Der Sumpf (S. 187-213):
Ein Nachwuchs ist soviel wert wie die
höchste erreichbare Macht: das ist das Geheimnis Napoleons von dem
Marschallstab im Tornister jedes Soldaten. Da die Laufbahn des Abgeordneten
- und des politischen Zeitungsleiters - eine Sackgasse geworden war, so
sammelten sich in ihr die kleinen Streber, Nörgler, Kannegießer
und Rechthaber, alles was ohne eigne Begabung in der Nähe von deutschem
Bier wächst. Persönlichkeiten gingen nicht hinein; sie verschwanden
in die Industrie und ins Ausland. Die Politik verkümmerte aus Mangel
an Begabungen, denn als Gegenwirkung erreichte diese Parteitätigkeit,
daß die Regierung alles Diplomatische mit Betonung als interne Verwaltungsaufgabe
und deshalb mehr schematisch als taktisch behandelte. Sie arbeitete allein,
und man betrachtete diese Arbeit zuletzt fast als die Privatsache ihrer
Vertreter. Und infolge davon gab es, da Schule, Parteien und Presse gleichmäßig
versagten, in dieser Zeit der herannahenden Entladung überhaupt keine
politische Aufklärung mehr. (Oswald Spengler, Neubau des
Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 191 ).
Was man heute Nationalismus nennt, ist nichts
als das Bewußtsein der führenden Schichten aller Völker
für die ungeheuren Gefahren der Weltlage, seit der Krieg alle Verhältnisse
aufgelockert hat. .... Die verantwortlichen Kreise aller Völker sind
auf dem Posten - nur die Narren, Feiglinge und Verbrecher, die bei uns
an deren Stelle stehen, glauben oder geben vor zu glauben, daß der
Verzicht auf Weltpolitik vor ihren Folgen schütze. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 191 ).
Diese Parteien hielten auch nach 1914 an der liberalen Alleinschätzung
der Wirtschaftspolitik und der sozialistischen des Klassenkampfes fest,
und da die Regierung Bethmann-Hollweg, schwach und verständnislos
wie sie war und darin ganz der französischen von 1789 gleichend,
den Parteiklüngel in seiner schon damals sehr fragwürdigen Zusammensetzung
reizte statt ihn zu lenken, was einem Minister englischer Schulung leicht
geworden wäre, und ihm gleich darauf durch Schmeicheleien seine Unentbehrlichkeit
bewies, so wurden die Fraktionen durch den Begeisterungssturm von 1914
zwar zum Schweigen gebracht, aber nicht überzeugt. Die einen wollten
diesen mächtigen Staat schwach sehen, die andern wollten ihn gar
nicht. »Deutschland soll, das ist unser fester Wille, seine Kriegsflagge
für immer streichen, ohne sie das letzte Mal siegreich heimgebracht
zu haben«, das war das geheime Ziel der grundsätzlichen Opposition,
und als die politisch unerzogene und über die Gefahr getäuschte
Masse die Dauer des Krieges mit Angst und Verstimmung zu empfinden begann,
gingen sie ans Werk. Der Sturz des Staates in der nebensächlichen
Person Bethmanns war der erste, der Stoß in den Rücken der
Armee der zweite Schritt. (Oswald Spengler, Neubau des
Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 192 ).
Und hier offenbarte sich nun, was für ein Material die Regierung
in den Parteien herangezüchtet hatte. Während man den Feinden
die ganze Schwäche der Lage offenbarte, durch das beklommene oder
ideologische Friedensgeschwätz in Parlament und Presse und die Erhebung
des Ministerstürzens zum täglichen Sport, und während man
aus dem Staatsbau einen Block nach dem andern herausbrach und das letzte
Unglück wie eine düstere Wolke sich immer schwerer über
Deutschland senkte, beginnt das Vollstopfen der hohen Ämter und der
oft genug zu diesem Zweck gegründeten Kriegsgesellschaften mit Parteifreunden
und Vertrauenspersonen, die man vom Frontdienst befreit oder mit einträglichen
Lieferungen versieht; die Außenpolitik wird eine nicht weniger einträgliche
Unternehmung von Privatpersonen auf eigene Faust, wie die Vorgeschichte
der östlichen Friedensschlüsse eines Tages lehren wird, und
je weiter die Macht des Parteiklüngels wuchs, seit er jede Regierung
kommandieren und jeden Posten vergeben konnte, desto mehr schwoll der
Anhang zweifelhaftester Elemente, die politischen Einfluß oder auch
gleich das Geschäft selbst haben wollten. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 192-193 ).
Darüber brach das Volk seelisch zusammen, der Staat löste
sich von oben herab auf, das Heer verlor den sittlichen Halt, was am 8.
August 1918 bei Cambrai zum ersten Mal erschreckend zutage trat, und es
erfolgte der in der Geschichte bis dahin unerhörte Schritt von ehrfurchtgebietender
Größe in allem, was Geist, Leistung, Höhe des Wollens
und Fühlens betraf, zum Gemeinen und Gemeinsten und über
den Trümmern der deutschen Weltmacht, über zwei Millionen Leichen
umsonst gefallener Helden, über dem in Elend und Seelenqual vergehenden
Volke wird nun in Weimar mit lächelndem Behagen die Diktatur des
Parteiklüngels aufgerichtet, derselben Gemeinschaft beschränktester
und schmutzigster Interessen, welche seit 1917 unsere Stellung untergraben
und jede Art von Verrat begangen hatte, vom Sturz fähiger Leute ihrer
Leistungen wegen bis zu eignen Leistungen im Einverständnis mit Northcliffe,
mit Trotzki, selbst mit Clémenceau. Es war die letzte Wiederholung
des Reichstagsbeschlusses vom 23. März 1895, dem Gründer
des Reiches den Glückwunsch zu versagen. Diese Genossenschaft,
die 1919 nicht gewählt wurde, sondern sich wählen ließ,
war in nichts verschieden von den Bolschewisten in Moskau, wenn nicht
in der Erbärmlichkeit des Wollens und Handelns: ebensowenig zahlreich,
ebenso entschlossen obenauf zu bleiben, ebensowenig geneigt irgend etwas
wieder aus den Händen zu lassen; aber dort, um ein trotz allem groß
gedachtes Weltziel zu erreichen und mit furchtbarer Energie durch Ströme
von Blut ihm entgegen zu waten; hier, um die Erbschaft in Sicherheit zu
bringen und dafür dem Feinde jede Erlaubnis um jeden Preis abzukaufen.
Nachdem sich die Helden der Koalition vor dem Einsturz in alle Winkel
geflüchtet hatten, kamen sie mit plötzlichem Eifer wieder hervor,
als sie die Spartakisten allein über der Beute sahen. Aus der
Angst um den Beuteanteil entstand auf dem großherzoglichen Samtsesseln
und in den Kneipen von Weimar die deutsche Republik,
keine Staatsform, sondern eine Firma. In ihren Satzungen ist nicht
vom Volk die Rede, sondern von Parteien; nicht von Macht, von Ehre und
Größe, sondern von Parteien. Wir haben kein Vaterland mehr,
sondern Parteien; keine Rechte, sondern Parteien; kein Ziel, keine Zukunft
mehr, sondern Interessen von Parteien. Und diese Parteien noch
einmal: keine Volksteile, sondern Erwerbsgesellschaften mit einem bezahlten
Beamtenapparat, die sich zu amerikanischen Parteien verhielten wie ein
Trödelgeschäft zu einem Warenhaus entschlossen sich dem
Feinde alles was er wünschte auszuliefern, jede Forderung zu unterschreiben,
den Mut zu immer weitergehenden Ansprüchen in ihm aufzuwecken, nur
um im Innern ihren eigenen Zielen nachgehen zu können. Sie waren
entschlossen, jeden Grundsatz, jede Idee, jeden Paragraphen der eben beschworenen
Verfassung für ein Linsengericht von Ministersitzen preiszugeben.
Sie hatten diese Verfassung für sich und ihre Gefolgschaft gemacht,
nicht für die Nation, und sie begannen vom Waffenstillstand bis zur
Ruhrkapitulation eine schmachvolle Wirtschaft mit allem, woraus Vorteil
zu ziehen war, mit den Trümmern des Staates, mit den Resten unseres
Wohlstandes, mit unserer Ehre, unserer Seele, unserer Willenskraft. In
Weimar betranken sich die bekanntesten Helden dieses Possenspiels an dem
Tage, wo in Versailles unterzeichnet wurde, und es geschah nicht viel
später, daß mit großen Ämtern ausgestattete Führer
des Proletariats sich in einer Berliner Schiebervilla mit Nackttänzerinnen
betranken, während Arbeiterdeputationen vor der Tür warteten.
Das ist kein Zwischenfall, sondern ein Symbol. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 193-194 ).
Es ist vollkommen richtig, daß die alt und satt gewordene
Demokratie auf der ganzen Welt diese Bahnen geht. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 195-196 ).
Die nichtproduktive Wirtschaft, von der eigentlichen Hochfinanz
bis zu den Konzernen mit Halb- und Scheinindustrie, bei denen das Handelsgeschäft,
unter Umständen die bloße Valutaspekulation, durch Beteiligung
an der Produktion nur verdeckt wurde, begriff dagegen sehr bald die Vorteile
der neuen Lage. Seit die Politik ein Geschäft geworden war, bekamen
die Geschäfte politische Bedeutung. ... Hochfinanz .... Diese Kreise
traten in engste Verbindung mit dem Teil des regierenden Parteiklüngels,
der ihren Überlegungen zu folgen vermochte, und sie haben es ausgezeichnet
verstanden, durch ihre Trabanten in den Parteien und der demokratischen
Presse diese Interessengemeinschaft durch die der öffentlichen Meinung
eingepflanzte Legende zu decken, daß im Gegenteil Industrie und
Landwirtschaft einen beständigen Druck auf die Regierung ausübten.
Die Folgen traten in der gesamten Wirtschafts- und Steuerpolitik immer
ernster hervor; der Ertrag des unbeweglichen Teils des deutschen Volksvermögens
wurde langsam geopfert, um den Fortbestand der Erträge aus den beweglichen
und nicht an die Landesgrenzen gebundenen Vermögen zu sichern.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 195-196 ).
Das deutsche Abgeordnetenmaterial war schon vor dem Kriege weniger
als mittelmäßig, da es keine wirkliche Aufgabe vorfand, aber
es war bei aller Urteilslosigkeit ehrlich. Jetzt waren die Aufgaben da,
aber sie bestanden, wie es zum innersten Wesen des Zusammenbruchs gehört,
in privaten Vorteilen, angefangen von dem Besitz einer Bahnfreikarte,
die in den Zeiten der Markentwertung die schönsten geschäftlichen
Beziehungen erschloß, bis hinauf zum Ministersessel, und diese Aussichten
zogen ganz andere Geister an. »Die Politik ist die Fortsetzung der
Privatgeschäfte mit anderen Mitteln« sollte als Wahlspruch
über dieser Demokratie allerneuesten Gepräges stehen. Wenn selbst
diesen Geschäften die Größe fehlte - Ausnahmen wie billig
abgerechnet -, so hat der gute Wille doch nie gefehlt. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 196 ).
Jede Staatskunst
und jeder gesunde Volksinstinkt nimmt Begabungen, wo er sie findet, die
Franzosen in Napoleon einen Italiener, die englischen Konservativen in
Disraeli einen Juden, der russische Adel und Klerus in Katharina II. eine
Deutsche. Und in keinem politisch erzogenen Volk der Welt geht man davon
aus, obwohl die Engländer und Amerikaner in Rassefragen sicher leidenschaftlicher
fühlen als die meisten Deutschen. Dies und die kindlichen wirtschaftlichen
Ansichten und Utopien sind so verzweifelt deutsch im übelsten Sinne,
so michelhaft und provinzial, und schneiden die völkische Bewegung
und damit die in ihr ruhende gewaltige Stoßkraft so vollkommen von
allem ab, was durch Begabung, Erfahrung, Macht und Beziehungen politisch
und wirtschaftlich ernst zu nehmen ist, daß diese Bewegung bestimmt
zu sein scheint, den Boden aufzuwühlen, aber nur um einer gefährlichen
Gegenströmung Platz zu machen. ( ).
Man wird sagen, daß sie wenigstens als Pflugschar einer größeren
Zukunft zählt, aber die jeunesse dorée hat nicht einmal
das geleistet. Sie hat das Jakobinertum noch einmal lebensfähig gemacht
und sonst nichts. Die Revolution ist erst durch Napoleon endgültig
überwunden worden. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen
Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 203 ).
Die Weltwirtschaft hat ihre Formen und Mittel, als Ergebnis ihrer
Entwicklung, und Deutschland ist gezwungen, in ihrem Rahmen zu arbeiten
oder überhaupt nicht zu arbeiten. In
Rußland hat der Versuch, sich über diese Tatsache hinwegzusetzen,
dreißig Millionen Menschen das Leben gekostet mit dem Erfolg, daß
man nun wieder den Weg rückwärts sucht, um wenigstens das Dasein
von Wilden führen zu können. Aber Rußland versorgt sich
selbst. In Deutschland, das auf Import, Export und Kredit angewiesen ist,
würde der geringste Versuch, die bestehenden Formen der Kreditverzinsung
zu erschüttern oder die bestehenden Finanzmächte nicht als Mächte
zu behandeln, zu einer Katastrophe führen, die uns in einigen Wochen
in dieselbe Lage bringt. Es kommt in der Wirtschaft, worüber sich
selbst Kenner manchmal täuschen, viel weniger auf die »Richtigkeit«
von Ansichten und die Vorzüge neuer Methoden an als auf das, was
die führenden Wirtschaftsgrößen der Welt als ihre Methode
anwenden wollen. Die bessere Einsicht von Theoretikern spielt gar keine
Rolle, und ebenso kommt es in der hohen Politik nicht auf Langschädel
an, sondern auf das, was darin ist. (Oswald Spengler, Neubau
des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 203-204 ).
In
Deutschland, das auf Import, Export und Kredit angewiesen ist, würde der
geringste Versuch, die bestehenden Formen der Kreditverzinsung zu erschüttern
oder die bestehenden Finanzmächte nicht als Mächte zu behandeln, zu
einer Katastrophe führen .... Es kommt in der Wirtschaft, worüber sich
selbst Kenner manchmal täuschen, viel weniger auf die »Richtigkeit«
von Ansichten und die Vorzüge neuer Methoden an als auf das, was die fürhrenden
Wirtschaftsgrößen der Welt als ihre Methode anwenden wollen. Die bessere
Einsicht von Theoretikern spielt gar keine Rolle, und ebenso kommt es in der hohen
Politik nicht auf Langschädel an, sondern auf das, was darin ist. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 204 ).
Nicht von Rechten oder Verfassungen, nicht von Idealen und Programmen,
nicht einmal von sittlichen Grundsätzen oder Rassetrieben hängt
das Schicksal eines Volkes ab, sondern zunächst und vor allem von
den Fähigkeiten der regierenden Minderheit. Wir müssen solche
Fähigkeiten züchten oder zugrunde gehen, und wir brauchen politische
Formen, die züchtend wirken, so wie der Generalstab des alten Heeres
Feldherrn und der römische senat Staatsmänner gezüchtet
hat. Alles andere ist vorhanden oder Nebensache. Die Kunst des Regierens
ist nicht das erste, sondern das einzige Problem der großen Politik.
Alles andere folgt aus ihr. Diese Kunst hat die Weltgeschichte gemacht.
Sie hat winzige Völker auf die Höhe der Entscheidungen gehoben
und große vernichtet. Ein Prinzip zu haben, unter dessen Wirkung
die gebornen Führer dorthin kommen, wo man sie braucht; eine politische
Erziehung, welche die zugehörigen Anlagen weckt, schult, heraustreibt,
die entgegengesetzten niederhält; eine Tradition herausbilden, welche
alles dies fast unbemerkt und in Vollendung leistet das ist der
Sinn jeder Verfassung, in der sich ein Volk befindet, ob sie nun von einem
Herrscher gegeben oder von einer Versammlung beschlossen ist, ob sie in
Paragraphen oder Gewohnheiten besteht. (Oswald Spengler, Neubau
des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 205-206 ).
Wenn in der großen Wende vom 18.
zum 19. Jahrhundert die »Fürstenfreiheit« durch Völkerfreiheit
ersetzt werden sollte, so konnte ein Sinn nur darin liegen, wenn die Auslese
der Regierenden besser, deren Methoden erfolgreicher, ihre Leistungen
größer wurden. Die Probe hatte das vorige Jahrhundert zu liefern
und es hat das Urteil über die demokratische Methode gefällt.
Die Wende zum 20. Jahrhundert ist bezeichnet durch die notgedrungene,
für den Fortbestand der großen Nationen nicht mehr aufschiebbare
Überwindung der europäisch-amerikanischen Demokratie oder vielmehr
dessen, was sie als Verwirklichung ihrer Idee hervorgebracht hat: Herrschaft
der Hochfinanz, Nepotenwirtschaft der Parteien statt Souveränität
des Volkes, dessen Entmündigung durch Wahlorganisation, Bezahlung
der Wahlen und Gewählten und Kauf der Presse, eine Entwicklung, die
nur dort nicht zum Unsinn führte, wo eine alte Aristokratie unter
Benutzung der neuen Formen im Amte blieb wie in England. Das englische
Unterhaus war das einzige Parlament der Welt, wo es etwas zu lernen gab,
aber gerade das läßt sich nicht nachahmen. Uns Deutschen haben
hundert Jahre gefehlt, uns in diesen Formen bewegen zu lernen, als sie
zeitgemäß waren. Jetzt ist es zu spät. Wir bringen es
nur noch zur Karikatur des Parlamentarismus und ohne den geringsten Zweck.
Wir sind durch unsere ganze Vergangenheit, durch unsere Rasse und unsere
Lage ein monarchisches Volk, das heißt auf eine Regierung angewiesen,
die wir mit Vertrauen und Vollmacht schalten lassen, möge der Regent
nun Kaiser oder Kanzler heißen, so wie die Engländer geborne
Republikaner sind seit der Diktatur ihres Normannenadels, mögen sie
den Bau ihrer Gesellschaft mit einer königlichen Spitze verzieren
oder nicht. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 206-207 ).
Das parlamentarische Zeitalter ist unwiderruflich zu Ende. Seine
Formen leisten nichts mehr, sie belasten uns nur. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 207 ).
Deutschland ist an staatsmännischen und organisatorischen
Begabungen wahrscheinlich reicher als irgendein Land der Welt. Wo die
Probe darauf gemacht wurde wie in der Ausbildung des Priesterstandes durch
die Kirche, des Offizierkorps durch den Generalstab, des deutschen Kaufmanns
und Technikers durch hanseatischen Handel und rheinische Industrie, da
war das Ergebnis immer dem entsprechenden im Ausland überlegen. Aber
auf politischem Gebiet war es bis jetzt ein Verhängnis, daß
die einen ihre Kräfte nicht kennen, die andern sich angeekelt zurückhalten,
die dritten vom Parteiklüngel vorzeitig verbraucht werden. Wir haben
keine gewachsenen Formen der politischen Auslese und Erziehung.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 208 ).
Dabei darf man keinen Augenblick vergessen, daß das beste
aller Formen im Ungeschriebenen steckt, und das Geschriebene danach einrichten.
Wer alles festlegen will, wie es der Tendenz revolutionärer Versammlungen
entspricht, erreicht nur, daß die Praxis sehr bald neben der Verfassung
herläuft. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 209 ).
Ich wiederhole, ein Volk hat nur ein Recht: gut regiert zu werden,
und da es als Masse ohne Erfahrung und Überblick das nicht selbst
übernehmen kann, so müssen es Einzelne tun und diese müssen
richtig ausgesucht und angesetzt werden. Das ist das ganze Geheimnis aller
gut regierten Staaten, und alle mit Überlegung ausgearbeiteten Verfassungen
können nur sichern oder verhindern , was in primitiven
Zeiten mit rascher Anwendung von Gewalt ganz von selbst geschieht. Voraussetzung
ist die Einsicht, daß die parlamentarischen Formen aus dem vorigen
Jahrhundert veraltet und für immer verdorben sind, vor allem auch
deshalb, weil die großen beweglichen Vermögen in ein Souveränitätsverhältnis
zur Parteipolitik getreten sind, was sich 1789 nicht voraussehen ließ,
und weil sich allenthalben fest organisierte Gruppen mit eigenen Interessen
gebildet haben, die ausgeschaltet werden müssen, wenn die Regierung
eines Gesamtvolkes ihren Sinn behalten soll. Die Entscheidung liegt wie
immer im Zufall der Heraufkunft großer Persönlichkeiten, aber
die lebendige Form des Regierens muß wenigstens dem Zweck entsprechen.
Sie ist gewissermaßen der Ausgleich zwischen den Aufgaben der Zeit
und dem verfügbaren Material von Begabungen. Sie muß so biegsam
sein, daß bedeutende Männer zur vollen Auswirkung ihres Könnens
gelangen, aber mit der Grenze, daß sich zugleich ein leistungsfähiger
Durchschnitt bildet, welcher den Gang der Geschäfte trägt und
nicht völlig von jenem Zufall abhängig macht. Ein Übergewicht
nach jener Seite bedeutet Mangel an Stetigkeit, nach dieser die Gefahr
des engen Horizonts und des starren Schematismus. Dabei darf man keinen
Augenblick vergessen, daß das beste aller Formen im Ungeschriebenen
steckt, und das Geschriebene danach einrichten. Wer alles festlegen will,
wie es der Tendenz revolutionärer Versammlungen entspricht, erreicht
nur, daß die Praxis sehr bald neben der Verfassung herläuft.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 209 ).
Die Formen, welche sich erstens aus der Zeit, dann aus der gefährlichen
geographischen und der durch den Weltkrieg geschaffenen politischen Lage
Deutschlands der äußeren und inneren und endlich
aus dem deutschen Volkscharakter ergeben, dessen
Eigenschaften für diese Aufgabe teilweise günstig, in der Regel
ungünstig sind, wären für die nächste Zukunft etwa
folgende: Eine außerordentliche Stärkung der Regierungsgewalt
mit hoher Verantwortlichkeit, die nicht wie bis jetzt in Gestalt täglicher
Parlamentsverhandlungen auf der Gesetzgebung und Ausführung lastet.
Es ist heute richtiger, wenn in bestimmten Abständen ein umfassender
Rechenschaftsbericht gegeben und angenommen oder abgelehnt wird. Nicht
Absichten sondern Ergebnisse sollten der Kritik unterliegen. Das gehört
zum Begriff des in einer Vollmacht enthaltenen Vertrauens. Das gehört
zum Begriff des in einer Vollmacht enthaltenen Vertrauens. Die fortlaufende
Zensur wird heute schon durch die Presse gesichert; ihre Wiederholung
in einem Parlament ist völlig überflüssig geworden und
veranlaßt nur das Aufkommen von Privatzwecken der Eitelkeit oder
des Geschäfts. Der Kanzler hat die Vollmacht, für sich als Generalstab
ein Ministerium nach eigener Wahl zu bilden, mit völliger Freiheit
in der Zahl, Zusammensetzung und Organisation der großen Ämter
und des gesamten Regierungsapparates. Ebenso sollte diese Vollmacht in
Personal- und Organisationsfragen von ihm auf die sehr selbständig
arbeitenden Leiter der führenden Ämter von Fall zu Fall übertragen
werden. Die Minister sind allein ihm und er allein für die Minister
verantwortlich. Der Kanzler sollte ferner nach freiem Ermessen einen Staatsrat
berufen, in dem das Beste an Begabung und Erfahrung auf allen einzelnen
Gebieten der Politik und Wirtschaft versammelt ist. Dieser private
Rat beschließt nicht, sondern bespricht und schlägt vor; er
könnte zuweilen in Abteilungen für die einzelnen Aufgaben tagen,
in öffentlichen oder vertraulichen Sitzungen. Richtig verwendet,
würde er eine hohe Schule für junge Talente werden, die hier
einen praktischen Einblick in die Probleme und Methoden erhalten und durch
besondere Aufträge geprüft und erzogen werden. Die Berufung
beruht durchaus auf persönlichem Vertrauen und kann dauernd, für
besondere Gebiete oder einzelne Fälle erfolgen. Neben diesem geheimen
und privaten Rat, der mit »Verfassung« im üblichen Sinne
nichts zu tun hat, steht als Ausdruck der Volksmeinung ein aus allgemeinen
Wahlen hervorgegangener Reichstag, der zweimal jährlich zu kurzen
Sitzungen zusammentritt, als Aufsichtsrat die Vollmacht erteilt, den Rechenschaftsbericht
entgegennimmt, Kritik übt, den Haushalt und die Gesetze, so viel
als möglich als Ganzes, in namentlicher Abstimmung anerkennt
oder verwirft und die Verantwortung dafür in einer feierlichen
Erklärung dem Volk gegenüber auf sich nimmt. Denn für die
Folgen sollte in Zukunft ein Reichstag dem durch Neuwahlen gebildeten
neuen haftbar sein, Mann für Mann. In den Wahlen kommt doch auch
die Kritik eines Volkes an seinen Beauftragten zum Ausdruck. Es
ist unlogisch und widerspricht dem Begriff der Volksvertretung, daß
zwar die Regierung dieser, aber diese nicht dem Volke für die Folgen
ihres Verhaltens verantwortlich sein soll. Aber da alle heutigen Verfassungen
von den Parlamenten selbst gemacht worden sind, so haben diese jede Haftung
von sich abgeschoben. Die Regierung muß jederzeit das Recht haben,
durch Wahlen das Volk zum Urteil über seine Vertreter aufzufordern.
Die Tagung sollte nicht verlängert werden dürfen, abgesehen
davon, daß der Kanzler besondere Tagungen mit begrenzten Aufgaben
berufen kann. Die Sitzungen sind als Ausdruck der Volkshoheit mit Würde
und Feierlichkeit zu umgeben. Haltung, Kleidung und Ausdrucksweise sind
nicht Nebensache. Eine Versammlung, die sich äußerlich
gehen läßt, wird innerlich würdelos. Pöbelhaftes
Auftreten, das sich heute überall einbürgert, sollte als Beleidigung
des vornehmsten Organs der Nation mit tageweisem Ausschluß, Mandatsverlust
und unter Umständen Verbot der Wiederwahl bestraft werden, und zwar
von einem höchsten Gerichtshof. Die Kopfzahl der heutigen Parlamente
ist infolge der laienhaften Begriffe von 1789 viel zu groß. Das
Stimmvieh der Abgeordneten erschwert überall die Arbeit, welche die
wenigen Fähigen doch allein machen, und führt außerdem
dazu, daß für das Hineindrängen zweifelhafter Leute mit
Privatabsichten eine bequeme Gelegenheit geschaffen wird. 150 Sitze sind
für Deutschland mehr als ausreichend. Auch dann wird die Hälfte
nur ja und nein sagen, so wie es die Führer
unter sich beschlossen haben. Aber es sollte zur guten Sitte werden, Sachverständige
mit dieser Sendung zu beauftragen, also von dem einzelnen Abgeordneten
eine Art Befähigungsnachweis zu verlangen, und nicht die Schreier,
Trommler und Pfeifer der Organisationen. Und außerdem würde
ich vorschlagen, daß fünf Vertreter der Deutschen im Ausland
dabei sind, denn dem Reichstag fehlte bisher der Horizont und die richtige
Kenntnis und Einschätzung der auswärtigen Wirtschafts- und Machtverhältnisse,
die für uns eine Lebensfrage sind. Um den deutschen Parteihader zu
überwinden und die Bildung urteilsfähiger Gruppen zu erreichen,
müßte es die Wahlordnung unmöglich machen, daß mehr
als vier Parteien und solche von weniger als einem Zehntel der Bevölkerung
Abgeordnete erhalten. Außerdem ist ein glänzender Gedanke Mussolinis
zu verwenden, der übrigens auch in der bayerischen Wahlordnung angedeutet
ist und dem die Zukunft gehört: Die beiden stärksten Gruppen
oder die stärkste? haben zu 100 gewählten Abgeordneten
50 im Verhältnis ihrer Stärke zu ernennen, und zwar sollte es
zur Gewohnheit werden, hierfür die besten Leute außerhalb
des eigentlichen Parteilebens zu gewinnen, die Deutschland besitzt, und
die sich nur zu verpflichten brauchten, mit der Gruppe zu arbeiten oder
auf den Sitz zu verzichten, wenn sich das nicht mehr mit ihrer Überzeugung
verträgt. Diese Mitglieder können also jederzeit gewechselt
werden; daneben hätte sich jeder Abgeordnete einen Stellvertreter
zu wählen, den die Partei genehmigen muß und für den der
Abgeordnete haftet. Um die in allen heutigen Parlamenten herrschende Korruption
zu überwinden, sollte ehrloses geschäftliches Verhalten oder
die Verurteilung wegen gemeiner Vergehen sofort und für immer von
der Wählbarkeit ausschließen. Ein Volk kann auf die Ehrenhaftigkeit
seiner Vertreter Anspruch erheben. Die Würde der Aufgabe fordert
es, daß jeder zu Wählende seine persönliche und geschäftliche
Reinheit durch Ehrenwort verbürgt. Wer für eine politische Tätigkeit
im Dienste von Parteien oder Organisationen politischen Charakters Bezahlung
erhalten hat, ist erst in einemAbstand von drei Jahren wählbar. Das
ist notwendig, weil die Geschäftspolitik, wie die Gegenwart überall
beweist, das Verständnis dafür vernichtet hat, daß der
Abgeordnete der Nation und nicht der bezahlenden Partei verpflichtet ist.
Endlich haben die Abgeordneten sich am Anfang der Tagung eidlich zu verpflichten,
ihre Stellung als Vertreter des Volkes zu keinerlei geschäftlichem
Vorteil zu benützen, und am letzten Tage einen feierlichen und
öffentlichen Rechenschaftseid abzulegen, daß sie aus ihrer
Stellung keinen persönlichen Vorteil gezogen haben. Wer diesen Eid
nicht leisten kann, ist nicht mehr wählbar. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 209-213 ).
Zum Schlüsse muß darauf aufmerksam gemacht werden,
daß die Höhe des englischen Parlamentarismus auch darauf beruht,
daß der Form nach der König die Wahl des Premiers vollzieht.
Es gab also eine Stelle, welche über allen Parteien und geschäftlichen
Interessen stand, weil sie durch geschichtliche und dynastische Tradition
die Ehre und Größe der Nation zu vertreten hatte und nichts
als dies. Wenn der tatsächliche Einfluß auch nur in der Genehmigung
des Vorschlags bestand, den der Führer der stärksten Partei
über die Besetzung des höchsten Amtes zu machen hatte, so genügte
das, um Begabung und Ehrenhaftigkeit zur selbstverständlichen Voraussetzung
dieses Vorschlags zu erheben. Dieser sittliche Halt fehlt in Staaten,
wo die Parteien die Wahl untereinander verhandeln und beschließen
und niemandem verantwortlich sind als sich selbst. Die Deutschen sind
ein monarchisches Volk, durch ihren altgermanischen Zug der Gefolgstreue
und Unterordnung unter den innerlich anerkannten Führer. Sie sind
es, weil ihre Wohnsitze in Mitteleuropa sie zur Zusammenfassung in einen
starken Staat zwangen, wenn sie nicht die Opfer aller Nachbarn sein wollten.
In späten Zeiten ändern sich solche Gefühle nicht mehr,
wenn sie sich jemals ändern können, und eines Tages, wenn wieder
etwas Sonne auf unser Dasein fällt, wird die schlafende Sehnsucht
nach dieser symbolischen Krönung des Staates ihre Erfüllung
suchen und finden. Dann erst ist die hier angedeutete Form zu vollenden;
alle vorläufigen Lösungen haben etwas Unvollendetes darin, daß
die Auswahl des Leiters der Regierungsgeschäfte nicht der Zensur
unterliegt, die sich allein von geschichtlichen Aufgaben leiten läßt
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 213-214 ).
Staatsdienst und Persönlichkeit (S. 214-227):
Ein Volk ist das, was man aus ihm macht. Für sich allein ist jedes
Volk unfähig die Bedingungen zu erfüllen, welche die Weltlage seit Jahrhunderten
stellt, wenn es sich durchsetzen oder auch nur behaupten will. Sein Schicksal
hängt aber nicht von Ansichten ab, sondern von Menschen, also nicht von Theorien
oder Beschlüssen darüber, wie dies oder jenes sein soll, sondern von
Persönlichkeiten, die das tun und tun können, was getan werden muß.
Ein leitender Typus ist notwendig, der die schöpferischen Eigenschaften des
Volkes im Hinblick auf seine geschichtliche Lage zusammenfaßt und herausbildet.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 214 ).
Die englischen Erfolge seit Cromwell beruhen im tiefsten Grunde
nicht auf dem Hervortreten ganz großer Staatsmänner - sie sind
doch ziemlich selten - sondern darauf, daß seit Zerstörung
des old merry England durch den Puritanismus eine dauerhafte Schicht von
sehr gleichförmiger Lebensauffassung und weniger glänzenden
als praktisch wirksamen Eigenschaften entstanden ist, welche mit den führenden
Männern kaum bewußt die Triebe und Ziele teilt. Ohne jene Schicht
hätten diese nichts erreicht und mit ihr konnte England auch ohne
geniale Führer jahrzehntelang fortbestehen. Der Puritanismus, welcher
dem Einzelnen die sittliche Rechtfertigung vor sich selbst zuschiebt und
ihm damit das großartige Sicherheitsgefühl gibt, daß
das, was er will, das Richtige sein muß, weil Gott ihm sonst diesen
Willen nicht eingegeben hätte; die kaufmännische Wirtschaftsgesinnung,
welche dem Einzelnen völlig freie Bahn läßt, ihn dafür
aber auch nicht stützt, wenn er versagt; endlich und nicht zum wenigsten
der Sport, der im Gegensatz zu den unpersönlichen Turnidealen Jahns
den Sieg von der persönlichen Energie des Einzelnen abhängig
macht, haben einen Menschentypus gezüchtet, dessen Zähigkeit
bis jetzt wenigstens jeder Gefahr gewachsen war. In Frankreich ist der
das ganze Volk zusammenfassende Typus nicht von Ludwig XIV. oder gar der
Revolution, sondern von Napoleon geschaffen worden; der Franzose des 19.
Jahrhunderts ist gegenüber dem des ancien régime ein
neuer Mensch .... Züchten in diesem Sinne kann nur ein gewaltiges
Erlebnis oder eine große Persönlichkeit. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 214-215 ).
Wir besitzen ein sehr begabtes und bildungsfähiges Menschenmaterial.
Wo jemand Zugriff, wie außer Friedrich Wilhelm und Moltke die Kirche
in der Ausbildung ihres Priesterstandes oder Bebel bei der Organisation
seiner Partei oder auch die Technik in ihren Industrien und Laboratorien,
war das Ergebnis jedesmal außerordentlich. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 216 ).
Bismarck dagegen ließ Regierung und Verwaltung, wie sie
waren, und richtete nur sein eignes Amt für seine Arbeitsweise ein.
Er hatte wie Napoleon und auch die Führer der heutigen deutschen
Industrie das Bedürfnis, im Grunde alles selbst zu tun und sich nur
mit Gehilfen zu umgeben, also Taten, nicht Menschen für künftige
Taten zu schaffen. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 217 ).
Die ganz ungeheure Bedeutung der Erziehung des Beamtenstandes
liegt in der Tatsache, daß fast ein Sechstel der Bevölkerung
irgendwie dazu gehört, daß er allgemein geachtet, beneidet
und nachgeahmt wird, so daß seine bewußte Ausbildung der des
ganzen Volkes gleichkommt und vielleicht wirksamer ist als die der Schule,
weil sie nicht das Wissen und Denken, sondern das Tun und Sichverhalten
formt. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924,
in: Politische Schriften, S. 218 ).
Der größte Vorzug dieser Beamtenschaft alten Schlages
lag in ihrer sittlichen Größe. In allen Ländern sonst
ist Staatsdienst ein Beruf, ein Erwerb wie jeder andre. In Preußen
bildet der Beamte seit Friedrich Wilhelm I. einen Stand wie der
Offizier und Richter. Seine Ehre ist nicht Berufs- oder bürgerliche
sondern Standesehre. Das Ehrgefühl haftet nicht an der Arbeit wie
in den alten Zünften, sondern an der Tatsache des Dienstes, des Dienens
im germanischen Sinne einer stolzen Unterordnung. Der Beamte verkörpert
in sich die Staatshoheit. Daraus ergeben sich stillschweigend seine Pflichten
und Rechte, angefangen von der strengen äußeren Haltung und
Führung bis in die kleinsten Züge des Gewissens und Privatlebens
hinein und endend bei der schweigenden Aufopferung für eine Sache,
der das Leben geweiht ist. Das alles war in einem erstaunlichen Maße
verwirklicht worden und unterschied sich mit seinem »Dennoch!«
in den härtesten Lagen sehr wesentlich vom Typus heutiger Minister,
die sich ihre Privatstellung offenhalten lassen, mit einem »Dann
eben nicht« im Augenblick der Gefahr. Es ist das Römische im
Preußentum und gleicht dem Geist jenes Soldaten, der beim Vesuvausbruch
am Stadttor von Pompeji auf seinem Posten starb. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 218-219 ).
Aber ohne eine sittliche Idee ist der deutsche Beamte auch in
Zukunft nicht denkbar, wenn er nicht zum bloßen Geldverdiener herabsinken
soll. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924,
in: Politische Schriften, S. 219 ).
Ohne den Beamten als Stand ist das deutsche Volk nicht denkbar,
weder als Rasse noch in seiner gefährlichen Lage. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 219-220 ).
Aus den Bedingungen des 20. Jahrhunderts muß wieder eine
Idee des Staatsdienstes entwickelt werden, ein sittliches Standesgefühl,
das den Staat in Zukunft zu tragen fähig ist. Wenn man auch weiß,
daß ein Mann wie Friedrich Wilhelm oder Moltke dazu gehört,
um gewollte Formen lebendig zu machen, Gedanken in Menschen zu verwandeln,
so muß doch ein Ziel wenigstens gezeigt werden, und viele müssen
es sehen. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 220 ).
Für diesen Neubau aber hat sich in aller Stille schon ein
neuer deutscher Typus gebildet, der mit dem Sport der letzten Jahrzehnte
und dem langsamen geistigen Übergewicht industrieller und kaufmännischer
Stellen über die staatlichen aufkam, das Beste, was die Zeit des
wirtschaftlichen Aufstiegs nach Bismarck an lebendigem Material hervorgebracht
hat. Es hat in den jungen Freiwilligen von 1914 den ersten prachtvollen
Ausdruck gefunden. Diese »fixen Jungen«, um eine Bezeichnung
zu gebrauchen, sind unsere Zukunft, als Charakter, als angelegter
Typus, als Möglichkeit, wenn jemand versteht etwas daraus zu machen.
Sehr selbständig, Durchgänger, von praktischem Griff, rasch
entschlossen, gern mit Verantwortung beladen und allein auf einen Posten
gestellt, zu intelligentem Gehorsam bereit, dessen Zweck sie mit einem
Blick übersehen, zur Zusammenarbeit fähig nicht durch das Schema
einer Dienstverordnung, sondern durch ein instinktives Gefühl dafür,
was jetzt kommen muß, sind sie eine Generation, die etwas verspricht.
Man findet sie nicht in philosophischen Seminaren und nicht im Literatur-
oder Kunstbetrieb. Weltanschauung ist für sie kein Problem und keine
Unterhaltung. Sie sind in Masse an der Front gefallen, aber sie wachsen
nach, und für dieses jüngste Deutschland möchte
ich wohl ein Bild zeichnen, wie ich mir die Staatsverwaltung mit ihnen
und durch sie vorstelle, so wie sie sind, klug, stolz, persönlich
und innerlich frei, Träger eines deutschen Ethos aus altgermanischer
Zeit, das erst jetzt wieder aufgewacht ist als bestes Erbe aus den Jahren
des Reichsaufstieges.. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen
Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 222 ).
Die Züchtung des Beamtenmaterials muß für führende
und ausführende Stellen grundverschieden sein. Die Grenze zwischen
Ober- und Unterschicht darf nicht wie heute durch Gymnasialbildung hergestellt
oder durch automatisches Aufrücken verwischt werden. Es gibt oben
ganz andere Aufgaben, andere Eigenschaften, andere Ziele. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 224 ).
Die Eigenschaften der Unterschicht können nicht richtiger
bestimmt werden, als sie Friedrich Wilhelm I. bei der Schöpfung seines
Beamtenstandes unbewußt empfand. Eine vorbildliche Haltung der Vorgesetzten,
vorbildlicher Geist der Ämter; Pflege des Ehrgeizes durch Lob und
Tadel, Auszeichnung durch Aufträge, intelligente Disziplin, geistige
Selbständigkeit, innerliche Freiheit. Die äußere Haltung
ist nicht Nebensache. .... Sauberkeit, Pünktlichkeit, Strammheit
im Dienst. Auf die Dienstuniform sollte man nicht eitel, sondern stolz
sein. Sie betont das Standesgefühl, das Selbstverständliche
hervorragender Leistungen und gewissenhaftester Pflichterfüllung.
Auch Titel sind nicht Nebensache, aber sie sollten sparsam, als Auszeichnung
verliehen werden, ein Leben voller Arbeit und Erfolge herausheben. Titel,
die jeder ersitzen kann, wie unsere zwölf Dutzend klangvollen Bezeichnungen
für den Unterschied der Stühle im Amtszimmer, sind lächerlich.
Endlich Auszeichnung durch Studienreisen, schon früh, auch ins Ausland,
Entsendung zu Kongressen, zur Unterstützung sehr hoher Chefs. Und
zuletzt: Pflege des Sports in der Beamtenschaft, ganz offiziell; frische
Luft, Gesundheit, »Schneid«, Stolz auf körperliche Kraft
und Geschicklichkeit. Der Aktenstaub auf der Seele muß einmal eine
unwahrscheinliche Legende geworden sein. Die Beamtenschaft soll innerlich
jung bleiben. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 224 ).
Das Ziel der Züchtung ist hier eine Schicht von Befehlshabern
ersten Ranges. Die Führereigenschaften müssen durch den Gang
der Geschäfte und die große persönliche Freiheit entdeckt,
entwickelt, bis zur Vollendung herausgebildet werden. Das Standesgefühl
ist hier Distanzgefühl, ein hohes Bewußtsein geistiger
und geschäftlicher Überlegenheit. Zum Staat, wie wir ihn brauchen,
gehört eine Beamtenaristokratie, die heute nicht mehr auf
Herkunft, Vorbildung und Titeln, sondern tatsächlich allein auf großen
Eigenschaften beruhen darf. Das Bewußtsein davon, der Stolz auf
Meisterleistungen, die Regel sind, das Gefühl des Rechts auf Herrschaft
durch die Fähigkeit dazu, verpflichtet nun aber zu einer Haltung,
welche den inneren Rang im äußeren Leben repräsentiert.
Diese Schicht sollte in Deutschland gesellschaftlich - und durch ihr Ethos
- führend sein, hochgeachtet, vorbildlich in jedem Sinne.
Dazu gehört eine Unabhängigkeit und Weite der Lebensführung,
welche durch entsprechende Einkünfte gesichert sein muß.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 226 ).
Ich
halte es nicht nur für richtig, an das Ende einer langen und außergewöhnlich
erfolgreichen Laufbahn eine Dotation - ein Schloß mit einem Titel - zu setzen,
sondern den Führern auch während dieser Laufbahn eine Lebenshaltung
zu ermöglichen, welche derjenigen der großen wirtschaftlichen Führer
ebenbürtig ist. Das ist, bei der beständigen Fühlung zwischen Verwaltung
und Privatwirtschaft, auch auf den Erfolg der Geschäfte von Einfluß.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 227 ).
Die Erziehung: Zucht oder Bildung (S. 227-239):
Es
kann nicht meine Absicht sein, an dieser Stelle den Entwurf eines künftigen
Erziehungswesens vorzulegen. Ich hoffe, das später einmal gründlich
tun zu können und dann vielleicht nicht ohne praktischen Anlaß. Ich
habe diesen Fragen selbst einige Jahre sehr nahe gestanden und glaube die tiefen
Vorzüge und die ebenso großen Schwächen vor allem des Alters in
dem damals Bestehenden zu kennen. Da Krieg und Revolution auch hier alles verwüstet
und vergiftet haben, die Tradition, den Geist, die Menschen, die Methoden, so
erzähle ich in einigen Worten, wie ich mir den Aufbau, den Neubau für
spätere Zeiten denke; wie Deutschland sich künftig einmal einrichten
muß, wenn es seine jungen Leute anders, sehender, klüger in die Welt
senden will, als wir gesandt worden sind. Was an der alten Schule, vor allem dem
humanistischen Gymnasium, bedeutend war, läßt sich in zwei Worten nennen:
Wilhelm von Humboldt und Klassizismus. Es steckten große Eigenschaften darin,
eine schlichte Frömmigkeit, hohe sittliche Forderungen des einzelnen an sich
selbst; eine lange und gewissenhafte formale Schulung, die mit dem Latein anfing
und endete. Die Gewöhnung an Pflichten, Fleiß, Wahrheit, Gründlichkeit
wurde früh und für immer eingepflanzt. Eine stoische Weltauffassung
herrschte, wie man sie bei Cicero las, eine Geringschätzung des Behagens,
eine Verachtung kleiner persönlicher Vorteile. Aber diese öffentliche
Schule hat doch der Hofmeistererziehung des 18. Jahrhunderts ein Ende gemacht,
die, wie groß auch ihre Mängel waren, inmitten der Welt und mit heiterer
Kenntnis derWelt, ihrer Lagen und Bedingungen stattfand. Ein grauer Ernst lag
seitdem in den Klassen und Gängen, vor dem es nur ein Ausbrechen, bitteren
Haß, innere Auflehnung oder dumpfes Sichfügen gab. Die Klosterschule,
nicht die Pagenerziehung der Ritterzeit war das Vorbild. Der sittliche Imperativ
war durchaus geistlicher, nicht kriegerischer Herkunft. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S.
227-228 ).
Und dieser Klassizismus war doch nur ein feiner, blutarmer, bürgerlicher
Nachklang der Renaissance, der sich mehr und mehr in pedantischem Ästhetisieren
und frostigem Formalismus verlor. Die Welt des Schulmeisters, dieses begeisterten
Feldwebels der Grammatik, war die Welt überhaupt. Was draußen vor sich
ging, zog den Schüler nur von Horaz und Livius ab. .... Nur zeitlose antike
Fragen waren würdig lateinisch behandelt zu werden. Auch bei Cäsar war
sein Gebrauch des Akkusativs cum infinitivo wichtiger als die Eroberung Galliens
selbst. Kein Zeitereignis leuchtete herein, kein Zeitgedanke, kein großer
Zeitgenosse. Nicht Abraham Lincoln, sondern Jugurtha, nicht der Panamakanal, sondern
die Via Appia wurden genannt. Alle Bücher waren von Schulmeistern geschrieben,
des Lernens wegen. Aus dem Gymnasium stammt die politische Weltfremdheit des 19.
Jahrhunderts, die über Plutarch den amerikanischen Bürgerkrieg vergaß
und römische Waffen besser kannte als die japanischen Weltmachtziele. Erzogen
wurden wir für alles mögliche, für Theologie, Philologie und Philosophie,
nur nicht für die Gefahren der Weltlage, die rings um uns her auf der Lauer
lagen, denn von ihnen wußte der Lehrer selbst nichts. Und darüber ging
der Schule zuletzt der Begriff von dem verloren, was Erziehung sein sollte und
was man überall gwußt hat, wo es eine echte Erziehung großen
Stils gab: in altrömischen Senatorenfamilien, in höfischen Kreisen der
Ritterzeit, im 18. Jahrhundert, in England zu Eton und in Oxford und heute noch
in manchen Kreisen Deutschlands, die durch Rang und Beruf der großen Wirklichkeit
nahestehen: das Lernen an den Tatsachen und nach dem lebendigen Vorbild, Bildung
und Zucht, Kenntnisse und Takt, wissenschaftliche und gesellschaftliche Erfahrung.
Die Art sich zu halten, sich öffentlich zu bewegen, zu urteilen, sich auszudrücken
- das ist nicht Nebansache. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 228-229 ).
Geschichtsunterricht, oder die politische Erziehung des Volkes
durch die Schule: wer hätte früher begriffen, daß
beides dasselbe ist? Die Geschichtslehrer vom besten Schlage waren gelehrt,
begeistert, Patrioten, aber völlig weltfremd und politisch ahnungslos.
Im Grunde waren sie alle Philologen oder Theologen. Wir saßen unter
dem einstürzenden Turm und sagten die Schlacht bei Cannä auf,
aber vom amerikanischen Bürgerkrieg mit seinen Riesenschlachten wußten
unsere Lehrer selbst nichts. Hätten wir ihn gekannt, wir hätten
den Eintritt Amerikas in den Weltkrieg anders eingeschätzt. ....
Geschichte ist kein Lernstoff und kein Tummelplatz menschenfreundlicher
Gefühle. Was wir brauchen, ist eine starke, tägliche, tiefe
Erziehung des Nationalbewußtseins, als einer überlegten Haltung,
aber mit dem Unterbau einer rücksichtslos auf das Tatsächliche
verweisenden Schilderung der neueren Geschichte mit ihren Mächten
und Machtzielen, ihren politischen, militärischen, wirtschaftlichen
und Propagandamitteln, mit den geographischen Bedingungen von Seehandel
und Seekrieg, Rohstoffversorgung und Export; und da ein Lehrer, wenn er
kein Genie ist, nicht alles das wissen kann obwohl er es eigentlich
müßte so bleibt wieder nur das Buch, das Kenner geschrieben
und mit allen Mitteln zu eignem Eindringen in die Probleme ausgestattet
haben. Zu wissen, daß alle Politik Machtpolitik ist, daß Schwäche
Vernichtung bedeutet; zu wissen, daß jeder Einzelne als unentbehrliches
Glied seiner Nation leben, denken und handeln muß, mit jedem Atemzuge;
und zu wissen, wo und wie die großen Entscheidungen der letzten
Jahrzehnte sich vorbereiteten und die künftigen sich vorbereiten
werden das zum vollen Verständnis zu bringen ist es, was ich
Geschichtsunterricht nenne, der streng, täglich, jahrelang betrieben
werden muß und auch die antike und mittelalterliche Geschichte unter
vergleichende und real-politische Gesichtspunkte stellt. Jede Schule sollte,
englisch gesprochen, ihre debating clubs haben, in denen die Ereignisse
des Tages, Finanzpolitik, Währungsfragen, die möglichen Folgen
politischer Spannungen und Verträge durchgesprochen werden.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 235-236 ).
Endlich und vor allem aber will ich noch eins fordern, um die
Freiheit der Persönlichkeit und die Auslese aller echten Begabungen
durch eine praktische Einrichtung zu sichern: Die Trennung der Reifeprüfung
von der Schule. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 237 ).
Das bestehende System schloß Autodidakten aus, schloß
auch die vielen aus, die sich in unserer Rasse spät entwickeln, mit
15 Jahren beschränkt und scheu sind und mit 25 plötzlich aufwachen,
und schloß endlich die aus, deren Eltern zu arm waren, um jahrelang
auf Verdienst verzichten zu können. Wenn denn einmal von Demokratie
die Rede sein soll, so muß es hier geschehen. Die Schule möge
Führungszeugnisse erteilen, denn sie besitzt ein Urteil über
die Ergebnisse ihrer Zucht. Aber der geistige Rang sollte ganz unparteiisch,
unabhängig von allen Schulen, durch eine Reichsprüfung
ermittelt werden. Zu dieser müßte sich jeder melden dürfen,
ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Stellung und Vorbildung.
Kein Arbeiter sollte künftig über Bildungsprivilegien der Besitzenden
klagen dürfen, denn er kann, eignen ausdauernden Fleiß vorausgesetzt,
mit denselben Aussichten an demselben Prüfungstisch erscheinen. Kein
Vater brauchte seine Söhne um jeden Preis im Gymnasium zu halten,
denn der Weg zur Reifeprüfung würde künftig ohne Zeitgrenze
auch über Kontor und Werkstatt führen. Die Prüfung müßte
mehrmals jährlich im ganzen Reiche und überall an denselben
Tagen stattfinden, etwa in den Rathäusern, mit genau denselben Aufgaben,
die durch eine eigene Kommission nach großen Gesichtspunkten sorgfältig
ausgearbeitet und gedruckt worden sind. Die Bearbeitung der einzelnen
Fragebogen erfolgt an sechs Tagen im Abstand von je einer Woche, je etwa
dreistündig und durchaus schriftlich. Sie besteht in je ein oder
zwei Darlegungen und der kurzen Beantwortung von Fragen, die mehr ein
Können als angelerntes Wissen voraussetzen. Die Aufgaben sind in
zahlreiche umfangreiche Gruppen eingeteilt, zur persönlichen Auswahl
nach Veranlagung und Absicht des einzelnen innerhalb fester Grenzen, und
müssen in einer Mindestzahl richtig behandelt werden. Die Zahl der
Prüfungstage und -fragen und deren Vielseitigkeit schalten den Zufall
aus. Die Korrektur erfolgt ohne Kenntnis des Namens und Prüfungsortes
nach sorgfältig festgelegten Regeln, wofür ältere Studenten
und angehende Lehrer hinreichend zur Verfügung stehen. Das Ergebnis,
das gleichzeitig die Schulen und Schularten und ebenso die private Ausbildung
auf ihre Leistungen hin dauernd und öffentlich prüft, ist ein
Diplom mit einem Titel, wie etwa früher der Lizentiat oder Bakkalaureus,
also ein Doktortitel geringeren Ranges, der jedem wirklich Fähigen
mit einem entsprechenden Aufwand von Fleiß und Arbeit erreichbar
ist und der eine ganz objektive Auslese der Begabungen Deutschlands liefern
könnte. Das scheint mir der eigentliche Sinn des Wortes Reifeprüfung
zu sein. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 237-238 ).
Zum
Schluß hätte ich den Wunsch nach einem deutschen Eton, nach einigen
Schulen edelster Zucht von hervorragend begabten Menschen. Warum sollten nicht
aus Schulpforta, dem Tübinger Stift, dem Johanneum in Hamburg, den Franckeschen
Stiftungen in Halle, dem Kloster Ettal solche Schulen geschaffen werden können,
mit großen Anlagen für jede denkbare Art von Studium: ein Aufenthalt
in Stille und Freiheit, mit viel Sport und mit Besuchen berühmter Männer,
die sich gern einige Tage dort aufhalten, um die heranwachsende Jugend auf mögliche
Aufgaben hin zu prüfen, und die aus hoher Erfahrung heraus mit ihr über
das sprechen, was die Welt eines Tages von ihnen fordern wird? (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S.
238-239 ).
Das Recht als Ergebnis von Pflichten (S. 239-249):
Im Recht sollte die Weltanschauung eines Volkes,
seine Seele, rein und ungetrübt zum Ausdruck kommen. Recht ist die
gewollte äußere Form des Daseins, so wie es in den Grenzen
eines geschichtlich bewegten Ganzen, einer Nation, eines Staates verläuft.
Aber diese äußere Form ist stets, wenn sie echt sein soll,
das Ergebnis nicht nur der geschichtlichen Entwicklung, sondern vor allem
der inneren Form dieses Daseins, also des Charakters einer Nation. Der
Römer braucht ein anderes Recht als der Athener, der Deutsche ein
anderes als der Engländer. Ein allgemein richtiges Recht gibt es
nur in den Köpfen lebensfremder Gelehrten und Schwärmer.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 239 ).
Die Quelle jedes lebenden Rechts muß demnach das Leben selbst
sein, und die Voraussetzung für den Gesetzgeber, es ungetrübt
und ganz in Gebote und Verbote zu fassen, eine in großen Verhältnissen
der gegenwärtigen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik durch eigene
Tätigkeit erworbene Lebenserfahrung.Der römische Prätor
studierte kein griechisches oder ägyptisches Recht. Er verstand sich
als Beamter, Heerführer und Finanzmann auf alle Verhältnisse
der ihn umgebenden römischen Welt. Darin liegt für uns das Vorbildliche
nicht des römischen Rechtes selbst, sondern seiner Entstehung.
(Vgl. Der Untergang des Abendlandes, II,
S. 69 ff..) (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 239 ).
Es war ein Verhängnis für das deutsche Volk, daß
die altgermanischen Rechte, welche sich seit der Völkerwanderung
durch Sitte und Brauch lebendig fortentwickelt hatten, seit 1495 durch
die römische Rechtswissenschaft ersetzt und vernichtet wurden.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 240 ).
Jedes gewachsene Recht ist das Ergebnis von Pflichten. So war
es immer und überall, und darauf beruht die tiefe sittliche Kraft
echter Rechtsbegriffe, in deren geheimer Metaphysik der Lebenstakt einer
Rasse schlägt. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 241 ).
Das römische Recht hat uns verdorben. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 241 ).
Der Stolz einer Nation beruht auf ihrem Recht. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 242 ).
Man vergesse nicht, daß der Teil des Corpus Juris, um den
es sich handelt, das Pandektenrecht, aus der Amtstätigkeit des Praetor
peregrinus hervorgegangen ist, nicht aus der des viel angeseheneren Praetor
urbanus. Dieser hatte es mit seinesgleichen zu tun, römischen Bürgern,
jener mit Fremden, also bloßen Objekten der römischen Macht.
In der Kaiserzeit waren alle Völker Objekte dieser Macht, und dieses
»Völkerrecht« (jus gentium) wurde seit 200 n. Chr. im
Orient von gelehrten Juristen kommentiert, die Masse dieser Kommentare
nach orientalischen Gesichtspunkten gesammelt, ausgezogen und umgedeutet.
So entstand das Pandektenrecht für Byzanz, also für einen orientalischen
Herrscher, der nur Ergebung kannte Islam heißt Ergebung ,
aber kein Recht der Persönlichkeit und keinen freien Willen. Rom
selbst war damals im Besitz von Germanen. (Vgl.
Der Untergang des Abendlandes, II, S. 81 ff..) (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 242 ).
Aber dem germanischen Leben liegt die Idee der Freiheit
zugrunde. Es will frei sein von allen Schranken, welche seiner inneren
Gestalt und deren Wirkung nach außen widerstehen. Der Germane fühlt
sich frei der ganzen Welt gegenüber, als Persönlichkeit, als
Mann, jeder für sich, so wie er auch als gläubiger Christ,
betend oder büßend, allein vor seinem Gotte steht. (Vgl.
Der Untergang des Abendlandes, II, S. 357 ff..) Dieses nordische
Lebensgefühl hat die Völkerwanderung mit den Sachsen, Goten,
Franken und Normannen über ganz Westeuropa gebreitet, und aus ihnen
ist mit der Ritterzeit und den Kreuzzügen der Typus aller heutigen
Völker des Abendlandes entstanden. Es entstand nicht nur das Grundproblem
gotischen Nachdenkens, das der Willensfreiheit, sondern auch die dichte
Reihe von Gestalten, die es durch ihre Erscheinung gelöst hatten,
von den Wikingern und Staufenkaisern über die Führer der Renaissance
bis zu den Trappern Amerikas und den Erfindern und Organisatoren unserer
Tage. Und wenn der Germane als Ordensritter in Demut diente wie im deutschen
Osten und im Kampf gegen die spanischen Mauren, so opferte er in freiem
Entschluß sein Recht einer höheren Sache. Diese Pflicht
in innerer Freiheit auf sich nehmen ist sein höchstes Recht.
Auf ihm beruhen die stolzen Ideale der gotischen Gefolgstreue, der Offizierspflicht
und des altpreußischen Staatsdienstes. Dem Pandektenrecht ist diese
seelenhafte Freiheit fremd und unbekannt. Es kennt nur die Obligation,
den Anspruch auf die Leistung eines andern. (Oswald Spengler, Neubau
des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 242-243 ).
Aus der Freiheit folgen nun aber die germanischen Ideen
der Familie und des Staates, zwei Kreise des Zusammenhangs von Rechten
und Pflichten, die nur zusammen, als lebendiges Ganzes denkbar sind. Man
mag sie privates und öffentliches Recht nennen: ihr Zusammenhang
besteht darin, daß die Familie die Fortdauer dieses Lebens in Geschlechterfolgen
sichert, der Staat es aber politisch schützt und wirtschaftlich
erhält. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 243 ).
Daraus ergeben sich die notwendigen und natürlichen Grundzüge
eines deutschen Rechtes. Da die Geschichte es nicht für uns
geschaffen hat, so muß es heute die geschichtliche Erkenntnis schaffen.
Im folgenden wird der Versuch gewagt, diese Grundzüge in wenigen
Worten anzudeuten. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 243 ).
Danach ordnet das Gesetz die Verhältnisse des tatsächlichen
Lebens. Träger dieser Ordnung ist für uns der freie menschliche
Wille nicht philosophisch als frei bewiesen, sondern rechtlich
als frei behandelt der sich auf Handlungen, Lagen, Schöpfungen
oder einen fremden Willen richten kann. In bezug auf ihn gibt es nicht
körperliche Personen und körperliche Sachen im Sinne des römischen
Rechts, sondern Ausgangspunkte und Ziele Subjekte und Objekte
seines Wirkens. Ausgangspunkt, Subjekt eines freien
Willensaktes sind der Einzelne, die Familie, der Stand, der anerkannte
Verband, zuletzt die Nation, welche durch die Vertreter ihrer Hoheitsrechte
handelt und beschließt. Objekte Mittel oder Ziele
von Handlungen und Eigenschaften der Lagen oder Dinge sind die
Ehre, die Freiheit und Sicherheit, das Eigentum.
Eigentum ist keine Sache, sondern für uns eine Eigenschaft in bezug
auf einen Willen, die ebenso an Gedanken und Verhältnissen haften
kann wie an Körpern. Der Begriff des geistigen Eigentums war den
Römern völlig fremd. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen
Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 243-244 ).
Jedes Recht entspricht einer Pflicht. Eine Pflicht - gegen
den Einzelnen, die Familie, den Verband, die Nation - ist ein Recht, insofern
man es nicht empfängt, sondern gibt. Das Tun des Rechten gibt
Anspruch auf die Pflichterfüllung des andern. Das Tun des Unrechts
hebt diesen Anspruch auf. Das Wesen der Strafe beruht also darauf,
daß jeder Pflichtverletzung ein Verkürzung der Rechte folgt,
und zwar an Ehre, Freiheit und Eigentum. Deshalb sollten bürgerliches
und Strafrecht gleichartig gebaut sein. Sie verhalten sich wie Recht
und Unrecht, wie Setzung und Sicherung derselben Verhältnisse.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 244 ).
Das englische Recht ist vom Zusammenhang zwischen
rights und wrongs tief durchdrungen und ebenso von ihrer Aufteilung
in privates oder öffentliches Recht und Unrecht. Ein künftiges
deutsches Recht sollte aus demselben germanischen Grundgefühl feststellen,
wann der Einzelwille dem allgemeinen wider spricht, wann also das private
vom öffentlichen Interesse abgelöst wird, und weiterhin, wann
die Strafe, wie gesagt als Verkürzung von Rechten infolge der Verletzung
von Pflichten, vom allgemeinen statt vom Einzelwillen verhängt werden
soll. In England, das statt des Staates nur die Gesellschaft (society)
kennt ( ),
wird auch das öffentliche Unrecht wie der Mord wenigstens der Form
nach im Privatverfahren durch den verfolgt, der es entdeckt. Einen Staatsanwalt
gibt es nicht. In Deutschland aber beruht der Gesamtwille der Nation
im Staate, und eine tiefere Auffassung dieser Tatsache sollte fordern,
was dem römischen Denken ganz fern liegt, daß jeder Einzelne
zur Anzeige von Verbrechen nicht nur gegen Einzelne, sondern auch gegen
die Nation verpflichtet wird, ohne Rücksicht auf sein persönliches
Verhältnis zum Täter, und daß die Verletzung dieser Pflicht
schon durch bloßes Schweigen, nicht nur durch Hehlerei, eine
strenge Verkürzung an eigner Ehre, Freiheit und Eigentum zur Folge
hat. Die allgemeine Anzeigepflicht, wozu auch die Haftung des Verkäufers
für die rechtmäßige Herkunft der verkauften Ware gehört,
würde die Zahl der Verbrechen unendlich vermindern. Jeder Täter
und unrechtmäßige Besitzer fallen irgend jemand auf. Das geltende
Recht läßt die Anzeige zu und belohnt sie zuweilen, aber es
behandelt sie nicht als sittliche Pflicht. Es haftet ihr infolgedessen
in weiten Kreisen ein Makel, etwas wie Denunziantentum an, während
es möglich gewesen wäre, das Rechtsbewußtsein des Einzelnen
dahin zu entwickeln, daß er mit der Kenntnis einer strafbaren Handlung
einen Teil der Staatshoheit auf sich übertragen fühlt und unter
dem Eindruck der damit verbundenen Verantwortung handelt. Hier zeigt sich,
daß das im Orient umgewandelte »römische« Recht
den Einzelnen nur als Objekt der Rechtsschöpfung und Rechtsprechung
kennt, nicht als Mitwirkenden und Mitträger der öffentlichen
Ordnung, so wie es ihn in verhängnisvoller Weise dazu erzogen hat
sich lediglich als Objekt und nicht als Glied des Staates zu betrachten.
Und noch in anderer Weise enthüllt sich der Sklavengeist dieses für
germanisches Weltempfinden seelenlosen Rechts. Es verneint den Anspruch
des freien Mannes, sich, seine Ehre, Sicherheit und Habe und die seines
Volkes und Vaterlandes selbst zu schützen, mit allen ihm zu
Gebote stehenden Mitteln. Es verbirgt die Nichtanerkennung des persönlichen
Stolzes, auch des Nationalstolzes, des Ehrgefühls, der Selbstachtung
und inneren Selbständigkeit des Einzelnen hinter dem kläglichen
Begriff der Notwehr. »Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht
widerrechtlich«, heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch,
aber es klingt ein Unterton durch, wonach selbst diese unerwünscht
und stets der Überschreitung verdächtig ist. Vor diesem Standpunkt
wird die verbrecherische Handlung formal jeder anderen gleichgesetzt.
Der Täter und das sich wehrende Opfer sind gleichmäßig
bloße Objekte der Rechtsprechung. (Oswald Spengler, Neubau
des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 244-246 ).
Aber es sollte umgekehrt zum Grundsatz erhoben werden: Der
Verbrecher ist beim Begehen der Tat und auf der Flucht rechtlos. Ein
Unrecht kann gegen den, der gerade Unrecht tut, nicht begangen werden.
Erst mit der Verhaftung übernimmt der Staat die weitere Ausübung
des öffentlichen Rechts: das ist die stillschweigende Grundlage der
germanischen Auffassung, die in England und Amerika, wo das Normannenrecht
die praktische Sitte geformt hat, so selbstverständlich ist, daß
sie gar nicht besonders ausgesprochen zu werden braucht. Und ebenso sollte
bei uns der freie Mann im Namen des Staates handeln dürfen und unter
Umständen müssen, wenn dieser augenblicklich dazu nicht in der
Lage ist. Wer eine Person, die er unzweifelhaft in Vorbereitung oder Ausführung
eines Verbrechens oder nach dessen Vollendung auf der Flucht betrifft
etwa im Falle von Einbruch, Raub, Mord, Ehebruch, Notzucht, Brandstiftung
, tötet oder verletzt, wird nicht bestraft. Wer gewaltsam in
fremdes Eigentum eindringt, um etwas zu zerstören oder zu entwenden,
ist vogelfrei. Wer von einem Dritten in Fällen dringender Gefahr
für Leben und Besitz um Hilfe angerufen wird, kann von jedem Mittel
Gebrauch machen, das ihm geeignet erscheint. Und dasselbe sollte von Anschlägen
gegen die Sicherheit der Nation gelten: Wer von einem Verbrechen oder
Versuch des Landesverrats durch Spionage oder Verbindung mit dem Feinde
Kenntnis erhält, sollte nicht nur zur Anzeige und persönlichen
Anklage verpflichtet, sondern auch zu persönlichem Einschreiten in
jeder Form berechtigt sein. Der Verbrecher würde wissen, unter welchen
Bedingungen er handelt, und volenti non fit injuria. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 246-247 ).
An der Spitze des Rechts für ein seiner Würde bewußtes
Volk sollte die Ehre stehen. Sie ist das Teuerste, was ein Einzelner,
Mann oder Weib, eine Familie, ein Stand, eine Nation zu verlieren und
zu verteidigen hat. Wer das nicht fühlt, ist schon ehrlos. Wer eine
Verletzung der Ehre, der persönlichen oder derjenigen seines Standes
und Volkes duldet, hat keine zu verlieren. Ein Rechtsbuch, das den persönlichen
Schutz der Ehre nicht gestattet, erblickt den Sinn des Lebens in materiellen
Zuständen und entbehrt damit der inneren Würde. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 247 ).
Aber es gibt neben der persönlichen noch eine geschäftliche
Ehre. Ein ehrenhafter Grundzug ist dem kaufmännischen Leben eines
ganzen Volkes unentbehrlicher noch als dem einzelnen Kaufmannshause, wo
von jeher die unehrenhafte Geschäftsführung den Abbruch persönlicher
Beziehungen zur Folge hatte. Die Heraufkunft der nicht an den Ort gebundenen
Finanzvermögen, die nicht in produktiven Unternehmungen bestehen,
sondern in ihnen nur wechselnd angelegt werden (vgl.
Politische Pflichten der deutschen Jugend, a.a.O., S. 138 ff.),
und die in den letzten Jahren erfolgte Umschichtung des Besitzes infolge
von Krieg, Revolution und Inflation haben eine furchtbare Verwilderung
des Wirtschaftslebens und die rücksichtslose Jagd nach Gewinn ohne
alle Tradition, ohne Ehrgefühl, selbst ohne Furcht vor Gefängnis
zur Folge gehabt. Gerade deshalb sollten ehrlose Handlungen wie Betrug,
Wucher, Erpressung, Bestechung, Fälschung von Urkunden und Sachen
außer den härtesten Geld- und Freiheitsstrafen den Ausschluß
von allem zur Folge haben, was Vertrauen erfordert: von der Börse,
vom Sitz in Aufsichtsräten und Direktorien, ferner die Nichtanerkennung
der Unterschrift, die Unfähigkeit, Wechsel und Schecks auszustellen,
und unter Umständen die Erklärung der Unfähigkeit, überhaupt
Handelsgeschäfte zu betreiben, mit dauernder Stellung unter Polizeiaufsicht.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 247-248 ).
Freiheit und Sicherheit können privater Natur sein:
Recht und Unrecht in bezug auf die Person und die Familie, oder öffentlicher
Natur: Schutz und Gefährdung des Lebens innerhalb des Staates und
der Wirtschaft. Zum ersten gehört die Heiligkeit des Hauses als desjenigen
Teils vom Wohnraum der Nation, in welchem der Einzelwille völlig
frei ist und vor jedem Eingriff geschützt sein soll. Nur der Verbrecher
verliert dieses Grundrecht nordischer, in geschützten Räumen
lebender Völker. Es gehört ferner dahin der Schutz des Lebens
vor Freiheitsberaubung, Mord, Körperverletzung und Sittlichkeitsvergehen.
Zum zweiten gehört das Eherecht, in welchem sich die germanische
Idee der Familie spiegelt, also auch die Rechte der Kinder und andrerseits
die Verletzung dieser Idee im Ehebruch. Zur Freiheit und Sicherheit des
Staates gehören Preßgesetz, Zensur und der Schutz vor Verrat;
zur wirtschaftlichen Freiheit und Sicherheit vor allem das Recht auf
den eigenen auf Arbeit gerichteten Willen, also sowohl das Recht auf
Arbeitsverweigerung, wenn dadurch kein Vertrag gebrochen wird, als auch
das Recht, daran nicht teilzunehmen, und zwar auch für Führer
der Wirtschaft, wo die Weigerung Stillegung der Betriebe heißt.
Das geltende römische materialistische Recht kennt
eigentlich nur »Arbeit« als das Geleistete, ein gleichsam
stoffliches Quantum, eine bloße Sache. Es kommt aber auf das
Arbeiten an, als die Betätigung eines Willens und als Quelle
von Leistungen. Ein künftiges Arbeitsrecht und ebenso ein Handelsgesetz
müßten klar auf der Tatsache des freien Willens und nicht auf
der des Vorhandenseins von dessen materiellem Ergebnis aufgebaut sein.
Jenes ist der germanische, dieses der römische Standpunkt.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 248 ).
An der Spitze des Rechts auf Eigentum sollte das Erbrecht
stehen. Der germanische Begriff des Eigentums ist von der germanischen
Idee der Familie* als einer Geschlechterfolge
nicht zu trennen, und wenn man Eigentum als das bezeichnet, was ausschließlich
dem eigenen Willen untersteht nicht nur »Sachen« wie
im römischen Recht und unserem Bürgerlichen Gesetzbuch, sondern
auch alle Ziele, Mittel und Ergebnisse von Willenshandlungen, geschäftliche,
technische, künstlerische, organisatorische Ideen und Fähigkeiten
so ist der zuerst zu schützende Wille derjenige, welcher
Eigentum mit der Geschlechterfolge durch das Erbrecht verknüpft.
Ohne dieses sinkt der Besitz zur Leihe herab. (*
Die römische Idee der Familie umfaßt nicht eine Folge, sondern
die Gruppe der Lebenden mit dem pater familias als Mittelpunkt. Infolgedessen
besteht das römische Erben darin, daß der Rechtsnachfolger
die Rolle (»persona«) des Erblassers hinsichtlich der an dem
unteilbaren Gesamterbe haftenden Rechte und Pflichten übernimmt [vgl.
Sohm, Institutionen, S. 108].) Zum Diebstahl im weitesten
Sinne als dem Unrecht in bezug auf das Eigentum sollten nicht nur
Betrug und Wucher gezählt werden, sondern auch der Mißbrauch
fremder Begabungen zu eigenen Zwecken und die Aneignung von Erfindungen,
Gedanken, Motiven und Absichten. (Vgl. Der Untergang
des Abendlandes, II, S. 91 ff..) (Oswald Spengler, Neubau
des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 248-249 ).
Was endlich die Strafen betrifft ich wiederhole: die Verkürzung
von Rechten infolge der Verletzung von Pflichten so müssen
sie als solche dem heutigen Empfinden gegenüber wirkliche Strafen
sein. Die Verkürzung des Eigentums durch Geldstrafen darf, wenn sie
gerecht sein soll, nicht in festen Zahlen angegeben werden, sondern in
Prozenten von Einkommen oder Besitz; sie muß also vom Richter verhängt,
aber von der Steuerbehörde vollzogen werden. Freiheitsstrafen müssen
aus demselben Grunde nicht nur etwas Demütigendes, sondern auch Abschreckendes
haben. Die bloße Einschließung bei einer Verpflegung, welches
über die Lebenshaltung des Mittelstandes vielfach hinausgeht, wird
in manchen Kreisen gar nicht mehr als Strafe empfunden. Lange und harte
Arbeit, Vereinfachung der Kost und Einzelhaft müßten regelmäßige
Zusatzstrafen sein. Zu den Ehrenstrafen gehört der öffentliche
Anschlag des Namens mit Angabe der Wohnung und Ursache der Strafe: das
ist vor allem auch auf Fälle des Verstoßes gegen die kaufmännische
Ehre anzuwenden. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 249 ).
Die deutsche Währung (S. 250-263):
Dem Eingreifen der Privatkreise als solchem lag doch ein richtiges
Gefühl zugrunde, und dieses führte zu dem Helfferichschen Plan
einer Getreiderentenwährung und von ihm aus zur Entstehung der Rentenmark.
Der tragende Gedanke selbst ist auch heute noch kaum deutlich erkannt
worden, vielleicht nicht einmal von seinen Urhebern. Es handelt sich
um den Verzicht des Staates auf die Schöpfung von Zahlungsmitteln
zugunsten der Privatwirtschaft. Der Kredit der deutschen Wirtschaft
und das Vertrauen auf ihre Ehrlichkeit und Leistungsfähigkeit ersetzte
den nicht mehr vorhandenen Kredit der parlamentarischen Regierung. Deutschland
ist heute das einzige Land der Welt, das eine reine Privatwährung
besitzt. Die Rentenmarkscheine sind Anweisungen auf unbeweglichen produktiven
Besitz und deshalb formal nicht dem Wechsel, sondern der Hypothek gleichartig.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 252 ).
Man muß sich hier das Verhältnis von Währung und
»Geld« klarnmachen. »Geld« ist ein reines Wertquantum,
das man sich vorstellt, indem man bei einem Geschäft von der stofflichen
Art der Ware und des Zahlungsmittels absieht. es wird also durch eine
einfache Ziffer ausgedrückt, und Mark ist wie Meter nur der Maßstab,
nach welchem die Ziffer ermittelt wird. (Vgl. Der
Untergang des Abendlandes, II, S. 600 ff.. Alle ursprünglichen
Geldsorten wie Mine, Talent, Pfund, Mark sind schon dem Namen nach Gewichtseinheiten,
nach denen ebensogut Korn wie Gold oder Silber gemessen werden konnte.)
Wenn heute ein Geschäftsmann eine gebrauchte Maschine gegen Rohstoffe
tauscht, zieht er im Geiste von den Gegenständen den abstrakten Wert
ab, den er in Mark mißt und vergleicht. Diese Gewohnheit, »in
Geld zu denken«, fordert es durchaus nicht, daß im Warenverkehr
ein Zahlungsmittel existiert, das den gemessenen Wert als Sachwert enthält.
Die Metallgewichte, die wir Münzen nennen, sind in wachsendem Grade
durch Urkunden (Banknoten) und diese durch Überschreibungen im bargeldlosen
Zahlungsverkehr ersetzt worden, also völlig entbehrlich. Das Vertrauen,
das diesen schriftlichen Verkehr der Werte möglich macht, beruht
allein darauf, daß das Wertmaß eine feste Größe
ist, und das wird immer wieder dadurch in Frage gestellt, daß die
Herstellung von Zahlungsmitteln nicht des Bedarfs wegen erfolgt, sondern
eine Einnahmequelle bildet. Im alten Ägypten gab es trotz des hochentwickelten
Kreditverkehrs überhaupt kein Zahlungsmittel, sondern nur feststehende
Maßangaben bei schriftlicher Verrechnung, so daß der Begriff
einer Währungskrise undenkbar ist. Für uns aber ist der Zusammenhang
zwischen Währung und Politik folgenreicher als der zwischen Währung
und Wirtschaft. Zwischen Käufer und Verkäufer tritt das Zahlungsmittel
als Übergangs- und Normalware besonderer Art, deren Herstellung überall
ein Vorrecht der Regierungen ist und deren Menge sich also nach dem Geldbedarf
des Staates richtet. Wird dieser übermäßig, so redet man
von Inflation. Ihre ursprüngliche Form ist die Münzverschlechterung,
die von geldbedürftigen Staaten manchmal so weit getrieben wurde,
daß Silbermünzen kaum noch Spuren von Silber enthielten. Das
war also die Verschlechterung und Fälschung einer Ware, die
der Hersteller den Käufer als vollwertig anzunehmen zwang. Hierin
tritt nun mit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts eine große
Wendung ein, und zwar im Zusammenhang mit der - an anderer Stelle besprochenen
(vgl. Politische
Pflichten der deutschen Jugend, a.a.O., S. 138 ff.) - rasch
um sich greifenden Ablösung beweglicher Vermögen von den produktiven
Werten, nämlich vermittelst der Aktie. So wie sich die Eigenschaft
des Besitzes von der Fabrik in Gestalt einer papiernen Urkunde trennt,
so trennt sich mit der Banknote die Eigenschaft eines bestimmten
Wertes von der dafür hinterlegten Münze, und beide, Aktie wie
Banknote, können nun von Hand zu Hand wandern, ohne daß der
flüchtige Besitzer das Vorhandensein einer Deckung nachzuprüfen
vermag. Damit wird das Zahlungsmittel aus einer Ware zum Wechsel,
der auf einen irgendwo tatsächlich oder angeblich vorhandenen Schatz
ausgestellt ist. Aber im Fall des Papiergeldes ist die Ausstellung des
Wechsels durch den Staat eine stets offene Einnahmequelle, die Einlösung
auf unbestimmte Zeit vertagt und der Aussteller sein eigener Richter in
bezug auf Treu und Glauben. Da diese Wechsel in unbegrenzter Masse hergestellt
werden können - in ganz anderem Umfang als minderwertige Münzen
- und da das Wertmaß zugleich an ihnen haftet und durch sie dargestellt
wird, so gerät die Währung in die Schwankungen des Wechselkurses,
wofür die Assignaten das erste berüchtigte Beispiel gaben. Die
Währungspolitik kreditunfähiger Staaten bestand also im Grunde
darin, den Wechselkurs gewaltsam zu halten, ohne die Ursache seines Verfalls
zu beseitigen, die zunächst in der übermäßigen Herstellung
der Scheine bestand, aber nicht in ihr allein. Da der erste Umstand von
der heute herrschenden materialistischen Auffassung des Problems überschätzt
wird, so muß die seit Adam Smith als Allheilmittel empfohlene »Goldwährung«
auf ihre eigentliche Bedeutung hin untersucht werden. Eine Goldwährung
in dem Sinne, wie er heute allge- mein vorausgesetzt wird, gibt es
überhaupt nicht. (Vgl. Der Untergang
des Abendlandes, II, S. 612 ff..) Der Umlauf von Banknoten
soll durch eine Goldreserve gedeckt sein - aber das Wort Deckung hat
einen doppelten Sinn. Heute versteht man darunter die sachliche
Sicherheit. Aber entweder ist ein Land in der Lage, sein Papiergeld überhaupt
durch irgend etwas zu decken, dann kann an die Stelle von Gold auch ein
Bestand von Warenwechseln, eine Hypothek oder endlich die bloße
Bürgschaftserklärung der Regierung treten. Genügt das aber
nicht, so wird auch eine Goldreserve an sich nicht imstande sein, den
Notenkurs zu sichern. Wäre es auf die Sachdeckung allein angekommen,
so waren die Assignaten der französischen und die Papiermark der
deutschen Revolution die beiden bestgedeckten Papiere der Welt. Aber vor
dem Kriege gelang es der russischen Regierung nicht, den Papierrubel auf
dem Goldkurs zu halten, trotz einer der größten Goldreserven
der Welt, und umgekehrt wird niemand bezweifeln, daß die Pfundnote
nicht um einen Penny gesunken wäre, wenn die englische Regierung
durch ein Gesetz die viel kleinere Goldreserve aufgegeben und durch eine
Bürgschaft ersetzt hätte. Hier entscheidet die moralische
Deckung über das Vertrauen, welches der Sachdeckung entgegengebracht
wird, und macht diese damit eigentlich überflüssig. Kein Land
ist so arm, daß es seinen Papiergeldumlauf nicht durch die Bereitstellung
seines Volksvermögens sichern könnte, aber es fragt sich, ob
die Regierung dazu entschlossen ist, um jeden Preis, um der Ehre willen,
oder ob sie dazu neigt, die Sachdeckung anzugreifen - woran sie niemand
hindern kann, da sie keinen Richter über sich hat -, entweder um
die Folgen einer elenden Finanzwirtschaft zu verdecken oder um politische
Ziele zu verfolgen oder aus Mangel an Mut zu unpopulären Maßregern.
Die moralische Deckung für die Assignaten trugen die Jakobiner und
das Direktorium, die für die Papiermark die Sozialisten und der mit
ihnen verbundene Parteiklüngel. Der Kurs beider Papiere enthält
das öffentliche Urteil darüber, was diese Deckung wert war.
In Deutschland haben diese Kreise mit Einführung der Rentenmark als
Privatwährung darauf verzichtet, den eignen moralischen Kredit weiterhin
einer Probe auszusetzen. In Frankreich wagten sie es, bis zu ihrem Sturz
durch Napoleon. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 254-257 ).
Die deutsche und die französische Direktorialzeit unterscheiden
sich nun aber darin, daß diese die Ehre Frankreichs in der Eroberung
fremder Länder sah, welche die siegreichen Heere zu ernähren
hatten, während jene, die zu ertragen Deutschland die Ehre hat, die
Eroberungen des Feindes im eigenen Lande mitansieht und zu diesem Zweck
dessen Heere ernährt. (Vgl. Neue Formen
der Geldpolitik, a.a.O., S. 170..) Der Währungsverfall
hatte infolgedessen im Sommer 1922 und im Herbst 1923 ein Tempo angenommen,
das diesem Unterschied entsprach, und würde sich mit der Sachverständigenkonferenz
und deren Ergebnis entsprechend fortgesetzt haben, wenn man ihm nicht
mit Aufhebung der Staatswährung die Möglichkeit des symbolischen
Ausdrucks entzogen hätte. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen
Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 259-260 ).
Als die private Rentenmark als Zwischenlösung Vertrauen gefunden
hatte, war die allgemeine Meinung die, daß es sich nur um den Übergang
zu einer neuen Staatswährung handeln könne. Es läßt
sich darunter nicht gut etwas anderes verstehen als eine Form, welche
der Staat nach eigenem Ermessen schafft und für deren Sicherung er
auf gleichem Fuße mit ausländischen Kreditgebern verhandelt,
wenn das nötig und möglich ist. Inzwischen mußte es stutzig
machen, daß das klare Endziel sich durch eine verwirrende Reihe
von Bankprojekten, die wechselnd an den Horizont gezaubert wurden, immer
mehr den Blicken der Öffentlichkeit entzog. Neben Banken, die Begriffe
blieben, entstand die Golddiskontbank als ein großes Wort für
etwas, das man früher einen kleinen Auslandskredit genannt hätte
etwa in der Höhe von vier Wochenraten der geforderten Reparationsleistung.
Dann aber begann die Frage eine überraschende Wendung zu nehmen,
nämlich durch Verlegung des Schauplatzes von Berlin nach Paris und
die Verwicklung der künftigen Währung in den Reparationsplan.
Geschah das zufällig oder planmäßig? Ging es von deutscher
Seite aus, wurde es von dieser gebilligt oder bekämpft oder gar nicht
begriffen? Tatsache ist, daß die Privatwährung durch eine Staatswährung
ersetzt werden soll, aber durch eine von fremden und feindlichen Staaten
in gänzlich unverbindlicher Form, so daß damit das Damoklesschwert
einer beständig drohenden Währungskrise über dem deutschen
Volk aufgehängt würde, das die Reparationsforderungen erfüllen
soll und nicht kann. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 260 ).
An den Verhandlungen, die von Direktoren des Morgantrusts als
Vertretern Amerikas geleitet wurden (*),
waren deutsche Sachverständige beteiligt. (*
Um, wie der amerikanische Senator La Follette schrieb, dafür zu sorgen,
daß die finanziellen Verpflichtungen, deren Gläubiger die Banken
sind, bis zum letzten Cent bezahlt werden, wenn auch die Regierung der
Vereinigten Staaten keinen Dollar von den Summen zurückerhält,
die sie den Alliierten während des Krieges vorgestreckt hat. [Diese
Geldsummen konnten von den wirtschaftlich und mittlerweile auch sonst
schwachen Alliierten der USA nicht zurückgezahlt werden, weshalb
sie von den Deutschen bezahlt werden sollten - wie es dann
auch tatsächlich geschah! Dieser 1918 begonnene Raubzug gegen Deutschland
und das Deutsche Volk ist übrigens immer noch im Gange. Ein Raubzug
ohne Ende! HB.]) Wer sandte
sie? Waren sie in die Pariser Absichten und diejenigen Morgans eingeweiht?
Haben sie Einfluß darauf ausgeübt? Bestand ein Einfluß
bestimmter nichtamtlicher Kreise? Es soll nicht vergessen werden, daß
der Einzug der fremden Sachverständigen in Berlin von unserer Finanz-
und Franzosenpresse wie der von Siegern begrüßt wurde.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 260-261 ).
Dann kam der Eifer, sie zu informieren, der geräuschvolle
Optimismus in amtlichen Erklärungen, aber auch die zunehmende Geheimhaltung
dessen, was in Paris kein Geheimnis war. Wußte man nichts? Wußte
man es, ohne es hindern zu können, oder wollte man es nicht hindern?
Endlich trat das Ergebnis zutage. Es wurde eilig mit Unterschlagung der
belastendsten Teile veröffentlicht, von der eingeweihten Presse mit
betonter Zustimmung aufgenommen und die so hergestellte Billigung des
deutschen Volkes, das in Wirklichkeit von der Tragweite der Bestimmungen
keine Ahnung hatte und sie großenteils gar nicht kannte, dem Ausland
als Tatsache zur Anschauung gebracht. In jedem andern Lande würde
der Staatsgerichtshof Gelegenheit finden, diese Vorgänge genau aufzuklären.
Haben die verantwortlichen Kreise an dem Ergebnis mitgearbeitet? In welcher
Richtung? Mit welchem Erfolg? Wenn ohne Erfolg womit läßt
sich das Schweigen und die Haltung während und nach dem Abschluß
rechtfertigen? Und wenn ohne Voraussicht der Ergebnisse und ihrer Folgen
wann beginnen die Inhaber sehr verantwortungsreicher Ämter,
wenn sie trotz offenkundigen Mangels an Eignung und beständiger Mißerfolge
an ihnen festhalten, dafür verantwortlich zu werden?
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 261 ).
Tatsache ist, daß der gesamte Besitz des Reiches ausgeliefert
wird; daß die wesentlichen Einnahmequellen, welche die verarmte
Wirtschaft bedrücken und trotzdem nicht einmal die eigenen notwendigen
Staatsausgaben decken, ausgeliefert werden ohne Angabe, woher ein Ersatz
kommen soll; daß der produktive unbewegliche Besitz, vor allem die
Industrie, ausgeliefert wird die Landwirtschaft hat man, ohne Zweifel
nur aus Rücksicht auf die Stimmung der ländlichen Wählermassen,
etwas vorsichtiger behandelt: Alles das zur hellen Freude des beweglichen
Finanzkapitals, des deutschen und fremden, das mit der Auswertung dieser
ungeheuren Pfändermasse durch einen im Entwurf schon aufgebauten
Riesentrust die Möglichkeit von Riesengewinnen auftauchen sieht.
Das Vorbild geben der amerikanische Öl- und der französische
Wiederaufbauskandal. Welchen Einfluß hatten diese Finanzkreise und
Morgan auf die Verhandlungen? In welchem Umfang hatte man sich über
die Verknüpfung der Pfänder mit internationalen Kreditgeschäften
im voraus verständigt? Endlich wird die von Friedrich dem Großen
ins Leben gerufene Reichsbank, die alte preußische Staatsbank, mit
Einschluß der Renten- und Golddiskontbank ausgeliefert, um eine
in Deutschland arbeitende Reparationsbank fremder Trusts zu werden, welche
Kredit und Währung völlig in Händen hat. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 261-262 ).
Das alles vollzieht sich als der letzte Akt der Außenpolitik
eines Parteiklüngels, dessen rechte Seite hier beendet, was die linke
in Versailles begonnen hatte: den Verkauf eines ganzen Volkes in die Sklaverei,
nachdem man es durch eine Mißwirtschaft von fünf Jahren seelisch
entwaffnet und durch den Lärm der Parteipolitik über sein Schicksal
getäuscht hat. So haben bis jetzt nur Häuptlinge von Negerstämmen
gehandelt nicht einmal sie, denn sie sorgten dafür, daß
die Gegenseite Verpflichtungen übernahm, während jene es immer
wieder lächelnd ertrugen, daß dergleichen Verpflichtungen nicht
gegeben oder nicht gehalten wurden, ohne daß das eigne Selbstbewußtsein
darüber verloren ging. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen
Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 262 ).
Damit würde, wenn die Herrschaft dieses Klüngels nun
kein Ende nimmt, die Frage der deutschen Währung für uns gleichgültig
geworden sein. Das Wertmaß für eine verkaufte Ware geht nur
den Käufer an. Ich setze aber den Fall, daß es für die
Mehrheit des Volkes nun endlich der Schande genug ist und daß andrerseits
durch die weltpolitische Entwicklung das uferlose Problem der Einigung
über die Beute mehr und mehr in die großen ungelösten
Machtfragen hineingezogen wird, und wiederhole deshalb: die Sicherheit
und das Vertrauen auf eine künftige deutsche Währung hängen
nur mittelbar von der Wirtschaftslage ab, nämlich von einer aktiven
Handelsbilanz, dem Devisenzufluß, der Befriedigung des Kapitalbedarfs
von Industrie und Landwirtschaft und vom Steuerertrag, während das
alles unmittelbar von der großen Politik abhängt. Versagt sie,
so zerfällt die Wirtschaft und die Währung wird zum Problem.
Erfüllt sie ihre Aufgabe, so ist damit bereits das eine wie das andere
gestützt. Die Politik hängt aber nicht von Einrichtungen, sondern
von Persönlichkeiten ab. Und deshalb gibt es letzten Endes nur
Personalkredit, für das Wirtschaftswesen eines ganzen Volkes
wie für jedes einzelne Unternehmen. Und deshalb ruht auch im tiefsten
Grunde jede Währung auf dem Personalkredit der verantwortlichen Minderheit
von Regierenden. Der Assignatenkurs war von militärischen Erfolgen
und der Verbesserung oder Verschlechterung der Wirtschaftslage ziemlich
unabhängig. Seine Kurve zeigt zwei Augenblicke stärkster Senkung:
den Zusammentritt der gesetzgebenden Versammlung, als sich herausstellte,
daß sie nur Schwätzer, keine Führer enthielt, und den
Antritt des Direktoriums, dessen sachliche und sittliche Eigenschaften
man richtig bewertete; und drei Augenblicke eines plötzlichen Anstiegs:
vorübergehend im Herbst 1792, als Danton die Diktatur ergriff, im
Frühling 1793 mit der Diktatur Robespierres, und dauernd im Herbst
1799 mit dem Staatsstreich Napoleons, der den Kurs binnen drei Tagen verdoppelte.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 262-263 ).
Gegen den Steuerbolschewismus (S. 263-279):
Die Steuer ist beinahe das einzige Gebiet, an das sich eine höhere
Betrachtungsweise nie herangewagt hat. Es scheint,[263] daß es sich
hier um das Alltäglichste handelt, daß lediglich Geldeingänge
eine Rolle spielen, die dem geschäftlichen Leben entzogen werden,
gleichviel wie und wo. Die Finanzwissenschaft beschränkt sich auf
den Vorgang selbst und seine Technik und trotzdem gibt es eine
Philosophie des Steuerwesens; man muß sie nur zu sehen wissen.
(Vgl. Das Verhältnis von Wirtschaft und
Steuerpolitik seit 1750, a.a.O., S. 299 ff..) (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 263-264 ).
Das Problem hat eine sittliche und eine sachliche Seite. Solange
man es ausschließlich als Aufgabe eines Amtes oder der parteipolitischen
Taktik behandelt, also nur die Höhe des Bedarfs oder die Auswahl
der Opfer ins Auge faßt, kommen beide zu kurz. Wirtschaftsleben
und Pflichtbewußtsein werden gleichmäßig bedroht und
damit endlich auch der praktische Zweck verfehlt. In allen Ländern
der Welt steht heute der Reinertrag der Steuern in gar keinem Verhältnis
zu den Erhebungskosten, der Erbitterung und der Schädigung des wirtschaftlichen
und sozialen Lebens. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 264 ).
Steuern sind der Betrag, um welchen die Lebenshaltung des Einzelnen
verkürzt wird, um die Mittel zur Lebenshaltung des Ganzen zu gewinnen.
Je mehr Aufgaben zum Schutz von Ehre, Sicherheit und Eigentum (Recht),
der Lebensmöglichkeit (große Politik, Krieg), der Voraussetzungen
wirtschaftlichen Gedeihens (Verkehr, Ordnung) die Gesamtheit übernimmt,
weil sie jeder für sich nicht tragen kann oder will, desto größer
ist der Teil vom Haushalt des Einzelnen, welcher auf den des Staates überschrieben
werden muß, während er dort gespart wird. Denn der Polizist
auf der Straße erspart dem Einzelnen Ausgaben für den
persönlichen Schutz. Es ist Sache der Weltanschauung zu entscheiden,
in welchem Umfange derartige Aufgaben gemeinsam gelöst werden müssen
oder sollen. In England bestand von jeher die Neigung, so viel als möglich,
in Deutschland, so wenig als möglich der Sorge des Einzelnen zu überlassen,
was mit dem Schicksal beider Völker, ihrer Lage und ihrer Tradition
zusammenhängt. Jedenfalls aber ist der Staat zur Bezahlung der Kosten
seiner Tätigkeit auf jene Überschreibung angewiesen, soweit
er nicht eigenes Vermögen besitzt. Und es gehört zum Pflichtgefühl,
nüchtern gesagt zur kaufmännischen Ehrenhaftigkeit der Mitglieder
dieser Gemeinschaft, den geschuldeten Betrag nicht auf Kosten anderer
zu unterschlagen. Von einem Opfer kann keine Rede sein, da eine von den
meisten allerdings gar nicht empfundene Gegenleistung besteht, nämlich
in allem, was unsere Lage von der eines Geächteten und Rechtlosen
unterscheidet. Diese klare Tatsache ist aber so gut wie nie völlig
überblickt und noch weniger richtig behandelt worden. Man hat Steuern
stets als Last empfunden, weil sie parteiisch auferlegt und so erhoben
wurden, daß die einzelne Lebenshaltung und das gesamte Wirtschaftsleben
sich wund rieben bis zur Zerstörung ganzer Wirtschaftszweige, und
zwar mit einem Reibungsverlust, um welchen die Last dann gesteigert werden
mußte. Es steht in der Finanzwirtschaft wie im Rechtswesen:2 es
gibt eine Schicht von Sachverständigen und Beamten, die das praktische
Wirtschaftsleben nicht aus eigner Erfahrung kennen und unter Mißverstehen
des Sinnes staatlicher Hoheitsrechte sich auf den Ressortstandpunkt beschränken:
den Eingang eines gewissen Betrages zu sichern, ohne die Verantwortung
für die wirtschaftlichen Folgen zu übernehmen und diese auch
nur zu durchdenken, weil das die Sache eines andern Ministeriums ist.
Außerdem besitzen wir eine gelehrte Finanzwissenschaft, die wie
die Rechtswissenschaft aus Literatur entsteht und Literatur hervorbringt,
ohne über formale Standpunkte der Einteilung, Methoden und Zwecke
entschieden hinauszugehen. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen
Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 264-265 ).
Dem Ressortstandpunkt der Ämter steht nun der Neid-
und Rachestandpunkt der Parteien gegenüber, der im demokratischen
Zeitalter Steuern auswählte und bewilligte mit dem wachsenden Bedürfnis,
dem politisch-wirtschaftlichen Gegner, dem Erfolgreichen, dem Besitzenden,
dem Sparsamen Lasten als Strafe aufzubürden, während die privilegierten
Stände des 18. Jahrhunderts sich damit begnügt hatten, sie von
sich abzuwehren. Nun kann man einem lebendigen Körper viel Blut entziehen,
ohne ihn zu schädigen, und wenig mit Todesfolge. Es kommt auf die
Art an, wie und wo die Entziehung stattfindet. Nicht gegen die Erhebung
von Steuern überhaupt richtet sich die Notwehr, die bei allen Völkern
in schwieriger Lage die Steuermoral sinken läßt. Aber es gibt
heute kein Land, in welchem die Steuergesetze statt von Beamten und Parteien
von Sachverständigen des Wirtschaftslebens geschaffen würden,
um auf möglichst billigem Wege einen möglichst hohen Reinertrag
zu erhalten, ohne den Wirtschaftskörper ernsthaft zu verletzen, womöglich
unter Steigerung des Blutkreislaufs in ihm. Es waren noch andere Gründe
wirksam, von denen kein einziger aus der Wirtschaft selbst stammt. Vor
allem der Mangel an Mut vor unpopulären Maßregeln. Man mutete
den eignen Wählern nicht zu, die Steuern unmittelbar zu entrichten
und hob ihre Stimmung, wenn man sie zusehen ließ, wie sie scheinbar
der Gegner bezahlte, auch wenn die Führer sehr wohl wußten,
daß manche Steuern auf diesem Umweg mehr kosteten als einbrachten.
»Gerechte Verteilung der Lasten« ist ein schönes Wort,
aber es fragt sich, bis zu welchem Grade man ein Volk die Befriedigung
solcher Gefühle mit der unbemerkten Mehrbelastung an anderer Stelle
bezahlen lassen soll, statt ihm das Wesen des Steuerkreislaufs klarzumachen.
Für die Parteien allerdings gab es nichts Vorteilhafteres. Die Erbschaftssteuer
z.B. ist nichts als eine zweite Vermögenssteuer von schlechter Methode
und besseren Möglichkeiten der Hinterziehung. Man könnte sie
sicherer erheben, wenn man das Durchschnittsalter ermittelt und den Betrag
auf die entsprechende Anzahl von Jahren verteilt aber das Neidgefühl
den Erben gegenüber kommt dabei nicht auf seine Rechnung. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 265-266 ).
In Wirklichkeit besteht ein grundlegender Unterschied zwischen
dem Steuerzahler und dem Steuerträger, aber die Demokratie
will ihn aus Stimmungsgründen nicht sehen und der Finanzbehörde
ist er gleichgültig. Es gibt keine Steuer, die ganz von dem getragen
wird, der sie bezahlt. Es gibt in Wirklichkeit weder direkte Steuern noch
Luxussteuern im volkstümlichen Sinne. Eine Kraftwagensteuer trifft
auch den Armen, eine Brotsteuer auch den Reichen, nämlich durch Senkung
oder Erhöhung der Löhne und Preise. Nur der Ort der Zahlung
ist verschieden. Eine wichtige Seite des Wirtschaftslebens besteht darin,
daß alle Lasten von der tragenden Stelle aus unbemerkt verteilt
werden. Das Mittel dazu ist einerseits die Lohnbildung, andererseits die
Preisbildung. Jene schiebt Lasten von unten nach oben, diese von oben
nach unten weiter. Der wirkliche Lohn besteht nicht in dem bezahlten Betrage,
sondern in dessen Kaufkraft, und die Verringerung der Kaufkraft ist die
einzige Steuer, die es für den Lohnempfänger gibt, ob sie nun
durch einen Lohnabzug oder durch eine Steigerung der Preise erreicht wird.
Ungerecht wird eine Steuer nicht, wenn sie von dem Armen entrichtet wird,
denn er entlastet sich doch durch eine Lohnerhöhung bis zu der Grenze,
welche die augenblickliche Wirtschaftslage zieht, sondern wenn sie innerhalb
derselben Schicht Einzelne trifft und andere nicht. Aber gerade das letzte
macht alle modernen Steuersysteme unhaltbar. (Oswald Spengler, Neubau
des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 265-266 ).
Solange der Steuerbedarf der Staaten gering war, wie etwa um 1880,
waren die Methoden teuer und schwerfällig, aber sonst ohne praktische
Folgen. (Vgl. Das Verhältnis von Wirtschaft
und Steuerpolitik seit 1750, a.a.O., S. 307 ff..) Mit den wachsenden
Rüstungsausgaben unter der Einwirkung des nahenden Weltkrieges, etwa
seit 1890, entwickelte sich die Steuerpolitik aber zu einem Wirtschaftskrieg
mit parlamentarischen Mitteln, den die politisch Starken oder die,
von welchen eine Regierung die Zustimmung zu Rüstungen gegen materielle
Zugeständnisse erkaufen mußte, also in der Regel die Linksparteien,
gegen die übrigen führten. Das führt zu einer wachsenden
Alleingeltung der Neidsteuern, vor allem der direkten Steuern, ohne daß
es ihre Verteidiger recht merkten, daß die Verluste der Gegner durchaus
keine eigenen Gewinne waren, sondern durch verdeckte Abwehrmaßregeln,
neue Methoden der Abwälzung und Steuerflucht ins Ausland verringert
und der Rest infolge davon durch die wachsende Beamtenmasse und die fortgesetzt
steigenden Erhebungskosten verschlungen wurde. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 266-267 ).
Das Ideal der direkten, auf Selbsteinschätzung beruhenden,
von jedem Mitbürger persönlich bezahlten Steuern herrscht heute
so unbedingt, daß ihre Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit
selbstverständlich erscheint. Die Kritik richtet sich gegen Einzelheiten,
nie gegen das Prinzip selbst. Aber trotzdem stammt es nicht aus praktischer
Erwägung oder Erfahrung, noch weniger aus einer Rücksicht auf
Erhaltung des Wirtschaftslebens, sondern aus der Philosophie Rousseaus.
Es stellt den rohen, nur auf Ertrag gerichteten Methoden der Steuerpächter
und -einnehmer des 18. Jahrhunderts den Begriff der angeborenen Menschenrechte
entgegen, der auf der Vorstellung vom Staat als einem freien Gesellschaftsvertrage
beruht und diesen der Tatsache geschichtlich entwickelter Staatsformen
entgegensetzt. Es erscheint infolge dieser Anschauung als Pflicht des
einzelnen Bürgers und gehört zu seiner Menschenwürde, seinen
Anteil an den Lasten des Ganzen persönlich abzuschätzen
und persönlich abzuführen. (Vgl.
Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik seit 1750,
a.a.O., S. 303 ff..) Von diesem Augenblick an liegt der modernen
Steuerpolitik, zuerst kaum bewußt, dann mit steigender Demokratisierung
der öffentlichen Meinung immer bestimmter eine Weltanschauung
zugrunde, die den Gefühlen und politischen Stimmungen nachgibt und
ein unbefangenes Nachdenken über die Zweckmäßigkeit des
herrschenden Verfahrens zuletzt völlig ausschließt. Trotzdem
war der Gedanke selbst zunächst wohl durchführbar. Die Struktur
des Wirtschaftslebens lag damals so, daß die einzelnen Einkommen
sämtlich sichtbar und leicht nachzuprüfen waren. Sie stammten
entweder aus der Landwirtschaft, oder einem Amt, oder aus Handel und Gewerbe,
wo infolge der zunftmäßigen Organisation jeder die Lage des
andern überblicken konnte. Größere Einnahmen, die geheim
zu halten waren, gab es nicht. Ebenso waren die Vermögen damals sämtlich
unbeweglicher und sichtbarer Besitz: Grund und Boden, Häuser, Betriebe
und Einrichtungen, von denen jeder wußte, wem sie gehörten.
Aber gerade mit dem Ende des Jahrhunderts hat sich darin eine Umwälzung
vollzogen, welche die gesamte innere Form der Wirtschaft, ihren Kreislauf
und Sinn verändert und die viel wichtiger ist als das, was Marx unter
Kapitalismus versteht, nämlich die Herrschaft der industriellen Führerschicht.
Gerade die Lehre von Marx hat, weil sie vom geheimen Neid ausgeht und
deshalb nur die Oberfläche der Dinge sieht, das anerkannte Bild der
Wirtschaft für ein volle Jahrhundert falsch gezeichnet. Die Wirkung
ihrer glänzenden Schlagworte war um so größer, als sie
Urteile der Erfahrung durch Urteile des Gefühls verdrängte.
Sie war so groß, daß sich auch die Gegner ihr nicht entzogen
haben und die ganze moderne Arbeitsgesetzgebung auf den durch und durch
marxistischen Grundbegriffen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wonach
diese also nicht arbeiten aufgebaut ist. (Vgl.
Der Untergang des Abendlandes, II, S. 613 ff., 627..) Da
diese Schlagworte sich an die Arbeiterschaft der großen Städte
richteten, so erschien innerhalb der Lehre der plötzliche Aufstieg
der Großindustrie gegen Mitte des 19. Jahrhunderts als die entscheidende
Wendung. Aber gerade im Bereich der großen Technik war die Entwicklung
sehr gleichförmig. Eine Maschinenindustrie gab
es schon im 18. Jahrhundert. Entscheidend ist vielmehr die rasch zunehmende
Ablösung des Besitzes als einer Eigenschaft von den besessenen Dingen,
und zwar durch Zwischenschaltung einer Werturkunde, der Anleihe, des Anteils,
der Aktie. (Vgl. Politische Pflichten der deutschen
Jugend, a.a.O., S. 138 ff..) Das Einzelvermögen wird beweglich,
unsichtbar und ungreifbar. Es besteht nicht mehr in sichtbaren
Dingen, sondern ist in ihnen nur angelegt und kann in jedem Augenblick
den Ort und die Art der Anlage wechseln. Aus dem Besitzer des Werkes
ist gleichzeitig der Inhaber von Aktien geworden. Die Inhaber haben
jeden sachlichen Zusammenhang mit den Werken eingebüßt. Sie
verstehen weder etwas von dessen Leistungen und Aufgaben noch kümmern
sie sich darum. Sie achten nur auf den Überschuß. Sie können
rasch wechseln, viele oder wenige sein und sich an beliebigen Orten befinden;
die Anteile können sich in einigen Händen sammeln, sich zerstreuen
oder ins Ausland gehen. Niemand weiß, wem ein Werk wirklich gehört.
Kein Besitzer kennt die Dinge, die er besitzt. Er kennt nur den Geldwert
diese Besitzes nach dem Börsenkurs. Man weiß nicht einmal,
wie viel von den Dingen, die innerhalb der Grenzen eines Landes liegen,
den Bewohnern des Landes gehören. Denn seit es einen elektrischen
Nachrichtendienst gibt, der es gestattet, auch von der Aktie noch die
Besitzeigenschaft durch mündliche Verfügung abzustreifen und
in fremde Erdteile zu verlegen, kann der Inlandsanteil an den im Inland
liegenden Werken in einer Börsenstunde um ungeheure Beträge
steigen oder fallen, je nachdem das Ausland Aktienpakete abstößt
oder aufkauft, vielleicht nur einen Tag. Heute ist in allen wirtschaftlich
hochstehenden Ländern bereits mehr als die Hälfte des Besitzes
beweglich geworden und dessen wechselnde Inhaber sind über die ganze
Erde verstreut und haben jedes Interesse an der geleisteten Arbeit außer
dem finanziellen verloren. ( ).
Auch der Unternehmer ist mehr und mehr zum Angestellten und Objekt dieser
Kreise geworden. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 267-270 ).
Alles das ist an den Werken selbst nicht erkennbar und durch keine
Steuermethode genau festzustellen. Damit hört aber die Möglichkeit
auf, die Erfüllung der an der Person haftenden Steuerpflicht
nachzuprüfen, wenn der Inhaber wechselnder Werte es nicht will. Und
dasselbe gilt in steigendem Maße von den Einkommen. Freizügigkeit,
Gewerbefreiheit und Aufhebung der Zünfte machen den Einzelnen von
der Kontrolle seiner Berufsgenossen unabhängig. Seit es Eisenbahnen,
Dampfer, Zeitungen und Telegramme gibt, hat der Nachrichtenverkehr Formen
angenommen, welche Kauf und Verkauf von den Schranken von Raum und Zeit
befreien. Der Fernkauf beherrscht die Wirtschaft. Die Lieferungs- und
Termingeschäfte überflügeln den einfachen Verkehr zwischen
Erzeuger und Verbraucher. Der örtliche Bedarf, für den die Zunft
arbeitete, wird von der Warenbörse abgelöst, welche Herstellung,
Verschiebung und Erwerb der Dinge zur Erzielung von Spekulationsgewinnen
gegeneinander ausspielt. Für die Banken wird an Stelle der Wechselgeschäfte
des 18. Jahrhunderts die Vermittlung des Kredits zur Hauptquelle des Gewinns
und die Spekulation mit den beweglich gewordenen Werten entscheidet an
der Effektenbörse von einem Tage zum andern über die Höhe
ganzer Nationalvermögen. Damit entziehen sich auch die geschäftlichen
und spekulativen Einkommen jeder amtlichen Übersicht, und es bleiben
zuletzt nur die mittleren und kleinen Einkommen übrig, die wie die
Löhne und Gehälter so einfach liegen, daß eine Täuschung
über ihren Umfang nicht möglich ist. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 270-271 ).
Das ist die große Wendung von 1800, die eine tiefe
Grenze zwischen zwei Zeitaltern der Wirtschaft zieht und alle Ideologien
der Zeit Rousseaus rasch veralten ließ: nicht nur den Liberalismus,
sondern auch den Sozialismus von Marx, der im Grunde mit den Augen eines
Liberalen von 1789, der keinen Erfolg gehabt hat, auf den Zustand von
1848 sieht und nur das sieht, was ihn ärgert, und warum es ihn ärgert.
Der Unternehmer ist gerade und deshalb das Ziel des ganzen Unwillens,
weil seine Leistung ihn, der oft genug als Arbeiter angefangen hat, über
die andern hinaushebt; deshalb wir über diese Leistung geschwiegen,
von deren Höhe das Dasein der Stadtbevölkerung abhängt,
und nur der sichtbare Ausdruck des Erfolges an die Wand gemalt.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 271 ).
Die allgemein sichtbare Folge war nun, daß das Ideal der
steuerlichen Menschenwürde allein nicht ausreichte, um den nötigen
Ertrag zu sichern, und das 19. Jahrhundert bietet demnach das Bild eines
beständig wachsenden Heeres von Steuerbeamten, das mit einem ungeheuren
Aufwand an Arbeit, Geld und Papier der Gewissenhaftigkeit des sich selbst
einschätzenden Bürgers nachzuhelfen suchte, welche die Demokratie
voraussetzte, aber nicht vorfand. Napoleon setzte die Zahl der Steuerbeamten
von 200000 auf 6000 herab, und er erreichte durch ein vernünftiges
System, daß die Finanzen bald in Ordnung kamen und er während
seiner Herrschaft keine einzige Anleihe aufzunehmen brauchte. Wir aber
entziehen eine wachsende Menge arbeitsfähiger Menschen der produktiven
Arbeit, die wir heute nötiger haben als je, um sie mit dem Eintreiben
und Verrechnen unzweckmäßiger Steuern zu beschäftigen,
nicht nur die unzähligen Leute in den Ämtern, sondern die gleiche
Zahl in der Wirtschaft selbst, um die immer verwickelter und unmöglicher
werdenden Vorschriften auszuführen oder auch nur zu verstehen und
die zerstörenden Folgen dieser Methode durch immer neue Schachzüge
abzuwehren. Im Jahre 1923 sind in Deutschland über hundert Millionen
einzelner Steuererklärungen ausgearbeitet, mehrere hundert Millionen
einzelner Zahlungen geleistet und beinahe eine Milliarde Schriftstücke
versandt worden. Auf diese Weise wurde fast eine halbe Million Menschen
der wirklichen Arbeit entzogen und hat mit ihren Gehältern, dem Materialverbrauch
und den Kosten der Betriebsräume den größten Teil der
Steuereingänge im voraus verzehrt, was nur dadurch nicht allgemein
sichtbar wird, daß der Staatshaushalt es vermeidet, den Reinertrag
der Steuern aufzuführen, und statt dessen die Eingänge überhaupt
nennt, während die Erhebungskosten an einer anderen Stelle verrechnet
werden. Das gilt gerade von den volkstümlichen, »allein gerechten«,
direkten Steuern, deren Reinertrag trotz des Aufwands an Zeit,
Ärger und wirtschaftlicher Schädigung verschwindend ist oder
bei einer mehr kaufmännischen als bürokratischen Aufstellung
des Etats sich als Defizit enthüllen würde. Von den Steuern
und Zöllen des Reiches und der Länder fielen 1913 von insgesamt
3189 Millionen auf die Einkommensteuer 691, auf die Erbschaftssteuer 70
Millionen. Von den Gesamtkosten der Finanzverwaltung von 881 Millionen
kommt aber der weitaus größte Teil gerade auf diese von den
Personen und nicht den Dingen erhobenen Steuern. Zur Bestreitung dieser
Ausgaben wird gerade der sichtbar gebliebene Teil der Einkommen und Vermögen
übermäßig herangezogen, weil er die Last der unsichtbar
gewordenen mitzutragen hat, also die Löhne und Gehälter, die
kleinen Geschäfte, die Mieten und Spareinlagen. Eine Verschärfung
der Methode würde daran gar nichts ändern, denn die Struktur
des heutigen Geldverkehrs ist so undurchsichtig geworden, daß selbst
banktechnisch geschulte Steuerbeamte eine geschickt abgefaßte Bilanz
nicht mehr verstehen und in den großen Fällen nur der den eigentlichen
Sinn ihrer objektiv richtigen Ziffern kennt, der an ihrer Aufstellung
beteiligt war. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 271-273 ).
Um so fester hält die beschränkte und durch niemand
über die Tatsachen aufgeklärte Meinung gerade der Kreise an
diesem Steuerideal fest, welche dessen Opfer sind. Die »Weltanschauung
der Steuerzahler« mit ihrer Mischung von Gerechtigkeitssinn, Neid,
Ärger und Verschmitztheit ist für demokratische Parteien ein
viel zu wirksames Mittel, um es durch Kritik zu zerstören. Und auf
der andern Seite ist es die in der Welt der Kurse lebende Hochfinanz,
welche das persönliche Steuerideal mit ihrem ganzen Einfluß
auf Presse und Parteien volkstümlich erhält, denn es entlastet
sie selbst und belastet die ihr gegenüberstehenden Mächte der
arbeitenden Industrie und Landwirtschaft mit ihrem Schwerpunkt im unbeweglichen
Besitz. Die Selbsteinschätzungssteuer ist eine Waffe geworden,
welche das unsichtbar hinter den Banken und Trusts stehende Kapital durch
die Demokratie schwingen läßt, um den Besitz immer mehr in
bewegliche Formen überzuführen und die produktive Arbeit damit
den Gewinnmethoden der Spekulation unterzuordnen, so daß sie weder
dem Arbeiter, noch dem Techniker, noch dem Unternehmer mehr zugute kommt.
Auch der kleine Sparer, der einige Aktien besitzt, kann in jedem Augenblick
das Opfer von Geldleuten und ihrer Kurspolitik werden, die in der Stille
die Mehrheit des Aktienbesitzes kaufen öder abstoßen, ohne
daß es irgend jemand von außen nachzuprüfen vermag.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 273 )
Also sinkende Steuermoral, Erhebungskosten, welche den Ertrag
verschlingen, Belastung der Arbeit, Entlastung der Spekulation, Unterwühlung
der unbeweglichen Nationalvermögen zugunsten des heimatlosen Finanzkapitals:
zu diesen längst vorhandenen Folgen des herrschenden Steuerideals
treten nun die Folgen der Tatsache, daß mit dem Kriege und schon
durch die Vorbereitung auf ihn der Steuerbedarf aller Staaten ins Maßlose
gewachsen ist. Die Verschuldung ist ungeheuer, die Wirtschaft ins Wanken
geraten, die Gesellschaft erschüttert durch Verarmung der tragenden
Schichtalter, hochgezüchteter Familien und das Eindringen einer Masse
von Neureichen zweifelhafter Herkunft und Moral, die innere Politik mit
Spannungen überladen. Aber damit gewinnt die Straße
einen maßgebenden Einfluß auf die Steuergestaltung und ihre
politische Tendenz. Soweit die Regierungen nicht selbst unter ihrem Druck
entstanden sind, müssen sie die Freiheit ihres politischen Tuns und
Lassens mit Zugeständnissen gerade auf diesem Gebiet erkaufen. Man
würde es nirgends mehr wagen, eine Steuer in Vorschlag zu bringen,
die nicht nach der volkstümlichen Auffassung die »starken Schultern«,
in Wirklichkeit die Erfolgreichen, Tüchtigen und Sparsamen trifft
oder sie zum wenigsten schädigt, auch wenn das praktische Ergebnis
zweifelhaft bleibt. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 273-274 )
Wir befinden uns in einer Zeit des ausgesprochenen Steuerbolschewismus,
der ohne viel Aufsehen auf trockenem Wege das zu erreichen sucht, was
in Rußland durch Ströme von Blut erreicht worden ist: die völlige
soziale Umschichtung innerhalb der Nationen, den Abbau der alten westeuropäischen,
in Blut und Geist verfeinerten, von hohen Traditionen und Formen durchsättigten
Gesellschaft, bis zuletzt nichts übrig bleibt als eine Gruppe tatsächlich
regierender Finanzleute und eine proletarische Sklavenmasse, die beide
mit der in Jahrhunderten herangewachsenen innerlichen Kultur nichts
zu tun haben, sie weder erhalten können noch entbehren. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 274 ).
In England richtete sich schon die 1908 eingeleitete Steuerpolitik
des damals linksradikalen Lloyd George ganz unverhüllt gegen die
Aristokratie mit ihrem unbeweglichen und unrentablen Landbesitz, also
die Schicht, welche seit Jahrhunderten den Nachwuchs für die hohe
Politik stellte und nun an den erdrückenden Tax- und Erbschaftssteuern
langsam zugrunde geht. In Holland haben die 1918 von den Radikalen erzwungenen
Steuergesetze den Charakter einer kaum verschleierten Beschlagnahme der
alten, sichtbaren, ehrlich erworbenen Geschäfts- und Familienvermögen,
die namentlich durch die Erbschaftsbestimmungen binnen 50 Jahren aufgezehrt
sein werden. In Deutschland wird der arbeitende Wirtschaftskörper
durch eine Unzahl sich übersteigernder, kreuzender, wechselseitig
vergiftender Steuern wie mit Messerstichen zerfleischt, um ohne Rücksicht
auf den Blutverlust allenthalben etwas herauszupressen, und gerade in
seinen Zuckungen bildet er ein unvergleichliches Objekt für die berufsmäßige
Spekulation. Was mit den Ausdrücken »Erfassung
der Sachwerte« und »Eingriffe in die Substanz« bis in
die höchsten Stellen hinauf gemeint ist, ist völlig klar: der
Verbrauch des unbeweglichen Nationalgutes samt der an ihm haftenden
Schicht des Mittelstandes und der geschulten Intelligenz, von deren Schicksal
sich allein die Finanzvermögen auf spekulativem Wege freimachen können.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 274-275 ).
Das ist Bolschewismus. Es darf heute kaum gewagt werden,
die Folgen dieser Umschichtung als verhängnisvoll nachzuweisen, denn
sie werden von dem Radikalismus ganz offen gewollt und von der doktrinären
Demokratie zum mindesten nicht als Unglück betrachtet. Es ist die
soziale Revolution auf unblutigem Wege, welche die bürgerlichen Minister
nicht köpft, sondern kauft, die verdeckte Expropriation mit dem Steuerzettel,
die Emigration der Oberschicht nicht aus dem Lande, sondern aus dem Besitz.
Der Neid herrscht unbedingt, der Wille, die Fleißigen, Aufstrebenden,
die Führernaturen bis zur Vernichtung zu belasten. Wir Deutsche haben
infolge des Umsturzes mehr als andere Völker auch die geheimen
Konfiskationssteuern erlebt, zum Teil aus Unfähigkeit und Feigheit
vor den Wählern, zum Teil aus bösem Willen der verantwortlichen
Parteien. Zuerst die Inflation, eine furchtbare Steuer, die alle kleinen
Ersparnisse und Renten des Mittelstandes, die schwer erworbenen und ehrlich
angelegten Vermögen der höheren Stände und die Teile des
Einkommens verschlungen hat, welche der einzelne nicht sofort verschleuderte.
Dann die Steuer der nichtbezahlten Mieten, welche den Hausbesitz, also
wieder einen wertvollen Teil des Mittelstandes, verarmen ließ und
zur Verschleuderung der Häuser an Spekulanten und Ausländer
zwang, das Baugewerbe mit den Nachbarindustrien stillegte, die Arbeitslosigkeit
entsprechend steigerte und durch den Ausfall an Steuern und die Unterstützung
der Erwerbslosen solche Summen verschlang, daß die Markentwertung
ein um so schnelleres Tempo annahm und der Ersatz wieder durch Belastung
der sichtbaren Einkommen und Vermögen in Gestalt von Steuern und
verminderter Kaufkraft gesucht werden mußte: es war in Wirklichkeit
die teuerste Miete, die jemals bezahlt worden ist. Dann die Steuer der
verkehrten Steuerarten, welche die Wirtschaft zwang, einen erheblichen
Teil ihres Nachdenkens und ihrer Ausgaben auf Steuerfragen statt auf Produktionsfragen
zu verwenden, industrielle und landwirtschaftliche Betriebe umzustellen
oder stillzulegen, um der Vernichtung durch die Folgen eines scheinbaren
Wertzuwachses zu entgehen; endlich die Steuer zur Bestreitung des Achtstundentages,
die in einem Verbrauch des Betriebskapitals bestand, der den Ertrag der
Betriebe allmählich auf Null herabdrückte und infolge davon
auch von dem Arbeiter in Gestalt von Lohnsenkungen und Feierschichten
mitgetragen werden mußte. (Oswald Spengler, Neubau des
Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 275-276 ).
Die schleichende Wirkung dieses Zustands ist schlimmer als Krieg
und Revolution, wenn sie auch nur einige Jahre bestehen bleibt. Auch das
reichste Land der Welt würde sie nicht dauernd ertragen. Aber Deutschland
ist so arm und wirtschaftlich so krank, daß es früher als andere
Länder eine Befreiung braucht, und hier ist ein Gebiet, auf dem es
mit seiner ganzen Organisationsgabe und geistigen Energie darangehen sollte,
mit einem kühnen Schritt das sinnlos und ideenlos gewordene Steuersystem
zu beseitigen, die gesamte Ideologie persönlicher Erhebungsverfahren
fallen zu lassen und zum ersten Male ein System aufzubauen, das mit vollem
Bewußtsein von der inneren Form des Wirtschaftslebens ausgeht, und
dieses durch wohlüberlegte Eingriffe an der richtigen Stelle nicht
lähmt, sondern zu größerer Produktion anreizt. Gelingt
der Entwurf und die Durchführung, so würde Deutschland in wenigen
Jahren vorbildlich geworden sein und von der ganzen Welt nachgeahmt werden.
Gelingt er nicht, so ist unsere Wirtschaft verloren. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 275-276 ).
Die Lösung dieser Aufgabe ist verhältnismäßig
leicht, sobald man sie verstanden hat und den Mut besitzt, populäre
Vorurteile zu verachten. Der Widerstand würde am Anfang groß
sein. Am Schluß würde sich jeder wundern, daß das Selbstverständliche
so lange brauchte, um sich durchzusetzen. Die Steuer wäre also aufzufassen
als das Abziehen von Werten aus dem lebendigen Strom der Wirtschaft, und
es käme darauf an, die Stellen aufzusuchen, wo der Eingriff zweckmäßig
und ohne Schädigung erfolgen kann. Für den Einzelnen äußert
sich das in einer Verengerung seiner kleinen Privatwirtschaft, die nicht
von ihm durch persönliche Zahlung vollzogen wird, sondern von außen
her mit Selbstverständlichkeit stattfindet, wobei es ganz gleichgültig
ist, ob die Einnahmen verkürzt oder die Ausgaben erhöht werden.
Das letzte ist vorzuziehen, denn es verursacht geringere Kosten, weil
es die Entziehung in vielen Millionen einzelner Posten durch eine in ganz
wenigen großen Summen ersetzt. Der Einzelne trägt die Steuer,
aber er entrichtet sie nicht. Damit wird die Selbsteinschätzung,
die nur einen kleinen Teil der Steuerzahler und gerade nicht die reichsten
zu ehrlichen Angaben zwingt, durch die öffentliche Abschätzung
sichtbarer Werte ersetzt, die alle erfaßt werden können, und
die nun ihrerseits jeden Einzelnen in seinem Aufwand belasten. Die scheinbare
Ungerechtigkeit wird durch die Lohnbildung selbsttätig ausgeglichen,
so daß der Nettolohnbetrag wieder die durch die Wirtschaftslage
bedingte Höhe erhält. Heute verliert sicherlich jeder ehrliche
Steuerzahler ein Zehntel der Kaufkraft des ihm zustehenden Einkommens
für den Unterhalt von Steuerbeamten, ein Zehntel als Ersatz für
die Hinterziehungen der Spekulation und ein Zehntel für den Reibungsverlust
der Wirtschaft infolge der direkten Besteuerung. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 276-277 ).
Der gesamte Steuerbedarf würde also durch ganz wenige große
Steuern gedeckt werden. Zuerst durch die von Rabbethge (Verfall
oder Rettung!, 1923, S. 24 ff.) vorgeschlagene Sachnutzungs-
und Lohnkopfsteuer, die insofern eine Einheit bilden, als jene die Betriebe
mit kleiner Arbeiterzahl und hohem Nutzeffekt wie die optischen Werkstätten,
diese die mit viel Arbeitern und geringem Effekt wie die Berg- und Hüttenwerke
stärker trifft. Der ersten unterliegen alle sichtbaren Dinge, die
einen Ertrag liefern oder liefern sollten, die also einen durchschnittlichen
Verkaufswert besitzen wie Fabriken, Grund und Boden, Wälder, Gebäude,
Geschäfte, Werkstätten und Werkzeuge, nicht aber die Rohstoffe
und Warenvorräte selbst. Die Steuer richtet sich nicht auf den bei
geheimer Selbsteinschätzung angegebenen tatsächlichen oder vorgetäuschten,
sondern auf den bei guter Bewirtschaftung im Durchschnitt möglichen
Ertrag, der kein Geheimnis ist, da ihn die Öffentlichkeit durch Kauf
und Verkauf solcher Dinge, also durch deren Marktwert beständig kontrolliert.
Es handelt sich also um eine laufende Rente, die an jeder produktiven
Sache haftet, ohne Rücksicht darauf, wer der zufällige Besitzer
ist. Sie trifft also auch den Aktieninhaber in Gestalt kleinerer Dividenden
und geringerer Kurse, mithin auch den Ausländer, und sie bildet einen
starken Anreiz zu einer besseren und höheren Leistung, weil diese
Rente nach dem gemeinen Wert durch intensivere Ausnutzung nicht erhöht,
durch schlechtere aber auch nicht ermäßigt wird. Da alles Kapital
irgendwie in produktiven Sachen angelegt ist, um dort zu arbeiten, kann
es hier, aber auch nur hier und nicht im Geldschrank des Besitzers
oder augenblicklichen Anteilseigners erfaßt werden. Die ebenfalls
von den Betrieben abzuführende Lohnkopfsteuer ist eine Ergänzung
und bietet ebenfalls keine Möglichkeit der Hinterziehung, da kein
Lohnempfänger ein Interesse daran hat und deren Zahl kein Geheimnis
ist. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924,
in: Politische Schriften, S. 277-278 ).
Ich halte daneben als wichtigste aller Aufwandsteuern eine Wohnsteuer
für zweckmäßig und gerechtfertigt, die ebenfalls als laufende,
im Grundbuch einzusehende Rente, welche wie der Mietpreis ganz öffentlich
bekannt ist, an allen Wohnräumen haftet, und zwar abgestuft nach
deren Luftraum, Lage, Ausstattung, gärtnerischer Umgebung und Zubehör
(Garagen, Gartenhäuser, Gesellschaftsräume), vermindert im Verhältnis
zur Kopfzahl der jeweiligen Bewohner, eine Rente, die von den Besitzern
abgeführt wird und sich auch auf Gasthöfe erstreckt, so daß
Fremde und Luxusreisende ihr ebenfalls unterliegen. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 278 ).
Daneben bleiben die Aufwandsteuern auf Tabak und Alkohol bestehen,
auch eine Kapitalertragsteuer, die in Verbindung mit einem Aktiengesetz
die beweglichen, also arbeitsfreien Vermögen mit einem Zuschlag belastet,
um so sicherer, wenn Kapitalsanlagen und Darlehen nur durch die Steuerquittung
bestätigt werden können und sonst erlöschen. Dafür
fallen die Einkommen-, Lohnabzug-, Umsatz-, Erbschafts-, Vermögens-
und Wertzuwachssteuern gänzlich fort, samt dem ungeheuren Apparat
für ihre Erhebung von jeder Einzelperson, den gewaltigen Kosten und
den leichten Möglichkeiten der Hinterziehung. Der Einzelne hat seine
Steuer weder abzuschätzen noch abzuführen. Er bemerkt von ihr
überhaupt nur etwas durch die Verkürzung seiner Nettoeinnahme.
Die Ersparnisse auf diesem Wege würden einer Verdoppelung des Ertrages
aller bestehenden Steuern gleichkommen; die Wirtschaft würde frei
sein und auf unrentable Abwehrmaßregeln verzichten können;
der Einzelne würde frei sein von dem Gefühl der Belastung zugunsten
anderer und der Qual des unablässigen Schreibens und Rechnens.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 279 ).
Dringt die Reform nicht durch, so wird ein großes
Land nach dem andern unter dem heutigen Steuerdruck in die Sklaverei der
Hochfinanz geraten, zu deren Gunsten allein die bestehenden Systeme arbeiten.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 279 ).
Arbeit und Eigentum (S. 279-286):
In der gegenwärtigen Wirtschaftswelt ist die Industrie das
wichtigste Element. Seitdem sie durch die Verwendung von Naturkräften
zur leistung von Arbeit die Arbeitskraft des Menschen ins Unbegrenzte
gesteigert hatte, vermochte sie eine stärkere Bevölkerung in
den betreffenden Gebieten zu erhalten, als es der Landwirtschaft und dem
Handwerk bis dahin möglich war. Da aber die Industrie bei wachsender
Ausdehnung zur Bedienung ihrer Menschen immer mehr menschliche Arbeitskräfte
brauchte, so entwickelte sich ein Kreislauf, in welchem zuletzt jedes
Menschenleben kostbar wurde und die Entwicklung der modernen Hygiene nach
sich zog, weil die Wirtschaft auf kein einziges verzichten konnte, und
gleichzeitig die Maschine kostbar wurde, weil sie für den Unterhalt
dieser Menschenmasse nicht mehr zu entbehren war. (Vgl.
Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik,
a.a.O., S. 322 ff..) Das hat zu der ungeheuren Bevölkerungszunahme
der letzten 60 Jahre geführt. Sie ist ein Produkt der Maschine
(vgl. Der Untergang
des Abendlandes, II, S. 624) und macht die Menschen von dieser
abhängig. Daher die Angst in den großen Industrieländern
um die Sicherung von Rohstoffzufuhr und Absatzgebieten für ihre Betriebe.
Es handelt sich um Leben und Tod ganzer Bevölkerungen. Daher auch
das Gefühl des Industriearbeiters, die ausschlaggebende Macht zu
sein. In der Tat hängt seine ganze Existenz von der Lebensfähigkeit
seiner Industrie ab, und von ihm wieder die Existenz aller Menschen, die
über die Bevölkerungsziffer von 1800 hinaus in Westeuropa und
Nordamerika vorhanden sind. Die Industrie ist heute wichtiger als die
Landwirtschaft. Versagt diese, so besteht wenigstens die Möglichkeit,
daß der Rest sich mit dem Ertrag seiner Arbeit durch Zufuhr erhält.
Versagt jene, so ist der Bevölkerungsüberschuß verloren.
Es war ein Unglück, daß die Industriearbeiterschaft, und zwar
sicherlich nicht durch ihre Schuld, einer politischen Bewegung erlag,
deren überzeugende Schlagworte ihre Weltanschauung heute noch völlig
bestimmen. Sie lernte sich selbst nicht als Glied, sondern als Ziel und
Krönung der Wirtschaftsgeschichte sehen und damit alle treibenden
Kräfte falsch einschätzen. Wenn es richtig ist, daß gegenwärtig
die Industrie den Ausschlag gibt - und darin hat Marx ohne Zweifel recht
-, so doch der Maschine selbst und nicht des Arbeiters wegen. Außer
ihm ist noch der Techniker da, der die Industrie als geistige Größe
geschaffen hat, indem er Kenntnisse von der Natur in Macht über die
Natur verwandelte und die Wissenschaft zwang, ihre Ansichten von vornherein
als Arbeitshypothesen zu konstruieren, so daß jedes neue Gesetz
sogleich ein Hebel im Bilde der Außenwelt war. Dann kam der Unternehmer,
um aus dem technischen Verfahren ein wirtschaftliches Lebewesen zu schaffen.
Der Arbeiter fand ihn vor, wurde von ihm angesetzt und lebte von ihm.
Es ist richtig: er kann »alle Räder still stehen lassen«,
aber er kann sie nicht allein in Gang halten. Er ist auch nicht der einzige,
der arbeitet, wie es der Marxismus in alle Arbeiterköpfe hineingehämmert
hat. Im Gegenteil, Techniker und Unternehmer arbeiten mehr als er, intensiver,
verantwortlicher, weiterhin wirkend. Es gibt Führerarbeit und ausführende
Arbeit. (Vgl. Der Untergang des Abendlandes,
II, S. 616, 625 ff..) Beides zusammen erst ist Industrie. Sie können
nicht getrennt werden, denn jede hört ohne die zweite auf. Ihnen
gegenüber steht als etwas ganz anderes die Gewinnarbeit der Spekulation,
die nichts erzeugt, sondern die Erzeugung voraussetzt, um von ihr zu zehren.
Die Industrie hat in ihrer Frühzeit an einer starken Entpersönlichung
der Arbeiter gelitten. Im 18. Jahrhundert lichtete sich ganz plötzlich
der wissenschaftliche Horizont und die Technik lag in großen Umrissen
da. Was damals gearbeitet wurde, war iin Vergleich zu heute außerordentlich
roh, einfach, g!eichförmig und mechanisch. Heute stehen die großen
Linien fest und die Arbeit richtet sich auf die Verfeinerung und Vertiefung
der Einzelgebiete. Statt der Dampfmaschine überhaupt handelt es sich
um äußerst komplizierte Spezialmaschinen, statt der bloßen
Verbrennung um die Aufschließung und Auswertung der Kohle. Jede
moderne Industrie wird von durchgeistigten Methoden beherrscht, die sich
in eine große Menge von Einzelaufgaben auflösen, deren jede
ein hohes Maß von Intelligenz, Schulung und persönlicher Fähigkeit
voraussetzt. Der demokratische Zug, welcher im 18. Jahrhundert die Zünfte
und Gewerbe auflöste und undifferenzierte Massen in die Fabriken
trieb, verwandelt sich heute langsam in einen aristokratischen, der aus
der Masse von Arbeitenden eine Schicht von Kennern und überlegenen
Köpfen heraushebt, welche die an die höchsten Gebiete der wissenschaftlichen
Technik streifenden Fachaufgaben bewältigen. Dieser aristokratische
Zug geht gleichmäßig durch Politik und Wirtschaft, mit Notwendigkeit,
da beide nur Seiten des gleichen Lebens sind, und führt dort zur
Auflösung parlamentarischer Zustände, hier zur Ausbildung einer
Schicht von gehobenen Arbeitern, die allerdings allem widerspricht, was
die marxistische Theorie als Ergebnis der Entwicklung vorausgesagt hatte
und was sie für die Partei gebrauchen kann. Nirgends ist der Kampf
gegen diese allgemeine Entwicklung so erbittert wie hier, denn der Sozialismus
als politische Tatsache, als Parteiprogramm, steht auf dem Spiele. Es
gehörte zu den unermüdlich verfolgten Zielen Bebels und ist
das größte Verbrechen, das an der deutschen Arbeiterschaft
begangen worden ist, daß man ihr den Ehrgeiz persönlicher Leistungen
nahm und den Aufstieg innerhalb der Wirtschaft als Verrat an der Arbeitersache
brandmarkte. Es wurde davon geschwiegen, daß die Hälfte der
großen Industrieschöpfer Arbeiter gewesen waren. Es wurde nur
eine Art des Aufstiegs geduldet und als Ziel des Ehrgeizes an den Horizont
gezeichnet: die Laufbahn als Sekretär und Abgeordneter innerhalb
der Partei. Der Begabte mußte der Arbeit den Rücken kehren,
wenn er die Achtung der Arbeiterschaft erwerben wollte. Sie sollte eine
abgeschlossene Kaste sein, in der alle Werturteile umgekehrt waren als
draußen. An dem Aufblühen der Industrie, an neuen Erfindungen,
Methoden, Organisationsmöglichkeiten, an der Erschli,eßung
neuer Rohstoff- oder Absatzgebiete hatte man, mit Betonung, kein . Interesse,
um sich in demselben Atemzuge mit der Industrie für gleichbedeutend
zu erklären. Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben heutiger
Volkserziehung, Erziehung des Volkes zur Zukunft, diese Zentnerlast zynischer
Begriffe von den Tatsachen und den Menschen zu nehmen. Die Arbeiterschaft
muß frei werden von dem seelischen Druck im Interesse einer Partei,
die nur in gedrückten Menschen ein brauchbares Material erblickt.
Die Technik gibt dem heutigen Arbeiter wachsende Möglichkeiten zur
Entfaltung der freien Persönlichkeit, zur Eroberung eines ganz gewaltigen
Einflusses auf die Anlage und Entwicklung fabrikmäßiger Verfahren,
zur Heranbildung eines Nachwuchses von Führern aus ihrer eigenen
Mitte. Der Ehrgeiz nach solchen Zielen müßte in die Arbeiterschaft
gepflanzt werden, das Bewußtsein einer realen Macht, die ausschließlich
in Intelligenz und Qualitätsleistungen liegt. Führerleistungen,
und nur sie, machen einen Menschen unersetzlich und unentbehrlich. Und
deshalb muß im öffentlichen Bewußtsein die infame Methode
geächtet werden, für welche die Partei und das Parteiprogramm
zugunsten der Ziele einer bezahlten Führerschaft das Interesse der
Arbeiter selbst opfern: das Lohnsystem, welches die höhere Leistung
straft, den Fleiß verdächtigt, die Qualität zum Verrat,
das Lernen zur Lächerlichkeit stempelt, indem es an der mechanischen
Gleichförmigkeit von 1800 festhält und vor den Tatsachen der
Differenzierung von 1900 die Augen schließt, und zwar wider besseres
Wissen. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924,
in: Politische Schriften, S. 279-283 ).
Mag die Arbeit auch eine Ware sein, wie sie der Materialismus
von 1850 auffaßte, sie ist noch etwas anderes, nämlich eine
persönliche Leistung. Der Unternehmer arbeitet als Führer auch,
aber er leistet Arbeit von höherer Qualität, ohne die er sich
nicht halten würde, und der begabte, fleißige und ehrgeizige
Arbeiter sollte mit dem Gefühl auf ihn blicken, daß eigenes
Können den Weg zu gleicher Führerarbeit eröffnet und tausendmal
eröffnet hat. Dieser Ausblick sollte den jungen Arbeiter beherrschen
- es liegt eine Weltanschauung darin - und ebenso der Gedanke, daß
die Führung der Arbeiterschaft den Arbeitern gehört, den starken,
klugen, überlegenen, und zwar innerhalb der arbeitenden Wirtschaft
selbst, und nicht dem Schwarm bezahlter Parteibeamten unter Führung
ehemaliger Journalisten und Advokaten, welche von der Arbeit der Arbeiter
leben und durch Pflege gereizter Stimmungen die Unentbehrlichkeit ihrer
Posten sichern müssen. Aber auf der andern Seite sollte über
der Lebensaufgabe des Unternehmers der Satz stehen: Eigentum verpflichtet.
Eigentum, das Wort mit dem ganzen sittlichen Ernst germanischen Lebens
aufgefaßt, enthält in sich auch eine Art von Sozialismus, einen
preußischen, nicht englischen Imperativ: Verfahre mit deinem Eigentum
so, als ob es dir vom Volke anvertraut sei. Betrachte es als einen Inbegriff
von Machtbeziehungen, die Arbeit und Glück schaffen können,
nach allen Richtungen hin, wenn sie richtig verwendet werden. Wenn man
das Schlagwort des vorigen Jahrhunderts gebrauchen will, so gibt es zwei
Arten von Kapitalisten: den Unternehmer und den Spekulanten. Dieser hat
ein Kapital, jener hat ein Werk. Der erste erzeugt, der zweite beutet
das Erzeugte aus. Dem einen dient das Geld als Betriebsmittel, dem andern
als Gegenstand eines Spiels. Als Marx lebte, war die Börse bereits
eine Macht, aber sie lag seinem eigenen Instinkt so nahe, daß er
nur die andern als Gegner empfand. Expropriation der Expropriateure -
das bedeutet, wie die russische Enteignung bewiesen hat, Unterwerfung
des Industrieführers, des »Vorarbeiters« vom ersten Range,
unter die Spekulation und, was nicht nur Rußland ebenfalls beweist:
der Typus des berufsmäßigen Arbeiterführers, der mit Taktik
spekuliert, ist der der Hochfinanz stets nahe verwandt. Eigentum verpflichtet
- und die Verletzung dieser Pflicht sollte allerdings eine entsprechende
Verkürzung der Rechte herbeiführen. Die Gesetze, welche den
Mißbrauch des Eigentums verhindern, können nicht streng genug
sein. Darin sollte vor allem auch eine Aufgabe der Aktiengesetzgebung
liegen, welche die Ausbeutung unbeweglicher Werke und Güter durch
die Spekulation nach Möglichkeit in Grenzen hält, indem sie
die Wertverschreibungen jeder Art in Formen bringt, die eine beständige
Kontrolle gestatten. Im Unternehmertum selbst liegt aber eine andere Gefahr,
die beinahe niemand beachtet und die nicht bedenklich genug angesehen
werden kann: In der Frühzeit der Werke, die jedes für sich standen,
wurden die großen Talente früh sichtbar, früh, freigemacht
und früh an die verantwortlichen Posten gestellt. So sind Siemens,
Krupp, Borsig und hundert andere aufgestiegen. Seitdem hat die zunehmende
Vertrustung ganzer Wirtschaftsgebiete dahin geführt, die Verwaltung
bürokratisch zu gestalten, so daß die Begabungen in ihr vorzeitig
förmlich werden und jedenfalls schwer zu entdecken und zu erziehen
sind. Die größte Gefahr der Konzernbildung ist die Vernichtung
eines ebenbürtigen Nachwuchses, und dazu kommt die tief im deutschen
Wesen liegende, auch für das Werk Bismarcks verhängnisvoll gewordene
Grundneigung, für sich allein stehen zu wollen, alles selbst zu tun,
keinen vertrauten Mitarbeiter, Stellvertreter oder Nachfolger heranzubilden,
so daß die Nachteile jeder Zwangswirtschaft und Sozialisierung,
die Verkümmerung der Führerschicht, sich hier aus ganz andern
Ursachen ebenfalls bemerkbar machen. Die Freiheit der Wirtschaft hat die
ungeheuren Erfolge herbeigeführt, denen wir Deutschlands Aufschwung
und Reichtum vor dem Kriege verdanken. Die persönliche Auswirkung
persönlicher Fähigkeiten ist es, mit welcher Industrie, Schiffahrt,
Handel und jeder andere Wirtschaftszweig steigen oder sinken. Und diese
Freiheit wird von den Konzernen ebenso gefährdet wie durch den staatlichen
Zwang. Sie nehmen beide den schöpferischen Persönlichkeiten
den freien Willen, um ihn durch ein Schema zu ersetzen. Sie hemmen beide
den Aufstieg der Tüchtigen, weil das Arbeiten mit der Mittelmäßigkeit
bequemer ist. Zum Schlusse noch eins, das in der Regel unterschätzt
wird: Jedes große Unternehmen der Wirtschaft ist politischer
Natur. (vgl. Das heutige Verhältnis
zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, a.a.O., S. 313 ff..)
Es mag ausführen, was es will: Von einer gewissen Größe
an hat alles auch eine politische Seite, und wenn jemand in solcher Stellung
das politische Tun und Nachdenken unterläßt, so ist das ebenfalls
eine Haltung von politischen Folgen. Die Gefahr wirtschaftlicher Fachbegabungen
liegt aber viel weniger in einer Unterschätzung der Politik, als
in deren Verwechslung mit rein wirtschaftlichen Aufgaben. Wirtschaftspolitik
kann eine wesentliche Seite der großen Politik sein und ist es immer
gewesen, aber es ist kein Ersatz für sie. Wer daran glaubt, endet
mit einem notwendigen Mißerfolg. Das wirtschaftliche Leben der heutigen
Menschen vollzieht sich in großen Körpern, welche durch die
politischen Grenzen gebildet werden. Es ist also richtig zu sagen, daß
das Dasein der Staaten eine wirtschaftliche Seite hat, um so richtiger,
als die politische Seite immer entscheidend bleibt und ein Irrtum darüber
sich stets und bitter gerächt hat. So scheint es mir endlich, daß
dies die großen Ziele der deutschen Wirtschaft sein sollten: Züchtung
einer führenden Arbeiterschicht mit Eignung für die höchsten
Aufgaben der Werke selbst; Pflege des Ehrgeizes in dieser Richtung; Erziehung
eines Nachwuchses durch freie Gestaltung der Struktur der Werke; Auffassung
des Eigentums an produktiven Gütern als einer Verpflichtung gegen
die Nation, und Auffassung dieser Pflicht als einer solchen auch für
die hohe Politik. (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 283-286 ).
Zur Weltlage (S. 286-296):
Die Tugend besiegter Völker ist die Geduld, nicht die Resignation.
(Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische
Schriften, S. 287 ).
Rußland
hat mit der symbolischen Verlegung seiner Hauptstadt von Petersburg nach Moskau
den Schritt zurückgenommen, den Peter der Große getan hatte: sich als
europäische Macht zu konstituieren .... Heute gilt das Umgekehrte. Der Bolschewismus
in ursprünglicher Form war zwar selbst westeuropäischer Herkunft und
Struktur und konnte sich deshalb darüber nicht ganz klar sein. (Oswald
Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften,
S. 293-294 ).
In der Bauernschaft der russischen und asiatischen Erde, von der Weichsel
bis an die Grenzen Indiens und Chinas, über die alle großen Kulturen
bis jetzt wie Schatten fortgeglitten sind, regt sich die religiöse Inbrunst,
halb christlich-orthodox, halb bolschewistisch verkleidet, ihres eigentlichen
Wesens noch kaum bewußt, und aus ihr kann eines Tages die große Erscheinung
hervorgehen, die in ein einem ungeheuren Ansturm das Bild Asiens und damit die
diplomatischen Ziele und Hoffnungen der Welt von Grund aus verändert. Vielleicht
wird eines Tages die heilige Revolution ebenso blutig losbrechen wie einst die
rote. Das Beispiel des Barons von Ungern-Sternberg (1806-1868) zeigt, mit wie
geringen Mitteln Asien in einer Form mobil zu machen ist, gegen die es keinen
Widerstand gibt. Und ist es angesichts der tiefen Erregung im Islam anders?
Liegt die Erscheinung eines echten Khalifen, der nicht um seine Anerkennung zu
streiten braucht, weil plötzlich niemand seine Berufung anzweifelt, außerhalb
aller Möglichkeit? (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches,
1924, in: Politische Schriften, S. 294 ).Kein
Parlament, keine Partei, kein Heer hat heute an und für sich die Entscheidungen
in der Hand. Sie liegen überall und ausschließlich im Dasein oder Nichtsein
einzelner Männer, ihren persönlichen Entschlüssen, Ideen und Zielen.
Eine Grenze, wie sie noch zur Zeit Bismarcks auch der Stärkste an den bestehenden
Verhältnissen fand, gibt es nicht mehr. (Oswald Spengler, Neubau
des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 295-296 ). |