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HAMBURGER BILDUNGSSERVER:Samuel Huntington distanziert sich ausdrücklich vom angeblichen »Ende der Geschichte«. (). Nicht die Konvergenz der Gesellschaftsordnungen im Sinne des Liberalismus und die Ausweitung der OECD-Friedensregion, sondern der sich verschärfende clash of civilizations, der »Kampf der Kulturen«, stellt für ihn die Grundtendenz der Weltpolitik dar. Er erwartet, daß nach dem Ende des Kalten Kriegs die zentralen weltpolitischen Konfliktlinien entlang der Großkulturen verlaufen werden: »The fault lines between civilizations will be the battle lines of the future«. Als objektive Tatsache unterstellt er, daß es sieben bis acht Großkulturen bzw. Kulturkreise (civilizations) gibt ... Die bisherige Vormachtstellung des westlichen Kulturkreises sieht er durch ein antiwestliches Bündnis der islamischen und der sinisch-konfuzianischen Großkultur bedroht. Die slawisch-orthodoxe Region und Japan betrachtet Huntington jeweils als eigenen, nicht zum Westen gehörenden Kulturkreis. (??). Beide sieht er als potentielle Verbündete des Westens im Kampf der Kulturen und als Brücken zwischen dem Westen und der islamischen Welt bzw. dem sinisch-konfuzianischen Asien. Die westliche Gemeinschaft begrenzt Huntington auf den christlich-abendländisch definierten »Westen«, der Westeuropa, Nordamerika, Australien und Neuseeland einschließt, nicht jedoch die OECD-Mitglieder Japan, Südkorea, Mexiko, Griechenland und die Türkei; auch Israel zählt er nicht zum Westen. Mit dieser Vorstellung trägt Huntington zur Konstruktion eines neuen Kalten Kriegs bei, denn weltpolitische Konflikte können seiner Ansicht nach nur bezüglich ihres Gewaltniveaus eingedämmt, nicht jedoch überwunden werden. Für politisch realisierbar hält er lediglich eine friedliche Koexistenz der Kulturen. Huntington geht zwar anders als der Neorealismus von einer die Einzelstaaten übergreifenden, unauflöslichen Gemeinschaft des Westens aus, hält diese Gemeinschaft aber nicht über die kulturgegebenen Grenzen des Westens hinaus für erweiterbar. Regionalistische Projekte wie die Erweiterung von EU und NATO in den osteuropäisch-orthodoxen Raum, die Einbeziehung Mexikos und eventuell weiterer lateinamerikanischer Länder in die NAFTA oder die Kooperation der angelsächsischen Pazifikanrainer mit den asiatischen Ländern im Rahmen der APEC können im Sinne der Argumentation Huntingtons wegen der kulturellen Unterschiede nicht zur Bildung gemeinsamer Identitäten führen.(Hamburger Bildungsserver).
JUNGE FREIHEIT (21.09.2001):Im Sommer 1993 veröffentlichte der Politikwissenschaftler und Harvard-Professor Samuel Huntington in der renommierten und einflußreichen Zeitschrift Foreign Affairs einen Aufsatz mit dem polarisierenden Titel »The Clash of Civilisations?«. Huntington stellte hier erstmals seine provozierende These über den im 21. Jahrhundert unvermeidlichen Zusammenprall der Zivilisationen und Kulturen auf. Dieses neue Zivilisationsparadigma beruht wesentlich auf der nicht unbegründeten Annahme einer »Zweitklassigkeit des Westens«, die er als ein deutliches »Zeichen des Niedergangs« versteht.Obwohl die Kritik der Politiker und Intellektuellen an Huntingtons Ausführungen überwog, erhielt er durchaus auch Zustimmung. Im Dezember 1993 schob er in Foreign Affairs den Essay »If not civilisations, what? Paradigms of the post-cold war world« nach, in dem er die Problematik der westlichen Ideen der Menschenrechte, des Liberalismus und Individualismus, der Gleichheit und Demokratie, der Freiheit des Handels und der Trennung von Kirche und Staat im Bereich der internationalen Politik den vormodernen nicht-westlichen Kulturen mit ihren archaischen Gemeinschaftsmodellen gegenüberstellt. Zwei Jahre später sprang ihm Bassam Tibi mit seinem Buch »Krieg der Zivilisationen. Politik und Religion zwischen Vernunft und Irrationalismus« (Hamburg 1995) zur Seite. Tibi definierte den »Clash of Civilisations« als »Ausweg aus der analytischen Sackgasse«, in die sich die multikulturellen Gesellschaften des Westens sicherheits- und geopolitisch hineinmanövriert haben.Bereits 1990 hatte jedoch Bernard Lewis in der Zeitschrift The Atlantic Monthly in seinem Text »The roots of Muslim Rage« die Thematik eines Kampfes der Kulturen angesprochen. Auf ihn bezog sich Huntington, als er sein kulturgeographisches und geschichtszyklisches Zivilisationsmodell von einem ursprünglich 25seitigen Essay zu einem 580seitigen Buch mit dem Titel »Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert« (München, Wien 1996) anwachsen ließ. Nach Francis Fukuyamas Buchstrom über »Das Ende der Geschichte« (München 1992) füllte nun dessen ehemaliger Lehrer das Vakuum in der Theoriebildung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wieder mit geopolitischem Realismus auf. Ähnlich wie Zbigniew Brzezenski und Henry Kissinger setzt Huntington auf die Ideologie der Einheit der westlichen Kultur, auf die Raumgebundenheit von politiko-kulturellem Handeln und auf die Vorstellung der Gemeinsamkeit von Geopolitik und Geokultur.Damit ist er recht nahe bei Oswald Spengler, einem der Urväter der Konservativen Revolution, dessen Kulturmorphologie und Kulturbiologie und dessen Dekadenzthese er voll und ganz teilt. Wie Spengler beklagt auch Huntington den Verfall, die Schwäche, Kraftlosigkeit, Entartung und das Greisentum unseres dekadenten Zeitalters. Anders als Spengler, dessen Kulturbegriff sich explizit gegen das anglo-amerikanische Zivilisationsverständnis richtete, sieht Huntington die Erschöpfung und »das Verblassen des Westens«, der zur Selbstverteidigung nicht mehr in der Lage und »weit offen für barbarische Eindringlinge, die aus anderen, jüngeren, kraftvolleren Zivilisationen kommen« ist. Mit argumentativem Furor beschreibt er die Gefahr, die im Sinne des »Clash of Civilisations« von »kulturell andersartigen Nachbarvölkern«, vom »Aufstieg der chinesischen Macht« und der »Dynamik des Islam« ausgeht, und stellt diesen stabilen Glaubenssystemen mit ihrem Stammesdenken und ihrer tiefen Religiosität den Verfalls- und Fäulnisprozeß des Abendlandes gegenüber.In diesem Kampf zwischen Dschihad und McWorld verschmelzen Kultur und Macht; der Weltbürgerkrieg der Kulturen wird zum Schicksalskampf um die Weltherrschaft. In den martialischen Kampfverbänden der muslimischen Fanatiker offenbart Allah seine Rache am eindringlichsten und fühlbarsten. Huntington konstatiert für Westeuropa eine »Islamisierung« mit anschließender »Afrikanisierung«, wenn es nicht gelingt, Dämme zu bauen gegen die Flut der ungebetenen Einwanderer und identitätspolitisch die Idee des christlichen Abendlandes als Kulturmacht und Abgrenzungskriterium gegen die islamische Zivilisation wiederzubeleben. Die ethnischen Minderheiten in den USA und Westeuropa fungieren hier als eine Art »fünfte Kolonne« nichtwestlicher Zivilisationen, als deren »nützliche Idioten« die Multikulturalisten dienen, denen folglich der Kampf an der Heimatfront zu gelten hat.In Huntingtons Fußstapfen treten neben Bassam Tibi auch Botho Strauß mit seinem »Anschwellenden Bocksgesang« und Hans Magnus Enzensberger mit seinen im gleichen Jahr wie »Clash of Civilisations« erschienenen »Aussichten auf den Bürgerkrieg«, um die hiesige entpolitisierte Spaßgesellschaft - die nach den barbarischen Terroranschlägen in New York und Washington zu allem Überfluß in der schlechten Tradition deutscher Schuld- und Gesinnungskultur und deutscher Romantik auch noch die Innerlichkeit des Gemüts entdeckt - aus ihrer politischen Apathie und ihrem unschuldigen Dornröschenschlaf zu wecken. Man braucht jedoch kein Politikexperte zu sein, um zu spüren, daß die herrschende politische Klasse nichts davon begriffen hat, was sich in den Köpfen der »Heiligen Krieger« abspielt. Die überzeugendste Repräsentanz dieser Disneyworld-Mentalität stellt hierzulande die grüne Regierungspartei dar, deren führende Chargen inzwischen offenbar die völlige geistige Umnachtung ereilt hat. Wie anders ließe sich erklären, daß die Parteispitze angesichts der bekannt geworden en Verstrickungen in Deutschland ansässiger arabischer Terroristen in die Anschläge jetzt energisch für eine erleichterte und verstärkte Einwanderung fremder Ethnien plädiert.In dem islamistischen Ideologiegemisch aus Dschihad-Kultur, terroristischer Katharsis und irrationaler Religiosität, aus Blut, Glaube und Überzeugung, das von den Europäern und Amerikanern schon deshalb nicht verstanden wird, weil uns derartige Eigenarten des Patriarchalischen, Autoritären und Natavistischen völlig fremd geworden sind, liegt jedoch auch der Schlüssel zum Verständnis eines Triumphalismus, der verächtlich auf die Dekadenz der westlichen Kultur in diesem nihilistischen Jahrhundert, das vom Geistigen so tief abgekommen ist wie nie zuvor, herabblickt. So beurteilte beispielsweise der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann die Anschläge als »Angriff auf das marktwirtschaftliche und finanzwirtschaftliche System der freien Welt«, und in Mainz wurde bei der Interkulturellen Woche eine Diskussion zum Thema »Ist der Islam eine Alternative für den Westen? Probleme der multikulturellen Gesellschaft« mit der Begründung abgesagt, »angesichts der Terroranschläge könne dies jetzt nicht mehr in der ursprünglich beabsichtigten Weise erörtert werden«. Es ist dieser Materialismus, es ist diese Feigheit, es sind diese öffentlich erwünschten Denkverbote einer unseligen »political correctness« () und der laszive Umgang mit der Wahrheit, die die Unfähigkeit des Westens ausmachen, im Schatten der amerikanischen Ereignisse einen - bei aller notwendigen Distanz und Härte - rationalen Maßstab im Umgang mit der islamischen Welt zu finden.(Werner Olles, Vom Ende der Spaßgesellschaft: Die These vom Kampf der Kulturen droht sich zu bewahrheiten, in: Junge Freiheit, 21.09.2001).JUNGE FREIHEIT (26.10.2001):Viel ist jetzt vom Dialog der Kulturen« die Rede, auch vom »Krieg der Kulturen«. Was aber ist eine Kultur? Es hat sich da ein Klischee, eine Art Puppenstuben-Perspektive herausgebildet, derzufolge Kultur das sei, womit man das Leben ausstaffiert, es verschönt, ihm »Geschmack« verleiht. Wichtiger, »eigentlicher« als Kultur sei allemal »Zivilisation«, verstanden als das Insgesamt technisch-wissenschaftlicher Lebensprägung.Zivilisation sei primäre Welt, Arbeitswelt, wo Verträge abgeschlossen und Bürokratien aufgebaut werden, Kultur sei sekundäre Welt, Freizeitwelt, wo es weniger auf Verträge und Bürokratien als auf Volkstanz und Götterglauben ankomme. Kultur sei im Grunde »vormodern«, wer sich auf Kultur berufe, der habe den Prozeß der Zivilisierung, der Technifizierung und Modernisierung noch vor sich. Der »Krieg der Kulturen« sei im wesentlichen ein Krieg der Moderne gegen die Vormoderne.Auch Samuel Huntington, der zur Zeit so häufig zitierte amerikanische Spengler-Schüler (), huldigt - wenigstens partiell - diesem Denkschema. Für ihn ist Kultur »Traditionsbestand«, etwas, womit man zwar rechnen müsse, das dem einzelnen Individuum letztlich aber dennoch äußerlich sei, erwachsen aus regionalen Zufälligkeiten, aus Eigenheiten der Landschaft und des Klimas. Huntington möchte Oswald Spengler gewissermaßen mit Adam Smith und Montesquieu versöhnen, wie das früher schon einmal Arnold Toynbee () versucht hat, die Gestaltlehre mit der Klimaforschung.Ob das die richtige Wegweisung ist, um mit den neuen Herausforderungen zurechtzukommen? Oder müssen wir zurück zu Spengler selbst, dessen Kulturbegriff viel ausgedehnter und viel ernster war? Für den deutschen »Morphologen« war Kultur nie und nimmer ein Zusatz oder ein Beiwerk oder eine Akquisition, sondern die Sache am Ursprung, von der jede Menschenprägung ausging. Der Mensch, lehrte er, ist ein Naturwesen wie Pflanze und Tier, aber seine Natur, seine »Morphé«, seine Gestalt, ist eben die Kultur. Und so, wie jede Pflanze und jedes Tier ihre ganz spezifische Gestalt haben, so hat jeder Mensch seine spezifische Kultur.Alles, was innerhalb einer Gestalt wächst und sich entfaltet, entfaltet sich nach spezifischen Daseinsprinzipien und muß vorrangig aus der betreffenden Gestalt heraus interpretiert werden. Alles an einer Gestalt ist Geschichte und gehört in den Kontext dieser einmaligen Gestaltgeschichte. »Kultur« im populären Verständnis, also der bestimmte Lebensstil einer Gruppe, eines Stammes, eines Volkes, ist immer nur Kultur-»Kreis« um die Gestalt herum, ihre Aura, ihre Ausdünstung, wenn man will. Je enger der Kreis, um so kraftvoller die kulturelle Gestalt. Die primären Institute individueller Sozialisation, Familie, Stamm, Volk, sind in jedem Fall kulturhaltiger (und folglich lebenskräftiger) als die ferner stehenden Institute der Zivilisation wie Vertragswelt und Bürokratie.Natürlich berühren und durchdringen sich die einzelnen Kulturkreise, überlappen sich auch, räumlich wie zeitlich. Doch der aufmerksame Hermeneutiker wird stets eine kulturelle Kernzone ausmachen, die gestalthaft aus sich selbst lebt, die sich von außen allenfalls vernichten, nie aber grundlegend ummodeln läßt, die also eine fensterlose Monade im Sinne von Leibniz ist ().Jeder Kulturkreis ist ein Lebewesen, das geboren wird, Jugend, Hochblüte und Vergreisung durchmacht und schließlich stirbt. Die Zivilisation aber, wie sie sich vor allem in der Erreichung eines gewissen technisch-industriellen Niveaus ausdrückt, ist nicht, wie sich das Voltaire und andere Aufklärer dachten, Höhepunkt einer historischen Entwicklung, sondern bereits Abstieg, Vergreisung, Dekadenz.Höhepunkt einer Gestaltkultur und natürlich noch mehr ihre Jugend werden - Nietzsche () läßt grüßen - markiert durch eine gewisse antizivilisatorische Aggressivität, eine gewisse Ungehobeltheit, ein siegesgewiß polterndes Barbarentum, durch kecke Ausgriffe ins Unerwartete, Ungeregelte und Ungehörige. Die Pointe des berühmtesten Spenglerschen Buches, Der Untergang des Abendlandes von 1918, mit dem er Sensation machte, lag ja gerade darin, daß dem Abendland, der westlich-faustischen Industrie- und Demokratie-Zivilisation, vorgehalten wurde, daß es zu wenig gesundes Barbarentum verkörpere, daß es sich also auf dem absteigenden Ast befinde und bald von jüngeren Kulturkreisen an den Rand gedrängt und begraben werde. ...Wenn westliche PrognoStoiker in der Spur Francis Fukuyamas heute behaupten, die Weltgeschichte biege gerade in ihre Zielgerade ein und nähere sich mit Windeseile ihrer eigentlichen Bestimmung, nämlich dem amerikanischen Demokratie- und Wirtschaftsmodell, so genügt ja schon die simpelste Beobachtung der Tagespolitik, um solche Aussagen zu relativieren. Dazu war nicht einmal der 11. September 2001 nötig.Statt daß sich die Ströme und Gestalten der Geschichte zu einem einzigen Strom »Globalisierung« zusammenfinden, gewahren wir immer neue Kontraktionen und Individuationen, immer neue Gestalten und sich formierende Kulturkreise, und diese Gestalten und Kulturkreise scheinen keineswegs gewillt, unser westliches Zivilisationsmodell blindlings zu übernehmen oder auch nur als Generalvorbild zu akzeptieren. Im Gegenteil, das Kulturkreisdenken unterminiert zusehends das westliche Zivilisationsmodell, dem Internet und seinen weltweiten Infoströmen zum Trotz.Je lauter und insistenter sich die Fukuyamas bemerkbar machen, um so größer und bedrohlich-blindwütiger wird der Widerstand. Bescheidenheit, Höflichkeit, glaubhaft bezeugter Respekt vor den Gestalten und Kulturkreisen sind angesagt, auf allen Seiten, in möglichst allen Lebenslagen, auf allen Kanälen und Websites. Denn wie gesagt, das je Eigene der lebendigen Gestalten und Kulturen kann nicht umgemodelt und gleichgemacht werden, es kann höchstens vernichtet und dem Erdboden gleichgemacht werden. Und das will hoffentlich niemand.(Günter Zehm, Der Kern des Eigenen - Ausweitung der Kulturkreise: Zur Aktualität von Oswald Spenglers Prophezeiungen, in: Junge Freiheit, 26.10.2001).
JUNGE FREIHEIT (25.06.2004):Wenn Samuel Huntingtons Analyse vom »Kampf der Kulturen« richtig ist, dann ist der Westen (das Abendland, der Okzident) mehr als schlecht auf diesen Kampf vorbereitet. Führen wir uns einen Kernsatz der Huntingtonschen Analyse noch einmal vor Augen: »In der modernen Welt ist die Religion wirklich die zentrale Kraft, die die Menschen motiviert und mobilisiert ... Was letztlich zählt für die Menschen, ist nicht politische Ideologie oder ökonomisches Interesse. Glaubensüberzeugung und Familie, Blut und Glaubenslehre sind das, womit sich Menschen identifizieren und wofür sie kämpfen und sterben.«Wenn tatsächlich Glaubensüberzeugung, Familie und Blut die entscheidenden Parameter im Kampf der Kulturen sind, dann hat der Westen mit seinem Hedonismus und Utilitarismus, seiner Kultur des Wohlbefindens (Pleonexie) kaum eine Basis, um sich dem Expansionismus insbesondere des Islam entgegenzustellen. Denn die Auseinandersetzung mit den Glaubensinhalten einer anderen Kultur setzt immer eine eigene Glaubensüberzeugung voraus. Es stellt sich dabei die Frage, ob die säkularen Restwerte des westlichen Wohlbefindens (Zivilgesellschaft, Menschenrechte, Demokratie) die diskriminative und bestimmende Kraft einer Glaubensüberzeugung haben, um Gottesstaaten und Gotteskrieger Paroli bieten zu können. Die westliche Kultur steht dabei in einer Paradoxie, die andere weniger säkularisierte Kulturräume nicht haben: Will man die westliche Ethik des Wohlbefindens gegen Fundamentalismen anderer Kulturräume verteidigen, muß man genau diese Ethik des Wohlbefindens aufgeben. Die Ethik des Wohlbefindens ist tot, wenn man sie nicht verteidigt, sie ist aber ebenso zu Grabe zu tragen, wenn man sie verteidigen will! Der Einsatz der notwendigen Mittel zur Verteidigung macht die Suspendierung des Zweckes erforderlich.Bevor man sich der Frage hingibt, ob es einen Weg aus dieser Aporie gibt, wollen wir uns genauer mit dem Phänomen der Säkularisierung befassen und insbesondere die Ambivalenz dieses Phänomens untersuchen: Die These ist, daß die Säkularisierung in der westlichen Welt einerseits zu einem Großteil die Vormachtstellung der westlichen Zivilisation ermöglicht hat, andererseits aber auch ihre »Wehrlosigkeit« verursacht.Säkularisierung kann in einem ersten begrifflichen Zugriff als »Verweltlichung« verstanden werden. Im kanonischen Recht meint Säkularisation die Rückkehr eines Ordensangehörigen in den weltlichen Stand. Als Terminus technicus soll »secularisieren« zuerst in Münster gefallen sein, »und zwar während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden aus dem Munde des französischen Gesandten Longueville, der damit die zur Verhandlung stehende Liquidation geistlicher Herrschaft bezeichnete, der Stifte, Bistümer zum Opfer fielen«, so Herrmann Lübbe in seiner Schrift »Säkularisierung« aus dem Jahre 1965. Säkularisation stellt aber nicht nur einen unrechtmäßigen Raub von Kirchengütern dar, wie weiter die Lokalgeschichte Münsters zeigt.Die Gründung der Universität in Münster war mit einer Säkularisation verbunden, welche die Kirche aus eigenem Willen vollzog. Das adlige Benediktinerinnenkloster »Überwasser« wurde mit päpstlicher Genehmigung zur Urzelle der Münsterschen Universität. Der Primär-Begriff der Säkularisation ist also ursprünglich gegen das Urteil der Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit offen, so resümiert Herrmann Lübbe, erst im Gefolge der napoleonischen Kriege und Herrschaft galt Säkularisation in der katholischen Interpretation als unberechtigte Aufhebung geistlicher Institute und Einziehung von Kirchengütern durch den Staat. Erst viel später entkleidete sich der Säkularisations-Begriff dieser besonderen Bedeutung und wurde mehr oder weniger synonym mit »Verweltlichung« gebraucht. Seitdem bezeichnet er eine bestimmte Geisteshaltung, die die Welt und das Weltgeschehen zunehmend nicht mehr aus religiösen und transzendentalen, sondern aus innerweltlichen Bezugspunkten heraus erklärt. Dabei wurde Säkularisation zu einer soziologischen Prozeß-Kategorie und bezeichnet die zunehmende Abnahme der Bedeutung organisierter Religion als eines Mittels sozialer Kontrolle.Will man die eigene Ethik des Wohlbefindens gegen andere Weltanschauungen verteidigen, muß man genau diese Ethik des Wohlbefindens aufgeben. Deshalb ist der »Fundamentalismus« für den Westen so gefährlich.Von Anfang an ist dem Christentum eine so verstandene Säkularisierungstendenz inhärent: Denken wir an Jesus, der als Sohn Gottes Mensch geworden ist, denken wir an die Unterscheidung von civitas dei und civitas terrena ( die »Zweireichelehre«) bei Augustinus. Einerseits lebt der Christ im Reich Gottes, andererseits lebt der Christ in einer Welt, die Gott geschaffen hat, die jedoch in Schuld und Sünde gefallen ist. Denken wir an das Gottesgnadentum des Protestantismus wie bei Calvin formuliert (der weltliche Reichtum zeigt mir, ob Gott mir gnädig ist) oder an das »sola fides«-Prinzip bei Luther.In der 1520 verfaßten Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen« heißt es: »Überaus leichtlich zu merken ist, warum der Glaub so viel vermag und daß keine gute Werk ihm gleich sein mugen, Denn kein gut Werk hanget an dem gottlichen Wort, wie der Glaub, kann auch nit in den Seelen sein, sondern allein das Wort und Glaube regieren in den Seelen.« Wenn allein der Glauben zählt und nicht die Teilhabe an kollektiven, rituellen Handlungen, dann wird Religion verinnerlicht und transzendiert gleichermaßen. Die Welt wird freigesetzt und folgt eigenen Gesetzen, vielleicht noch in Gang gesetzt von Gott, dem »ersten Beweger«.Max Weber ist den Säkularisierungstendenzen in seiner berühmten Schrift »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« nachgegangen und kommt zu dem Schluß, daß die Religion sich durch eigene Rationalisierung selbst einen tragischen Untergang bereite. Nach Weber begründete der Protestantismus eine »innerweltliche Askese« und legte damit die Grundlage für die »ursprüngliche Akkumulation« des Kapitalismus. Weber schreibt wörtlich: »Die innerweltlich protestantische Askese - so können wir zusammenfassen - schnürte die Konsumption, speziell die Luxuskonsumption ein. Dagegen entlastete sie im psychologischen Effekt den Gütererwerb von den Hemmungen der traditionalistischen Ethik, sie sprengte die Fesseln des Gewinnstrebens, indem sie es nicht nur legalisierte, sondern direkt als gottgewollt ansah.« Speziell der Protestantismus habe dem »okzidentalen Rationalismus« die Starthilfe gegeben und werde, wenn die moderne säkularisierte Gesellschaft einmal etabliert ist, nicht länger in Anspruch genommen.Wie Pascal Bruckner in seinem Buch »Verdammt zum Glück« schreibt, wurde die Vorstellung von Glückseligkeit vom Christentum geprägt, doch diese im Himmel lokalisierte Glückseligkeit entfaltete eine irdische Kraft, die sich gegen das Christentum wenden mußte. »Das Motiv des Glücks ging aus dem Christentum hervor, doch entwickeln sollte es sich gegen dieses. Wie Hegel als erster bemerkt hatte, enthält diese Religion bereits alle Keime ihrer Überwindung und der Abkehr der Gläubigen.« Der aus dem Geist des Protestantismus geborene Kapitalismus »als die Herrschaft des Mittels geht hilflos an sich selbst zugrunde, weil uns alle Zwecke fehlen«, schreibt der junge Carl Schmitt in seinen Tagebüchern. »In der sündigen Welt des Kapitalismus vertauschen die Menschen die Vorzeichen des Lebens. Sie beten die Mittel an und haben die letzten Zwecke vergessen.«Auf der einen Seite begründete der in der westlichen Welt verankerte Säkularismus die technologische Überlegenheit gegenüber anderen Kulturräumen, als der Geist des Kapitalismus zu einer ungeheuren Entfesselung der Produktivkräfte führte. Oswald Spengler spricht vom »faustischen Charakter« der abendländischen Kultur, diese will alle Grenzen der Naturbeherrschung niederreißen und unter die Kontrolle des Menschen stellen. So ist es nicht verwunderlich, daß mit der Vormachtstellung des Bürgertums im Naturrecht und mit der Aufklärung alle Sozialbeziehungen rationalisiert werden und »more geometrico« der Natur die letzten Geheimnisse entrissen werden sollen. Die abendländische Säkularkultur zeichnet so ganz wesentlich verantwortlich für die technologische Überlegenheit des Okzidents.Auf der anderen Seite führte die okzidentale Entzauberung der Welt zu einer »Verdiesseitigung des Wohlbefindens«, transzendent begründete Werte und Normen verlieren - als Werteverlust oft diskutiert - ihre lebenspraktische Kraft und konvergieren zu materialen Restwerten des komfortablen Lebens. Menschen eines solchermaßen säkularisierten Kulturraumes sind nur in extremen Ausnahmefällen bereit, für eine Idee ihr Leben einzusetzen, weil das Leben hier und jetzt ja den höchsten Wert darstellt. Und genau diese Einstellung markiert die differentia specifica zu den Gotteskriegern des Islam. Für sie ist es ein Fest, ihr irdisches Leben für die Idee des Islam hinzugeben, um durch die für sie heroische Tat belohnt mit 72 Jungfrauen ins Paradies einzugehen. In einer Säkularkultur, in der nichts mehr zählt als ebendieses irdische Leben, kann eine solche religiös motivierte Einstellung nur auf Unverständnis stoßen. Aber genau diese materialistische, säkulare Grundhaltung der westlichen Zivilisation markiert ihre schwache Seite.Auch wenn der Westen seine volle technologische Überlegenheit ausspielt und weiter in arabische Länder einmarschiert, entstehen mit jedem territorialen Sieg neue Gotteskrieger, die mit ihrer Terrordrohung genau den Nerv des westlichen Hedonismus treffen. Es wird zum Risiko, bequem zu leben: Massenveranstaltungen zu besuchen, Flugreisen in ferne Länder zu unternehmen, überhaupt liberalen, unkomplizierten, weltoffenen Umgang untereinander zu pflegen. Die »offene Gesellschaft«, conditio sine qua non der »leisure-Kultur«, steht auf dem Spiel.Säkularisierung bedeutet, wie von Niklas Luhmann in seinem Aufsatz »Das Medium der Religion« dargelegt, »daß religiöse Kommunikation nicht mehr verlangt wird und Teilnahme an Religion nicht mehr zur Voraussetzung der Teilnahme an anderen Funktionssystemen gemacht werden kann«. Dabei gilt es festzuhalten, daß in anderen Kulturräumen eine solche Entkopplung des Religionssystems von anderen Funktionssystemen (wie Politik, Ökonomie, Erziehung, Wissenschaft etc.) in diesem Ausmaß nicht üblich ist.Auch wenn der Westen seine volle technologische Überlegenheit ausspielt und weiter in arabische Länder einmarschiert, entstehen immer wieder neue Gotteskrieger, die auf unsere Achillesferse zielen.Man kann das als Evolutionsgewinn von funktionaler Differenzierung in westlich modernen Gesellschaften sehen. Fundamentalismus auf der anderen Seite bedeutet, daß die Partizipation des Einzelnen an religiöser Kommunikation die Voraussetzung für die Integration in andere Funktionssysteme wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft darstellt. Religion hat sich bei fundamentalistisch strukturierten Gesellschaften gegenüber anderen Funktionssystemen nur unzureichend funktional ausdifferenziert, sie »überdeterminiert« das Prozessieren anderer gesellschaftlicher Systeme. Diese Situation erinnert an mittelalterliche Verhältnisse in Europa, als die einzelnen gesellschaftlichen Teilbereiche und wissenschaftlichen Disziplinen sich nur als »Magd der Theologie« profilieren konnten. Galilei mußte widerrufen, das ptolemäische Weltbild galt auf Geheiß der Religionsführer weiter, die Wissenschaft war noch nicht »selbstreferentiell«.Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob eine »Ent-Säkularisation«, eine »Re-Sakralisierung« insbesondere Europas dem Westen wieder die Kraft geben könnte, im Kampf der Kulturen besser zu bestehen. Solche Versuche haben Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das europäische Unglück als Konsequenz des Jahrhunderts ohne Gott angesehen, so bei Alfred Müller-Armack. Er will den Säkularisierungsvorgang durch eine Reaktivierung der »bewahrenden Macht« rückgängig machen, die für »alle europäischen Völker in der Glaubenstradition des Christentums beschlossen liegt«. Diese Einheit Europas im Christentum, so Müller-Armack im Jahre 1948, werde künftig mehr bedeuten als dessen konfessionelle Differenzierung.Problematisch an solchen Positionen, die heute ja wieder vielfach vertreten werden, ist die Tatsache, daß Glaube nicht dekretiert werden kann (schon gar nicht politisch). Glaube wächst zu, vielleicht verstärkt in schlechten Zeiten. Auch sollte bedacht werden, daß Glaube, so wie wir ihn mit einem individualistischen Zug in christlicher und besonders protestantischer Tradition verstehen, auf säkulare Institutionen wie den Staat angewiesen ist. In den Worten von Herrmann Lübbe: »Es ist die Sprache des Mangels an Einsicht, daß Glaube und Kirche gegen die Gewalt- und Rechthaberei totalitärer Mächte heute einzig bei den säkular definierten Freiheitsrechten, die der säkularisierte Staat garantiert, geschützt sind.«Vor allen tagespolitischen Auseinandersetzungen müssen wir uns vor Augen führen, daß der »clash of civilizations« auch im Zusammenhang mit Globalisierungserscheinungen zu interpretieren ist. Mit der fortschreitenden kommunikationstechnischen und ökonomischen Globalisierung, die ja auch die arabischen Staaten erfaßt hat, setzt in diesen Ländern ebenfalls ein »Säkularisierungsschub« ein. Teile der Bevölkerung wehren sich gegen die sich aufbauenden neuen Welten im eigenen Lande durch traditionalistische Orientierung und religiösen Fanatismus. Die Islamwissenschaftlerin Sonja Hegasy vom Zentrum Moderner Orient in Berlin spricht von einer »arabischen Depression« angesichts der westlichen Demütigungen von Napoleon bis Bush.Auch ohne den dezidierten Kampf der Amerikaner gegen Terrorismus und »Schurkenstaaten« gibt es aus internen Gründen der Ablehnung und Angst vor diesen Entwicklungen bei Teilen der Bevölkerung eine »hausgemachte« Radikalisierung. Die kulturunsensible Machtpolitik der Amerikaner setzt dieser Entwicklung nur die Krone auf. Der Westen muß verstehen lernen, daß die Menschen anderer Kulturräume sehr viel stärker traditionalistisch gebunden und Versatzstücke der westlichen Säkularkultur nicht ohne Widerstand in bestehende, jahrhundertealte Kulturen zu implantieren sind. Globalisierungseffekte produzieren in säkularisierten Gesellschaften weniger dramatische Auswirkungen und Reaktionen als in vorwiegend traditionalistisch strukturierten Gesellschaften.Auf alle Fälle müssen wir uns zuerst mit dem Gedanken vertraut machen, daß der Westen mit seinem Säkularismus eine Sonderstellung innehat. Wir sind die Ausnahme und der Sonderling und nicht die anderen Kulturräume, die fast allesamt (noch oder wieder) transzendental und religiös begründete Normen und Werte des Alltags verteidigen. Eine globalisierte Welt nach westlichem Zuschnitt ist so eine große Illusion, und im »Kampf der Kulturen« ist noch nichts entschieden.(Jost Bauch, Die Hedonimus-Falle, in: Junge Freiheit, 25.06.2004).KULTURWELTSPIEGEL (25.07.2004):Elf Jahre ist es her, seit Samuel Huntington mit seiner Studie »The Clash of Civilizations« eine weltweite Debatte auslöste. Der 1993 in der renommierten Zeitschrift »Foreign Affairs« veröffentlichte Artikel bildete die Grundlage für das gleichnamige Buch, mit dem der Harvard-Professor 1996 für Furore sorgte. (). Seine Zukunftsvision vom »Kampf der Kulturen« ... erlebte nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erneut Hochkonjunktur. Huntingtons Studie wurde als weitsichtige Prognose zitiert. Der Autor selbst allerdings relativierte die Übertragbarkeit seiner Thesen auf das aktuelle Bedrohungsszenarium, indem er die Anschläge nicht als Ausdruck eines »clash of civilizations« betrachtete, sondern als Angriff »gemeiner Barbaren gegen die Zivilisation als solche«. Nun hat der streitbare Politikberater einen Kulturkampf innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft ausgemacht. In seinem Buch »Who Are We ?« (2004) fragt er nach der nationalen Identität der Amerikaner und kommt zu dem Schluß, daß die ungebrochene Einwanderungswelle vor allem aus Mexiko eine der größten Gefahren für die amerikanische Nation darstellt. Das Buch, das in den USA heftige Diskussionen ausgelöst hat, erscheint am 12. August 2004 in deutscher Übersetzung ... - Das Buch: Vom Schmelztiegel zur Festung - Die US-amerikanische Nation läuft Gefahr, ihre Identität zu verlieren. Davon jedenfalls ist der konservative Politologe Samuel P. Huntington überzeugt. Vor allem die Einwanderung aus den lateinamerikanischen Ländern, an erster Stelle aus Mexiko, bedrohe die US-amerikanische Gesellschaft. »Noch nie drohte der Bevölkerungsanteil einer fremdsprachigen Minderheit im Land die anglo-protestantische Kernkultur der USA zu dominieren. Das wird eines der ganz großen Probleme für die USA im 21. Jahrhundert werden.« Seine Thesen untermauert Huntington mit Statistiken und soziologischen Beobachtungen. Danach werde im Jahr 2040 fast jeder zweite Bewohner Kaliforniens ein Latino sein. Schon jetzt würden in Miami Anglos, die nicht spanisch sprechen, als Bürger zweiter Klasse gelten. Das größte Problem der - überwiegend illegalen - Einwanderung sieht Huntington darin, daß die Latinos nicht integrationsfähig seien. Sie weigerten sich, Englisch zu lernen, und schotteten sich in kulturellen Ghettos ab. Vor allem die Mexikaner blieben wegen der unmittelbaren Nachbarschaft ihrer alten Heimat eng verbunden und hielten an einem Wertesystem fest, das mit dem »American Dream« unvereinbar sei. Im Südwesten des Landes forcierten sie eine Rückeroberung jener Gebiete, die Mexiko 1848 an die USA abtreten mußte. (). Ein ungebremster Zustrom und die hohe Geburtenrate der Latinos führe langfristig zur Hispanisierung von Städten und Regionen und damit zu einer Spaltung des Landes, die das »Ende des Amerika, das wir ... kennen«, bedeute. »Die USA sind wie eine Tomatensuppe. Sie haben in ihrer Geschichte viele fremde Zutaten aufgenommen, Gewürze, Gemüse. Aber es bleibt doch immer eine Tomatensuppe.« Tatsächlich ist ein Wandel der US-amerikanischen Gesellschaftsstruktur nicht zu bestreiten. Seit 2002 bilden die Latinos die größte ethnische Minderheit. Sie verfügen über eigene Zeitungen und Rundfunkstationen. Kein Wunder, daß Spanisch zunehmend an Bedeutung gewinnt. Manche Gebiete in Süd-Kalifornien und Florida gelten inzwischen als zweisprachig. Huntington spricht von »Latino-Ghettos«, in denen sich »Weiße wie Ausländer fühlen«, und drängt darauf, »die Grenze nach Mexiko noch viel strenger zu überwachen, damit der massenhafte Zustrom illegaler Einwanderer beendet wird«. Seine provokant-patriotische Zuspitzung der Fakten hat in den USA für einen Sturm der Entrüstung gesorgt. Zumal in einem Wahljahr ist die Einwanderungspolitik ein heißes Eisen. Mit seinen Thesen leiste Huntington dem Isolationismus, der Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung Vorschub, lautet der Vorwurf seiner Kritiker. Carlos Fuentes, der wohl berühmteste Schriftsteller von Mexiko, nannte Huntington gar einen »maskierten Rassisten«. Seine »Phantasien« seien »Schwarzmalerei, die den Bedürfnissen gewisser Nordamerikaner nach einem zuverlässigen Feind entgegenkommen«. (). - Samuel P. Huntington wurde 1927 in New York City geboren. Seine akademische Laufbahn begann er 1950 als Dozent an der Harvard-Universität. Er ist Professor für Politikwissenschaft und seit 1989 Leiter des »John-M.-Olin-Instituts für Strategische Studien« in Harvard. Darüber hinaus arbeitet der Mitbegründer der Zeitschrift »Foreign Affairs« als Berater des US-Außenministeriums. Von 1977 bis 1978 gehörte er dem Nationalen Sicherheitsrat als Koordinator an. 1985 wurde er an das »Institute for Defense Analysis« berufen. Zu seinen wichtigsten Forschungsgebieten gehören Fragen der internationalen Sicherheitspolitik sowie die Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Strukturen und der Außenpolitik. Huntington veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Artikel und knapp ein Dutzend Bücher wie »The Soldier and the State« und »American Politics«. »The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order« wurde in 26 Sprachen übersetzt.(Kulturweltspiegel, 25.07.2004).
DIE WELT (05.10.2004):Huntington ist kein Prophet. Der gebürtige New Yorker mit eigensinnigem Südstaaten-Slang mag vom Ansturm seiner eigenen Gedanken in Unruhe versetzt worden sein. - Es gibt Wissenschaftler, denen es gelingt, mit einem Bild, einem Slogan, in die Bücher der Geschichte einzugehen. George F. Kennan war so ein Mann, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Begriff der »Eindämmung« dem Kalten Krieg seine auch moralische Stoßrichtung gab. (). Und Francis Fukuyama gehört dazu, der kurz nach 1989 mit seiner Rede vom »Ende der Geschichte« für Furore sorgte. (). Und noch einem gebührt die Ehre der perfekten Parole: dem Harvard-Professor Samuel P. Huntington, der 1993 mit seinem Aufsatz »The Clash of Civilizations« () - veröffentlicht wie auch die beiden vorher Erwähnten in »Foreign Affairs« - alle Rekorde brach. Den dreien ist gemein, daß sie Amerikaner sind, Ostküstenintellektuelle dazu, eine Minderheit im eigenen Land, das sich oft selbst genügt in seinem Facettenreichtum und doch immer wieder in Krisensituationen über die Ferne und Fremdheit des Restes der Welt erschrickt. Diese Welt wiederum in griffigen Formeln zu denken und sie dem amerikanischen Blick einzugemeinden scheint eine besondere Kunst. Während Francis Fukuyama seit der Rückkehr der Bürgerkriege der neunziger Jahre damit beschäftigt ist, seine These dahingehend zu »modernisieren«, daß er mißverstanden worden sei und eigentlich den Sieg der Modernität habe markieren wollen, ist der kleine, unscheinbare Samuel P. Huntington auf dem Zenit seiner Wirkmacht angelangt. Was wäre der 11. September () anderes gewesen als der Beweis seiner These vom Zusammenprall der Kulturen? Die, die ihn in den 1990ern gar des Kulturpessimismus und der groben Vereinfachung ziehen, stehen heute zu Hunderten Schlange, um ihn in Interviews und »sound bites« zu pressen, um Worte von ihm, dem übrig gebliebenen Propheten, zu vernehmen. Worte, vor denen er Angst hat wie der Tormann vorm Elfmeter: »Es ist Krieg zwischen der christlichen und der islamischen Welt.« Den Gefallen tut uns der Meister nicht. Es muß eine innere Genugtuung sein, so gefragt zu sein, ja, auch die Honorare winken. Von einem Kongreß zum anderen eilt der kleine Mann in diesen Tagen, so wie all die anderen »Herren Callgirls« (Arthur Koestler), die von Konferenz zu Konferenz sprinten, jene globalen intellektuellen Vorturner. So führt ihn sein Weg auch nach Berlin, auf einen internationalen PR-Kongreß, dessen viel sagender Titel lautet: »Managing global diversity - die globale Vielfalt gestalten.« Managen wie einen Betrieb? Gestalten ? Ja, hier regiert der blanke Optimismus, der fast missionarische Glaube an die Kraft des Marktes und der Kommunikation. Dort tritt der Handlungsreisende in Sachen Kulturkonflikte vor »Davos-Menschen« auf. (). Mit ihm übrigens auch Bischof Pierfranco Pastore aus Vatikan-Stadt: ein weiteres Novum dieses ambitionierten Unterfangens, denn auch hier reiben sich schon Welten aneinander. (Pastore übrigens versucht sich in Globalisierungsthesen, die nicht einmal im Ansatz Reflektionen zu Religion oder Kultur enthalten, sondern auch der Feder eines »weltlichen« Grünen entstammen könnten.) Huntingtons Vorstellung: Ausgestattet mit einem Overhead-Projektor, einem schlechten Mikrofon und einer gehörigen Portion Selbstironie (auch dies gehört zu den zivilisatorischen Errungenschaften der Moderne!), versucht er, seine Thesen im Schnellgang unter die Leute zu bringen: Die Welt zerfällt in sieben Kulturkreise (??), deren Modernisierungsprozesse nicht unbedingt in einer Verwestlichung enden - da habe »mein Freund Francis« einfach nicht Recht gehabt. Es wird eben kein »Friede, Freude, Globalisierung« geben, sondern Religion und Tradition führten gerade in Modernisierungsprozessen zu Friktionen (), ja auch zum Zusammenprall, zwischen und innerhalb der Kulturkreise. »Bin Laden will diesen Krieg.« Und wir? Huntington ist kein Prophet. Der 1927 Geborene, ein gebürtiger New Yorker mit eigensinnigem Südstaaten-Slang, mag vom Ansturm seiner eigenen Gedanken in Unruhe versetzt worden sein. Und doch, da ist Licht! Soll er der Oswald Spengler Amerikas sein? (). Niemals liefert das, was heute geschieht, uns einem Fatum aus. Samuel P. Huntington wird vor unser aller Augen zum Antifatalisten. Er ist eben Amerikaner. Angesichts all der schrecklichen Geschehnisse mit offenem Ausgang ist er der Hoffende: »Managing«, klingt es nicht bei genauerem Hinhören auch danach, etwas »in den Griff zu bekommen«, »damit schon fertig zu werden«, es zu »bewältigen«, auch im teleologischen Sinne? »Danke, Sam, für diese Erleuchtung«, lauten die Schlußworte des Moderators.(Die Welt, 05.10.2004).
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (07.10.2004):Samuel Huntington wirft die Frage auf nach dem Zusammenhalt der Vereinigten Staaten. So nachdrücklich und pessimistisch, wie der angesehene ... Politologe es tut, ist dies wohl schon lange nicht mehr diskutiert worden. Huntington ist der Ansicht, daß die Vereinigten Staaten noch immer eine junge Nation sind und deswegen den Risiken besonderer Fragilität ausgesetzt sind. Auf der anderen Seite haben sie seit ihrer Gründung trotz aller Fährnisse, die von den ständigen Immigrationsströmen ausgingen, einen erstaunlichen Weg zu einer in sich gefestigten Nation durchmessen, so daß sie heute - im Zeichen der globalen Erosion nationaler Identität - die moderne Nation mit dem schärfsten nationalen Profil sind. Die Behauptung einer drohenden Identitätsschwäche hat also starke Gegengewichte sowohl in der (us-)amerikanischen Geschichte wie in der jüngsten Vergangenheit. Huntingtons Zweifel über die Zukunft der (us-)amerikanischen Identität beruhen auf Entwicklungen der letzten dreißig bis vierzig Jahre. Eine Bedrohung sieht er vor allem in der fortschreitenden Hispanisierung des (us-)amerikanischen Südens, für die es in der Geschichte der Vereinigten Staaten keine Parallelen gibt. Die weitgehend illegale und nur ex post legalisierte Einwanderung zeichnet sich dadurch aus, daß sie ein großes, nach und nach mehrheitlich von den Immigranten aus Mexiko bewohntes Territorium vereinnahmt. Eine weitere Besonderheit ist, daß die Beziehungen der mexikanischen Einwanderer zu ihrem Herkunftsland enger und intensiver sind als zu ihrer neuen Heimat außerhalb ihrer Region. Man spricht schon heute von »MexAmerica« oder »Mexifornia«. Huntington macht sich die Prognose zu eigen, daß sich die in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts eroberten Gebiete () um 2080 mit dem Norden Mexikos zu einem neuen Staat »Republica del Norte« zusammenschließen werden. Indem vor allem die Mexikaner räumlich und sprachlich unter sich bleiben, unterlaufen sie das traditionelle Integrationsmuster der Assimilation, das die Herkunftsidentität nur so weit bewahrte, als sie mit dem Bekenntnis zu den Vereinigten Staaten vereinbar war. Die (us-)amerikanische Identitätskonstruktion ist jedoch heute, wie Huntington mit einer Fülle von Belegen nachweisen will, auch in anderen Teilen des Landes nicht mehr intakt. Erst die Gleichzeitigkeit der hispanischen Einwanderung mit einer Schwächung der Identität durch die Ideologie des Multikulturalismus hat den Autor zu der besorgten Titelfrage seines Buches veranlaßt: »Who are we?« (2004). Auch wenn irgendwann mit dem Ende der illegalen Einwanderung über die Südgrenze der Vereinigten Staaten zu rechnen wäre, könnte man trotzdem keine Stabilisierung in den Bahnen der herkömmlichen Prozesse der Identitätsbildung erwarten. Mit einer Normalisierung der Lage rechnet er auch deswegen nicht, weil die (us-)amerikanische Identität seiner Ansicht nach heute weniger von außen als durch innere Aushöhlung gefährdet ist. Die Herausforderung im Süden hat Huntingtons Blick für die Schwächen der (us-)amerikanischen Identität geschärft. Man kann sogar fragen, ob der Begriff »Identität«, so elastisch Huntington ihn auch handhabt, überhaupt noch auf die mentale Verfassung zumindest der (us-)amerikanischen Elite angewandt werden kann, seitdem in diesen Kreisen der Multikulturalismus zur herrschenden Ideologie geworden ist. Bill Clinton ist als erster (us-)amerikanischer Präsident mit einem multikulturellen Glaubensbekenntnis hervorgetreten. Ausdrücklich begrüßte er auch Amerikas Ablösung von dem europäischen kulturellen Erbe. Diese Tendenz wird drastisch durch Vorschläge illustriert, die auf der Dollarnote abgebildete Devise »E pluribus unum« umzukehren und aus der Einheit eine Vielheit hervorgehen zu lassen. ... Am Ende, befürchtet Huntington, könnte eine Aufspaltung der Nation stehen in verunsicherte Anhänger des (us-)amerikanischen Credos auf der einen Seite und selbstbewußte Vertreter von Minderheiten auf der anderen, die ihre persönliche Identität ausschließlich aus rassischer und ethnischer Eigenart beziehen, ohne eine übergreifende Identität zu brauchen. Man würde Huntington Unrecht tun, wenn man ihm eine zu starre Auffassung von Identität vorhielte. Vielmehr zeigt er eindrucksvoll, welche Wandlungen die (us-)amerikanische Identität seit der Gründung des Landes durchgemacht hat ...(F.A.Z., 07.10.2004).Ich sehe nicht, wie man Haltung
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