Spenglers Aufforderung
an die Denker, das seltsame Gehäuse wahrzunehmen wie zum ersten Mal, impliziert
die Zumutung an die Intelligenz, einen Standort außerhalb der städtischen
Erbaulichkeit, Wohnlichkeit und Verwöhnung zu wählen. Eben dies haben
bisherige Urbanisten und Stadthistoriker, benommen von urbanen Sitten und vom
gedanklichen und zivilisatorischen Komfort ihres Objekts, fast durchweg zu tun
versäumt. Was Städte ursprünglich sind und wollen, läßt
sich nach Spengler nur verstehen, wenn die Städter par excellence,
die Philosophen, sich außerhalb der Mauern stellen und die Erscheinung Stadt
meditieren, als hätten sie an deren Bergungskaft und ihrer Verführung
noch keinen Anteil. Die Stadt denken heißt folglich zunächst: die Verwöhnung
durch die Stadt rückgängig machen und sich der Blendung durch ihre Selbstdeutungen
entziehen. Weil gerade die mächtige Stadt immer auch eine Organisationsform
des Wirklichkeitsverlusts oder des losgelösten Verfügens über Materialien
und Zeichen ist, können Städter, die nichts als Städter sein wollen,
die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit und Wirklichkeit nie zureichend
verstehen. (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S.
264-266 ).Ein
Gestalt-Historiker Spenglerschen Typs, der die Stadt als von Grund auf erstaunliche
Erscheinung betrachtet, müßte ein Phänomenologe sein, der die
begnadete Angst eines Denkens von außen auf sich nimmt - hierin ist Spengler
der unmittelbare Vorgänger von revolutionären Strukturhistorikern wie
Foucault, Deleuze und Guattari. (  ).
Wenn er vorschlägt, sich zurückzuversetzen in das Staunen des Frühmenschen,
der das unfaßbare Riesengehäuse mit seinen Mauern und Türmen am
Horizont aufragen sieht, so folgt er der Intuition, daß die Wahrheit über
alles, was im äußeren Raum erscheint, nur durch eine initiatische Raum-Angst
erfahren werden kann. Diese Angst schlägt die Brücke zwischen archaischer
Welt und Moderne, weil sie den zu keiner Zeit ganz absorbierbaren Überschuß
der Ekstase über die Geborgenheit bezeugt. Wird dieser Überschuß
für die Theorie fruchtbar gemacht, so liegt das Feld des genuin modernen
Denkens offen. In dem Maß, wie Spengler aus diesem Überschuß
oder dieser Ekstase - man könnte auch schlichter sagen aus dieser Unsicherheit
- denkt, ist seine Zugehörigkeit zum Abenteuer des wesenhaft zeitgenössischen
Denkens unbestreitbar. Die Sehkraft, die er in seiner Kulturen-Phänomenologie
aufbietet, entstammt der Erfahrung entsicherten Existierens in einer überdehnten,
nie mehr im ganzen heimatlich verklärbaren Welt. Spenglers Morphologie der
Weltgeschichte hat ihr philosophisches Momentum in einer Theorie der schöpferischen
Raum-Angst, die den Menschen der Hochkulturen eine Offenbarung der dritten Dimension
als »Tiefe«, das heißt als Herkunftsraum des Unumgänglichen,
gewährt. ( ).
Der kühle Morphologe und sein Schatten, der dem verstörten Urmenschen
ähneln will, sollen sich einig werden in einem Staunen, das in Wahrheit ein
Nicht-ganz-glauben-Können, ein Entsetzen ist. Tatsächlich, was wäre
eine mit Urmenschen-Augen angeschaute Stadt vom Typus der mesopotamischen Gott-Königs-Metropolen
anderes als eine Erläuterung zu der These, daß in den Hochkulturen
das Ungeheure als Menschenwerk in Erscheinung tritt? Und was sind diese
Gehäuse von seltsamster Form, von außen gesehen, anderes als Bergungsmaschinen,
mit denen Menschen ihre spezifische Offenbarung von Weltangst abgearbeitet und
ihrem Willen zum Nicht-außen-Sein monströse Denkmäler errichtet
haben? (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 267-268
).Spenglers
Schritt zurück vor die Stadt hat also nichts zu tun mit neuzeitlicher Zivilisationskritik,
auch nichts mit dem anti-babylonischen Ressentiment der Juden, das von den Christen
kopiert wurde und seit der Marginalisierung des Christentums als anonymes Ferment
in der Niveaumüdigkeit der Gegenwartskulturen allgegenwärtig umherspukt.
Er bedeutet vielmehr einen Akt der theorie-ermöglichenden epoché
( )
im Hinblick auf ein kaum noch distanzierbares Milieu und dient der Abstandnahme
des Denkenden von den Blendungen des immer schon städtisch gelebten Lebens,
mitsamt seinen unthematisierten Ansprüchen an Selbsterhöhung, Raumangst-Überwindung,
Entlastung und Reizzufuhr. Die Theorie der Stadt kann nur beginnen mit der Entwöhnung
von den Verwöhnungen, die durch die Stadt erst möglich geworden sind.
Die Stadt denken heißt also über das verwöhnende Wohnen in ihr
so reflektieren, als könnte man anderswo als in ihr zu Hause sein, ja, als
ließe sich das Verlangen, überhaupt irgendwo Wurzeln zu schlagen, im
ganzen einklammern. Wohnen, als wohnte man nicht. Leben, als hätte man weder
Haus noch Stadt im Rücken. Denken wie im freien Fall. (Peter Sloterdijk,
Sphären II - Globen, 1999, S. 269 ).Was
ist es, was einem Phänomenologen, der seinen eigenen Sehgewohnheiten abgestorben
wäre und der das Urmenschen-Staunen angesichts der ersten Stadterscheinung
nachspielen wollte, beim Anblick einer frühen Großmachtstadt wie Uruk,
Kisch, Babylon oder Ninive zuerst zu denken geben würde? Er müßte
wohl vor allem darüber ins Staunen geraten, daß die Erscheinung am
Horizont einem zweiten Blick standhält und sich als etwas behauptet, was
durchaus keine Sinnestäuschung sein will. Der unverwöhnte Blick auf
die Stadt wird gefangengenommen von deren Beharrung auf ihrem Aufragen; er sieht
sich konfrontiert mit einem nachdrücklichen Willen zum Erscheinen. Hier ist
eine Höhe in die Welt getreten, deren Gewalt nicht vormenschliche Kräfte
hergewälzt haben. Alles an der großen Stadt, der frühen wie der
späten, ist Menschenwerk und Herrenmutwille. (Peter Sloterdijk, Sphären
II - Globen, 1999, S. 269-270 ).Es
gibt in politischen Dingen kein Zurück zu dem »euklidischen Gefühl«
- ein Ausdruck, mit dem Oswald Spengler sehr treffend die völlige Absorbierung
der antiken Menschen durch ihre Geschlechter- und Stadtgeister charakterisiert
hat. (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 324 ).Durch
die politische Raumsorge der Menschen an der Schwelle zum imperialen Staat wirkt
ein Motiv hindurch, das man mit Oswald Spengler die archaische kosmologische Raumangst
nennen könnte - eine Angst, die Spengler für ein Merkmal allen wachen
und freibeweglichen Lebens und für ein Movens aller höheren Kulturschöpfungen
hat halten wollen. »Die Weltangst ist sicherlich das schöpferischste
aller Urgefühle.« (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes.
Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [1], 1917, S. 107-108 ).
Sie ist es, die in jeder ursprünglichen »Symbolisierung des Ausgedehnten,
des Raumes und der Dinge« ( )
gebannt werden will. Uns scheint es plausibler, anzunehmen, daß die spezifische
Angst vor der unabschließbaren Weite des Erd- und Himmelsraums erst als
Nebenfolge von Sphärenstörungen bei der gewaltsamen Einschmelzung von
Gruppen und Stämmen in größere imperiale Strukturen und bei der
Entsicherung der Städte aufgebrochen ist. Es ist nicht notwendigerweise die
natürlich erfahrbare Weite der Himmelskuppel, die den Menschen das Gefühl
von Verlorenheit im überdehnten Raum einflößt. Kulturanthropologen
und Charakterologen haben gezeigt, daß manche Kulturen und Individuen von
Raumangst wenig wissen; Frobenius hat das Welterlebnis der weite-suchenden Kulturen
gefeiert, und Balint hat in seinem Porträt des Philobaten das individualpsychologische
Gegenstück dazu geliefert. ( ).
Die kosmophobische Empfindungsart ist eher ein abgeleitetes Phänomen, das
gescheiterte Immunisierungen und kollabierte Narzißmen zur Voraussetzung
hat. Menschen mit geringen traumatischen Altlasten assoziieren zum Anblick des
heiteren Himmels von alters her eher Bilder von Zelten und Zaubermänteln,
in der Architektenzeit auch die von Domen, Kuppeln und Palästen; sie erkennen
in seiner Weite eine Komplizin ihres Mutes und in seiner Höhe eine Vorzeichnung
der Möglichkeiten ihrer Intelligenz. Das Erlebnis hingegen, daß der
Weltraum undicht ist und zum Hinausstürzen einlädt, jenes Gefühl
einer ernsten und schlimmen Tiefe, über die Spengler in seiner Raumtheorie
unvergeßliche Seiten verfaßte - oder das zornige Bewußtsein,
beim Aufschauen zum Himmel den Rand einer vermauerten Wüste zu sehen -, gehören
zu den psychopathologischen Errungenschaften von Zeiten, in denen immer größere
Zahlen von Einzelnen sich als Ausgesetzte und Verlorene erlebten, als von den
Menschen Abgestoßene und von den Göttern Vergessene. Vielleicht mischen
sich in diese Erlebnisweise auch Reste einer archaischen Panik-Religion ein, die
sich unter dem Eindruck kosmischer Katastrophen gebildet haben könnte.
(Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 363-364 ).»Der
Zirkel ist der Meißel dieser zweiten bildenden Kunst.« (Oswald
Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte
[1], 1917, S. 115 ).
Ihr Ziel ist es, zu beweisen, daß die Seele in jeder Schicksalslage und
an jedem Punkt der Erdoberfläche sich auf ihr unverlierbares Privileg berufen
kann, eine Bürgerin des fürsorglichen Kosmos zu sein. Das Bürgerrecht
in der absoluten Stadt bleibt das Eigentum des Weisen, auch wenn ihm alles übrige
Umwälzung, Pest, Exil beschert. Das ist das kosmische Cogito, das jede menschliche
Lage muß begleiten können: Das Universum ist ein Haus, und das Haus
verliert nichts, auch nicht mich selbst, wie verlegen und verloren ich mich fühlen
mag. (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 369
).
Vgl. Zuhause im Universum 
Etwas von der Aura
esoterischer Einsamkeit, die dieses großartig hochgesinnte und zugleich
schrankenlos zugängliche Gebäude umgibt, hat Oswald Spengler
in seiner genialischen Bemerkung eingefangen, das Pantheon sei »die
früheste aller Moscheen« gewesen. (Oswald Spengler, Der
Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte
[1], 1917, S. 273 ).
Mit dieser Wendung verband Spengler seine dunkle These, daß Rom
im Jahr 125 nach Christus längst im Begriff gewesen sei, aus dem
Kreis des antiken »Seelentums« auszutreten und in den Bann
jener »magischen Kultur« ( )
zu geraten, die sich im Vorderen Orient unter zahlreichen pseudomorphotischen
Anverwandlungen an fremde Volks- und Kulturkörper zu entfalten begann.
(Kenner der Spenglerschen Hauptschrift wissen, daß der Autor zu
diesem Komplex unter der Überschrift »Probleme der arabischen
Kultur«
ein Buch im Buche vorgelegt hat, von dem man nicht zuviel sagt, wenn man
es als Kulmination spekulativer Kulturphilosophie im 20. Jahrhundert bezeichnet.)
Der Akzentwechsel vom antiken zum magischen Seelentum sei es letztlich
gewesen, der für die Durchdringung des römischen Reiches durch
eine pseudomorphotische Religion, das frühe Christentum in seiner
hellenisierten Form, verantwortlich war (welches seinerseits ein Seelengeschwister
des späteren Islam darstellte, des Prototyps einer Religion der unterwerfungfordernden
und hingabegewährenden Unübersichtlichkeit). An Spenglers Hinweis
ist sicher soviel richtig, daß Rom in der Pantheon-Zeit einen Sinnwandel
der Immanenz durchlebte und daß sich der Modus, in dem die Götter
ihre innerweltliche Präsenz bekundeten, einer folgenschweren Veränderung
unterworfen war. Es spricht vieles dafür, daß die spätantiken
Massen beim Eintritt ins Pantheon nur wenig noch von dem erfuhren, was
in dem Gipfelgespräch zwischen Caesarismus, Philosophie und Architektur
erwogen und verwirklicht worden war. Die Zeit gehörte mehr und mehr
den Mystagogen und den Aposteln, die eine Entmathematisierung des Himmels
betrieben - man würde heute von einer Wiederverzauberung der Welt
sprechen. Diesen Agenten eines völlig veränderten, bekennend
alogischen, telepathischen, mirakelsüchtigen Immanenzgefühls
ist es zu verdanken, daß die späteren Kuppeln, insbesondere
die des byzantinischen Ostens, nicht mehr die pantheologische Bauform
wiederholen, die der noetischen Partizipation des Menschen am Gestaltoptimum
des Welthauses ein Denkmal setzen wollte, dauerhaft wie opus caementitium,
sondern zunehmend die allseitige Umschlossenheit des menschlichen Raumes
durch ein undurchdringliches Weltgeheimnis bezeugen; Oswald Spengler hat
das am raumphilosophisch relevanten Zentralsymbol der magischen Kultur,
dem Welthöhlenempfinden, suggestiv erläutert. Diesen Wandel
macht der Unterschied zwischen dem Pantheon und der Kirche der Hagia Sophia
zu Konstantinopel vollendet klar. Wo der römische Kugeltempel dem
Weltgedanken der antiken Philosophie zu seiner ultimativen Selbsterklärung
in bautechnischer Kristallisation verholfen hatte (in einem Gebäude,
das man als Weltkind aus irgendeiner Provinz betrat, um es als Grieche
und als Neophyt der Philosophie zu verlassen), dort setzte die Kirche
der Heiligen Weisheit ein Empfinden von numinos durchleuchteter und magisch
umzingelter Immanenz ins Werk (so daß man es nicht betreten konnte,
ohne auf der Stelle zum Araber ante litteram, zum verzückten
Debütanten in Gotteszaubersachen zu werden). (Peter Sloterdijk,
Sphären II - Globen, 1999, S. 449-452 ).
Vgl. Arabien (Magische Kultur )
sowie Pantheon ( )
und Hagia Sophia ( ).
Das
überseeische Imperium Karls V. ( )
war auf Krediten flämischer und Augsburger ... Bankhäuser errichtet
( ),
deren Besitzer Globen drehten, um sich von den Hinwegen ihrer Kredite und den
Rückwegen ihrer Zinsen ein Bild zu machen. Von Anfang an verstrickte das
ozeanische Abenteuer seine Akteure in einen Wettlauf um verhüllte Chancen
auf undurchsichtigen fernen Märkten. Schon für sie war das berüchtigte
Wort Cecil Rhodes gültig: »Ausdehnung ist alles« (Oswald
Spengler hat diesen Satz zum Axiom der zivilisatorischen Epochen erklärt:
»Expansion ist ein Verhängnis, etwas Dämonisches und Ungeheures,
das den späten Menschen des Weltstadiums packt ... und verbraucht ....«
).
Was Ökonomen im Gefolge von Marx die ursprüngliche Akkumulation genannt
haben, war wohl - wie unser Beispiel ahnen läßt - häufig eher
eine Anhäufung von Eigentumstiteln, Optionen und Nutzungsansprüchen
als der Betrieb von Produktionsanlagen und Kapitalbasis. Die Entdeckung und förmliche
Inbesitznahme von fernen Territorien begründete für die fürstlichen
und bürgerlichen Mandanten der Überseeschiffahrt die Erwartung künftiger
Einkommen, sei es in Form von Beute oder Tribut, sei es durch reguläre Handelsgeschäfte,
bei denen es nie verboten war, von märchenhaften Gewinnspannen zu träumen.
(Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 850-851 ).
Die neuen Immunitätstechniken empfehlen sich
als Existentialstrategien für Gesellschaften aus Einzelnen, bei denen
der Lange Marsch in die Flexibilisierung, die Schwächung der »Objektbeziehungen«
und die generelle Lizensierung von untreuen oder reversiblen Verhältnissen
zwischen Menschen zum Ziel geführt hat - zur Grundlinie des von Spengler
richtig prophezeiten Endes jeder Kultur: jenem Zustand, in dem es unmöglich
ist, zu entscheiden, ob die Einzelnen außergewöhnlich fit oder
außergewöhnlich dekadent sind. Jenseits dieser Linie verlöre
die letzte metaphysische Differenz, die von Nietzsche verteidigte Unterscheidung
von Vornehmheit und Gemeinheit, ihre Kontur, und was am Projekt Mensch hoffnungsvoll
und groß erschien, verschwände wie am Meeresufer ein Gesicht
im Sand. (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999;
S. 1004-1005 ).
 |
Sloterdijk will Spenglers These, daß es bisher nur
8 Kulturen ( )
gab, nietzscheanisch-immunologisch auffassen. ( ).
Nur in dieser kleinen Zahl von Fällen haben sich die hochkulturschöpferischen
Immunreaktionen vollzogen, von denen jede einzelne einen unverwechselbaren
Charakter besaß. Die acht hohen Kulturen wären demnach die Abwicklung
lokaler Immunreaktionen. .... Man darf sich von Spenglers botanischen Metaphern
nicht in die Irre führen lassen. Seine Kulturen sind nicht so sehr
Pflanzen höchster Ordnung, wie er vorgibt, sondern Generationsprozesse
über dem Input einer schöpferischen Immunantwort, die sich immer
mehr formalisiert, bis zur Erstarrung. ... Spengler gibt sein Bestes, darüber
sind sich auch seine skeptischen Leser einig, wenn er über die faustische
und die arabische Kultur spricht. (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen
Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 226 ).
Spenglers zentrale Denkerfahrung liegt in der Beobachtung, daß
Formen ein Eigenleben haben - sein ganzes Genie steckt in diesem Motiv.
.... Die Form, die Spengler vor allem interessiert, ist das, was er eine
Kultur nennt. Nun ist Spenglers Formbegriff, der über Goethes Idee
der Urpflanze ( )
bis auf die aristotelische Zoologie zurückgeht, durch und durch organologisch
geprägt, er gehört zu einem lebensphilosophischen ( )
Sprachspiel, in dem das Leben als Substanz betrachtet wird und die Individuen
als Akzidentien. Nur darum konnte Spengler die von ihm so genannten Kulturen
als »Lebewesen höchsten Ranges« bezeichnen. Er meint damit,
daß es ein Gestaltgesetz gibt, ein strukturelles Muß, welches
bewirkt, daß in einer Kultur an dieser oder jener Stelle ihres Gestaltbogens
nur Ereignisse, Akteure und Institutionen von einer gewissen formal vorherbestimmten
Qualität auftreten müssen und keine anderen. Man kann dieser Idee
eine gewisse logische Mächtigkeit nicht absprechen .... (Peter
Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001,
S. 177-178 ).
- (Vgl. Spenglers Frage: Gibt es eine Logik der Geschichte?
Gibt es jenseits von allen Zufällen und Unberechenbaren der Einzelereignisse
eine sozusagen metaphysische Struktur der historischen Menschheit, die von
den weithin sichtbaren, populären geistig-politischen Gebilden der
Oberfläche wesentlich unabhängig ist? ;
und vgl. Spenglers Danksagung: Von Goethe habe ich die Methode,
von Nietzsche die Fragestellungen .... ).
- Sloterdijk rät: Man sollte Spengler progressiv fruchtbar machen
und ihn als einen Experten in Primärraumfragen hören. (Peter
Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001,
S. 228 ).
Sloterdijk würdigt seinen Ideentrainer Spengler als einen
der bedeutendsten Raum-Theoretiker.
 |
Seit dem Heraufkommen der metaphysischen
Weltbilder vor zweieinhalbtausend Jahren, mit denen nach Weber, Spengler, Jaspers
( )
und anderen, sei es zu Recht oder Unrecht, Begriffe wie Hochkultur und Hochreligion
assoziiert werden, verlagert sich die Sache der Immunsystemvorgänger aus
dem kombattanten Kraftherden in einen Bereich des erlebten Innen, das als psyche
neu beschrieben wird. Wo im metaphysischen Sinn von Seele die Rede ist, hat sich
bereits ein Motivwandel bei der Auslegung der inneren Verteidigungs- und Behauptungskräfte
vollzogen. (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004;
S. 232-233 ).
Am prägnantesten wird die Seinsweise der absoluten
Insel durch die Devise von Jules Vernes Kapitän Nemo auf den Begriff gebracht:
Mobilis in mobili, beweglich im Beweglichen - eine Prägung, in der
Oswald Spengler mit gutem Grund die Existenzformel der unternehmerischen Einzelnen
in der »faustischen« Zivilisation erkennen wollte. Das elektrisch
angetriebene Unterwasserhotel Nautilus, dem Erfindergeist des großen Misanthropen
entsprungen, verkörpert eine erste technisch vollkommene Projektion der Idee
absoluter Insularität .... (Peter Sloterdijk, Sphären III -
Schäume, 2004; S. 318 ).Das
lateinische insula bezeichnete neben seiner Grundbedeutung vom 2. nach-christlichen
Jahrhundert an zugleich das freistehende mehrstöckige Mietshaus, das zumeist
von den Ärmeren bewohnt war. Spengler erwähnt, um die indifferenzerzeugende
Mechanik des späten Großstadtbetriebs zu illustrieren, eine Stelle
bei Diodor über einen »abgesetzten ägyptischen König, der
zu Rom in einer jämmerlichen Mietswohnung in einem hochgelegenen Stockwerk
hausen mußte« (Oswald Spengler, Der Untergang des
Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [1], 1917, S. 676
).
In unserem Kontext wäre zu sagen, daß dieser ägyptische Robinson
von imperialen Turbulenzen an den Strand einer überfüllten Insel geworfen
worden war. (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004;
S. 339-340 ).Die
im erneuerten Olympismus latenten massenkulturellen Potentiale wurden erstmals
bei den Berliner Sommerspielen 1936 vollständig zur Entfaltung gebracht.
Als Oswald Spengler im ersten Band von Der Untergang des Abendlandes bemerkte,
»der Unterschied eines Berliner Sportplatzes an einem großen Tage
von einem römischen Zirkus war schon 1914 sehr gering« (Oswald Spengler,
Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [1],
1917, S. 49 ),
war er den Ereignissen vorausgeeilt; da er im Mai 1936 starb, blieb es ihm verwehrt,
die Erfüllung seiner prophetischen Diagnose zu erleben. (Peter Sloterdijk,
Sphären III - Schäume, 2004; S. 636 ).Allein
eine willkürliche Option kann uns an einer zugespitzten Stelle des Realen
zum Einsatz verpflichten. Nicht die Not befiehlt, wir wählen eine Schwierigkeit.
Mussolini hatte das verstanden, als er den fascismo durch den Horror vor
dem bequemen Leben definierte. In der grenzenlosen Popularität des Sports,
die dem Zeitdiagnostiker Oswald Spengler bereits vor 1914 auffiel, artikuliert
sich die Wahrheit über das gegenwärtige Zeitalter: In ihm ist die befehlende
Not durch die gewählte Anstrengung ersetzt worden .... (Peter
Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004; S. 725 ).
Man müßte zur Kennzeichnung Ihres Vorgehens
erwähnen, daß es an eine von Oswald Spengler ausgehende Linie anknüpft,
die Sie Schritt für Schritt erweitern: auf ein gestalthistorisches und
später ordnungshistorisches Denken hin, ... eine Linie, die dann auf ein
polymorphologisches, nach vielen Seiten hin offenes Denken des Gestalthaften
und Wandelhaften ausgeführt wird. (Hans-Jürgen Heinrichs zu
Peter Sloterdijk, in:, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 225 ).
Unverstandenes
Urphänomen wie Urpflanze  Mir
wenigstens ist es nicht verständlich, wie man ohne Urphänomen ( )
zum Beispiel die schwierigen, sich überschneidenden Probleme der Arabischen
Kultur mit denen der Abendländischen Kultur verflochten sehen
kann, und dieses muß, will man zu einem klaren, zusammenhängenden und
nutzbaren Verständnis gelangen. ( ).
Nur das Urphänomen reiht diese Ideeverbindung über zwei Kulturen an,
um dann in die rein abendländische Bildungsidee erst nach dem Wandel und
Abwandel der Frühepochen überzutreten. - Wie sollte weiterhin das durch
alle Epochen unserer Kultur verlaufende germanische Heben und das romanische Senken
ohne Urphänomen zu verstehen, und daraus Einsichten, Vorteile, ja Einrichtungen,
zeitliche und künftige Anlagen zu gewinnen sein? (Wilhelm Düren
im Gespräch mit Oswald Spengler, Dezember 1928; vgl. Wilhelm Düren,
Meine Unterredung mit Oswald Spengler. Die Germanisch-Abendländische Idee,
1940, S. 17-18 ).
 Wenigstens
muß auch Ihnen diese geistige Gesamtfassung alles Werdens und ihre Möglichkeit
vorgeschwebt haben, schließen Sie doch ihr Werk mit der Hoffnung auf nur
diesen Ausblick einer großen letztmöglichen »morphologischen
Vergleichung« alles Erkennens, Wissens und Lebens, und nennen ihn den abendländisch-faustischen
Geistesabschluß. (Wilhelm Düren im Gespräch mit Oswald Spengler,
Dezember 1928; vgl. Wilhelm Düren, Meine Unterredung mit Oswald Spengler.
Die Germanisch-Abendländische Idee, 1940, S. 41 ).
Düren bringt seine Ganzheitslehre, die er schon in einer Reihe
von Schriften vertreten hat, in seiner jüngsten »Meine Unterredung
mit Oswald Spengler« ( )
in einer neuen lebendigen Form zur Anschauung. Im Gegensatz zu Spenglerschen »Untergängen«
erkennt Düren nur Umwertungsgänge, Wendegänge, »Erneuerungsgänge«.
Goethe ( )
und Nietzsche ( )
sind dabei die Angelpunkte, um die sich alles dreht, an sie ist anzuknüpfen;
bei Goethe an seine Metamorphosenlehre und seinen Gedanken des Urphänomens
im Sinne der Ganzheitslehre ( );
bei Nietzsche an seine Lehre von der Ewigen Wiederkunft des Gleichen und vom Übermenschen
( ).
Beide, Goethe und Nietzsche, wollen auf das Gleiche hinaus, Goethe ist der »Naturphilosoph
der Einheit und Ganzheit«, Nietzsche ist der »Menschheitsphilosoph
der Einheit und Ganzheit«. »In der Idee der Goetheschen Urpflanze
( )
verbirgt sich die totale Idee des Lebendigen überhaupt.« ( ).
Goethe hat das urbildende Gesetz, sein Urphänomen ( ),
als Ldee des Ganzen gegeben, und diese Idee der sich wandelnden Totalität
ist noch auf den Geschichtsorganismus anzuwenden. Das ist durch Nietzsche angebahnt,
bei ihm erscheinen schon derartige Zukunftshorizonte. Das Urphänomen ist
das geistig-innere Schöpfungsgesetz. Düren insbesondere formuliert das
Urphänomen als Spiral- und Vertikaltendenz. Nur im Urphänomen können
die Weltzusammenhänge ganzheitlich erfaflt werden, und nur dann ist Richtung
für das Menschentum zu schaffen, nur dann kann für den Menschengeist
Grenze, Sicherheit, Befriedigung erstehen. Denn über die Wandlungen und Umformungen
hinaus schafft das Urphänomen für die Einzel- wie für die Gesamt-Geschichte
Einheitlichkeit; die Teile sind innerhalb des Ganzen der Idee, des Urphänomens
zu verstehen, die Gestaltungen sind Wandlung der Idee. Der Vorzug, das Verdienst
von Dürens Ganzheitslehre und seines Rückgriffes auf Goethe und Nietzsche
ist dies, daß,die Wenden, die Umwertungen in Natur und Geschichte nicht
mehr als Zerstörungen erscheinen, sondern als schöpferische Durchgänge
des Ganzen, als Weitergänge zu neuen Schöpfungsabbildern. Wo die Ganzheitsbetrachtung
fehlt, kann es meist nur zu mikroskopischer, mosaikmäßiger Anschauungsweise
kommen. Mit Dürens Ganzheitsanschauung dagegen kann das Ziel erreicht werden,
die Welt als Natur mit der Welt als Geschichte zu verbinden, den Dualismus endgültig
zu überwinden, so daß die Harmonie unter ein und demselben Schöpfungsgesetz
erreicht wird. (Prof. Richard Oehler vom Nietzsche-Archiv in Weimar zum
Gespräch zwischen Düren und Spengler, Dezember 1928, in: Wilhelm Düren,
Meine Unterredung mit Oswald Spengler. Die Germanisch-Abendländische Idee,
1940 ).
 Wie
das Wormser Echo 1940 kommentierte, versucht der Botaniker Düren
mit Goethes »Morphologie« der überwundenen Zeitepoche den letzten
Schlag zu versetzen. Doch Dürens Theorie, weil sie auch gegen
das Denken Kants vom »Ding an sich« ( )
und dessen »letzten Nachkommen« Spengler, dem Denker der Teile, ins
Feld geführt ( )
wird und sogar Spenglers Dank an Goethe und Nietzsche ignoriert ( ),
geht als Kritik wohl doch zu weit, oder?Spenglers Synthese bezieht sich
auf die Raum-Logik als organische Lebensnotwendigkeit, auch Schicksal genannt,
und auf die Zeit-Logik, die den Kern aller Geschichtskunde und Geschichten bildet,
sich aber der Reinen Vernunft entzieht. Wie das Ding an sich
beschaffen ist, werden wir niemals erfahren, so Kant, und eine Beschränkung
auf die Etablierung der Regeln, denen die menschliche Wahrnehmung folgt, ist nach
Kant eine Konzentration auf das Wissen, das vor allem mathematisches Wissen ist.
Auch deshalb sind Kants Bewußtseinskategorien kaum mit historischen Abläufen
in Verbindung gebracht. Doch Spengler ist einer der wenigen innovativen Denker,
die auch z.B. den selten bemerkten Gegensatz zwischen chronologischen und mathematischen
Zahlen ausführlich beschrieben haben. 
Egon Friedell
zu Spenglers Analogien (und Homologien)
Die Alexandrinerzeit
wird »der hellenische Epilog der griechischen Geschichte« genannt:
eine bloße Verlegenheitsbezeichnung, die aus einem ganz anderen Assoziationsgebiet
genommen ist. Die richtige Analogie hat erst Spengler gefunden: es handelt sich
um ein Zeitalter, das über das unserige hinausgreift, indem wir uns ... in
... einer ähnlichen Entwicklung befinden. Für Spengler sind Jugend,
Reife, Verfall nicht poetische Floskeln, sondern biologische Formzustände,
morphologische Tatsachen, mit denen er geradezu experimentiert, geeignet, Vergangenheit
zu enträtseln, Zukunft zu entschleiern. »Gleichzeitig« sind für
ihn Vorsokratiker und Cartesianer, Pythagoräer und Puritaner, Stoiker und
Sozialisten, Sokrates und Rousseau, Plato und Hegel, Phidias und Mozart, Polykrates
und Wallenstein, Pergamon und Bayreuth. Das Entscheidende und Unterscheidende
ist, daß es sich hier nicht um »malerische« Pendants oder anekdotische
Spielereien handelt, sondern um ein schöpferisches Erfassen von Gestalten
und Bildungen, in denen die tiefste und innerlichste Symbolik eines jeden Zeitalters
sich ihren Ausdruck erzwungen hat. Trotzdem haben wir es bei allen derartigen
Gegenüberstellungen, auch den erleuchtendsten und einleuchtendsten, immer
nur mit einem Gleichnis zu tun, ja sogar mit einem bloßen Tropus, der nicht
beim Wort genommen werden darf, denn jede Metapher ist, richtig verstanden, eine
bloße »Figur« zur Erläuterung und Veranschaulichung, die
sich niemals decken kann und gar nicht decken soll. Ein Bild erhält
ja gerade dadurch seine Brauchbarkeit, daß es nicht die Sache ist.
(Egon Friedell, Kulturgeschichte Griechenlands, 1936, S. 94 ). Der
Untergang des Abendlandes ist nicht als Katastrophe zu verstehen,
sondern muß als Vollendung begriffen werden! Spengler verwahrte
sich mehrfach gegen das Mißverständis, seine Geschichtstheorie sei
pessimistisch. Er wollte sie nicht als Aufforderung zur Resignation,
sondern als Appell zum Ausharren in der gegebenen Lage und zum Verfolgen von greifbaren
Zielen verstanden wissen. Diese Aufgabe der eigenen Zeit hat Spengler in
seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes, und zwar ausdrücklicher
besonders im zweiten Band, thematisiert. Schon bei der ersten Lektüre wird
jedem aufmerksamen Leser klar, was hier z.B. mit dem Wort Untergang
gemeint ist: Untergang nicht im Sinne eines Schiffsunterganges, sondern
im Sinne der Vollendung. Untergang: Der Begriff einer Katastrophe
ist in dem Worte nicht enthalten. Sagt man statt Untergang Vollendung, ein Ausdruck,
der im Denken Goethes mit einem ganz bestimmten Sinn verbunden ist, so ist die
»pessimistische« Seite einstweilen ausgeschaltet, ohne daß der
eigentliche Sinn des Begriffs verändert worden wäre. ( ).
Ein Beispiel für das Mißverständnis ist der Fall der älteren
Dame, die gestand, Spenglers Buch zwar nicht gelesen zu haben, ihn aber um Rat
bat, wo und wie sie ihre Wertpapiere jetzt anlegen solle ( ).
Doch: Der Untergang des Abendlandes bedeutet nicht die Katastrophe,
sondern die Vollendung des Abendlandes.
Zur Aktualität1.
Übel: Parteien! Das erste große Übel -
das Hauptübel (!) - sind die Parteien (Parteipolitiker,
Lobbyismus, Korruption, Klüngel u.ä.), und so sah es auch
Spengler, den Frank Lisson diesbezüglich so interpretiert: Denn das
Hauptübel der Epoche seien eben die Parteien, die jeder entschlossenen Politik
im Wege stünden. Damit folgt Spengler einer langen Tradition des Deutschen
Idealismus ( ),
die von Hegel über Adam Müller bis hin zu Carl Schmitt reicht, wonach
Parteien deshalb abzulehnen seien, weil sie niemals das Ganze, sondern immer nur
einen Teil des Volkes repräsentierten. Egoismus und Eigennutz, Korruption
und Klüngel sei die notwendige Folge von Parteipolitik. Das Übergeordnete,
höhere Interesse eines Volkes oder einer Nation bleibe dabei auf der Strecke.
Die neue deutsche Republik von Weimar, gegen die Spengler heftig polemisiert,
sei »keine Staatsform, sondern eine Firma. In ihren Satzungen ist
nicht vom Volk die Rede, sondern von Parteien; nicht von Macht, von Ehre und Größe,
sondern von Parteien. Wir haben kein Vaterland mehr, sondern Parteien; keine Rechte,
sondern Parteien; kein Ziel, keine Zukunft mehr, sondern Interessen von Parteien.«
( ).
Hellsichtig erkennt er bereits die nächste Phase. »Aber die Macht verlagert
sich heute schon aus den Parlamenten in private Kreise, und ebenso sinken die
Wahlen unaufhaltsam zu einer Komödie herab.« ( ).
(Frank Lisson, Oswald Spengler - Philosoph des Schicksals, 2005, S. 101
).
Wir wissen es doch längst: Das parlamentarische System nutzt den Parteien
und ihren Funktionären, dagegen nicht »ipso iure« der Bevölkerung
und dem Staat als ganzem. Das parlamentarische System bringt immer und immer
nur die Parteien und innerhalb dieser wieder nur ganz kleine Schichten und Gruppen
ans Ruder, die dann als Drahtzieher der herrschenden Partei eine wundervolle Gelegenheit
erhalten, den Staat für sich auszubeuten. (Friedrich Meinecke ).
Genau dieses Problem hat bis heute niemand so erfolgreich zu lösen vermocht
wie Bismarck. Die Forderung nach Gewaltenteilung - und für einen Rechtsstaat
heißt das eindeutig Trennung von Parlament und Verwaltung - erfüllte
damals nur Deutschland und sonst kein anderer Staat. In Deutschland war dies alles
perfekt. Der Parteienstaat jedoch will alles kontrollieren - Gesetzgebung, Justiz,
Verwaltung - und mischt sich überall ein, bis in die kleinste Familienzelle,
also auch und gerade dort, wo er definitiv nichts zu suchen hat! Der Parteienstaat
ist ein parasitäres Gebilde insofern, als daß die meisten Parteipolitiker
nicht für den Staat, sondern von dem Staat leben. Privat, im Rahmen ihrer
Gruppe, auch Clique genannt oder, wie man früher zutreffender sagte, Sippe
! ( ).
Und sicher ist: Der Politiker möchte sein Mandat behalten. Der Politiker
schaut sehr genau, was muß ich denn machen, damit ich von meiner Klientel
das Mandat wiederbekomme - so läuft's doch -, und dann testet er, was kommt
denn bei meiner Kleintel an. Daß das eine Peversion ist, das steht doch
außer Zweifel. In unserem Grundgesetz steht drin, daß jemand, der
ins Parlament gewählt wird, Abgeordneter des ganzen Deutschen Volkes ist;
das heißt: es dürfte gar keine CDU-Abgeordenten geben, keine SPD-Abgeordneten,
keine FDP-Abgeordneten ... (u.s.w.). In dem Moment, wo sie die Schwelle zum Deutschen
Bundestag überschreiten, sind sie nur noch Abgeordnete des Deutschen Volkes.
(Meinhard Miegel, in: Philosophisches Quartett - Wieviel Wahrheit verträgt
die Demokratie?, ZDF, 2006 ).
Unsere Politiker sind Parteipolitiker; sie belügen sich erst einmal selbst
und/oder lassen sich von ihren Beratern und parteipolitischen Expertokraten ihre
Lügen bestätigen; dann belügen sie das Volk um so mehr. Wer sich
selbst belügt, kann andere gemeiner belügen
2.
Übel: Presse! Das zweite große
Übel sieht Spengler im modernen Pressewesen, dem Fundament der Zivilisation.
Mit Hilfe der Medien werde der Mensch auf eine neue, raffinierte und schonende
Art versklavt, ohne es zu merken. Spenglers Beschreibung der Macht und
Funktion von Massenmedien in modernen Gesellschaften ist heute aktueller
denn je. Auf die Frage: »Was ist Wahrheit?« gibt er
zur Antwort: »Für die Menge das, was man ständig liest
und hört. .... Das Volk liest die eine, seine
Zeitung, die in Millionen Exemplaren täglich in alle Häuser
dringt, die Geister vom frühen Morgen an in ihren Bann zieht ....
Was sie will, ist wahr. Ihre Befehlshaber erzeugen, verwandeln, vertauschen
Wahrheiten. .... Sie muß die Geister dauernd unter Druck
halten. .... Ein Demokrat vom alten Schlage würde heute nicht Freiheit
für die Presse, sondern von der Presse fordern ....
Eine furchtbarere Satire auf die Gedankenfreiheit gibt es nicht. Einst
durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt darf man es, aber man kann
es nicht mehr. Man will nur noch denken, was man wollen soll, und eben
das empfindet man als seine Freiheit .... Es ist jedem erlaubt zu sagen,
was er will; aber es steht der Presse frei, davon Kenntnis zu nehmen oder
nicht. Sie kann jede Wahrheit zum Tode verurteilen, indem
sie ihre Vermittlung an die Welt nicht übernimmt, eine furchtbare
Zensur des Schweigens. die um so allmächtiger ist, als die Sklavenmasse
der Zeitungsleser ihr Vorhandensein gar nicht bemerkt.« ( ).
Um all dem entgegenzuwirken, fordert Spengler die Ȇberwindung
der europäisch-amerikanischen Demokratie oder vielmehr dessen, was
sie als Verwirklichung ihrer Idee hervorgebracht hat: Herrschaft der Hochfinanz,
Nepotenwirtschaft der Parteien statt Souveränität des Volkes,
dessen Entmündigung durch Wahlorganisation, Bezahlung der Wahlen
und Gewählten und Kauf der Presse.« ( ).
Er sehnt sich nach uneigennütziger ( ),
nationaler Politik eines Bismarck ( )
oder Friedrich des Großen ( ),
überhaupt nach »preußischer Haltung« in der Politik
und wünscht sich eine »außerordentliche Stärkung
der Regierungsgewalt mit hoher Verantwortlichkeit« ( ),
die von einem Kanzler und den von ihm berufenen sachkundigen Ministern
ausgeht. Zweimal im Jahr soll die Regierung dem nicht mehr als 150 Sitze
zählenden Parlament einen Rechenschaftsbericht zur Kritik vorlegen.
»Um den deutschen Parteihader zu überwinden und die Bildung
urteilsfähiger Gruppen zu erreichen, müßte es die Wahlordnung
unmöglich machen, daß mehr als vier Parteien und solche von
weniger als einem Zehntel der Bevölkerung Abgeordnete erhalten.«
( ).
(Frank Lisson, Oswald Spengler - Philosoph des Schicksals, 2005,
S. 101-102 ).
1.
und 2. Defekt (Familien-/Kinder- und Sozialfeindlichkeit)! Das
abendländische Volk befindet sich mit seiner Bevölkerungsbilanz
unweigerlich auf dem »Todestripp«. Man kann ziemlich genau ausrechnen,
wann es vom Erdboden verschwinden wird. .... Demographisch hat der Untergang des
Abendlandes längst begonnen. .... Da ich die kosmopolitische Position für
weltfremd und utopisch halte, geht es für mich in der Auseinandersetzung
um die »Ausländerpolitik« um die große, wirklich »existentielle«
Frage, ob die europäischen Völker ihre glorreiche Laufbahn noch fortsetzen
oder endgültig im Orkus der Geschichte verschwinden werden. Nach meiner Überzeugung
ist dies primär eine Frage des Willens. Wenn ein alterndes und sterbendes
Volk seinem vorgezeichneten Schicksal entgehen will, gibt es im Prinzip ein probates
Mittel: es muß dafür sorgen, daß es sich wieder ausreichend reproduziert.
Diese Ziel ist allerdings, wie etwa die Geschichte des Römischen Reiches
zeigt, auch dann nicht leicht zu erreichen, wenn es die verantwortlichen Staatsmänner
ernsthaft ins Auge fassen und bewußt eine »pronatalistische«
(geburtenfördernde) Politik betreiben. Das Fatale unserer Situation besteht
jedoch darin, daß unsere Politiker dieses Ziel nicht einmal anzuvisieren
wagen. .... Dabei möchte ich einen Komplex besonders betonen, den ich das
»liberale Syndrom« genannt habe. Da eine pronatalistische Politik
das generative Verhalten verändern muß, kommt sie nicht nicht darum
herum, zumindest indirekt in die »Privatsphäre« der Bürger
zu intervenieren. Das ist aber nach der liberalen Ideologie just der Bezirk, in
dem der Staat nicht nur nichts verloren hat, sondern dessen »Freiheit«
er schützen soll. Aus dem liberalen Credo ergeben sich in concreto Postulate
wie »Mein Bauch gehört mir!« oder der selbstverständliche
Anspruch jedes Bürgers, die Anzahl seiner Kinder selbst zu bestimmen. ( )
... Da bei überzeugungstreuen Liberalen der »eigene Nutzen« grundsätzlich
vor dem »Gemeinwohl« rangiert, kommt so etwas wie das »generative
Gemeinwohl« als politische Zielvorgabe überhaupt nicht in Betracht.
Im Konfliktfall zwischen dem »generativen Gemeinwohl« und der »individuellen
Selbstverwirklichung« kann sich der liberale Staat nur für den Vorrang
der »persönlichen Freiheit« entscheiden. Seine Ideologie erlaubt
allenfalls die indirekte Beeinflussung des generativen Verhaltens durch eine »Familienpolitik«
... Ansonsten aber überläßt der liberale Staat die Entwicklung
der Bevölkerung dem »freien Spiel der Kräfte«. (Robert
Hepp, Einwanderungspolitik zur Sicherung unseres Lebensstandards?,
in: Andreas Mölzer & Rudolf Eder, Einwanderungsland Europa?,
1993, S. 22, 25-26). Die Defekte unserer Gemeinschaft - angefangen beim Paar,
über die Familie, das Volk, den Staat, die Nation, bis hin zur Kultur (!)
- sind also offensichtlich! Hier ist sie also wieder: die Entscheidung
für oder gegen die höchsten Werte der Abendländer, z.B. die Werte
Liberalismus und Individualismus. Denn: entscheidet man sich für sie, wird
das Abendland nicht mehr sehr alt werden; entscheidet man sich gegen sie, wird
das Abendland einen sehr großen Teil an Identität verlieren, dafür
aber bessere Aussichten haben, sehr alt zu werden. Soll ich mich so freiheitlich
(liberal) verhalten wie ein Held und als ein nur mir selbst gehörendes
Ich, als ein ganzes und unteilbares (individuelles) Selbst keine Angst
vor dem Sterben haben? Soll ich stolz rufen: Ja, Liberalismus und
Individualismus sind die Verlierer dieses Weltspiels, aber ich will die Freiheit
haben, selber darüber zu bestimmen, ich will selber über mein selbst
verschuldetes Verliererdasein freiheitlich urteilen, weil ja ich der Verlierer
bin und sonst keiner - keiner außer mir, dem unteilbaren Selbst, dem unteilbaren
Ich, dem Individuum? Sind die Abendländer lebensmüde
oder nicht?  Schon
1972 wollte Anton Koktanek ( )
in seinem Nachwort zu Spenglers Hauptwerk wissen, welche von Spenglers Prognosen
bereits Wirklichkeit geworden waren: Uns interessiert ... die Futurologie
Spenglers. Wie liest er sich in unserer Zeit (1972)
? Denn seine Zukunft ist unsere Gegenwart (1972).
... Im globalen Wandlungsprozeß zeichnen sich unverkennbar Triften ab: Die
springflutartige Zunahme der Erdbevölkerung ( ),
eine Völkerwanderung von unten, wirft die Frage nach der Ordnung wie nach
der Versorgung der Massen auf .... Dabei verschiebt sich das Spektrum zuungunsten
der hochindustrialisierten Völker. Hier Geburtenrückgang ..., dort Bevölkerungsexplosion
( ),
die das Substrat einer möglichen »farbigen Weltrevolution« schafft.
( ).
Die Schwerpunkte der politischen Macht wandern von Europa in die Kontinente der
Massen. Bewußtseinswandel und Selbstwerdung einer Dritten Welt voller ungehobener
Möglichkeiten und ungeklärter Tendenzen stellen den Führungsanspruch
der weißen Rasse ... in Frage. Europas Rückzug aus der Weltherrschaft,
die Möglichkeit, daß dieser Erdteil vom Subjekt zum Objekt weltgeschichtlicher
Entscheidungen wird, spiegelt sich in einem Identitätsverlust des europäischen
bzw. abendländischen Selbstbewußtseins. Der Untergang des Abendlandes
ist strittig, der Untergang des Begriffes Abendland hat schon begonnen. Das Wort
verschwindet immer mehr aus der Diskussion, ein Vorgang von symbolischer Bedeutung.
An seine Stelle treten die Bezeichnungen Europa oder auch Westliche Zivilisation,
die beide nicht mit dem Begriff Abendland identisch sind, weder in seiner herkömmlichen,
die Antike als Ursprung und Erbe umschließenden, noch in seiner engeren
Spenglerschen Bestimmung, welche im Abendland ein genaues Gegenstück der
Antike erblickt. Bei Spengler heißt es noch: »Das Wort Europa sollte
aus der Geschichte gestrichen werden .... Orient und Okzident sind Begriffe von
echtem historischem Gehalt. Europa ist leerer Schall.« ( ).
Was aber ist bei Spengler Orient? Das deutsche Wort Abendland, in Analogie
zu Luthers Prägung Morgenland (Matth. 2,1) gebildet, setzt das Vorhandensein
zweier korrelierender und konkurrierender Kultursysteme voraus. Das antithetische
Begriffspaar Abendland und Morgenland entspricht dem lateinischen occidens
und oriens wie den griechischen Begriffspaaren hesperia und anatole
bzw. europe und asia. Spengler hat den Begriff Abendland eingeschränkt:
räumlich ..., zeitlich ...; er hat ihm damit zugleich einheitliches Relief
gegegeben und ihm Kraft entzogen: er hat ihm den korrespondierenden Gegenwurf
eines Morgenlandes genommen, und er hat sein Abendland von der Antike isoliert,
die bislang als unsere Vorwelt galt. .... Das schwindende Identitätsbewußtsein
einer Kultur mißtraut der Überzeugungskraft der eigenen Werte und Argumente
und baut statt dessen auf die Überwältigungskraft technischer, militärischer,
politischer Mittel. Dieser Rekurs von den besseren Gründen zu den stärkeren
Kräften ist gewissermaßen die Tiefenpsychologie des Imperialismus.
Konsequenterweise bekennt Spengler: »Ich lehre hier den Imperialismus
... Imperialismus ist reine Zivilisation.« ( ).
Cecil Rhodes' »Wort Ausdehnung ist alles enthält ... die
eigentlichste Tendenz einer jeden ausgereiften Zivilisation.« ( ).
Aber Spenglers politisches Rezept, ein Imperium Germanicum, erweist sich als unpraktikabel.
Das Abendland hat nie die Hegemonie einer seiner rivalisierenden Mächte geduldet.
... Bagby ( )
traut in interessanter Fortbildung des Spenglerschen Entwurfs den Vereinigten
Staaten die Errichtung des abendländischen Imperiums zu. (Anton M.
Koktanek, Oswald Spengler in unserer Zeit, 1972; auch als Nachwort zur
ersten Taschenbuchausgabe in: Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes,
S. 1251-1254 ).
Bleibende BedeutungIn einem von Hans-Jürgen
Bienefeld gehaltenen Gastvortrag auf der 92. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft
am 02.10.1999 ( )
heißt es unter dem Hinweis, daß der von Oswald Spengler ja schon 1912
bestimmte Titel Der Untergang des Abendlandes ( )
beim Erscheinen des Buches (1917-1918) wohl auch durch ein Mißverständnis
- Bezug zum 1. Weltkrieg (1914-1918) - eine riesige Wirkung auslöste ( ):
Von bleibender Bedeutung scheinen Spenglers Anregungen zur Kritik des gegenwärtigen
Kulturumbruchs, zur Verwerfung des Eurozentrismus, zur Forderung nach einer Neukonzeption
der Universalgeschichte wie zur Betonung der Formengemeinschaft der verschiedenen
Erscheinungen eines Zeitalters. Obwohl zu den Quellen von Oswald Spenglers Denken
zahlreiche Einzeluntersuchungen vorliegen, ist die Beziehung dieses Autors zur
Kunstgeschichte bisher nicht oder aus einer nur unzureichenden Perspektive erforscht
worden. Eine Untersuchung dieses Verhältnisses wäre jedoch für
das Verständnis von Spenglers geschichtsphilosophischer Konzeption von nicht
zu unterschätzender Bedeutung. Bienefeld meint, daß Spenglers
Bemerkung über die Stellung der europäischen Philosophie angesichts
des Untergangs des Abendlandes sehr aufschlußreich sei. (Vgl.
Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 481 ).
Nachdem das Geheimnis der Welt nacheinander als Erkenntnisproblem, als Wertproblem
und als Formproblem thematisiert worden sei, bleibe der Philosophie am Ende ihrer
Entwicklung nur noch die Möglichkeit eines physiognomischen Skeptizismus,
für den die klassischen Themen der Philosophie lediglich den historischen
Ausdruck einer Kultur darstellten. (Vgl. Spengler, ebd., S. 481 ).
Historischer Ausdruck einer Kultur, das scheint auf den ersten Blick
nichtssagend und banal, dennoch ist in dem Begriff Ausdruck Spenglers
gesamte Philosophie gewissermaßen in nuce zusammengefaßt und
darüber hinaus noch eine bedeutende und einflußreiche Richtung des
modernen europäischen Denkens angesprochen, nämlich die Richtung, für
die nicht die Inhalte, die Aussagegehalte oder der Sinn kultureller Gebilde im
Mittelpunkt der Analyse stehen, sondern deren Gestalt und Form. Daß auch
Spengler ein Vertreter dieses Denkens ist, drückt sich bereits im Begriff
der Morphologie aus. Diesen auf das griechische Wort morphe
(Form, Gestalt) zurückgehenden Begriff übernimmt Spengler von Goethe
(1749-1832 ).
Er bildet ihn jedoch im Sinne einer universellen Weltbetrachtung um, die sich
auf alle Erscheinungen der Wirklichkeit erstreckt, wobei lediglich zwischen Systematik
(Morphologie der Natur) und Physiognomik (Morphologie der Geschichte)
unterschieden wird. (Vgl. Spengler, ebd., S. 135 und ff.). Grundlegend
für das Verständnis des Begriffs der Physiognomik ist Spenglers Auffassung
der äußeren Wirklichkeit als Symbol, in dem sich jeweils
eine spezifische Kulturseele manifestiert. Sichtbare Geschichte ist
aus diesem Grund Ausdruck, Zeichen, formgewordenes Seelentum. (Vgl.
Spengler, ebd., S. 8). Geschichtsmorphologie hat die Aufgabe, dem äußeren
Bild der Weltgeschichte, welches sich dem ungeübten Blick als Gewirr
von anscheinend freiester Zufälligkeit darstellt, die Urformen
abzuringen; die allem Werden zugrunde liegende Physiognomik fragt somit nach der
... sozusagen metaphysischen Struktur der historischen Menschheit, die von
den weithin sichtbaren populären, geistig-politischen Bildern der Oberfläche
wesentlich unabhängig ist. (Vgl. Spengler, ebd., S. 3 )
... Entscheidend ist, daß Spengler im Zusammenhang mit diesen Hervorbringungen
einen universellen Stilbegriff einführt. Weil er ausnahmslos alle geschichtlichen
Erscheinungen ... als Symbole auffaßt, kann Spengler nicht nur
zwischen der kontrapunktischen Instrumentalmusik und dem wirtschaftlichen
Kreditsystem einen tiefen Zusammenhang der Form konstatieren,
sondern auch von einem religösen, gelehrten, politischen, sozialen
(und) wirtschaftlichen Stil sprechen, durch den sich die Schicksalsidee
einer jeden Kultur in den verschiedensten Bereichen veräußerlicht.
(Vgl. Spengler, ebd., S. 3). Kulturen sind damit Organismen größten
Stils, eines Stils, der im Dasein ganzer Kulturen den gesamten Lebensausdruck
höherer Ordnungen umfaßt. Physiognomik - also die Morphologie
der Geschichte - ist mithin Formgeschichte, Strukturlehre der
Geschichte, sie hat es mit der Formensprache der menschlichen Geschichte,
mit der Formensprache aller Kulturgebiete - kurz mit den Formenproblemen
des Historischen zu tun. Analog dazu besteht die Aufgabe der Naturwissenschaften
am Ende des Abendlandes für Spengler darin, eine Morphologie der exakten
Wissenschaften zu schreiben, die (alle Disziplinen
der NaturWissenschaften ebenfalls als Symbole auffaßt und ...) ...
untersucht, wie alle Gesetze, Begriffe und Theorien als Formen innerlich
zusammenhängen. Bienefeld meint, für Spengler seien die
Künste einer der wichtigsten Schlüssel für das Verständnis
von Raum und Zeit - eben: für eine bestimmte Zeit in einem bestimmten Raum.
Laut Bienefeld ist das einer der Gründe, warum man Spenglers Vorgehen
mit einem modernen Ausdruck als Ästhetisierung der Wirklichkeit bezeichnen
kann. Ästhetisierung bedeutet in letzter Konsequenz, daß den Formen
eine Eigengesetzlichkeit zugesprochen wird, die allen inhaltlichen Bestimmungen
vorgelagert ist und diese strukturiert. .... Jede Lebensauffassung eines Kulturmenschen
läßt somit den Stil ... einer bestimmten Kultur erkennen.
(Vgl. Spengler, ebd., S. 440). Andererseits sind alle Stile eines Kulturkreises
durch dessen Schicksalsidee geprägt. .... Spenglers Grundgedanke
besteht somit darin, daß jede individuelle Hervorbringung der menschlichen
Geschichte und Kultur Ausdruck von Stilgesetzen ist. Ob individuelle Handlung,
ob scheinbar spontane Hervorbringung eines Kunstwerkes, ob ganze Epochen, ob Kulturkreis
- allen Erscheinungen der Weltgeschichte liegt ein Form- oder Stilprinzip zugrunde,
das individuelle Ausprägungen nur in einem bestimmten Rahmen zuläßt
und somit allen Hervorbringungen dieses Kulturkreises seinen Stil
aufragt, auch wenn innerhalb dieses Rahmens gewisse Spielräume existieren.
Es ist z.B. Ausdruck der allen Kulturkreisen gemeinsamen organischen Prozeßstruktur,
daß es beim Übergang der Kultur zur Zivilisation zu einer Revolution
kommen wird. Daß sich diese Revolution im abendländischen Kulturkreis
in der Form der französischen Revolution materialisiert, ist dagegen
zufällig, d.h. nicht zwingend notwendig. (Vgl. Spengler, ebd.,
S. 193). Dem entspricht, daß sich junge Völker, die an die Stelle der
alten treten, überlieferter Formen bedienen können - freilich ohne damit
ihr eigenes Wesen auszudrücken, weshalb Spengler hier von Pseudomorphosen
spricht. (Vgl. Spengler, ebd., S. 618, 620ff., 784ff. ).
... Die für Spengler charakteristische Konstellation von Politischem und
Ästhetischem war ursächlich auch am Entstehen seines Hauptwerkes beteiligt,
so Bienefeld, der sich fragt, wie viel Spengler bei der Konzeption der universellen
Kulturmorphologie auch den Kunsttheorien seiner Zeit verdankt. Bienefled nennt
z.B. an erster Stelle Alois Riegl (1858-1905 ),
dessen Einfluß auf Spengler nicht zu unterschätzen sei, und auch Heinrich
Wölflin (1864-1945 ),
dessen Kunstgeschichlichen Grundbegriffe (1915 )
erstaunliche Analogien zu Spenglers Geschichtsmodell aufweisen, obwohl die Rezeption
Wölflins durch Spengler im Untergang des Abendlandes nicht erwähnt
wird. In der Kunstgeschichte vollzog sich seit ungefähr 1885 ein Paradigmenwechsel,
der - sehr grob gesprochen - in einem Bruch mit drei traditionellen Essentials
dieser Wissenschaft bestand:
(1.) Bruch mit der Art, das Klassische
als unhintergehbaren Maßstab für Kunst anzusehen; (2.)
Bruch mit einer individualisierenden, auf einzelne Künstlergenies bezogenen
Darstellung; (3.) Bruch mit den klassischen
ästhetischen Werturteilen schön und häßlich,
die die Bewertung der Kunst von subjektiven Kriterien
abhängig machen. | Die
hauptsächliche Folge dieses dreifachen Bruches war zunächst eine erhebliche
Ausweitung des traditionellen Gegenstandsbereiches der Kunstgeschichte. Bis dahin
nicht als Kunst angesehene und als häßlich empfundene Epochen ... wurden
nunmehr Thema kunstwissenschaftlicher Untersuchungen. .... Nicht zuletzt konnten
durch die Herauslösung der Kunst aus der Gesamtkultur und durch den Verzicht
auf wertende Urteile einzelne Kunstepochen überhaupt erst als selbständige
und gleichwertige Untersuchungs-Gegenstände isoliert und entsprechend analysiert
werden. .... Es ist meines Erachtens offensichtlich, daß Spenglers Konzeption
der Morphologie der Weltgeschichte entscheidend von Grundgedanken
der Kunstgeschichte inspiriert worden ist, genauer von jenen Protagonisten des
kunstgeschichtlichen Paradigmenwechsels, den man vor allem mit dem Namen der Wiener
Schule verbindet. Die Feststellung, daß Riegl ( )
die Geschichte zum Stilphänomen gemacht und so zu einer historischen
Morphologie der Weltanschauungen ästhetisiert habe, könne auch
auf Spengler zutreffen, so Bienefeld, aber: Von einem bloßen Epigonentum
Spenglers zu reden, wäre meines Erachtens jedoch nicht angemessen. Auch wenn
sie an dieser Stelle nur unzureichend untermauert werden konnte, soll am Abschluß
dieser Arbeit die These stehen, daß sich ungefähr seit dem Ende des
19. Jahrhunderts, zunächst im Rahmen der deutschen Kunstgeschichte, ein Typus
des historischen Denkens - wenn man so will, eine Diskursformation - herausgebildet
hat, der in Spengler einen ... eigentümlichen Höhepunkt fand, aber für
weitaus mehr Denker, als in diesem Rahmen behandelt werden konnten, kennzeichnend
ist. Es wird weiteren Untersuchungen vorbehalten sein, diese These zu belegen
(oder aber eben: zu widerlegen! HB). (Hans
Jürgen Bienefeld, Physiognomischer Skeptizismus - Oswald Spenglers Morphologie
der Weltgeschichte im Kontext zeitgenössischer Kunsttheorien, Gastvortrag
auf der 92. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft, 02.10.1999 ).
Anton Koktanek ( )
nennt als Beispiele von Spengler-Schülern oder Spengler-Nachfolgern
bzw. der auf Spengler folgenden Kulturmorphologen, Kultursoziologen und
Kulturphilosophen solche, die Spengler direkt folgten, und solche, die
zum Teil in Opposition gegen ihn ihre Kulturmodelle und System entwickelt
haben: Arnold J. Toynbee, Walter Schubart, Theodor Lessing, Nikolai Berdjajew,
F. S. C Northrop, Alfred L. Kroeber, Pitirim A. Sorokin, Arnold Gehlen,
Hugo Fischer, Albert Schweitzer, Hans Freyer, Christopher Dawson, Alfred
Weber, Karl Jaspers, Alois Dempf, Romano Guardini, Philip Bagby u.a.m.
( ).
Sie alle - bei weitgespannten Unterschieden des Ansatzes, der Betrachtungsweisen
und Ordnungsformen - machen ernst mit der Geschichtlichkeit, Vergänglichkeit,
Sterblichkeit und also Zeitlichkeit der geschichtlichen Formen. Sie haben
vor dem Hintergrund eines schier endlosen Trümmerfeldes einst glanzvoller
Städte, zum Nomadentum herabgesunkener Kriegervölker, nicht
mehr geglaubter Relgionen, unzugänglich gewordener Kunstwerke und
sinnleer gewordener Einrichtungen und im Hinblick auf das eindringlichste
Deklinationsbeispiel, den Untergang der Antike, in den Auflösungserscheinungen
der westlichen Zivilisation den möglichen Untergang dieser neuen
Gesittungsgemeinschaft diagnostiziert, viele mit der Hoffnung, durch Einsicht
in die Gründe ihrer Krise einen Weg zu ihrer Überwindung zu
finden, Spengler konsequent von der Unerbitterlichkeit des Fatums durchdrungen.
Unter den eisigen zwingenden Anhauch seiner unaufhörlichen Angst,
die sich reflektiert politisch als Sorge darstellt, psychologisch als
Lebensangst und Todesangst, überkompensiert durch ein starres Willenstrotzdem
(der er sich gelegentlich entzieht im Eskapismus der »freien«
Phantasie), verdrängt Spengler die im gymnasialen Traditionalismus
überbetonte Tatsache des Fortlebens vieler historischer Einzelprodukte
und Einzelelemente, bedeutender Problemstellungen und Teilsysteme; seine
Tapferkeit besteht im entschlossenen Momento mori. .... Spenglers Geschichtsmorphologie
ist durchdrungen vom Prinzip Sorge als Objektivierung und Rationalisierung
der Angst. Sein Werk ist, was er der ägyptischen Kultur nachrühmt,
eine »Inkarnation der Sorge« ( ).
»Die Sorge ist ein Gefühl, das ein Wissen in die Ferne hinaus
voraussetzt, um das, was kommen wird, wie die Scham ein Wissen um das,
was es war.« ( ).
.... Wenn der Gang der Epoche uns etwa lehren kann, ist es hinterfragende
Kritik: Einsicht in die Willensgründe des Pessimismus ebenso wie
Skepsis gegenüber einem Optimismus, der auf die Machbarkeit aller
Dinge und auf die Vollendbarkeit des Menschen aus eigener Kraft vertraut.
Die Hoffnung, die Natur des Menschen durch Veränderung des Gesellschaftssystems
oder der Gesellschaftsphilosophie zu verändern, ist durch die geschichtliche
Erfahrung nicht bestätigt worden. Die machtvolle Entwicklung aller
Wissenschaften und die durchgehende Technisierung der »Erdumfangskultur«
(Arnold Gehlen), das Bekenntnis der meisten Staatsführungen zu einem
Kodex humanitärer Verpflichtungen und der ... Sozialismus hat die
begründete Sorge um die Zukunft nicht etwa nur der bürgerlichen Klasse oder der westlichen Zivilisation, sondern der ganzen Menschheit
nicht vermindert. (Anton M. Koktanek, Oswald Spengler in unserer
Zeit, 1972; als Nachwort zur ersten Taschenbuchausgabe in: Oswald
Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 1260-1262 ).
Spengler
war stark an Goethe und Nietzsche orientiert und sah z.B. im Menschen ein
Element der allebendigen Natur, das sich gegen diese Natur empört und
diesen Trotz mit dem Dasein büßen wird ( )
- Spenglers Nähe zu den Romantikern und Ökologisten (z.B. zu den
Alternativen und Grünen der 1970er und 1980er
Jahre) ist trotz Spenglers Zugehörigkeit zur Schule der Lebensphilosophie
( )
nicht zu leugnen. Von Goethe habe ich die Methode, von Nietzsche die
Fragestellungen, so Spengler ( ),
und eine dieser Fragestellungen betraf die nihilistische Dekadenz, über
die Nietzsche ja besonders viel wußte: Der Abfall, Verfall,
Ausschuß ist nichts, was an sich zu verurteilen wäre: er ist
eine notwendige Konsequenz des Lebens .... Es ist eine Schmach für
alle sozialistischen Systematiker, daß sie meinen, es könnte
Umstände geben, gesellschaftliche Kombinationen, unter denen das Laster,
die Krankheit, das Verbrechen, die Prostitution, die Not nicht mehr wüchse
.... Aber das heißt das Leben verurteilen .... Es steht einer Gesellschaft
nicht frei, jung zu bleiben .... Alter schafft man nicht durch Institutionen
ab. Die Krankheit auch nicht .... Was man bisher als Ursachen der Degeneration
ansah, sind deren Folgen. (Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht
- Versuch einer Umwertung aller Werte, S. 30-31 ).
Viel früher schon als sein Schüler Spengler sah nämlich Nietzsche
den Ausbruch aller Triebe in der regelstörenden Form der Krankheiten
und Verbrechen als nicht aufhebbares Symptom einer gesamtgesellschaftlichen
nihilistischen Dekadenz. .... Spengler
ist tatsächlich in der Wahl seiner Bilder, in seiner Wissenschaftslehre
und in seinem Sprachstil, dem angemessenen Ausdruck seines Denkstils, der
Lebensphilosophie ( )
verbunden gewesen, die im irrationalen Leben und Erleben eine dem rationalen
Denken überlegene Erkenntnisquelle zu besitzen glaubte. Zudem wirkt
in ihm der Enthusiasmus einer durch stürmische Fortschritte der Biologie
(und Medizin) geprägten Epoche, der das Schlagwort Evolution soviel
bedeutete wie der späteren (oder/und der früheren
[?]; HB) das Schlagwort Revolution, einer Epoche, in der dank Ernst
Haeckel die Deszendenztheorie vor allem Darwinscher Prägung sich durchsetzte.
Spengler hat das biologische Gleichnis überbetont, eine Phänomenologie
und Morphologie der Geschichte gefordert, den morphologischen Vergleich
der Kulturen gefordert, für sie rationale und kausale Methoden abgelehnt
und sich auf physiognomischen Takt berufen. Doch hat der dogmatische, mythopoetische
und prophetische Vortrag einer an sich fruchtbaren Arbeitshypothese der
unmittelbaren Wirkung ebenso genützt, wie es der Nachwirkung geschadet
hat. Seine Kulturlehre ist Ergebnis der Intuition, doch muß sie diskursiv
überprüft, falsifiziert oder verifiziert werden. Heute kann sie,
aus dem Symbolismus ihrer Entstehungszeit gelöst, weitergedacht werden,
da uns die Kybernetik erlaubt, den für Spengler unaufhebbaren Gegensatz
von mechanischen und organischen Abläufen zu überwinden und ein
gemeinsames Modell biologischer, mechanischer und soziologischer Prozesse
zu entwickeln. Die Spenglerschen Kulturen können als hochkomplexe,
überstabile dynamische Systeme mit doppelter Rückkoppelung gelesen
werden. Das Spenglersche Ursymbol ( )
stellt den soziogenetischen Code dar. Das Denkmodell erklärt gleicherweise
die relative quasi-organische Geschlossenheit, Individualität und Ablaufsgesetzlichkeit
der Kulturen wie ihre Offenheit, ihre Fähigkeit, fremde Güter,
gewissermaßen »Störungen« im kybernetischen Sinn
abzuweisen oder auch zu integrieren; auch das Problem der Pseudomorphosen
( )
kann dergestalt sinnvoll gelöst werden wie schließlich bei klarer
Anerkennung der Diskontinuität der Kulturen die Frage nach der Kontinuität
der Geschichte. (Anton M. Koktanek, Oswald Spengler in unserer
Zeit, 1972; als Nachwort zur ersten Taschenbuchausgabe in: Oswald Spengler,
Der Untergang des Abendlandes, S. 1263-1267 ).
 |
Spenglers Kritiker kamen und
kommen nicht umhin, zuzugeben, daß Spengler mit seinem Untergang
des Abendlandes einen Riesenerfolg hatte. Riesenerfolg! Und zugegeben:
sicherlich auch - auch! - deswegen, weil der Titel mißverstanden wurde.
( ).
Für Spengler war natürlich zur Zeit der Abfassung (Beginn: 1911;
der Titel stand 1912 fest!) die militärische und politische Niederlage
vom November 1918 nicht absehbar, doch seit November 1918 konnte eben genau
diese Niederlage als Teil eines allgemeinen, übernationalen Untergangs
auch der Sieger (Helmuth Plessner) gesehen werden, das tragische Bewußtsein
des politischen Zusammenbruchs tröstlich kompensiert werden in
der vermeintlichen Aussicht auf den notwendigen Untergang des großen
europäischen Kulturganzen (Manfred Schröter )
oder - noch übler - die eigene Misere als Untergangssymptome
des Abendlandes (Joachim Petzold) gesehen werden, also
die eigene Stimmung und Befindlichkeit im Untergang einer Kultur gespiegelt
werden, um so durch Universalisierung zu entsubjektivieren, die anderen
in den eigenen Untergang hingerissen zu wähnen, d.h. psychoanalytisch
formuliert: den Entzug libidinöser Besetzung zu rationalisieren zu
einem Untergang, der die Chiffre ist für die Projektion einer
innerlichen Katastrophe (Sigmund Freud). Doch wer Spengler nur verstehen
will als Paradigma, die subjektiven Weltuntergänge zu verarbeiten und
bestehen zu können, der muß Spengler auch verstehen als Paradigma,
die objektiven Weltuntergänge zu verarbeiten und bestehen zu können.
Spenglers Kritikern sei noch einmal gesagt:
... Spenglers Werk in seinem besten Kern erwächst, jenseits
der Widersprüche seiner Theorien, letzten Grundes aus einer Metaphysik
.... (Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik
seiner Kritiker, 1922, S. 140-141 ).
Auch und gerade das Schicksalshafte ist bei Spengler metaphysisch zu verstehen,
weniger wohl auch theologisch-religiös: Die Physik kann nur
die Irrationalität des Urdatums feststellen. Und doch kann unser
Denken mit seiner Warumfrage bei diesem Urdatum nicht haltmachen.
(Karl Heim, Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätslehre,
a.a.O., S. 347 ).
Laut Karl Heim geraten Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft - oder
die personifizierten Beispiele: Einstein und Spengler - immer mehr in
ein erkenntnistheoretisch unmögliches Extrem ihres Programms. Das
Extrem dieses Programms ist, wie Heim nachweist, erkenntnistheoretisch
unmöglich. Der wertorientiert betrachtete Geist ist notwendige Voraussetzung
der Kulturerfassung überhaupt. Aber ist denn Spenglers
Werk dieser Unmöglichkeit verfallen? Hat nicht Heim (vgl. unsere
Anm.  )
gerade selbst »die Grenze angedeutet, die sein geschichtsphilosophischer
Relativismus nie überschreitet«? Warum ist denn Spengler nur
»bis Newton« und nicht bis Einstein« gegangen und hat
(vielleicht unbewußt) doch »absolute Kulturmaße«
aufgestellt und angewendet? Ist seine extrem relativistische Theorie von
Heim exakt verstanden, so muß diese ihre Darstellung unrichtig oder
unzulänglich sein und Spenglers Leistung selbst aus viel gesicherteren
und lebenswahreren Tiefen unbewußt emprogestigen sein
ein Fall, der jedem geistesgeschichtlich Bewanderten von den verschiedensten
Beispielen her vertraut sein wird. (Ebd., S. 140 ).
Auch Spengler würde so zu jenem Typus zählen,
dessen Leistung tiefer ist als seine eigene Theorie, da er nachtwandlerisch
bei jener »Newtonschen« Grenze schon innehielt
und zwar nicht im Bewußtsein, hier bei einem vorläufigen Stadium
der Theorienbildung notgedrungen zu verharren, das ein künftiger
geschichtsphilosophischer »Einstein« noch zu überschreiten
hätte, sondern in der Empfindung von der hier drohenden Sinnwidrigkeit
des jenem analogen Standpunkts. Gerade Heims letzte Erkenntnisse (von
der Unzertrennlichkeit von »Seelentum und Naturbild«, von
dem »vom Seelentum getragenen Kosmos« als letzter gegebener
Realität, »in die wir mit unserer Forschung immer tiefer eindringen
müssen«) hat Spengler nicht nur ausgesprochen, sondern, was
viel mehr ist, nicht mit seiner Theorie, sondern mit seiner schöpferischen
Leistung selbst bestätigt, deren Wesen und innerste Kraft, wie nachzuweisen
ist, eben in jener von Heim formulierten Wechselwirkung und Wechselbedingtheit
wurzelt und aus ihren tiefgeheimen Quellen sich ernährt. Mit anderen
Worten, Spenglers Werk in seinem besten Kern erwächst, jenseits der
Widersprüche seiner Theorien, letzten Grundes aus einer Metaphysik,
die Heim niemals bezweifelt, doch in ihrer Tragweite noch unterschätzt
hat. (Ebd., S. 140-141 ).
Es wird hier darauf ankommen, die Absolutheit,
die Heim unter der relativistischen Geschichtseinstellung aufgespürt
hat, richtig und in ihrer ganze Tiefe zu bestimmen. Was Heim auf dem Umweg
über die Sinnwidrigkeit des extremen Geschichtsrelativismus aus der
religiösen Sphäre neu zurückgewinnt: den schicksalshaft-göttlichen
Halt als Urerlebnis der tatsächlichen Irrationalität, dies ruht
gerade auf dem Grunde der Spenglerschen Konzeption des Kulturablaufs
(und wird hier von Heim als »absoluter Maßstab« mitempfunden);
eben dies ruht in der zeitlichen Weltlebensauffassung selbst mitten inne
als das tragende, beharrende göttliche Zentrum, das hier seine Kraft
nicht religiöserseits zu Leben trägt, sondern geschlossen in
der absoluten Sphäre des Abstrakten in sich kreist als Sinn und Inhalt
der Bewegung. Eine Metaphysik der Zeit scheint damit aufzudämmern,
die aus der Flucht des Werdens und Vergehens selbst den Klang der Ewigkeit
heraushört und so die Notwendigkeit des Werdens und Vergehens gleichmäßig
begreift, ja eben im Gesetz der Reife und ihres Vorüberwandelns den
geheimsten Sinn des Seins rechtfertigend erlebt. (Als »Ruhe auf
der Flucht « quies in fuga, um ein schönes
musikalisches Wortspiel A. Schaeffers aufzugreifen
freilich in dem tieferen Sinn, der die erlösende und heiligende Ruhe
auf der Flucht schon im Gesetz des Flüchtens und Vorüberreifens
selbst unmittelbar erfüllt erlebt und diese Flucht des Seins darum
bejahen und ertragen kann, versöhnt auch mit der äußerlich
unmöglichen, doch innerlich zurückgewonnenen Erfüllbarkeit
der tiefsten, wehmütigsten Bitte aller Kreatur: »Verweile doch,
du bist so schön. ....«). (Ebd., S. 141 ).
Gerade die zwei Seiten, die Heim unterscheidet
und tiefsinnig auseinanderhält, um ihre Spannung durch die Überordnung
seines religiösen »Innenbildes« auszugleichen, gerade
diese beiden Seiten wären hier (wie in jeder wirklich bedeutenden
Metaphysik) in ihrer Wechselbedingtheit unlöslich eng verknüpft
und so das Absolute eben in die Spannung ihres Mit- und Ineinanderseins
hereingenommen, um hier den Halt aufzurichten, den die religiöse
Formung aus dem reich des Göttlichen empfängt. Das ist der letzte
Untergrund der »absoluten Maßstäbe« der Spenglerschen
Kulturbetrachtung, die Heim der Spenglerschen Relativität als Widerspruch
entgegenhält, und die vielmehr die Widersprüche aufzulösen
helfen können, die jede nicht tief genug reichende Auffasssung in
diesem metaphysischen Geschichtsbild wahrzunehmen glaubt. Als schicksalsgläubig
sucht Heim Spengler zu begreifen, doch selbst er sieht von dem religiösen
Standpunkt aus die metaphysische Gestalt dieses Schicksalsgedankens nicht
in ihrer reinen Eigenform. So tritt er aus dem Gleichgewicht und Mittelpunkt
der Wechselbedingtheit (der eigentlichen metaphysischen Heimat) wieder
heraus: Das Schicksalszentrum liegt für jede Religion in Gott, indes
diese Metaphysik das Zentrum im Schicksalsgeschehen faßt und hier
die Relativität selbst in das Absolute (in den Sinn dieses Geschehens)
aufhebt. (Ebd. S. 141-142 ).
Der Inhaltsfrage ... erwächst ... aus dem Zentrum
des Formalen selbst die Antwort als dessen eigener Ertrag.
Auch die Kultur, als heiligstes Geschehen: als Lebensprozeß verstanden,
schließt in ihrer Form den höchsten Inhalt ein; nicht in dem
biologisch flachen Sinn der sich vollendenden Persönlichkeit, die noch
im Greis und in der Heiligkeit des Greisentums, dem Tode nahe, die Vollendung
ihrer Möglichkeiten als Erfüllung segnen und bejahen kann.
(Ebd., S. 146 ).
Diesen Daseinsaspekt nicht nur intuitiv, anschaulich,
als Empfindung des Geschichtlichen auf die Kulturen übertragen, sondern
vielmehr seinen eigenen Gehalt in seiner eigenen Form verfestigt zu haben
nicht in ausgebauter Systematik, doch in unbeirrbarem
Instinkt , darin scheint uns die innere Überlegenheit
Spenglers wenigstens über die bisherige Kritik begründet. Weil
der Inhalt seiner Lehre, der Sinn des geschichtlichen Geschehens, sich in
der Form dieses (reifenden) Geschehens selbst erfüllt, ist er in der
Spenglerschen Fassung vor den oberflächlichen Angriffen jeder Optimismusforderung
geschützt. Jener dämonisch durchdringende Blick auf das Vergehen
der Kulturen ist, jenseits von Optimismus oder Pessimismus, als Verkünder
des Geheimnisses der Zeit von unbezwinglicher, elementarer Kraft.
(Ebd., S. 146 ).
....
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Der Vorwurf der »Selbstaufhebung«,
der Spenglers Buch gemacht wird, ist die entsprechende Steigerung und
Fortsetzung jenes bekannten Vorwurfs gegen Hegel, daß nach seiner
Lehre kein Fortgang des philosophischen Prozesses, ja der Weltgeschichte
selbst mehr möglich sei. Daß die Absurdität dieser wörtlichen
Folgerung doch auch dem Philosophen selbst wohl gegenwärtig gewesen
sein dürfte und eben darum, als Mißverständnis der Kritik,
noch eine andere Erklärung fordere, müßte doch selbstverständlich
sein. Der Widerspruch erklärt sich auch bei Hegel aus der Selbsteinordnung
in die Zeit, aus seinem Selbstbewußtsein, auf dem Scheitelbogen
eines einheitlich gereiften Entwicklungszusamenhanges zu stehen, dessen
Ziel »der in der Fülle seiner historischen Erscheinung sich
selber wissende Mensch« ist (vgl. hierzu
auch Alfred Baeumler: »Es ist ein ungeheures Verdienst Hegels, dem
Gedanken vom Ende der Kunst ohne Scheu ins Auge gesehen und ihn ohne Pessimismus
ausgesprochen zu haben. Die Kunst löst sich nicht in Nichts auf.«
),
während in Spenglers Problem das prinzipielle Selbstbewußtsein
einer späteren Zeit des »absteigenden Bogens« intuitiv
zum entsprechenden Durchbruch kommt. (Ebd., S. 147-148 ).
.... Der wertvolle Beitrag, der sich aus dem
Unterschied der Hegelschen und Spenglerschen Einstellung hier ergibt
gewissermaßen ihre »Phasendifferenz«
ist von der Kritik noch nicht eigentlich beleuchtet worden, so bedeutsam
er doch für die Beurteilung Spenglers ist. (Ebd., S. 148 ).
.... Spengler unterscheidet: »Das Geheimnis
der Welt erscheint nacheinander als Erkenntnisproblem, Wertproblem, Formproblem«
( )
und fühlt das letztere selbst als sein eigenes, entsprechend der
vielsagenden Betonung der »Morphologie«. Die Dreiheit dieser
Problemgrundformen wirkt aber nicht nur in der Aufeinanderfolge, sondern
ebenso gleichzeitig in der gegenseitigen Verflechtung, in der nochmals
die berührte Strukturtrilogie zum Ausdruck kommt. Dadurch, daß
sich Spenglers Instinkt bedeutsam für das mittlere Gebiet, das Formproblem,
entschieden hat, hat er sich auch vor dem methodologischen Forum wenigstens
dem Prinzip nach auf ein letztes, in sich ruhendes Bezugssystem zurückgezogen,
das in der Auflösung und Relativierung der einzelnen Kulturformen
selbst beharrt: Die Kultursystematik mit ihrem Zusammenhang der Formen
unter sich vermag trotz der Relativierung der Kulturformen eine gesetzmäßig
bindende Ordnung aufzurichten, deren Erkenntniserträge, insofern
sie begrifflich gefaßt sind, freilich »geschichtsphilosophisch«
im weitesten Sinn zu nennen wären, doch der eigentlichen Philosophie
nicht angehörten. In ihnen vollendete sich die hier früher schon
angedeutete »Struktur«form der Daseinserfassung, und ihre
höchstmögliche Erweiterung umschlösse dann das Menschliche
in der Totalität seiner formalen Bildungen. (Ebd., S. 149-150
).
Richtig!
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Zu diesem Zweck ziehen wir
drei schematische Verbindungslinien, deren Konvergenz im Schnittpunkt
S den Spenglerschen Problemstandort bezeichne. Wir besetzen sie
im ungefähren Abstand von je fünfzig Jahren
mit herausgegriffenen Namen, deren Träger ungefähr um diese
Zeit die Höhe ihres Lebens oder ihrer ersten Produktion durchschritten
haben. (Ein Jahrzehnt Spielraum muß zugestanden werden, wie
überhaupt das Schema, fern aller Zahlenspielerei, natürlich
nur eine ganz ungefähre zeitliche Orientierung geben soll.
(Ebd., S. 153 ). |
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Spengler glaubt in seiner Pessimismusschrift Leibniz und
Hegel als Vorväter seiner Denkungsart beanspruchen zu können. ( )
(Inwiefern mit Recht, wird sich auch noch von unserem Gesichtspunkt aus
ergeben.) .... Zunächst ist er von jeder Systematik weit entfernt,
und auch zu Dilthey, dessen skeptischen Relativismus wir hier mit Bedacht
gerade zwischen Hegel und Spengler einsetzen, besteht gar keine Beziehung,
Die zentrale Veranlagung Spenglers sehen wir vielmehr ganz auf der Mittellinie
unseres Schemas, die von Herder über die Romantik weiterführt:
hier ist die Heimat seiner eigenen kulturanschauenden, nachfühlenden
Genialität und unvergleichbar weit umspannenden Auffassungs- und Spürkraft
für alle menschlichen Erscheinungsformen. Diese Linie steigt in Spengler
zu dem Maximum an, das wohl überhaupt jemals an Kulturanschauungsgewalt
und -fülle von einem einzelnen erreicht worden ist. Die Tatsache dieses
Phänomens allein ganz abgesehen noch von der Beurteilung
seiner ordnenden Kräfte hätte unseres Erachtens
die Kritik, bei aller Ablehnung, zu einem Niveau des Respekts verpflichten
müssen, unter das sie bedauerlich oft hinabgesunken ist.
Doch Spenglers Stellung wird auch noch von einer anderen Sehrichtung aus
deutlich, die die eingangs schon erwähnten »Spürgeister
der Kulturwendezeit« verbindet und deren spezifisches, sich steigerndes
Bewußtsein von der Problematik ihrer Zeit und von dem inneren Stand
des Kulturablaufs, kenntlich macht, Rousseau als erster Sturmvogel verkündet
den inneren Bruch der (in »Zivilisationserstarrung« übergehenden)
Kultur; in Schopenhauer kommt die Ruhelosigkeit des heimatlos gewordenen,
entwerteten Kulturgefühls in der geschichtlichen Zweck- und Sinnwidrigkeit
zu metaphysischem, grandiosem Ausdruck. Nietzsche gibt dem sich aufwärts
entwickelnden Leben zwar leidenschaftlich seinen Sinn zurück, doch
seine Ewigkeitsbejahung (im Mysterium der Wiederkunft) ist gleichsam nur
ein krampfhafter Halt über den Abgrund hinweg, in den dieser durchaus
ethisch gerichtete Denker mit seiner aburteilenden Kulturkritik hineinblickt.
Spengler ist in einem tiefen Sinn der Fortsetzer und
Vollender auch dieser Linie (jener »Seismographen« des Kulturprozesses).
Hier verstehen wir erst jene (im I. Teil berührte) übermächtige
Gewalt, die seiner Kulturschau gegenüber der Nietzsches innewohnt:
Sie stammt nicht nur aus der um abermals einhalbjahrhundert älteren,
kühleren Reife des Kulturbewußtseins, dessen skeptische, eisige
Klarheit bis zur Selbsteinordnung in die abermals gealterte, absteigende
Zeitphase vorgeschritten ist, sondern sie strömt aus dem noch tieferen,
unmittelbareren Ewigkeitsblick, den Spengler auf das Dasein richtet. Wir
haben hier (durch unseren Hinweis auf seine Metaphysik der Reife) diese
wichtige Übergangsstelle aufgezeigt, wo der »Prophet des Unterganges«
sich in den Anschauenden der Ewigkeitsform der Kultur verwandelt; wo die
Blickrichtung auf die Zerfallsnotwendigkeit und -bereitschaft der Gegenwartskultur
sich weitet zur Umspannung und Erfassung des Kulturwerdens, -entstehens
und -vergehens als der höchsten Allgemeinform des lebenden Daseins
überhaupt; wo also die beiden unterschiedenen Linien
die der zeitlichen Kulturkritik, von Rousseau her, und die der allgemeinen
Kulturschau und -auffassung, von Herder her , in einem
Geist zusammentreffen. Wir haben diesen Vorgang bisher nur, vor allem anläßlich
der letzten theologischen Kritiken, mehr abstrakt verfolgt und ihn nur an
dem Paradox der Relativität und ihrer Überwindung mehrfach anschaulich
gemacht. Hier sehen wir nun in eine ganz andere, ergänzende Bedeutung
dieses Vorgangs, die zugleich den prinzipiellen Fortschritt auf der Linie
Schopenhauer-Nietzsche noch einmal beleuchtet. Simmel hat in seiner hellsichtigen
Art gerade den Gedanken und die »Bedingung der Ewigkeit« als
Mittelglied wie auch als Unterscheidungsmerkmal der zeitphilosophischen
Einstellung Schopenhauers und Nietzsches bezeichnet. (»Sie muß
mindestens als Ideal und als symbolischer Ausdruck der Vernunftform des
Daseins zur Verfügung stehen, wie ein Rahmen, in den sich allein der
Erlösungs- und Zweckprozeß der Welt fassen kann. Sie ist die
Brücke, über die hin Nietzsche von seinem pessimistischen
Ausgangspunkt zu einem Optimismus gelangt.«) .... Der Ewigkeitsgedanke
ist die Wasserscheide, an der die aus dem gleichen Urquell entsprungenen
Ströme des Schopenhauerschen und Nietzscheschen Denkens die Entgegengesetztheit
ihres Laufes offenbaren.«) In der Einstellung Spenglers nun sind diese
beiden Momente in einer förmlich Hegelschen Synthese »aufgehoben«,
insofern sein pessimistisch klarer Blick auf das Kulturvergehen eben dort,
eben in ihm keine Sinnlosigkeit, sondern die heilige, daseinsbejahende Ewigkeitsform
erschaut und (wenigstens der Möglichkeit nach) diese zu der vertiefungs-
und wandlungsfähigsten Kulturerfassung ausgestaltet hat, die je menschliche
Wirklichkeiten überspannt hat. Aber diese innere
Verbindung jener beiden Linien, die wir hier in Spenglers Stellung nachzuweisen
suchten, ergibt noch ein anderes, merkwürdiges Schlußresultat,
in dem wir nun die ausgespannten Fäden noch ein letztes Mal zusammenziehen.
(Dem nachdenklichen Leser wird es ohnedies vielleicht schon aufgefallen
sein, daß die drei unterschiedenen Linien zugleich der Dreiteilung
unserer Arbeit selbst entsprechen: der »geschichtsphilosophisch«
zeitkritischen Beurteilung, der »kulturphilosophisch« anschaulichen
Gesamtauffassung und der »kulturmetaphysisch« systematischen
Synthese höchster Art. Wir wiederholen so im Schema konzentriert den
prinzipiellen Aufbau unserer Studie, behufs rascher Orientierung und einheitlicher
Zusammenordnung der Ergebnisse.) Dadurch daß sich in Spengler die
beiden ersten Richtungslinien vereinigen, wird er nämlich auch zu der
dritten Linie unbewußt in eine tiefere, organischere Beziehung gesetzt,
als seine eigene methodische Veranlagung vermuten ließe. Um zu sehen,
daß die letztere an sich von der Wissenschaft wegweist, dazu bedarf
es nicht erst seiner Selbstzeugnisse. Der Traditionszusammenhang der systematisch-philosophischen
Arbeit reicht in seine bewußten, reflexiv ordnenden Aufstellungen
nicht hinein. Und gleichwohl hat doch, wie sich zeigte, eben die Verbindung
des geschichts- und kulturphilosophischen Moments in Spengler ein echt metaphysisches
Verhalten aufgewiesen, das aus der zentralen Tiefe seines ganzen Wesens
steigt. Diese Tatsache ließ sich aus der Übersicht über
die bisherige Kritik schon feststellen. Was übrig bleibt, ist die Aufgabe,
das gewissermaßen unterirdische Verhältnis dieser Spenglerschen
Metaphysik zu jener dritten Linie, der Verlaufsrichtung des großen
philosophischen Prozesses selber zu bestimmen und sie auch aus diesem weitesten
Zusammenhang heraus endgültig zu begreifen. (Ebd., S. 153-158 ).
 |
Was von Spengler bleibt? Nun, eine
ganze Menge, wie ich meine, und besonders eine in ihrer Bedeutung noch gar nicht
ausgewertete und ausgeleuchtete Theorie der historischen Kulturen, die ich die
Theorie der Historienkulturen nenne und die meinetwegen auch Theorie
der Hysterienkulturen genannt werden darf, denn zwischen Historie
und Hysterie gibt es durchaus einen Zusammenhang. Jedenfalls hat Spengler die
Theorie der historischen Kulturen mit einer Fülle von Daten, Fakten sowie
auch intensiver und tief in die Materie eindringender Reflexionen untermauert.
Doch die historische Forschung und noch viel mehr die universalhistorische Geschichtsdeutung
haben sich hiermit noch gar nicht auseinandergesetzt. Die Fülle der Gedanken
und Ideen hierzu sind in ihrer Bedeutung ganz offensichtlich bisher übersehen
worden - vor allem und mit besonders spezifischem Wegschauen seit 1968
in Deutschland. Es bleibt nur abzuwarten, ob sich dies einmal ändern wird.
Ein lohnendes Unternehmen wäre eine Auseinandersetzung mit Spenglers Theorie
der historischen Kulturen auf jeden Fall, und es wäre dumm, sie in Zukunft
weiterhin durch Wegschauen ignorieren zu wollen. Der zweite Hauptaspekt der Frage
nach der Aktualität Spenglers richtet sich auf die politische Dimension seines
Werkes. Auch die Jahre der Entscheidung sind ein hartes, kompromißlos
argumentierendes, sich durch einen fast brutalen Realismus auszeichnendes Werk,
eine Schrift, die den politischen Nerv der Zeit treffen wollte und auch getroffen
hat. Aufschlußreich zur Rekonstruktion der politischen Überzeugungen
des späten Spengler ist die hier sichtbar werdende, in der Formulierung zwar
nur vorsichtig angedeutete, in der Sache aber unübersehbar deutliche Distanzierung
vom Nationalsozialismus, besonders von der Rassentheorie. Dem vom NS-Regime verordneten
Geschichtsoptimismus (z.B. die Idee eines neuen Tausendjährigen Reiches
und dergleichen) hat Spengler in seinem letzten Buch eine fast höhnische
Abfuhr erteilt, die freilich nur derjenige zur Kenntnis nehmen konnte, der zwischen
den Zeilen zu lesen verstand. Zwei Thesen stellt der Denker auf. Die 1.
These: Mit dem Ende des Weltkrieges 1918 hat eine fundamental neue weltgeschichtliche
Epoche begonnen. Die bis 1914 vollkommen unangefochtene Führung der abendländischen
Mächte - und damit auch die Dominanz der abendländischen Kultur überhaupt
- wird in immer stärkerem Maße in Frage gestellt; das alte Europa hat
sich selbst mit diesem Krieg fundamental geschwächt, so daß eine allgemeine
Umschichtung der politischen Kräfteverhältnisse auf dem Globus begonnen
hat, deren Zielrichtung und Ergebnis noch keineswegs abzusehen sind. Neue Mächte
beginnen aufzusteigen: Nicht nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind
endgültig ins Kartell der Weltmächte eingetreten, auch die bolschewistische
Sowjetunion schickt sich an, in das Spiel der machtpolitischen Entscheidungen
einzugreifen. Und die 2. These: Mit dem Sieg der
Bolschewisten in der Sowjetunion hat die weiße Weltrevolution
begonnen, deren Ende ebenfalls noch nicht abzusehen ist. Diese soziale Revolution,
die Erhebung der Unterprivilegierten gegen die bisherigen gesellschaftlichen und
ökonomischen Führungsschichten, ist ein Vorgang, der sich, so Spengler,
in naher Zukunft noch weiter fortsetzen und der vollends unabsehbare Folgen nach
sich ziehen wird, wenn sich künftig einmal die weiße Weltrevolution
mit der farbigen Weltrevolution verbündet, also mit dem eben
beginnenden Aufstand der von den Weißen bis dahin noch beherrschten afrikanischen
und asiatischen Völker gegen ihre Kolonialherren. Gegen die drohende Gefahr
der Verständigung zwischen den Farbigen und dem weißen Proletariat
sah Spengler keine andere Möglichkeit, als den Zusammenschluß der weißen
Völker zu gemeinsamer Aktion, um die eigene weltbeherrschende Stellung zu
retten und damit auch den dabei immer noch andauernden Vorrang des Abendlandes
wenigstens für einige Jahrhunderte zu sichern. In diesem Zusammenhang ist
daran zu erinnern, daß Spengler den Untergang (die Vollendung )
des Abendlandes nicht konstatierte, sondern nur für die Zukunft prognostizierte.
Dem in der Tat bereits sichtbaren langsamen Erlöschen der geistigen und künstlerischen
Kräfte Europas und seiner Ableger stellte er die immer noch andauernden schöpferischen
Fähigkeiten im Bereich der modernen Technik entgegen. Hierin werde das Abendland,
davon war Spengler überzeugt, noch lange Zeit einen unaufholbaren Vorsprung
besitzen. Aber eben nur dann, wenn die Gefahr einer Überwältigung durch
die weiße Weltrevolution und die farbige Weltrevolution
sowie einer allzu raschen Aneignung der modernen Technik durch die nicht-abendländischen
Völker von den Abendländern rasch erkannt und mit entschlossen durchgeführten
Gegenmaßnahmen bekämpft werde.  Es
zeigt sich also, daß Spenglers Prophezeiung einer kommenden globalpolitischen
Konfrontation, die sich vor allem an der Linie der kulturellen Differenz abspielen
werde, richtig war, weil sie wahr geworden ist, daß sich - nach dem Ende
der Ost-West-Spaltung und des Kalten Krieges - eben keine einheitliche
Welt, kein Weltstaat, kein ewiger Frieden, auch keine kulturell nivellierte,
us-amerikanisierte Einheitswelt herausgebildet hat, trotz aller ökonomischen
Globalisierung. Das Ende der Geschichte ( ),
die Auflösung historischer Existenz im Zuge eines universal agierenden Liberalismus,
ist bis heute tatsächlich ausgeblieben. Die von Nietzsche prophezeiten letzten
Menschen, die in der Sonne blinzeln und sagen Wir haben
das Glück erfunden, sind - obwohl dieser Typus sich in den 1990er Jahren
hier und da bereits anzukündigen schien - noch nicht auf der Bildfläche
der Gegenwart erschienen. Die fundamentalen kulturellen Differenzen zwischen den
verschiedenen Kulturkreisen bestehen weiterhin mit unverminderter Schärfe
fort, ja nehmen sogar noch enorm zu (das derzeit größte Problem hat
das Abendland bekanntlich mit dem Morgenland). Und es sieht nicht so aus, als
ob sich daran in absehbarer Zukunft etwas ändern würde. Das bedeutet
aber: Der entscheidende Faktor der heutigen Weltpolitik ist und bleibt vorerst
die Tatsache der kulturellen Fragmentierung der Welt und der sich daran anschließenden
politischen Konflikte. Wie immer man die Ursachen dieser Konflikte auch deuten
mag: als Konfrontation verschiedener Fundamentalismen oder treffender
als Zusammenstoß der Kulturen ( ):
es handelt sich um ein Faktum, das Spengler bereits vor dem 1. Weltkrieg präzise
vorausgesehen und in seinen Umrissen beschrieben hat, freilich mit den Begriffen
seiner damaligen Gegenwart und mit Bezug auf die seinerzeit unmittelbar drängenden
Zeitprobleme. Was man von Spengler auch heute noch lernen kann, was also von seinem
politisch-publizistischen Werk bleibt, das ist die Einsicht in die Unhintergehbarkeit
und auch in die Unüberwindbarkeit der Konflikthaltigkeit der politischen
Existenz des Menschen. Solange Menschen unterschiedlichen Kulturen angehören
und sich dessen auch bewußt sind, so lange wird es keine Einheitswelt geben,
so lange wird es Konkurrenzkämpfe und in der Regel auch gewaltsame Konflikte
zwischen den Angehörigen der verschiedenen, miteinander konkurrierenden Kulturkreise
geben. Spengler verdeutlicht uns: Zwei Kulturen mögen sich noch so sehr annähern
- eine letzte, unüberwindbare Schranke bleibt immer bestehen. Das vermeintlich
allen gemeinsame Menschliche kommt nur dort zum Tragen, wo es um die
Natürlichkeit des Menschen geht. Kommt die Kultur
ins Spiel, dann beginnt der Konflikt, weil Kulturen jeweils zeitlich und räumlich
gebunden, daher grundsätzlich verschieden sind und letztlich fundamental
voneinander differieren. Daraus folgt nun keineswegs zwingend, daß es für
alle Zukunft eine agonale, eine kriegerische Welt geben muß,
daß die Menschen, so lange sie existieren werden, sich immer wieder gegenseitig
zu vernichten trachten. Aber daraus folgt, daß es Frieden und Eintracht,
wenn überhaupt, nur in der von allen gemeinsam erkannten und bewußt
ausgehaltenen, bewußt akzeptierten Differenz geben wird. Hierin liegen die
Grenzen des Universalismus und erst recht diejenigen der Globalisierung".
Und darin liegt auch die Unmöglichkeit des Verzichts auf Politik,
auch des Verzichts auf Weltpolitik in einem durchaus traditionell
gemeinten Sinn. Für unsere Gegenwart und wohl auch für unsere Zukunft
gilt also unverändert - wahrscheinlich sogar mehr als jemals zuvor - die
Warnung, die Spengler immer wieder formulierte: Der Verzicht auf Weltpolitik
schützt nicht vor ihren Folgen ( ).
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Wohl
erst in Zukunft wird das absolut untragbar gewordene progressiv-lineare Geschichtsmodell
durch das zyklisch-spiralförmige Geschichtsmodell ersetzt werden. Es ist
in der Geschichte nahezu immer so gewesen, daß Modelle sich nicht dann durchgesetzt
haben, wenn mit ihnen theoretische Triumphe einhergingen, sondern dann, wenn mit
ihnen ebenso praktische Triumphe einhergingen. Kopernikanische Wenden soll
es angeblich schon viele gegeben haben, und die echte war auch zunächst nur
für Theoretiker interessant, sichtbar geworden ist sie erst durch die Praktiker.
Ausgesuchte Stimmen
Vieles steht wie eine Erfüllung da.
Hier ist der Wurf gelungen. Aber um so stärker erregt mich der Gegensatz:
daß für Sie die Kulturen etwas pflanzenhaft Wachsendes sind und daher
die geschichtlichen Entscheidungen in die Sphäre des Zufalls fallen, daß
Ihnen jede der Kulturen etwas Isoliertes bleibt, daß die Individualität
derselben zwar als etwas Ursprüngliches erfaßt ist, aber dieser Dämon
als festgelegt gilt, so daß die Gestaltung des Lebens zu Kulturen nur in
Neuschöpfungen verläuft, daß die Kontinuität ihren Sinn verliert
und das Zusammengelebt-werden des Heterogenen nicht eine spezifisch historische
Form von Einung und Spannung ist, sondern bloße Maskerade. (Georg
Misch, Brief an Oswald Spengler vom 08.11.1918, in: Oswald Spengler, Briefe,
postum. S. 110 ).»Gemeinsame
mythische Grundlage der Menschen aller Kulturen. .... Das ist der Punkt, in dem
ich gerade als Erdgeschichtsforscher von Ihrer Gesamtanschauung differiere, daß
nicht jede Kultur ihre eigne mythische Zeit und Geisterwelt hat, sondern daß
sie aus einer gemeinsamen schöpfen, wenn auch die Zeit, in der jede daraus
schöpft, natürlich verschieden ist.« [Edgar Dacqué, Brief
an Oswald Spengler vom 14.06.1922] .... (Oswald Spengler, Briefe,
postum, S. 199 ).Spengler,
der Historiker, bleibt lebendig und ein Ferment, trotz der »Fakta«
und Sottisen, die die akademischen Nichtskönner jetzt gegen ihn vorbringen;
aber der journalistische Prophet werde endlich ausgelöscht. (Ernst
Bloch, Spengler als Optimist, 1921).
Ihre Welthistorischen Perspektiven geben ... höchst belehrende
und höchst überraschende Durchblicke durch die Weltgeschichte,
wie man solche bisher noch nicht bekommen hat. .... Sie bieten viel, sehr
viel. Auch decken Sie die die Weltgeschichte beherrschenden Ideen ...
oder wie man jetzt besser sagen kann: die Wahnideen auf, durch welche
die Menschheit sich führen und verführen läßt.
(Hans Vaihinger, Brief an Oswald Spengler vom 29.08.1922, in: Oswald Spengler,
Briefe, postum, S. 210f. ).
Ganze
Gesamtentwicklungen in dieses Schema zu pressen, wie es ... Spengler für
sechs Kulturen versucht hat, ist nicht nur ein gewagter, sondern ein irreführender
Weg. (Eduard Spranger, Die Kulturzyklentheorie und das Problem des Kulturverfalls,
Vortrag 28. Januar 1926, a. a. 0., S. 47).
Wenn die Geschichte der Philosophie nicht so sehr in der Lösung
ihrer Probleme besteht als darin, daß die Bewegung des Geistes jene
Probleme wieder und wieder vergessen macht, um die sie sich kristallisiert,
dann ist Oswald Spengler vergessen worden mit der Geschwindigkeit der
Katastrophe, in die, seiner eigenen Lehre zufolge, die Weltgeschichte
überzugehen im Begriff ist. ..... Die offiziellen Philosophen warfen
ihm Flachheit vor, die offiziellen Einzelwissenschaften Inkompetenz und
Scharlatanerie .... Spengler hat kaum einen Gegner gefunden, der sich
ihm gewachsen gezeigt hätte: das Vergessen wirkt als Ausflucht. ....
- Das ist alles, was die deutsche Wissenschaft und Philosophie aufbrachte
gegen einen Mann, der sie abkanzelte wie der Feldwebel den Einjährig-Freiwilligen.
(Theodor W. Adorno [eigentlich: Wiesengrund], Spengler nach dem Untergang,
1938, a.a.0., S. 51-53).
Was den heutigen Durchschnittsmenschen vorzüglich angeht
und unmittelbar anspricht, ist ... nicht das unscheinbare Entstehen, Wachsen
und Vergehen der irdischen Naturphänomene ..., sondern geschichtliche
Krisen und Revolutionen, Über- und Untergänge. Spenglers Untergang
des Abendlandes war am Ende des Ersten Weltkrieges das bedeutungsvolle
Dokument dieses allgemeinen Zeitgefühls, und die seither erfolgte
Entwicklung der wissenschaftlichen Technik hat dieses epochale geschichtliche
Bewußtsein gesteigert, auch wenn man von Spenglers These nicht mehr
viel wissen will. (Karl Löwith, Gesammelte Abhandlungen
zur geschichtlichen Existenz, 1960, S. 158).
Zwiespältiger blieb für die Erinnerung das literarische
Phänomen Oswald Spengler. Ich bin ihm selber nie begegnet. Die Faszination
seines Untergang des Abendlandes, zumal des ersten Bandes, war
überaus stark; diese Morphologie einer den ganzen Erdball und die
Jahrtausende umkreisenden Deutung der Kulturen hatte, auch im sprachlichen
Vortrag, etwas Bezwingendes. Die abwägende Spezialkritik der historischen
Fachleute kam demgegenüber nicht auf. Das Imponierende an dem Versuch
war ja dies, daß er vor dem Ersten Weltkrieg unternommen war, dessen
Verlauf und Ausgang etwas wie eine Bestätigung der alarmierenden
These zu sein schien. (Die vulgäre Meinung ... hielt diese Termine
... nicht auseinander.) Mir scheint, daß die ursprüngliche
Konzeption des Mannes im zweiten Band die Erhebung der slawischen, zumal
der russischen Geisteswelt in die Führung zeigen sollte. Wie dem
auch sei - Spengler sah sich verführt, im Manipulieren seiner Geschichtskenntnis,
die immer mehr Deutung als Darstellung gewesen, ins Prophezeien hinüberzuwechseln.
(Theodor Heuss, Erinnerungen, postum, S. 354).
Und die Masse des 20. Jahrhunderts braucht Mut! Denn sie hat ...
nichts mehr, nichts, gar nichts. Es ist Spätabend geworden. Selbstverständlich
darf man das nicht sagen: Man spricht in einem Krankenzimmer, seit Dr.
Oswald Spengler die Diagnose gestellt und es verlassen hat, nicht vom
Sterben. Im Gegenteil .... Die ein Zentimeter über dem Horizont hängende
Sonne wird zur aufgehenden Sonne ernannt. (Joachim Fernau, Die
Genies der Deutschen, 1968, S. 15).
Die Kritik an Spengler richtete
sich meist gegen einzelne schwache Stellen des Systems sowie gegen den Mangel
an Argumenten zu dessen vollständigem Beweis. Das Festhalten daran mußte
bei den vielen Lücken der Argumentation als dogmatisch gedeutet werden. Was
kritisch nur vereinzelt gesehen wurde, war die Anthropologie Spenglers, die den
Menschen und seine innere Entfaltung von vomherein in enge Schranken verwiesen
hatte, und dies im Sinne einer biologischen Determination. Zwar wurden Blut und
Rasse als Träger von irrationalen Kräften, von Intuition und schöpferischen
Impulsen angesehen. Die empirische Determination ließ alle diese inneren
Möglichkeiten des Aufschwunges jedoch als endlich und konkret begrenzt postulieren.
Das Unerschöpfliche im Menschen und die Vorstellung von seiner wesensmäßigen
Kraft, sich stets neu zu erschaffen - so wie dies zu jeder nichtdogmatischen Anthropologie
gehört -, wurden dem Geschichtsprozeß des Menschen als Gattung entzogen.
Wenn es neben den ausgestorbenen und aussterbenden Kulturen nicht zufällig
einen neuen Kulturorganismus gäbe, in dem sich menschliche Existenz und Weiterführung
des Kulturprozesses fortsetzten, so müßten dieser Prozeß und
seine geistigen Fundamente ein für allemal abgeschlossen bleiben. Die Geburt
einer späteren Kultur aus einer neuen mystischen Symbolik« oder aus
dem »Chaos urmenschlicher Ausdrucksformen« - und selbst aus dem Chaos
von Resten vergangener Kulturen - brächte nach Spengler ja nur eine beschränkte
Wiederholung des einmal Dagewesenen. (Georgi Schischkoff, Oswald Spengler
und Arnold Joseph Toynbee, in: Spengler-Studien, Hrsg.: Anton Koktanek,
1965, S. 65-66).
Was der Auffassung Spenglers fehlte, war die innere Dynamik unerschöpflicher
Kräfte, die neben aller empirischer Determination nur aus der metaphysischen
Offenheit der Fundamente menschlicher Existenz richtig verstanden werden
kann. Daß neugestellte Aufgaben und herausfordernde Situationen
solche Kräfte in einer nicht nur biologisch verstehbaren Weise intensivieren
konnten, zummal gerade derartige Kräfte im Hintergrund als etwa metaphysisch
gespeist gedeutet werden müßten, zu einem solchen Irrationalismus
scheint Spengler keinen Zugang gefunden zu haben. Die Dialektik von Mensch
und Welt, von Begegnung und Reflexion oder schließlich von Herausforderung
und Antwort, wobei letztere mehr ist als eine empirisch bedingte Reaktion,
gerade diese Dialektik des inneren Aufschwunges fehlt im Denken Spenglers;
oder sie dürfte zumindest mit seiner morphologischen Betrachtungsweise
unvereinbar sein. Das Fehlen einer solchen Dynamik im gesamthistorischen
Prozeß ist freilich nicht auf die von Spengler eingeführten
»Geschichtseinheiten«, die er als Kulturorganismen versteht,
zurückzuführen, sondern lediglich auf deren starre, nach außen
abgeschlossene Gesetzmäßigkeit. Das Bedürfnis nach einer
Auflockerung sowohl des Begriffes von »Geschichtseinheit«
wie auch von deren gesetzmäßigen Entfaltung leitete dann zu
dem neuen Ansatz, auf den Toynbee sein System aufgebaut hat ( ).
(Georgi Schischkoff, Oswald Spengler und Arnold Joseph Toynbee,
in: Spengler-Studien, Hrsg.: Anton Koktanek, 1965, S. 66).
An Spenglers fortdauernder Bedeutung läßt sich kaum
zweifeln. Sie besteht unabhängig von der politischen und philosophischen
Einschätzung seines Werkes. Allein schon der Massenerfolg seines
Hauptwerkes Der Untergang des Abendlandes ist eine intellektuelle
Herausforderung. .... Aber dem publizistischen Rang dieses Titels entsprechen
doch, im ganzen, auch die Spenglerschen Texte. .... Sie sind nicht gedrechselt,
vielmehr schwungvoll, erfüllt von Assoziationslust, perspektivenreich.
Kurz: Sie bereiten Lesevergnügen, und zwar auch dann, wenn der hohe
Prophetenton, den Spengler durchhält, uns inzwischen vor allem zu
Reaktionen der Abwehr veranlaßt. Spengler, der ohne Nietzsche nicht
denkbar ist, sollte uns als der seltene Fall eines deutschen Philosophen,
der die breite Öffentlichkeit erreichte, gegenwärtig bleiben.
(Hermann Lübbe, Vorwort zu: Peter Christian Ludz [Hrsg.], Spengler
heute, 1979, S. VII f.).
In
der bisherigen Menschheitsgeschichte war das Reflexivwerden von falschen und bösen
Bewußtseinslagen immer ein kulturpathologisches Symptom - Ausdruck dessen,
daß herrschende Schichten in ein morbides, zur Verwilderung und Enthemmung
geneigtes Stadium eingetreten waren. Hierüber hat im übrigen Oswald
Spengler .... Aussagen von verblüffender physiognomischer Präzision
gemacht. (Peter Sloterdijk, Krtitik der zynischen Vernunft, 1983,
S. 699-700 ).Die
neuen Immunitätstechniken empfehlen sich als Existentialstrategien für
Gesellschaften aus Einzelnen, bei denen der Lange Marsch ... zum Ziel geführt
hat - zur Grundlinie des von Spengler richtig prophezeiten Endes jeder Kultur:
jenem Zustand, in dem es unmöglich ist, zu entscheiden, ob die Einzelnen
außergewöhnlich fit oder außergewöhnlich dekadent sind.
enseits dieser Linie verlöre die letzte metaphysische Differenz, die von
Nietzsche verteidigte Unterscheidung von Vornehmheit und Gemeinheit, ihre Kontur,
und was am Projekt Mensch hoffnungsvoll und groß erschien, verschwände
wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand. (Peter Sloterdijk, Sphären
II - Globen, 1999, S. 1004-1005 ).Spenglers
zentrale Denkerfahrung liegt in der Beobachtung, daß Formen ein Eigenleben
haben - sein ganzes Genie steckt in diesem Motiv. .... Die Form, die Spengler
vor allem interessiert, ist das, was er eine Kultur nennt. Nun ist Spenglers Formbegriff,
der über Goethes Idee der Urpflanze ( )
bis auf die aristotelische Zoologie zurückgeht, durch und durch organologisch
geprägt, er gehört zu einem lebensphilosophischen ( )
Sprachspiel, in dem das Leben als Substanz betrachtet wird und die Individuen
als Akzidentien. (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen
Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 177 ).Spengler
redet in solchen Zusammenhängen ganz nietzscheanisch, wobei man wissen muß,
daß Nietzsche in seinen besten Augenblicken als Immunologe spricht, wie
ein Kulturarzt, der weiß, daß Kulturen und ihre Träger, die Menschen,
Wesen sind, die mit dem Ungeheuren geimpft werden und eigensinnige Immunreaktionen
entwickeln, aus denen verschiedene kulturelle Temperamente hervorgehen. In diesem
Sinne muß man Spenglers These auffassen, daß es nur acht Hochkulturen
im eigentlichen Wortsinn gegeben habe. Nur in dieser kleinen Zahl von Fällen
haben sich die hochkulturschöpferischen Immunreaktionen vollzogen, von denen
jede einzelne einen unverwechselbaren Charakter besaß. Die acht hohen Kulturen
wären demnach die Abwicklung lokaler Immunreaktionen. (Peter Sloterdijk
/ Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 225-226 ).Man
sollte Spengler progressiv fruchtbar machen und ihn als einen Experten in Primärraumfragen
hören. (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die
Sonne und der Tod, 2001, S. 228 ).Es
gibt keine tiefer angelegte Analyse zu unserem Thema als die von Oswald Spengler
in seinem Hauptwerk über den Untergang des Abendlandes. Der Ton dieser Analyse,
vor allem in dem zentralen und für uns einschlägigen Kapitel über
die Seele der Stadt, ist aber so überspitzt polemisch und ressentimentgeladen,
daß bisher kaum jemand Lust hatte, zu fragen, ob Spengler recht behalten
hat. Dabei hat seine Hauptthese über die »Unfruchtbarkeit des zivilisierten
Menschen« ( )
durchaus die Qualität, unsere aktuellen Erfahrungen mit der Kinderlosigkeit
von Wohlstandsbürgern zu resümieren. Spengler unterstellt dem modernen
Menschen, nicht mehr leben zu wollen. Genauer: Er möchte wohl noch als Einzelner
leben, und zwar möglichst lange, wie Nietzsche das vom »letzten Menschen«
vorausgesagt hat, aber er möchte nicht mehr als Typus leben. Der Gedanke
an das Aussterben seiner Familie schreckt ihn nicht mehr. Auf die Frage »Wozu
Kinder?« findet er keinen Grund und hat deshalb auch keine. (Norbert
Bolz, Die Helden der Familie, 2006, S. 9-10 ).Bekanntlich
hat Spengler den Untergang des Abendlandes analog zum Untergang der Antike konstruiert.
Und gerade im Blick auf die zivilisatorische Unfruchtbarkeit funktioniert dieser
Vergleich zwischen dem römischen Imperium und dem modernen Europa besonders
gut. Beide leben sie in Frieden, sind gut organisiert und hochgebildet. Trotzdem
schwindet die Bevölkerung rasch dahin. Und daran können auch die verzweifelten
staatlichen Maßnahmen nichts ändern, die Kinder besserstellen, unbemittelte
Eltern unterstützen, Adoptionen fördern und Einwanderung erleichtern.
All diese politischen Maßnahmen verpuffen, weil das Problem auf einer anderen
- wie Spengler meint: metaphysischen - Ebene liegt. »Statt der Kinder haben
sie seelische Konflikte, die Ehe ist eine kunstgewerbliche Aufgabe und es kommt
darauf an, sich gegenseitig zu verstehen. Es ist ganz gleichgültig,
ob eine amerikanische Dame für ihre Kinder keinen zureichenden Grund findet,
weil sie keine season versäumen will, eine Pariserin, weil sie fürchtet,
daß ihr Liebhaber davongeht, oder eine Ibsenheldin, weil sie sich
selbst gehört. Sie gehören alle sich selbst und sie sind alle
unfruchtbar.« ( )
(Norbert Bolz, Die Helden der Familie, 2006, S. 10 ).Für
Sloterdijk ist Hochkultur keineswegs bloß, wie Oswald Spengler dozierte,
die Resultierende aus der Begegnung zwischen einer Landschaft und einer Gruppenseele
- oder das Amalgam aus einem Klima und einem Trauma. Sie ist aber auch nicht einfach
»Reichtum an Problemen«, um Egon Friedells ( )
geistvolle Definition von Kultur im Sinn von Bildung zu zitieren. Vielmehr wurzelt
jede Hochkultur in ihrem robusten Eigentum an einem überlieferungsfähig
gemachten Paradoxon. Sie entspringt aus der grausamen Naivität, mit der sich
das basale Paradoxon in seinen frühen Stadien verkörpert. Grausam ist
die Naivität der frühen Hochkulturen in dem Maß, wie sie ihre
Forderung nach der Ermöglichung des Unmöglichen gegen ihre Adepten durchsetzt.
Erst wenn solche harten Ausgangsparadoxien sich zu Problemen entspannt haben,
können sie wie Reichtümer genossen und wie Bildungsgegenstände
gesammelt werden. In ihren frühen Zuständen werden Paradoxien nicht
als Schätze erlebt, sondern als Passionen erlitten. (Peter Sloterdijk,
Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 428 ).
Sprechen wir aus, worin die Basisparadoxie aller Hochkultur
besteht: Sie folgt aus ihrer Orientierung an hyperbolischen oder akrobatischen
Exzessen, die stets unter der Annahme betrachtet werden, sie seien zur Nachahmung
und Normalisierung geeignet. Indem die Hochkulturen Ausnahmeleistungen zu Konventionen
erheben, erzeugen sie eine pathogene Spannung, eine Art von chronischer Höhenkrankheit,
auf welche die hinreichend intelligenten Teilnehmer an dem paradoxen Spiel nur
noch durch dieAusbildung eines internen Ausweich- und Simulationsraums, mithin
einer »Seele«, eines ba, einer psyché, eines
atman, allgemeiner gesprochen einer dauerreflexiv irritierten Innenwelt
antworten können. (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern,
2009, S. 428-429 ).
Die Seele emergiert als die Instanz, in der das Unmögliche
wie eine ständig zu bedenkende Möglichkeit vergegenwärtigt werden
muß. »Seele« im Sinne eines innenweltlichen oder mikrokosmischen
Organs zur Verdoppelung des Seienden im ganzen ist keineswegs eine überzeitliche
Instanz, in der sich das Für-sich-Sein der Menschen aller Zeiten und Völker
manifestiert hätte. Sie entsteht erst als das Symptom einer Überreizung
durch ein unausweichliches Paradoxon - durch eine Forderung, die sich weder erfüllen
noch ignorieren läßt. Das »menschliche Innere« hört
dann auf, nur der Transitraum von »aufwallenden« Affekten zu sein,
wie man es etwa in der homerischen Ansicht vom thymós noch deutlich
erkennt; auch ist es nicht mehr nur die Rezeption für die Besuche von Dämonen,
Träumen und »Ideen«. Es gleicht eher einer chronischen Entzündung
der Selbstwahrnehmung, provoziert durch die Zumutung, daß sich das Begehren
der Einzelnen an unmöglich nachzuahmenden Beispielen ausrichten soll. Die
paradoxe Entzündung und das stabilisierte Für-sich sind gleichaltrige
Größen. Umgekehrt wird die hochkulturelle Ethik nur dadurch attraktiv,
daß sie es lernt, mit den höchsten Faszinationen, dem physisch und
moralisch Wunderbaren, für sich zu werben. Das Wunderbare ist das Lächeln
des Unmöglichen. (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern,
2009, S. 429 ).
Allein durch die Verwandlung des Unglaublichen ins Vorbildliche
kann das Arbeitsklima der Hochkultur sich stabilisieren: Wenn sie zu den Ihren
spricht, dann nie ohne den Hinweis auf die Vollendeten zu vergessen, die gerade
dadurch, daß sie Nicht-Nachnahmbares geleistet haben, zur Nachahmung empfehlbar
werden. Sobald das akro bainein, das blickebannende Wandern auf dem Seil
über dem Abgrund, vom physischen aufs moralische Feld überspringt, ist
das Paradoxon im Spiel: Die Vertikalspannungen der überschwenglichsten Art
entstehen durch die Erhebung des Unnachahmlichen in den Rang des Exemplarischen.
(Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 429-430
).Auf
Aron Zalkind, 1889-1936, ... der ... die Ansätze von Freud und Pavlov zu
synthetisieren versuchte (um das Feld der Erziehung für die damals viel benutzte
Theorie der »bedingten Reflexe« zu reklamieren und die Kulturtheorie
als Anwendungsgebiet der höheren Reflexologie zu annektieren) ..., beruhte
die »Kunst« der sowjetisch-sozialistischen Prognostik ( ).
Sie bildet das real-utopische Gegenstück zu Oswald Spenglers nicht weniger
prätentiösem Versuch, die Erzählbarkeit der Zukunft durch Einsicht
in die Ablaufgesetze der »Kulturen« auf wissenschaftliche Grundlage
zu stellen. (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern,
2009, S. 632 ).
Das letzte Wort soll hier aber der Kritisierte selbst haben:
Geschichte
wissenschaftlich behandeln wollen ist im letzten Grunde immer etwas Widerspruchsvolles.
Die echte Wissenschaft reicht so weit, als die Begriffe richtig und falsch Geltung
haben. Das gilt von der Mathematik, das gilt also auch von der historischen Vorwissenschaft
der Sammlung, Ordnung und Sichtung des Stoffes. Der eigentlich geschichtliche
Blick aber, der von hier erst ausgeht, gehört ins Reich der Bedeutungen,
wo nicht richtig und falsch, sondern flach und tief die maßgebenden Worte
sind. Der echte Physiker ist nicht tief, sondern scharfsinnig. Erst
wenn er das Gebiet der Arbeitshypothesen verläßt und an die letzten
Dinge streift, kann er tief sein - dann aber ist er auch schon Metaphysiker geworden.
Natur soll man wissenschaftlich behandeln, über Geschichte soll man dichten.
Der alte Leopold von Ranke ( )
soll einmal gesagt haben, daß der »Quentin Durward« von Scott
doch eigentlich die wahre Geschichtsschreibung darstelle. So ist es auch; ein
gutes Geschichtswerk hat seinen Vorzug darin, daß der Leser sein eigner
Walter Scott zu sein vermag. ( ).
... (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918; S. 129
).
Sechstausend Jahre höherer Menschengeschichte liegen vor uns.
Aus der Masse, die sich über den ganzen Planeten verbreitet hat, sondert
sich, Geschichte im tieferen Sinne, das Schauspiel und Schicksal der großen
Kulturen ab. ( ).
Sie liegen vor dem Auge des Betrachters als Formenwelten von gleichartigem Bau,
mächtiges Seelentum, das sichtbare Gestalt gewinnt, innerstes Geheimnis,
das sich in lebendig fortschreitender Wirklichkeit ausdrückt. Ein unveränderliches
Ethos wirkt in ihnen. Es prägt nicht nur je eine ganz bestimmte Art von Glauben,
Denken, Fühlen, Tun, von Staat, Kunst und Lebensordnung, sondern auch einen
antiken, indischen, chinesischen, abendländischen Typus »Mensch«
von vollkommen eigener Haltung des Leibes und der Seele, einheitlich in Instinkt
und Bewußtsein, Rasse in geistigem Sinne, aus. (Oswald Spengler, Preußentum
und Sozialismus, 1919, in: Politische Schriften, S. 22
).Was
man heute Nationalismus nennt, ist nichts als das Bewußtsein der führenden
Schichten aller Völker für die ungeheuren Gefahren der Weltlage, seit
der Krieg alle Verhältnisse aufgelockert hat. .... Die verantwortlichen Kreise
aller Völker sind auf dem Posten - nur die Narren, Feiglinge und Verbrecher,
die bei uns an deren Stelle stehen, glauben oder geben vor zu glauben, daß
der Verzicht auf Weltpolitik vor ihren Folgen schütze. (Oswald Spengler,
Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S.
191 ).Man
war - und ist - zu flach und feige, die Tatsache der Vergänglichkeit alles
Lebendigen zu ertragen, man wickelt sie in einen rosaroten Fortschrittsoptimismus,
an den im Grunde selbst niemand glaubt, man deckt sich mit Literatur zu, man verkriecht
sich hinter Idealen, um nichts zu sehen. Aber Vergänglichkeit, Entstehen
und Vergehen, ist die Form alles Wirklichen, von den Sternen an, deren Schicksal
für uns unberechenbar ist, bis herab zu dem flüchtigen Gewimmel auf
diesen Planeten. Das Leben des einzelnen - ob Tier, Pflanze oder Mensch - ist
ebenso vergänglich wie das von Völkern und Kulturen. Jede Schöpfung
unterliegt dem Verfall, jeder Gedanke, jede Erfindung, jede Tat dem Vergessenwerden.
(Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, 1931, S. 11 ).
 An
und für sich ist es belanglos, welches Schicksal unter den Scharen »ewiger«
Sterne dieser kleine Planet hat, der irgendwo im unendlichen Raume für kurze
Zeit seine Bahnen zieht; noch belangloser, was auf seiner Oberfläche für
ein paar Augenblicke sich bewegt. Aber jeder einzelne von uns, an und für
sich ein Nichts, ist für einen unerkennbar kurzen Augenblick, eine Lebensdauer,
in dieses Gewimmel hineingeworfen. Und deshalb ist sie für uns über
alle Maßen wichtig, diese Welt im Kleinen, diese »Weltgeschichte«.
Und darüber hinaus ist es das Schicksal jedes einzelnen, daß er durch
seine Geburt nicht nur in diese Weltgeschichte überhaupt versetzt ist, sondern
in ein bestimmtes Jahrhundert, ein bestimmtes Land, ein bestimmtes Volkstum, eine
bestimmte Religion, einen bestimmten Stand. .... Diesem Schicksal ( )
- oder Zufall ( )
- hat man sich zu fügen. (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik,
1931, S. 12-13 ).
 Es
gibt keinen »Menschen an sich«, sondern nur Menschen zu einer Zeit,
an einem Ort, von einer Rasse, einer persönlichen Art, die sich im Kampfe
mit einer gegebenen Welt durchsetzt oder unterliegt, während das Weltall
göttlich unbekümmert ringsum verweilt. Dieser Kampf ist das Leben, und
zwar im Sinne Nietzsches ( )
als ein Kampf aus dem Willen zur Macht, grausam, unerbittlich, ein Kampf ohne
Gnade. (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, 1931,
S. 13 ).
 Denn
der Mensch ist ein Raubtier. Feine Denker wie Montaigne ( )
und Nietzsche ( )
haben das immer gewußt. Die Lebensweisheit in alten Märchen und Sprichwörtern
aller Bauern- und Nomadenvölker, die lächelnde Einsicht großer
Menschenkenner - Staatsmänner, Feldherren, Kaufleute, Richter - auf der Höhe
eines reichen Lebens, die Verzweiflung gescheiterter Weltverbesserer und das Schelten
erzürnter Priester waren weit davon entfernt, das zu verschweigen oder leugnen
zu wollen. (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, 1931, S.
14 ).
 Der
Mensch ist ein Raubtier. Ich werde es immer wieder sagen. All die Tugendbolde
und Sozialethiker, die darüber hinaus sein oder gelangen wollen, sind nur
Raubtiere mit ausgebrochenen Zähnen ... Seht sie doch an: sie sind
zu schwach, um ein Buch über Kriege zu lesen, aber sie laufen auf der Straße
zusammen, wenn ein Unglück geschehen ist, um ihre Nerven an dem Blut und
Geschrei zu erregen, und wenn sie auch das nicht mehr wagen können, dann
genießen sie es im Film und in den illustrierten Blättern. ( ).
Wenn ich den Menschen ein Raubtier nenne, wen habe ich damit beleidigt, den Menschen
- oder das Tier? (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933,
S. 14 ).
 Sie
schreien: Nie wieder Krieg! - aber sie wollen den Klassenkampf. Sie sind entrüstet,
wenn ein Lustmörder hingerichtet wird, aber sie genießen es heimlich,
wenn sie den Mord an einem politischen Gegner erfahren. Was haben sie gegen die
Schlächtereien der Bolschewisten einzuwenden gehabt? (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung, 1933, S. 14 ).Als
letzte Art des Verstehens der Dinge wie sie sind, erscheint die Skepsis ( ),
der gründliche Zweifel am Sinn und Wert des theoretischen Nachdenkens, an
dessen Fähigkeit kritisch und begrifflich irgend etwas zu erschließen
und praktisch irgend etwas zu leisten: die Skepsis in Form der großen historischen
und physiognomischen Erfahrung, des unbestechlichen Blickes für Tatsachen,
der wirklichen Menschenkenntnis, die lehrt, wie der Mensch war und ist und nicht
wie er sein sollte, des echten Geschichtsdenkens, das unter anderem lehrt, wie
oft solche Zeitalter der allmächtigen Kritik schon da waren und wie erfolglos
sie vergangen sind; die Ehrfurcht vor den Tatsachen des Weltgeschehens, die innerlich
Geheimnisse sind und bleiben, die wir nur beschreiben und nicht erklären
können und die praktisch nur durch Menschen von starker Rasse, die selbst
historische Tatsachen sind, gemeistert werden können und nicht durch sentimentale
Programme und Systeme. Dieses harte historische Wissen um die Tatsachen, wie es
in diesem Jahrhundert beginnt, ist den weichen, unbeherrschten Naturen unerträglich.
Sie hassen den, der sie feststellt, und nennen ihn einen Pessimisten. Nun gut,
aber dieser starke Pessimismus, zu dem die Menschenverachtung aller großen
Tatmenschen gehört, die Menschenkenner sind ( ),
ist etwas ganz anderes als der feige der kleinen müden Seelen, welche das
Leben fürchten und den Blick auf die Wirklichkeit nicht ertragen. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 9-10 ).

Anmerkungen: Egon Friedell
(21.01.1878 - 16.03.1938), Kulturgeschichte Griechenlands (S. 94), München,
1936. 
Ivar
Lissner (23.04.1909 - 28.02.1967), Die Rätsel der großen Kulturen
(S. 9, 11, 36, 349-352), Freiburg i.B., 1961.  Am
Schluß seines Buches schreibt Lissner (S. 352 ):
Paulus erhoffte eine ganz andere Welt. Er sah im Jahre 58 n. Chr. die Beurteilung
des Menschen nach materieller, nach fleischlicher Weise als beendet an. Er hielt
den Sieg der geistigen Seite des Menschen von nun an für gesichert. Von Macedonien
aus schrieb er in dem persönlichsten Brief, den er verfaßte, an die
Korinther: »Siehe, es ist alles neu geworden.«  Philip
Bagby, Culture and History. Prolegomena to the Comparative Study of Civilizations,
1958Urphänomen ist nach Goethe (1749-1832
)
das empirische Phänomen, das jeder Mensch in der Natur erkennen kann und
das durch Versuche zum wissenschaftlichen Phänomen erhoben wird, indem man
es unter anderen Umständen und Bedingungen und in einer mehr oder weniger
glücklichen Folge darstellt, so daß zuletzt das reine Phänomen
als Resultat aller Erfahrungen und Versuche dasteht. Es ist ideal als das letzte
Erkennbare, real als erkannt, symbolisch identisch mit allen Fällen, weil
es alle Fälle begreift. Zum Beispiel: Urpflanze
ist ein Begriff aus der Naturbetrachtung Goethes für das Urbild (Idee, begriffliche
Urgestalt), nach dem alle anderen Pflanzenarten durch Abwandlungen entstanden
sein sollen. Goethe suchte die Urpflanze in der Natur als eine noch unbekannte
Art, oder auch etwa in der Grundgestalt eines Blattes oder eines Stammes zu finden,
während Schiller (1759-1805 )
in einem Gespräch mit ihm darüber auf den platonischen Ideencharakter
der Urpflanze hinwies. - In der Idee der
Goethischen Urpflanze verbirgt sich die totale Idee des Lebendigen ( )
überhaupt. .... Im Werden gibt es nichts anderes als Bildungen, die Umbildungen
sind, als Umwertungen, die Wendungen - Wenden! sind. Diese aber setzen immer die
nächst höhere Metamorphose, als Aufwandlung, Höherwandlung, Neuwandlung
der sich stufenweise aufschließenden Ur-Idee der natürlichen, geschichtlichen
und menschlichen Ganzheit voraus. Im Ganzen sehen, davon sogleich ausgehen, das
verlangt Goethe entschieden. Und anders auch läßt sich die Totalität
des Lebendigen, als totaler Geist, gar nicht behandeln. Es ist eben die Ganzheitssprache
Goethes, in der auch wir uns zu verständigen suchen und dies müssen.
.... Weil aber nicht der Stoff, sondern der Geist ideehaft bewegt, die Idee der
Gestalt also im Geist, dem Inneren, und nicht im Stoff, dem Äußeren,
liegt, so ist das Urphänomen nichts anderes, zwar auch nichts Geringeres:
als das » g e i s t i g e
B i l d u n g s g e s e t z «
überhaupt. Durch seine Gleichheit in Teil und Ganzem, und durch seine einheitliche,
immer gleich bleibende und verlaufende Bildungsweise in allem Gestaltlichen, ruft
dieses Urgesetz zuletzt die Harmonie alles Lebendigen hervor, eben weil es, schöpfungsgeschichtlich
betrachtet, diese Harmonie selber ist. Aus diesem Grunde sagt Goethe nur zu sehr
mit Recht: »Was man Idee nennt: Das, was immer zur Erscheinung kommt, und
daher als Gesetz aller Erscheinungen uns entgegentritt.« . .... »Die
Lehre der Metamorphose«, sagt darum Goethe, »ist der Schlüssel
zu allen Zeichen der Natur.« Aber Metamorphose bedeutet Verwandlung und
Wandlung des Ganzen, bedeutet Weiterwandlung, als unendliche Bildung und Umbildung
einer Gestalt, sowie im Augenblick auch aller Gestalten. Rotation des Ganzen ist
schon der Wandel des Ganzen, und so denn auch aller Teile des Ganzen. Die Idee
der Metamorphose gehört dem Ganzen ausschließlich an. Der Teil bildet
sich, weil sich das Ganze wandelt. Das Ganze aber ist nicht abzugrenzen, »es
geht nicht unter!« (Kritik an Spengler),
kennt keinen Anfang, so wenig wie es ein Ende kennt. Was aber für das Ganze
gilt, gilt um so entschiedener für den Teil, der erst durch das Ganze ist.
... Die Kultur ist kein Urphänomen! (Kritik an Spengler).
Und sie kann kein Urphänomen, keine Urerscheinung sein, weil sie ja bereits
äußerlich Erschienenes ist, und daher durch das innere, geistige Gesetz,
durch das Urphänomen, erst geworden ist. Weshalb auch der Blick über
die »gewordene« Kulturgeschichte nicht auf das geschichtlich Werdende
führt, welches durch das ewig sich wandelnde, bildende und zugleich wieder
umbildende Urphänomen nur in Wenden, als Neuwandlungen, erkannt sein will
und zu erkennen ist. .... Was Goethe entdeckte, was ihn sein ganzes Leben so vorzüglich
beschäftigt hat, war das Schöpfungsgesetz selber. Deshalb auch sah Goethe
seinen Einblick ins Werden so tief innerlich liegen, das Urphänomen so unerreichbar
erhaben wirken, und doch so sichtbar wandeln. Und diese, seine Grenzschau drückt
er in seiner Erklärung an Eckermann aufs vollkommenste aus: »Das Höchste,
wozu der Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen, und wenn ihn das Urphänomen
in Erstaunen setzt, so sei er zufrieden; ein Höheres kann es ihm nicht gewähren,
und ein Weiteres soll er nicht dahinter suchen: hier ist die Grenze.« ....
Die Spiral- und Vertikaltendenz ist schon das Urphänomen, das Schöpfungsgesetz.
Auf diesem Gesetz beruht, wenn wir mit Goethe von »innen« an die Kulturerscheinung
treten, jede dieser Gestalten, ihr ganzer Wandel, ihr Vortreten und Zurücktreten,
ihr Wenden und sich Erneuern. So wenigstens sah Goethe die Idee seiner Metamorphose
im lebendigen Ganzen Gestalt gewinnen, und die Harmonie des Weltganzen überall
hervortreten. Denn auch Wenden, Umwertungen in Natur und Geschichte ... sind dennoch
vor dem Wandel des Ganzen keine Einbrüche, Wachstumsstörungen, Zerstörungen,
Erstarrungen, keine »Untergänge!« (Kritik
an Spengler), nichts Unharmonisches: sie sind im Gegenteil ... nur schöpferische
Durchgänge des Ganzen, Wendegänge, Umwertungsgänge, Weitergänge
zu neuen Schöpfungsabbildern im inneren Wandel des Schöpfungsgesetzes.
(Wilhelm Düren im Gespräch mit Oswald Spengler, Dezember 1928; vgl.
Wilhelm Düren, Meine Unterredung mit Oswald Spengler. Die Germanisch-Abendländische
Idee, 1940, S. 6, 9-10, 25-26, 30-31, 34, 35-36, 38-39 ).
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832 )
könnte vielleicht sogar der eigentliche Begründer der abendländischen
Lebensphilosophie ( )
gewesen sein, doch war er in seiner Vielfältigkeit und in seinem Universalgelehrtentum
mehr Genie und Künstler als Philosoph. Spengler meinte, Goethe sei in
seiner ganzen Denkweise, ohne es zu wissen, ein Schüler von Leibniz gewesen.
( ).
Leibniz (1646-1716 )
war als barock-absolutistischer Denkmonarch ein Philosophen-Sonnenkönig
oder Philosophen-Sonnenkaiser - als ein solcher Einzelgänger
war er selbst vielleicht die von ihm entwickelte göttliche Ur-Monade,
jedenfalls ein Universalgenie.  Das
i n t u i t i v e Denken tritt
gegen das d i s k u r s i v e
Denken an. (Wormser Echo, 1940).  Eduard
Meyer (25.01.1855 - 31.08.1930 )
ist in Spenglers Werk (im Anhang Register II, S. 1246-1249) unter den benutzten
oder empfohlenen Autoren am weitaus häufigsten erwähnt.
Leopold von Ranke (21.12.1795 - 23.05.1886 )
begründete auch, warum der Historiker alt werden muß: weil
man große Veränderungen nur verstehen kann, wenn man persönlich
welche erlebt hat. Er mußte es wissen, denn er wurde sehr alt. Ranke
starb 6 Tage vor Spenglers 6. Geburtstag. Später lobte Spengler Ranke
als einen Meister der kunstvollen Analogie. (Oswald Spengler,
Der Untergang des Abendlandes, 1918; S. 5  ).
Und: Der bedeutendste Historiker seit Ranke, Eduard Meyer ( ),
sagt: »Historisch ist, was wirksam ist oder gewesen ist .... Erst
durch die historische Betrachtung wird der Einzelvorgang, den sie aus
der unendlichen Masse gleichzeitiger Vorgänge heraushebt, zu einem
historischen Ereignis«. Das ist ganz im Geschmack und Geiste Hegels
( )
gesagt. Es kommt erstens auf die Tatsachen an und nicht auf unser zufälliges
Wissen davon. (Spengler, ebd., S. 611  ).
An anderer Stelle heißt es bei Spengler: Hegel hatte in aller
Naivität erklärt, daß er die Völker, die in sein
System der Geschichte nicht paßten, ignorieren werde. Aber das war
nur ein ehrliches Eingeständnis von methodischen Voraussetzungen,
ohne die kein Historiker zum Ziele kam. Man kann die Disposition sämtlicher
Geschichtswerke daraufhin prüfen. Es ist heute in der Tat eine Frage
des wissenschaftlichen Taktes, welche der historischen Entwicklungen man
ernsthaft mitzählt und welche nicht. Ranke ist ein gutes Beispiel
dafür. ( ).
(Spengler, ebd., S. 30  ).
Und 2005 schrieb Peter Scholl-Latour: Leopold
von Ranke hatte geschrieben, daß »der Historiker - oder sagen
wir, der Chronist - alt werden muß, da man große Veränderungen
nur verstehen kann, wenn man persönlich welche erlebt hat«.
Heute würde ich die Notwendigkeit hinzufügen, eine intime Kenntnis
fremder Kulturen erworben zu haben. (Peter Scholl-Latour, Koloß
auf tönernen Füßen, 2005, S. 34 ).
Kinderfeindlichkeit
und Kinderlosigkeit: Vgl. auch Unfruchtbarkeit und Zerfall ( ),
Problem der Weißen Völker ( ),
sowie Konsumterror und Kinderfeindlichkeit ( )
und Schwund der Bevölkerung ( ).
Der Bevölkerungsrückgang wird durch die heutige Politik der Zuwanderung
noch verstärkt! Unsere heutigen Politiker betreiben mit ihrer völlig
wahnsinnigen Bevölkerungspolitik ( )
keine Politik der Ein- oder Zuwanderung, wie sie immer noch glauben, sondern eine
Politik der Aus- und Abwanderung. Hierzu gehört selbstredend auch ihre Politik
der Aus- und Abtreibung. ( ).
Vgl. hierzu die richtigen Vorhersagen von Oswald Spengler, Unfruchtbarkeit
und Zerfall ( ),
in: Der Untergang des Abendlandes ( ),
1918-1922, S. 678-687. Unter anderem heißt es hier: Der letzte Mensch
der Weltstädte will nicht mehr leben, wohl als einzelner, aber nicht als
Typus, als Menge; in diesem Gesamtwesen erlischt die Furcht vor dem Tode. Das,
was den echten Bauern mit einer tiefen und unerklärlichen Angst befällt,
der Gedanke an das Aussterben der Familie und des Namens, hat seinen Sinn verloren.
... Kinderreichtum ... wird etwas Provinziales. Der kinderreiche Vater ist in
Großstädten eine Karikatur .... (Oswald Spengler, ebd.,
S. 679 und 681).  Manfred
Schröter (29.11.1880 - 24.12.1973). Schröters Forschungsgebiete: Wissenschaftsgeschichte,
Philosophie der Technik, Deutscher Idealismus ( ),
Romantik, Spengler-Interpretationen. Schröter ist die Entdeckung, Bergung
und kommentierte Herausgabe der Weltalter-Urfassungen von Friedrich
Wilhelm Schelling (1775-1854 )
als des wichtigsten Fundes der Schelling-Forschung zu verdanken. Vgl. Schröters
Werke 
Karl Heim (20.01.1874 - 30.01.1958), evangelischer
Theologe, beschäftigte sich besonders mit der systematischen Theologie.
Heim versuchte in seiner Theologie, das Erbe des Pietismus mit dem neuzeitlich-modernen
naturwissenschaftlichen Denken zu verbinden. Eines seiner Werke heißt
z.B. Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätslehre
(in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, XXIX), in
dem u.a. auch der Versuch gemacht wird, Spenglers Untergang des
Abendlandes und Einsteins Relativitätstheorie insofern
zu vergleichen und zu deuten, als daß die Theologie als Sieger
(lachender Dritter?) hervortreten kann. Vgl. Heims Werke: 
Es
ist ein ungeheures Verdienst Hegels, dem Gedanken vom Ende der Kunst ohne Scheu
ins Auge gesehen und ihn ohne Pessimismus ausgesprochen zu haben. Die Kunst löst
sich nicht in Nichts auf. Der lange Weg ins Innere, den die ästhetishe Entwicklung
seit den Griechen zurückgelegt hat, endet bei einern tieferen Begriff des
Menschen. Die klassische Skulptur stellte das Bild des Menschen auf. Die gotische
Kunst entwickelt in unruhigen, dem unendlichen Gehalt nie völlig angemessenen
Produkten die Seele, die endlich frei für sich, als der zum unendlichen historischen
Selbstbewußtsein erwachte Mensch hervortritt.« (Alfred Baeumler,
Hegels Ästhetik unter einheitlichem Gesichtspunkte ausgewählt und
eingeleitet, 1922, S. 33 ).
Zu dieser Textstelle von Alfred Baeumnler vgl. auch Manfred Schröter,
Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker, 1922, S. 148 ( ).Weiter
heißt es bei Anton Koktanek ( ):
Zivilisation ist für Spengler »das unausweichliche Schicksal
einer Kultur« ( ).
»Das Wesen aller Kultur ist Religion; folglich ist das Wesen aller Zivilisation
Irreligion« ( ).
Allein im Fortschreiten, nachdem sie das Gesamtfefüge des Lebens vergebens
auf die wechselnden und einander aufhebenden Strömungen der Philosophie und
Wissenschaft hat begründen wollen und bei wachsender zentrifugaler Dynamik
die feste Orientierung durch ein allgemeingültiges gesellschaftssymbolisches
Wertsystem entbehren muß, kehrt jegliche Zivilisation zur »zweiten
Religiosität« ( )
zurück. Spengler sieht diese Erscheinung fast abwertend an, nimmt in ihr
nicht die große, im Wesen des Menschen begründete Chance der Religion
wahr. Toynbee (ein Spenglerianer! )
lehrt uns, im Stadium dieser zweiten, gelegentlich messianisch getönten Religiosität
die Chrysalis erkennen, die Puppe, in welche der Ertrag des sich vollendenden
Kultursystems eingeht, um im kommenden Aeon den Falter der morgendlich verjüngten
Gläubigkeit aus sich zu entlassen. Spenglers in akzentuierten Epochen sich
ausdrückendes Geschichtsdenken, das die Geschlossenheit der Kultur, die Aufgänge
und Untergänge betont, muß in einer sorgasamen Analyse der Übergänge
»aufgehoben« werden. (Anton M. Koktanek, Oswald Spengler
in unserer Zeit, 1972; als Nachwort zur ersten Taschenbuchausgabe in: Oswald
Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 1268 ).
 
Max Bense (1910-1990), Raum und Ich. Eine Philosophie
über den Raum, 1934, S. 61 ( ).
Vgl auch: Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 13 ( )
und S. 268 ( ).
Der Raum ist das Ursprüngliche. Je ursprünglicher der Mensch,
desto tiefer das Raumgefühl. (Max Bense, Aufstand des Geistes.
Eine Verteidigung der Erkenntnis, 1935, S. 107 ).
Vgl auch: Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 40 ( ).
Wir erkennen ... wir erkennen wirklich! Das muß wieder bewußt
und gefühlt werden. Und der Geist, der diese Erkenntnis trägt und entwickelt,
muß verteidigt werden gegen Ungeist und Unleben. (Max Bense, Aufstand
des Geistes. Eine Verteidigung der Erkenntnis, 1935, S. 122 ).
Vgl auch: Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 48 ( ).
Die interessanteste Aufnahme und Zuspitzung von Spenglers raumphilosophischen
Intuitionen findet sich in Max Benses frühem Werk: Raum und Ich. Eine
Philosophie über den Raum, Berlin 1934 ( ).
(Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 268 ).
Spenglers Einsichten
wurden vorbereitet durch die Raumerlebnis-Typologie von Leo Frobenius
( ),
der zwischen Kulturen des Weitegefühls und des Welthöhlengefühls
unterschieden hatte. Vgl. Paideuma. Umrisse einer Kultur- und Seelenlehre,
München 1920 ( );
sowie Hans-Jürgen Heinrichs, Die fremde Welt, das bin ich. Leo
Frobenius: Ethnologe, Forschungsreisender, Abenteurer, Wuppertal 1998
( ).
Die interessanteste Aufnahme und Zuspitzung von Spenglers raumphilosophischen
Intuitionen findet sich in Max Benses ( )
frühem Werk: Raum und Ich. Eine Philosophie über den Raum,
Berlin 1934 ( ).
(Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 268 ).

Nun
muß ich aber aus meiner Perspektive sagen, daß Erde und Wasser für
die Sphärologie, wie ich sie verstehe, zwar viel Anregungen bergen, weil
Elemententheorie ( )
immer anregend ist für das Verständnis partizipativer Verhältnisse.
Dennoch läßt sich an den beiden schweren Elementen Erde und Wasser
das Entscheidende nicht darstellen. Nach meinem Dafürhalten besteht die größte
Affinität des Sphärischen zu dem leichten Element. Konsequenterweise
wird der 3. Band von Sphären vor allem Luftphänomenologie betreiben
und von Atmotechnik handeln - daher der Titel Schäume. .... In der
Hauptsache werde ich künftig Luft-Medien-Theorie betreiben, physikalisch
und metaphorisch, denn Luft ist ein Medium für lockere Koppelungen zwischen
kommuniziernden Einheiten. Als Träger von Schall sichert sie die Erreichbarkeit
von Ohren für Stimmen, das heißt den sonoren Verkehr unter Nahbereichsadressen.
(Peter Sloterdijk, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 345f. & 346f. ).
 Peter
Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 223 bzw. ders., Sphären
II - Globen, 1999, S. 984 ( ).
Und mit spezieller Bezugnahme auf heute heißt es: Die Zumutungen ...
offenbaren sich nicht so sehr darin, daß Menschen überall zugeben sollen,
auch die Menschen von anderswo seien ihresgleichen (obschon die Zahl derer, die
das offen oder verhohlen leugnen, beträchtlich bleibt), sondern darin, daß
sie den steigenden Kooperationsdruck aushalten müssen, der sie angesichts
gemeinsamer Risiken und nationenübergreifender Bedrohungen zu einer selbstnötigenden
Kommune zusammendrängt. Die Ergebnisse der Analyse von Nationalstaaten -
wonach diese nur durch selbststressierende Dauerkommunikation in Form gehalten
werden - bewahrheiten sich in zunehmendem Maß auch für die noch unzulänglich
aggregierte planetarische »Staatengemeinschaft«. Autogener Streß
ist die Basis aller Konsensus- und Kooperationsmechanismen in Großformat.
(Ebd., 2005, S. 223 ).
Bleibt anzumerken, daß die planetraische »Staatengemeinschaft«
fast ausnahmslos Zukunftsmusik ist. ( ).
Denken in universalen Werten gibt Innenhalt .... Daher ist der abstrakte
Universalismus nicht nur der tückische Unfung, den die Pragmatiker, die Nietzscheaner
und alle möglichen Kategorien von Realisten in ihm sehen wollem (Carl Schmitt:
Wer Menschheit sagt, will betrügen); er ist auch die semantische Spiegelung
des Großwerdens der Welt in der Zeit des entstehenden Weltsystems. Universalismus
ist ein Stadium der Reife. (Ebd., 2005, S. 414 ).
Zur Menschheit soll hier nicht unerwähnt
bleiben, weil sie ja die Menschen als Einheit beihalten soll, daß
er sich m.E. nur auf Evolution oder Metaphysik beziehen kann, daß demzufolge
die historische Menschheit nur als ein oberflächlicher Teil der
evolutionären Menschwerdung und im Sinne ihrer metaphysischen Struktur
(vgl. Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur )
- vielleicht in der Tiefe als Logik der Geschichte? ( )
- verstanden werden kann. Man könnte auch sagen: Die Geschichte der
Menschheit verläuft auf mindestens zwei Bahnen. Peter
Sloterdijk warnt: Die naive Annahme einer potentiellen Offenheit aller für
alle wird von den Globalisierungstatsachen ad absurdum geführt. Im
Gegenteil, die unvermeidliche Endlichkeit des Interesses von Menschen für
Menschen wird im Gang der Weltvernetzung immer offenkundiger - es verändert
sich nur der moralische Akzent, und zwar in Richtung auf die Forderung nach zunehmender
Belastbarkeit trotz steigender Entnervung. Man sollte nicht überrascht sein,
wenn sich zeigt, wie mit fortschreitender Weltvernetzung die Symptome der Misanthropie
anwachsen. Wenn Menschenfurcht eine naturwüchsige Antwort auf unwillkommene
Nachbarschaft bedeutet, läßt sich angesichts der erzwungenen Fernnachbarschaften
der meisten mit den meisten eine misanthropische Epidemie ohne Beispiel vorhersehen.
Das wird nur jene in Erstaunen setzen, die vergessen haben, daß die Ausdrücke
»Nachbar« und »Feind« herkömmlich nahezu Synonyme
waren. (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S.
219-220). In
einem »Gutachten« über die »psychosoziale« Zukunft
des »sozialistischen« Menschen stellte Zalkind die Prognose, dieser
werde sich durch die revolutionäre Behandlung in ein immer stabileres, immer
leistungsfähigeres, immer mehr von Lebensfreude durchpulstes, von Grund auf
soziophiles Wesen verwandeln; er werde eine Art von holistischem Immunsystem entwickeln,
in dem die Selbsterhaltung zu einer Funktion der Gemeinschaftserhaltung werde
- anders als in der westlichen Gesellschaft, in der die individualistische Zersetzung
unaufhaltsam voranschreite. Für Zalkinds opportunistisch-optimistische Argumentation
ist die Verwischung der Grenze zwischen Didaktik, Therapie und Politik charakteristisch:
Sie konzipiert den kommunistischen Menschen als grenzenlos plastischen Patienten
der Veränderung, der immer nur gewinnen kann, wenn er sich grenzenlos operieren
läßt. Was Zalkind verschweigt, sind die Methoden der kommunistischen
Anästesie. Lenin wußte: Der Staatsterror bildet das funktionale Äquivalent
der Vollnarkose bei schweren Operationen an großen Kollektiven. (Peter
Sloterdijk, Anthropotechnik, in: Ders., Du mußt dein Leben ändern,
2009, S. 623-633).In Spenglers Werk
ist das Thema Zahlen, also auch der Unterschied zwischen den mathematischen
und chronologischen Zahlen, stets präsent, (vgl. Untergang des Abendlandes,
vor allem das 1. Kapitel: Vom Sinn der Zahlen, S. 71-124 ).
Vom Sinn der Zahlen z.B. beinhaltet: Grundbegriffe (S.
71-76), Die Zahl als Zeichen (S. 76-79), Jede Kultur hat eine
eigene Mathematik (S. 79-84), Die antike Zahl als Größe
(S. 84-92), Weltbild des Aristarch (S. 92-96), Diophant und
die arabische Zahl (S. 96-100), Die abendländische Zahl als Funktion
(S. 100-107), Weltangst und Weltsehnsucht (S. 107-110), Geometrie
und Arithmetik (S. 110-117), Die klassischen Grenzprobleme (S.
117-119), Überschreiten der Grenze des Sehsinnes. Symbolische Raumwelten
(S. 119-122), Letzte Möglichkeiten (S. 122-124).Als
Spengler 1911 begann, sein Hauptwerk (Der Untergang des Abendlandes )
zu schreiben und 1912 den Titel bestimmt hatte, konnte er sich nicht auf die Ereignisse
und das Ergebnis des späteren 1. Weltkrieges (1914-1918) beziehen. Das ist
doch logisch! Er hat es danach immer wieder erklärt, z.B. auch so: Untergang
nicht im Sinne eines Schiffsunterganges, sondern im Sinne der Vollendung
( ).
Also: Der Untergang des Abendlandes ist nicht als Katastrophe zu verstehen,
sondern muß als Vollendung begriffen werden! Die Vollendung des Abendlandes!Oswald
Spengler, Reden und Aufsätze (postum ).
S. 63f..Vgl. Hildegardt Kornhardt, Aussprüche
..., zitiert in: Jürgen Naeher, Oswald Spengler, 1984, S. 144. Mit
Selbstzeugnissen und Bilddokumenten.Falsifikation
ist der Nachweis einer Nicht-Bewahrheitung und bedeutet, daß eine Hypothes
durch Überprüfung als falsch erwiesen wird, z.B. eine wissenschaftliche
Aussage durch ein Gegenbeispiel. Eine Theorie gilt so lange als richtig, bis das
Gegenteil bewiesen ist. Erst nachdem sie kaputt-getestet worden ist,
gilt sie als falsch.
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