
Anmerkungen: Kulturen
und ihre Träger, die sich Menschen nennen, sind als Immunsysteme geimpft
worden - von wem auch immer. Sie entwickeln eigenständige Immunreaktionen,
aus denen dann die verschiedenen kulturellen Temperamente hervorgehen.

Vom
43. Jh. v. Chr. bis heute entwickelten sich deshalb nicht mehr als 8
Kulturen (ich definiere sie als Historienkulturen,
Spengler definierte sie als Einzelwelten
des Werdens), weil besonders für Menschen und ihre Kulturen gilt,
daß das Verhältnis zwischen Geburten und Fehlgeburten schief
ist, und zwar zugunsten der Fehlgeburten!  Wie
Menschen haben auch viele Kulturen die problematischen Erfahrungen in Brutkästen
oder in Waisenhäusern machen müssen. Vielleicht haben Menschen, gearde
weil sie in unterschiedlichen Kulturen aufwuchsen, die Institution Waisenhaus
erfunden, und die abendländischen Menschen als die größten Techniker
aller Zeiten dazu noch den Brutkasten. Aber als ein Vorgriff hierauf
oder als eine kontrollierende Instanz gibt es beide schon viel länger.
Kein Wunder, sind Kulturen, ja: ist Kultur selbst mit einem Brutkasten vergleichbar:
Das Metawerkzeug Kultur hat in seiner Gesamtheit die Wirkung eines Brutkastens,
in dem ein Lebewesen chronisch das Privileg der Unreife genießen darf. Seit
Julius Kollmann heißt die biologische Grundlage dieses Effekts Neotenie.
Dank der Körperausschaltung (Distanz)
ist ein Lebewesen entstanden, das es sich leisten kann, in seiner
biologischen Ausstattung pluripotent, unspezialisiert, langfristig unreif und
lebenslang juvenil zu bleiben - und all dies, weil die unvermeidliche Anpassung
an den Umweltdruck vom Körper auf die Werkzeuge verschoben wurde.
(Peter Sloterdijk,
Sphären III - Schäume, 2004, S. 368).Lebensphilosophische
Sprachspiele erlauben es, Kulturen als Lebewesen aufzufassen.  Sloterdijk z.B.
möchte Spenglers These, daß es bisher nur 8
Kulturen gab, nietzscheanisch-immunologisch auffassen ( ).
Nur in dieser kleinen Zahl von Fällen haben sich die hochkulturschöpferischen
Immunreaktionen vollzogen, von denen jede einzelne einen unverwechselbaren Charakter
besaß. Die acht hohen Kulturen wären demnach die Abwicklung lokaler
Immunreaktionen. .... Man darf sich von Spenglers botanischen Metaphern nicht
in die Irre führen lassen. Seine Kulturen sind nicht so sehr Pflanzen höchster
Ordnung, wie er vorgibt, sondern Generationsprozesse über dem Input einer
schöpferischen Immunantwort, die sich immer mehr formalisiert, bis zur Erstarrung.
... Spengler gibt sein Bestes, darüber sind sich auch seine skeptischen Leser
einig, wenn er über die faustische und die arabische Kultur spricht.
(Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod,
2001, S. 226). Spenglers zentrale Denkerfahrung liegt in der Beobachtung,
daß Formen ein Eigenleben haben - sein ganzes Genie steckt in diesem Motiv.
.... Die Form, die Spengler vor allem interessiert, ist das, was er eine Kultur
nennt. Nun ist Spenglers Formbegriff, der über Goethes Idee der Urpflanze
bis auf die aristotelische Zoologie zurückgeht, durch und durch organologisch
geprägt, er gehört zu einem lebensphilosophischen
Sprachspiel, in dem das Leben als Substanz betrachtet wird und die Individuen
als Akzidentien. Nur darum konnte Spengler die von ihm so genannten Kulturen als
»Lebewesen höchsten Ranges« bezeichnen. Er meint damit, daß
es ein Gestaltgesetz gibt, ein strukturelles Muß, welches bewirkt, daß
in einer Kultur an dieser oder jener Stelle ihres Gestaltbogens nur Ereignisse,
Akteure und Institutionen von einer gewissen formal vorherbestimmten Qualität
auftreten müssen und keine anderen. Man kann dieser Idee eine gewisse logische
Mächtigkeit nicht absprechen .... (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen
Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 177-178). - (Vgl. Spenglers
Frage: Gibt es eine Logik der Geschichte? Gibt es jenseits von allen Zufällen
und Unberechenbaren der Einzelereignisse eine sozusagen metaphysische Struktur
der historischen Menschheit, die von den weithin sichtbaren, populären geistig-politischen
Gebilden der Oberfläche wesentlich unabhängig ist? ;
und vgl. Spenglers Danksagung: Von Goethe habe ich die Methode, von
Nietzsche die Fragestellungen .... ).
- Sloterdijk rät: Man sollte Spengler progressiv fruchtbar machen und
ihn als einen Experten in Primärraumfragen hören. (Peter Sloterdijk
/ Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 228). Sloterdijk
würdigt Spengler als einen der bedeutendsten Theoretiker des Raums.Urpflanze
ist ein Begriff aus der Naturbetrachtung Goethes für das Urbild (Idee, begriffliche
Urgestalt), nach dem alle anderen Pflanzenarten durch Abwandlungen entstanden
sein sollen. Goethe suchte die Urpflanze in der Natur als eine noch unbekannte
Art, oder auch etwa in der Grundgestalt eines Blattes oder eines Stammes zu finden,
während Schiller in einem Gespräch mit ihm darüber auf den platonischen
Ideencharakter der Urpflanze hinwies. (Vgl. Urphänomen).Urphänomen
ist nach Goethe das empirische Phänomen, das jeder Mensch in der Natur erkennen
kann und das durch Versuche zum wissenschaftlichen Phänomen erhoben wird,
indem man es unter anderen Umständen und Bedingungen und in einer mehr oder
weniger glücklichen Folge darstellt, so daß zuletzt das reine Phänomen
als Resultat aller Erfahrungen und Versuche dasteht. Es ist ideal als das letzte
Erkennbare, real als erkannt, symbolisch identisch mit allen Fällen, weil
es alle Fälle begreift. (Vgl. Urpflanze).Die
arabische Kultur bleibt problematisch, weil sie nie einen eigenen Körper
ausbilden, sich nie überzeugend territorialisieren konnte und darum nur als
höhere Gespenstergeschichte möglich war - Spengler nennt das vornehm
eine Pseudomorphose.
Vergessen wir nicht, daß nach ihm das Christentum in seinem ersten Zyklus
nur eine Metastase der übervölkisch herumspukenden arabischen Seele
gewesen sein soll. (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die
Sonne und der Tod, 2001, S. 226-227).  Historische
Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig
über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht
zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen,
sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 784).
Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß sie eine alte dort,
wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen der (alten) apollinischen
Kultur, auch kurz Antike genannt, und der (jungen) magischen Kultur,
auch Persien/Arabien genannt, macht es deutlich: Solange die
Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß
alle östlichen Kirchen zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche
Seite des Synkretismus. .... Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen
der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis
um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des
Westens, die zu einer neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten
entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen
glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues
Griechentum als magische Nation. (Oswald Spengler, Der Untergang des
Abendlandes, 1918-1922, S. 800-801). Oswald
Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 788.
Beispiele für die faustische Seele, deren Ursymbol der reine grenzenlose
Raum und deren Leib die abendländische Kultur ist (ebd., S.
234), findet man in Spenglers Werk zuhauf. ( ).
Alle abendländischen Projekte sind laut Spengler Entwürfe von
einem riesenhaften Wollen (ebd., S.238), die sich natürlich
auch an der Sprache erkennen lassen, denn schon früh begann die faustische
Seele, ererbte Formen für sich umzuprägen, d.h. ins Abendländische
zu übersetzen, z.B. grammatische Zeichen verschiedenster Herkunft,
und z.B. durch das Hervorrufen des »Ich«, als Idee
der Persönlichkeit. Auch ersetzte z.B. »ego habeo factum«,
die Einschaltung der Hilfszeitwörter haben und sein zwischen einen Täter
und eine Tat an Stelle des feci, eines bewegten Leibes, ... die
Welt von Körpern durch eine solche von Funktionen zwischen Kraftmittelpunkten,
die Statik des Satzes durch Dynamik. (Ebd., S. 335-336).  Die
faustische, westeuropäische Kultur ist vielleicht nicht die letzte, sicherlich
aber die gewaltigste, leidenschaftlichste, durch ihren inneren Gegensatz zwischen
umfassender Durchgeistigung und tiefster seelischer Zerissenheit die tragischste
von allen. Es ist möglich, daß noch ein matter Nachzügler kommt,
etwa irgendwo zwischen Weichsel und Amur und im nächsten Jahrtausend, hier
aber ist der Kampf zwischen der Natur und dem Menschen, der sich durch sein historisches
Dasein gegen sie aufgelehnt hat, praktisch zu Ende geführt worden.
(Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik - Beitrag zu einer Philosophie
des Lebens, 1931, S. 63).Oswald
Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 789.Oswald
Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 789-790.Oswald
Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 790.Oswald
Spengler (1880-1936), Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 791-792
und S. 794.Diese Krankheit ist in etwa das,
was nach Oswald Spengler eine historische Pseudomorphose
ist. Es sei hier jedoch darauf hingewiesen, daß meine Definition für
Pseudomorphose davon ein wenig abweicht, denn für mich ist sie gleichbedeutend
mit Schwangerschaft, und zwar in zweifacher Hinsicht, nämlich die Bedeutung
einer Schwangerschaft für: a) die werdenden Eltern (Eltern-Kulturen bzw.
Spätkulturen),
b) die werdenden Kinder (Kind-Uterus-Kulturen bzw. Vor-/Urkulturen).
Für mich gehören Pseudomorphosen, von denen alle betroffen sein können,
also sowohl Vor-/Urkulturen und Spätkulturen als auch Frühkulturen
und Hochkulturen,
eher in die Kategorie der Krankheit, genauer: der Immunitätsprobleme.
Nach Heidegger
(26.09.1889 - 26.05.1976) entspringt das Sein aus dem Nichten des
Nichts, indem das Nichts das Seiende versinken läßt und
dadurch das Sein enthüllt.Elternkulturen
der Antike: Vaterkultur Ägypten (konservierende Kultur, Weg [Pyramide,
Nil] als Ursymbol) und Mutterkultur Sumer (mesopotamische Kultur,
Mauer [Tempel, Kreis, Verwaltung] als Ursymbol). Elternkulturen des Abendlandes:
Vaterkultur Antike (apollinische Kultur, Ursymbol Einzelkörper)
und Mutterkultur Arabien (magische Kultur mit dem Ursymbol Welthöhle),
d.h besonders die Komponente Christentum innerhalb des Monotheismus. Die spannende
Frage ist, ob auch das Abendland und mit ihm welche andere Kultur zu Elternkulturen
werden oder bereits geworden sind. Man kann das deshalb noch nicht wissen, weil
ja Kulturen nicht so direkt beobachtbar und feststelltbar sind wie die Lebewesen,
die ihre Träger sind. Jedenfalls wäre für die russisch-slawische
(nordasiatische) Kultur, wenn es sie tatsächlich geben sollte, die abendländische
(westeuropäisch-nordamerikanische) Kultur - der Nordwesten sozusagen
- die Vaterkultur, d.h. eine der beiden Elternkulturen, jedenfalls ein Elter.
Vgl. Eltern
(Gen-Code) und Kontrollgene.Seelenbild
der Antike und Seelenbild des Abendlandes sind gegensätzlich: apollinisch
und faustisch; ihre Ursymbole ebenfalls: Einzelkörper und Unendlicher
Raum. Wie ein Dogma gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild
und Ursymbol allgemein als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß
der Unterschied zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel Parallelenaxiom
deutlich werden kann: Euklid
hat in seinen Elementen (um 312 v. Chr.) die mathematische Entsprechung
für das antike Beispiel gegeben und Gauß
ca. 2112 Jahre später (um 1800) die für das abendländische.
Sie stehen - wie unzählige andere Beispiele auch - für einen metaphysischen
Mittelpunkt, um den eine Kultur kreist, während sie von Seelenbild und Ursymbol
angetrieben und angezogen wird. (Vgl. Oswald Spengler,
1917, S. 155, 227ff., 234, 390). Vgl. dazu auch das Germanentum.Das
Seelenbild der magischen Kultur ist ein dualistisches: Geist und Seele,
ihr Ursymbol die Welthöhle. (Vgl. Spengler, 1922, S. 847f.).Römisch-katholische
Interpretationen attestieren dem Abendland zumeist, daß in ihm die Dominanz
des Christlichen überwiege. Diese Meinung teilen vor allem kirchliche und
vornehmlich christlich orientierte Vertreter. Theodor Heuss (31.01.1884 - 12.12.1963)
soll einmal gesagt haben, daß Europa von 3 Hügeln ausgegangen sei:
von der Akropolis, von Golgatha und vom Kapitol. Diese Sichtweise würde eher,
wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, auf eine Dominanz der Antike verweisen.
Wenn man jedoch berücksichtigt, daß aus einem antik-apollinischen Einzelkörperund
einer magisch-seelengeistigen Welthöhle
ein abendländisch-faustischer Unendlichkeitsraum
entstehen kann, dann muß unbedingt ein dritter Faktor hinzukommen, den ich
die Kulturpersönlichkeit nenne: das Germanentum. Ohne das Germanentum
versteht man die Willensdynamik eines Faust nicht, und ohne das germanische Element
ist die Raumtiefe, aber auch die in jeder Hinsicht sowohl ins Mikrokosmische als
auch ins Makrokosmische gehende Unendlichkeit nicht als distinktives Merkmal der
abendländischen Kultur zu identifizieren. Diese Merkmale treffen auf keinen
antiken Menschen zu, aber insbesondere auf die Abendländer, die germanischen
Ursprungs sind ( ).
Scharfe Gegensätze, wie die zwischen Antike und Abendland, sind zwar unbedingt
ein Indiz für Verwandtschaft, weil beide Kulturen so auffallend gegensätzlich
sind: aktiv und reaktiv. Offenbar hat die Antike auf das Abendland aber nicht
persönlichkeitsstiftend gewirkt und konnte auch erzieherisch nicht
tätig werden, weil sie so früh verstarb. Die Biogenetik und Sozialisation
geraten nicht selten so weit auseinander, wenn ein Elternteil früh verstirbt,
d.h. nicht wirklich erlebt wird. Dem Abendland scheint es auch so ergangen zu
sein. Die Auseinandersetzungen mit der magischen Mutter hat beim Kind jedoch zu
einer enormen, fast schon verdächtigen Erinnerung bis hin zur Vergötterung
des antiken Vaters Beitrag geleistet. Aber liegt deshalb immer auch schon ein
Vaterkomplex vor? Es bleibt zunächst festzuhalten, daß auch kulturell
zwischen Genetik und Sozialisation, zwischen Anlage und Umwelt, zwischen angeboren
und anerzogen ganz klar unterschieden werden muß. Dazwischen bewegt sich
die Persönlichkeit. Man kann sie nicht isolieren, folglich auch nicht isoliert
betrachten, aber man kann sie beschreiben, und ich beschreibe die Kulturpersönlichkeit
des Abendlandes als germanisch, weil dieser Raum zwischen Anlage und Umwelt für
die Kulturpersönlichkeit zwanghaft unendlich werden muß, wenn sie die
verlorene Vaterkultur zurückholen will. Der unendliche Raum und Wille sind
auch deshalb Ursymbol
und Urwort des Abendlandes. Wenn der Mensch eine Grundlage von etwa 60 Billionen
Zellen hat und einer Umwelt von praktisch unendlicher Vielfalt ausgesetzt ist,
so gilt für eine Kultur, daß sie Völker, Staaten oder Nationen
zur Grundlage hat und einer Umwelt von unendlichen Möglichkeiten, aber auch
gähnender Leere gegenübersteht. Mit dem Germanentum fiel eine faustische
Entscheidung zugunsten der unendlichen Möglichkeiten. Die Eltern des Abendlandes
waren also antik-magisch, ihre gentragenden Chromosomen römisch-christlich,
aber die Kontrollgene
germanisch.Zum Vergleich die antike Vor-/Urkultur
und die abendländische Vor-/Urkultur:    Zum
Vergleich die antike Frühkultur und die abendländische Frühkultur:
   Zum
Vergleich die antike Hochkultur und die abendländische Hochkultur:    Zum
Vergleich die antike Spätkultur und die abendländische Spätkultur:
   Zum
1. kulturellen Winter vgl. Vor-/Urkultur.
Der 2. kulturelle Winter ist dagegen ein zivil-erwachsener Winter, d.h. ein Zivilisationswinter,
wie ihn z.B. die Antike in der Zeit, als z.B. Marc Aurel r(egierte 161-180) oder
Diokletian (regierte 284-305) herrschten und der Tod der antiken Kultur bereits
an ihre Haustür klopfte. Die Antike starb
in ihrem 2. Winter, sie hat dessen Ende also nicht mehr erlebt. Das haben bisher
nur drei Kulturen geschafft: Indien, China, Arabien. ( ).
Dagegen steht das Abendland heute erst am Anfang der letzten Phase ihres kulturellen
Herbstes (vgl. Spätkultur).
 Es
waren Germanen, die Europa gründeten ( ).
Germanische Schriftquellen sind uns überliefert seit dem 2. Jahrhundert vor
Christus als Runenschriften
auf Waffen oder Schmuckstücken und seit dem 4. Jh. n. Chr. auch als literarisch
umfassendere Schriftquellen, z.B. die gotische Bibel von Wulfila
(ca. 311-383). Germanische Historiographie gibt es etwa seit dem 5. / 6. Jh. n.
Chr., die auch die germanischen Anfänge zu schildern versuchte, über
Jahrhunderte zurückgriff, aber eher Sagen als Historie hinterließ.
Nicht Sage, sondern historische Tatsache ist, daß die Germanen die Gründer
Europas sind. Kontrollgene
sind, wie Kybernetiker, auch Begründer bzw. Gründer.
Schon sehr alt war die Geschichte der
Germanen, als sie mit der Geschichte der Antike in Berührung kam. ( ).
Doch die Geschichte des Abendlandes wurde erst möglich, nachdem die drei
unentbehrlichen Faktoren aufeinander getroffen waren: Germanentum, Römerreich,
Christenheit. Hierbei spielte auch die Mythomotorik eine Rolle. Vor
allem der Gedanke an ein Reich spielte von Beginn an eine ganz besonders wichtige,
weil kulturgenetisch bedingte Rolle, nämlich reichshistorisch
(römisch), reichsreligiös (christlich) und reichskybernetisch (germanisch),
denn eine Kultur kann nur dann Kultur werden, wenn sie auch sich selbst
steuern kann. Ohne die Germanen gäbe es keine Abendland-Kultur, kein Europa.
Ohne die Germanen hätte sich das Abendland nicht zu einer selbständigen
Kultur entwickeln können. Die Germanen sind die Gründer Europas.Die
Goten in Spanien (also die Westgoten) entwickelten den Hufeisenbogen. Das, was
oftmals maurisch genannt wird, ist in Wahrheit gotisch, genauer: westgotisch.
 Während
des Zerfalls der Karolingermacht im 9. Jh. erstarkten in den Abwehrkämpfen
die deutschen Stammesherzogtümer: Sachsen, Bayern, Schwaben, Lothringen,
Franken, Thüringen. Allerdings bildeten die Franken und die Thüringer
kein geschlossenes Stammesherzogtum.Als
das Kind (Ludwig
IV.; *893, 911) regierte (900-911), führte das Versagen der königlichen
Zentralgewalt gegenüber den Angriffen der eindringender Feinde (Ungarn, Normannen)
zur endgültigen Bildung der 6 deutschen Stammesherzogtümer: Sachsen,
Thüringen, Bayern, Schwaben, Franken, Lothringen. ( )
Die Franken (das Reichsvolk) bildeten allerdings, wie die Thüringer,
kein geschlossenes Stammesherzogtum. Ludwig IV. (das Kind) war der
letzte in Deutschland regierende Karolinger. Nach
dem Aussterben der deutschen (ostfränkischen) Karolinger wählten die
Großen des Deutschen Reiches in Forchheim Konrad
I. von Franken (aus dem Geschlecht der Konradiner) zum König. Konrad
I. regierte von 911 bis 918 und versuchte, die zentralisierende Politik der deutschen
Karolinger weiterzuführen, scheiterte aber an der Opposition der Stammesherzogtümer
Sachsen, Schwaben, Bayern. Während der Frankenkönig Konrad I. sich im
Kampf gegen die Stämme auf die Bischöfe stützte, lehnte
der Sachsenkönig Heinrich
I., der von 919 bis 936 regierte, nach der Wahl Salbung und Krönung ab
und wollte als Volksherrscher mit den Herzögen zusammenarbeiten. Zuerst nur
von Franken und Sachsen anerkannt, beseitigte er allmählich auch die Opposition
der oberdeutschen Stämme. Durch seinen Tod wurden ein Romfeldzug und die
Gewinnung der Kaiserkrone verhindert. Dies änderte erst sein Sohn, denn Otto
I. sicherte als erster sächsischer Kaiser (von 962 bis 973) sich und
allen folgenden Sachsenkaisern die Rechtsnachfolge des fränkischen Imperiums,
und erst durch Otto I. erhielten die Sachsenkaiser die Oberhoheit über das
Patrimonium Petri sowie die Schutzherrschaft über die Kirche,
die ihrerseits Verfechterin der Reichseinheit war. (Vgl. Reichskirchenpolitik
bzw. Reichskirchensystem).
Von 962 an, als Otto I. (deutscher König seit 936) auch König des langobardisch-italienischen
Reiches und römisch-deutscher Kaiser wurde, blieb Italien bis 1268 unter
deutschen Kaisern: unter deutscher Herrschaft.  Der
Puritanismus
ging aus der Reformation, insbesondere aus dem Calvinismus hervor. Der Calvinismus,
anfangs ein antischolastischer Humanismus, machte die Prädestination zu seinem
Inhalt und Mittelpunkt. Diese Prädestination, die man auch Prädetermination
nennt, meint die Vorbestimmung des Menschen schon vor bzw. bei seiner Geburt durch
Gottes unerforschbaren Willen, und zwar entweder als Gnadenwahl zur Seligkeit
ohne Verdienst oder als Prädamnation zur Verdammnis ohne Schuld. Sie wurde
schon von Augustinus (354-430) gelehrt und nach ihm von Luther (1483-1546), Zwingli
(1484-1531), Calvin (1509-1564) und dem Jansenismus (nach Cornelius Jansen, 1585-1638).
Auf einen engen Zusammenhang zwischen dem Calvinismus, besonders aber dem aus
ihm entwickelten Puritanismus, und dem modernen Kapitalismus der abendländischen
Kultur hat vor allem Max Weber (1864-1920) hingewiesen. ( ).
Die Puritaner (die Reinen) sind die Vertreter einer Reformbewegung,
die besonders in England seit etwa 1570 die Reinigung der englischen Kirche von
katholisierenden Elementen in Verfassung, Kultus und Lehre betrieben. Strenger
Biblizismus, eine Gewissenstheologie und die konsequente Sonntagsheiligung beeinflußten
das englische Geistesleben bis in die Gegenwart. Die Puritaner brachten eine ausgedehnte
Erbauungs- und Predigtliteratur hervor. 1604 wurden sie durch die Ablehnung ihrer
Millenary Petition enttäuscht, wandten sich der politischen Opposition
zu oder emigrierten in großer Zahl nach Nord-Amerika. Mit dem Sieg Oliver
Cromwells (1599-1658) 1648 zur Herrschaft gelangt, beseitigten die Puritaner das
Common Prayer Book und das Bischofsamt, vertrieben anglikanische Pfarrer,
entfernten die Orgeln aus den Kirchen u.a.. Nach der Restauration der Stuarts
wurden die Puritaner ihrerseits rigoros aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt
- bis zur Toleranzakte von 1689. Die englischen Puritaner waren und sind also
Vertreter eines speziellen Puritanismus. Diesen Insel-Puritanismus
der Engländer kann man auch Angelsachsen-Puritanismus
nennen. Für den Puritaner ist das genaue Gegenteil der Weltfreude
charakteristisch. Die Weltfremdheit gehört zu den wichtigsten
Charakterzügen des Puritanismus. Max Webers Beispiele zeigen alle das
eine: »der Geist der Arbeit«, des »Fortschritts« oder
wie er sonst bezeichnet wird, dessen Weckung man dem Protestantismus zuzuschreiben
neigt, darf nicht, wie es heute zu geschehen pflegt, als »Weltfreude«
oder irgendwie sonst im »aufklärerischen« Sinn verstanden werden.
Der alte Protestantismus der Luther, Calvin, Knox, Voët hatte mit dem, was
man heute »Fortschritt« nennt, herzlich wenig zu schaffen. Zu ganzen
Seiten des modernen Lebens, die heute der extremste Konfessionelle nicht mehr
entbehren möchte, stand er direkt feindlich. Soll also überhaupt eine
innere Verwandtschaft bestimmter Ausprägungen des altprotestantischen Geistes
und moderner kapitalistischer Kultur gefunden werden, so müssen wir
wohl oder übel versuchen, sie ... in seinen rein religiösen Zügen
zu suchen. (Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus,
1904, S. 37-38). Laut Weber ist im Abendland nämlich vor allem die Frömmigkeit
(der Pietismus) das rein religiöse Glied - als Berufung
(Beruf) - zwischen dem alten
Protestantismus bzw. Puritanismus und dem modernen Kapitalismus: Abendländischer
Kapitalismus ist laut Weber nämlich eigentümlich, hat ein eigentümliches
Ethos. Allgemein ist Kapitalismus kein Charakteristikum einzelner (Historien-)Kulturen,
sondern der Menschen-Kultur überhaupt: Aber eben jenes eigentümliche
Ethos fehlte ihm .... In der Tat: jener eigentümliche, uns heute so geläufige
und in Wahrheit doch so wenig selbstverständliche Gedanke der Berufspflicht:
einer Verpflichtung, die der Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüber
dem Inhalt seiner »beruflichen« Tätigkeit, gleichviel, worin
sie besteht, gleichviel insbesondere, ob sie dem unbefangenen Empfinden als reine
Verwertung seiner Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes (als
»Kapital«) erscheinen muß: - dieser Gedanke ist es, welcher
der »Sozialethik« der kapitalistischen Kultur charakteristisch, ja
in gewissem Sinne für sie von konstitutiver Bedeutung ist. - .... - Arbeit
als Selbstzweck, als »Beruf«, wie sie der Kapitalismus fordert ....
Die kapitalistische Wirtschaftsordnung braucht diese Hingabe an den »Beruf«
des Geldverdienens: sie ist eine Art des Sichverhaltens zu den äußeren
Gütern, welche jener Struktur so sehr ädaquat, so sehr mit den Bedingungen
des Sieges im ökonomischen Daseinskampfe verknüpft ist .... (Max
Weber, ebd., 1904, S. 43, 45, 53, 61). Innerweltliche Askese bedeutet bei
Max Weber die Verwendung der durch Ablehnung der religiösen Askese frei gewordenen
Energie in der Berufsarbeit, wie eben besonders gefordert und gefördert durch
den Puritanismus.  Beruf
(NHD; aus MHD: beruof, Leumund) - die neuhochdeutsche
Bedeutung hat Martin Luther (1483-1546) geprägt! In der Bibel benutzte er
es zunächst als Berufung durch Gott für klesis (griech.)
bzw. vocatio (lat.), dann auch für Stand und Amt des Menschen in der
Welt, die schon Meister Eckhart (1250-1327) als göttlichen Auftrag erkannt
hatte. Dieser ethische Zusammenhang von Berufung und Beruf ist bis heute wirksam
geblieben, wenn das Wort jetzt auch gewöhnlich nur die bloße
Erwerbstätigkeit meint. Nun ist unverkennbar, daß schon in dem
deutschen Worte »Beruf«, ebenso wie in vielleicht noch deutlichere
Weise in dem englischen »calling«, eine religiöse Vorstellung:
- die einer von Gott gestellten Aufgabe - wenigstens mitklingt und,
je nachdrücklicher wir auf das Wort im konkreten Fall den Ton legen, desto
fühlbarer wird. Und verfolgen wir nun das Wort geschichtlich und durch die
Kultursprachen hindurch, so zeigt sich zunächst, daß die vorwiegend
katholischen Völker für das, was wir »Beruf« (im Sinne von
Lebensstellung, umgrenztes Arbeitsgebiet) nennen, einen Ausdruck ähnlicher
Färbung ebenso wenig kennen wie das klassische Altertum, während es
bei allen vorwiegend protestantischen Völkern existiert. Es zeigt sich ferner,
daß nicht irgendeine ethnisch bedingte Eigenart der betreffenden Sprachen,
etwa der Ausdruck eines »germanischen Volksgeistes« dabei beteiligt
ist, sondern daß das Wort in seinem heutigen Sinn aus den Bibelübersetzungen
stammt, und zwar aus dem Geist der Übersetzer, nicht aus dem Geist
des Originals. Es erscheint in der lutherische Bibelübersetzung zuerst an
einer Stelle des Jesus Sirach (11,20,21) ganz in unserem heutigen Sinn verwendet
zu sein. (Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus,
1904, S. 66). Seit Luther also gibt es das Wort Beruf in der noch
heute gültigen Bedeutung: die hauptsächliche Erwerbstätigkeit des
Einzelnen, die auf dem Zusammenwirken von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten
beruht (also auf Bildung bzw. Ausbildung) und durch die er sich in die Volkswirtschaft
eingliedert. Der Beruf dient meist der Existenzbasis. Es war vor allem der Protetestantismus
mit seiner Askese (vgl. Puritanismus),
der die sittliche Leistung der Arbeit stark betonte und den Beruf zum Gebot der
Pflichterfüllung steigerte. Diese Haltung hat sich als Berufsethos, als innere,
enge Verbundenheit des abendländischen Menschen mit seinem Beruf erhalten.
Moderne Antriebe zur Verweltlichung gingen vom Deutschen
Idealismus aus, der im Beruf das Postulat der Persönlichkeitsentfaltung
entdeckte.Es
ist bewunderungswürdig, mit welcher Sicherheit der englische Instinkt aus
der ... ganz doktrinären und kahlen Lehre Kalvins sein eignes religiöses
Bewußtsein formte. Das Volk als Gemeinschaft der Heiligen, das englische
insbesondere als das auserwählte Volk, jede Tat schon dadurch gerechtfertigt,
daß man sie überhaupt tun konnte, jede Schuld, jede Brutalität,
selbst das Verbrechen auf dem Wege zum Erfolg ein von Gott verhängtes und
von ihm zu verantwortendes Schicksal - so nahm sich die Prädestination im
Geiste Cromwells und seiner Soldaten aus. Mit dieser unbedingten Selbstsicherheit
und Gewissenlosigkeit des Handelns ist das englische Volk emporgestiegen.
(Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, 1919, S. 41 ).
Wenn in England die Tat oder die Arbeit für sich
und daher der persönliche Erfolg als göttliches Zeichen der Erlösung
heilig ist, so in Preußen die Tat oder die Arbeit für andere.
So formuliert es Ehrhardt Bödecker. Die Bezeichnung Pietismus, ursprünglich
ein akademischer Spitzname für Streber und Pedanten, haben die Calvinisten
in Halle von den orthodoxen Lutheranern in Leipzig erhalten. (Ehrhardt Bödecker,
Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2004, S. 113). Halle fiel 1680
an Brandenburg-Preußen ( ),
August Hermann Francke
(1663-1727) wurde zum Hauptvertreter des Pietismus in Halle und dadurch auch in
Brandenburg-Preußen - seit der Königskrönung (1701) hieß
es nur Preußen. Nicht der englische Kapitalismus, sondern der preußische
Pietismus - der soziale Gemeingeist - führte zur modernen Sozialversicherung.
Nicht England mit seinem eigenbrötlerischen Parlamentarismus, sondern Deutschland
mit seinem sozialen Gemeingeist hatte die weltweit erste soziale Versicherungsgesetzgebung.
Was wir heute als Soziale Marktwirtschaft oder etwas ungenau als Rheinischen
Kapitalismus bezeichnen, ist nur sekundär rheinisch und primär preußisch
( ),
also insgesamt als deutsch zu bezeichnen: Deutscher Kapitalismus ist Deutsche
Marktwirtschaft, weil sozial! Gerechtigkeit ohne Gemeingeist gibt es nicht.
Puritanismus
und Malthusianismus, Darwinismus bzw. Sozialdarwinismus (bzw. Soziobiologismus)
sind durchaus verwandt. Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Johannes Calvin (1509-1564),
der von Martin Luther (1483-1546) beeinflußt war, und Charles Darwin (1809-1882),
der von Thomas Malthus (1766-1834) beeinflußt war ( ),
und in den angelsächsischen Ländern, gerade auch seit Herbert Spencer
(1820-1903), faßt man ja die Auslese als einen individuellen Kampf
ums Dasein auf ( ),
der - weil quasi naturrechtlich den Abläufen inhärent - an und für
sich nützlich und wünschenswert sei. Insbesondere dürfe er nicht
durch staatliches - etwa sozialpolitisches - Eingreifen behindert werden. Die
weitreichende Rezeption solcher Ideen wurde wohl auch dadurch gefördert,
daß sie mit dem Puritanismus kompatibel waren. Wegbereitend für diese
Koexistenz wirkte hier - worauf Max Weber (1864-1920) mit Nachdruck hinwies -
im Grunde bereits die Prädestinationslehre des schweizerischen Reformators
Johannes Calvin. Calvins Auffassung von der göttlichen Vorsehung unterschied
sich scharf von der katholischen Lehre der Werkgerechtigkeit und nahm ethische
Grundprinzipien vorweg, wie sie charakteristisch werden sollten für den englischen
Puritanismus und den modernen Kapitalismus westlicher Prägung. Das Schicksal
eines Menschen galt Calvin als schon vor bzw. bei seiner Geburt durch Gottes unerforschlichen
Willen vorherbestimmt: entweder- ohne Verdienst - als Gnadenwahl zur Seligkeit,
oder - ohne Schuld - als Prädamnation zur Verdammnis. Ihren irdischen Status
quo verdankten die Menschen daher allein Gottes freier Entscheidung. Diese Lehre
deckt sich mit Extrempositionen, die sich Spencers Nachfolger zu eigen machen.
sollten - beispielsweise wenn das besitzlose Proletariat als ein Rückstandsprodukt
der »natürlichen Auslese« erscheint und das Zugrundegehen der
Armen als ein Naturgesetz. Insbesondere der (us-)amerikanische
Sozialdarwinismus - wie ihn etwa William Graham Sumner (1840-1910) an der Yale-Universität
und William James (1842-1910) an der Harvard-Universität propagierten - machte
in letzter Konsequenz den gesellschaftlichen Erfolg von Individuen oder den geschichtlichen
Erfolg von Gruppen zum Kriterium der Lebensbewährung und biologischen Wertigkeit,
baute er doch auf folgende Argumentationsstränge: (A) Struggle tor existence
und survival of the fittest sind ein Teil der Gesamtökonomie der Natur.
Da die menschliche Gesellschaft ihrerseits Teil der Natur ist, gelten auch für
sie eben diese Naturgesetze. (B) Die Menschen sind von Natur aus ungleich, weshalb
die soziale Stufenleiter diese Ungleichheit widerspiegelt. (C) Da der soziale
Fortschritt sich nach Naturgesetzen vollzieht, soll man ihn ungehindert vonstatten
gehen lassen. (D) Hieraus resultiert eine streng deterministische Auffassung der
Gesellschaft. Staatliche Interventionen sind in gewissem Sinne gegen die Religion,
da das Walten der Naturgesetze mit dem Willen Gottes zusammenfällt (vgl.
Wilhelm E. Mühlmann, Geschichte der Anthropologie, 1984, S. 110-115).
Auch dem Lebenswerk von Darwins Vetter Francis Galton (1822-1911) liegen sozialdarwinistische
Ideen zugrunde. Seine auf das Zustandekommen von Hoch- und Höchstbegabungen
ausgerichteten Familienstudien überzeugten Galton davon, die Erblichkeit
habe für schöpferische Leistungen mehr Bedeutung als die Umwelt. Die
Auffassung, nature dominiere über nurture, machte Galton zum
Begründer der Eugenik. Der Darwinsismus wurde also in dem Moment zum Steinbruch
von Moral und Ideologie, als die Spenceristen und Sozialdarwinisten aus dem survival
of the fittest unbedenklich ein survival of the best machten.
(Volker Sommer, Grundzüge des Sozialdarwinismus, in: Soziobiologie:
Wissenschaftliche Innovation oder ideologischer Anachronismus?, in: Eckart
Voland, Fortpflanzung: Natur und Kultur im Wechselspiel, 1992, S. 54-56
).
Wie schon gesagt: Darwin war Malthusianer oder zumindest doch sehr stark von Malthus
beeinflußt; Spencer war Darwinianer bzw. Darwinist in dem Sinne, als daß
er Darwins Theorie ausbaute und zum Hauptvertreter des Evolutionismus wurde; der
Evolutionismus und der Sozialdarwinismus sind verwandt, doch der Sozialdarwinismus
ist wohl eher, jedenfalls wenn man ihn als ein Extrem der Soziobiologie verstehen
will, als Soziobiologismus zu bezeichnen.   
Die typisch angelsächsische Vorstellung, die Auslese
sei nur (nur!) ein individueller Kampf ums Dasein, ist
nicht richtig, also auch wissenschaftlich nicht haltbar. ( ).
Früher hieß es z.B., daß neue Arten spontan durch Mutation(en)
entstünden, also demnach die Artbildung (Speziation) eine spontane Entwicklung
sei und von den einzelnen Individuen ausginge; doch wir wissen längst,
daß die weitaus häufigste Form der Artbildung auf den allmählichen
Wandel ganzer Populationen beruht. Außerdem ist der temporäre
Verzicht auf direkte eigene Reproduktion bei gleichzeitiger Unterstützung
der Aufzucht genetisch naher Verwandter mittlerweile von etlichen Tierarten bekannt
- beispielsweise bei einigen Vogelarten, wo die älteren Geschwister - anstelle
selbst ein Nest zu bauen - ihren Eltern bei der Aufzucht jüngerer Geschwister
helfen. Hamiltons Prinzip der kin selection ließ sich ebenfalls bei
taxonomisch so verschiedenen Gruppen wie Hautflüglern, Zwergmungos, Nacktmullen,
Wildhunden oder Krallenaffen nachweisen, bei denen sich einige Individuen unter
Verzicht auf direkte Reproduktion als »Helfer-am-Nest« betätigen.
(Volker Sommer, Grundzüge des Sozialdarwinismus, in: Soziobiologie:
Wissenschaftliche Innovation oder ideologischer Anachronismus?, in: Eckart
Voland, Fortpflanzung: Natur und Kultur im Wechselspiel, 1992, S. 69 ).
Der Fortpflanzungserfolg - quantitativ ausgedrückt: die Anzahl der Nachkommen
- ist das Maß für die biologische Fitneß als Währung(seinheit)
der Evolution. Manche Biologen formulieren verkürzter: Die Währung
der Evolution sind die Nachkommen, und die Gewinne des Konkurrenzkampfes werden
nicht den konkurrierenden Individuen gutgeschrieben, sondern ihren genetischen
Programmen. .... Jene genetischen Programme hatten von jeher die besseren Ausbreitungschancen,
die ihre individuellen Träger dazu veranlaßten, sich auch ohne Rücksicht
auf etwaige eigene Nachteile und Risiken für die optimale Produktion von
Nachwuchs einzusetzen: Wen könnte es da wundern, daß der Drang zur
Fortpflanzung allen Organismen genetisch seit Jahrmilliarden so unauslöschlich
eingepflanzt ist? Und noch etwas ist wichtig, um den auch die Familie betreffenden
Selektionsprozeß zu verstehen: Da es in der Evolution letztlich nicht um
Individuen geht, sondern um die genetischen Programme, werden sich jene genetischen
Programme via natürliche Selektion besonders erfolgreich ausbreiten können,
die ihre Träger dazu veranlassen, andere Träger identischer Erbprogramme
in ihrer Reproduktion intensiv zu unterstützen. Daraus resultiert der im
Organismenreich (wie in allen menschlichen Gesellschaften) so weit verbreitete
Nepotismus, die bevorzugte Verwandten-Unterstützung (kin selection),
sorgfältig abgestuft nach Maßgabe des genetischen Verwandtschaftsgrades
(je näher verwandt, deso höher der Wahrscheinlichkeitsgrad gemeinsamer
identischer Gene), jeweils im Dienste der eigenen Gesamtfitneß (inclusive
fitness), also letztlich genetisch eigennützig. Es ist daher evolutionsbiologisch
geradezu vorhersagbar, daß menschliche Gesellschaften in nepotistische Verwandtschaftssysteme
gegliedert sind und daß Muster abgestufter Verwandtschaft eine zentrale
Rolle für die Art und Intensität des Miteinanders spielen, kurz, daß
sich Familienstrukturen in mehr oder weniger erweiterter Form herausbilden. ( ).
Die Familie liefert also zugleich das sozio-ökonomische Milieu für die
biogenetische Reproduktion und das strukturelle Netz nepotistischer Interaktionen.
(Christian Vogel, Die Rolle der Familie im biogenetischen Geschehen, in:
Eckart Voland, Fortpflanzung: Natur und Kultur im Wechselspiel, 1992, S.
145-146 ).
Die Familie ist eine kulturelle Institution auf natürlicher Basis: Biologisch
betrachtet, obliegt ihr die Funktion, die Reproduktion sicherzustellen, das heißt
Nachwuchs zu zeugen, ihn aufzuziehen und möglichst gut ausgerüstet und
vorbereitet in die Selbständigkeit zu entlassen, was in evolutionsbiologischer
Perspektive wiederum bedeutet, dem Nachwuchs seinerseits gute Reproduktionschancen
mit auf den Weg zu geben. Die Familie soll für diesen Prozeß ein in
biologischer, ökonomischer und soziokultureller Hinsicht möglichst optimales
Milieu herstellen, und so wird es nicht wundern, daß die Familienstruktur,
den jeweiligen Bedingungen angepaßt, durchaus unterschiedliche Formen annehmen
kann. Durch ihre biologische Hauptfunktion, Fortpflanzung abzusichern, ist die
Familie unmittelbar in den biogenetischen Evolutionsprozeß eingespannt und
unterliegt somit den Bedingungen der natürlichen Selektion. Natürliche
Selektion arbeitet über differentiellen Reproduktionserfolg, und das ist
der Grund, weshalb alle Organismen (Menschen eingeschlossen) via Selektion programmiert
sind, mit ihren benachbarten Artgenossen um jeweils höheren Reproduktionserfolg
zu konkurrieren. Das steckt zwangsläufig in ihren Erbprogrammen ....
(Ebd., S. 145).  In
jüngster Zeit setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, daß - obwohl
die natürliche Selektion an der Variabilität der Phänotypen ansetzt
- die Ebene biologischer Anpassungsvorgänge die der Gene ist und nicht etwa
die der Individuen ( )
.... Beim Studium der Evolution und gerade auch beim Studium biologischer Verhaltensanpassungen
ist deshalb deutlich zu unterscheiden zwischen den Replikationen (Genen), in denen
die stammesgeschichtlich akkumulierte Information gespeichert ist und deren potentielle
Unsterblichkeit die Kontinuität der biologischen Evolution begründet,
einerseits und den vergänglichen Individuen (Phänotypen) andererseits,
die als kurzlebige Vehikel den evolutiv einzigen Zweck verfolgen, ein optimales
Medium für maximale Genreplikation zu liefern. .... Interessant erscheint
mir, daß bei aller intrapersonalen Komplexität von Fruchtbarkeitsentscheidungen
sozioökonomische Gesichtspunkte als die letztlich wohl doch bedeutsamsten
Einzelfaktoren zu wirken. Die Entscheidung für oder gegen (weitere) Kinder
ist auf diese Weise eingebunden in die Szenerie gesellschaftlicher Konkurrenz,
in eine Szenerie also, deren Funktionslogik vom fitneßmaximierenden Darwinischen
Prinzip geprägt wurde. Die Entscheidung für Kinder oder sozialen Erfolg
ist deshalb keine Entscheidung für oder gegen den biogenetischen Imperativ,
sondern lediglich eine taktische Entscheidung für oder gegen eine bestimmnte
Strategie, ihm zu gehorchen! .... Es erscheint nicht abwegig, daß während
des Pleistozäns,
also während jener 99,7% unserer Geschichte, in der Menschen als Wildbeuter
den formenden Einflüssen der natürlichen Selektion ausgesetzt waren,
die individuellen Reproduktionserfolge nicht durch die Anzahl der Konzeptionen
beschränkt waren, sondern von der Verfügbarkeit der immer irgendwie
knappen Ressourcen. Nicht Maximierung der Fertilität, sondern Maximierung
der Aufzuchtleistung wurde genetisch belohnt .... Vielleicht zéigt sich
in der bevorzugten Wahrnehmung ökonomischer Opportunitäten, die für
Frauen zu Lasten reproduktiver Erfolge geht, eine im Pleistozän erworbene
und evolutiv fixierte, an Bedingungen latenter Ressourcenknappheit angepaßte
Präferenz, die unter modernen Bedingungen im Durchschnitt nicht mehr zu fitneßmaximierenden
Resultaten führt. Wie dem auch sei, eine mögliche Diskrepanz zwischen
einem theoretisch maximal möglichen und dem tatsächlichen Reproduktionserfolg
ändert nichts an der Tatsache, daß die Mechanismen der Verhaltnessteuerung
aus der Stammesgeschichte resultieren und Bestandteil unserer adaptiven bilogischen
Ausstattung sind. Das ökologische und soziokulturelle Milieu, in dem sich
die Hominisation mit den sie kennzeichnenden Anpassungsvorgängen abgespielt
hat, ist nicht identisch mit den zeitgenössischen oder historisch noch halbwegs
überschaubaren Lebensbedingungen, also mit jenem überaus kurzen Ausschnitt
aus der menschlichen Geschichtlichkeit .... Zu den frühesten Ergebnissen
verhaltensökologischer Theoriebildung gehört die Einsicht, daß
Organismen in ihrem Leben entweder viele Nachkommen zeugen, in die sie dann allerdings
vergleichsweise wenig investieren, oder aber im reproduktionsgeschäft auf
weniger, dafür aber gut ausgestattetet Nachkommen setzen. Dieser Quantität/Qualität-Abgleich
ist zwangsläufig notwendig, weil elterliche Investmentmöglichkeiten
immer irgendwie begrenzt sind. Je nach Art der Selektionsfaktoren favorisiert
die natürliche Selektion eher die eine oder die andere Strategie. .... Im
Verlauf ihrer Stammesgeschichte haben Menschen generell eher die zweite Option
verfolgt und damit einen Evolutionstrend innerhalb der Primatenreihe fortgesetzt.
( )
.... Aber auch innerhalb der Kollektive kommt es je nach sozialer Schichtzugehörigkeit
der Eltern zu unterschiedlichen Justierungen in der Quantität/Qualität-Koordinate.
Dabei zeigt sich interessanterweise, daß genau die Gruppen, die aufgrund
ihrer sozialen Potenz besser als andere das zukünftige Schicksal ihrer Kinder
beeinflussen konnten, auch tatsächlich diejenigen waren, die historisch damit
begonnen haben, auf Kosten der Kinderzahl vermehrt in die soziale Konkurrenzfähigkeit
ihrer Nachkommen zu investieren. (Demographisch-ökonomisches
Paradoxon: Je mehr Kinder die Menschen sich leisten könnten, desto weniger
haben sie!). Der mit dem demographischen Übergang ( )
verbundene Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahl pro Familie ist aus
biologischer Sicht eine durchaus angepaßte reproduktionsstrategische Antwort
auf veränderte Investitionsmöglichkeiten .... Die auf Kosten/Nutzen-Abwägungen
beruhende »Quasi-Rationalität« menschlicher Reproduktion manifestiert
sich freilich nicht allein in Fruchtbarkeitsentscheidungen, sondern umfaßt
auch das postnatale Fürsorgeverhalten. .... Das menschliche Brutpflegesystem
ist von der natürlichen Selektion so modelliert worden, daß es - unter
gegebenen Umständen - je nach Geschlecht der Kinder, ihrem Geburtstag und
der genetischen Verwandtschaft zu ihnen (um nur einige der wichtigsten Merkmale
zu nennen) zu unterschiedlichen Fürsorgeverhalten motiviert. (Eckart
Voland, Fortpflanzung: Natur und Kultur im Wechselspiel, 1992, S. 347-348,
354-359 ).
 Daß
die Konkurrenz zwischen Gruppen und nicht zwischen Individuen stattfindet - dies
behaupteten schon früh einige Gegner von Darwins Survival of the Fittest.
( ).
Einer dieser Gegner war z.B. der Staatssoziologe Ludwig Gumplowicz (1838-1909),
der auch das Konzept vom Resultat der Höherentwicklung ablehnte.
Es sind auch nicht ihr innewohnende natürliche Anlagen, die den Erfolg einer
Gruppe bewirken, sondern ihre überlegene soziale Organisation. Eine darüber
hinausgehende Qualität ist mit einer höheren gesellschaftlichen Positionierung
nicht verbunden, diese ist zudem beständig durch die Beherrschten in Frage
gestellt. Der Sozialdarwinismus ist somit laut Gumplowicz eine Rechtfertigungsideologie
für Klassenherrschaft und nicht eine wissenschaftliche Begründung. ( ).
Die Rassen - soziologisch verstanden als soziale Gruppen
- mit ihrem Kampf seien die treibende Kraft der Geschichte. Zu sozialen Vorgängen
und somit auch zum Staat komme es nicht durch freie Individuen, sondern durch
die Unterwerfung einer Gruppe durch eine andere. Dies sei der ereignisgeschichtliche
Grund dafür, daß Recht ohne Ungleichheit nicht vorstellbar ist. Außerdem
gibt es kein überzeitliches Recht, sondern nur ein situativ gebundenes. Die
Abschaffung der Klassen und ihres Gegensatzes sei gleichbedeutend mit der Abschaffung
des Staates und der Begründung von Anarchie, und dies könne, so Gumplowicz,
keinesfalls als moralischer Fortschritt angesehen werden, sondern
im Gegenteil: als Rückschritt, weil der Staat, unbeschadet der in ihm zum
Ausdruck kommenden Herrschaftsverhältnisse eine Kulturleistung
ist - nicht zuletzt verdankt ihm ja auch das Recht seine Entstehung. Die Theorie
des Rechtsstaats, deren mustergültige und abschließende Formulierung
laut Gumplowicz Robert Mohl (1799-1875) zu verdanken sei, sei ein Kompromiß
zwischen den beiden antagonistischen Prinzipien der (absolutistischen) Herrschersouveränität
und der (demokratischen) Volkssouveränität. Ihr zufolge gründe
die Herrschaft nicht im Herrscher, sondern im Staat, der das Recht als ihren Zweck
bestimmt und ihr damit die Grenzen setzt. Das Recht, das den Herrschenden zur
Durchsetzung aufgegeben ist, steht auch über ihnen selbst. Ihnen die Befugnis
einzuräumen, nach Belieben mit ihm zu verfahren, wäre somit paradox.
Und die Gleichheit vor dem Gesetz ist allenfalls im Privatrecht möglich,
denn nur hier trete der Staat nicht als Partei auf, sondern sei bestrebt, durch
sein Machtwort anders nicht zu findende Entscheidungen herbeizuführen, um
den inneren Frieden zu wahren. Die Verpflichtung auf politische Freiheits-, Gleichheits-
und gar Mitwirkungsrechte muß jeden realen Staat überfordern. Politische
Freiheit und rechtliche Gleichheit mögen konstitutionell verbürgt und
sogar demokratische Partizipation unter Anwendung des Mehrheitsprinzips zugelassen
sein: es herrsche dennoch weiterhin eine Minderheit, und dies könne auch
gar nicht anders sein. Die systematische Diskreditierung der beschworenen Prinzipien
durch die Realität läßt sich nicht verbergen. Allen theoretischen
Bemühungen, einen einmal erreichten staatlichen Zustand als den Rechtsstaat
und damit die 1789 begonnene Revolution für beendet zu erklären,
mangelt es an Glaubwürdigkeit, Die sozialistische Kritik hat leichtes Spiel,
und sie kann vor allem eine plausible Ursache dafür identifizieren,
daß politische Freiheit und rechtliche Gleichheit bislang noch nicht mit
Leben erfüllt wurden: die materielle Ungleichverteilung. (Vgl.
Peter Boßdorf, Ludwig Gumpowicz als materialistischer Staatssoziologe,
2003). - Ludwig Gumplowicz, der eine Übertragung von Erklärungsmustern
aus der Biologie auf die Soziologie ablehnte und auch die organische Staatsauffassung
seines Zeitgenossen Albert Schäffle (1831-1903) scharf kritisierte (vgl.
Organismustheorie),
wurde schon zu seinen Lebzeiten als Einzelgänger bzw. Außenseiter angesehen,
doch trotz (oder wegen?) seines Einzelgängertums war er ein Soziologist.So
forderte z.B. der Sozialdarwinist Sumner, daß der Wettbewerb - darwinistisch
gesagt: Auslesprozeß - nicht durch humanitär gestimmte Reformen und
staatliche Sozialgesetzgebung beeinträchtigt werden dürfe, damit sich
die Tüchtigsten durchsetzen können. Laut Darwin heißt das Lebensprinzip
Kampf ums Dasein (und der Fitteste überlebt); laut Sumner heißt
das Gesellschaftsprinzip Kampf um Lebenschancen (und der Tüchtigste
gewinnt). In der Evolution führt laut Darwin der Kampf ums Dasein
zur Differenzierung bzw. Vielfalt der Arten; in der Geschichte führt laut
Sumner der Kampf um Lebenschancen zur Vielfalt bzw. Differenzierung der
Talente.Die Organismustheorie ist ein
theoretischer Ansatz in Geschichtsphilosophie, Kulturphilosophie (vgl. auch: Lebensphilosophie)
und Soziologie, der von der Vorstellung der Ganzheit und Einheit der Gesellschaft
(Gemeinschaft) ausgeht - im Gegensatz also zur individualistischen
Interpretation, die von der Ganzheitslehre (auch Holismus genannt) allenfalls
als bloße Summation oder Aggregation von handelnden Individuen
angesehen wird. Die Hervorhebung der gesellschaftlichen Ganzheit ist verbunden
mit der Betonung ihrer Gliedhaftigkeit, d.h. der Unselbständigkeit ihrer
Teile und der prinzipiellen Abhängigkeit aller Teile von einem umschließenden
Gemeinsamen. Der Gedanke dieser Gliedhaftigkeit der Teile zum Ganzen leitet über
zum Gliederbau, d.h. zur harmonischen, proportionierten, ausgelichenen und im
gesunden Zustand konfliktfreien Struktur, innerhalb derer jedes Teil
seine Aufgabe, seinen Zweck zur Erhaltung und Förderung des Ganzen erfüllt.
Auf diese Weise wird die Gesellschaft zum organismus umgedeutet. im dem alles
nach immanenten Gesetzen verläuft und mechanistische Kausalität ebenso
ausgeschlossen ist wie die subjektive Willkür irgendeines Teiles. Gesellschaftliche
Prozesse erhalten dadurch die Weihe des Natürlichen, Unabänderlichen.
In einer für die deutsche Soziologie richtungweisenden Differenzierung trat
die Organismustheorie z.B. bei Ferdinand Tönnies (1855-1936) in der Unterscheidung
von Gemeinschaft und Gesellschaft auf, denn diese zwei Grundbegriffe bringen die
prinzipielle Verschiedenheit von organischer und mechanischer Auffassung zum Ausdruck.
Gegenüber der willkürlichen, künstlich aus den Interessen autonomer
Individuen kontraktuell entstandenen Gesellschaft ist die Gemeinschaft ein
gewachsenes, lebendiges, in ihrem eigenen Zweck beschlossenes soziales
Gebilde. Auch z.B. die universalistische Gesellschaftslehre von Othmar Spann (1878-1950)
behauptet, daß die Gesellschaft nicht als die Summe oder das Produkt autonomer
Individuen, sondern selbst als gliedhafte, funktional interdependente Ganzheit
sui generis zu betrachten ist. Andere, wie z.B. Herbert Spencer (1820-1903),
erkannten in der natürlichen und sozialen Welt ein allgemeines Entwicklungsgesetz,
wonach für organische Lebewesen wie für soziale Gebilde nach den gleichen
Prinzipien Wachsen und Vergehen sowie die Prinzipien des inneren Aufbaus und Funktionierens
der Teile erklärt werden können (vgl. Biosoziologie; vgl auch die von
Goethe
benutzte Analogie aus der Botanik: Spiraltendenz).
- Den natürlichen Organismen vergleichbar bilden die in einer gegenseitigen
Abhängigkeit aufgebauten (Positionen) und ablaufenden (Rollen) Handlungen
einen Zusammenhang, der für die Existenz des Handlungssystems (= Gemeinschaft/Gesellschaft)
notwendig ist und der wiederum die Handlungseinheiten einer Tendenz zur Anpassung
an die Systemnotwendigkeiten unterwirft.Das
Abendland (Alt-Europa / West-Europa)
hat seit seinem Ursprung, seit seinem von Kontrollgenen (Germanen)
gesteuerten Keim, einen Kern, ein Herz (Deutschland),
aber auch Grenzen! Die Grenze der abendländischen Kultur lag immer
dort, wo die deutsche Kolonisation zum Stillstand gekommen war. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 17). Das Abendland bzw. Europa
muß auch heute (als EU
!) zu seinen Grenzen stehen, denn es kommt nicht einseitig darauf an, unsere Nachbarn
zu verstehen; noch mehr kommt es nämlich darauf an, daß wir
wieder lernen, uns selbst zu definieren, z.B. auch um zu verhindern, daß
wir uns gar nicht mehr begreifen - wie sie uns (!). Nur ein Dummkopf kann
sich heute schämen, ein »alter
Europäer« zu sein. (Peter Scholl-Latour, Rumsfeld gegen
das »Alte Europa«, in: Weltmacht im Treibsand, 2004, S.
14 ).
In meinen Augen sind die russischen Gebiete nie Teil Europas gewesen. Sie
haben kein europäisches Bürgertum, keine Bürgerstädte, keinen
europäischen Adel, keine europäischen Bauern gehabt; sie haben keine
Reformation erlebt, keine Wissenschaftsrevolution, keine Aufklärung; und
seit Peter dem Großen jagt nun Rußland - und die Bolschewiken haben
das noch mal 70 Jahre getan - in einer atemlosen Aufholjagd hinter Europa her,
um endlich sozusagen europaähnlich zu werden, aber es ist nicht Europa! ( ).
Und dasselbe gilt seit Kemal Atatürk, also seit den 1920er Jahren, für
die Türkei in noch viel strengerem Maße. (Hans-Ulrich Wehler,
im Fernsehsender ZDF: Wo endet Europa?, in: Im Glashaus - Das Philosophische
Quartett, 02.05.2004). Ähnlich wie Wehler argumentiert auch Huntington
( ).Die
EU
hat nicht einmal riskiert ..., ihre Grenzen
im Osten, im Südosten und im Mittelmeerraum zu definieren. ( ).
Freundschaftliche Nachbarschaft darf nicht quai-automatisch auf Vollmitgliedschaft
in der EU hinauslaufen. Sie muß ein Privileg bleiben, Dutzende von anderen
Möglichkeiten erlauben auch noch enge Beziehungen. Weißrußland,
die Ukraine, Rußland selber haben nie zu Europa gehört. Wehler
betont immer wieder, daß dort das Europäische immer schon fehlte, fehlt
und wohl auch in Zukunft fehlen wird, denn es gab dort z.B. keine Reformation,
keine Renaissance, keine Wissenschaftsrevolution, keine Aufklärung u.s.w.;
es gab dort kein Bürgertum, keine autonomen Städte, keinen Adel
und keine Bauernschaft wie in Europa. (Hans-Ulrich Wehler, Konflikte
zu Beginn des 21. Jahrhunderts, 2003, S. 65).  Das
Wort Europa war im Abendland anfangs selten zu hören, danach
lediglich ein gelehrter Ausdruck der geographischen Wissenschaft, die sich seit
der Entdeckung Amerikas (1492)
am Entwerfen von Landkarten entwickelt hatte, bevor es später
allmählich immer mehr und unvermerkt auch in das praktische politische
Denken und die geschichtliche Tendenz eindrang. (Vgl. Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung, 1933, S. 17; vgl. auch meine Definition für Europäismus).
Je häufiger Europa
zu hören war (ist), desto moderner wurde (wird) die Moderne.
Der Begriff Europäismus, für mich ein Synonym für die
abendländische Moderne, betrifft alles, was die abendländische Kultur
aus einem Selbstverständnis heraus in Verbindung mit Europa brachte, bringt
und bringen wird. Eines der frühen Beispiele hierfür ist Karl
der Große (747-814; 754 Königssalbung, 768 König, 800 Kaiser),
der Vater Europas genannt wurde. Der Begriff Europa war
im Abendland zwar von Beginn an präsent, wurde aber erst später häufiger
(vor allem auch im geographischen Sinne) verwendet, z.B. seit der Neuzeit
und besonders seit der Industriellen
Revolution (bzw. seit der Bürgerlich-Napoleonischen-Revolution
).
 Russische
Kultur (im engeren Sinne) ist auch slawische Kultur (im weiteren Sinne), und damit
sind in erster Linie die von der griechischen Christen-Orthodoxie
(griechisch-orthodoxe Christenheit) bekehrten Menschen gemeint: Russen, Weißrussen,
Ukrainer, Moldawier, Rumänen, Bulgaren, Serben u.a. - und als deren Bekehrer
auch die Griechen. Es handelt sich hierbei also nicht nur um Slawen. Erst an zweiter
Stelle geht es hier also um die Völker slawischer Sprachen, zu denen bekanntlich
auch Polen, Tschechen, Slowaken, Slowenen, Kroaten u.a. zu zählen sind. Diese
Slawen sind jedoch (wie auch die Ungarn und Skandinavier) von Deutschen bekehrt
worden und deshalb zumeist katholische Christen. Während also die westlichen
Slawen von den Deutschen abendländisiert (verwestlicht) worden sind,
sind die östlichen Slawen von den Griechen morgenländisiert worden.
( ).
So kann man alle Christ-Orthodoxen, ob z.B. griechisch-orthodox, serbisch-orthodox
oder russisch-orthodox, als eine mögliche Kultur ansehen - ansonsten
bliebe sie Aufgabe der Russen allein, nur: die Russen sind dazu nicht fähig
! ( ).
Spengler nannte das Ursymbol des Russentums die unendliche Ebene
(ebd., S. 259) und die russische Seele die willenlose Seele; sie
sucht in der Brüderwelt, der horizontalen, dienend, namenlos,
sich verlierend aufzugeben. (Ebd., S. 394 ).
 Der
Panslawismus ging hervor aus dem Slawophilentum: einer geistigen Bewegung der
Slawen unter Berufung auf die Geschichtsphilosophie von Hegel
(1770-1831) und auf das besonders von Herder
(1744-1803) geweckte Interesse für die slawischen Völker sowie aus dem
Bedürfnis einer Überwindung des Kulturminderwertigkeitslomplexes angesichts
der ihnen weit überlegenen westlichen Kultur. Der Terminus Panslawismus wurde
zunächst für die slawische Sprachverwandtschaft (z.B. allslawisch)
eingeführt, bekam in den 1830er Jahren politische Stoßkraft und erhielt
bereits in dieser Zeit auch Wünsche nach nationaler Staatswerdung der slawischen
Stämme. Panslawismus ist somit auch die Bestrebung nach einem politischen
und kulturellen Zusammenschluß aller Slawen. ( ).
In Rußland entwickelte M. P. Pogodin (1800-1875) Ideen über eine russische
Hegemonie über die anderen slawischen Völker. Diese Ideen wurden von
N. J. Danilewski (1822-1885) erweitert und verstärkt. ( ).
Deswegen wurde der Panslawismus allmählich militant. Die Panslawisten gerieten
in eine intolerante Haltung gegenüber der westeuropäischen Denkweise
(dem Westlertum) und dem nicht-orthodoxen Christentum. Der russische
Panslawismus (Panrussismus) wandelte sich immer mehr zu einer Bewegung gegen das
angeblich die Slawen unterdrückende Deutschland, in Wirklichkeit aber sollte
dieser Panrusismus Rußland dazu dienen, die Hegemonie über alle Slawen
übernehmen zu können. Diese politische Richtung beherrschte auch den
Prager Slawenkongress von 1908, doch wollte der dort formulierte Neoslawismus
nicht mehr russische Hegemonie, sondern Rußland und Österreich-Ungarn
als Verbündete. Die Haltlosigkeit dieser Idee besiegelten die bosnische Krise
von 1908, die Balkankriege von 1912 und 1913 und die Julikrise von 1914 (Auslöser
des 1. Weltkriegs). Die heutige Balkankrise, die schon seit 1989 andauert, und
der 1998 begonnene Jugoslawien-Krieg, an dem sich auch die deutsche Rot-Grün-Regierung
(bei Verstoß gegen das Grundgesetz! )
beteiligte, beweisen, daß heute die meisten Westler völlig
verlernt haben, die tatsächlichen Ursachen für Krisen und Kriege
wirklich zu verstehen. Das beste Beispiel hierfür lieferten unsere
verwöhnten Interpreten durch ihre Überreaktion im Jahre
1998.Vgl. Samuel Phillips Huntington
(*18.04.1927), Kampf der Kulturen, 1996, S. 218ff.. Mehr zu Rußland
von Huntington:  Ein
zerissenes Land ist laut Huntington
zwar Teil einer einzigen, herrschenden Kultur, doch die Führer des Landes
haben den Wunsch, es einer anderen Kultur zuzuordnen: Sie sagen praktisch:
»Wir sind ein Volk und gehören gemeinsam an einen Ort, aber wir wollen
diesen Ort ändern«. Etwas ganz anderes sei, so Huntington, ein gespaltenes
Land, das große Gruppen aus zwei oder mehr Kulturen umfasse, die
praktisch sagen: »Wir sind verschiedene Völker und gehören zu
verscheidenen Orten«. Die Kräfte der Abstoßung sprengen sie auseinander
... Laut Huntington gravitieren sie zu kulturalistischen Magneten in anderen
Gesellschaften. Anders als die Menschen in einem gespaltenen Land seien
die Menschen eines zerrissenen Landes sich darüber einig, wer sie sind,
aber uneinig darüber, welche Kultur eigentlich ihre Kultur ist.
(S. P. Huntington, Kampf der Kulturen, 1996, S. 216-217).Fjodor
Michailowitsch Dostojewski (1821-1881) wurde wegen Teilnahme an Treffen des utopisch-sozialistischen
Petraschewski-Kreises zum Tode verurteilt, kurz vor der Hinrichtung zu 4jähriger
Verbannung nach Sibirien begnadigt. Vgl. Dostojewskis Werke  Das
Reich der Seleukiden,
einer hellenistischen Herrscher-Dynastie, entstand (aus der ehemaligen Satrapie
Babylon) in der Zeit der Diadochenkämpfe (323-281) und umfaßte um 312-284
ein Territorium vom Ägäischen Meer bis nach Ost-Gedrosien (etwa Belutschistan
im östlichen Iran) und Arachosien (östlicher Iran und Süd-Afghanistan,
um Kandahar), vom Kaukasus bis zum Persischen Golf. Es zerfiel zunächst durch
Selbständigwerden einzelner (z.T. nie ganz unterworfener) Gebiete wie z.B.:
Bythinien (endgültig 297), Pergamon (280 / 262), Partherreich (ab 250 / 247),
Baktrien (endgültig wohl 239 / 238), Judäa (ab 167). Dazu kamen die
Kriege an die Ptolemäer (bzw. Ptolemaier in Ägypten) in den Syrischen
Kriegen (ab 274); 188 ging West-Kleinasien an Pergamon und Rhodos, 129 Mesopotamien
an die Parther verloren. Den Reststaat wandelte Pompeius
in die römische Provinz Syria um (64-63).Gnaeus
Pompeius
(29.09.106 - 28.09.48) machte während seiner Neuordnung des Ostens (64-63)
Syria, Pontus und Cilicia zu römischen Provinzem und Armenia, Cappadocia,
Galatia, Colchis und Judaea zu Klientelstaaten.Das
Reich der Sowjets, einer europäistischen Herrscher-Dynastie,
entstand, weil in Rußland ganz bestimmte europäische Autoritäten,
z.B. vor allem Hegel,
und deren Botschaften wie eben der Hegelianismus,
von den geistigen Hintergründen der (slawisch-russischen) revolutionären
Bewegung, und zwar beginnend mit dem Panslawismus
( )
, nicht zu trennen sind und folglich die radikale Variante des Linkshegelianismus,
der Marxismus,
nach der 1917 erfolgten Revolution hier und nur hier zur Basis werden
konnte. ( ).
Die europäische Vorherrschaft (für Russen immer schon fern liegend)
wird sich nach und nach verwandeln in eine amerikanische Vorherrschaft (für
Russen noch ferner liegend). Die früheren sowjetischen Gebiete wie Kasachstan,
Usbekistan, Turkmenistan, Aserbaidschan und Armenien sind schon heute mehr oder
weniger (Öl-)
Klientelstaaten der USA. Sie haben hier längst auch militärische Stützpunkte
errichtet. ( ).
Rußland ist immer noch ein Entwicklungsland, wie auch Ex-Bundeskanzler Helmut
Schmidt betont und hinzügt: Das im Laufe seiner Geschichte leidgeprüfte
russische Volk erträgt seine Situation mit einem für Westeuropäer
erstaunlichen Gleichmut.
(Helmut Schmidt, Die Mächte der Zukunft, 2004, S.178-179).Rußland
schwankt immer zwischen großer und nicht ganz so großer Orientierungskrise.
Es scheint immer nur die 'Wahl zwischen Pest und Cholera' zu haben. In der russischen
Geschichte ist bisher jede 'West-Orientierung' früher oder später gescheitert,
und das erste slawische Zur-Welt-Kommen,
der Selbstversuch (Panslawismus),
mißglückte angesichts der weitaus überlegenen westlichen (= germanisch-abendländischen)
Kultur. Und auch der Bolschewismus
war und ist ja eine Orientierung am Westen: am Kommunismus bzw. Sozialismus der
Deutschen Karl Marx
(1818-1883) und Friedrich Engels
(1820-1895). Fast alle russischen Herrscher waren 'Deutschland-Schwärmer'.
Ihre Vorliebe galt meistens Deutschland oder Holland, manchmal auch England, aber
genützt hat es in Rußland immer nur wenigen 'Feudalisten'. Rußland
schaffte es nie wirklich, das zu werden, was es nach Meinung der Herrscher werden
sollte: westlich; denn Rußland war nie Teil der abendländischen Kultur,
und konnte es deshalb auch mit bestem Willen nie werden. Russen wurden ja auch
nicht von Deutschen christianisiert wie andere Slawen, z.B. Polen, Tschechen,
Slowaken, Slowenen, Kroaten u.a. ( )
, doch auch die blieben eher 'abendländische Sklaven' (wie ihr Name verrät:
Slawen = Sklaven) und beklagen noch heute lieber ihre Opferrolle als sich selbst
aktiv zu beteiligen. Diebstahl und andere Verbrechen sind für Slawen keine
Delikte, sondern Alltag. Auch Rußlands Präsident Putin schwärmt
für Deutschland, wie schon vor ihm Zar Peter I., seine Nachfolger und die
Sowjet-Kommunisten. Doch genau wie sie versucht auch Putin, Rußland mit
aller Gewalt zu verwestlichen, während der Westen (vor allem Westeuropa mit
seiner 'Schwäche-Strategie'!) Rußland integrieren will (?), obwohl
Rußland ständig gegen die Menschenrechte verstößt, die Mafia
nicht kontrollieren kann (will?), das Volk auf den Müllhalden verhungern
läßt, die Straße der Kriminalität und dem extremistischen
und terroristischen Mob überläßt sowie überhaupt einen Staatsterrorismus
pflegt, der dem israelischen Staatsterrorismus ähnelt und deshalb nicht besser,
sondern nur staatlicher ist als der islamistische Terrorismus. (Vgl. Islamismus
und Primitivismus).Nimmt man Marx
(ähnlich: Engels;
Anm HB) beim Wort, war auch ihm das Motiv einer Kehre des Kapitalismus
gegen sich selbst nicht fremd ( ).
Er hat, im Gegenteil, nie aufhören wollen zu glauben, daß erst die
»Vollendung« der kapitalistischen Umwälzung aller Dinge, und
nur sie, imstande wäre, eine neue Wirrtschaftsweise aus sich herauszutreiben.
Die Möglichkeit der Kehre, die Revolution heißt, wird im Bogen der
Evolution selbst erzeugt. Die ganze Fatalität des Marxismus liegt in seiner
Unentschiedenheit hinsichtlich der Frage, wieviel Zeit der kapitalistische Prozeß
im ganzen braucht, um die Voraussetzungen für die postkapitalistische Umlenkung
des Reichtums zu produzieren. Aus heutiger Perspektive ist evident, daß
das große Match des Kapitals um 1914 allenfalls bis zur Halbzeit gespielt
war. Ihm stand noch eine lange Serie von Steigerungen, Auseinandersetzungen und
Sturmläufen bevor, weswegen es weit davon entfernt war, sich selbst zugunsten
einer nachfolgenden Formation transzendieren zu können. Die Führer der
russischen wie der chinesischen Revolutionen waren völlig im Unrecht, wenn
sie sich auf Marxsche Theorien beriefen. Beide politische Unternehmen stellten
Amalgame aus politischem Fundamentalismus und kriegerischem Opportunismus dar,
durch die jeder Sinn für Wirtschaftserfolg, Evolution und Reihenfolge verlorenging.
Während den Basistexten von Marx zufolge die postkapitalistische Situation
nur als die reife Frucht des »zu Ende« entwickelten Kapitalismus vorgestellt
werden durfte, haben Lenin und Mao aus dem Prinzip der terroristischen Ausnutzung
unreifer Verhältnisse den Schlüssel zum Erfolg gemacht. Nach ihren Darbietungen
ist evident geworden, was das Diktum vom »Primat der Politik« in radikaler
Interpretation besagt. Man muß zugeben, daß das Konzept des »vollendeten
Kapitalismus« für seine Interpreten voller Zumutungen steckt, heute
nicht weniger als zu Marx' und Lenins Zeiten. Es verlangt von seinen Benutzern
einen Grad an Einsicht in die noch unrealisierten Potentiale der ökonomischen,
technischen und kulturellen Evolution, den sie aus begreiflichen Gründen
nicht erreicht haben können. Zudem fordert es von den Benachteiligten des
Spiels ein Maß an Geduld, das aufzubringen ihnen unmöglich zuzumuten
wäre, wenn sie wüßten, wohin für sie die Reise führt
und wie lange sie dauert. So verwundert es nicht, wenn die Denkfigur »reife
Verhältnisse« den Kommunisten über den Kopf wuchs, indem sie gerade
dort die Revolution erzwangen, wo die Evolution ihre Arbeit kaum begonnen hatte
und fruchtbare eigentumswirtschaftliche Verhältnisse noch auf ganzer Linie
fehlten. Als Evolutionsbetrüger ohne Vorgänger versuchten sie sich an
dem Kunststück, über den Kapitalismus hinauszugehen, ohne ihn gekannt
zu haben. Die Flirts der Sowjets unter Stalin und der Chinesen in der Maozeit
mit der beschleunigten Industrialisierung waren kaum mehr als ohnmächtige
Bemühungen, den evolution ären Schein zu wahren. In Wahrheit war die
Leninsche Wahl des revolutionären Moments von Anfang an rein opportunistisch
motiviert - der Machiavellischen Lehre von der günstigen Gelegenheit gemäß
-, und Mao Zedongs analoge Angriffe waren in noch höherem Maß voluntaristisch
verzerrt. Übereilung blieb das Kennzeichen aller Initiativen, die von Revolutionären
dieses Schlages im Namen einer nachkapitalistischen Zukunft ausgingen. Wo aus
sachlogischen Gründen mit Jahrhunderten zu rechnen gewesen wäre, wurden
ohne jedes zureichende Motiv - da Ungeduld und Ambition nie genügen - nur
wenige Jahrzehnte in die historischen Rechnungen eingesetzt, bei den Ultras sogar
nur wenige Jahre. Die verzerrte Optik, mit welcher der revolutionäre Wille
seine Pläne rechtfertigte, ließen das kriegerische Chaos, das postzaristische
in Rußland, das nachkaiserliche in China, wie eine jeweils »reife
Situation« erscheinen. Tatsächlich produzierte der Kommunismus nicht
eine postkapitalistische, sondern eine postmonetäre Gesellschaft, die, wie
Boris Groys gezeigt hat, das Leitmedium Geld aufgab, um es durch die reine Sprache
des Kommandos zu ersetzen, hierin einer orientalischen Despotie (und einem verkrüppelten
Philosophenkönigtum) nicht unähnlich. (Vgl. Boris Groys, Das kommunistische
Postskriptum, 2006). Der Geburtsfehler der kommunistischen Wirtschaftsidee
lag jedoch nicht allein in der magischen Manipulation des evolutionären Kalenders.
Es ist ja nie ausgeschlossen, daß eine Revolution der Evolution zu Hilfe
kommt. Ihr unheilbares Gebrechen war das glühende Ressentiment gegen das
Eigentum - das man gern mit der bitter gefärbten Bezeichnung »Privateigentum«
belegte (auch bekannt als »Privateigentum an Produktionsmitteln«)
-, als ob man alles Private per se zum Geraubten erklären wollte.
Dieser Affekt mag sich auf hohe moralische Prinzipien berufen - er ist jedenfalls
außerstande, dem Wesen der modernen Ökonomie, die von Grund auf Eigentumswirtschaft
ist, gerecht zu werden. Nach einem von Gunnar Heinsohn geprägten Vergleich
kommt die kommunistische Absage an das Prinzip Eigentum dem Kunststück gleich,
ein Fahrzeug zu beschleunigen, indem man den Motor aus ihm entfernt. (Zur diskursiven
Begründung des Bildes vgl. Gunnar Heinsohn / Otto Steiger, Eigentumsökonomik,
2006). Mehr noch: Die sich von Marx herleitenden Bewegungen der Linken (wie auch
manche ihrer rechtsfaschistischen Rivalen) konnten ihr Mißtrauen gegen den
Reichtum als solchen zu keiner Zeit ablegen, selbst dann, wenn sie, an die Staatsmacht
gelangt, laut verkündeten, ihn intelligenter erzeugen und gerechter verteilen
zu wollen. Ihre ökonomischen Fehler waren stets zugleich psychopolitische
Geständnisse. Dem Kommunismus an der Staatsmacht war die Befriedigung des
philisterhaften Enteignungsrauschs und des Verlangens nach Rache an den Privatvermögen
im ganzen stets viel wichtiger als die Freisetzung der Wertströme. Daher
blieb von dem großen Elan der egalitaristischen Menschheitswende schließlich
nicht viel mehr übrig als die unverhohlene Selbstprivilegierung der Funktionäre
- um von dem Erbe an Paralyse, Resignation und Zynismus nicht zu reden. .... Wer
heute die Erinnerung an den sowjetischen Kult um die »Helden der Arbeit«
bloß für ein wirtschaftsgeschichtliches Kuriosum hält, sollte
bedenken, daß der linke Produktivismus den Versuch bedeutete, einen Hauch
von Größe in ein System zu tragen, das unter seinen eigenen vulgären
Prämissen litt. - Die in Nietzsches Moralkritik latent enthaltene thymotische
Ökonomie stimuliert eine alternative Geldwirtschaft, in der Reichtum in Verbindung
mit dem Stolz auftritt. Sie will dem modernen Wohlstand die klagende Maske vom
Gesicht reißen, hinter der sich die Selbstverachtung von kleinlichen Besitzern
großer und sehr großer Vermögen verbirgt - eine Verachtung, die
im Sinn der platonischen thymós-Lehre völlig legitim ist, da
die Seele der Vermögenden sich zu Recht selbst angreift, wenn sie nicht aus
dem Zirkel der Unersättlichkeit herausfindet. Dagegen hilft auch das milieuübliche
Kulturgetue nicht - das Interesse an Kunst ist in der Regel nur das Sonntagsgesicht
der Gier. Die Heilung von der Selbstverachtung fände die Seele der Vermögenden
allein in den schönen Handlungen, die den inneren Beifall des vornehmen Seelenteils
zurückgewinnen. - Die Thymotisierung des Kapitalismus ist keine Erfindung
des 20. Jahrhunderts; sie mußte nicht auf Nietzsche und Bataille warten,
um ihren modus operandi zu entdecken. Sie ist von sich her immer dann am
Werk, wenn der Unternehmermut Neuland betritt, um die Voraussetzungen für
neue Wertschöpfungen und deren distributive Ausstrahlungen zu schaffen. Was
schöpferische Aggression angeht, brauchte der Kapitalismus zu keiner Zeit
Nachhilfeunterricht seitens philosophischer Mentoren in Anspruch zu nehmen. Daß
er dabei allzusehr unter moralischen Hemmungen gelitten habe, wird man nicht sagen
können. Doch auch nach seiner generösen Seite hin hat er sich eher eigensinnig
und abseits der Philosophie entwickelt, allenfalls von christlichen Motiven inspiriert
... Einer der bekanntesten Fälle von generösem Geben aus Kapitalgewinnen
ist mit dem Namen Friedrich Engels verknüpft, der über dreißig
Jahre hin die nicht allzu üppigen Überschüsse aus seiner Fabrik
verwendete, um die Familie Marx über Wasser zu halten, indessen deren Vorstand
die Zuwendungen benutzte, um die Ordnung der Dinge zu verwerfen, in der ein Engels
möglich und nötig war. Wie dem auch sei, die Großzügigkeit
der Geber läßt sich nicht auf den Liberalismus der »kleinen Taten«
reduzieren, wie er für bürgerliche Reformansätze bezeichnend war.
Es wäre gleichfalls unangebracht, solche Gesten als Paternalismus abzufertigen.
In ihnen wird eher der metakapitalistische Horizont erkennbar, der sich abzeichnet,
sobald sich das Kapital gegen sich selber kehrt. - »Der Mensch strebt nicht
nach Glück; nur der Engländer tut das.« (Friedrich Nietzsche,
Sprüche und Pfeile [12.], in: Götzen-Dämmerung, 1889).
Als Nietzsche dieses Bonmot notierte, ließ er sich wohl zu sehr von den
antiliberalen Klischees seiner Zeit bestimmen. Was den Aphorismus trotzdem bedeutend
macht, ist der Umstand, daß er an eine Zeit erinnert, in der der Widerstand
gegen die Propaganda der Erotisierung und Vulgarisierung sich auf die heute fast
vergessenen Regungen des Stolzes und des Ehrgefühls berufen konnte. Sie brachten
eine Kultur der Generosität mit bürgerlichem Antlitz hervor - ein Phänomen,
das in den Zeiten der anonymen Fonds zunehmend verschwindet. Beschränken
wir uns auf die Feststellung, wonach der thymotische Gebrauch des Reichtums in
der angelsächsischen Welt, vor allem in den USA, zu einer gesicherten zivilisatorischen
Tatsache hat werden können, während er auf dem europäischen Festland,
aufgrund von staatsgläubigen, subventionalistischen und miserabilistischen
Traditionen, bis heute nie wirklich heimisch werden wollte. (Peter Sloterdijk,
Zorn und Zeit, 2006, S. 55-61).  Marx
(Engels),
Lenin und Stalin waren und sind noch heute für viele Kommunisten so etwas
wie 'Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist'. ( ).
Stalin (21.12.1879 - 05.03.1953) wurde von vielen Sowjetbürgern ganz sicher
als Gott angesehen, obwohl er mehr als 40 Millionen Menschen in seinen Todeslagern
töten ließ, indem er z.B. willkürlich Namen auf seiner Liste durchstrich
- das reichte, denn den Rest besorgten die Funktionäre. Viele Russen bekunden
noch heute, daß sie damals an Stalin glaubten und ihn (Gott) 'Vater' nannten.
Sie waren festen Glaubens, wenn Stalin sie nicht in die Todeslager bringen würde,
dann seien sie von ihm als 'Gute' auserwählt. Eine Frau z.B., die nichts
verbrochen hatte, behauptet noch heute, daß es damals absolut legal und
legitim gewesen wäre, wenn Stalin sie als Todeskandidatin hätte abholen
lassen. Denn wenn sie ins Todeslager gekommen wäre, dann hätte Stalin
richtig entschieden. Auch wenn sie unschuldig sei, hätte sie kein Recht,
über Schuld und Unschuld zu spekulieren, denn das sei ausschließlich
Stalins Recht gewesen. Davon sei sie überzeugt und daran glaube sie auch
heute noch. Solche unterwürfigen Opferhaltungen und solche grausamen Täterverhaltensweisen
sind, wie alle sadomasochistischen Beziehungen, kaum erklärbar, weil sie
Teil russisch-orthodoxer Religion sind. Verstehen kann man die russische oder
sowjetische Herrscher-Volk-Beziehung nur, wenn man Analogien heranzieht, z.B.
Jesus und seine Jünger - dieses Motiv hat es übrigens auch im stalinistischen
Rußland häufig gegeben: 'Stalin und seine Jünger'! Aus der Überlieferung
kennt man die Bereitschaft von Jesus und den meisten seiner Jünger, ganz
konsequent auch das eigene Leben zu opfern; aber der 'göttliche' Stalin und
seine 'Jünger' opferten in wenigen Jahren nicht sich, sondern mehr als 40
Millionen Menschen. Und tatsächlich: so wie seine Jünger Jesus' Wiederkehr
erwarteten, so erwarten heute nicht wenige Russen die 'Wiederkehr' ihres 'Gottes'
Stalin - trotz seines überdimensionalen Terrors, trotz des Bolschewismus,
des sowjetischen Kommunismus, dieser slawischen Abart eines vom Abendland ('kulturgenetisch')
weitergegebenen Erbes, das der 'Erblasser' Hegel
(1770-1831) 'testamentarisch' so sicherlich nicht beabsichtigt hatte, aber dennoch
aus dem 'Hegelianismus'
hervorging, nämlich als 'Links-Hegelianismus', genauer als 'Marxismus', und
1917 vom völlig rückständigen, 'agrarischen' Rußland mit
'Feudalfreude' als 'Erbgut' angenommen und später in 'Marxixmus-Leninismus'
umbenannt wurde. Vielleicht wird ja darum noch heute (nicht nur) in Rußland
immer noch verdrängt, daß Stalin und seine Funktionäre mindestens
40 Millionen Menschen ermordeten. In den 1990er Jahren gab es in Rußland
jedoch auch einen offeneren, fast sogar schon wissenschaftlichen Umgang mit diesem
Tabuthema. In der heutigen russischen Presse werden die Opfer des Bolschewismus
in der UdSSR von der Oktoberrevolution bis 1989 auf zwischen 40 Mio. und 100 Mio.
Menschen beziffert [vgl. auch: Robert Conquest, Der große Terror,
1992; Anton Antonov-Owssejenko, Stalin - Porträt eines Tyrannen, 1986],
eine historisch singuläre Größenordnung. (Klaus Kunze, Der
totale Parteienstaat, 1994, S. 92). Und die in China herrschende Sprachregelung,
das Erbe Maos sei zu 70% gut, zu 30% schlecht, läßt die 60 bis 70 Millionen
Menschenleben, die auf das Konto des Maoismus nach 1949 gehen, als eine Last erscheinen,
die nur durch die landeseigene Kunst des Bilanzenziehens zu bewältigen ist.
(Peter Sloterdijk, Die thymotische Revolution, in: Ders., Zorn und Zeit,
2006, S. 268). Faßt man diese nach 1949 gemachten Menschenopfer des Maoismus
(60 Mio. bis 70 Mio.) und Menschenopfer des Bolschewismus (40 Mio. bis 100 Mio.)
zusammen, so ergeben sich sogar mindestens 100 Mio. bis 170. Mio. Menschenopfer!
© Hubert Brune, 2001 ff. (zuletzt aktualisiert: 2014).
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