Im
Schatten des griechisch-römischen Kulturerbes, dem sich Europa zusehends
entfremdet, klingt die These des (us-)amerikanischen
Professors Francis Fukuyama vom »Ende der Geschichte« wie ein törichter
Frevel. Das schrieb Peter Scholl-Latour 2004! ( ).
Nicht Demokratie und Marktwirtschaft haben sich inzwischen weltweit und
segensreich ausgeweitet, sondern der Terrorismus wurde »globalisiert«
( ),
und seine blinde Bekämpfung trägt nachdrücklich dazu bei.
( ).
Fukuyamas Ende der Geschichte und Huntingtons Kampf der Kulturen
( )
sind nicht zufällig diametral entgegengesetzte Thesen. Fukuyamas These war
von Anfang an absurd. Die weltweite Ausbreitung der parlamentarischen Demokratie
us-amerikanischen Modells und einer ungehemmten Marktwirtschaft würden der
Menschheit einen endgültigen Zustand des Wohlergehens und der Harmonie bescheren.
( ).
Damit würde der Schlußstrich gezogen unter die veralteten Antagonismen.
So etwa läßt sich Fukuyamas Vorstellung vom »End of History«
resümieren, meint Peter Scholl-Latour, der außerdem noch bemerkt,
daß Peter Sloterdijk den Satz prägte: »Durch Nation
Building bekommt man bestenfalls demokratisch kaschierte Diktaturen mit Marktwirtschaft«.
Ich hätte hinzugefügt: im Dienste der Marktwirtschaft. ( ).
Jedenfalls wurde Fukuyamas Vision durch den Gang der Ereignisse längst
widerlegt. An deren Stelle hat sich eine andere Philosophie bei den »Neo-Cons«
durchgesetzt, die sich auf den aus Deutschland emigrierten jüdischen Lehrmeister
Leo Strauss bezieht. Darüber ist inzwischen viel geschrieben worden. Es besteht
nämlich ein flagranter Widerspruch zwischen den elitären Ansprüchen,
die der Professor aufzeichnet, und der einfaltigen, trivialen Bibelgläubigkeit
des gewöhnlichen Evangelikaners. Bei einem gesellschaftlichen
Treffen ... bin ich auf Walter Miller gestoßen, den Mitarbeiter einer jener
großen us-amerikanischen Institute, die sich mit Meinungsforschung und Meinungsbeeinflussung
beschäftigen. Miller gab sich ganz offen als Anhänger der neokonservativen
Schule zu erkennen und ließ sogar den Bezug auf Leo Strauss gelten. Er ...
vertrat einen theologisch anmutenden Eifer beim Vortrag seiner Überzeugungen,
wie er bei Konvertiten oft anzutreffen ist.»Was bedeutet
denn eigentlich die neokonservative Doktrin?« fragte ich ihn rundheraus.
Das war offenbar gar nicht so einfach zu erklären. Als Vorläufer wurden
mir sowohl Theodore Roosevelt als auch Woodrow Wilson genannt, obwohl mir die
beiden Präsidenten der USA bislang als extrem unterschiedliche Typen erschienen
waren. Theodore Roosevelt, der 1898 für den Krieg gegen Spanien plädiert
hatte, der ohne Umschweife Kuba und die Philippinen der amerikanischen Einflußzone
einverleibte, hatte sich als »Rough Rider« einen Namen gemacht. Er
ist als imperial veranlagter Realpolitiker in die Geschichte eingegangen. Die
heutige US-Administration, die viel zu oft und viel zu dröhnend mit ihren
Erklärungen herauskommt, täte gut daran, sich den ersten Teil der außenpolitischen
Maxime Theodore Roosevelts zu Herzen zu nehmen: »Speak softly and carry
a big stick - sprich leise, und habe stets einen dicken Knüppel zur Hand
!« Woodrow Wilson hingegen, der die Vereinigten Staaten 1917 in die Koalition
gegen Deutschland einbrachte, war - daran gemessen - ein versponnener Moralist.
Aber auch er träumte, vielleicht in umfassenderem Maße noch als Teddy
Roosevelt, von einer universalen Mission der USA. Seine Abkehr vom überlieferten
Isolationismus Amerikas begründete er mit einem weltverbesserischen, utopischen
Anspruch, der sich auf die Grundprinzipien von »God's Own Country«
berief. Wilson hatte sein Programm in vierzehn Punkten niedergelegt, was den damaligen
französischen Regierungschef Georges Clemenceau zu der spöttischen Äußerung
veranlaßte, Gott selbst habe sich doch mit nur zehn Geboten zufriedengegeben.
Auf Betreiben dieses kontaktarmen Idealisten wurde der Völkerbund gegründet,
dem die USA - was bezeichnend ist für das Scheitern der damaligen Politik
- niemals beitrat. (Peter Scholl-Latour, Weltmacht im Treibsand,
2004, S. 52-53 ).Der
Clan der US-Neokonservativen stützt sich, so vermutet Scholl-Latour, auf
ein Gedankengut, das bei den »alten Europäern« ( )
ein gewisses Unbehagen verursacht. Während die Religion im protestantischen
Selbstverständnis der us-amerikanischen Frömmigkeit die unentbehrliche
Grundlage für den Zusammenhalt des Staates ist, ja gelegentlich als »unerläßliches
Opium« für das Volk bezeichnet wird, bewegt sich die erlauchte Führungselite
auf einem ganz anderen Niveau. Ihr Anspruch läuft nicht darauf hinaus, der
Masse der Bürger eine wirklichkeitsbezogene Wahrheit zu vermitteln, sondern
sie kann auf »fromme Lügen« zurückgreifen. Die Manipulation
der öffentlichen Meinung wird damit zur Regierungsdoktrin erhoben. Diesem
Schema entspricht wohl die systematische Desinformationspolitik, deren sich die
Bush-Administration gegenüber der eigenen Bevölkerung und den engsten
Verbündeten bedient. Auf Plato ( )
und auf Nietzsche ( )
beziehen sich angeblich Theorie und Praxis der »Neo-Cons«, und damit
kommen düstere Erinnerungen hoch. Den Streit zwischen diesen neuen »maltres-penseurs«
und den als unpatriotisch abgestempelten »Liberalen« alten Schlages
verglich ich beim Gespräch mit dem endlosen Disput, den im »Zauberberg«
( )
der jüdische Jesuit Naphta mit dem italienischen »Progressisten«
Settembrini führt. Aber Walter Miller ( )
hat Thomas Mann nicht gelesen. Er gab mir hingegen den Rat, zum besseren Verständnis
der neuen Mentalität Amerikas einen Essay zu beachten, den der bekannte Journalist
Robert D. Kaplan in »The Atlantic Monthly« veröffentlicht hat
und der in Deutschland von der »Welt« übernommen wurde. Das Gespräch
mit Miller war trotz unserer unterschiedlichen Meinungen höflich und zivilisiert
verlaufen, ähnlich übrigens wie meine anderen gelegentlichen Kontakte
mit engagierten amerikanischen Anhängern der »Bush-Doktrin«.
( ).
Unter anderem heißt es bei R. D. Kaplan: »Da Kriege immer unkonventioneller
und asymmetrischer werden und das Überraschungsmoment immer mehr an Bedeutung
gewinnt, wird immer weniger Zeit für demokratische Beratungen sein, weder
mit dem Kongreß noch mit den Vereinten Nationen. Statt dessen werden die
zivil-militärischen Eliten in Washington und anderswo blitzschnelle Entscheidungen
fällen müssen. Unter solchen Umständen wird die Zustimmung der
internationalen Gemeinschaft allmählich an Bedeutung verlieren, selbst wenn
alle feierlich das Gegenteil behaupten.« Das Vorgehen der USA auf den Philippinen
nach ihrem Sieg über Spanien im Jahr 1898 wird von Kaplan als »eine
der erfolgreichsten Niederschlagungen eines Aufstandes durch eine westliche Macht
in moderner Zeit« gewertet. Weiß der Autor, daß die US Marines
damals unter General Pershing, »Blackjack« genannt, hundertfünfzigtausend
überwiegend muslimische Filipinos massakrierten mit dem Ergebnis, daß
die Rebellion dieser »Moros« bis auf den heutigen Tag andauert?
Ich zähle weitere Grundsätze der neokonservativen Ideologie auf: »Weil
die Folgen eines Angriffs von Massenvernichtungswaffen so katastrophal sind«,
schreibt Kaplan, »werden die Vereinigten Staaten immer wieder einmal trotz
eingeschränkter Erkenntnislage zu Präventivschlägen gezwungen sein.
Dadurch sind unsere Aktionen den Angriffen der Journalisten ausgesetzt, ganz zu
schweigen von Millionen Demonstranten, die ihre Proteste in wachsendem Maße
weltweit koordinieren können. .... Die beste Informationsstrategie besteht
ohnehin darin, Konfrontationen zu vermeiden, die die öffentliche Aufmerksamkeit
auf sich ziehen, und das Interesse der Öffentlichkeit möglichst weit
zu streuen. Wir können die Welt nur in aller Stille beherrschen, sozusagen
bei ausgeschalteter Kamera. Militärische Auseinandersetzungen in Kolumbien,
auf den Philippinen, Nepal und anderen Orten könnten sehr wohl insgeheim
stattfinden.« Wir nähern uns dem Höhepunkt. »Der Imperialismus
in der Antike war eine Spielart des Isolationismus: Der Anspruch auf absolute
Sicherheit im eigenen Land führte zu dem Versuch, die Welt um sich herum
zu dominieren. Dieses Modell eines heidnisch-römischen Imperialismus steht
im scharfen Gegensatz zum altruistischen victorianischen Beispiel, das sich etwa
im Ausspruch von Premierminister William Gladstone zeigt, nach dem die »Unantastbarkeit
des Lebens in den Bergdörfern Afghanistans« geachtet werden müsse.
Wir Amerikaner sind von Natur aus große Idealisten. Und doch sind wir zugleich
im Interesse der nationalen Sicherheit gezwungen, unsere Außenpolitik heidnischer
zu gestalten.« ( ).
Mehr dazu:  Man
darf übrigens auch nicht vergessen, daß unter den modernen Ländern
die USA das einzige Land sind, das bis heute nicht den Weg in den Vorsorge- und
Versicherungsstaat eingeschlagen hat, und zwar mit dem Effekt, daß
in ihnen die Religion, allgemeiner gesprochen, die »fundamentalistische
Disposition«, eine für die Moderne atypische Bedeutsamkeit behielt
.... ( ).
Weil die USA die modernen Religionsauflösungen nicht mitgemacht haben und
auch ihren Bürgern nie die Schußwaffen abgenommen haben, folgert Peter
Sloterdijk, so bleiben für sie Immunität und Sicherheit in erster Linie
Konstruktionen, die im Imaginären der Einzelnen vollzogen werden müssen.Seit
die zunehmenden Massen us-amerikanischer Gläubiger sich eine sektiererisch
intolerante Auslegung der Heiligen Schrift zu eigen machen, der »Bible Belt«
sich erweitert, die Gottesdienste sich immer häufiger in ekstatische Happenings
verwandeln, steht George W. Bush - über die traditionelle Gefolgschaft der
»Grand Old Party« hinaus - eine neue, begeisterte Gefolgschaft zur
Verfügung. Die christlichen »Gotteskrieger« haben die Tragödie
von »Nine Eleven« ( )
als Vorboten der Apokalypse gedeutet ( ).
.... Präsident Bush kann sich mit Fug und Recht der traditionellen »WASP«
zurechnen, »White, Anglo-Saxon, Protestant« (  ).
Aber jede Rassendiskriminierung, das muß zu seiner Ehre betont werden, ist
ihm fremd. Unter seinen allerengsten Mitarbeitern befindet sich eine Anzahl Afroamerikaner.
Den eben eingebürgerten Neu-Amerikanern - vorzugsweise den »Latinos«
- begegnet er mit Wohlwollen und Sympathie. Die Streitkräfte der USA haben
überaus positiv zur Integration der unterschiedlichsten Immigranten beigetragen,
denen die höchsten Kommandostellen offenstehen. ( ).
Doch nun zum Kern der Bush-Doktrin:Den Kern
der Bush-Doktrin bilden die Postulate der Neokonservativen. (Vgl. auch: Paul Krugman,
New York Times). Es läuft wohl nicht alles nach Plan, seit die
imperialen Projekte im Treibsand der syrischen Wüste steckenblieben. »Dieses
sind harte Zeiten für die Architekten der Bush-Doktrin des Unilateralismus
und des vorbeugenden Krieges«, schreibt Krugman. Dick Cheney, Donald Rumsfeld
und deren Gefolge, die ein neues (us-)amerikanisches
Jahrhundert predigen, betrachten den Irak als ein Pilotprojekt, das ihre Sicht
der Dinge bestätigen und den Weg frei machen würde für zusätzliche
Regime-Wechsel. .... Paul Wolfowitz nahm die Vergabe von Wiederaufbaukontrakten
im Irak zum Anlaß, allein den »Willigen« der Koalition einen
bescheidenen Teil des Kuchens zuzuteilen. »Im Klartext übersetzt«,
so meint Paul Krugman, »können wir andere Nationen bestechen, ihre
Soldaten auszuschicken.« Der Präsident hat sich diesen Standpunkt zu
eigen gemacht mit der lakonischen Äußerung: »Es ist alles sehr
einfach. Unsere Leute riskieren ihr Leben. Freundliche Koalitionspartner riskieren
ihr Leben. Die Vergabe von Aufträgen wird dem Rechnung tragen.« »Blood
for oil - Blut für Öl«, so lautete der Vorwurf bei den Protestmärschen
der Kriegsverweigerer. Ihnen wurde aus Washington erwidert, daß die Kontrolle
der weltweiten Energie- und Petroleumversorgung ein durchaus triftiger Grund sei,
zu den Waffen zu greifen. Dagegen wäre auch wenig einzuwenden, wenn im Hintergrund
nicht die großen Konzerne ihre Profite kassierten. Aber
Calvinismus und Kapitalismus wachsen nun einmal auf einem Holz. ( ).
Und das gilt eben ganz besonders für den Puritanismus in England und Nordamerika,
wo man sich durch Gottes unerforschlichen Willen ganz besonders vorherbestimmt
sieht: entweder zur Seligkeit (ohne Verdienst!) oder
zur Verdammnis (ohne Schuld!). Jeder ist erwählt
- also her mit dem Öl!  -
(Globale Expansion) - Mein Land begrüßt die wachsende Einigung
Europas und .... (es liegt am Öl )
daß Amerika und die Europäische Union Sicherheit und Gerechtigkeit
anstreben. Wir sind nicht deshalb hunderte von Kilometern ins Herz des Irak
vorgedrungen, haben nicht deshalb bittere Verluste erlitten und 25 Millionen
Menschen befreit, um vor einer Bande von Gangstern und Attentätern zurückzuweichen.
Wir werden dem irakischen Volk helfen, ... ein friedliches und demokratisches
Land aufzubauen. Indem wir es tun, verteidigen wir unser Volk vor der Gefahr
(G.W. Bush, 19.11.03).
Den Neo-Konservativen in den USA geht es um
das Prinzip des Zusammenseins in einer gemeinsamen Mystifikation bzw. in einem
künstlich erzeugten Verblendungszusammenhang, der die Lügner wie die
Belogenen vorgeblich zu ihrem eigenen Heil umgreift. (Vgl. Platon, Politeia,
III. Buch, 414b-415cd ).
Denn die Aktualität des Arguments erweist sich an dem starken Einfluß
des politischen Platonikers Leo Strauss auf die US-amerikanischen Neokonservativen,
die sich mit ihrem Meister zur Notwendigkeit eines demokratischen Illusionsmanagements
durch illusionslose Eliten bekennen. (Peter Sloterdijk, Sphären
III - Schäume, 2004, S. 287 ).
Nicht Vertrag, nicht Gewächs - Annäherung an die Raum-Vielheiten,
die bedauerlicherweise Gesellschaften genannt werden - heißt das Übergangskapitel
in Sloterdijks 3. Sphären-Band Schäume (Plurale Sphärologie,
vgl. a.a.O., S. 261-308 ),
in dem nicht geleugnet wird, daß Vertragstheorien und Organizismen immer
noch aktuell sind, und zwar oft miteinander, gegeneinander, ineinander verschränkt.
Doch das Interessante daran ist für den Skeptizisten Sloterdijk ( )
natürlich die Skepsis ( ):
Interessant sei jetzt, so Sloterdijk, daß beide quasi
von Anfang an von einem Unbehagen begleitet wurden, mehr noch, von einer Art Ungläubigkeit
gegenüber dem unwahrscheinlichen Zug, der sowohl der kontraktualistischen
als auch der holistischen Auskunft anhaftete. Diese Skepsis hat wiederum bei Platon
( )
erste Spuren hinterlassen: .... ( ).
Mehr dazu: 
Heute
läuft der Westen (das Abendland) Gefahr, daß der »Krieg gegen
das Böse«, den Präsident George W. Bush zur Vernichtung des
weltweiten Terrorismus in Gang brachte und dem keine zeitlichen oder geographischen
Grenzen gesetzt sind, zur »Mutter aller Lügen« wird.
(Peter Scholl-Latour, Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?, 2002, S. 9 ).
Nicht
nur der Irakkrieg wurde mit verlogenen Argumenten und Fälschungen vom Zaun
gebrochen. Die irreführenden Äußerungen Colin Powells, des bislang
hochgeachteten US Secretary of State, im Weltsicherheitsrat, als er die angeblichen
Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins auflistete, sind noch in aller Gedächtnis,
ebenso die absurde Behauptung Tony Blairs, der Irak sei in der Lage, binnen 45
Minuten ein nukleares Inferno zu entfesseln. In Südostasien wurde vierzig
Jahre zuvor nicht weniger schamlos getrickst. Es war im Juli 1964. Laut Meldung
der US Navy waren us-amerikanische Zerstörer auf offener See von nordvietnamesischen
Schnellbooten angegriffen worden, hieß es damals. Darauf stützte sich
Präsident Johnson, um die Bombardierung Nordvietnams anzuordnen. Die massive
Landung von Bodentruppen folgte ein knappes Jahr später. In Wirklichkeit
hatte sich 1964 alles ganz anders zugetragen, wie die 1971 veröffentlichten
»Pentagon Papers« eindeutig enthüllen sollten. Der US Destroyer
»Maddox«, mit modernstem Abhör- und Spionage-Equipment versehen,
kreuzte schon seit Wochen in den nordvietnamesischen Hoheitsgewässern. Als
Reaktion auf die militärische Unterstützung, die der Vietcong seit 1960
aus Hanoi erhielt, war Saigon dazu übergegangen, mit Hilfe us-amerikanischer
Kriegsschiffe Sabotagekommandos von Rangern und Infiltranten an der Küste
abzusetzen. Zwei US-Zerstörer, »Maddox« und »Turner Joy«,
befanden sich zur Zeit des Tonking-Golf-Zwischenfalls in unmittelbarer Küstennähe,
und eine nennenswerte Gegenwehr der kümmerlichen Kriegsmarine Nordvietnams
kam überhaupt nicht in Frage. Das hinderte den US Congress jedoch in keiner
Weise, am 10. August 1964 eine Resolution zu verabschieden, die Lyndon B. Johnson
den Blankoscheck zur Entfesselung des Krieges ausstellte. Wer nach Parallelen
sucht zwischen den beiden US-Engagements in Vietnam 1965 und in Irak 2003, sollte
diesen Doppelfall gezielter Desinformation der eigenen öffentlichen Meinung,
der eigenen Parlamentarier und des verbündeten Auslandes stets vor Augen
haben. (Peter Scholl-Latour, Koloß auf tönernen Füßen,
2005, S. 278 ).
Für die Partisanenbekämpfung, die »counterinsurgency«,
den Krieg gegen den Terror, der neuerdings in so vielen Köpfen spukt und
sich zum Alptraum des globalen Imperialanspruchs der USA auswächst, fehlt
jedes überzeugende Konzept. Mit den ethischen Vorstellungen der westlichen
Welt ist jene grauenhafte Analyse absolut unvereinbar, die ich vor einigen Jahren
in einer anonymen arabischen Veröffentlichung entdeckte. »Es gibt nur
ein Mittel«, so heißt es da, »den Aufstand eines Volkes zu brechen,
das sich um keinen Preis ergeben will. Man muß es ausrotten. Es gibt nur
ein Mittel, ein Territorium zu unterwerfen, auf dem sich ein unbeugsamer Widerstand
eingenistet hat. Man muß es in eine Wüste verwandeln. Wo diese extremen
Methoden - aus welchem Grunde auch immer - nicht angewendet werden können,
ist der Krieg verloren.« (Peter Scholl-Latour, Koloß
auf tönernen Füßen, 2005, S. 284 ).
Was wird Ein-Fünftel der Weltbevölkerung, was wird das Abendland - der
Westen - tun? 
 Als
der ursprünglich vorgegebene geographische Defensiv-Rahmen der NATO ( )
gesprengt wurde (so als sei die Defensive selbst der Kriegsgegner)
und die Expansion in die Steppen und Gebirge Zentralasiens begann, reagierte Deutschland
auf diese neue Situation mit einem Gemisch aus Willfährigkeit gegenüber
der traditionellen atlantischen Führungsmacht, mangelndem Verantwortungsgefühl
gegenüber den eigenen Soldaten und - trotz vorzüglicher nachrichtendienstlicher
Unterrichtung - verbohrter Verkennung der realen Verhältnisse am Hindukusch,
so Scholl-Latour, der sich fragt, wie weit dieser Ritt nach Osten noch gehen soll:
Schon gehört Rußland der »partnership for peace«
an. Wird die Bundeswehr eines fernen Tages, wenn die fortschreitende Solidarisierung
zwischen Washington und Moskau eine konkrete Bündnisform annimmt, am Ussuri
und Amur in Fernost Stellung beziehen und sich in eine gemeinsame Front gegen
die chinesische Volksbefreiungsarmee einreihen? .... Die wirkliche Allianz
der Zukunft wird jedoch nicht zwischen Europa und Moskau, sondern zwischen Moskau
und Washington geschmiedet werden. Der revolutionäre Islamismus einerseits,
die aufsteigende Weltmacht China andererseits, das sind die ... historischen Herausforderungen,
denen sich der globale Hegemonialanspruch US-Amerikas und die Überlebensstrategie
Rußlands ausgesetzt sehen. .... Der globale Vormachtsanspruch, den George
W. Bush vertritt, steuert us-amerikanischen Analysten zufolge unweigerlich auf
eine weltweite Konfrontation mit dem revolutionären Islamismus und auf eine
Kraftprobe mit der Volksrepublik China zu. In beiden Fällen decken sich die
Interessen Rußlands und der USA. (Peter Scholl-Latour, Weltmacht
im Treibsand, 2004, S. 18, 19, 24). Für eine diffuse Gespensterjagd
gegen den »internationalen Terrorismus« ( )
wurde das Atlantische Bündnis jedoch nicht erfunden. Die NATO entartet seitdem
zum Instrument angelsächsischer Bevormundung und Irreführung. Das war
schon - mit Verlaub gesagt - im Kosovo-Krieg gegen Serbien der Fall .... Schon
aus geographischen Gründen kann die amerikanische Planung weder auf Deutschland
noch Frankreich verzichten. Im extremen Ernstfall, dem die Anrainer des Mittelmeers
und des Balkans bedrohlicher ausgesetzt wären als die durch zwei Ozeane geschützten
USA, könnte nur von Berlin und Paris jene längst fällige Aufstellung
einer europäischen Kernallianz ausgehen, die den Amerikanern als gleichberechtigtre
Partner und Entscheidungsträger weit nützlicher wäre als in der
Rolle eines unterwürfigen und zwangsläufig verbitterten Vasallen. Selbst
das stolze Spanien, das an seinen nordafrikanischen »Presidios« Cëuta
und Melilla festhält und in dieser Frage auf eine unvermeidliche Auseinandersetzung
mit dem Scherifischen Königreich Marokko zutreibt - der Zwischenfall auf
der Petersilieninsel vermittelt einen Vorgeschmack -, wird spätestens zu
diesem Zeitpunkt entdecken, daß der Beistand der »vieja Europa«
(des »alten Europa« )
wichtiger sein kann als das Protektorat der auf fernen Kriegsschauplätzen
( )
gebundenen »Estados Unidos del Norte«. (Peter Scholl-Latour,
Weltmacht im Treibsand, 2004, S. 32, 48 ).
Zu der Zeit waren die USA bereits in über 120 Ländern militärisch
präsent. Die neue NATO-Befehlsstruktur
ist falsch. Innerhalb ein und derselben Wertegemeinschaft müssen andere Regeln
gelten, denn seit Beginn der Globalismus-Phase (vgl. Cäsarismus: 22-24
Uhr )
droht uns ein Krieg zwischen den Kulturen (vgl. Kampf der Kulturen ).
Dem Westen (Abendland) kann und darf es demzufolge hauptsächlich nur
darum gehen: 1.) keine Angriffskriege zu führen
(gegen dieses Gebot haben die USA schon beim Angriff auf
Vietnam verstoßen); 2.) den Imperialismus,
weil er nicht zu vermeiden ist ( ),
möglichst zu relativieren; 3.) den weiten Vorsprung
in Technik ( )
und Wissenschaft ( )
auszubauen (diese Regel muß die heimliche 1. Regel
sein); 4.) die Artefakte aller abendländischen
Kunst zu schützen, damit dem Volk auch symbolisch deutlich gemacht werden
kann, daß die Kultur und nicht nur die private Bereicherung verteidigt wird,
denn das Abendland ist die historistischste Kultur von allen, für Abendländer
hat alles Historisierende einen besonderen und deshalb vergleichsweise hohen Stellenwert.
Eine kulturelle Spaltung aber, wie sie zur Zeit von einigen Imperialisten anvisiert
wird, ist die denkbar schlechteste Lösung. Altes Europa ( )
heißt also nicht nur, daß die USA mit ihrem Spaltungsversuch Europa
beherrschen wollen, sondern auch, daß nur eine europäische Kernallianz,
ein EU-Kern ( )
mit Verteidigungsgemeinschaft ( ),
verhindern kann, daß die USA damit auch Erfolg haben.In
den USA wird das weltweite Hegemonialmonopol besonders von den dortigen Neokonservativen
als ein unveräußerliches Postulat angesehen. Noch schafft die Ostasien
überlegene Wirtschaft der USA eindeutige Fakten ( ).
Die USA-Demographie ist positiv, dagegen die EU-Demographie negativ ( ).
Die Europäer, so hofft besonders die derzeitige Bush-Administration, lassen
sich auf Grund ihrer internen Querelen, die es zu schüren gilt, auf niedrigerem
Niveau halten. Aber China könnte mit seinen ca. 1,5 Milliarden Menschen ( )
für die USA zum einzigen ernst zu nehmenden Konkurrenten werden. Die
wirtschaftlich-industriellen Fortschritte im Reich der Mitte sind phänomenal,
und die dortige Weltraumtechnik ... wäre auch in der Lage, das sakrosankte
Territorium der USA mit nuklearbestückten Interkontinentalraketen zu erreichen.
.... Würde eine Hegemonialmacht, die in Vietnam versagte, die Torheit begehen,
sich zu Lande mit dem gigantischen Drachen am Westrand des Pazifik in einen Kampf
auf Leben und Tod einzulassen? .... Die Zeit arbeitet für dieses neu
entstandene, unbesiegbare Imperium, dessen Wirtschaftsmetropole Shanghai weder
mit Singapur noch mit Tokio rivalisieren will, sondern mit New York. (Peter
Scholl-Latour, Weltmacht im Treibsand, 2004, S. 46-47 ).
Ich
fügte hinzu, daß die Europäer ohnehin wenig Einwirkungsmöglichkeiten
auf die Entwicklung im sogenannten Krieg gegen den Terrororismus besäßen,
daß die Amerikaner weltweit das Sagen hätten. Aber da widerspricht
der Afghane heftig. »Ohne die Europäer ist Bush zum Scheitern verurteilt,
hier in Afghanistan wie auch im Irak.« Aber es fehle den Europäern
an Selbstbewußtsein. (Peter Scholl-Latour, Weltmacht im Treibsand
- Bush gegen die Ayatollahs, 2004, S. 82 ). Und
weil der Terrorismus immer schon von zwei Seiten ausgeht, ist Bushs Formulierung
Krieg gegen den Terrorismus unsinnig!
Der
größte Schurkenstaat der Welt sind die USA. (Martin van Creveld,
in: ZDF-Nachtstudio, 2006).
Peter
Scholl-Latour war bei einer internationalen Debatte in Berlin im Oktober 2004
ein englischer Kollege aufgefallen, der das Auseinanderdriften von USA und
Europa in letzter Analyse mit dem unterschiedlichen Verhältnis zum christlichen
Glauben erklärte. Etwa achtzig Prozent aller US-Bürger suchen jeden
Sonntag einen Gottesdienst auf. ( ).
In Frankreich sei die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger auf sieben
Prozent, in England sogar auf fünf Prozent geschrumpft. Wenn deutsche Beobachter
dem »chief executive« der USA vorwerfen, er präsentiere sich
als »selbstsicherer Fürst und gleichzeitig als Papst«, so tragen
sie dem Umstand Rechnung, daß George W. Bush über eine Allmacht verfügt
wie kaum einer seiner Vorgänger. .... Dank der Vorherrschaft der Republikaner
im Senat, im Repräsentantenhaus und sogar im Obersten Gerichtshof scheint
das vielgerühmte System von »checks and balances« außer
Kraft gesetzt, das den Staatschef einer innenpolitischen Kontrolle unterwarf.
Man könnte argumentieren, daß sogar im abendländischen Mittelalter
weder Papst noch Kaiser eine vergleichbare Verfügungsgewalt besaßen,
waren sie doch zu einer bipolaren Auseinandersetzung verurteilt, die der französische
Dichter Victor Hugo als Kräftemessen der »beiden Hälften Gottes
- les deux moitiés de Dieu« beschreibt. Der patriotische Prediger
George Walker Bush stehe lediglich in einer geistigen Kontinuität, die sich
auf die us-amerikanische Gründungsidee zurückführen lasse, beteuern
seine Apologeten. Fast alle Staatsoberhäupter der USA haben ausdrücklich
auf Gottes Schutz und Gottes Hilfe gebaut. Festzuhalten bleibt immerhin, daß
George Washington sich 1789 auf »jenes Allmächtige Wesen« berief,
»welches über das Universum herrscht«. Diese Ausdrucksweise,
ähnlich wie die Formulierungen Jeffersons, entspricht eher der Gedankenwelt
europäischer Aufklärer und deren Freimaurerlogen als der holzschnittartigen
Bibelfestigkeit jener puritanisch-calvinistischen Pilgerväter,
die - wie Max Weber ausführlich dozierte - die göttliche Erwähltheit,
die »Prädestination« am materiellen Erfolg der Gläubigen
maßen und damit die Grundvorstellungen einer auf Profitdenken ausgerichteten
Gesellschaft vorgaben. Im neokonservativen »New Deal«, das der heutige
Präsident einläutet, findet diese Geistesrichtung eine zeitgenössische
Bekräftigung. (Peter Scholl-Latour, Koloß auf tönernen
Füßen, 2005, S. 14-15 ).
Und die Prädestination ist, wie schon gesagt, die Vorherbestimmung des Menschen
schon vor bzw. bei seiner Geburt durch Gottes unerforschlichen Willen: entweder
als Gnadenwahl zur Seligkeit (ohne Verdienst!) oder
als Prädamnation zur Verdammnis (ohne Schuld!).
Also her mit dem Profit! 
Verfolgung
des Glücks oder Flucht ins GlückDer deutsche Filmregisseur
Wim Wenders, der sich in den USA zu Hause fühlt, hatte mir ... von seinem
jüngsten Film über den derzeitigen Verarmungsprozeß weiter Landesteile
erzählt, der unter dem ironischen Titel »Land of plenty - Land des
Überflusses« erscheinen würde. Er dokumentiert darin schonungslos
das erbärmliche Schicksal der »Underdogs«, und wiederum ist es
typisch us-amerikanisch, daß über den schäbigsten Hütten
und Wohnwagen stets die Fahne mit den »Stars and Stripes« weht. Aus
diesem tristen Milieu stammt wohl auch jene Militärpolizistin Lynndie England,
die im Kerker von Abu Ghraib einen nackten gefangenen Iraker wie einen Hund an
der Leine führte und die von den Bibel-bezogenen Medien als »Jezabel
aus den Appalachen« vorgestellt wurde. Ist der »American dream«
( ),
die Zuversicht, daß jedem die Chance zu Reichtum und Glück offensteht,
doch nicht erloschen? Was hat die Gründungsväter überhaupt
dazu bewogen, den Begriff »pursuit of happiness« als Elementarforderung
in ihrer Verfassung zu verankern? Ist damit wirklich jene Vorstellung von
Glück gemeint, die in Europa geläufig ist und zumindest bei den Katholiken
der Alten Welt stets ein bißchen anrüchig klingt? Oder handelt
es sich lediglich um den Erwerb von Reichtum, um materielles Wohlergehen, das
mit dem strengen calvinistischen Selbstverständnis durchaus zu vereinbaren
wäre? Da drängt sich der Nietzsche-Satz auf: »Wir haben
das Glück erfunden, sagen die letzten Menschen und blinzeln.« Doch
die Verachtung des Zarathustra bezöge sich weit treffender auf die in Deutschland
beheimatete und hochgefeierte »Spaßgesellschaft«. Der
Philosoph Peter Sloterdijk hat seinerseits für die »pursuit of happiness«
eine prägnante Formel gefunden: »Man darf nicht vergessen, daß
die USA eine rein eskapistische Nation ( )
darstellen. Die Bevölkerung des Landes besteht überwiegend aus Menschen,
die unerfreulichen Verhältnissen entronnen sind, um anderswo neu anzufangen.
Das Land selbst beruht auf der Flucht ins Glück.« Ich will hier nicht
die Gründe aufzählen, warum John F. Kerry trotz des ständigen Hinweises
auf seinen wackeren Kampfeinsatz in Vietnam beinahe zwangsläufig unterliegen
mußte gegen einen Mann, der - obwohl er der plutokratischen Oberschicht
entstammt - bodenständig wirkte und an die einfachsten Instinkte des Durchschnitts(us-)amerikaners
zu appellieren verstand. Sein verhängnisvoller Feldzug in Irak hat ihm bei
seinen Landsleuten nicht wirklich schaden können. Im Sommer 2004 waren 70
Prozent von ihnen noch davon überzeugt, daß Saddam Hussein der eigentliche
Anstifter für den Anschlag auf New York (und Washington)
war. Wie ein liberaler Kollege mir achselzuckend versicherte: »Der normale
US Citizen ist der staatlich gesteuerten Desinformation ebenso hilflos ausgeliefert
wie unsere Indianer früher dem Feuerwasser genannten Alkohol.
Man hat das Volk mit Falschmeldungen besoffen gemacht.« (Peter Scholl-Latour,
Koloß auf tönernen Füßen, 2005, S. 36-38 ).USA
im Delirium oder Nation im Glauben Zur
Nation im Glauben meint Klaus Cleber: Achtzig Prozent der US-Amerikaner
bekennen, daß sie an Gott glauben, und sechzig Prozent - mehr als viermal
so viele wie in Deutschland - erklären, Religion spiele eine wichtige Rolle
in ihrem Leben. Die Zahlen haben sich in den letzten zehn Jahren nicht wesentlich
verändert. Sie wurden für Wahlkämpfer interessant, als sie sich
politisch verwerten ließen, weil sich die öffentliche Debatte immer
mehr auf eine schwer faßbare Wertediskussion konzentrierte. In den USA,
Heimat für mehr als fünfhundert größere Kirchen, Religionsgemeinschaften
und Sekten, wird die politische Richtung nicht so sehr von der Konfession, sondern
eher von der Tiefe des Engagements bestimmt. Die angesehene unabhängige Stiftung
Pew Research Center (www.pewforum.org)
ermittelte, daß sich Traditionalisten in den verschiedensten Glaubensrichtungen,
von Wiedergeborenen Evangelikalen bis zu Katholiken, im politischen Leben wesentlich
mehr von religiösen Motiven leiten lassen als ihre modernistischen Glaubensbrüder
derselben Religion. Dabei sind die Werte unter Traditionalisten bei Evangelikalen
(einundachtzig Prozent) am höchsten, bei Katholiken (fünfzig Prozent)
am niedrigsten, dort aber immer noch mehr als doppelt so hoch wie bei modernistischen
Evangelikalen (einundzwanzig Prozent). Diese Zahlen zeigen so deutlich wie die
Meßgeräte texanischer Ölprospektoren, wo Schätze zu holen
sind: ... eine Goldmine, eine Art soziales Edelmetall, das auf die Säuren
und Laugen täglicher Nachrichten und Sachdebatten nicht reagiert. Seine Lagerstätten
sind am stärksten dort, wo religiöse Werte tief verwurzelt sind. Im
Untergeschoß des Weißen Hauses hatte ein gewisser Karl Rove, ein hyperaktiver
Mann mit der cherubinischen Ausstrahlung eines eifrigen Vorbeters, das richtige
Gespür und die richtigen Werkzeuge, um diesen Schatz zu heben. Entdeckt haben
den Schatz allerdings andere, lange vor Rove. Menschen, deren politische Potenz
wir Europäer übersehen haben. - Gut sechzehn Jahre vor Bushs Wiederwahl
war ich mit meinem Hörfunkkollegen Hermann Vinke im Norden Floridas unterwegs.
Der Vorwahlkampf 1988 tobte, es galt, das Erbe Ronald Reagans zu verteilen. George
Bush, treuer und geachteter Vizepräsident des konservativen Revolutionärs,
bekam nichts geschenkt. Der rechte Flügel der Partei, deren Vorsitzender
er auch noch war, machte ihm die Nominierung streitig. Pat Robertson, ein mit
allen Wassern gewaschener Fernsehprediger, war damals der Bannerträger der
religiösen Rechten unter den Kandidaten. Einem Europäer reicht eine
halbe Stunde Robertson-Gottesdienst im Fernsehen, um den Mann aus South Carolina
als Spinner abzutun. Da mischen sich ekstatische Jesus-Begeisterung mit dreister
Bettelei und wilden, ultrakonservativen politischen Appellen. Aber Robertson hat
eine in die Millionen gehende Gefolgschaft, die sich ihre Gehirnwäsche täglich
per Fernbedienung ins Haus holte. Und er verfügte aus seinem regen Devotionalienhandel
und den ständigen Spendenaktionen über eine gewaltige Datenbank mit
Namen, Adressen und Telefonnummern christlich motivierter Konservativer - Bohrsonden
in die Goldmine. - David Zachem, der regionale Wahlkampfmanager von Pat Robertson
in Tampa, lud Hermann Vinke und mich damals in sein »Labor« ein, zu
einem Kurzlehrgang in us-amerikanischer Wahlkampfstrategie. Er hatte nicht die
Ausstrahlung eines Missionars, man hätte mit ihm auch die Rolle eines Chefingenieurs
in »Raumschiff Enterprise« besetzen können - kühl kalkulierend,
präzise formulierend, ein Chefmaschinist der Politik. Eine riesige Karte
des Staates Florida bedeckte eine Wand seines Büros. Sie war mit roten und
blauen Folien überzogen. »Wenn ihr Amerikaner wärt, würde
ich euch das nicht zeigen«, scherzte er, »aber ihr werdet nicht so
auf die Einzelheiten achten.« Seine Leute hatten die politischen Neigungen
und Interessen der Bürger bis hinunter auf die Ebene von Straßenzügen
kartographiert. »Florida besteht im Grunde aus zwei Staaten«, dozierte
der Manager. »Hier, in der Mitte, über die Interstate 4, kommen im
Herbst und im Frühjahr immer die Reisenden aus dem Mittleren Westen, um Urlaub
zu machen, das Training ihres heimischen Baseballteams anzuschauen oder ihre Kinder
ins Feriencamp zu bringen. Viele sind hängen geblieben oder im Alter auf
Dauer hergezogen. Das sind anständige, christliche, konservative Menschen
aus der Gegend der Großen Seen.« Zachem ging zur anderen Seite des
Raums. »Dort, im Osten, kommt die Interstate 95 aus Neuengland an. Die bringt
ganz andere Leute. Junge Familien aus Boston und New York, Linksliberale, reformierte
Juden - bei denen verschwenden wir unsere Zeit. Wir werden Florida von der Mitte
aus aufrollen, und wir werden dafür sorgen, daß unsere Botschaft genau
an die richtigen Stellen gelangt. Wie ein Laserstrahl. Wir wissen mehr über
die Menschen hier als der ganze Apparat der so genannten etablierten Kandidaten.
George Bush hat keine Ahnung, was im Land los ist, was den Menschen am Herzen
liegt. Wir wissen das bis ins Detail. Darum hat er gegen uns keine Chance. Er
wird von uns überrollt, bevor er weiß, was auf ihn zukommt.«
Damit öffnete Zachem die Nebentür seines Büros. Dahinter saßen
in einer großen Halle fast hundert ältere Menschen, meist Frauen, in
Turnschuhen und Freizeitkleidung. Sie steckten Werbematerial in Umschläge
und wählten Telefonnummern, die in langen Listen auf den Tischen vor ihnen
lagen. »Hallo, ich bin Dorothy von der Pat-Robertson-Mannschaft, und ich
wollte mit Ihnen über die Vorwahlen sprechen. Wenn Sie vorhaben, sich zu
beteiligen ...« - »Point sheets« mit einschlägigen Argumenten
gaben die Richtung der Gespräche vor. Über dem Raum lag das Summen einer
gut geölten Maschinerie. Viele hatten ihren Arbeitsplatz mit einem Heiligenbildchen
geschmückt, an der Stirnwand des Raumes hing ein gewaltiges Poster mit dem
Konterfei des frommen Kandidaten. »Alles Freiwillige«, meinte Zachem,
als er die Tür wieder schloß, »kosten uns keinen Cent. Gut so,
wir brauchen das Geld nämlich für die Fernsehspots. - «Only in
America«, sagten wir, als wir zum Parkplatz des Einkaufszentrums gegenüber
zurückgingen. Nur in diesem Land ist es möglich, aus einer überdrehten
christlichen Show eine solche Bewegung zu formen, und nur hier kann einer glauben,
daß er damit den Vizepräsidenten des erfolgreichen und beliebten Ronald
Reagan, dem der gesamte Apparat des Weißen Hauses zur Verfügung steht,
aus der Bahn werfen kann. Wir hatten ja keine Ahnung! Sechs Monate später
siegt Pat Robertson in den tonangebenden Vorwahlen des Farmstaats Iowa über
George Bush sen. Doch das Establishment erkennt die Gefahr und reagiert. Am Ende
hatte der Prediger keine Chance. Noch keine. Was wir in Florida gesehen haben,
waren die Anfänge einer Bewegung, die sechzehn Jahre später us-amerikanische
Politik gestalten sollte, wie wir es nie für möglich gehalten hätten.
Sie folgte damals nur dem falschen Mann. Pat Robertson motivierte die Aktivisten
und verschreckte die Mitte. Er war ein Wegbereiter, kein Führer. Das religiös-konservative
US-Amerika brauchte einen anderen Kandidaten. Der Mann, der diese Rolle einmal
spielen sollte, arbeitete damals in bescheidener Stellung im Weißen Haus
im Stab seines Vaters. Als die Wahlstrategen der Bush-Kampagne erklären,
daß der Vizepräsident ohne die Unterstützung der Evangelikalen
keine Chance hat, übernimmt der Sohn die Rolle des Mittlers. Er ist selbst
einer von ihnen. George W. Bush wird eigentlich kaum wahr-, geschweige denn ernst
genommen. Seine eigenen politischen Versuche sind ebenso gescheitert wie seine
geschäftlichen Unternehmungen - bis auf einen Deal mit einem texanischen
Baseballteam, mit dem ihm Freunde einen Millionengewinn zugeschanzt hatten. Kaum
jemand traute dem Junior damals eine eigene politische Karriere zu, aber er war
ein ausgezeichneter Kontaktmann in eine Welt, zu der der Vater keinen Zugang hatte.
Er kannte die Denkweise der Evangelikalen, ihre mit Anspielungen auf Bibeltexte
gespickte Sprache, er bediente sich mit natürlicher Gelassenheit der Gesten
und Symbole, die dort verstanden wurden. Damals hat das niemand so genau beobachtet.
Die etablierten Medien von den Fernsehnetworks bis zu den großen Zeitungen
hatten weder einen Zugang zu noch Interesse an US-Amerikas Fundamentalisten. Unterhalb
des Radarschirms öffentlicher Beobachtung sorgte George W. Bush dafür,
daß sein Vater aus diesem Lager das Maß an Zuspruch bekam, das er
gegen seinen letzten Rivalen Michael Dukakis brauchte - den Gouverneur von Massachusetts,
der anfangs mit großem Vorsprung führte und dann sang- und klanglos
unterging, wie das gelegentlich so passiert. Vier Jahre später konnte Bush
jr. allerdings nichts mehr für seinen Vater tun. Der brave Familienvater
und Verwalter im Weißen Haus hatte kaum etwas geliefert, was die Religiös-Konservativen
für ihn hätte begeistern können. Nach vier Jahren erwarteten sie
vom Präsidenten mehr als einen Sohn, mit dem sie ersatzweise reden konnten.
Sie blieben zu Hause und ließen sich überrollen von den Propheten des
Wechsels um Bill Clinton - kein Konservativer, aber ein Charmeur aus dem Süden,
der bei Bedarf mit einer Bravour auf der Klaviatur religiöser Signale spielte,
die selbst George W. Bush in den Schatten stellt. Bill Clinton war der erste äußere
Wegbereiter der Bush-Revolution. .... Hier ist ... wichtig, daß die Spätachtundsechziger
und ihr Laisser-faire im Weißen Haus den religiösen Fundamentalisten
acht Jahre lang ein Feindbild lieferten, das sie im Wahljahr 2000 für George
W. Bush mobilisierte - entscheidend, aber noch nicht in voller Stärke. Viele
wählten Bush jr. beim ersten Mal nur, weil er nicht Al Gore war, der »zweite
Mann« des verhaßten Bill Clinton. Vier Millionen »wiedergeborene«
Christen blieben am Wahltag zu Hause. Einundfünfzig Prozent der Bush-Wähler
zweifelten an ihrer eigenen Entscheidung. Bushs Wahlkampfmanager Karl Rove erkannte,
daß er diese Reserven 2004 mobilisieren mußte, wollte er dem Sohn
liefern, was der Vater verpaßt hatte: eine zweite Amtszeit. Es sollte ihm
gelingen, denn er hatte dafür die richtige Stimmung im Land, vor allem den
richtigen Kandidaten, den richtigen Gegner und am Ende die richtige Taktik. Nichts
davon hat Europa so wahrgenommen, wie es wirklich war. Fast alles hat mit Religion
zu tun und wird us-amerikanische Politik bis zum 20. Januar 2009 bestimmen - wenn
Bushs Nachfolger eingeschworen wird. Die Allmacht USA hat unter diesem Präsidenten
einen Kreuzzug begonnen, der die Welt notfalls mit Waffengewalt sicher machen
soll für Demokratie, Freiheit, Kapitalismus und Menschenrechte nach us-amerikanischer
Lesart - eines der größten oder größenwahnsinnigsten Projekte
der Geschichte. Im Wahlkampf fand darüber fast keine Debatte statt. Für
Europäer war das unbegreiflich. (Claus Kleber, Amerkas Kreuzzüge,
2005, S. 23-29 ).Die
gnadenlose Generalabrechnung mit George W. Bush, die sich die große Mehrheit
der Europäer vom Wahlkampf 2004 erhofft hatte, fand nicht statt. Es gibt
einen einfachen Grund dafür: Für John Kerry wäre es politischer
Selbstmord gewesen. »Sie rammen uns in Grund und Boden, wenn wir das versuchen«,
sagte der wichtigste außenpolitische Berater des Herausforderers im vertraulichen
Gespräch. Stan Greenberg, Meinungsforscher der Kerry-Kampagne, zog nach der
Niederlage resigniert Bilanz: »Viele Wähler stimmten Kerry zu, wenn
man sie auf die Sachfragen ansprach, auf Krankenversicherung, auf die Wirtschaft
oder den Irak - und trotzdem wollten sie ihn nicht wählen. Unser Land ist
... so stark polarisiert, daß wir mit unserer Botschaft nicht mehr durchkamen.«
(Washington Post, 04.11.2004). USA-Wahlen - Präsidentschaftswahlen
zumal - werden sehr viel weniger von Sachfragen bestimmt, als wir uns das in Deutschland
vorstellen. Dabei spielt auch eine Rolle, daß der Mann im Weißen Haus
weniger als Regierungschef denn als oberster Repräsentant der Nation wahrgenommen
wird. Er muß den Ton und die Richtung angeben, um die Details kümmern
sich seine leitenden Angestellten im Kabinett. Die historische Erfahrung zeigt
ohnehin, daß sich für eine Weltmacht mit ihren globalen Verstrickungen
die Prioritäten so schnell ändern können, daß es auf Einzelheiten
einer Sachdebatte nicht mehr ankommt. .... Von Kandidaten, die den Wählern
ein »Wir-Gefühl« vermitteln, sagen US-Amerikas Meinungsforscher
respektvoll: »They poll better than their issues« - sie bekommen bessere
Umfrageergebnisse als ihre Sachpositionen. George W. Bush ist ein klassisches
Beispiel dafür. (Claus Kleber, Amerkas Kreuzzüge, 2005,
S. 29-30 ).
John Kerry konnte vielleicht die Fernsehdebatten gewinnen, aber seine Argumente
haben diese Wähler nie erreicht. George W. Bush stieß direkt zu ihnen
durch. Für sie wie für ihn gehen Grundüberzeugungen vor Fakten,
und der Präsident sendete ihnen unausgesetzt Signale, die sagten: »Ich
bin einer von euch«. .... Wenn der Präsident (Bush)
sich als Privatmann zeigt, schlägt er, mit der Motorsäge in der Hand,
einen Pfad durchs Unterholz seiner Ranch, auf die er ehrlich stolz ist - ich erinnere
mich gut daran, wie er uns in seinem Flugzeug fröhlich davon erzählte.
John Kerry ließ sich auf dem Snowboard und beim Kitesurfen filmen, den trendigsten
Sportarten für Sommer und Winter und durchaus respektabel für einen
Mann in den Fünfzigern, aber er hätte ebenso gut »Ich bin keiner
von euch« an den Himmel schreiben können. (Claus Kleber, Amerkas
Kreuzzüge, 2005, S. 31, 38 ). | |  |
Man
mag von Bush halten, was man will, zweierlei ist jedenfalls sicher: 1.)
als Repräsentant eines sehr jungen Landes und dessen Volk repräsentiert
er auch dessen Unerfahrenheit, dessen Naivität, die oft mit Optimismus verwechselt
wird und aus Sicherheitsgründen lieber Dummheit genannt werden sollte; 2.)
im Vergleich zum alten Europa, das auch sogar noch auf seine Dekadenz stolz zu
sein scheint, ist im jungen Amerika, vor allem im sehr jungen Nordamerika und
hier speziell in den USA der Wille spürbar, westliche (= abendländische)
Werte zu verteidigen, weniger trotz als mehr wegen der Unerfahrenheit und Naivität
der US-Amerikaner. Dazu gehört auch und gerade ihr kindlicher Glaube
an die Auserwähltheit. Ähnlich wie die Römer die Griechen verdrängten,
ja Griechenland zu ihrer Provinz machten (146 v. Chr.), so haben auch die US-Amerikaner
die Europäer verdrängt, ja Europa zu ihrer Provinz gemacht, und wenn
Europa nicht aufpaßt, dann wird es in Zukunft von seinem Ableger so abhängig
sein wie ein alter verwitweter kranker Mann von seinem jüngsten Verwandten.
Wenn aber dann der jüngste Verwandte die Unterstützung verweigern wird,
wird der kranke alte Mann von einem fremden Altenpfleger abhängig werden
oder isoliert sterben, während der jüngste Verwandte in seiner von ihm
selbst gewählten Isolation und seiner für ihn selbstverständlichen
Naivität an sein unmögliches Überleben glauben wird. Eine solche
Zukunft also wäre der sichere Tod auch für die USA. Kulturell gilt:
Verwandte sind aufeinander angewiesen. Das alte Europa und das junge Amerika (besonders:
USA) können langfristig nur gemeinsam überleben.Nun
ist es leider besonders die Wirtschaftspolitik, die die Gemeinsamkeiten von Europäern
und Amerikanern immer mehr zum Sprengen bringt. Zwar nicht so sehr aus volkswirtschaftlichen
Gründen, sehr wohl aber aus kulturgeschichtlichen Gründen ist es eine
Dummheit der USA, der EU immer mehr trojanische Pferde ( )
und Esel ( )
vor die Tore zu setzen. Eine noch größere Dummheit begeht allerdings,
wer die Warnungen seines Laokoon falsch versteht und wie seinerzeit
die Trojaner das Unheil bringende Geschenk annimmt - anders gesagt:
wie die EU jede EU-Erweiterung als Geschenk annimmt. Doch von größter
Dummheit ist, wer seine eigene Eselei (Polen )
nicht bemerkt. Das wäre ungefähr so, als hätten damals die im Geschenk
versteckten Griechen nicht gewußt, warum sie darin versteckt sind. Wenn
sich nichts Grundlegendes ändert, werden die USA der EU wohl auch in Zukunft
noch einige trojanische Pferde vor die Tore setzen. Die USA und manche
ihrer Realpolitiker mögen sagen, daß sie, zu einem
aggressiven geopolitischen Interessenkalkül verurteilt ( )
seien, um vor der Konkurrenz auf dem Globalmarkt so viele Schlüsselpositionen
wie möglich zu besetzen. Zu einem solchen globalpolitischen Schachbrettzug
gehört eben auch die Mattsetzung Europas durch die von Washington gewünschte
Integration der Türkei in die EU, so Sloterdijk ( ),
und schon 2004 geschah die EU-Integration Osteuropas auf besonderen Wunsch der
USA. 
Wenn
Bush wirklich ein starkes Europa will, wie er immer wieder beteuert, aber auch
die EU-Mitgliedschaft der Türkei will, wie er immer wieder fordert, dann
will er ein militärisch starkes Europa sowie eine wirtschaftlich schwache
EU und ist nicht auf der Höhe der Zeit, weil er mit einer solchen Politik
nicht nur Europa, sondern langfristig auch Nordamerika, ja die gesamte westliche
Kultur zu ruinieren droht, ohne es zu ahnen. Oder ist sein langfristiges Ziel
ein die gesamte Kultur umfassender Staat?
So wäre
wohl besser, wenn wenigstens Nordamerika und das abendländische Europa zusammen
sowohl eine wirtschaftliche als auch eine staatliche oder zumindest militärische
Union bilden würden. Aber danach sieht es derzeit nicht aus. (Wenn man an
die Analogien zur Antike denkt, dann würde es dennoch passieren, aber eben
mit Gewalt!). Wie sonst sollen die derzeitigen Anfeindungen relativiert werden
können? Nun, zunächst muß man dafür die Differenzen
überhaupt kennen. Wenn die wirtschaftspolitischen Anfeindungen zwischen USA
und EU in Zukunft sogar beigelegt oder zumindest relativiert würden, könnten
beide sich intensiver auf das Wichtigere konzentrieren. Auf
eine kürzeste Formel gebracht, kann man nur (heraus-) fordernd sagen: Die
Amerkaner und besonders die US-Amerkaner müssen wegen ihrer noch sehr jungen
Geschichte, ihrer Unerfahrenheit, von den Europäern und besonders von den
Alt-Europäern wegen deren schon sehr alten Geschichte, deren Erfahrenheit,
lernen; doch die Europäer und besonders die Alt-Europäer müssen
endlich begreifen, daß nicht jede Katastrophe eine bedingungslose
Kapitulation bedeutet und die Werte, die die USA verteidigen, auch europäische
Werte und deswegen zumeist alt-europäische Werte sind. Es sind Werte der
abendländischen Kultur!Am meisten lehrt
uns die Kultur, die uns verwandt und diametral entgegengesetzt ist: die apollinische
Antike. Wie alles andere war auch ihre Imperialpolitik für fast alle Beteiligten
sichtbar (populär), ganz im Gegensatz zur Imperialpolitik des faustischen
Abendlandes, denn sie ist für fast alle Beteilgten unsichtbar (unpopulär),
und diese Esoterik wächst in demselben Maße wie das Alter dieser Kultur.
Wer beispielsweise glaubt, daß ein Cäsar nicht in parlamentarischen
Systemen, sonderm nur in diktatorischen Systemen möglich sein könne,
irrt gewaltig. Es liegt an der jeweiligen Kultur, deren Form bzw. Ursymbol und
Seelenbild ( ),
was sich wie an der Oberfläche zeigt und in der Tiefe doch dasselbe ist wie
in jeder Kultur.Wenn die us-amerikanische
Historikerin Condoleeza Rice die Parallele zum Römischen (Welt-) Reich nicht
akzeptieren will, weil für sie die Vereinigten Staaten keine imperialen Ambitionen
hätten, dann nenne ich sie 1.) eine schlechte
Historikerin und 2.) eine gute Außenministerin,
denn: 1.) auch das Römische (Welt-) Reich behauptete
stets, keine imperialen Ambitionen zu haben (sondern die Anarchie bekämpfen
zu müssen), und 2.) auch für das Römische
(Welt-) Reich war entscheidend, wer auf der richtigen Seite der Geschichte
stand. Für Rom waren es diejenigen, die nicht zu den Barbaren gehörten,
und für die USA sind es diejenigen, die nicht zu den Schurkenstaaten bzw.
Terroristen gehören. Rice meint z.B. Länder, die an gemeinsame Werte
glauben - sie nennt Demokratie, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit
(vgl. Claus Kleber, a.a.O., S. 11 )
- und die das Streben nach einem Wohlstand fördern, der die Menschenwürde
sichert; und wer in diesem Satz Demokratie und Freiheit durch Republik
und Freiheit sowie Würde durch Ehre ersetzt,
erhält exakt die Argumente eines sich auf die republikanische Tradition Roms
beziehenden Konservativen im Rom des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr.
!    Es
sei kein Kampf der Religionen, hat George W. Bush immer wieder erklärt -
kein Wunder: es gibt mehr als 500 Religionsgemeinschaften in den USA, und kein
US-Präsident ( )
kann es sich erlauben, einige von ihnen zu benachteiligen - frei nach Goethe ( ):
Die Geister, die man einst rief, wird man heute nicht mehr los -, denn
nicht nur sie, sondern auch die Nicht-Betroffenen wären sofort alarmiert.
Der Glaube, daß sich der Staat aus dem Seelenleben seiner Bürger
herauszuhalten habe, gehört zum Grundverständnis, ist Existenzbedingung
der Vereinigten Staaten. Anders wäre diese Vielfalt nicht zusammnzuhalten.
(Claus Kleber, a.a.O., S. 52 ).
Angeblich sind aus einem Selbstverständnis heraus die Bürger der USA
bereit für ihre Werte zu kämpfen, für ihre Selbstverständlichkeiten
also, und dazu gehören die unveräußerlichen Rechte
der Unabhängigkeitserklärung: Freiheit, physische, aber auch die Freiheit
der Meinungsäußerung und eben die Freiheit auf jede Religion. Über
all dem spannt sich der Glaube an die ewige Überlegenheit von Demokratie
und Marktwirtschaft. Seit dem Fall der Mauer (1989) gilt dies für viele US-Bürger
nicht mehr nur als Glaube, sondern als Tatsache (!?). Angeblich sind deshalb die
Bürger der USA überzeugt, daß die Welt nach diesen Grundsätzen
friedlich werden muß, weil zwischen offenen, demokratischen Gesellschaften
Konflikte immer friedlich gelöst werden (US-Amerikaner
sind demnach also doch Kantianer !).
Die Menschen lassen angesichts der Schrecken des modernen Krieges (über die
ja dann auch frei berichtet wird) nichts anderes zu. (Claus Kleber, a.a.O.,
S. 53-54 ).
Der Chefkorrespondent der New York Times, Tom Friedman, meint sogar: Zwei
Staaten, in denen es McDonald's gibt, führen keine Kriege gegeneinander.
(Klingt das nicht selbst schon wie eine Kriegserklärung?). Die Mission der
Neokonservativen folgt der simplen Logik: Wenn eine solche Ordnung
Frieden garantiert, kann eine Weltmacht nur in Frieden leben, wenn es ihr gelingt,
die ganze Welt so zu organisieren. Also: Was gut ist für die USA, muß
auch gut sein für die Welt, so die Glaubensdevise vieler US-Bürger.
Wie schon gesagt: Auch in den USA beansprucht eine fundamentalistisch-christliche
Partei Gottes die Lenkung des Weltgeschehens. Die Neokonservativen,
die als Ausgangspunkt ihrer Ideologie offenbar auch die Thesen des Politologen
Francis Fukuyama (vgl. The End of History and the Last Man, 1992 )
gewählt haben, nehmen besonders enorm Einfluß auf die Gestaltung us-amerikanischer
Diplomatie und Strategie.Washingtons
Denkfabriken sind keine Elfenbeintürme. Die wirklich wichtigen »Think
Tanks« nehmen aktiv Einfluß auf die Politik. Das Institute for Advanced
Strategic and Political Studies zum Beispiel, ein Ableger der mächtigsten
Lobbygruppe in den Vereinigten Staaten: des American-Israel Political Action Committee
(AIPAC). Im Sommer 1996 erarbeitete das noch junge Institut eine Studie mit dem
apodiktischen Titel »Clear Break«, »Klarer Bruch«. Es
war eine Auftragsarbeit der israelischen Regierung für den neuen Premierminister
Benjamin Netanyahu. Mindestens drei der Autoren, das wissen wir heute, hatten
noch eine große Zukunft vor sich: Richard Perle wurde
später Chef von Donald Rumsfelds externem, aber einflußreichem Verteidigungspolitischen
Rat. Douglas Feith, ein Anwalt, der unter anderem die Interessen
israelischer Rüstungsfirmen in Washington vertrat, wurde unter Bush jr. als
Staatssekretär in der politischen Abteilung des Pentagon dritthöchster
Zivilbeamter des Verteidigungsministeriums, und David Wurmser
ist in der Nahostabteilung des Außenministeriums gelandet. Diese Männer
empfahlen damals schon einen radikalen Kurswechsel der israelischen und damit
auch der us-amerikanischen Politik. Der Staat der Juden solle das Konzept »Land
gegen Frieden« aufgeben .... Statt dessen solle sich Israel darauf konzentrieren,
Saddam Hussein auszuschalten. Damit würde das Kräftegleichgewicht im
Nahen Osten zugunsten von Israel verschoben, weil einer seiner militärisch
und wirtschaftlich potentesten Gegner wegfiele. Syrien, ebenfalls unter Kontrolle
einer Ba'ath-Diktatur, werde dann allein stehen und gezwungen sein, seine aggressive
Haltung gegenüber Israel aufzugeben. So könnte im Sinne einer neuen,
positiven Dominotheorie das Konzept von Demokratie, offener Gesellschaft und Marktwirtschaft
einen Siegeszug durch den Nahen Osten antreten und Frieden sichern. (Claus
Kleber, Amerkas Kreuzzüge, 2005, S. 91-92 ).
George W. Bush erklärte schon am 30.01.2001, also
nur 10 Tage nach der Amtseinführung ( ),
in der ersten Konferenz seines Sicherheitsteams seinen verblüfften
Mitarbeitern: »Wir werden die Unausgewogenheit der letzten Regierung ( )
im Nahostkonflikt korrigieren. Wir gehen zurück an die Seite Israels. Und
da bleiben wir. Clinton hat den Spagat versucht, und deshalb ging alles schief.«
.... Außenminister Powell ... erinnerte an die Gewaltbereitschaft der Palästinenser
und Israelis in den besetzten Gebieten. . .... »Das könnte schlimme Folgen
haben«, sagte Powell ..., »besonders für die Palästinenser.«
Doch der Präsident hatte sich offenbar schon entschlossen, dieses Argument
nicht gelten zu lassen. »Vielleicht kommt die Sache auf diese Weise am ehesten
in Ordnung ...« Powell war sprachlos. (Claus Kleber, Amerkas Kreuzzüge,
2005, S. 96-97 ).
Bush und seine Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice sahen den Palästinakonflikt
schon in einem größeren Zusammenhang, nämlich in dem, der den
Theorien der Neokonservativen zugrunde lag. Laut Kleber ließ
dies die Tagesordnung vermuten: Bush rief nämlich gleich den ersten
formellen Punkt auf: »Worum soll's heute gehen, Condie?« - »Hauptpunkt
soll sein: Wie destabilisiert der Irak den Nahen Osten?«, antwortete die
Sicherheitsberatierin .... Zur Einstimmung präsentierte CIA-Direktor George
Tenet die Luftaufnahme einer Fabrik im Irak, die seiner Ansicht nach in der Lage
war, chemische oder bilologische Waffen zu produzieren. .... Diesmal war es der
erfahrene Industriekapitän O'Neill, der die einzige kritische Frage stellte:
»Ich habe überall auf der Welt viele solche Anlagen gesehen. Woher
kommt unser Verdacht, daß die hier solche Waffen produzieren?« ....
Mit seiner Eröffnungserklärung über Israel und mit der Überschrift
des aktuellen Tagesordnungspunkts hatte der neue Präsident eine Richtlinie
seiner Politik gesetzt: Die USA würden sich aus dem unerfreulichen Klein-Klein
des Palästinakonflikts zurückziehen und den Blick auf die großen
Zusammenhänge richten. Damit stand - ohne größere Diskussion -
der Irak als die wesentliche Quelle allen Übels in der Region fest.
(Claus Kleber, ebd., S. 97-98 ).
10 Tage nach Bushs Amtseinführung!  »Zehn
Tage im Amt, und schon ging es um den Irak«, faßt Suskind O'Neills
Erinnerungen an das Treffen in sarkastischer Kürze zusammen. Von nun an ging
es um das »Wie« einer militärischen Operation. Das alles entscheidende
»Warum« war nie ernsthaft diskutiert worden .... Es hätte für
die NeoCons kaum besser laufen können .... Es ist eine Menge geschrieben
und geschlußfolgert worden aus dem Verlauf dieses ersten Treffens des Sicherheitskabinetts
(30.01.2001). Vielen in den USA und vor allem in
Deutschland erscheint es als Beweis dafür, daß George Bush - angestiftet
oder als Anstifter - schon zu Beginn seiner Amtszeit ( )
den Krieg mit dem Irak wollte. (Claus Kleber, Amerkas Kreuzzüge,
2005, S. 98-99 ).
Und der 11. September 2001 war für viele Eifrige (!?) eine günstige
Gelegenheit, den Israel-Palästina-Konflikt (zugunsten
Israels!) zu lösen, und zwar auch und vor allem über einen neuen
Irak-Krieg. Die Trümmer des World Trade Center rauchten noch, da plädierte
Paul Wolfowitz bei der ersten Sitzung des Sicherheitskabinetts nach den Anschlägen
für einen Krieg gegen den Irak statt gegen Afghanistan. In dem bettelarmen
Land am Hindukusch bestehe die Gefahr, daß die Truppen der USA in einen
endlosen Guerillakrieg verwickelt würden, der der Supermacht auf Jahre hinaus
jede Bewegungsfreiheit rauben werde (deshalb wurde diese
Drecksarbeit auch immer mehr zur Sache der Spezial-Supermacht Deutschland
!). Irak sei ein lohnenderes Ziel, argumetierte Wolfowitz: ein bröckelndes
Regime, existierende Widerstandsbewegungen, die den vordringenden US-Truppen zur
Seite stehen würden, und leicht erreichbare, hoch profitable Ölquellen,
mit denen der Wiederaufbau des Landes zu finanzieren wäre (!?).
Außerdem und vor allen Dingen werde mit dem Sturz des Diktators in Bagdad
eine Welle der Demokratie über die gesamte Region schwappen (!?).
Colin Powell hielt dagegen. Es gebe keine Verbindung zwischen den Anschlägen
des 11. September (2001) und Saddam Hussein. Das
us-amerikanische Volk verlange eine Antwort auf die Anschläge, einen Angriff
auf Osama Bin Laden, Al-Qaida und Afghanistan. Die verwundete Nation werde keinen
Krieg akzeptieren, der das ignoriere. Die Frage war entscheidungsreif. Der Präsident
forderte seine wichtigsten Leute auf, ein Votum abzugeben. Es ging vier zu null
aus - mit einer bemerkenswerten Enthaltung von Rumsfeld. So fiel um den 15. September
2001 herum der Beschluß für den Afghanistan-Krieg. (Claus Kleber,
ebd., S. 101-102 ).
Aber das Thema Irak - der Irak-Krieg - war damit nicht vom Tisch. Am liebsten
hätten viele schon jetzt Krieg gegen den Irak statt gegen Afghanistan geführt. Als
Bush 2000 nach seinem wichtigsten Philosophen gefragt wurde, antwortete er: Jesus
Christus, denn er hat mein Leben verändert, und als er am 11. September
2001 in der Grundschule von Sarasota von den Anschlägen auf New York und
Washington erfuhr, begann für ihn offenbar die Zeit moralischer Absolutheit.
Schon in den ersten Stellungnahmen bezog er sich auf die Bibel, sprach von den
Kräften des Bösen. ( ).
Drei Tage später sprach er in der National Cathedral in Washington:
Die Feinde der Freiheit greifen Amerika an, weil wir die Heimat und die
Festung der Freiheit sind .... Dieser Konflikt wurde zu einer Zeit begonnen, die
andere vorgegeben haben. Er wird in einer Weise und zu einer Zeit enden, die wir
bestimmen. Gottes Zeichen sind nicht immer die, die wir erwarten. In solchen Tragödien
lernen wir, daß seine Wege nicht die unseren sind .... Unsere Einigkeit
entstammt der Trauer und der unerschütterlichen Entschlossenheit, unsere
Feinde zu besiegen. Diese Einigkeit gegen den Terror reicht nun um die ganze Welt.
(George W. Bush, 14.09.2001). Sind die Vereinigten Staaten wirklich die
Festung der Freiheit? Wer sind die Feinde der Freiheit
? Ist das alles nur Propaganda? Sicher ist, daß Freiheit
zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Räumen völlig unterschiedlich
verstanden und begriffen wird! Die Freiheit ist also immer
auch abhängig von der Historie und der Geographie und deshalb in der jeweiligen
Gegenwart eine Frage der jeweiligen Geopolitik: Bush
nennt uns »Feinde der Freiheit«. Warum greifen wir dann nicht Schweden an,
zum Beispiel? (Osama Bin Laden in seiner Videobotschaft zur US-Wahl
2004).
Osama Bin Laden nennt uns Ungläubige.
Warum greift er dann die USA an, die doch immerhin innerhalb der westlichen (abendländischen)
Kultur eine der gläubigsten Nationen ist? Oder umgekehrt gefragt: Bush
nennt die islamischen Fundamentalisten Feinde der Freiheit und Irak,
Iran, Lybien, Nordkorea und einige andere Staaten Schurkenstaaten.
Warum greift er dann nicht Saudi-Arabien an, zum Beispiel? Bush will die
Demokratie in Afghanistan und Irak einführen, aber offenbar versteht er unter
Demokratie abhängige Patronate unter der Leitung eines Prokonsuls bzw. eines
Mullahs oder Aytollahs, also doch nur Diktatur! Warum läßt Bush zu,
daß durch den afghanischen Rauschgifthandel mehr Menschen sterben als unter
der mörderischen Taliban-Regierung und daß im Irak über den Weg
einer nur scheinbaren Demokratie wieder eine Diktatur entsteht? Bush redet
vom Kampf gegen den Terror, vom Krieg gegen das Böse
( ),
als wollte er gegen den Kampf kämpfen, gegen den Krieg Krieg führen.
Warum spricht er nicht vom islamischen Fundamentalismus, zum Beispiel, oder vom
Kampf der Kulturen ( ),
zum Beispiel?
Nicht der Terror ist die wahre Herausforderung,
sondern der Fundamentalismus. Der Terror ist lediglich eine Kampfmethode, genauer:
eine besonders schmutzige Art, Krieg zu führen (Claus Kleber,
a.a.O., S. 57 ).
Der derzeit wahre Gegner der us-amerikanischen Idee bzw. des west-christlichen
Fundamentalismus, also der Abendland-Kultur, ist das Konzept des islamischen Fundamentalismus,
also der Morgenland-Kultur ( ).
Peter Scholl-Latour hatte schon den richtigen Riecher, als er für sein 2002
erschienenes Buch einen Titel mit einem (rhetorischen) Fragezeichen wählte:
Kampf dem Terror - Kampf dem Islam? ( ).
Hinter der Floskel Kampf dem Terror steht der wahre Titel: Kampf
dem Islam als Kampf gegen den fundamentalistischen Islam, und der bedeutet
Krieg. Auch meint Huntingtons Kampf der Kulturen ( ):
Krieg der Kulturen. Hinter der vorsichtigen Ausdrucksweise der Autoren verbirgt
sich eine Ernsthaftigkeit, die sich aus der Logik ergibt, denn der Terror ist
tatsächlich eine Kampfmethode im Sinne einer besonders schmutzigen Art, Krieg
zu führen, und deshalb immer auch schon: Krieg. Seit Beginn unserer Phase
des Globalismus ( )
sichert nur noch weltweiter Anspruch eine Domäne. Jeder Fundamentalismus
- egal ob westlich-christlich, magisch-islamisch, hinduistisch-buddhistisch, taoistisch-konfuzianisch
oder primitiv ( )
- bezieht sich, wie das Wort verrät, auf ein Fundament: Kultur. Die Zugehörigkeit
zu einer Kultur äußert sich aber in vielen Bereichen, und weil z.B.
die magische Kultur ( )
eine der religiösesten Kulturen überhaupt ist, wundert es nicht, daß
gerade ihre Angehörigen sich fundamental auf ihren Glauben beziehen - mit
Gewalt! Es geht um Macht!Zum Einsatz von Gewalt. Das ist so ein
Punkt, bei dem Bush mehr als seine Vorgänger die traditionelle (us-)
amerikanische Sicht vertritt. Manch eine europäische Regierung - die deutsche
ist so eine - denkt da ganz besonders europäisch. Sie glauben eben, daß
man die Welt durch die Vereinten Nationen regieren kann. Wir nicht. Die Welt besteht
aus Nationalstaaten mit widerstreitenden Interessen, und da wird militärische
Macht weiter eine große Rolle spielen. .... Ich wünschte, wir hätten
die Macht, Nordkorea seine Atomwaffen aus der Hand zu schlagen. Ich wünschte,
wir könnten das verkommene Mullahregime in Teheran beseitigen, das sein Volk
unterdrückt. Mir machen die Grenzen der (us-)
amerikanischen Macht viel größere Sorgen als ihre Exzesse. Wir haben
auf dem Balkan zu lange gezögert, wir haben uns aus Ruanda herausgehalten,
wir haben Osama Bin Laden zu lange laufen lassen, und wir hätten uns viel
früher um Saddam Hussein kümmern sollen. In den letzten dreizehn Jahren
sind mehr Menschen wegen unserer Zurückhaltung gestorben als wegen unserer
Aktionen. Wir hätten der Welt viel Leid ersparen können. (William
Kristol, Weekly Standard, zit. in: Claus Kleber, a.a.O., S. 55-56 ).
All das ist zwar sachlich richtig, aber ansonsten falsch, weil bei all diesen
Unternehmungen ständig große Fehler gemacht worden sind. Die Fehler,
die US-Amerikaner immer wieder machen, und zwar seit Beginn ihrer Geschichte,
also seit Ende des 18. Jahrhunderts, sind in der Tiefe immer dieselben: Infantiler
Auserwähltheitsglaube und arrogante Naivität von Cowboys und Revolverhelden,
die in der Unerfahrenheit, in der noch sehr jungen Geschichte der USA begründet
sind. Dabei könnte man diese Probleme lösen, wenn sowohl Nordamerikaner
als auch Westeuropäer mehr von ihren jeweiligen Schwächen und Stärken
wüßten und die Einsicht in die Notwendigkeit hätten, voneinander
zu lernen. US-Amerikaner müssen auch begreifen, daß das alte Europa
auch das alte Abendland ist, und zwar nicht zuletzt wegen der Unterscheidung vom
Morgenland ( ),
und daß z.B. der Islam von seinem Beginn an für das Abendland eine
Existenzbedrohung bedeutete, obwohl das später immer mehr auch umgekehrt
so war. Oder positiv gesagt: Das Abendland verdankt auch der magischen Kultur
( )
und ja gerade dem Sieg über die Araber (732), daß es überhaupt
zur Welt kommen konnte, geboren werden konnte. ( ).
Westeuropäer müssen wieder lernen, woher sie kommen und warum Katholizismus
und Protestantismus (Luthertum, Calvinismus, Puritanismus, Pietismus u.s.w.) zur
abendländischen Geschichte gehören und deshalb für die abendländische
Gegenwart und Zukunft wichtig sind. In den USA scheint der abendländische
Glaube lebendiger zu sein als in Europa ( ),
obwohl man bei der Bewertung aufpassen sollte, denn in den USA hat dieser Glaube
oft den Charakter einer Sekte, und in Europa bedeutet Sekte eher Aberglaube und
Verbrechen. In Europa ist man Sekten gegenüber feindlich eingestellt, und
man macht sich gar keine Gedanken darum, daß man dadurch automatisch auch
den USA gegenüber feindlich eingestellt ist. Die USA müßten einen
Teil ihres Selbstverständnisses aufgeben, wenn sie verstehen wollten, warum
in Europa dieselbe rigorose Religionsfreiheit wie in den USA völlig andere
Konsequenzen haben muß und haben wird. Aber dafür sollten sie, müssen
sie Verständnis haben (ein Blick in den Atlas allein zeigt schon, warum),
denn Europa ist nur ein kleiner Zipfel des eurasischen Kontinents und wird außerdem
bald mit dem afrikanischen Kontinent kollidieren (dies ist nicht nur geologisch
gemeint! ).
Amerika ist von fast allen anderen Kontinenten sehr weit entfernt und auch sonst
gut isoliert; in Europa aber ist genau das Gegenteil der Fall, und
die derzeitige demographische Entwicklung in Europa zeigt die Tendenz, daß
Europa seine Zukunft aufs Spiel setzt und, wenn überhaupt, dann nur noch
von den USA zu retten sein wird. ( ).
Deshalb noch einmal die dringende Forderung nach einer NATO-Reform ( ),
weil die NATO in ihrem ursprünglichen Defensiv-Rahmen seit Ende des 20. Jahrhunderts
nicht mehr existiert ( )
und die neue NATO-Befehlsstruktur falsch ist ( )
! Doch manche Fehler sind so alt wie die NATO selbst:Die NATO war am
4. April 1949 gegründet worden, um in Europa die USA drin, die Russen
draußen und (das Wichtigste!) die Deutschen
unten zu halten (Claus Kleber, Amerkas Kreuzzüge, 2005, S. 131 ),
denn Deutschland war und ist der Konkurrent der USA. Mit der Gründung der
NATO sollte - wie übrigens auch mit der Gründung der Montan-Union (EGKS ),
dem Vorläufer der heutigen EU - verhindert werden, daß Deutschland
wieder Weltmacht wird. Deutschland war der Hauptgrund, die Sowjetunion nur ein
Nebengrund. Es war ein großer Fehler der USA, die Sowjetunion zu verharmlosen
- ein Fehler, den man auch Roosevelt nennen könnte, denn schon
Franklin D. Roosevelt ( )
hatte mehr kommunistische Berater als die Historiker der USA heute zugeben wollen.
Dieser Fehler bescherte dem Westen den 40jährigen Kalten Krieg. Als
die USA den Fehler erstmals bemerkten - in und nach dem Korea-Krieg (1950-1953),
war es zu spät für eine Revision, denn die Sowjets hatten mittlerweile
eine Atombombe geschenkt bekommen: von einem Deutschen!  Die
NATO-Signatarmächte ( )
verpflichteten sich zum gegenseitigen militärischen Beistand - zur Verteidigung
! Jedes Land entscheidet autonom, mit welchen Mitteln es seiner Beistandspflicht
nachkommt (Artikel 5). Jeder bewaffnete Fremdangriff gegen einen Mitgliedsstaat,
gegen dessen in Europa stationierte Truppen, sowie gegen die einer der parteien
unterstehenden Inseln, Streitkräfte, Schiffe und Flugzeuge im Mittelmeer
oder Nordatlantik nördlich des nördlichen Wendekreises gilt als Bündnisfall
(Artikel 6). Der Vertrag bedarf keiner periodischen Erneuerung. Die Kündigungsfrist
beträgt 1 Jahr. Oberstes Organ ist der Ständige Rat (Nordatlantikrat,
NATO-Rat; Artikel 9), in dem alle Mitgliedsländer vertreten sind. Dem Rat
sind verschiedene Ausschüsse nachgeordnet. Oberste militärische Instanz
ist der Militärausschuß, dem die Stabschefs (Generalinspekteure) der
beteiligten Länder angehören; ihm untersteht der Internationale Militärstab
(IMS). Das Bündnisgebiet ist mit je 1 allierten Oberbefehlshaber eingeteilt
in 3 Kommandobereiche: Europa, Atlantik und Ärmelkanal. |
Seit
die NATO gegen ihren eigenen Vertrag verstößt und ihre Führungsstruktur
dem Unilateralismus der USA entspricht, ist die NATO kein Verteidigungbündnis
mehr, aber eine Reichs- bzw. Imperialgewalt und darum eher ein Bündnis von
Schurkenstaaten als ein Bündnis, das sich gegen Schurkenstaaten verteidigt,
weil es in Wahrheit nur angreift - auch sich selbst, denn laut NATO-Vertrag ist
die NATO ein Verteidigungsbündnis, und nur in diesem sind die USA die Dispositarmacht.
Ein Blick auf die Weltkarte genügt, um festzustellen, wo die NATO ihre Territorien
verteidigt und wer dort wem dient.Im Mai 2002 sagte George W. Bush zu
Claus Kleber: »Hören Sie, ich glaube an Bündnisse. Ich weiß,
daß Amerika den Krieg gegen den Terror nicht allein gewinnen kann. Ich freue
mich darauf, diesen Punkt mit dem deutschen Kanzler zu besprechen.« Tatsächlich
war da der Zug längst abgefahren - in Richtung Krieg. Tags darauf brach der
Präsident nach Berlin und Moskau auf. Auf dieser Reise sollte das tief greifende
Zerwürfnis zwischen ihm und Gerhard Schröder seinen Anfang nehmen, zunächst
noch unerkannt. Außenminister Colin Powell wurde in dieser Phase zum Bewahrer
der internationalen Traditionen der US-Außenpolitik und zum Hoffnungsträger
der Verbündeten. Er hatte schon als NATO-Offizier, unter anderem in Deutschland,
den Wert internationaler Allianzen schätzen gelernt, vor allem aber als Generalstabschef
des ersten Golfkriegs (1990-1991). Damals kämpften
Soldaten aus 28 Nationen an der Seite der USA, andere beteiligten sich mit gewaltigen
Zahlungen. Außenminister James Baker reiste von Hauptstadt zu Hauptstadt
und offerierte den Deal aus (us-) amerikanischer
Sicht: Das Völkerrecht werde von Saddam Hussein mit Füßen getreten,
die Stabilität des Nahen Ostens und die Ölversorgung aller Industrienationen
seien hochgradig gefährdet. Es müsse gehandelt werden. Die USA würden
die Hauptlast der Kämpfe und damit die Verluste an Menschenleben übernehmen,
aber wenigstens das Geld müsse von den Partnern kommen. Die Welt akzeptierte
die Rechnung. Von den Gesamtkosten des Krieges, rund einundsechzig Milliarden
Dollar, trugen die USA am Ende nur noch 7,3 Milliarden, Deutschland immerhin 6,6
Milliarden (!!!). Da diese Zahlen von US-Buchhaltern
ermittelt wurden, kann man davon ausgehen, daß eine ehrliche Bilanz für
Washington noch günstiger aussieht (!!!). Der
wichtigste Nutzen der Golfkriegsallianz war nicht in Geld auszudrücken: Obwohl
überall in Europa und Japan Hunderttausende unter dem Banner »Kein
Blut für Öl« gegen den Krieg demonstrierten, hatte die Position
der USA in der Welt und in den Weltorganisationen keinen Schaden genommen.
(Claus Kleber, Amerkas Kreuzzüge, 2005, S. 133-134 ).
Das sollte sich jedoch ändern mit dem 2. Irak-Krieg ( ),
ja sogar schon während der Planung ( ):Besonders
schlimm war die Fehleinschätzung des Irak durch die Bush-Administration und
ihr Glaube, daß Saddam Hussein hinter den Anschlägen auf New York und
Washington stecke, und diesen Glauben trug die Propaganda ins ganze Land - mit
Erfolg! ( ).
Hier saßen Menschen in verantwortlichen Positionen, die genau die
Ergebnisse haben wollten, die sie bekamen. (Claus Kleber, Amerkas Kreuzzüge,
2005, S. 129 ).
Und für die Leute, die sich noch mehr Macht und Einfluß versprachen,
begann eine große Zeit, z.B. im so wichtigen Bereich der Militärpolitik
für Richard Perle ( )
im Verteidigungspolitischen Rat, für Douglas Feith ( )
im Interesse Israels (Rüstungsfirmen u.a) und damit auch im Bereich der Außenpolitik,
nämlich in der Nahostabteilung des Außenministeriums, in der auch David
Wurmser ( )
avancierte. Ihnen und vielen anderen Machthungrigen schien es dabei völlig
egal zu sein, daß die Stellung der USA in der Welt durch immer größere
Fehler - besonders eben durch die Fehler bezüglich des Irak - immer schlechter
wurde, laut Senator Jay D. (= John Davidson) Rockefeller
sogar schlechter als je zuvor. Fatale Verbindung dummer Arroganz und
Angst!Es diente der Durchsetzung einer Politik - mit anderen (ursprünglicheren)
Mitteln: Krieg -, daß George W. Bush drei völlig verschiedene Staatssysteme
in einen terroristischen Topf namens Achse des Bösen ( )
warf, denn das geistlich-islami(sti)sche System im Iran, das weltlich-matarialistische
System im Irak und das stalinistisch-maoistische System in Nodkorea haben nichts
gemeinsam bis auf das Feindbild, und das wurde für sie ausgerechnet durch
Bushs Propaganda mit religiös-theologischen Glaubensbegriffen und noch mehr
durch den dann tatsächlich von ihm begonnen Krieg gegen das Böse
( )
als richtig bestätigt. Und in den angeblich so demokratischen USA wurde auch
etwas bestätigt: Das Volk der USA sollte durch Propaganda und Pressezensur
zum Mitmachen oder aber zumindest über Unwissenheit zum Schweigen gebracht
werden. Das hat geklappt, denn die Mehrheit macht mit und die Minderheit schweigt
!  George
W. Bush war von Anfang an von Ziel und Plan seiner Politik überzeugt. Er
kam über seinen religiös-theologischen Glauben zu denselben Ergebnissen
wie die Neokonservativen (NeoCons) über ihr infektiös-ideologisches
Denken. George W. Bush ist kein Ideologe, die Neokonservativen sind keine Theologen. Die
Vereinigten Staaten (von Amerika oder der Welt? )
haben den Globus fast ganz für sich, sind mit ihren Special Forces
in über 120 Ländern im Einsatz und für jeden Quadratkilometer
Erdoberfläche ist einer von vier regionalen Commandern zuständig. Jeder
verfügt allein für den Betrieb eines Hauptquartiers über zweistellige
Millionenbeträge, dazu kommt die militärische Macht. Der Herr des Pacific
Command in Hawaii zum Beispiel, von dessen Existenz in Europa kaum jemand
weiß, befehligt dreihunderttausend Soldaten, wacht über dreiundvierzig
Staaten in elf Zeitzonen, vier der größten Armeen der Welt und sechzig
Prozent der Weltbevölkerung. .... Seine drei Kollegen - zwei von ihnen sind
noch einflußreicher als er - teilen sich den Rest der Welt. Ihre Gesprächspartner
sind die Regierungschefs. Die Commander werden aus guten Gründen mit den
Prokonsuln des Römischen Weltreichs verglichen. Demgegenüber wirken
alle Bemühungen um eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
geradezu provinziell. Omnipräsenz garantiert kein Verständnis für
die Welt. Große Mächte machen große Fehler, wie sich im Irak
gezeigt hat. Trotzdem beweist die Geschichte der letzten Jahre - vom Balkan über
Osttimor und Ruanda bis Afghanistan und Darfur -, daß die Welt schwerlich
auf eine globale Ordnungsmacht verzichten kann. Die Vereinten Nationen stehen
dafür nicht uneingeschränkt zur Verfügung, weil ihre Spielregeln
auf Konsens und nicht auf Entscheidung ausgerichtet sind. So werden die Vereinigten
Staaten immer wieder zur Ordnungsmacht durch Säumnis der anderen. (Claus
Kleber, Amerkas Kreuzzüge, 2005, S. 264-265 ).
Die Bevölkerung der USA akzeptiert diese Rolle offenbar mit erstaunlicher
Bereitwilligkeit, auch dann, wenn eigene Interessen nicht berührt sind, so
Claus Kleber, der die USA gut zu kennen scheint. Ob man dies positiv sehe, wie
eine knappe Mehrheit der US-Bürger, oder voller Befürchtungen, wie die
Mehrheit der Weltbevölkerung (die nicht gefragt wurde) oder die Mehrheit
der Deutschen (Kleber nennt sogar eine für mich unglaubliche Zahl: 80 Prozent;
vgl. ebd., S. 265 ):
Der Mann im Weißen Haus wird über unser Schicksal mitbestimmen.
(Claus Kleber, ebd., S. 265 ).
George W. Bush und die USA haben es mit einer Weltöffentlichkeit zu
tun, die - mit ganz wenigen Ausnahmen wie Israel ( )
- eine nie da gewesene Feindseligkeit gegenüber der us-amerikanischen Regierungspolitik
hegt. (Claus Kleber, ebd., S. 266 ).
George W. Bush und andere US-Amerikaner bleiben trotzdem überzeugt von einer
Kraft ihres Glaubens, die Wunder bewirken kann (George W. Bush, 3.
Rede zur Lage der Nation, 2003).Also mehr zum Thema Wunder:Washington
könnte sehr bald entdecken, daß die Demokratie ein zweischneidiges
Schwert ist. Präsident Bush wird sich nicht ewig der Erkenntnis verschließen
können, daß sich in Bagdad ein System etabliert, das ... auf eine islamische
Republik schiitischer Prägung zusteuert. Anstelle der säkulären
Terrorherrschaft Saddam Husseins, die sich ideologisch zum arabischen Nationalismus
und zur Trennung von Staat und Religion bekannte, hätte er dann dazu beigetragen,
eine Regierungsform in den Sattel zu heben, für die die koranische Gesetzgebung,
die Scharia, die oberste Richtschnur wäre. (Peter Scholl-Latour, Koloß
auf tönernen Füßen, 2005, S. 293-294 ).Welchen
schiitischen Politiker er für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlagen
wolle, fragte Scholl-Latour im Februar 2005 den Scheich Abdul-Aziz el-Hakim, der
eine Präferenz für Ibrahim-el-Ja'fari zu erkennen gab. Ibrahim-el-Ja'fari
hat sich als Führer der schiitischen Partei Da'wa verdient gemacht und wird
als »Kleriker im Anzug« bezeichnet. Er soll folgende programmatische
Aussage gemacht haben: »Der Islam wird die offizielle Staatsreligion sein
und eine der wichtigsten Quellen der Gesetzgebung neben anderen.«
(Peter Scholl-Latour, Koloß auf tönernen Füßen, 2005,
S. 294 ).In
allen besetzten Gebieten haben alle Bewacher der US-Prokonsuln und alle Soldaten
der US-Armee keinen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung, dürfen keinen
Alkohol trinken und sind auch sonst völlig isoliert: Wie sehr haben
sich doch die militärischen Bräuche seit meinem eigenen Wehrdienst verändert
! so Scholl-Latour. Wenn die Generale des Pentagon glauben,
der Ausbau eines weltweiten Stützpunktssystems ( )
sei das adäquate Konzept für die Sicherung globaler Dominanz bei minimalen
Eigenverlusten, sollten sie zur Kenntnis nehmen, daß eine solche Einbunkerung
in uneinnehmbaren Festungen einer »Einmottung« ihrer Einheiten gleichkäme
und ihre Kampftauglichkeit auf jeden Fall beeinträchtigt. (Peter Scholl-Latour,
Koloß auf tönernen Füßen, 2005, S. 299, 300 ).
Außerdem wird durch eine Selbsterhaltungsnot und Angst signalisierende Isolierung
bei der unterworfenen Bevölkerung die Respektlosigkeit gegenüber der
Weltmacht USA zunehmen. Globale Dominanz ist nichts für Angsthasen.Wenn
man den Sirenen aus Washington Glauben schenkt, dann wäre ein »demokratischer
Frühling« über ganz Arabien erblüht. Mehr noch, der gewaltige
geographische Islam-Gürtel, »Broader Middle East« genannt, der
sich von Marokko bis Pakistan erstreckt, hätte die Vorzüge von Freiheit
und politischem Pluralismus entdeckt, sei auf dem besten Wege - nach dem angeblich
triumphalen Durchbruch der Demokratie bei den irakischen Wahlen -, diesem leuchtenden
Beispiel nachzueifern. »Hat vielleicht George W Bush doch recht gehabt,
als er den von ihm umgestalteten Irak als Leuchtturm der Demokratie
anpries?«, kann man lesen. Selbst renommierte Kommentatoren in den USA und
Europa fallen offenbar auf diesen Unsinn herein. (Peter Scholl-Latour, Koloß
auf tönernen Füßen, 2005, S. 308 ).Man
höre und staune! Den Deklarationen der frisch berufenen Außenministerin
Condoleezza Rice zufolge hat der Irak am 30. Januar den tugendhaften Pfad der
freiheitlichen Emanzipation betreten. Präsident Bush zählt genüßlich
die Länder des Orients auf, in denen die Menschenrechte sich unwiderstehlich
durchzusetzen beginnen. In Saudi-Arabien wurden Kommunalwahlen veranstaltet, an
deren Manipulationen gemessen die bislang übliche Beduinenpraxis der »Schura«
ein weit größeres Maß ehrlicher Mitbestimmung gewährte.
Der Präsident von Ägypten, Husni-el-Mubarak, hat sich seit einem Vierteljahrhundert
als allmächtiger »Rais« im Land der Pharaonen behauptet, sich
alle paar Jahre mit Zustimmung von 97 bis 98 Prozent wiederwählen lassen.
Saddam Hussein, der Resultate von glatten hundert Prozent einheimste, war da ehrlicher.
Jede Form von Opposition hat Mubarak mit Hilfe seiner Nationaldemokratischen Partei
und vor allem seiner brutalen Geheimdienste erstickt. Jetzt hat er auf Druck Washingtons
widerwillig konzediert, daß beim nächsten Volksentscheid über
die Berufung des Staatschefs ein Gegenkandidat zugelassen würde. Daß
dieser Oppositionelle, der wegen eines imaginären Delikts gerade im Gefängnis
saß und entlassen werden mußte, nicht die geringste Chance hat, sich
gegen die Militärdiktatur durchzusetzen, zumal dieser Repräsentant des
liberalen Bürgertums den islamischen Grundvorstellungen der Massen in keiner
Weise entspricht, stört offenbar niemanden am Potomac. Im Emirat Kuweit,
wo die us-amerikanische »Befreiung« im Jahr 1991 wieder die Dynastie
der Sabah in ihre Pfründe einsetzte und die einheimischen Erdölprofiteure
ihre elenden asiatischen Hausangestellten und Hilfsarbeiter wie Sklaven, ja schlimmer
als Tiere behandeln - ein Skandal, der zum Himmel schreit -, hat angeblich eine
Gruppe von Damen der Gesellschaft für das Wahlrecht der Frauen demonstriert.
Beim Überprüfen der Liste dieser »Emanzen« entdeckt man
überwiegend die Namen der einflußreichen Ausbeuteroligarchie dieses
Emirats, das den amerikanischen Streitkräften als rückwärtige Basis
bedingungslos zur Verfügung steht. Über die Gleichberechtigung der Einwohner
der Golf-Emirate, wo es noch relativ duldsam zugeht, wird in der us-amerikanischen
Darstellung immer wieder unterschlagen, daß als Bürger oder Untertanen
dieser von Reichtum strotzenden, aber extrem artifiziellen Gebilde höchstens
ein Viertel der Einwohner in Frage kommt, während der Rest sich aus unterbezahlten
Heloten aus den Armutszonen Südostasiens zusammensetzt. Auf der Insel Bahrein,
deren Herrscher neuerdings den prätentiösen Titel eines »Malik«,
eines Königs, usurpierte und dessen »Liberalität« ebenfalls
aus Washington mit Lob bedacht wird, verschweigt man geflissentlich, daß
drei Viertel der alteingesessenen Einwohner der schiitischen Glaubensrichtung
angehören und als potentielle Staatsfeinde gelten. Als zwingenden Beweis
für die Erfolge der Bush-Diplomatie im Hinblick auf »liberty and freedom«
muß doch tatsächlich die Islamische Republik Afghanistan als Trophäe
herhalten, obwohl deren Präsident Hamed Karsai sich weiterhin als »Bürgermeister
von Kabulistan« verspotten lassen muß. Die brutalsten Warlords haben
dort weiterhin das Sagen, und die relative Beruhigung, die sich zur Zeit eingestellt
hat, ist den übelsten Methoden der Bestechung und Einschüchterung zu
verdanken sowie dem Umstand, daß die islamische Revolution ihr kämpferisches
Schwergewicht nach Mesopotamien verlagert hat. Das »befreite« Afghanistan
ist schlimmer als ein »failed state«, ein mißglückter Staat.
Es ist als weitaus größter Heroinlieferant zum Ausgangspunkt hemmungsloser
Drogenkriminalität, zum Eldorado der Narkotrafikanten geworden. Die Folgen
dürften sich am Ende verhängnisvoller auswirken als die Herrschaft der
grausamen und fanatischen »Koranschüler«, der Taliban von einst.
Der Gipfel der Unverfrorenheit ist erreicht, wenn das Militärregime des General
Parvez Muscharraf von Islamabad als fortschrittlicher Partner des Westens dargestellt
wird, wo doch dessen Mandat als Staatschef und als Oberkommandierender der Streitkräfte
soeben unter Mißachtung jeder Legalität verlängert wurde. Die
Islamische Republik Pakistan wäre vermutlich auch unter der korrupten Führung
der verbannten Oppositionspolitikerin Benazir Bhutto schweren Krisen ausgesetzt.
Aber die Strategen des Pentagon sollten den Atombombenbesitz dieses zu zügellosem
Fanatismus neigenden Vielvölkerstaates, der nur durch die eiserne Faust der
Armee zusammengehalten wird, mit weit größerer Sorge beobachten und
zu kontrollieren suchen als die durch feindliche Nachbarstaaten zur nuklearen
Aufrüstung geradezu verurteilte Mullahkratie des Iran. So geht es mit ungebrochener
Gewalt- und Willkürherrschaft weiter von Marokko, wo der Malik Mohamed VI.
seinen wirklichen Einfluß in seiner Eigenschaft als »Amir-el-mu'minin«,
als Befehlshaber der Gläubigen, geltend macht, bis Jordanien, wo ein haschemitischer
Saud-König siebzig Prozent seiner Untertanen, die palästinensischer
Herkunft sind, in Schach halten muß. Absolut schockierend mutet die Generalabsolution
an, die dem libyschen Paranoiker Muammar-el-Qadhafi nicht nur von den USA, sondern
auch von den Staaten der Europäischen Union erteilt wurde. Dieser berüchtigte
Organisator internationaler Terroranschläge genießt plötzlich
wieder das Wohlwollen seiner Petroleumklienten, ohne daß er seiner geknebelten
Bevölkerung auch nur die geringste Erleichterung zukommen ließ. Statt
dessen wird sein Sohn Seif-ul-Islam als dynastischer Nachfolger aufgebaut. Da
gibt es auch ein paar wohlwollende Despoten, wie den Sultan Qabbus von Oman, aber
das Wort »Hurriya« bleibt bei ihm aus dem offiziellen Sprachgebrauch
verbannt. Gewiß, so wird man einwenden, zeichnet sich in den Palästinensergebieten
eine politische Wende ab, eine Minderung der bislang alles zersetzenden Mißwirtschaft
der »tunesischen« Clique. Aber die ersten Kommunalwahlen haben ergeben,
daß die Führung der islamistischen Hamas, die - im Gegensatz zur Fatah-Bewegung
Yassir Arafats mitsamt den Herren Mahllud Abbas und Ahmed Qurei - soziale Verantwortung
übernimmt und die Nöte der armen Leute zu lindern sucht, an Einfluß
gewinnt. Diese Entwicklung dürfte weder den Israeli noch den US-Amerikanern
ins Konzept passen. Es hat bislang in der arabischen Welt, in der gesamten »Ummat-el-arabiya«,
nur eine einzige ehrliche und freie Parlamentswahl gegeben, und zwar in Algerien
im Dezember 1991. Die dort herrschende Offizierscamarilla hatte offenbar nicht
damit gerechnet, daß die »Islamische Heilsfront« - »jibhat-el-islamiya
lil inqadh« -, die sich bislang durch ihre karitative Fürsorge hervortat
und sich keinerlei Gewaltakte schuldig machte, plötzlich im Begriff stand,
die absolute Mehrheit der Abgeordneten und somit den Anspruch auf Regierungsbildung
zu gewinnen. Die Reaktion ließ nicht auf sich warten und fiel extrem grausam
aus. Die Militärjunta von Algier hat den Volkswillen ignoriert, die bislang
relativ gemäßiste Führungsmannschaft der FIS ermordet oder eingekerkert.
Über ein Jahrzehnt lang hat sie versucht, die sich zunehmend fanatisierenden
»Mujahidin« - die »Afghanen«, wie der Volksmund sie nannte
- mit Stumpf und Stiel auszurotten. Laut vorsichtiger Schätzung haben bei
dem grauenhaften Wechsel von Aufstand und Repression 150000 Algerier den Tod gefunden,
und der Widerstand der Salafisten ist immer noch nicht ganz gebrochen. Im Westen
hat man sich über den brutalen Staatsstreich der Generale nicht entrüstet.
Im Gegenteil, die demokratischen Regierungen Europas und Amerikas haben sich dazu
beglückwünscht, daß der Kelch einer islamischen Machtergreifung
am Südrand des Mittelmeers noch einmal an ihnen vorbeigegangen war. Ähnliches
wie in Algerien - wenn auch nicht unbedingt mit der gleichen Vehemenz - dürfte
sich im gesamten »Dar-ul-Islam« wiederholen, falls Präsident
Bush es ernst meinen sollte mit der Respektierung des Mehrheitswillens der Bevölkerung.
In all diesen Staaten behauptet sich außerhalb der privilegierten Wohnviertel
einer schmalen Metropolenelite - in den Slums der Armen, in den Provinzstädten,
auf dem flachen Land - das Verharren in der frommen islamischen Lebensgestaltung,
ja es findet eine heimliche Rückwendung zu den koranischen Vorschriften der
Scharia statt. Bevor sie mit der Ausschaltung der Baath-Partei von Damaskus auch
noch das letzte säkulare Regime des »Broader Middle East« beseitigen,
sollten sich die Orientexperten der Bush-Administration bewußt sein, daß
die Einführung der Demokratie in dieser Weltgegend ein gefährliches
Pokerspiel bleibt. Mit ihrer Phraseologie von »freedom and liberty«
sind diese Zauberlehrlinge auf dem besten Weg, die Fundamente ihrer eigenen Fremdherrschaft,
die unweigerlich auf einheimische Tyrannen angewiesen ist, eigenhändig zu
erschüttern. Wenn nun gar die neokonservativen Propagandisten verkünden,
die unwiderstehliche Ausbreitung freiheitlicher Ideale, die Fortschritte der Menschenrechte
vollzögen sich in globaler Dimension, da kann man nur mit den empörten
Spaniern, die sich von ihrem Regierungschef Jose Maria Aznar schändlich betrogen
fühlten, ausrufen: »No somos idiotas - Wir sind doch keine Idioten.«
So attraktiv für Völker anderer Kulturkreise sind die neoliberalen Entgleisungen,
auf die sich der Westen neuerdings eingelassen hat, nun wirklich nicht. Der us-amerikanische
Romancier Philip Roth, seit Jahren Anwärter auf den Nobelpreis für Literatur,
hat seine Kritik an dem Bestreben seiner Heimat, die eigenen Verhältnisse
der übrigen Welt zu oktroyieren, auf bissige Weise formuliert: »Dieses
Land wird nicht von seiner Bürgerschaft regiert, in der jeder von uns eine
Stimme hat, sondern von der Börse, die entsprechend ihren Anteilen den Aktionären
gehört.« Mit dem Wort »Demokratie« ist bereits auf skandalöse
Weise Schindluder getrieben worden, als Josef Stalin in Osteuropa sein abscheuliches
Satellitensystem mit dem Pleonasmus »Volksdemokratie« schmückte.
So sollte man wenigstens hoffen, daß nicht auch noch der Begriff »Freiheit«
zum Orwellschen Synonym von Wahlbetrug, Bestechlichkeit und Unterdrückung
wird. Der deutsche Publizist Paul Sethe, der dem konservativen Lager angehörte,
hatte einmal geschrieben, daß die vielgerühmte Pressefreiheit des Westens
mit der »Freiheit« von zweihundert reichen Leuten gleichzusetzen sei,
ihre Meinungen zu veröffentlichen. Die Zahl dieser Privilegierten dürfte
sich inzwischen noch verringert haben. (Peter Scholl-Latour, Koloß
auf tönernen Füßen, 2005, S. 308-313 ). Man
muß sich das einmal vorstellen: 80 % der Weltbevölkerung sollen in
ein System gezwungen werden, das 20 % der Weltbevölkerung beherbergt und
das von nur 0,0000000001 % der Weltbevölkerung gepriesen wird, um von ihm
weiterhin profitieren zu können. Eigentlich ist das der größte,
der weltweite Skandal! 80 % der Weltbevölkerung sollen gegen ihren Willen
die Demokratie annehmen, die aber selbst bei den restlichen 20 % der Weltbevölkerung
nur noch eine tertiäre Rolle spielt, ein Abstiegskandidat ist, unterhalb
der Plutokratie rangiert und in der die Plutokrtaie dominierenden Zeusiokratie
(primäre Rolle!  )
zwar aufgehoben ist - ganz synthetisch ( )
-, aber mehr auch nicht. Ein Kreuz auf einem Wahlzettel machen und danach ohnmächtig
zusehen, welche Diktatur gewählt wurde, wie also eine noch so kleine Demokratieform
wieder zerstört wird - das gilt eben besonders für die nicht-westlichen
80 % der Weltbevölkerung. Wer dieses Rezept empfiehlt, anwendet und auch
sogar global verordnet, will keine Demokratie einführen, muß das aber
ständig suggerieren und behaupten, um über diese Lüge und den damit
verbundenen Spott die Macht über die Welt zu sichern. Weltmacht für
0,0000000001 % der Weltbevölkerung - das ist Cäsarismus! ( ).
In der Phase des Cäsarismus dominiert die joviale Zeusiokratie, in deren
Dienst Plutokratie und Demokratie stehen, so sehr, daß sie den Menschen
die großzügigste Freiheit aller Freiheiten einräumt, doch viele
verlieren sich in dieser Unendlichkeitsfreiheit, weil auch die wenigen Reichen
die Freiheit genießen, ihre Meinung im unendlichen Raum auszudehnen. So
bedeutet z.B. die Pressefreiheit eben, daß etwa 100 reiche Menschen ihre
Meinung medienmächtig verbreiten.Diese Art von Freiheit
und diese Art von Demokratie wollen aber die meisten Menschen nicht,
schon gar nicht die Menschen, die nicht zum Westen (= Abendland) gehören,
und das sind 80 % der Weltbevölkerung. Doch die USA nehmen wie Neu-Kreuzritter
einer neu-apostolischen Bringermacht das Invasionsrecht in Anspruch, das
aus dem Bewußtsein folgt, das Geschenk Gottes an die Menschheit - es heißt
im gegeben Fall democracy - widerstrebenden Empfängern wenn nötig
mit Gewalt in die Hand drücken zu sollen. ( ).
Im Arabischen bedeutet mittlerweile die Vokabel damakrata soviel wie westlicher
Überfall auf ein Land zu dem Zweck, eine Marktwirtschaft aus ihm zu machen.
( ).
Die von den USA Zwangsbeschenkten nehmen trotz Widerwillen und weil sie offenbar
schneller lernen können als die, durch die sie lernen, nur zum Schein das
Geschenk an. So wird das, was die US-Amerikaner als das göttliche
Geschenk von Demokratie und Freiheit verstehen, tatsächlich
zum Geschenk, denn die Beschenkten nutzen die freie Wahl, um eine
ihnen gemäße Herrschaftsform zu erzielen - von westlichen Meinungsmachern
Diktatur und Unfreiheit genannt -, und um sie auch mit Gewalt durchzusetzen,
wird der Terrorismus als Gegengeschenk den USA aufgezwungen. Und so wird das,
was die US-Amerikaner die Kräfte des Bösen ( )
nennen, tatsächlich zum Gegengeschenk, denn als Gegenbeschenkte nutzen sie
jeden Terrorakt, um ihre politischen und wirtschaftspolitischen Ziele
zu erreichen. Es ist nicht leicht, diesen Geschenke-Kreislauf zu verlassen,
denn einerseits wollen die USA ihre Ziele erreichen, andererseits sind sie gezwungen,
z.B. ihre Prokonsuln immer mehr den Verhältnissen in den besetzten Ländern
anzugleichen und entweder sie oder ihnen vertraute Marionetten zur Wahl und damit
zur Diktatur zuzulassen. Man könnte meinen, dies sei sogar geplant gewesen,
aber man unterschätze nicht die Dummheit: - Dialektik
des US-Imperialismus -
Die US-Amerikaner begehen
immer wieder dieselben Fehler, und zwar seit es sie gibt - also seit Ende des
18. Jahrhunderts. Sie zeichnet auch aus, daß sie diese Fehler korrigieren
wollen, aber das Ergebnis bestätigt immer wieder dieselben Fehler. Seit
dem Ende des 18. Jahrhunderts, seit der Bürgerlichen Revolution,
seit der Weltrevolution ( )
oder, so sagte Peter Sloterdijk ( )
1999: Seit zweihundert Jahren sortieren die Bürger ihre Ängste.
Der Anarcho-Maritime wird an Land im günstigsten Fall zu einem Raskolnikov
(der tut, was er will, es aber bereut), im weniger günstigen zu einem de
Sade (der tut, was er will, und die Reue negiert), im schlimmsten Fall zu einem
Neoliberalen (der tut, was er will, und sich dafür ... selber zum Mann der
Zukunft ausruft). Seit dieser Zeit gibt es auch die USA, die
Vereinigten Staaten von Amerika, das Amerika
( )
!
- US-Amerikanologie
-
THE
EARTH BELONGS ALWAYS TO THE LIVING GENERATION. THEY MAY MANAGE IT THEN AND
WHAT PROCEEDS FROM IT AS THEY PLEASE DURING THEIR USUFRUCT. THEY ARE MASTERS TOO
OF THEIR OWN PERSONS AND CONSEQUENTLY MAY GOVERN THEM AS THEY PLEASE. |
Die
Erde gehört immer der lebenden Generation. Sie dürfen sie und ihre Erträge
während ihrer Nutznießung daher handhaben, wie es ihnen beliebt. Sie
sind Herren auch ihrer selbst und folglich dürfen sie sich regieren, wie
es ihnen beliebt. Diese These stammt - wie die USA selbst - vom Ende des
18. Jahrhunderts. Im Lesesaal der Library of Congress wurde sie angebracht
(festgenagelt) als Inschrift von Thomas Jefferson, der von 1801 bis 1809 als 3.
US-Präsident regierte ( ).
Diese These faßt einen Impuls zusammen und verrät nämlich, was
Imperialismus, was Expansiondrang, was der Name USA ( )
mit der Auserwähltheit bedeutet: europäische Herkunft, europäische
Motivation, amerikanische Umsetzung mit der Selbstverständlichkeit, den Planeten
Erde als Fundsache und Ressource zu behandeln (wie sie wollen, wie es ihnen beliebt
- as they please). In dieser These sind alttestamentarische
und kolonisatorische Anspielungen nicht zu überhören: die Generation,
die der Fülle der Genußrechte zugesprochen wird, ist hier natürlich
keine andere als die der sich vom englischen Königtum lossagenden Neu-England-Amerikaner,
die an der Küste des Nordatlantiks das Land ihrer Hoffnungen und Verheißungen
gefunden zu haben glaubten. (Vgl. auch: WASP ).
Durch das im Naturrechtsjargon schillernde Wort von der Überantwortung der
Erde an die aktuelle Generation von Nutznießern klingt der glückliche
Weltformschock .... ( ).
Hier sind die Menschenrechte die juristische Seele des Sich-das-Seine-nehmenden
Lebens. »Ist es nicht ein allgemein bekanntes Wort, daß Besitz das
halbe Recht ist, das heißt ohne Rücksicht darauf, wie jemand in den
Besitz kam? Aber oft ist auch Besitz das ganze Recht.« ( ).
Die Nehmer-Unternehmer an den kolonialen Fronten stellen nichtsdestoweniger ihr
Handeln, um kantianisch zu reden, unter eine Maxime, die üblicherweise eher
zur Definition von Kriminalität als der von Mitwirkung bei der Globalisierung
taugt: Indem sie durch pures Nehmen zu Besitzern und Eigentümern von Gütern
werden wollen, entziehen sie sich den Zumutungen des gerechten Tauschs. Ihr Rechtsbewußtsein
erleidet hierdurch, wie die Historie lehrt, kaum je Schaden, da sie sich auf das
Recht des ausgezeichneten Augenblicks berufen: in diesem liegt die Gerechtigkeit
in der Besitzergreifung selbst. Tausch und gegenseitige Anerkennung kommen später.
Die Expansionsakteure, im amerikanischen Westen wie auf dem Rest des Globus, salvieren
sich bei ihrem zugreifenden Tun durch eine Theorie der moralischen Lücke:
Es scheint, wollen sie sagen, Zeiten zu geben, in denen das Handeln schneller
sein muß als das Recht, und in eine solche Zeit ist unser Leben gefallen.
Mit diesem Argument beantragen sie für sich den Freispruch wegen außerordentlicher
Umstände. Was in regulären Zeiten Plünderer wären, sind in
der historischen Lücke Pioniere; was in verrechtlichten oder posthistorischen
Jahren Verbrecher wären, sind in der Turbulenz der geschehenden Geschichte
Helden. (Und wer könnte verkennen, daß die gegenwärtige Kulturindustrie
in ihrem Kriminalfilmkult weiter von der Lücke träumt, in der Verbrecher
das Menschenrecht auf tauschloses Nehmen weiterhin reklamieren darf). - In jüngerer
Zeit vermehren sich Indizien, die auf eine rückwirkende Verrechtlichung der
Historie deuten - was zur Folge hat, daß den Agenten der Weltnahme von Christoph
Kolumbus bis Savorgnan de Brazza und von Francisco Pizarro bis Cecil Rhodes nachträglich
der Prozeß gemacht wird - ein endloser und prozedural ungewisser Prozeß,
in dem sich Schuldsprüche und Anträge auf neue Verfahren abwechseln.
( ).
An der Geschichte der schwarzen Sklaverei, der Indianerausrottung und des Ausbeutungskolonialismus
ist die rückwirkende Kriminalisierung der Neuzeit zu Ende vollzogen, ohne
daß die Verteidigung noch, wie in früheren Prozessen, auf Freispruch
wegen mildernde zivilisatorischer Umstände zu plädieren wagen könnte.
Gegen die Last der Dokumente und der frühen Verfahren kommen in diesen Fällen
auch die resolutesten Legisten der schuldlosen Weltnahme nicht mehr auf. Wer könnte
noch die amerikanischen Soldaten in Schutz nehmen, die in völkermörderischer
Absicht ihren indianischen Feinden pockenverseuchte Wolldecken ins Lager schickten
? Wer die Menschenhändler verteidigen, denen bei transatlantischen
Humanviehtransporten zuweilen ein Drittel ihrer Ware verdarb? Wer
übernähme die Verteidigung Leopolds II. von Belgien, der seine Privatkolonie
Kongo in das »schlimmste Zwangsarbeitslager der Neuzeit« (Peter Scholl-Latour )
verwandelt hatte - mit zehn Millionen Massakrierten? Auf diesen Feldern
haben sich die Geschichtsschreiber zu Staatsanwälten gegen die eigenen Kulturen
wandeln müssen. An ihnen läßt sich ablesen, wie das Verhältnis
von Justiz und Geschichte sich nachträglich verschieben kann. - Vielleicht
ist die Globalisierung, wie die Geschichte überhaupt, das Verbrechen, das
nur einmal begangen werden kann. (Peter Sloterdijk, Sphären II -
Globen, 1999, S. 944-947 ).
 | -
IN GOD WE TRUST - Er hat mich gesandt, daß ich den Gefangenen
die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung |  |
Um
zu erklären, welchen Job die US-Amerikaner im Irak verrichten,
mußte George W. Bush zwar - wie üblich - aus der Bibel zitieren, doch
noch viel ausdrücklicher berief er sich auf die Geschichte, in der dieses
Drama allein Sinn ergibt:Der Ruf der Geschichte
ist an das richtige Volk ergangen ....  Wir
treffen uns hier in einem entscheidenden Moment in der Geschichte unseres Landes
und der zivilisierten Welt; ein Teil dieser Geschichte wurde von anderen geschrieben;
der Rest wird von uns geschrieben werden ....  Eines
ist sicher: George W. Bush macht deutlich, daß US-Amerika vor der Weltöffenlichkeit
die Insignien der zu machenden Geschichte für sich in Anspruch
nimmt. Namentlich fünf Hoheitszeichen sind für die zu machende
Geschichte zu reklamieren: der Primat der Kraft, die Vornehmheit der Motive, das
Privileg der Einseitigkeit, die Selbstamnestie für begangene und zu begende
Gewalt und die Kontrolle über die Worte (und Bilder), die den Taten folgen.
(Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 375 ).
Für diese einseitige Proklamation riskiert US-Amerika die Entfremdung von
den Verbündeten in Europa sowie die ohnehin schon tief sitzenden Haß
der übrigen Welt. Doch die besonders fatale Provokation leistet sich US-Amerika
durch die demonstrative Mißachtung der Freunde diesseits des Atlantiks.
Daß viele Europäer ihr Nein zum Irak-Krieg durchaus vernünftig
begründeten, kam den Regierenden in den USA nicht in den Sinn. Im Gegenteil.
Beispielsweise wurde den Franzosen vorgeworfen, sie seien nichts anderes
als eine Horde von Schnüfflern an Frauen, die ihre Toilette vernachlässigten
(Peter Sloterdijk, ebd.), französiche Produkte wurden boykottiert
oder umbenannt in Frosch-Artikel und überhaupt sollten diejenigen,
die sich dem Befehl der USA widersetzten, außerhalb des begehrten Geschäfts
bleiben - ausgeschlossen vom Geschäft: Out of business!Es
wäre falsch, in der Kritik an der Politik der USA auch eine USA-Feindlichkeit
sehen zu wollen, und einen Antiamerikanismus gibt es ohnehin nicht,
denn er bedeutet eine Feindlichkeit gegenüber Nord-, Mittel- und Südamerika
- nicht zufällig steht hier der sogenannte Antisemitismus Pate,
denn er bedeutet eine Feindlichkeit gegenüber Semiten, obwohl die Propagandisten
und Agitatoren nur die Feindlichkeit gegenüber Juden meinen, also den Antijudaismus,
die Judenfeindlichkeit, den Judenhaß. Genauso falsch wäre es, von einem
Antiindogermanismus zu sprechen, wenn man nämlich nur eine Feindlichkeit
gegenüber einem ganz bestimmten indogermanischen Volk meint. Man kann im
Grunde auch nicht von einem Antieuropäismus sprechen, wenn man nur die Feindlichkeit
gegenüber Europa meint, denn dafür sind nämlich z.B. auch die Amerikaner,
vor allem die Nordamerikaner und eben besonders die US-Amerikaner viel zu europäisch,
genau gesagt: viel zu europäistisch. Antieuropäismus ist somit, jedenfalls
kulturgeschichtlich, eine Feindlichkeit gegenüber Europäern und
Amerikanern, allgemeiner gesagt: gegenüber dem Abendland. Eine Feindlichkeit
zwischen Europäern und Amerikanern ist für beide Seiten schädlich.
Eine Ausnahme von dieser Regel ist der Antiunilateralismus. Während die us-amerikanische
Armee im Irak, margianl unterstützt von Engländern, Italienern, Polen
( )
und anderen Anwärtern auf Trinkgelder, die den Kellnern an der Tafel
der neu servierten »Geschichte« zufallen ( )
in wenigen Tagen die demoralisierten Truppen Saddam Husseins beiseite räumte,
stellte sich der übergroße Rest der Nichtfreunde kriegerischer Taten
... mit neuem Selbstbewußtsein auf, als habe er durch das gebotene Schauspiel
erst ganz begriffen, welches die eigenen Werte sind ( ):
Es sind im Grunde die der früheren USA. Die Kritiker des Irak-krieges
widersprechen der USA-Führung nicht mit der Stimme des »Antiamerikanismus«
(richtig gesprochen: USA-Feindlichkeit) - ein Ausdruck,
den manche Agitatoren gern als eine Zweitbezeichnung für »Antisemitismus«
(richtig gesprochen: Antijudaismus, Judenfeindlichkeit,
Judenhaß) auffassen wollen, um das Ungehörige des Widerspruchs
nur recht hervorzukehren. .... Was in den vielstimmigen Vorbehalten gegen den
außenpolitischen Habitus der USA zur Sprache kommt, ist nicht mehr und nicht
weniger als ein abgeklärter Antiunilateralismus. .... Es liegt im übrigen
auf der Hand, wieso Israel, US-Amerikas koexzeptioneller Verbündeter und
Mitverächter der internationalen Meinung, von dem verdeutlichten antiunilateralen
Geist einen Teil zu spüren bekommt. Es steht den Interessenten frei, dies
als »neuen Antisemitismus« mißzuverstehen .... (Peter
Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 381-382 ).
Mißverständnisse über Mißverständnisse, und hinter
ihnen steckt fast immer dieselbe Absicht!
Real existierender Eskapismus  |
Was
die US-Amerikaner den American Dream nennen (zuweilen auch als American
Creed bezeichnet), spiegelt sich angeblich in jedem einzelnen US-Bürger
wider - also ganz individuell, weshalb die Anzahl der Definitionen für diesen
Traum (für dieses Glaubensbekenntnis) exakt gleich groß sei mit der
Anzahl der Einwohner des Landes. Reduziert man aber alle auf us-amerikanischen
Boden geträumten Träume über die Bedeutung des Daseins-in-diesem-Land
auf ihre Radikale, so erhält man wahrscheinlich nicht mehr als drei weiter
kondensierbare Motive. (1)
Das erste besteht in dem Postulat, die USA seien ihrem Wesen nach das Land, in
dem ... jeder noch etwas Neues tun kann, der etwas Neues tun will. Unter
dem verfassungsmäßigen Rechten der US-Bürger ragt die Erwartung
hervor, jederzeit einen Raum vorzufinden, der Vorstöße und Initiativen
günstig aufnimmt. Man könnte dies das Recht auf Westen nennen,
im mehr als nur geographischen Sinn, da »Westen« ein Symbol für
Straffreiheit beim einseitigen Vordringen in unerschlossene Gebiete bedeutet,
sie mochten früher Wyoming oder Kalifornien heißen ( )
und sich heute ... Marsbesiedlung ( )
oder künstliches Leben ( )
nennen. (2) Das zweite
Merkmal ist mit dem Terminus Auserwählung zu verknüpfen - ein
Ausdruck, der über ein vielfarbiges Bedeutungsspektrum gleitet ... bis hin
zu der ... Idee, daß es der tiefe Sinn des Landes sei, die protestantische
Überbietung der jüdischen Ausnahme zu beherbergen. Auserwählung
ist die angloamerikanische Deklination der im kontinentalen Europa erfundenen
Subjektivität .... Auserwählung ist das us-amerikanische Paßwort
zur Enthemmung des Handelns und Auftretens auf der Weltbühne. ....
(3) Das dritte Merkmal schließlich betrifft
den psychodynamischen Gesellschaftsvertrag der USA, durch den der immerwährende
Vorrang der Manien vor den Depressionen festgeschrieben wird. Dieser Sachverhalt
manifestiert sich unter anderem in dem ... irritierenden Code des Optimismus,
der die eigentliche Landessprache darstellt. ( ).
Aus ihm ergibt sich die elanvolle Gewohnheit der durchschnittlichen US-Amerikaner,
Probleme als Herausfordeung zu formulieren. ( )
.... Die nationalen Mobilmachungen gegen Krankheit und verborgene Feinde sind
direkte Ausflüsse eines impliziten manischen Verfassungszusatzes, nach welchem
es keinem Bürger der Vereinigten Staaten zugemutet werden darf, einen inneren
oder äußeren Grund für Depressionen bestehen zu lassen. ( )
.... Dies führt zu einem Habitus der erzwungenen kollektiven emotionalen
Bilanzfälschung, weil niemand bei der Saldierung von Hoch und Tief ins Minus
geraten will (!!!). .... Faßt
man die drei Primärpunkte zusammen, so ergibt sich das Urteil: Die Vereinigten
Staaten von Amerika sind ihrem psychopolitischen Design zufolge das Land des real
existierenden Eskapismus ( ).
(Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 365-368 ).
Um die drei Merkmale noch einmal umgangssprachlich zusammenzufassen: Scheinbar
unbesiegbares Western-Heldentum (siehe: 1) mit dem
Privileg der Auserwähltheit (siehe: 2) und der
Manie (siehe: 3), die konsequent die kollektive Bilanzfälschung
erzwingt.
In den USA existieren ein Pessimismus
und eine Depression gerade um so mehr, weil sie geleugnet werden! Der Zwang
zum Optimismus und zur Megalomanie kann nur an der Oberfläche einen anderen,
falschen Eindruck vermitteln. Ihrer sehr gefährlichen autohypnotischen Programmierung,
ihrem Größenwahn und Verfolgungswahn entsprechend, darf es in den USA
nur Gewinner, Optimisten und Sieger geben, aber keine Verlierer, keine Pessimisten,
keine Depressiven. Auf dem us-amerikanischen Floß der Medusa, so
Sloterdijk, wird die Existenz der Depressionsgruppe weithin schlicht geleugnet.
Es gibt dem puritanischen Code gemäß keine Verlierer in diesem Land
.... Der psychopolitische Bilanzbetrug, der das System
im ganzen trägt, will in erster Linie die riesenhafte Zahl der Verlierer
unsichtbar machen, die in der Spielhalle des pursuit of happyness zurückbleiben
mußten. Nichtsdestoweniger liegen die Daten so offen zutage, daß es
auch für die Bewunderer des us-amerikanischen Modells nicht leicht ist, sie
zu ignorieren. Es gibt in den USA mehr aussichtslos Arme, als der Irak Einwohner
besitzt, es gibt mehr chronische Psychopharmaka-Konsumenten als in jedem anderen
Land der Erde, es gibt mehr Menschen mit schwerstem Übergewicht als in allen
übrigen Ländern der Welt (wovon eine vorbildlose nationale Fett-Debatte,
ja sogar eine tiefsinnige Fett-Hermeneutik Zeugnis ablegen; vgl. u.a. Jedediah
Purdy, Jeder ein König. Amerikaner sind dick. Auch ihre Politik hat ein
Problem -da gibt es Zusammenhänge, in: Die Zeit, 44 / 2004, S.
44), es gibt mehr politisch nicht vertretene Gruppen und Nichtwähler als
in jedem anderen demokratischen Staat, es gibt proportional zehnmal mehr Strafgefangene
in den USA als in Europa und sechs- bis achtmal mehr als in den meisten übrigen
Ländern der Welt. Dennoch bleiben all diese Problemkollektive dem (US-)
American way of life verpflichtet, indem sie sich mit Hilfe eines elaborierten
Systems der Depressionsvertuschung und der inneren Bilanzfälschung über
Wasser halten. Sie vermeiden es, in den Abgrund zu sehen, der vor den Füßen
jedes glücklosen Glückssuchers in diesem Land aufklafft. Aus ihm steigt
eine bekannte Melodie herauf, deren Text man erst bei näherem Hinhören
versteht. Einmal verstanden, macht er den Hörer erschauern: If I can't
make it there, I'll make it nowhere. (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum
des Kapitals, 2005, S. 387-388 ).Kultur
ist vielleicht nicht alles, aber ohne Kultur ist alles sicher nichts. Warum für
mich die Kultur (wie eine Hülle oder Treibhaus) wichtiger
ist als die Wirtschaft (wie eine Hausverwaltung oder Hausordnung)
und warum nicht nur die USA, sondern der gesamte Westen (das Abendland)
dies stets zuerst berücksichtigen sollten, können auch folgende Sätze
verdeutlichen, wenn auch mehr auf eine spezifisch Sloterdijk'sche Weise: Es
ist immerhin eine erwiesene Tatsache, daß das aktuelle Weltsystem - das
... keineswegs ein Sphäre ohne Außen ist - sich aus einem patchwork
von mehr oder weniger freien Marktwirtschaften auf der Basis von Nationalstaaten
zusammensetzt und die Außengrenzen dieses Geflechts so gut wie überall
durch die Präsenz von us-amerikanischen Truppen markiert werden. Nimmt man
diese Verhältnisse zur Kenntnis, so zeigt sich die liberale These vom Primat
der Ökonomie unter einem veränderten Licht: Tatsächlich muß
innerhalb des kapitalistischen Weltinnenraums vom Vorrang der wirtschaftlichen
Tatsachen ausgegangen werden - aber diese Tatsachen haben von sich her immer einen
weltpolitischen, genauer geopolitischen Charakter, weil das Große Treibhaus
ohne Ressourcensicherung und Außenhautmanagement nicht erfolgreich betrieben
werden kann. Im militaristischen Stil der US-Außenpolitik (und zumal in
der zunehmenden Militarisierung der Energiepolitik) muß daher die ordnungspolitische
Komponente der westlichen Konsumstrukturen im ganzen gesehen werden. Unter diesem
Gesichtspunkt kommt der vom Bushismus provozierten Spaltung der atlantischen Gemeinschaft
eine hohe zivilisationspolitische Bedeutung zu, weil sich nun erweisen muß,
ob die Europäer imstande sind, sich von Status des stillen Teilhabers us-amerikanischer
Gewaltpolitik zu emanzipieren, ohne selbst den Weg zur Remilitarisierung der Beziehungen
zu den Energie- und Rohstofflieferanten zu beschreiten. (Peter Sloterdijk,
Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 389-390 ).Herr
Bush jedenfalls will das Bestehende verteidigen - etwas anders gesagt:
Herr Bush und die Mehrheit der US-Amerikaner fühlen sich der Mission
verpflichtet, das »Bestehende« nicht anzutasten. Ihr Mittel ist die
unaufhörliche Beschwörung des Traums von einer schlechteren Welt, neben
der die vorhandene wie die verwirklichte Utopie erscheint, würdig, mit allen
Mitteln verteidigt zu werden. (Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit, 2006,
S. 292 ).
Wie gesagt: Pessimismus und Depression haben in den USA die größte
Bedeutung !
Schlußbetrachtung: 43. US-Präsidentschaft 
Die
übertriebene Einstellung gewisser Teile der Bevölkerung zu George W.
Bush war sowohl am Anfang als auch am Ende seiner Präsidentschaft fast genau
gleich; zwar war sie am Anfang (2001) überwiegend positiv und am Ende (2009)
überwiegend negativ; trotzdem war sie fast genau gleich im Ausmaß an
Übertreibung.Wer einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen
Nagel (!) - so könnte man die Überzeugung der Bush-Regierung zusammenfassen.
Sie hat unglaublich viele Fehler gemacht und obendrein - natürlich - aus
diesen Fehlern nichts gelernt. Am schlimmsten wird für die Zukunft der US-Amerikaner
sein, mit dem beschädigten Ansehen, das die Bush-Regierung noch verstärkt
hat, zu leben. Beschädigt war ihr Ansehen aber auch schon ganz am Anfang. |