verändern, 2007, S. 48ff.), ist vor allem eine vollständige
Neukonzeption der gesellschaftlichen Reproduktion erforderlich. Vereinbarkeitsszenarien
allein werden da wohl nicht weiterhelfen. (Ebd., S. 126).
4.10) Reproduktion und Wirtschaftsentwicklung
»Der
Geburtenmangel und die daurch fehlenden Kinder sind die Ursache der kontinuierlich
zunehmenden Arbeitslosigkeit. So wie sich die lebenslange Kinderlosigkeit seit
1970 ausgehend von den damals 30-Jährigen hin zu den heute 65-Jährigen
in den Altersaufbau hinein geschoben hat, stieg die Arbeitslosigkeit an .... Die
Betreuung, Ausbildung und Versorgung der fehlenden 7 Millionen Kinder und Jugendlichen
mit Wohnraum, Nahrung, Kleidung, Betreuung. Ausbildung und allen anderen benötigten
Gütern wäre eine riesige Menge Arbeit, die leicht 4 Millionen Menschen
erfordern würde und die heute nicht mehr anfällt .... Daß die
Arbeitslosigkeit tatsächlich eine Folge der Kinderlosigkeit ist, erkennt
man sofort, wenn man sich in einem Gedankenexperiment vorstellt, seit 1970 wären
überhaupt keine Kinder mehr geboren worden - es würde also nicht nur
ein Drittel der Kinder fehlen, sondern es würden alle Kinder fehlen. In diesem
Fall wären heute die Jüngsten 34 Jahre alt, die älteren Jahrgänge
wären so besetzt wie heute auch. Jeder erkennt sofort, dies wäre ein
absolutes Horrorszenarium: Die sozialen Sicherungssysteme wären schon zusammengebrochen.
Es gäbe keine Schulen, keine Universitäten, keine Kinderärzte und
keine Fabriken für Kinderfahrräder (u.s.w.) mehr, und es würde
kein einziges Haus mehr gebaut werden, da jährlich 500000 Häuser und
Wohnungen zusätzlich frei würden. Wenn dann jeder erwerbstätig
sein wollte, um einen hohen materiellen Lebensstandard zu erreichen, läge
die Arbeitslosigkeit bei 40 Prozent. Diese absolut katastrophale Situation haben
wir in ihren Auswirkungen nur zu einem Drittel zu erwarten, weil eben
nur ein Drittel unserer Kinder fehlt.« (Hermann Adrian, Die
demographische, wirtschaftliche und soziale Lage in Deutschland, 2005, S.
12; vgl. UNI-MAINZ.DE; Hermann Adrian ist Physiker. An seinem
für Naturwissenschaftler ganz typischen Argumentationsstil könnten sich
manche familienpolitische Debatten ein Beispiel nehmen. Adrian argumentiert nämlich
mit Grenzfällen [»keine Kinder«]. So unwahrscheinlich diese in
der Praxis auch sein mögen, so klar lassen sich damit viele Zusammenhänge
aufdecken.). (Ebd., S. 127-128).Manfred Winkler zeigt auf,
daß in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten ein relativ konstantes
Verhältnis zwischen Bevölkerungszahl und Arbeitsplätzen von ca.
2,3 zu 1 besteht, oder anders ausgedrückt: 2,3 Verbraucher rechtfertigen
einen Arbeitsplatz. (Vgl. Manfred Winkler, Die 9b-Situation, 2004, S. 26ff.).
Eine Million Kinder ergäben demgemäß also 400000 Arbeitsplätze.
Möglicherweise werden Sie fragen, ob nicht für den Exportweltmeister
Deutschland die Zahl der Einwohner im eigenen Land bedeutungslos sei, da man ja
schließlich nicht nur für Deutschland, sondern vor allem für die
ganze Welt produziere. Allerdings
sind zur Zeit nur 21,6 Prozent aller Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe
tätig, während allein 72,1 Prozent im Dienstleistungsbereich (**|**)
arbeiten (vgl. Manfred Winkler ebd., 2004, S. 31 ), der fast ausschließlich
im Inland in Anspruch genommen wird, also mit wenigen Ausnahmen besonders qualifizierter
Dienstleistungen keine exportierbaren Produkte herstellt. (Vgl. Manfred Winkler,
ebd., 2004, S. 30). Der überwiegende Teil der in Deutschland Erwerbstätigen
lebt von der Binnennachfrage. Fehlen die Menschen im eigenen Land, schwindet auch
die Binnennachfrage. (Ebd., S. 128).Viele
Arbeitsplätze werden erst durch Kinder, oder allgemeiner, durch die gesellschaftliche
Reproduktion geschaffen. Und: Man kann die Arbeit nicht einfach immer weiter steigern.
Eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote bei gleichzeitigem Rückgang der
Kinderzahl würde bestenfalls zu einem Verdrängungswettbewerb auf dem
Arbeitsmarkt führen: Ältere und unqualifiziertere Arbeitskräfte
werden ausgesondert und durch qualifiziertere jüngere Frauen ersetzt (siehe
dazu die Ausführungen im Abschnitt »Unternehmen
und Reproduktion« ab Seite 117). Damit würde
aber eine Entwicklung in Gang gesetzt, die ohne entsprechende Gegensteuerung geradezu
fatale Züge annehmen könnte: | Qualifizierte
Frauen drängen verstärkt auf den Arbeitsmarkt und ersetzen weniger qualifizierte
und ältere Arbeitnehmer, beziehungsweise verhindern, daß Schulabgänger
Arbeit oder Lehrstellen finden, denn es entstehen ja auf diese Weise keine neuen
Arbeitsplätze. Im Gegenteil: Möglicherweise verrichten die qualifizierten
Frauen die Arbeit besonders effizient. Ein Großteil der ersetzten oder nicht
eingestellten Personen wird in der Folge arbeitslos oder frühzeitig in Rente
gehen. Es entsteht eine größere Zahl weniger qualifizierter Arbeitswilliger,
die aber auf Dauer keine Arbeit findet und sich bald aufgibt. | | Auf
der anderen Seite bekommen qualifizierte und berufstätige Frauen nun besonders
wenige Kinder. In der Folge verschiebt sich die Nachwuchsarbeit verstärkt
in sozial schwächere Schichten, was - wie das Kapitel »Evolution«
ab Seite 23 zeigen konnte - langfristig beträchtliche Einbußen bei
der Bevölkerungsqualität beziehungsweise dem Humanvermögen nach
sich ziehen dürfte. Nun wachsen also prozentual noch mehr Menschen heran,
die auch mit zusätzlichen Bildungsanstrengungen nur schwer für die Anforderungen
einer modernen und im Wind der Globalisierung stehenden Wissensgesellschaft fit
gemacht werden können. Die Wirtschaft wird deshalb fordern, die Frauenerwerbsquote
weiter zu erhöhen, denn nur hier können noch ungenutzte Potentiale mobilisiert
werden. (Vgl. Matthias Horx, Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Frauen,
2004). Sie wird also qualifizierte Frauen noch stärker ködern und diese
werden daraufhin mit einer noch niedrigeren Geburtenrate reagieren. Gleichzeitig
werden sich die Stimmen derer mehren, die behaupten, man könne doch weitestgehend
auf die teure eigene Nachwuchsarbeit verzichten und stattdessen Zuwanderer ins
Land holen (so wie das ja Bayern München auch tue), die all das in ihren
Heimatländern bereits erfahren hätten, was sonst deutsche Eltern ihren
Kindern mühselig vor Ort beibringen müßten, weswegen sie dann
weniger arbeiten könnten.Am
Ende ist die gesamte Bevölkerung ausgetauscht, das Humankapital geplündert
und das Land verarmt. Und niemand hat dem zugestimmt.Ähnliche
Fehlsteuerungen wie die gerade beschriebene kennt man auch in der Unternehmenswelt.
Zum Beispiel könnte sich ein Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten
(oder als Folge einer Übernahme mit kurzfristigen Gewinnmitnahmen) dazu entscheiden,
die Investitionen in die Zukunft, nämlich in Forschung und Entwicklung, zurückzufahren.
Damit könnten gegebenenfalls zunächst wieder erhöhte Gewinne erzielt
werden. Wird diese Strategie aber für eine zu lange Zeit durchgehalten, dann
fehlen irgendwann die Produkte, mit denen man auf dem Markt konkurrieren könnte.
Eine erneute Steigerung der Investitionen zur Rückerlangung der Konkurrenzfähigkeit
dürfte in einer solchen Phase dann aber viel zu spät kommen: Der Konkurs
wäre unvermeidlich.Bei
der gesellschaftlichen Reproduktion handelt es sich um Investitionen in die Zukunft
eines Landes. ....Was
fehlt, sind die täglichen zeitlichen und materiellen Aufwendugen für
das jahrzehntelange Aufziehen von Kindern. Kinderlose konsumieren statt dessen
den größten Teil ihres Einkommens. Die Zukunftsinvestitionen überlassen
sie ganz wesentlich den Familien.Stellen
Sie sich zum Beispiel vor, ein Unternehmen erwirtschafte einen Gewinn von einer
Milliarde Euro. Dann macht es einen großen Unterschied, ob der Gewinn in
zusätzliche Forschungs- und Entwicklungsprojekte (Reproduktion) investiert
wird, oder ob dafür rote Ferraris und Yachten für Top-Manager gekauft
werden. Forschungs- und Entwicklungsprojekte sind Investitionen in die Zukunft
des Unternehmens, Ferraris und Yachten dagegen nicht (siehe dazu auch die Ausführungen
im Abschnitt »Unternehmen
und Reproduktion« ab Seite 117). Die unterschiedlichen Investitionen
von Kinderlosen und Familien sind analog zu bewerten.Sollten
Sie als Leser zur Zeit keinen Arbeitsplatz oder ihre Kinder keine Lehrstelle finden,
dann lassen Sie sich bitte nicht durch Aussagen wie »Es ist gut, daß
wir so wenig Nachwuchs bekommen, denn der würde doch auch wieder arbeitslos
und müßte dann finanziert werden« verunsichern. | Die
aktuellen Arbeitsmarktprobleme werden ganz wesentlich durch die folgenden Umstände
mitangetrieben: | Als
in der Bundesrepublik Deutschland der letzte Babyboom stattfand, wurden pro Jahr
ca. 1,35 Millionen Kinder geboren. Heute sind es noch knapp die Hälfte. Hinzu
kommt: Diese Generation verinnerlichte ganz besonders stark das Paradigma der
gleichberechtigten, berufstätigen Frau. Die Frauen setzten folglich weniger
Kinder in die Welt und arbeiteten dafür um so mehr. Auch profitierte diese
Generation bereits von der Bildungsexpansion. Durch die hohe Erwerbsbeteiligung
der Frauen nimmt diese Generation besonders viele Arbeitsplätze in Anspruch.
(Vgl. Frank Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott - Die Menschheit altert in
unvorstellbarem Ausmaß, 2004). | | Heute
ist diese Generation ... (noch! HB) besonders
leistungsfähig. Mit einer Familiengründung hat sie abgeschlossen, sie
verfügt über weitreichende Berufserfahrungen und muß in der Regel
nicht erst kosten- und zeitaufwandig eingearbeitet werden. All das trägt
dazu bei, daß jüngere und ältere Menschen zur Zeit auf dem Arbeitsmarkt
vergleichsweise nur schwer zu vermitteln sind, denn sie weisen gegenüber
diesen starken Generationen Defizite (zum Beispiel fehlende Berufserfahrung) auf.
Was aber passieren wird, wenn der größte Teil dieser starken Jahrgänge
in Rente geht und dann von den nachrückenden schwächeren Jahrgängen
finanziert werden will, darüber läßt sich zur Zeit nur spekulieren.
(Ebd., S. 128-131). |
4.11) Warum Mutti doch die Beste ist
Stellen Sie sich einen
Staat vor, der normalerweise aus drei Generationen zu jeweils 8 Personen besteht,
insgesamt also 24 Menschen, wobei jeweils 50 Prozent der Mitglieder männlich
beziehungsweise weiblich sind. Jeweils 30 Jahre lang wäre man zunächst
Kind beziehungsweise Auszubildender, dann Erwerbstätiger, und schließlich
Rentner. Stellen Sie sich bitte weiter vor, in dieser Gesellschaft seien alle
Erwerbstätigen Akademiker (deshalb auch die lange Ausbildungszeit). Und von
Akademikern wissen wir ja nun, daß sie besonders wenige Kinder haben. Konkret:
Die Frauen brächten durchschnittlich jeweils ein Kind zur Welt und wären
dann auch nicht gezwungen, ihre Arbeit nennenswert zu unterbrechen. Desweiteren
hätte jeder Erwerbstätige 30 Jahre lang jeden Monat 2000 Euro an Steuern
zu zahlen und einen Rentner mit 1000 Euro und ein halbes Kind mit 400 Euro (pro
ganzes Kind also 800 Euro) zu versorgen. Wir erinnern uns: Jede Familie hat in
unserer fiktiven Gesellschaft nur ein Kind, das heißt, ein halbes Kind pro
Person.Sozialleistungen | Pro
Erwerbsperson und Monat in € | Pro
Erwerbsperson insgesamt in € | Steuern | 2000 |
720000 | Rentenbeitrag | 1000 |
360000 | Kind |
400 |
144000 | Summe | 3400 | 1224000 |
Abbildung
5) Sozialleistungen der aktuellen Generation (**)
(**) | Doch
betrachten wir jetzt einmal die Situation in der nächsten Generation. Nun
gäbe es nur noch 4 Erwerbstätige, die insgesamt zwei Kinder und acht
Rentner zu versorgen hätten. In der Folge ürden die monatlichen Rentenbeitragszahlungen
auf 2000 Euro anwachsen.Sozialleistungen | Pro
Erwerbsperson und Monat in € | Pro
Erwerbsperson insgesamt in € | Steuern | 2000 |
720000 | Rentenbeitrag | 2000 |
720000 | Kind |
400 |
144000 | Summe | 4400 | 1584000 |
Abbildung
6) Sozialleistungen der nächsten Generation (**)
(**) | Die
nächste Generation hätte also pro Kopf deutlich mehr Sozialleistungen
als die vorangegangene abzuführen.Daneben
ist aber noch folgendes zu beachten: Die erste Generation würde im Laufe
ihres Lebens 5760000 (= 8 720000) Euro Steuern an den Staat abführen,
die nächste dagegen nur noch 2880000 (= 4 720000) Euro. Aus Sicht
des Staates dürfte das alles andere als wünschenswert sein, denn er
verlöre ja dabei die Hälfte seiner gesamten Einnahmen. (Ebd.,
S. 132-133).Betrachten wir nun eine Alternative: Eine Frau (in
meinem Buch »Die
Familienmangerin« [2006] heißen solche Mütter »Familienmanagerin«
- im folgenden sollen sie aber »Mutti« genannt werden) hätte
sich dazu bereit erklärt, nicht nur ein Kind, sondern gleich fünf in
die Welt zu setzen und liebevoll und gewissenhaft aufzuziehen. Allerdings wollte
sie dafür angemessen entlohnt werden und nicht noch gleichzeitig einer Erwerbsarbeit
nachgehen müssen. Konkret: Mutti forderte ein Gehalt in Höhe von 2000
Euro monatlich und zusätzlich 800 Euro Kostenerstattung für jedes ihrer
Kinder (denn Mutti ist emanzipiert). Diese Zahlung von insgesamt 6000 Euro monatlich
erhielte sie rein Netto, Steuern und Rentenbeiträge müßte sie
dagegen nicht abführen. Indirekt forderte sie also noch weitere 1000 Euro
an Rentenbeitragszahlungen pro Monat, die von den anderen sieben Erwerbstätigen
aufzubringen wären. Insgesamt kosteten Mutti und ihre fünf Kinder also
7000 Euro monatlich, das heißt, jeder der sieben verbliebenen Erwerbstätigen
hätte für sie 1000 Euro monatlich zu zahlen. Die drei anderen Frauen
würden natürlich - wie schon bisher - jeweils ein Kind haben und gemeinsam
mit ihren Ehemännern aufziehen. Gleichzeitig würden sie - wie die Männer
- einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Auf diese Weise reduzierte sich die Zahl
der Erwerbstätigen von acht auf sieben und dem Staat entgingen im Laufe einer
Generation immerhin 720000 Euro an Steuereinnahmen. Insgesamt nähme er dann
nämlich nicht mehr 5760000 Euro an Steuern ein, wie im ersten Beispiel, sondern
nur noch 5040000 Euro. .... Für die Erwerbstätigen würde sich die
Situation nun wie folgt darstellen: Sozialleistungen | Pro
Erwerbsperson und Monat in € | Pro
Erwerbsperson insgesamt in € | Steuern | 2000 |
720000 | Rentenbeitrag | 1000 |
360000 | Kind |
400 |
144000 | Mutti
mit Kindern | 1000 |
360000 | Summe | 4400 | 1584000 |
Abbildung
7) Sozialleistungen der aktuellen Generation MIT MUTTI (**)
(**) | Die
Erwerbstätigen der aktuellen Generation müßten also genauso viele
Sozialleistungen abführen wie im ersten Beispiel (ohne Mutti) die nächste
Generation. Denn die 360000 Euro Differenz würden sie ja nicht länger
in teure Flugreisen und schicke Autos, sondern in die nächste Generation
investieren. Ich glaube, so etwas nennt man Generationengerechtigkeit.Doch
kommen wir nun zur nächsten Generation »mit Mutti«. Die obige
Abbildung bliebe völlig unverändert, denn die aktuelle Generation hätte
sich ja nachhaltig fortgepflanzt. (Vorausgesetzt natürlich, auch in der nächsten
Generation rande sich wieder eine »Mutti«, die entsprechend zu finanzieren
wäre). Auch würde der Staat wieder genau die gleichen Steuereinnahmen
haben, nämlich insgesamt 5040000 Euro für die gesamte Generation. Und
hier entstünde nun eine bemerkenswerte Differenz: Denn ohne die Leistung
Muttis würde der Staat in der nächsten Generation lediglich insgesamt
2880000 Euro einnehmen. (Ebd., S. 134-135).Wir können
also festhalten: Durch Muttis fehlende Erwerbstätigkeit gehen dem Staat in
der aktuellen Generation 720000 Euro an Steuereinnahmen verloren, dafür nähme
er in der nächsten Generation dank Mutti 2160000 Euro mehr ein. (Damit ließe
sich dann sicherlich auch noch Muttis akademische Ausbildung rechtfertigen, oder?).
Oder anders ausgedrückt: Mutti ist die Beste! (Ebd., S. 135).Betrachtet
man die Sache aus Sicht des Staates und der Solidargemeinschaft und weniger aus
Sicht der Wirtschaft, dann rechnet sich nichts so sehr wie eine ausreichende Zahl
an wohlerzogenen und kompetenten Kindern. (Ebd., S.135-136).
4.12) Individualisierungsthese
Die Individualisierungsthese
besagt, daß sich der Einzelne in modernen Gesellschaften immer stärker
aus übergeordneten Vorgaben bezüglich Geschlecht, Alter beziehungsweise
sozialer oder regionaler Herkunft löst, so daß es zu einer drastischen
Zunahme der individuellen Entscheidungsspielräume und einer Reduzierung des
Grads der Außensteuerung kommt. Das Individuum wird zentraler Bezugspunkt
für sich selbst und die Gesellschaft. (Vgl. Matthias Junge, Individualisierung,
2002, S. 7). (Ebd., S. 136).Individualisierung bewirkt nicht
nur eine stärkere Abhängigkeit des Einzelnen von Leistungen Dritter
und dabei zum Teil auch von (wohlfahrts)staatlichen Funktionen (Bildungseinrichtungen,
innere Sicherheit, Rechtsprechung, Altersversorgung u.s.w.; vgl. Ulrich Beck,
Risikogesellschaft, 1986, S. 109f.), sondern setzt diese geradezu voraus.
Dies hat aber umgekehrt zur Konsequenz, daß der Wohlfahrtsstaat immer mehr
Funktionen übernehmen und garantieren muß, die gemeinhin dem Kollektivverhalten
zuzurechnen sind. (Vgl. Stefan Lange / Dietmar Braun, Politische Steuerung
zwischen System und Akteur, 2000, S. 20). (Ebd., S. 137).Wird
dem Individuum also zugestanden, sich zeitlich möglichst vollständig
auf eine am Arbeitsmarkt angeforderte Leistung zu konzentrieren und seinen individuellen
Lebenslauf frei zu wählen, dann müssen bei sich einstellenden Defiziten
alle anderen Leistungen, die üblicherweise Teil seiner zu erbringenden Kollektivleistung
sind (zum Beispiel Herstellen von Sicherheit, Weitergabe von Wissen, Aufziehen
von Nachwuchs, Versorgung Älterer, Unterstützung von Notleidenden) von
Dritten und damit unter Umständen vom Wohlfahrtsstaat übernommen werden.
Dieser wird sich dabei häufig selbst des Arbeitsmarktes bedienen, beispielsweise
um dort geeignete Lehrer für das Unterrichten von Kindern zu rekrutieren.
(Ebd., S. 137).
4.13) Kollektivaufgaben
Heute gehört die Gewährleistung
der inneren Sicherheit (Schutz) als vormals männliche Kollektivaufgabe zu
den wichtigsten Aufgaben des Nationalstaates und dieser besitzt das Gewaltmonopol.
Der Beruf des Polizisten ist uns eine Selbstverständlichkeit geworden. Die
frühere Staatenbildung ist ganz wesentlich auf diese Entwicklung zurückzuführen:
»Unter den vier allgemeinen Zielen des Regierens, die sich im demokratischen
Wohlfahrtsstaat herausgebildet haben, nimmt Sicherheit zweifellos eine herausragende
Stellung ein. Bereits der Ursprung des Territorialstaates ist ganz wesentlich
daraufzurückzziführen. .... Wird Sicherheit , durch den Staat nicht
mehr hinreichend gewährleistet, so erübrigt sich selbst gemäß
des Staatstheoretikers des Absolutismus, Thomas Hobbes, für die Bevölkerung
die Gehorsamspflicht: »Die Verpflichtung des Untertanen gegenüber dem
Souverän dauert nur so lange, wie er sie aufgrund seiner Macht schützen
kann, und nicht länger«. (Michael Zürn, Regieren jenseits des
Nationalstaates, 2. Auflage, 2005, S. 95) (Ebd., S. 141-142).Könnte
folglich ein Nationalstaat eine nicht mehr ausreichende Gewährleistung der
inneren Sicherheit als einen Sicherheitswandel bezeichnen und gar von dessen
Chancen sprechen? Nein, das könnte er selbstverständlich nicht.
Statt dessen würde er sich zum Beispiel bemühen, zusätzliche Polizisten
einzustellen. Und ganz ähnlich könnte - wie noch gezeigt wird - auch
die Lösung für die gesellschaftliche Nachwuchsarbeit aussehen.
(Ebd., S. 142).Im Abschnitt »Individualisierungsthese«
wurde auf die Parallelität von wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung und Individualisierung
hingewiesen. Auch im beschriebenen Fall zeigt sich: Die stärkere Konzentration
des männlichen Teils der Bevölkerung auf spezifische Aufgaben und die
sich hierdurch entwickelnde Pluralisierung der männlichen Lebensformen bewirkt
gleichzeitig eine Vernachlässigung von typisch männlichen Kollektivaufgaben.
An die Stelle des Individuums tritt dann der Wohlfahrtsstaat. Bei der Nachwuchsarbeit
ist das im Prinzip nicht anders, allerdings hat sich hier allgemein noch nicht
die Erkenntnis durchgesetzt, daß es sich dabei um eine gesamtgesellschaftlich
zu erbringende Kollektivaufgabe handelt. Statt dessen wird so getan, als sei die
Zahl an Nachkommen die alleinige Entscheidung von Individuen beziehungsweise Familien,
und wenn Frauen im Jemen durchschnittlich 6,6 Kinder zur Welt bringen, dann sei
das staatlicherseits genauso hinzunehmen wie bei 1,3. Die Botschaft solcher Aussagen
könnte sein: Der Staat kann nicht steuern, da Fortpflanzung ausschließlich
Privatsache ist. Auf die sich daraus ergebenden problematischen Folgerungen wird
im Laufe des Buches noch einzugehen sein. Im folgenden Abschnitt (**)
soll nun aber zunächst anhand eines bekannten Dilemmas aus der Volkswirtschaft
erläutert werden, daß die augenblickliche Organisation der gesellschaftlichen
Nachwuchsarbeit unter den Gesetzen der Gleichberechtigung der Geschlechter grundsätzlich
nicht funktionieren kann, da sie mit der Zeit von immer mehr Trittbrettfahrern
ausgehebelt wird. (Ebd., S. 142).
4.14) Die Tragik der Allmende
Unter der Tragik der Allmende
versteht man in der Volkswirtschaftslehre die Beobachtung, daß Menschen
unter bestimmten Bedingungen bei einer gemeinschaftlichen Tätigkeit, bei
der der individuelle Ertrag den Personen nicht zurechenbar ist, weniger leisten.
Dieses Problem tritt häufig bei Gemeinschaftseigentum, so genannten Allmenden,
auf. Dies sei an einem Beispiel erläutert:Angenommen,
eine Gruppe von 80 Personen bewirtschaftet gemeinsam ein Feld. Alle Gruppenmitglieder
haben bei voller Arbeitsleistung einen Aufwand von 50 Einheiten, ziehen jedoch
dann einen Ertrag von 100 Einheiten aus der Ernte, die sie ja in gleichen Teilen
erwirtschaften. Die Tragik der Allmende besteht nun darin, daß bei genügend
großer Gruppengröße die Faulheit eines einzelnen Mitglieds die
Ernte pro Gruppenmitglied nur unwesentlich verringert, der Aufwand für das
faule Gruppenmitglied aber stark abnimmt, wodurch sein Nutzen insgesamt steigt. Wenn
alle 80 Gruppenmitglieder voll arbeiten, dann erwirtschaften sie gemeinsam einen
Ertrag von 80 100 = 8000 Einheiten. Jedem Gruppenmitglied steht am Ende
ein Ertragsanteil von 100 Einheiten zu. Zieht er davon seinen Aufwand von 50 Einheiten
ab, dann hat er einen eigenen Nutzen von 50 Einheiten erwirtschaftet. Angenommen,
ein Mitglied arbeitet nur halb so viel wie die anderen Gruppenangehörigen.
Dann hat es nur noch einen Aufwand von 25 Einheiten. Für die Gesamtgruppe
ergibt sich nun ein Ertrag von 79 100 + 100 1/2 = 7950 Einheiten.
Jedem Gruppenmitglied steht unter diesen Umständen ein individueller Ertrag
von 99,375 Einheiten zu. Für die voll arbeitenden Mitglieder ergibt dies
einen Nutzen von 99,375 - 50 = 49,375 Einheiten. Günstiger sieht der
Ertrag für das etwas faulere Gruppenmitglied aus, denn dieses erwirtschaftet
einen Nutzen von 99,375 - 25 = 74,375 Einheiten. Obwohl ein Gruppenmitglied
also nur die Hälfte geleistet hat, erzielt es mit 74,375 Einheiten einen
deutlich größeren Nutzen als vorher (50 Einheiten) beziehungsweise
als die anderen Gruppenmitglieder aktuell erzielen (49,375 Einheiten). | Es
lohnt sich also in einer Allmende, faul zu sein, sofern eine gewisse Anzahl an
Mitgliedern es nicht ist. Es ist nun aber zu erwarten, daß sich immer mehr
Gruppenmitglieder faul verhalten werden und der Gruppenertrag noch weiter sinken
wird. Die Tragik der Allmende schaukelte sich dann weiter hoch, und die
gesamte Gruppe geriete in eine Rationalitätenfalle, bei welcher Kollektivrationalität
und Individualrationalität im Konflikt miteinander stehen. (**)
(Ebd., S. 143-144).
Neben
der hier beschriebenen Rationalitätenfalle gibt es auch den umgekehrten,
von Garrit Hardin (vgl. a.a.O., 1968) beschriebenen Fall, bei dem gemeinsame Ressourcen
immer weiter erschöpft werden. Auf diese Weise lassen sich nicht nur viele
Umweltprobleme, sondern interessanterweise auch die Bevölkerungsexplosion
in vielen Ländern der Erde erklären. Hardin vertritt die Ansicht, daß
ein freiheitlicher Zugriff auf Gemeinschaftsgüter am Ende alle ruinieren
wird. Deshalb fordert er entsprechende Einschränkungen. (Ebd.). |
Beim
demographischen Wandel befindet sich die gesellschaftliche Reproduktion in einer
ganz ähnlichen Rationalitätenfalle. Denn auf der einen Seite ist das
Kollektiv darauf angewiesen, daß stets eine ausreichende Zahl an Kindern
geboren und aufgezogen wird, auf der anderen Seite können Individuen dann
den höchsten ökonomischen Nutzen erzielen, wenn sie selbst kinderlos
bleiben. (Ebd., S. 144).»Ich zitiere des weiteren
eine Untersuchung der Deutschen Bundesbank mit einem Einkommensvergleich von höher
verdienenden Ehepaaren vor und nach der Geburt des ersten Kindes: Ein Ehepaar
soll vor der Geburt des ersten Kindes monatlich 9500 DM brutto verdienen, wozu
Mann und Frau jeweils zur Hälfte beitragen. Netto, also nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge
und Steuern, bleiben davon 5300 DM oder 56% des Bruttolohns. Nach der Geburt des
ersten Kindes, welches die Mutter zur Abgabe der Erwerbstätigkeit zwingt,
verringert sich das Nettoeinkommen im zweiten Jahr auf 3220 DM. Nimmt die Mutter
dann eine Teilzeittätigkeit auf, erhöht sich das verfügbare Einkommen
nach den Modellvorgaben auf monatlich 4460 DM. Gelingt das nicht, bleibt es bei
3220 DM oder nur noch 60% des Nettoeinkommens am Beginn der Ehe.« (Karl
Schwarz, Notwendigkeiten, Ziele und Erfolgsaussichten einer Politik der Nachwuchssicherung,
in: Wege zu einer erfolgreichen Familien- und Bevölkerungspolitik,
Hrsg.: Ernst-Jürgen Flöthmann / Charlotte Höhn, 2007). (Ebd.,
S. 144).»Man möchte gar nicht wünschen, daß
alle, die Kinder haben wollen, das wissen, weil sich dann wahrscheinlich noch
mehr dazu entschließen würden, kinderlos zu bleiben oder allenfalls
bei einem Kind, um möglichst bald wieder den alten Lebensstandard zu erreichen.«
(Karl Schwarz, Notwendigkeiten, Ziele und Erfolgsaussichten einer Politik der
Nachwuchssicherung, in: Wege zu einer erfolgreichen Familien- und Bevölkerungspolitik,
Hrsg.: Ernst-Jürgen Flöthmann / Charlotte Höhn, 2007). (Ebd.,
S. 144).Manch einer wird nun einwenden, genau deshalb sei es ja
so wichtig, für eine optimale Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen.
Mal abgesehen davon, daß damit noch immer kein Anreiz geschaffen wird, mehr
als zwei Kinder in die Welt zu setzen (und wie wir gesehen haben, solche Familien
muß es geben, und zwar insbesondere in sozialisatorisch erfolgreichen und
gebildeten Schichten), bleibt das Grundproblem weiterhin bestehen: Der Kinderlose
(»Faule«) wird den höchsten ökonomischen Nutzen erzielen.
Und aus genau diesen Gründen dürfte sich Kinderlosigkeit immer weiter
ausbreiten. (Ebd., S. 144-145).Allerdings ist die Rationalitätenfalle
bei der Nachwuchsfrage noch viel gravierender als beim klassischen Allmendeproblem,
da die durch die Kinderlosigkeit eingesparte Zeit ja im Rahmen einer Erwerbsarbeit
gewinnbringend genutzt werden kann. Hierdurch könnte sich der ohnehin schon
höhere Nutzen des »Faulen« noch weiter erhöhen. (Ebd.,
S. 145).Wie im Abschnitt Marktwirtschaft
und Reproduktion ab Seite 108 festgestellt wurde, ist die Wirtschaft (Produktion)
in modernen Gesellschaften üblicherweise marktwirtschaftlich organisiert,
die Reproduktion dagegen sozialistisch. Denn bei der Nachwuchsarbeit muss die
Erziehung privat geleistet werden, der Nutzen daraus (Mitbürger, Steuerzahler,
Rentenbeitragszahler u.s.w. ) steht dann aber allen Bürgern - Eltern wie
Kinderlosen - in gleicher Weise zu. (Ebd., S. 145).Nun verfügt
aber gerade Deutschland in dieser Frage über sehr viel Expertise, denn jahrzehntelang
grenzten die sozialistische DDR und die marktwirtschaftliche BRD unmittelbar aneinander.
Damit die qualifiziertesten Bürger der DDR nicht in den benachbarten Westen
abwanderten, sah sich die DDR zu einem Mauerbau gezwungen. (Ebd., S. 145).Im
Patriarchat gab es - bildlich gesprochen - für die Frauen eine ganz ähnliche
Mauer, und diese hieß »Rollenvorgabe als Mutter und Hausfrau«.
Die neue Frauenbewegung hat die Mauer zum Einstürzen gebracht, und seit dem
können die Frauen zwischen produktiven und reproduktiven Tätigkeiten
frei wählen. Die qualifiziertesten unter ihnen suchen nun ihr Glück
in der marktwirtschaftlichen Produktion (Wirtschaft) und vernachlässigen
dafür die sozialistische Reproduktion. (Ebd., S. 145).Die
gerade beschriebene Problematik besteht in erster Linie für Paare mit einem
beiderseitig regelmäßigen Einkommen (beziehungsweise für berufstätige
Alleinerziehende ebenso), und zwar umso mehr, je höher das Einkommen beider
Partner ist. Auch aus diesem Grund setzen gerade beruflich erfolgreiche Paare
beziehungsweise Paare mit hohen beruflichen Potenzialen (zum Beispiel hoher Bildung)
besonders wenige Kinder in die Welt. Paare, deren Eltern beide berufslos sind,
verschlechtem ihre ökonomische Situation durch zusätzliche Kinder dagegen
nicht. (Ebd., S. 145).Die obigen Ausführungen lassen
nun verstehen, wie Individualisierung letztendlich funktioniert:Wird
dem Einzelnen zugestanden, sich gegenüber sozialen Gemeinschaften zu verselbständigen,
um als Handelnder eigenständig seinen Lebensunterhalt zu erzielen, dann wird
er sukzessive alle »sozialistischen« Kollektivaufgaben vernachlässigen,
das heißt, dort »faul« werden.Konkret:
Die Männer würden nicht mehr ausreichend für Sicherheit und Schutz
sorgen, die Frauen nicht mehr für Nachwuchs und Eltern nicht meh für
Bildung.Bei fehlender
innerer oder äußerer Sicherheit wäre ein Staat unmittelbar gefährdet,
bei nicht ausreichendem Nachwuchs oder mangelhafter Bildung dann einige Jahre
später. | Individualisierungsschritte müssen
folglich durch entsprechende Institutionalisierungen abgesichert werden. Die Ausgestaltung
dieser Institutionen dürfte im Einzelfall sehr unterschiedlich sein. Bei
der Sicherheit gehört die Polizei dazu, bei der Bildung die Schule und beim
Nachwuchs - wir werden sehen. In aller Regel wird nun aber der Wohlfahrtsstaat
die Verantwortung für dil zufriedenstellende Abwicklung der vormaligen Kollektivaufgaben
übernehmen. (Ebd., S. 146).
4.15) Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion
In
marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsformen rekrutiert der Staat seine
Mitarbeiter üblicherweise über den Arbeitsmarkt. Eine weitere Wirtschaftsform
ist der Sozialismus, bei dem in vielen Angelegenheiten der Staat an die Stelle
des Marktes tritt. (An dieser Stelle soll sich bewußt auf die ökonomischen
Aspekte des Sozialismus fokussiert werden, bei denen weniger die Gleichheit der
Menschen vor dem Gesetz, sondern die materielle Gleichheit im Ergebnis [gleiche
Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums] im Vordergrund stehen.). Anders als
in Marktwirtschaften ist hier die vom Individuum erbrachte Leistung nicht immer
präzise zuordbar (beziehungsweise dies ist manchmal sogar ausdrücklich
nicht erwünscht), denn viele Arbeiten werden im Kollektiv erbracht. Kritiker
weisen darauf hin, es käme dann sehr leicht zur Tragik der Allmende
(siehe dazu den Abschnitt »Die
Tragik der Allmende« ab Seite 143), weshalb die einzelnen Individuen
bei dieser Wirtschaftsform insgesamt deutlich weniger leisten würden, als
sie leisten könnten. (Ebd., S. 148).Ein
zentrales Problem moderner Gesellschaften konnte bereits in den letzten Abschnitten
identifiziert werden: | Die
Produktion ist in den meisten modernen Gesellschaften marktwirtschaftlich organisiert,
die Reproduktion dagegen sozialistisch. | Oder anders
ausgedrückt: In der Produktion können Gewinne privat abgeschöpft
werden, während Verluste meist sozialisiert werden. Dagegen sind in der Reproduktion
die Aufwände privat zu erbringen, die Einkünfte daraus stehen aber allen
zu. Die Produktion belohnt folglich Leistung, die Reproduktion dagegen Faulheit.
(Ebd., S. 148).Dies verstärkt naturgemäß eine Allmendeproblematik,
denn nun werden »Faule« ja in der Reproduktion nicht nur deshalb mit
einem höheren Nutzen belohnt, weil sie den gleichen Ertrag bei geringerem
Aufwand erhalten, sondern sie können die eingesparten Zeitaufwände sogar
gewinnbringend in die Produktion investieren. Oder konkreter ausgedrückt:
Statt sich der zeitaufwändigen Arbeit des Kindererziehens zu widmen und dafür
keine Vergütung zu erhalten, geht man arbeiten und Geld verdienen. Den Nutzen
aus den Kindern anderer in Form späterer Steuer- und Rentenbeitragszahler
streicht man aber gemeinsam mit allen anderen ein, da dieser Nutzen sozialisiert
ist. (Ebd., S. 148-149).In einer modernen Gesellschaft konkurrieren
sowohl Männer als auch Frauen um berufliche Positionen, während die
Reproduktion sozialistisch organisiert ist, weshalb es dort zur Tragik der
Allmende kommt. In der Reproduktion hat alos der »Faule« den größten
Erfolg beziehungsweise die geringsten Kosten. Gesellschaftlicher Erfolg ist deshalb
verknüpft mit beruflichem Erfolg und reproduktive »Faulheit«,
gesellschaftlicher Mißerfolg dagegen mit beruflichem Scheitern und reproduktiven
Erfolg. (Ebd., S. 149).Die Konsequenz daraus ist: Die Individualisierung
auf Seiten der Frauen macht eine völlige Neuorganisation der gesellschaftlichen
Reproduktion (gegebenenfalls mit weiterer Institutionenbildung) erforderlich,
anderfalls führt sie zwangsläufig zur reproduktiven Zerstörung
der Gesellschaft. (Ebd., S. 149).Das Interessante an der
natürlichen Selektion der Evolutionstheorie im Kontext unserer Diskussion
ist, daß sie eine Verknüpfung zwischen Produktion und Reproduktion
herstellt. (Und darin ist sie einzigartig). Ihre Kernaussage ist nämlich:
Erfolg in der Produktion korreliert mit Erfolg in der Reproduktion. Auf
diese Weise werden die Kompetenzen, die der aktuellen Generation im Leben geholfen
haben, auch an die nächste Generation weitergegeben, das heißt, es
wird so etwas wie Generationengerechtigkeit
implementiert. .... In modernen »gleichberechtigten« Gesellschaften
wird das Prinzip dagegen verletzt. (Ebd., S. 151-152).Auf
lange Sicht ergibt sich eine immer stärkere Verschiebung der Bevölkerungsanteile
hin zu den »Dienstboten«, und zwar einerseits durch das eigene Reproduktionsverhalten
und andererseits durch Import (Fremdreproduktion). Die Folge: Die Gesellschaft
»brasilianisert« von innen heraus. Statt sich zu einer Wissensgesellschaft
weiterzuentwickeln, bewegt man sich in Richtung hin zu einer Dienstbotengesellschaft.
Es soll deshalb die folgende These aufgestellt werden (reproduktive Brasilianisierungsthese): | Die
Brasilianisierung des Westens hat ganz wesentlich reproduktive Ursachen. |
| ...
Und da ist dann noch festzustellen, daß einige Folgerungen der reproduktiven
Brasilianisierungsthese empirisch recht gut belegt sind, während dies für
den ökonomischen Ansatz in dieser Form nicht gilt. (Ebd., S. 155).Leider
spielen reproduktive gesellschaftliche Prozesse in der Ökonomie und den Gesellschaftswissenschaften
so gut wie keine Rolle. Meist beschränkt man sich in diesem Zusammenhang
auf demographische Fragesetellungen. Damit wird man aber der Mächtigkeit
der gesellschaftlichen Reproduktion nicht gerecht. Was fehlt, ist eine Theorie
der gesellschaftlichen Reproduktion. (Ebd., S. 157-158).Warum
gibt es keine Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion, wenn gleichzeitig Änderungen
In diesem Bereich gravierendste Langzeitwirkungn für zukünftige Geneartionen
haben können? Ich habe darauf nur drei Antworten: |
Das Thema ist aufgrund der Sozialdarwinismus-Debatte und einiger eugenischer Versuche
extrem tabuisiert. Dies allein dürfte aber als Begründung nicht ausreichen,
denn im Auftrag wirtschaftlicher Interessen (und damit der Produktion) wurden
ja sogar zahlreiche Kriege angezettelt. | | Die
Auswirkungen der Reproduktion betreffen vor allem die nächsten Generationen.
Diese sind fern und zum Teil noch nicht einmal geboren. | | Die
Reproduktion war in patriarchalischen Gesellschaften in erster Linie ein Thema
der Frauen und somit gesellschaftlich ohne Bedeutung. Diese Einstellung hat sich
bis heute gehalten. Beigetragen hat dazu auch die Neue Frauenbewegung,
die sich bewußt von der vorgegebenen Mutterrolle der Frauen distanzieren
wollte. Das Ergebnis ist die völlige Entwertung spezifische weiblicher Reproduktionskompetenzen.
(Ebd., S. 161). |
5) Familienpolitik
Im
folgenden sollen populäre familien- und bevölkerungspolitische Maßnahmen
bezüglich ihrer Wirkung auf das gesellschaftliche Fortpflanzungsverhalten
und damit zusammenhöngende Parameter hin untersucht werden. Dabei stehen
die folgenden Fragen im Mittelpunkt:(1) |
Wirkt die Maßnahme generell geburtsteigernd? | (2) | Fördert
sie die Entstehung von Mehrkindfamilien? | (3) | Erhöht
sie vor allem die Geburtenrate in Schichten mit hohem sozioökonomischen Status
beziehungsweise hohem Bildungsniveau? | (4) | Erhöht
sie vor allem die Geburtenrate in sozial schwachen und bildungsfernen Schichten? | (5) | Ist
die Größenordnung der Änderung im Fertilitätsverhalten sicher
vorhersagbar? | (6) | Hat
die Maßnahme für Frauen emanzipatorische Elemente? | Einige
Maßnahmen weisen möglicherweise sogar extrem ungünstige Seiteneffekte
auf. Dies gilt insbesondere für solche, die sich ausgesprochen »gerecht«
und »sozial« geben und gleiche Bedingungen für alle schaffen
wollen, dürften sie doch am Ende vor allem dafür sorgen, daß immer
mehr Kinder unter ärmlichsten und förderungsarmen Bedingungen aufwachsen
und keine wirkliche Chance zum Leben bekommen. Übertriebene Forderungen nach
Gerechtigkeit innerhalb der aktuellen Generation scheinen häufig mit
einer Verletzung der Generationengerechtigkeit
im Schlepptau daher zu kommen. Denn nicht selten handelt es sich dabei um Umverteilungen
inerhalb der aktuellen Generation auf Kosten der kommenden. (Ebd., S. 163-164).
5.1) Kindergeld
Eine denkbare Alternative könnte die
Staffelung des Kindergeldes in Abhängigkeit vom Schulerfolg beziehungsweise
Schultyp sein. Dies würde nicht nur zusätzliche Anreize in sozial schwachen
Schichten setzen, sondern auch die höheren Aufwendungen für bildungsmotivierte
und -fähige Kinder berücksichtigen. (Ebd., S. 166).
5.2) Steuererleichterungen für Familien
Diese Maßnahme
dürfte in erster Linie für beruflich engagierte Familien interessant
sein, denn man muß Steuern zahlen, um Steuern sparen zu können. Allerdings
müßte die Steuerersparnis erheblich sein, um ein akademisch ausgebildetes
und beruflich erfolgreiches Paar .. zu einer größeren Familie zu bewegen.
(Ebd., S. 166).Steuererleichterungen für Familien gehen prinzipiell
in die richtige Richtung, sind aber vermutlich nicht dazu angetan, die einschränkenden
Opportunitätskosten für Kinder bei hochqualifizierten Frauen überwinden
zu können. (Ebd., S. 167).
5.3) Steuerhöhungen für Kinderlose
Diese Maßnahme
ist von der Intention her ganz ähnlich zu sehen wie Steuererleichterungen
für Familien. Denn im Prinzip könnte der Staat die Steuern generell
erhöhen und dann Familien entsprechende Freibeträge einräumen.
Dies wäre dann am Ende eine verdeckte Besteuerung von Kinderlosen. Möglicherweise
wäre aber eine parafiskalische Lösung ähnlich der gesetzlichen
Rentenversicherung vorzuziehen. (Ebd., S. 168).Die Besteuerung
würde die Mittel liefern, mit der andere, stärker wirkende familien-
und bevölkerungspolitische Maßnahmen finanziert werden könnten.
Sie ist erforderlich, um einen fairen Lastenausgleich zwischen Kinderlosen und
Familien zu bewirken. (Ebd., S. 169).Zum im Kapitel »Was
tun?« erläuterten Familienmanager-Konzept gehört allerdings
ganz entscheidend auch die stärkere und anteilsmäßige finanzielle
Beteiligung von Kinderlosen an der gesellschaftlichen Nachwuchsarbeit. Ich bin
davon überzeugt, daß eine solche Beteiligung zu einer Reduzierung der
Kinderlosigkeit und hier insbesondere in gebildeten und gut verdienenden Schichten
beitragen kann. (Ebd., S. 169).
5.4) Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Maßnahmen
zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten für Eltern
... im wesentlichen nur Entlastung. (Franz-Xaver Kaufmann,
Sozialpolitik und Sozialstaat: Soziologische Analysen, 2. Auflage, 2005,
S. 151). .... Die Opportunitätskosten einer Familiengründung
können ... zwar etwas gesenkt werden, allerdings nur für kleinere Familien.
Darüber hinaus sind gutverdienende Familien nicht notwendigerweise auf öffentliche
Betreuungseinrichtungen angewiesen, da sie alternativ auf private Dienstleister
zurückgreifen können. (Ebd., S. 169-170).Die Maßnahme
... kann bestenfalls einen eingeschränkten Beitrag zur Lösung der Bevölkerungsprobleme
der entwickelten Länder liefern. Dies bestätigen auch die Zahlen aus
Ländern mit optimaler Betreuungsinfrastruktur, Allerdings dürfte sie
für kleinere Familien mit berufstätigen Eltern unverzichtbar sein. Sie
gehört als Option ohne Zweifel zu den wichtigen Infrastrukturmaßnahmen
moderner Gesellschaften. (Ebd., S. 172).
5.5) Zukunftsvorsorge durch Kinder oder Sparen
Ein weiterer
Vorschlag ist die Einführung einer Kinderrente für Eltern und die Reduzieruzng
des Rentenanspruchs für Kinderlose. Letztere sollen dann gesetzlich dazu
verpflichtet werden, über eine zusätzliche private kapitalstockfinanzierte
Rente (Beispiel: Riester-Rente) für eine Erhöhung ihres eignen Rentenanspruchs
zu sorgen. Das Ziel des Vorschlags ist es, Realkapital in dem Maße zu bilden,
wie es an Humankapital fehlt. Dazu müssen Kinderlose zusätzliche Beiträge
abführen. (Ebd., S. 172).
5.6) Erziehungsgehalt
Seit vielen Jahren werden immer wieder
Vorschläge zu einer Vergütung- und damit gesellschaftlichen Anerkennung
- der durch Eltern geleisteten Erziehungsarbeit unterbreitet. Ein Ziel dabei ist,
den Handlungsspielraum von Eltern zu erweitern. In einigen Modellen sind die finanziellem
Zuwendungen zusätzlich mit Regelungen für einen besseren beruflichen
Wiedereinstieg nach Beendigung der Erzeihungszeit bis hin zur rechtlich verankerten
Wiedereinstiegssicherung gekoppelt. (Ebd., S. 174).Auch Familienväter
leisten ... in erheblichem Umfang unentgeltliche (und häufig zu wenig gewürdigte)
Familienarbeit, nicht nur erzieherisch, sondern zum Beispiel auch, indem sie in
Eigenregie und in der Freizeit ein Eigenheim hochziehen oder sonstige wichtige
häusliche Organisations- und Installationsarbeiten vornehmen. (Ebd.,
S. 175).Martine und Jürgen Liminski führen zur Berechtigung
des Erziehungsgehalts aus: »Die Leistung der Eltern muß auch finanziell
anerkannt werde. Und zwar nicht als Almosen von Vater Staat, das heißt als
Sozialhilfe, sondern als gerechter Lohn für getane Arbeit. Ähnliche
Arbeiten, allerdings mit dem Schwerpunkt Betreuung, also ohne die tieferpflügende
Erziehung, werden. so argumentiert zu Recht der sächsische Sozialminister
Geisler,
selbstverständlich anerkannt und entlohnt, etwa bei Erzieherinnen oder Kindergärtnerinnen,
Mütter, die die gleiche Arbeit oft viel besser tun, gingen leer aus.«
(Jürgen Limininski / Martine Liminski, Abenteuer Familie - Erfolgreich
erziehen, 2002, S. 32f.). (Ebd., S. 176).
5.7) Zuwanderung
Die Qualifikation der nach Deutschland Zugewanderten
liegt im Durchschnitt deutlich unter der der einheimischen Bevölkerung. (Vgl.
Franz-Xaver Kaufmann,
Schrumpfende Gesellschaft, 2005, S. 86. [**]).
Dieser Trend dürfte sich in Zukunft eher noch verstärken, da alle entwickelten
Staaten gleichfalls unter Nachwuchssorgen leiden. Die Industrie sucht vor allem
nach gut ausgebildeten Fachkräften mit guten sprachlichen Kenntnissen, die
unter Zuwanderern seltener zu finden sind. Die Arbeitslosenquote ist unter den
Zuwanderern deutlich höher als in der einheimischen Bevölkerung. (Vgl.
Bundeszentrale für politische Bildung, a.a.O., 2005). Gegen Zuwanderung als
bevölkerungspolitische Maßnahme können auch ethisch-moralische
Gründe vorgebracht werden. Strenggenommen handelt es sich hierbei um einen
Versuch der entwickelten Staaten, lästige und zeitaufwändige Arbeiten
an Dritte (die Dritte Welt) auszulagern. (**).
Der dann in diesen Ländern verursachte Brain Drain dürfte deren
Entwicklung behindern und möglicherweise dadurch sogar das dortige Bevölkerungswachstum
verstärken. In diesem Sinne handelt es sich bei der Zuwanderung um eine weitere
Methode, lokalen Wohlstand auf Kosten der Dritten Welt zu realisieren. Neben tropischen
Hölzern werden nun auch Menschen importiert, und zwar nach Möglichkeit
die jeweils qualifiziertesten eines Landes: »Wer kommen darf, sind die Green
Cards, also beste Gehirne oder sonstwie positiv selektierte Untermengen.
Die saugt man sich zum Nulltarif heraus, einer der größten Plünderungsfeldzüge
unserer Zeit.« (Franz Josef Radermacher, Die Brasilianisierung der Welt
- Asymmetrien des globalen Reichtums, 2006, [vgl. auch Fritz R. Glunk, Interview
mit Franz Josef Radermacher, in: GAZETTE.DE [**]).
(Ebd., S. 177-178).
Auch
hat die Maßnahme sozialdarwinistische Züge, stellt sie doch einen Versuch
dar, schwache Menschen (die Kinder) aus der »Leistungsgesellschaft«
auszugliedern. Unsere hochproduktiven , Menschen überlassen ihre reproduktiven
Aufgaben dabei der Dritten Welt. (Vgl. Karl Otto Hondrich, a.a.O., 2007, S. 95f.).
(Ebd.). |
Fazit: Die
Maßnahme ... kann deshalb als völlig unzureichend zur Lösung der
Bevölkerungsproblem in den entwickelten Ländern eingeschätzt werden.
(Ebd., S. 178).
6) Was tun?
Ein
Ergebnis des vorliegenden Buches ist: In modernen Gesellschaften ist die Produktion
(Wirtschaft) marktwirtschaftlich organisiert, die gesellschaftliche Reproduktion
(Nachwuchsarbeit) dagegen sozialistisch. Denn derAufwand für das langjährige
Erziehen von Kindern ist in den Familien privat zu erbringen, der Nutzen daraus
in Form von späteren wohlerzogenen und kompetenten Bürgern beziehungsweise
Steuer- und Rentenbeitragszahlern steht dann aber allen gleichermaßen zu
(Transferausbeutung der Familiendurch Kinderlose). (Ebd., S. 179).Eine
unmittelbare Folge daraus ist: Innerhalb der gesellschaftlichen Reproduktion kommt
es dann zur Tragik der Allmende ( siehe Abschnitt »Die
Tragik der Allmende« ab Seite 143), und in »gleichberechtigten«
Gesellschaften darüber hinaus auch zu einer Abwanderung von qualifizierten
Frauen in die Produktion auf Kosten der Reproduktion, ein Prozeß, dessen
konkrete Erscheinung sich demographischer Wandel nennt. Dieser ist unter
anderem von einem dysgenischen Reproduktionsverhalten geprägt, welches
eine Ursache für die zunehmende Brasilianisierung der Gesellschaft
sein dürfte. (Ebd., S. 179).Ferner konnte gezeigt werden:
In streng patriarchalischen Gesellschaften besteht das Problem in dieser Form
nicht, da die Frauen dort mehrheitlich keine wirkliche Wahlmöglichkeit zwischen
produktiven und reproduktivenTätigkeiten besitzen. Stattdessen wird von ihnen
durch Rollenzuweisung erwartet, die erforderliche Nachwuchsarbeit im Kollektiv
und für die Gesellschaft insgesamt zu erbringen. Patriarchalische Gesellschaften
orientieren sich reproduktiv vor allem am sozialen Erfolg der Männer, weswegen
ihr Reproduktionsverhalten meist eugenischer Natur ist. (Ebd., S.
179).Als Lösung der aktuellen Probleme drängen sich vor
allem zwei Ansätze auf (ich möchte nicht ausschließen, daß
daneben noch weitere Lösungsansätze existieren): | Rückkehr
zum Patriarchat.Dies
wurde bereits von Phillip Longman prognostiziert (vgl. Phillip Longman, The
Empty Cradle - How Falling Birthrates Thraeten World Prosperity and What to Do
about it, 2004; FAZ.NET, Nur das Patriarchat kann
die Menschheit retten, 03.04.2006 [**];
FAZ.NET, Unsere Regierung ist hirntot, 08.09.2006
[**]).
... | | Angleichung
der Organisation von Wirtschaft und gesellschaftlicher Reproduktion.Als
einzig realistische Option scheint hier die Übertragung marktwirtschaftlicher
Prinzipien auf die gesellschaftliche Reproduktion in Frage zu kommen. Genau dies
wird auf den nächsten Seiten mit dem Familienmanager-Konzept dann auch vorgeschlagen. | Daneben
werden in unserer Gesellschaft zahlreiche Alternativen und Zwitterlösungen
diskutiert, namentlich die Einführung eines bedingungslosen Grundgehaltes,
welches unter anderem für eine Vergütung aller bislang kostenfrei erbrachten
gesellschaftlichen Arbeiten sorgen soll. Die These dabei ist: Erwerbsarbeit wird
auf Dauer an Bedeutung verlieren, weswegen sie nicht länger die alleinige
Einkommensbasis darstellen könne. (Ebd., S. 179-180).Im
folgenden wird also mit dem Familienmanager-Konzept eine Maßnahmevorgestellt,
die in der Lage ist, das Prinzip der natürlichen Selektion in entwickelten
und dem demographischen Wandel unterliegenden Gesellschaften wiederherzustellen.
Dabei versucht sie ganz gezielt, eine bezüglich der Gleichstellung der Geschlechter
noch bestehende Lücke zu schließen. Ergänzende Informationen finden
sich in: Peter Mersch, Land
ohne Kinder, 2006, S. 99 ff.; Peter Mersch, Die
Familienmanagerin, 2006. (Ebd., S. 180).Der Geburtenrückgang
in Deutschland ist wie auch in den USA und in den übrigen europäischen
Ländern einschließlich der Länder Nordeuropas Ergebnis des zunehmenden
Verschwindens der Mehrkindfamilie mit drei oder mehr Kindern. (Vgl. Hans Bertram
/ W. Rösler / N. Ehlert, Nachhaltige Familienpolitik, 2005, S. 10).
Dennoch konzentrieren sich Wissenschaft, Medien und Politik seit Jahrzehnten fast
ausschließlich auf Maßnahmen zur Reduzierung der Kinderlosigkeit,
was dem Problem nicht gerecht wird. Die hier vorgestellte Maßnahme hat dagegen
in erster Linie die Förderung sozialisatorisch erfolgreicher Mehrkindfamilien
zum Ziel. Gleichzeitig dürfte sie aber auch ein äußerst wirkungsvoller
Beitrag zur Reduzierung der Kinderlosigkeit sein. (Ebd., S. 180).
1.2) Nachwuchsarbeit als Kollektivaufgabe
In unserer Gesellschaft
wird die Nachwuchsarbeit als eine freiwillige und nicht als eine von allen Bürgern
zu erbringende Kollektivleistung verstanden. Auf diese Weise gelingt es kinderlosen
Einzelpersonen oder Paaren überproportional von den von Familien erbrachten
Sozialleistungen zu profitieren, weshalb Fachleute von einer Transferausbeutung
von Familien durch Kinderlose sprechen. (Vgl. z.B. Herwig
Birg,
Die ausgefallene Generation, 2005, S. 84 [**]).
(Ebd., S. 181).Nachwuchsarbeit ist mit hohen Kostenn verbunden,
insbesondere dann, wenn sie mit einer solch umfangreichen Brutpflege wie beim
Menschen einhergeht. Aber auch der körperliche Einsatz auf Seiten der Frauen
ist beträchtlich, speziell dann, wenn Mütter ihre Kinder noch stillen.
(Ebd., S. 181).Kollektivaufgaben, die mit hohen Aufwänden
und Kosten verbunden sind, unterliegen der Gefahr, von Trittbrettfahrern unterlaufen
zu werden, wie im Abschnitt »Die
Tragik der Allmende« ab Seite 143 aufgezeigt werden konnte. (Ebd.,
S. 181).Ursächlich für die daraufhin entstehende fatale
Entwicklung dürfte eine typsich menschliche Handlungsmaxime sein: Es geht
- moralisch gesprochen - gar nicht um die Maximierung des eigenen Vorteils, sondern
darum, nicht selbst in eine schlechte Position zu geraten.« (Frank Schirrmacher,
Minimum - Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft, 2006, S.
67). (Ebd., S. 181).Wir können deshalb festhalten: | Eine
von der Gemeinschaft insgesamt zu erfüllende gesellschaftliche Kollektivaufgabe,
deren Ausführung für den Einzelnen mit hohen Kosten oder Lasten verbunden
ist, deren Nichtausführung aber keinerlei Nachteile zur Folge hat, kann prinzipiell
nicht zur Zufriedenheit aller ausgeführt werden, da sie stets von einer größeren
und auf lange Sicht ansteigenden Zahl an Trittbrettfahrern unterlaufen wird. |
| Man
wird in Zukunft an einer ernsthaften und anteilsmäßigen Beteiligung
von Kinderlosen an der gesellschaftliochen Nachwuchsarbeit, die auf den folgenden
Seiten Partnerschaftssteuer odfer auch Unterhalt genannt wird, nicht
vorbeikommen. Eine Lösung des Problems des demographischen Wandels dürfte
ohne entsprechende Maßnahmen faktisch ausgeschlosen sein. (Ebd., S.
181).Diese Auffassung teilen auch zahlreiche andere Experten, So
führt Norbert Bolz
etwa aus: »Nicht die Reichen, sondern die Kinderlosen müssen stärker
besteuert werden. Es ist einfataler Webfehler unseres sozialen Systems, daß
Kinderlose die gleichen Versorgungsansprüche erwerben wie Eltern, obwohl
sie nichts zur Erziehung der zukünfligen Beitragszahler beitragen. .... Man
sollte Kinderlose nicht stigmatisieren, sondern besteuern.« (Norbert Bolz,
Die Helden der Familie, 2006, S. 71 [**|**]).
Und Paul Kirchhof ergänzt: »Für den Lastenausgleich ist es geboten,
die Zukunftssicherung so zu gestalten, daß die Kinderlosen die Geldbeträge
erbirngen, die Familien die Zukunft durch ihre Kinderreziehung sichern.«
(Paul Kirchhof, Das Gesetz der Hydra - Gebt den Bürgern ihren Staat zurück,
2006, S. 191). (Ebd., S. 182).Aufgrund der für die Nachwuchsarbeit
erforderlichen hohen Investitionen werden in der Natur mittels der natürlichen
Selektion insbesondere diejenigen Individuen mit Nachwuchs belohnt, die an den
aktuellen Lebensraum besonders gut angepaßt sind, folglich die meisten Ressourcen
erlangen und sich somit Nachwuchs besonders gut »leisten« können.
Allerdings gibt es im Tierreich auch Populationen, in denen Individuen ein altruistisches
Fortpflanzungsverhalten zeigen, zum Beispiel die Arbeiterinnen der Ameisen: Während
sie sich selbst nicht fortpflanzen, tragen sie »selbstlos« dazu bei,
Ameisenköniginnen die Weitergabe ihrer Gene an Nachkommen zu ermöglichen.
In der Evolutionsbiologie galt es lange Zeit als rätselhaft, wie altruistische
Gene überleben können, wenn sich die Träger dieser Gene selbst
nicht fortpflanzen. William D. Hamilton erklärte dies über die so genannte
Verwandtenselektion. Aufgrund der speziellen Fortpflanzung staatenbildender
Insekten sind Ameisenarbeiterinnen zu 75 Prozent miteinander verwandt, also stärker,
als es mit einer eigenen Tochter möglich wäre. Deshalb bevorzugt die
natürliche Selektion solche Gene, welche die Arbeiterinnen veranlassen, Schwestern
und nicht eigene Töchter aufzuziehen. Dies ist die Basis des altruistisch
sozialen Ameisenstaates. (Ebd., S. 182).Der Wohlfahrtsstaat
ist vermutlich das größte altruistische System der Natur überhaupt.
(Vgl. Richard Dawkins, Das egoistische Gen, 1976, S. 210). Die anteilsmäßige
Beteiligung an der Nachwuchsarbeit anderer und mit einem selbst genetisch nicht
verwandter Mitbürger gehört jedoch nicht zu diesem System, und es ist
keineswegs klar, ob der moderne Mensch dafür mehrheitlich bereits ausreichend
altruistisch eingestellt ist. (Ebd., S. 182).Zur Zeit werden
anläßlich der prekären Nachwuchssituation moderner Gesellschaften
in erster Linie Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf gefordert. Selbst bei optimaler Implementation würde dann aber
weiterhin gelten: Wer mehr arbeitet, mehr in die eigene Ausbildung investiert
und folglich sozial besonders erfolgreich ist, dem bleibt weniger Zeit für
eigene Kinder. Solche Maßnahmen könnten im Sinne der natürlichen
Selektion und der Generationengerechtigkeit
also nur dann befriedigend funktionieren, wenn gleichzeitig wesentliche wohlfahrtsstaatliche
Leistungen eingestellt würden, namentlich die finanzielle Versorgung von
Kindern aus sozial schwachen Schichten. Damit würde aber an den Grundfesten
der Sozialstaatlichkeit gerüttelt. Wohlfahrtsstaat und Vereinbarkeitsmaßnahmen
sind somit nicht ausreichend miteinander kompatibel. (Ebd., S. 182-183).Es
wird deshalb vorgeschlagen, die Nachwuchsarbeit als gesellschaftliche Kollektivaufgabe
zu verstehen, die prinzipiell von allen Bürgern anteilsmäßig in
direkter oder indirekter Form zu erbringen ist. Grundlage dafür könnte
die folgende Maxime sein: | Jedem
steht es in unserer Gesellschaft frei, Kinder in die Welt zu setzen. Doch bitte
beachten Sie: .... Ein unkontrollierter Bevölkerungszuwachs sollte ... unbedingt
vermieden werden. Beschränken Sie sich nach Möglichkeit auf maximal
zwei Kinder pro Paar. Der Staat wird Maßnahmen ergreifen und fördern,
die für eine möglichst optimale Vereinbarkeit einer kleineren Familie
mit bis zu zwei Kindern mit einem Beruf und für einen relativ fairen Familienlastenausgleich
sorgen werden. | | Allerdings
ist die Gesellschaft auf eine insgesamt bestandserhaltende Reproduktion angewiesen.
Wenn viele Menschen kinderlos bleiben, kann eine solche nicht gewährleistet
werden. Deshalb ist es in unserer Gesellschaft zusätzlich Ihre Aufgabe, als
Paar zwei Kinder aufzuziehen, als Einzelperson ein Kind. Damit leisten Sie Ihren
Beitrag zu einer bestandserhaltenden gesellschaftlichen Reproduktion. Sie müssen
das aber nicht selbst tun, sondern Sie können die Aufgabe zum Teil oder in
Gänze anderen Fachleuten überlassen. Dafür müssen Sie dann
aber regelmäßig einen bestimmten Betrag abführen, damit diese
das auch in der entsprechenden Qualität für Sie tun können. | Im
Klartext heißt das: Jeder Bürger müßte für ein Kind
Unterhalt zahlen. Allerdings könnte er sich von dieser Verpflichtung durch
das Aufziehen eines eigenen Kindes befreien. (Ebd., S. 183).Im
Abschnitt »Familienmanagerin«
ab Seite 187 wird erläutert, was mit den eignommenen Patenschaftssteuern
geschehen soll. Wenn viele Menschen kinderlos bleiben, dann kommen insgesamt zu
wenige Kinder auf die Welt. Die Dufferenz zu einer bestandserhaltenden Geburtenrate
könnte dann von staatlich beschäftigten Familienspezialisten abgedeckt
werden, die in aller Regel größere Familien mit drei oder mehr Kindern
gründen. Da die Familienarbeit dann zum Vollzeitjob generiert, würden
solche Familienfrauen (oder auch -männer) vom Staat bezahlt. Allerdings benötigen
sie entsprechende Qualifikationen, da sie einen Beruf mit sehr hoher Verantwortung
ausüben. Auch müßten sie sich regelmäßig fortbilden.
In Anlehnung an den sozialen Ameisenstaat handelt es sich bei den Familienspezialistinneen
also um »Königinnen«, denen von anderen mittels Unterhaltszahlungen
zugearbeitet würde. (Ebd., S. 184).Ein Ausgleich massiver
Bevölkerungsrückgänge durch Zuwanderung ist weder möglich
noch ethisch sinnvoll, dies zeigt allein schon die fehlgeschlagene »Integration«
der bisherigen Zuwanderer nach Deutschland. .... Die Devise kann nun nicht mehr
lauten »gehet hin und mehret euch«, sondern eher »bleibet
hier und ersetzet euch«. (Ebd., S. 184).Jedes Individuum
muß (und nicht nur soll) für den eigenen Nachfolger seiner
eigenen Person sorgen, entweder durch direktes Aufziehen eines Kindes oder alternativ
durch Abführen einer so genannten Patenschaftssteuer. Mit diesen Stuerbeiträgen
würden dann professionelle und angemessen ausgebildete, staatlich angestellte
Familienfrauen/-männer finanziert, die für das Aufziehen ihrer Kinder
vergütet werden. Der Staat übernähme dabei die Kapazitätsplanung.
... Werden mehr Kinder in herkömmlichen Partnerschaften geboren, dann sänken
die Patenschaftssteuer-Einnahmen, und es würden weniger Familienfrauen/-männer
neu eingestellt. Sänke die Zahl der in herkömmlichen Partnerschaften
geborenen Kinder, dann würde die Entwicklung anders herum sein. Die Familienfrauen
(beziehungsweise die Familienmagerinnen, wie sie im folgenden Abschnitt [**]
genannt werden) sorgten also für einen automatischen Ausgleich zu niedriger
Fertilitätsraten. (Ebd., S. 185-186).Konzeptionell würde
ein Kinderloser im Rahmen einer solchen kollektiv verstandenen gesellschaftlichen
Reproduktion wie ein Unterhaltspflichtiger behandelt. Denn nehmen wir einmal an,
ein Mann habe mit seiner Geliebten ein Kind gezeugt, wollte nun aber mit dem Aufziehen
des Nachwuchses nichts zu tun haben. Dann ist er immerhin zur Zahlung von Unterhalt
verpflichtet. Salopp könnte man sagen: Ein Unterhaltspflichtiger hat das
Aufziehen seines Kindes an seine frühere Geliebte ausgelagert, ein Kinderloser
an eine Familie in der Nachbarschaft, wobei er sich sowohl dem Zeugungsakt als
auch den Unterhalt spart. (Ebd., S. 186).Bei dem gerade Gesagten
handelt es sich um eine völlige Neudefinition der gesellschaftlichen Nachwuchsarbeit,
und zwar weg vom Prinzip »Jeder macht es so, wie er lustig ist«
hin zu einer planerischen und menschenwürdigen Vorgehensweise .... Ich bin
davon überzeugt, daß es in der Zukunft nicht mehr anders gehen kann.
(Ebd., S. 187).
6.2) Familienmanagerin
6.2.1) Auswahl und Qualifikation
Um es gleich vorweg zu sagen:
Hier wird nicht vorgeschlagen, der Staat solle nun das Kinderkriegen reglementieren
oder gar prämieren. Nein, es sollte weiterhin jedem Paar oder auch jeder
Einzelperson selbst überlassen bleiben, ob es (sie) ein, zwei oder mehr Kinder
haben möchte. Und dafür sollte es ähnliche Zuwendungen im Rahmen
des Familienlastenausgleichs geben wie bereits heute. Daneben sind weitere Unterstützungen
in Form von Ganztagsbetreuungen und Rentenversicherungsansprüchen denkbar.
Allerdings sollte der Staat seinen Bürgern die modifizierte Norm der verantworteten
Elternschaft aus dem vorangegangenen Abschnitt (**)
vermitteln. (Ebd., S. 187).Beim Beruf der Familienmanagerin
handelt es sich um einen Vollzeitjob. Nebentätigkeiten bedürfen der
Zustimmung der zuständigen Behörde und sollten nach Möglichkeit
mit der Tätigkeit als Familienmanagerin vereinbar sein. Zum Beispiel ist
vorstellbar, daß Familienmanagerinnen zusätzliche Tagesmütter-Dienste
anbieten (siehe dazu den Abschnitt »Betreuung
von fremden Kindern« ab Seite 201). Da Familienmanagerinnen in der Regel
große Familien gründen und eventuell (doch wohl:
höchtswahrscheinlich! HB) noch Kinder anderer Eltern betreuen,
ist für den Beruf eine qualifizierte (akademische) Ausbildung erforderlich.
Eine solche Ausbildungsanforderung ergab sich auch aus Untersuchungen zur kindlichen
Betreuung. (Vgl. Hans Bertram, Nachhaltige Familienpolitik und die Zukunft
der Kinder, in: Hans Bertram / H. Krüger / C. K. Spieß (Hrsg.),
Wem gehört die Familie der Zukunft? - Expertisen zum 7. Familienbericht
der Bundesregierung, 2006, S. 13). Eine regelmäßige Weiterbildung
sollte ebenfalls zum Beruf gehören. (Ebd., S. 187).Die
Qualifikationsvoraussetzungen für Familienmanagerinnen liefern aber noch
etwas anderes, und das ist in diesem Zusammenhang ganz entscheidend: Sie machen
die Leistungen tauschbar, und damit überhaupt erst bewertbar und bezahlbar.
(Ebd., S. 188).Die Auswahl der Familienmanagerinnen könnte
wie in ähnlichen Berufen erfolgen: | Der
Staat (beziehungsweise das zuständige Bundesland) stellt den Bedarf fest
und schreibt eine entsprechende Zahl an Stellen aus. | | Der
Bedarf wird jedes Jahr neu ermittelt und die Zahl der freien Stellen entsprechend
angepaßt. Auf diese Weise entstünde ein natürliches Mittel der
Bevölkerungsplanung. | | Die
konkrete Besetzung der Stelle einer Familienmanagerin erfolgt nach diversen Auswahlkriterien,
unter anderem Qualifikation, Alter, Familienstand.Das
Leben in einer ehelichen Gemeinschaft könnte die Auswahlchancen erhöhen.
Allerdings sind grundsätzlich unterschiedliche Lebensformen mit dem Beruf
vereinbar. Auch das Leben in einer homosexuellen Gemeinschaft sollte kein Ausschlußkriterium
sein. Die Zugehörigkeit zu einer sozial schwachen Schicht oder gar Armut
sollten die Auswahlchancen nicht verschlechtem, da die Familienmanagerin ab einer
gewissen Zahl an betreuten Kindern nicht mehr arm ist. Hier bieten sich also qualifizierten
Frauen Aufstiegschancen an. | Männer können sich
ebenfalls für den Job der Familienmanagerin bewerben (und heißen dann
Familienmanager), insbesondere dann, wenn sie Kinder adoptieren oder ihnen nach
der Scheidung oder dem Tod einer Familienmanagerin die Kinder zugesprochen werden.
Auch kann ein Wechsel auf Antrag der Ehepartner erfolgen, in diesem Fall sollten
aber beide Ehepartner über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Da
aber das Aufziehen von Kindern üblicherweise mit einer Stillphase beginnt,
der eine Schwangerschaft vorausgeht, handelt es sich bei dem Beruf der Familienmanagerin
um einen Frauenberuf, das heißt einen Beruf mit einem überragenden
Frauenanteil. (Ebd., S. 188).
6.2.2) Bezahlung
Die Bezahlung einer Familienmanagerin würde
im wesentlichen von der Zahl der von ihr großgezogenen Kinder abhängen
(die auch adoptiert sein können), wobei man eventuell an eine zu definierende
Obergrenze an gewerteten Kindern denken könnte. Für jedes Kind - innerhalb
der zu definierenden Obergrenze - würde ein Leistungsbetrag gezahlt, zusätzlich
bestünde ein Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt und auf Kindergeld. Auch würden
Rentenversicherungsbeiträge abgeführt. (Ebd., S. 188-189).Die
Bezahlung würde sinnvollerweise so gewählt, daß eine Familienmanagerin
etwa ab dem dritten Kind eventuell sogar alleinerziehend ein ökonomisch sorgenfreies
Leben fuhren könnte. Der Leistungsbetrag würde pro Kind über einen
längeren Zeitraum (zum Beispiel 20 Jahre) gezahlt. Danach besäße
die Familienmanagerin eine Übernahmegarantie in andere Berufe, etwa im öffentlichen
Dienst (Lehrerin, Erzieherin, Verwaltung u.s.w.) oder bei kooperierenden Unternehmen,
die damit werben dürften. Alternativ könnte sich eine Familienmanagerin
entscheiden, adoptierte Kinder großzuziehen. Dafür würde erneut
der Leistungsbetrag ausgeschüttet. (Ebd., S. 189).Das
heute übliche Fehlen eines Einkommens- und Sicherheitsnutzens von Kindern
begründet auch die Kommerzialisierbarkeit von Familienarbeit mit eigenen
Kindern in einer sonst arbeitsteiligen Welt: Eine Familienmanagerin würde
im Rahmen der Erziehungsarbeit einen Konsumnutzen aus ihren Kindern ziehen, ähnlich
wie andere Berufstätige eine Befriedigung aus ihrer Arbeit erhalten. Gleichzeitig
erzielte sie ein Einkommen aufgrund der geleisteten professionellen Arbeit. Das
schließlich nach ca. 20 Jahren der Gesellschaft übergebene »Endprodukt«
(»der erzogene und gebildete erwachsene Mensch«) gehörte aber
nicht länger ihr, so daß sie aus der Elternbeziehung keinen direkten
Vorteil schlagen kann (FFranz-Xaver Kaufmann,
Zukunft Familie - Stabilität, Stabilitätsrisiken und Wandel der familialen
Lebensformen sowie ihre gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, 1990,
S. 11 ). Es gibt also keinen unmittelbaren Grund dafür, warum
eine akademisch ausgebildete Erzieherin für das Betreuen fremder Kinder ein
Einkommen erzielen kann, für das Aufziehen ihrer eigenen Kinder aber prinzipiell
nicht. (Ebd., S. 189).
6.2.3) Finanzierung
Finanziert werden könnten die Familienmanagerinnen
über die bereits erwähnte Patenschaftssteuer. Kinderlose würden
auf diese Weise ihre eigenen gesellschaftlichen Aufziehleistungen an Familienmanagerinnen
auslagern. Sie dürfen sich als virtueller Pate eines Kindes fühlen.
(Ebd., S. 189).Das im Folgenden beschriebene Finanzierungsbeispiel
geht in einer ersten Annäherung davon aus, daß Familienmanagerinnen
pro aufgezogenes Kind einen Leistungsbetrag ... erhalten. (Roland Tichy / Andrea
Tichy, Die Pyramide steht Kopf - Die Wirtschaft in der Altersfalle und wie
sie ihr entkommt, 2003, S. 206). Daneben stünde ihnen noch ein Grundgehalt
... zu. Zusätzlich erhielten sie ein 13. Monatsgehalt. Ferner stünde
ihnen das gesetzlich verankerte Kindergeld zu. In der Praxis wären aber vermutlich
höhere Leistungsbeträge anzusetzen. Bei den ... Beträgen handelt
es sich keineswegs um meine persönliche Empfehlung. (Ebd., S. 190).Es
wird in der folgenden Rechnung davon ausgegangen, daß jede Familienmanagerin
durchschnittlich fünf Kinder aufzieht. Ferner wird angenommen, daß
Familienmanagerinnen zusammen durchschnittlich 500000 Kinder pro Jahr in die Welt
setzten oder adoptierten und daß die höhere steuerliche Belastung der
Kinderlosen das Reproduktionsverhalten der Bevölkerung nicht wesentlich beeinflussen
würde, sondern daß weiterhin jährlich ca. 700000 Kinder in anderen
Familien zur Welt kämen. Durch den Beitrag der Familienmanagerinnen würde
sich auf diese Weise die Zahl der in Deutschland geborenen Kinder von jährlich
700000 auf durchschnittlich 1,2 Millionen, beziehungsweise die Fertilitätsrate
auf 2,33 erhöhen. Die Rechnung ist bewußt grob gehalten und ignoriert
zunächst einmal die in den nächsten Jahrzehnten weiter absinkende Zahl
an gebärfähigen Frauen. (Ebd., S. 190).Im
Vergleich zu anderen Alternativen mit ähnlichen Kosten hat das Familienmanager-Konzept
gleich mehrere entscheidende Vorteile: | Die
Kosten stehen in direkter Relation zur Anhebung der Geburtenrate. | | Das
Ergebnis ist vorhersagbar (planbar). | | Die
aufgezogenen Kinder erhalten eine optimale Erziehung. | Im
Laufe von 20 Jahren könnten von zwei Millionen Familienmanagerinnen zehn
Millionen zusätzliche Kinder aufgezogen und ausgebildet werden, und um diese
Zahl würde sich der bis zum Jahr 2030 prognostizierte Bevölkerungsschwund
für die Bundesrepublik Deutschland reduzieren. Gleichzeitig würden dabei
zwei Millionen Arbeitskräfte dem produktiven Arbeitsmarkt entzogen und dem
reproduktiven Bereich zugeführt werden (dort entstünden also zwei Millionen
Arbeitsplätze), rechnet man noch den zusätzlichen Bedarf für Schulunterricht,
medizinische Versorgung und kindlichen Konsum hinzu, dann kann insgesamt von mindestens
drei bis vier Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen ausgegangen werden
(siehe dazu auch die Ausführungen im Abschnitt »Reproduktion
und Wirtschaftsentwicklung« ab Seite 126). (Ebd., S. 192).Kostenrechnung
Familienmanagerin |
Jahr | Kinder
(in Millionen) | Familienmanager
(in Millionen) | Kosten
(in Milliarden €) | 1 | 0,5 | 0,1 | 3,9 | 2 | 1,0 | 0,2 | 7,8 | 3 | 1,5 | 0,3 | 11,7 | ... | ... | ... | ... | 19 | 9,5 | 1,9 | 74,1 | 20 | 10 | 2,0 | 78,0 |
Abbildung
8) Finanzierungsbeispiel Familienmanagerin |
6.2.4) Die Notwendigkeit der Familienmanagerin
Im Abschnitt
»Fertilitätstheorien«
ab Seite 6 wurde aufgezeigt, daß der Konsumnutzen von Kindern in der Regel
nicht ausreicht, um große Familienstärken ohne zusätzliche Nutzenarten
zu begründen. Statt dessen sorgt er in Abwägung mit den pro Kind steigenden
Kosten für eher kleinere Familiengrößen. Eine signifikante Anhebung
der Fertilitätsraten läßt sich ... durch eine Förderung von
Großfamilien erzielen. (Vgl. Hans Bertram / W. Rösler / N. Ehlert,
Nachhaltige Familienpolitik, 2005, S. 10). Dieser Umstand dürfte umso
bedeutsamer werden, je weiter die Zahl der gebärfähigen Frauen sinkt.
Es wurde deshalb von einigen Autoren gefolgert, in Zukunft müsse es zu einer
stärkeren Spezialisierung im Rahmen der gesellschaftlichen Reproduktion kommen.
(Vgl. Frank Schirrmacher, Minimum - Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft,
2006, S. 123f.). Eine detaillierte Beispielrechnung dazu findet sich in: Peter
Mersch, Die
Familienmanagerin, 2006, S. 137ff. (**).
Eine solche Spezialisierung scheint aber auch eine Anforderung von Wissensgesellschaften
zu sein. Da die Reproduktion und Mehrung des Humanvermögens in Wissensgesellschaften
zu einem entscheidenden Standortvorteil generiert, steigen automatisch auch die
beim Aufziehen von Kindern erforderlichen Qualifikationen, speziell dann, wenn
es um die Erziehungsarbeit in größeren Familien geht. (Ebd.,
S. 193).Familienmanagerinnen würden ihre Kinder mit hoher
Wahrscheinlichkeit sehr liebevoll aufziehen. Die Eltern wären auf die Aufgabe
des Erziehens fokussiert, es lägen hervorragende Bildungsvoraussetzungen
vor und eine optimale Förderung aller Kinder kann praktisch garantiert werden.
Schwangerschaften könnten mit weniger Streß durchlebt werden. Ferner
könnten bei den Kindern frühzeitig friedfertige, solidarische, gesundheitsbewußte
und ökologische Verhaltensweisen eingeübt werden. Genau diese Effekte
dürfen aber auch erwartet werden, wenn eine Aufgabe, für die üblicherweise
keinerlei Voraussetzungen erforderlich sind, professionalisiert wird (ähnlich
wie dies in der Medizin geschehen ist). Die Familienmanagerinnen könnten
gleich auf mehrere Arten für mehr Generationengerechtigkeit
sorgen. (Vgl. Peter Mersch, Die
Familienmanagerin, 2006, S. 155ff. [**|**]):
(Ebd., S. 193).Die Familienmanagerinnen könnten gleich auf
mehrere Arten für mehr Generationengerechtigkeit
sorgen: | Durch
die Sicherstellung einer bestandserhaltenden Fertilität werden der nachfolgenden
Generation nicht zu hohe Lasten aufgebürdet. | |
Durch die Bezahlung professioneller Familienmanager wird familienorientierten
Menschen eine wirtschaftlich attraktive Option zur Gründung einer Großfamilie
geboten. Solche Menschen können dann wirtschaftlich abgesichert das tun,
was eigentlich ohnehin ihr Lebensziel war, ihre Kinder sind nicht der Gefahr von
Armut ausgesetzt und die Gesellschaft profitiert als Ganzes davon. | | Durch
die zusätzliche Besteuerung von Kinderlosen und weitere Steuerentlastungen
für Familien werden die Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
zwischen Kinderlosen und Familien reduziert. (Ebd., S. 193-194). |
6.2.5) Einkommens- und Sicherheitsnutzen
Für die Teilgruppe
der Familienmanagerinnen wären alle in unserer Gesellschaft bestehenden ökonomischen
Faktoren zur Begrenzung der Familiengröße außer Kraft gesetzt.
Denn eine Familienmanagerin würde sich für eine Ausbildung und dann
entsprechend für diesen Beruf entscheiden, ähnlich wie das ein Arzt
in seinem Falle tut. Ihre biographischen Opportunitätskosten wären also
mit anderen Berufen vergleichbar. Hätte eine Familienmanagerin noch keinen
Partner gefunden, könnte sie ihre berufliche Karriere mit der Fremdbetreuung
von Kindern oder als Springerin für andere Familienmanagerinnen beginnen.
Daneben könnte man in der Praxis jungen Müttern Umstiegsmöglichkeiten
aus anderen beruflichen Tätigkeiten zum Beruf der Familienmanagerin anbieten.
Auch hierdurch ließen sich die biographischen Opportunitätskosten weiter
senken. Die biographischen Opportunitätskosten einer Familienmanagerin für
ein zusätzliches Kind dürften in aller Regel praktisch gleich Null sein.
Gleichfalls dürften die meisten anderen Opportunitätskosten sehr niedrig
anzusetzen sein. (Ebd., S. 194).
Da eine Familienmanagerin pro aufgezogenes Kind vergütet
würde, und diese Vergütung üblicherweise höher als
die direkten Kosten für die Kindererziehung wäre, erzielte sie
pro Kind zusätzliche Einnahmen. Ein Kind lieferte dann nicht nur
einen Konsumnutzen, sondern tatsächlich auch einen Einkommensnutzen.
Mit jedem zusätzlichen Kind besserten sich die wirtschaftliche Situation
und vermutlich auch das gesellschaftliche Ansehen einer Familienmanagerin.
Alle Mechanismen, die zur Zeit eine Beschränkung auf kleine Familiengrößen
bewirken, wären bei Familienmanagerinnen außer Kraft gesetzt:
Der Beruf der Familienmanagerin erlaubte eine »verantwortete Elternschaft«
(Franz-Xaver Kaufmann,
Zukunft Familie - Stabilität, Stabilitätsrisiken und Wandel
der familialen Lebensformen sowie ihre gesellschaftlichen und politischen
Bedingungen, 1990, S. 39) pro Kind. (Ebd., S. 194-195).
Es kann deshalb eine
Tendenz von Familienmanagerinnen zu großen Familienstärken prognostiziert
werden. (Ebd., S. 195).Mit jedem Kind erhöhte sich das
Einkommen einer Familienmanagerin, folglich auch ihr Rentenanspruch. Auch dieser
Umstand dürfte die Bereitschaft von Familienmanagerinnen für große
Familienstärken fördern. (Ebd., S. 195).
6.2.6) Scheidung, Adoption und Schwangerschaftsabbruch
ScheidungBetrachten
wir dazu einmal den folgenden fiktiven Fall: Sie sind Angestellte(r) in einem
deutschen Großunternehmen. Bei der letzten Gehaltserhöhung hat man
Sie übergangen, angeblich wegen der zur Zeit undurchsichtigen wirtschaftlichen
Lage. Ferner schaut Ihr Chef häufig etwas mißmutig drein. Das stört
Sie gewaltig. Sie entschließen sich zu kündigen. Anschließend
schicken Sie Ihrem Arbeitgeber per Rechtsanwalt ein Schreiben mit dem Inhalt zu,
daß es aufgrund der momentanen Arbeitsmarktlage in naher Zukunft nicht zu
erwarten sei, daß Sie einen vergleichbaren Job mit einer Ihrem gewohnten
Lebensstandard entsprechenden Bezahlung finden werden. Deshalb erwarten Sie eine
Fortführung der Gehaltszahlung von etwa 80% des bisherigen Gehalts. Grundlage
des Schreibens ist eine neuerliche Gesetzesänderung im Arbeitsrecht, die
das Verursacher- und Schuldprinzip bei Kündigungen aus der Rechtsprechung
getilgt hat und Arbeitnehmern nach Einstellung eine Lebensstandardgarantie zuerkennt.
Nun muß Ihr Arbeitgeber weiter für Sie aufkommen, auch wenn die Kündigung
von Ihnen ausging. Dabei müssen Sie auch keine weiteren Gründe angeben,
die Trennung allein genügt, und der Arbeitgeber muß sich nichts zu
Schulden haben kommen lassen. Da der Gesetzgeber kein weiteres Unrecht schaffen
und Berufstätige genau so absichern wollte wie berufslose Ehepartner, hat
man im Rahmen der Gesetzesänderung die Dauer der Gehaltsweiterführung
an die gesetzlichen Unterhaltsregelungen bei Ehescheidungen angepaßt. Waren
Sie also zum Beispiel 10 Jahre bei einem Unternehmen beschäftigt, dann haben
Sie einen gleich langen Anspruch auf Fortführung der Gehaltszahlung, wie
eine berufslose Ehefrau Anspruch auf Unterhalt nach 10-jähriger Ehezeit hätte.
Wie würde sich eine solche Regelung in Deutschland auf den Arbeitsmarkt auswirken?
Ganz einfach: Es würde kaum noch Angestellte geben. Die Unternehmen würden
statt dessen »lockere« Beziehungen zu jungen dynamischen und vor allem
externen Dienstleistern vorziehen. Genau diese Entwicklung hat aber bei Ehe und
Familie längst stattgefunden. Heute ziehen es viele junge Frauen und Männer
vor, zunächst einmal eine solide Berufsausbildung abzuschließen. Dies
hat zur Konsequenz, daß das Heiratsalter für ledige Personen deutlich
angestiegen ist. In 2004 war das durchschnittliche Heiratsalter lediger Männer
32,4 und lediger Frauen 29,4 Jahre. Ein deutlich höheres Alter und eine bessere
Ausbildung schützen aber indirekt vor manch unüberlegter Torheit. Wer
erst mit 30 Jahren heiratet, wird sich viel eher Gedanken über die Konsequenzen
seines Handeins machen als etwa eine 18-jährige Person. Und in diesem Alter
werden sehr viele Menschen schon Erfahrungen mit Scheidungen im Familien- und
Freundeskreis und den daraus geradezu fatalen und absurden Folgerungen gesammelt
haben. Wer ein klein wenig sachlich an das Thema Ehe herangeht und nicht völlig
durch Verliebtheit geblendet ist, wird unmittelbar zu dem Schluß kommen,
daß eine Ehe ein zu hohes und vor allem unkalkulierbares und durch einen
selbst nur wenig beeinflußbares Risiko darstellt. Gerade bezüglich
langfristiger Verpflichtungen - bei gleichzeitig fehlendem Nutzen - weicht die
Ehe so weit von anderen Vertragsarten (zum Beispiel Arbeits- und Mietrecht) ab,
daß viele junge Paare es heute vorziehen, nicht zu heiraten. (Ebd.,
S. 195-196).Das Zerrüttungsprinzip bei der Ehescheidung hat
zwar einige Vorteile gegenüber dem früheren Schuldprinzip, aber auch
gravierende Nachteile, wobei insbesondere die denkbaren unkaikulierbaren Risiken
zu nennen sind. Allein schon aus diesem Grunde ist für die meisten Männer
das patriarchalische Ernährermodell heute keine attraktive Option mehr. Das
Zerrüttungsprinzip dürfte darüber hinaus auf männlicher Seite
fertilitätssenkend sein. (Ebd., S. 196).Im Rahmen des
Familienmanager-Konzeptes könnten sich die folgenden Änderungen hin
zu einem deutlich sozialverträglicheren Scheidungsrecht ergeben: Bei einer
Ehescheidung mit Beteiligung einer Familienmanagerin verblieben die Kinder in
aller Regel bei ihr. Eine Unterhaltszahlung für sie und die Kinder entfiele
dagegen: Sie ist beruflich als Familienmanagerin tätig und verfügt über
ein ausreichendes Einkommen, die Familie zu ernähren. Er hätte - wie
vorher auch schon - eine Patenschaftssteuer für ein Kind abzuführen.
(Ebd., S. 197).Bei einer Ehescheidung ohne Beteiligung einer Familienmanagerin
und bis zu zwei gemeinsamen Kindern würde aus der Summe der Einnahmen beider
Elternteile die zu entrichtende Patenschaftssteuer (für zwei Kinder) ermittelt.
Diese würde dann als Unterhalt anteilsmäßig den Elternteilen zufließen,
so wie sie für das Aufziehen der Kinder aufkommen. Wohnten die Kinder zum
Beispiel ausschließlich bei der Mutter, dann erhielte sie den Unterhalt.
Jeder Ehepartner hätte im Rahmen der gesellschaftlichen Normveränderung
hin zur generellen weiblichen Berufstätigkeit für sich selbst zu sorgen,
oder alternativ die Leistungen des Wohlfahrtsstaates in Anspruch zu nehmen.
(Ebd., S. 197).Bei einer Ehescheidung ohne Beteiligung einer Familienmanagerin
und mehr als drei gemeinsamen Kindern wären Sondervereinbarungen zu treffen,
die sich am zur Zeit geltenden Recht orientieren könnten. (Ebd., S.
197).AdoptionEine
Familienmanagerin kann leibliche oder adoptierte Kinder aufziehen. In beiden Fällen
wird der gleiche Leistungsbetrag pro Kind gezahlt. Da Familienmanagerinnen ausgewiesene
Fachkräfte sind, könnte für sie der Adoptionsprozeß drastisch
vereinfacht werden. Allerdings sollten bevorzugt kleine Kinder bis zum Alter von
ein oder maximal 2 Jahren adoptiert werden, damit diese in den Genuß ihrer
vollen Zuwendung kommen. Für eine Adoption kommen insbesondere in Frage: | Waisenkinder | | Kinder,
die sonst einem Schwangerschaftsabbruch zum Opfer gefallen wären | | Kinder
aus der Dritten Welt, deren Eltern gestorben oder in Not geraten sind. | Der
letzte Punkt stellt eine aus humanitären Gesichtspunkten wesentlich günstigere
Variante zur klassischen Zuwanderungspolitik dar: Ein so wohlhabendes Land wie
Deutschland würde damit deutlich machen, daß es gewillt ist, das Aufziehen
von zukünftigen Arbeitskräften nach Möglichkeit selbst vorzunehmen,
anstatt diese zeitaufwendige Arbeit anderen Ländern aufzubürden. Außerdem
könnte ein späterer Integrationsaufwand völlig entfallen ....
(Ebd., S. 197-198).Allerdings sind Auslandsadoptionen zum gegenwärtigen
Zeitpunkt äußerst komplex. Oft ist die Herkunft des Kindes nicht gesichert,
so daß eine Adoptionsfreigabe aus kommerziellen Gründen nicht ausgeschlossen
werden kann. Schon jetzt gibt es viel mehr adoptionswillige Familien als zur Adoption
freigegebene Kinder. Eine Verbesserung der Situation kann deshalb nur durch Kooperationen
mit verläßlichen Regierungen und in Zusammenarbeit mit humanitären
Organisationen erzielt werden. (Ebd., S. 198).Eine weitere,
zur Zeit noch sehr theoretische Option, besteht in der Unterstützung (zukünftiger
Gebärtechniken, zum Beispiel das vollständige und nebenwirkungsfreie
Aufwachsen von Embryos außerhalb des Mutterleibs (als Retortenbabies). Wenn
solche Techniken einmal beherrscht und aus ethischen Gründen nicht abgelehnt
werden, bleibt trotzdem immer noch die eigentliche Leistung des Erziehens und
Bildens von Kindern. Auch für diesen - zur Zeit noch sehr futuristischen
- Fall bieten sich die Familienmanagerinnen als ideale Adoptiveltern an.
(Ebd., S. 198).Eine explizite Ermunterung von Familienmanagern,
einen Teil der Kinder zu adoptieren, kann einige Vorteile haben: | Sie
ermöglicht eine relativ schnelle Geburtenfolge. Die Einnahmen der Familien
verbessern sich relativ schnell, ohne daß die beteiligten Frauen unter Druck
geraten, durch frühzeitiges Abstillen für eine beschleunigte Geburtenfolge
sorgen zu müssen. | | Der
Beruf des Familienmanagers könnte auf eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung
stoßen, da die Bezahlung in der Regel nicht ausschließlich für
das Aufziehen leiblicher Kinder erfolgt. Die Familienmanager tun also wichtige
Dienste für andere. So etwas wird in unserer Gesellschaft besonders gern
akzeptiert. | | Der
Beruf bekäme neben der offenkundigen Relevanz für die Zukunft der Gesellschaft
etwas Humanitäres. Dafür sind Menschen eher bereit, auf einen Teil ihrer
Einkünfte zu verzichten. | | Die
Maßnahme würde von jeglichem »Lebensborn«-Verdacht befreit.
(Vgl. Peter Mersch, Land
ohne Kinder, 2006, S. 138ff.). (Ebd., S. 199-200). |
SchwangerschaftsabbruchZuletzt
wurden ca. 180 Schwangerschaftsabbrüche pro 1000 Lebendgeburten registriert.
(Vgl. Stefan Rehder / Veronika Blasel, Jedes vierte gezeugte Kind wird abgetrieben,
2006, S. 116). .... Einige Experten gehen allerdings von einer beträchtlichen
Dunkelziffer aus, so daß bereits auf drei Geburten eine Abtreibung kommen
könnte. (Vgl. Stefan Rehder / Veronika Blasel, ebd., 2006, S. 116).
Weltweit sollen rund 22 Prozent der 210 Millionen Schwangerschaften pro Jahr mit
einer Abtreibung enden (das heißt: 45 Millionen Abtreibungen pro Jahr).
(Ebd., S. 199).Daneben gibt es auch in Deutschland Indikatoren
für den beträchtlichen Einsatz von Schwangerschaftsabbrüchen als
Mittel der Familienplanung: | Über
97% der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche wurden nach der Beratungsregelung
vorgenommen. Medizinische und kriminologische Indikationen waren in weniger als
3% der Fälle die Begründung für den Abbruch. (Vgl. Statistisches
Bundesamt, 124000 Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2005, 2006) | | Mehr
als 45% der Frauen, die ihr Kind im Jahr 2003 zur Abtreibung freigegeben haben,
waren zum Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs verheiratet. (Vgl. Stefan Rehder
/ Veronika Blasel, Jedes vierte gezeugte Kind wird abgetrieben, 2006, S.
111). | | Rund
60% der Mütter, die in 2003 ein Kind abgetreiben ließen, hatten zuvor
ein oder mehrere Kinder. | Es könnte Sinn
machen, Mütter und Väter bei der Beratung im Vorfeld des Schwangerschaftsabbruchs
gezielt auf die Alternative eines Auftrages des Kindes zwecks späterer Freigabe
zur Adoption durch eine Familienmanagerin hinzuweisem. Eventuell könnten
Familienmanagerinnen sogar direkt in den Beratungsprozeß integriert werden.
(Ebd., S. 199-200).Diese Maßnahme hätte nicht nur erhebliche
ethische Vorzüge, sondern könnte zusätzlich dazu beitragen, die
Geburtenrate in Deutschland anzuheben. (Ebd., S. 200).
6.2.7) Betreunung von fremden Kindern
Familienmanagerinnen
wären in der Lage, besonders leistungsfähige Dienstleistungen für
berufstätige bzw. nichtberufstätige Mütter anzubieten. Dazu gehören: | Elternberatungen | | Schulungsmaßnahmen
für berufstätige Eltern | | Ganztags-Kindergruppen | | Ganztags-Kindergärten | | Ganztägige
Aufenthalte von Kindern (24-Stunden-Service) bei Erkrankung oder beruflicher Abwesenheit
der regulären Eltern | | Tagesmütter-Dienste | | Super-Nanny-Dienste | Auf
diese Weise könnten Familienmanagerinnen bereits einen nennenswerten Anteil
ihres potentiellen Einkommens realisieren, während sie selbst noch keine
oder nur wenige Kinder haben. Gleichzeitig würden sie damit einen entscheidenden
Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die
übrigen Familien leisten. (Ebd., S. 201).Denkbar ist
zum Beispiel die folgende Situation: Tochter Birgit der Familienmanagerin Susanne
Mustermann geht tagsüber in die Schule. Nach der Schule bringt Birgit noch
ihre beiden Schulkameradinnen Bettina und Britta mit, die solange betreut werden,
bis sie von ihren Eltern abgeholt werden. Da die Kinder zunächst gemeinsam
(und zum Teil mit Unterstützung der Familienmangerin) ihre Hausaufgaben machen
und danach spielen oder etwas anderes zusammen tun, dürfte es kaum stören,
wenn sich die Eltern aus beruflichen Gründen auch schon mal etwas verspäten.
(Ebd., S. 201).
6.2.8) Familienmanagerin und natürliche Selektion
Die
natürliche Selektion begünstigt Eigenschaften und Strategien, die dür
das Leben und Überleben von Vorteil sind. Seit der Gleichberechtigung der
Geschlechter steht der Erfolg im Leben aber dem genetischen Überleben im
Wege. Die weibliche Emanziptaion hat also ... massive Fehlsteuerungen im gesellschaftlichen
Selektionsmechanismus hinterlassen, die auf lange Sicht das Ende unserer Kultur
bewirken könnten. (Ebd., S. 201-202).Führte man
den Beruf der Familienmanagerin ein, dann dürften qualifizierte Frauen um
freie Familienmanagerinnen-SteIlen konkurrieren, familienorientierte Männer
wiederum um Familienmanagerinnen, denn letztere erlaubten das relativ risikofreie
Gründen einer größeren Familie. Es ist zu erwarten, daß
Familienmanagerinnen eher gebildete und potentiell erfolgreiche Männer als
Partner selektieren werden, da sie einerseits selbst gebildet sind (siehe: Bildungshomogarnie),
und andererseits hierdurch oftmals ihre eigene wirtschaftliche Situation signifikant
verbessem könnten. (Ebd., S. 202).Auf diese Weise würde
sich das Reproduktionsverhalten der Gesellschaft wieder an das Muster der natürlichen
Selektion angleichen, und die Gesellschaft erhielte die Fähigkeit zurück,
sich kulturell gemäß ihren eigenen Erfolgskriterien weiterzuentwickeln.
Die von den Familienmanagerinnen vermittelte wertgebende Erziehung dürfte
die Gesellschaft nachhaltig verändern. (Ebd., S. 202).
6.2.9) Bewertung der Familienmanager-Maßnahme
Wird
das Familienmanager-Konzept dem Benchmark-Test des vorherigen Kapitels unterzogen,
dann kann die Maßnahme insgesamt wie folgt bewertet werden:1. | Wirkt
die Maßnahme generell geburtensteigemd? Antwort: Ja | 2. | Fördert
sie die Entstehung von Mehrkindfamilien mit drei oder mehr Kindern? Antwort: Ja | 3. | Erhöht
sie vor allem die Geburtenrate in Schichten mit hohem sozioökonomischern
Status beziehungsweise hohem Bildungsniveau? Antwort: Ja | 4. | Erhöht
sie vor allem die Geburtenrate in sozial schwachen und bildungsfernen Schichten?
Antwort: Nein | 5. | Ist
die Größenordnung der Änderung im Fertilitätsverhalten sicher
vorhersagbar? Antwort: Ja | 6. | Hat
die Maßnahme für Frauen emanzipatorische Elemente? Antwort: Ja | Fazit:
Die Maßnahme erreicht fünf von maximal fünf Punkten und kann deshalb
als optimal zur Lösung der Bevölkerungsprobleme der entwickelten Länder
eingestuft werden. (Ebd., S. 202-203).
6.2.10) »La donna è mobile«
Es gibt Anzeichen
dafür, daß die starke institutionelle Bindung von Ehe und Familie durch
die im Rahmen der weiblichen Emanzipation erfolgten Aufhebung der klassischen
Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtem mehr und mehr ihre Sinnhaftigkeit verliert: | Von
1992 bis 2004 stieg die Zahl der jährlichen Ehescheidungen von ca. 140000
auf 213691. Dies entspricht einem Anstieg um mehr als 50 Prozent in 12 Jahren. | | In
2004 standen 395992 Eheschließungen 213691 Ehescheidungen gegenüber,
was einem Anteil von 54 Prozent entspricht. In zahlreichen Großstädten
wie Berlin beträgt der Anteil der Zahl der Ehescheidungen an der Zahl der
Ehesthließungen bereits mehr als 65 Prozent. | | Von
1955 bis 1965 kamen auf 1000 Einwohner stets ungefähr 9 Eheschließungen,
aber nur 1,0 Ehescheidungen. In 2004 wurden auf 1000 Einwohner 4,8 Ehen geschlossen
und 2,6 Ehen geschieden | | Von
1955 bis 1965 kamen auf 1000 Einwohner stets ungefähr 17 Geburten. In 2004
wurden pro 1000 Einwohner 8,6 Kinder geboren. | | 1961
bestanden 14,3 Prozent aller Haushalte aus fünf und mehr Personen, während
es in 2004 nur noch 4,1 Prozent waren. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der
Einpersonenhaushalte von 20,6 Prozent auf 37,2 Prozent. | | In
den letzten Jahren wurden 75 Prozent aller Ehescheidungen von der Ehefrau eingereicht
(Vgl. Peter Wippermann, Weniger Kinder - andere Welt: das Vordringen der »Ich-AG«
[**], in: Christian
Leipert
[Hrsg.], Demographie und Wohlstand, 2003, S. 192 [**]). | Es
ist also ein Rückgang der Heiratsneigung und eine Zunahme von Scheidungen
und nichtehelichen Lebensgemeinschaften feststellbar: »Um 1970 waren in
der Bundesrepublik rund 90% aller Männer und 85% aller Frauen zwischen 35
und 45 Jahren verheiratet, und die Zahl der lebenslang unverheiratet Bleibenden
lag unter 10% für beide Geschlechter. Zu heiraten gehörte damals zum
selbstverständlichen Lebensentwurf jedes gesunden erwachsenen Menschen. Die
Heiratswahrscheinlichkeit ging nach 1970 rasant zurück und erreichte um 1997
lediglich noch Werte um 70%für die 49-Jährigen beiderlei Geschlechts.
Eine starke Zunahme war auch bei den Scheidungen zu beobachten: Die Wahrscheinlichkeit,
daß eine Ehe wieder geschieden wird, hat sich zwischen 1970 (15,9%) und
1985 (30,2%) nahezu verdoppelt und ist bis 2000 weiter auf 38,5% gestiegen. Gleichzeitig
sank der Anteil wieder heiratender Geschiedener von 80% (Männer) beziehungsweise
75% (Frauen) auf ca. 67% in 1989, seither ist ein moderater weiterer Rückgang
zu verzeichnen. Parallel dazu nahmen nichteheliche Lebensgemeinschaften erheblich
zu: von ca. 137.000 (1972) auf 963000 (1990) und 1727000 (2002, nur alte Bundesländer).«
Franz-Xaver Kaufmann,
Schrumpfende Gesellschaft, 2005, S. 124ff. [**]).
(Ebd., S. 203-204).Im Kapitel »Evolution«
ab Seite 23 wurde erläutert, daß Frauen in ursprünglichen Jäger-
und Sammlerkulturen auf den männlichen Schutz und Jagderfolg angewiesen waren,
und zwar als unmittelbare Folge der besonderen Schutzbedürftigkeit des menschlichen
Säuglings. Dies hatte unter anderem die Entwicklung der menschlichen Kernfamilie
zur Folge, deren Bestand sowohl durch biologische Veränderungen als auch
kulturelle Verbindlichkeiten gefestigt wurde: »Für die Evolution einer
großköpfigen Spezies ist es unumgänglich, daß die Geschlechter
sich die Arbeit teilen: Den Männern kommt die Jagd zu, den Frauen das Aufziehen
der Kinder und das Sammeln von Pflanzen zur Egänzung der Nahrung. Die Logik
der Evolution hat die Männer muskulöser ausgestattet als die Frauen
... Man versteht nun auch die Besonderheit der Fortpflanzung und der Sexualität
im Menschengeschlecht besser: Einerseits ist die Geburt für die Frauen ganz
besonders schmerzhaft und gefährlich, verglichen mit dem, was sich bei den
anderen Säugetieren abspielt. Diese Anomalie ist allein durch den evolutorischen
Vorteil zu erklären, Kinder mit großen Schädeln in die Welt zu
setzen, die die Fähigkeit besitzen, Techniken zu entwickeln, die die Überlebenschancen
verbessern. Andererseits ist das Sexualleben des Menschen anhaltend, wogegen die
Paarung der Tiere streng auf eine zur Fortpflanzung günstige Jahreszeit begrenzt
ist. Diese Besonderheit ermöglicht eine festere Bindung zwischen Mann und
Frau und verhindert, daß letztere mit ihren Kindern verlassen wird, wenn
diese noch unfähig sind, selbständig zu überleben. Kurz, es gibt
keine noch so primitive Gruppe von Menschen, in der die familiären Beziehungen
nicht durch bestimmte Riten und Vorschriften geregelt wären, ergänzt
durch Tabus und Sanktionen. Sobald eine Frau niedergekommen ist, ist es verbindlich,
daß sie ernährt wird, ebenso wie ihre Kinder. Die männlichen Jäger
haben kein Recht, ihren Sexualtrieb rücksichtslos auszuleben.« (Jacques
Neirynck, Der göttliche Ingenieur - Die Evolution der Technik, 6.
Auflage, 2006, S. 88ff.). (Ebd., S. 204-205).Die Frage ist
nun: Bestehen auch umgekehrt analoge Verpflichtungen bei Frauen gegenüber
ihren Männern? Und da ist leider zu befürchten, daß es solche
nicht wirklich gibt, sondern daß ein großer Teil der Bindungen von
Frauen an Männer das Resultat von Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit
ist. Verlieren sich diese, verliert sich wohl auch die Verlässlichkeit von
Frauen gegenüber ihren Männern (»La donna e mobile«) und
die Beziehungen stehen unmittelbar auf dem Spiel. Dies zeigen beispielsweise schon
der im Rahmen der weiblichen Emanzipation drastisch angestiegene Anteil der von
Frauen beantragten Ehescheidungen und die gleichzeitig deutlich gestiegene Zahl
an Ehescheidungen insgesamt: »Die Scheidungsrate ist nämlich ein Maß
für die ökonomische Unabhängigkeit der Frauen. Und wo Frauen mehr
verdienen als ihre Männer, wächst die Scheidungsrate. Frauen, die mehr
als ihr Ehemann verdienen, reichen doppelt so häufig die Scheidung ein wie
Frauen, deren Ehemänner mehr als sie verdienen.« (Norbert Bolz,
Die Helden der Familie, 2006, S. 37 [**]).
(Ebd., S. 205).Andererseits berichten aber auch Untersuchungen,
daß gebildete und ökonomisch selbständige Frauen offenkundig nur
noch einen begrenzten Bindungswillen an Männer besitzen: »Eiduson fand
in ihrer empirischen Studie über ledige Mütter in den USA diese Frauen,
die sie Nest-Builders nannte. Sie hatten ihre Schwangerschaft
bewußt geplant und den Vater des Kindes gezielt ausgesucht. Sie lebten allein
und unterschieden sich von den übrigen Frauen der Stichprobe durch ihre höhere
Bildung und stärkeres Karrierestreben. Sie zeigten in ökonomischer,
sozialer und psychischer Hinsicht die höchste Zufriedenheit mit ihrer Situation.
Fallbeispiele in der Erhebung von Burkart und Kohli aus dem alternativen und akademischen
Berliner Milieu weisen in eine ähnliche Richtung. Sie schreiben: Im
Extremfall kann das sogar heißen: Es ist der Frau ziemlich egal, mit wem
sie ein Kind bekommt. wichtiger ist, daß sie es zum biographisch richtigen
Zeitpunkt bekommt. Ist sie dabei gleichzeitig mit dem Mann fürs Leben zusammen:
umso besser. Aber sie wartet nicht auf ihn.« (Rosemarie Nave-Herz,
Familie heute - Wandel der Familienstrukturen und Folgen für die Erziehung,
2. Auflage, 2002, S. 102f.). Genau diese Problematik - sofern sie denn eine ist
- läßt sich auch auf Familienmanagerinnen übertragen: Eine Familienmanagerin
könnte Bindungen eingehen und Kinder in die Welt setzen, ohne dadurch in
eine ökonomische Abhängigkeit zu geraten. Diese ökonomische Unabhängigkeit
stellt einen entscheidenden Systemwechsel dar und könnte auf lange Sicht
auch eine veränderte Partnerwahl bewirken, so wie das bereits bei anderen
ökonomisch selbständigen Frauen zu beobachten ist. Es ist denkbar, daß
es in erster Linie diese nicht auszuschließende Entwicklung ist, die für
Unbehagen gegenüber einem Familienmanager-Konzept sorgen könnte, und
die bislang eine angemessene Vergütung von qualifizierter weiblicher Erziehungsarbeit
mit eigenen Kindern verhindert hat. (Ebd., S. 205-206).Werden
gesellschaftlich ganz bestimmte Familienmanager-Konstellationen (zum Beispiel
die Kernfamilie) präferiert, müßten sie vermutlich durch zusätzliche
steuerliche Maßnahmen oder Auswahlkriterien gezielt gefördert werden.
(Ebd., S. 206).Die ökonomische Unabhängigkeit der Familienmanagerinnen
könnte aber auch die Bildung ganz neuer Familienstrukturen bewirken. So ist
vorstellbar bis wahrscheinlich, daß sich einige Familienmanagerinnen in
lockerer oder enger Weise zu größeren Familienformationen zusammenschließen,
zum Beispiel um berufliche Synergien zu nutzen. (Ebd., S. 206).Wie
auch immer: Die Partnerwahlkriterien und die Partnerbilldung ökonomisch selbständiger
Familienfrauen können zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer vorhergesagt werden.
Allerdings handelt es sich hierbei um ein generelles Phänomen, welches mit
der ökonomischen Selbständigkeit von Frauen grundsätzlich einherzugehen
scheint, was sich also keineswegs auf Familienfrauen beschränkt. (Ebd.,
S. 206).
7) Bevölkerungsplanung
Vor
2000 Jahren - um Christi Geburt - lebten auf der Erde ganze 160 Millionen Menschen.
Die erste Milliarde wurde um 1800 überschritten, 1927 dann schon die zweite.
Die jeweils nächste Milliarde wurde in immer kürzeren Zeitabständen
erreicht: drei Milliarden 1960, vier Milliarden 1974, fünf Milliarden 1987
und sechs Milliarden 1999. Zu Beginn des Jahres 2007 lebten auf der Erde etwa
6,7 Milliarden Menschen. (**).
(Ebd., S. 207).Ich gehe einfachheitshalber einmal davon aus, dass
Bevölkerungszahlen bei einer Fertilitätsrate von 2,1 (das heißt
durchschnittlich 2, 1 Kinder pro Frau) stabil bleiben. Zur Zeit ist das ungefähr
so, für die Vergangenheit traf das nicht zu, denn da war die Sterblichkeit
von Kindern noch viel höher als heute, so daß höhere Fertilitätsraten
für das Erhalten einer stabilen Bevölkerungsgröße nötig
waren. Aber ich möchte die folgenden Überlegungen bewußt einfach
halten, und deshalb sei angenommen, Bestandserhaltung werde grundsätzlich
bei einer Fertilitätsrate von 2,1 erzielt. Nimmt man eine Generationendauer
von 30 Jahren an, dann folgt aus den getroffenen Annahmen, daß sich die
Weltbevölkerung seit 2000 Jahren durchschnittlich mit einer Fertilitätsrate
von 2,22 vermehrt hat, also etwas mehr als bestandserhaltend. Möglicherweise
sind Sie jetzt überrascht, denn 2,22 ist ja gar nicht so viel mehr als 2,
1, und trotzdem ist der Effekt gewaltig. Nun, wenn es so weitergehen würde
wie bisher, dann würden im Jahr 4000, also nach nochmals 2000 Jahren, auf
der Erde 264 Milliarden Menschen leben. Und da hört der Spaß dann nun
wirklich auf. Oder darf es vielleicht ein bißchen mehr sein, zum Beispiel
eine Fertilitätsrate von 2,3? Dann würden im Jahr 4000 fast drei Billionen
Menschen auf der Erde leben. Oder sich auch übereinander stapeln. Allerdings
gibt es auf der Erde ja auch das umgekehrte Phänomen: die Bevölkerungsschrumpfung.
Zur Zeit sind in erster Linie die entwickelten Staaten davon betroffen, aber auch
zahlreiche Schwellenländer hat sie bereits erfasst, und viele Bevölkerungsexperten
sind der Ansicht, daß die globale Bevölkerungsexplosion nach 2050 bei
vielleicht 9 oder 10 Milliarden Menschen zum Stillstand kommen wird und danach
die Erdbevölkerung sogar insgesamt schrumpfen könnte. Doch mit welcher
Rate? Zur Zeit haben fast alle entwickelten Länder deutlich zu niedrige Fertilitätsraten,
insbesondere in Europa (und Nordamerika sowie Nord- und
Ostasien; HB). .... Wenn sich die Erdbevölkerung die nächsten
2000 Jahre mit einer Fertilitätsrate von 1,66 fortpflanzen würde, dann
würde sie bei einer Generationendauer von 30 Jahren bis zum Jahr 4000 auf
ca. 1000 Menschen schrumpfen. Noch einmal in Worten und zum Mitschreiben: Eintausend!
Vielleicht glauben Sie aber eher, die Weltbevölkerung könnte sich ...
nur mit einer Fertilitätsrate von ca. 1,4 fortpflanzen. Noch besser, denn
dann verbleiben im Jahr 4000 noch genau null Menschen übrig. Ausgestorben
nennt man das. Man kann es deshalb auch so sagen: Eine Fertilitätsrate von
2,22 wie die letzten 2000 Jahre führt zu Überbevölkerung, Artensterben,
Umweltschäden, Klimaveränderung, Krieg, Terrorismus, Armut, Hunger,
eine von 1,66 ... zum Aussterben. (Ebd., S. 207-208).Nun
werden Sie vielleicht einwenden, 2000 Jahre sei eine verdammt lange Zeit. Wer
kann schon 2000 Jahre in die Zukunft sehen? Politiker sind doch meist schon bei
4 Jahren überfordert. Das ist richtig. Nur sollten die Beispielrechnungen
vor allem auf zwei Dinge aufmerksam machen: | Die
... Fertilitätsrate ... von 1,66 ist ... nicht ausreichend. | | Unterschiedliche
Bevölkerungen vermehren sich auf unterschiedliche Weisen, eben gerade so,
wie es den Menschen in den Kram paßt. Beispielsweise könnte die Bevölkerung
in einem Land schrumpfen und im Nachbarland wachsen. Allein hierin besteht ein
ungeheures Konfliktpotential, was in der Vergangenheit schon zu zahlreichen kriegerischen
Auseinandersetzungen geführt hat. | Auch dieser
Letzter Punkt soll anhand einiger Zahlen beleuchtet werden, und diesmal bedarf
es keiner 2000 Jahre, sondern lediglich bescheidenen 100. Im Jemen leben zur Zeit
ca. 21,5 Millionen Menschen auf kargen 500000 Quadratkilometern Erde. Deutschland
hat dagegen heute etwa 3600000 Quadratkilometer und 83 Millionen Einwohner. ....
Setzen sich die Fertilitätsraten der beiden Länder - etwa 1,4 für
Deutschland und 6,6 für den Jemen - noch 100 Jhre lang unverändert in
die Zukunft fort, dann leben um das Jahr 2100 in Deutschland ca. 25 Millionen
Menschen und im Jemen ca. 640 Millionen Menschen. Oder nehmenn wir die »Demokratische
Republik« Kongo. Zur Zeit leben dort ca. 61 Millionen Menschen auf 2,345
Millionen Quadratkilometern Erde. .... Das Land hat eine Fertililitätsrate
von 6,45, welche - bei unveränderter Entwicklung - dessen Bevölkerung
in 100 Jahren auf 1,69 Milliarden Menschen katapultieren könnte. Dies sind
kaum vorstellbare Zahlen. Deshalb ist eine langfristige unveränderte Fortsetzung
der aktuelle, allerdings schon ein wenig andauernden Fertilitätsraten von
Ländern wie Jemen oder »DR« Kongo nicht möglich. Doch woran
wird es scheiter, was wird die Entwicklung letztendlich stoppen? Ich will es ihnen
sagen: Hungersnöte, Seuchen, Krieg, Terror, Flucht. Und je nachdem wie viele
Menschen flüchten, wird es dann auch in den Nachbarländern heißen:
Hungersnöte, Seuchen, Krieg, Terror, Flucht. (Ebd., S. 208-209).Die
Menschheit wird auf Dauer nur überleben und in Frieden miteinander auskommen
können, wenn ihr die Beherrschung der Bevölkerungsentwicklung gelingt.
Ist das zu viel verlangt? Nun, wir waren auf dem Mond, wir haben Atomkraftwerke,
und der genetische Code ist auch entschlüsselt. Familienplanung und Abtreibung
sind längst selbstverständlich geworden. Irgendwann wird man in der
Lage sein, Menschen zu klonen und das Wetter zu beeinflussen. Und unter diesen
Bedingungen soll es nicht möglich sein, über Maßnahmen zur zielgenauen
Bestimmung zukünftiger Bevölkerungsgrößen nachzudenken, zumal
man mit kaum etwas anderem die Welt nachhaltiger befrieden könnte?
(Ebd., S. 210).Daeurhaft überbestandserhaltende Fertilitätsraten
führen zu exponentiellem Bevölkerungswachstum, nichtbestnadserhaltende
Werte zu exponentieller Bevölkerungsschrumpfung, in beiden Fällen also
langfristig zur Katastrophe. Entwicklungsländer haben ohne die allgemeine
Verfügbarkeit von leistungsfähigen Kontrazeptiva und ohne eine relative
Gleichstellung der Frauen meist deutlich überbestandserhaltende Fertilitätsraten,
entwickelte Länder dagegen deutlich nichtbestandserhaltende. (Ebd.,
S. 210).Doch wie hält man eine Bevölkerung im demographischen
Gleichgewicht? (Ebd., S. 210).Eckard Knaul behauptet, Bevölkerungen
wachsen so lange, bis eine bestimmte Populationsdichte überschritten ist,
danach komme es zu Umkehreffekten. (Vgl. Eckart Knaul, Das biologische Massenwirkungsgesetz
- Ursache von Aufstieg und Untergang von Kulturen, 1985). Mit anderen Worten:
Bevölkerungen wachsen und schrumpfen zyklisch aus biologischen Gründen.
Wobei anzumerken wäre: Dies dürfte jedes Mal mit Hungersnöten,
Seuchen, Krieg, Terror, Flucht und sonstigem erheblichem Leid vonstatten gehen,
ich erwähnte es bereits. (Ebd., S. 211).Meinhard Miegel
und Stefanie Wahl meinen dazu: »Nach wie vor erneuert sich die Bevölkerung
in der Zahl ihrer Kinder zu nur zwei Dritteln, und sie ist auch nicht bereit,
hieran etwas zu ändern. Sie steht ganz im Banne der Ideologie des Individualismus,
für die die Selbstverwirklichung des Einzelnen das höchste Gut ist.«
Vgl. Meinhard Miegel
/ Stefanie Wahl., Das Ende des Individualismus - Die Kultur des Westens zerstört
sich selbst, 1993 [**]).
(Ebd., S. 211).In Zukunft wird die Beherrschung des Bevölkerungswachstums
... schon aus sozialen und ökologischen Gründen zu den unerläßlichen
Kompetenzen der Menschheit zählen müssen. Die zu niedrigen Geburtenraten
der entwickelten Länder sind dafür von Vorteil, denn das im vorliegenden
Buch beschriebene Familienmanager-Konzept erlaubt die zielgenaue Erhöhung
von Geburtenzahlen, das heißt letztendlich eine präzise und gegebenenfalls
global abstimmbare Bevölkerungsplanung, und zwar ohne dabei in Persönlichkeitsrechte
einzugreifen. Es ist dazu lediglich erforderlich, die Differenz zwischen tatsächlicher
und optimaler Geburtenrate durch die staatliche Finanzierung einer entsprechenden
Zahl an Familienmanagerinnen auszugleichen. Allerdings sollte die Maßnahme
mit einer veränderten Einstellung zum Fortpflanzungsverhalten einhergehen,
etwa so, wie es im Abschnitt »Nachwuchsarbeit
als Kollektivaufgabe« ab Seite 181 beschrieben wurde. (Ebd., S.
211-212).Viele Experten sind der Ansicht, daß sich ab ca.
2050 global fast überall niedrige Fertilitätsraten durchsetzen könnten.
Durch zivilisatorische Errungenschaften (insbesondere der Medizin und Hygiene)
können es sich die Menschen in den entwickelten Ländern »leisten«,
weniger Kinder in die Welt zu setzen, da die Sterblichkeit gering ist. Einige
der wichtigsten medizinischen und hygienischen Erkenntnisse beziehungsweise Verfahren
und viele Leistungen der Lebensmittelindustrie wurden aber auch in die Dritte
Welt exportiert, so daß dort Kinder nun eine deutlich höhere Überlebenschance
besitzen. Die Bevölkerungen scheinen aber ihr Reproduktionsverhalten nur
sehr langsam an die veränderten Verhältnisse anzupassen, zumal wirksame
Empfängnisverhütungsmittel häufig gar nicht zur Verfügung
stehen oder aus religiösen Gründen nicht angewendet werden. Es wird
aber erwartet, daß eine solche Anpassung, die in zahlreichen Ländern
bereits zu beobachten ist und den Namen demographischer Übergang (**|**)
trägt, global noch stattfinden wird. Allerdings dürfte sie kaum schmerzfrei
vonstatten gehen. Beschleunigende Effekte können offenbar durch Bildungsmaßnahmen
- insbesondere auf Seiten der Frauen - erzielt werden. Generell läßt
sich feststellen: Je höher die gesellschaftlichen Bildungsanforderungen sind,
desto mehr steigen die elterlichen Investitionen in Kinder und desto kürzer
wird gleichzeitig der speziell den Frauen für die Reproduktion zur Verfügung
stehende Zeitraum, was wiederum ein Sinken der Fertilitätsrate zur Folge
hat. Auch verlängert sich hierdurch der Generationenabstand. (Ebd.,
S. 212).Hat also der demographische Wandel erst einmal alle Länder
dieser Erde erfaßt, so daß sich auf natürliche Weise global zu
niedrige Fertilitätsraten einstellen, dann könnte man mit Verfahren
wie dem Familienmanager-Konzept Bevölkerungsgrößen global abgestimmt
planen. Das wäre dann die wirkliche Chance des demographischen Wandels.
(Ebd., S. 212). |