Die Lebensphilosophie
()
fragt nach Sinn, Ziel und Wert des Lebens, besonders dann, wenn sie sich vom theoretischen
Wissen abwendet und der unverfälschten Fülle des unmittelbaren Lebens
zuwendet. Sie will das Leben aus ihm selber verstehen und steht auf der Seite
des Schöpferischen, der Anschauung, der Mystik, des Gefühls, des Instinkts,
also weniger auf der Seite des Intellekts oder des Rationalismus, aber nicht gegen
sie (obwohl der Begriff des Irrationalen dies fälschlicherweise oft vermuten
läßt ),
sondern eher mit ihnen - sozusagen als Ergänzung, als Komplement. Als
Begründer der modernen Lebensphilosophie, die zum Teil auch den Arationalismus
betont, gilt ein Denker, der ausging vom Rationalisten Immanuel Kant (),
weil er ihn, der am Ende des 18. Jahrhunderts die Moderne (das bürgerliche
Zeitalter als Zivilisation, also die moderne Welt )
eingeläutet hatte, ergänzen und vor allem überbieten wollte: Arthur
Schopenhauer.
Alte Schule der Lebensphilosophie
Arthur Schopenhauer (1788-1860) formulierte 1818 im Titel seines Hauptwerks
programmatisch seine Philosophie: Die Welt
als Wille und Vorstellung. Seine
übrigen Werke sind hierzu Kommentar und Detailergänzung. Schopenhauer
ging von zwei Sätzen aus: 1.) Die Welt ist
an sich Wille. 2.) Die Welt ist für
mich Vorstellung. Schopenhauers Hauptwerk beginnt mit dem Satz:
Die Welt ist meine Vorstellung. Also ist die Welt nach Schopenhauer
(im Anschluß an Kant
)
meine Vorstellung oder von mir abhängig,
als Erscheinung bedingt durch die Anschauungsformen Raum und Zeit und
durch die Kategorie der Kausalität. Alles, was Objekt ist, kann dies
nur in bezug auf ein Subjekt sein. Gerade deshalb aber kann die Welt nicht
nur Vorstellung sein: Das Subjekt erkennt wegen der Tatsachen dieser seiner
Welt die eigene Bedingtheit als Subjekt. Der Welt als Vorstellung muß
also noch etwas als Ding an sich ()
zugrunde liegen. Jeder ist sich selbst in zweifacher Hinsicht gegeben,
als Leib und als Wille. Zwischen Wille und Leib
besteht nach Schopenhauer kein Ursache-Wirkungs-Verhältnis, weil
Willensakte und Leibesveränderungen ein Vollzug in zwei Bereichen
sind: Der Leib (und analog die gesamte Welt)
ist die Objektivation des Willens, das heißt: der Leib (und analog
die gesamte Welt) ist der zur Vorstellung gewordene Wille, wobei den Entwicklungsstufen
der Welt als Vorstellung Objektivationsstufen des Willens entsprechen.
Alle Erscheinungen sind nichts als Objektivationen des einen Willens,
der als unerkennbares Ding an sich der Welt zugrunde liegt.
Dieser Wille ist ein vernunftloser und blinder Drang (vgl.
Evolutionstheorie).
Arthur Schopenhauer |
1. Stadium (Winter) | 2.
Stadium (Frühling) | 3.
Stadium (Sommer) | 4.
Stadium (Herbst) | Vor-/Urdenken:
Schopenhauers Vor-/Urphilosophie | Frühdenken:
Schopenhauers Frühphilosophie | Hochdenken:
Schopenhauers Hochphilosophie | Spätdenken:
Schopenhauers Spätphilosophie |
(Dauer: 21 Jahre) | (Dauer:
10 Jahre) | (Dauer: 22 Jahre) | (Dauer:
19 Jahre) | 1788 bis 1809 | 1809
bis 1819 | 1819 bis 1841 | 1841
bis 1860 | Geburt (22.02.) | DIE
WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG | Tod
(21.09.) |
Übergang Schule /
Studium | | | Grundprobleme der
Ethik |
Frühe Kindheit | Grund-
schule |
Lehre, Gymnas.
| 1809 - 1813 |
1813 - 1816 | 1816
- 1818 |
1818
-
1826 | 1826
- 1833 |
1833
-
1841 | 1841 - 1847
| 1847 -
1854 | 1854 - 1860 | |
Das
Wichtigste, was Schopenhauer geleistet hat, entdeckte er bereits sehr früh.
Schon mit 30 Jahren veröffentlichte er sein Hauptwerk Die Welt als Wille
und Vorstellung, von dem aber zunächst kaum jemand Notiz nahm. Doch er
hatte etwas gefunden, das bei Kant, bei Hegel und auch sehr vielen anderen Philosophen
unberücksichtigt geblieben war. Fast alle gingen sie davon aus, daß
der Verstand oder die Vernunft dem Menschen sagt, was er zu tun hat. Und daß
die ganze Aufgabe des Menschen nur darin bestehe, sich möglichst nach dem
zu richten, was die Vernunft diktiert. Doch Schopenhauer mißtraute dem zutiefst.
Und er stellte eine der spektakulärsten Fragen der Philosophie. Sie hieß:
»Kann ich wollen, was ich will?« Die Frage war eine große
Provokation, denn es hing sehr viel daran. Wenn es so sein sollte, daß ich
nicht wollen kann, was ich will, dann war eigentlich alles im Eimer! Dann war
der Wille des Menschen nicht frei. Und wenn es keinen freien Willen gab, dann
spielte die Vernunft eigentlich gar keine Rolle mehr. Und was war dann mit dem
kategorischen Imperativ (),
dem »moralischen Gesetz« meines Verstandes? Er würde völlig
belanglos, denn die Gesetze meines Handels bestimmte ja gar nicht die Vernunft,
sondern der unvernünftige Wille! Und Schopenhauer zog seine Behauptung gnadenlos
durch: Die Kommando-Zentrale im Gehirn ist nicht die Vernunft, sondern der Wille.
Er ist das Unbewußte, das unser Dasein und unseren Charakter bestimmt. Der
Wille ist der Herr, und der Verstand ist sein Knecht. Von den eigentlichen Entscheidungen
und geheimen Beschlüssen des Willens bleibt der Verstand ausgeschlossen,
er hat gar keine Ahnung von dem, was längst ohne ihn abläuft. Nur der
Wille sagt mir, was zu tun ist, und der Verstand folgt ihm. Denn »was dem
Herzen widerstrebt, das läßt der Kopf nicht rein« - das ist der
springende Punkt. Alles andere ist Geschwätz! (Richard D. Precht,
Wer bin ich und wenn ja, wie viele?, 2007, S. 148-149). Die
dem Willen gehorchenden Stufen der Objektivation, von den allgemeinsten Kräften
der Natur bis zum Tun des Menschen, setzte Schopenhauer mit den Urbildern (Ideen)
der Einzeldinge im platonischen Sinne gleich. (Vgl. Platon ).
Die Ideen selbst sind Gegenstand der Künste, die die Objektivationsstufen
des Willens zur Anschauung bringen. Die
Verdrängung des Willens zum Leben ist der Ursprung des Leidens. Dessen endgültige
Überwindung erfordert, den Willen zum Leben durch Abtötung der Bedürfnisse
in der Askese zur Ruhe zu bringen, wodurch der Eingang ins Nirwana,
das bewußtseinslose Nichts erreicht wird. Dieser vom Buddhismus
(Schopenhauer ist für Sloterdijk der 1. Patriarch des Eurobuddhismus
)
übernommenene und auf den Einzelnen bezogene Erlösungsgedanke ist nach
Schopenhauer Ausdruck eines allgemeinen Pessimismus: Die Weltgeschichte hat keinen
Sinn, da sie die Objektivation eines blinden Willens ist, dessen Freiheit Schopenhauer
aber gleichwohl verteidigte.Schopenhauer bestand
darauf, die gegenwärtige erfahrbare Welt mit einem einzigen Satz erklären
zu können: Die Welt ist Wille und Vorstellung. Schopenhauer begann mit der
Vorstellung und einer Negation. Kant ()
hatte gelehrt, daß die von unseren Sinnen aufgenommene Welt nur Erscheinung
ist, und daß die Erscheinung nichts aussagen kann von dem eigentlichen Seienden,
dem Ding an sich ();
daß dies also unerkennbar bleibt. Schopenhauer gab dies zu: die ganze Körperwelt
ist ideal, d.h. unsere Wahrnehmung ist dem Denkgesetz unseres Intellekts unterworfen,
ist nur innerlich dieses Gesetzes möglich. Subjekt und Objekt bedingen einander.
Ohne das Subjekt kann das Objekt nicht gedacht werden. Mit dem Subjekt muß
es fallen. Der Intellekt vermag nur aufzunehmen unter
der Vorstellung von Zeit und Raum, und in kausalen Verbindungen, undurchbrechlichen
Relationen. Zeit und Raum bedingen Nacheinander und Nebeneinander, also die Vielfalt
der Erscheinungen; sie sind darum das principium individuationis, Grund
des Einzelnen. Schopenhauer schrieb 1813 Über
die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Unberührt
von den Stürmen dieses Befreiungsjahres schrieb er im Hotel Ritter
in Rudolstadt diese Abhandlung als Grundlegung seiner Erkenntniskritik, ja seiner
ganzen Philosophie. Der Satz vom Grunde (principium rationis sufficientis,
Satz vom zureichenden Grunde )
besagt: Nichts ist ohne Grund warum es sei. Für alles Bestehende
stellt der Satz des Grundes einen Grund fest, aus dem es rechtmäßigerweise
abgeleitet oder gefolgert werden kann. In allen seinen Gestalten ist der Satz
vom Grunde das alleinige Prinzip und der alleinige Träger aller und jeder
Notwendigkeit. Die Notwendigkeit kommt also nicht dem Dinge an sich zu,
sondern der Vorstellung. Nur Notwendiges kann vorgestellt werden. Der Satz,
daß nichts ist ohne zureichenden Grund seines Seins, wurzelt in folgenden
4 Bereichen: I.) den anschaulichen empirischen Vorstellungen;
II.) den Begriffen, also abstrakten Vorstellungen;
III.) der a priori gegebenen Anschauung von
Raum und Zeit (die also für Schopenhauer nicht absolut sind); IV.)
im menschlichen Willen, der, innerhalb der Erscheinungswelt, streng kausal unter
der Wirkung der Motive handelt. Eine jede Handlung ist die unausbleibliche Folge
des Zusammentreffens eines Motivs mit einem bestimmten Willen. Der Intellekt also
baut die ganze Vorstellungswelt auf. Sie ist an die Vergänglichkeit des Subjekts
gebunden. Über das eigentlich Seiende, das Unveränderliche, Ungeteilte,
Unbedingte, Freie sagt sie nichts. Bis dahin glaubte Schopenhauer mit Kant einig
zu sein. Nun aber machte er die Entdeckung des Dinges an sich, und zwar in seinem
eigenen Wollen. Ein jeder hat die Erfahrung, die Erkenntnis seines eigenen Wollens.
Sie ist unmittelbare Realität, nicht Anschauung, nicht leere Form, nicht
als Gesetz der Vorstellung a priori gegeben. Der Wille ist das unmittelbar
Bekannte; und von ihm ausgehend - nicht umgekehrt - ist der Weg zu suchen zum
mittelbar Bekannten, der in der Vorstellung erscheinenden Körperwelt. Der
Wille ist der Schlüssel zu allem Andern, die enge Pforte
zur Wahrheit. Die ganze vom Intellekt aufgebaute
Welt ist Objektivierung des Willens in ihm. Das ist die kühne Verknotung
höchst verschiedener Erfahrungen, Schopenhauers einziger Gedanke, absurd
für die Einen, genial für die Anderen, vielleicht eine geniale Absurdität.
Diese Verknotung ist nicht zu erklären: er verzichtet darauf. Sie ist eben
der Weltknoten, die Tatsache, die angenommen werden muß. Laut
Schopenhauer ist der Wille das Seiende, unabhängig von Raum, Zeit, Kausalität,
jeglicher Relation. Er ist das Wesen des Subjekts und der Welt, in der und mit
der wir sind. Der Wille hat den
Intellekt als sein Instrument geschaffen, aufnehmendes, vergängliches, dem
principium individuationis (als dem Grund des Einzelnen) unterworfenes
Bewußtsein - während der Wille unsterblich ist und, als Absolutum,
unteilbar, das unauslöschliche Feuer, in das alle Erscheinungen zurückstürzen;
aus dem neue in Ewigkeit aufsteigen werden. Die Individuen sind für den Willen
nichts. Innerhalb der Erscheinungswelt zerteilt er sich in sie ohne Unterlaß,
opfert er sie rücksichtslos. Tod ist ja nicht Tod, ist nur eine Phase sich
fortgebärenden, unersättlichen Lebens. Wie
bereits gesagt: Alles, was für die Erkenntnis da ist, also diese ganze Welt,
ist Objekt in Beziehung auf ein Subjekt, ist Anschauung des Anschauenden, mit
einem Wort: Vorstellung. Also: kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt.
Doch diese Erkenntnis genügte Schopenhauer nicht. Wir fragen, ob diese Welt
nichts weiter als Vorstellung sei, und was, wenn sie noch etwas anderes ist. Wir
erkennen nun: das als Individuum erscheinende Subjekt des Erkennens findet als
sein innerstes Wesen den Willen, und zwar aus der Erfahrung seines Leibes; er
ist auf zwei ganz verschiedene Weisen gegeben: als Vorstellung, als Objekt unter
den Objekten, zugleich aber auch als das jedem unmittelbar Bekannte, welches das
Wort Wille bezeichnet. Also: Der Leib ist die Objektivation
des Willens: der Wille ist das Ansich des Leibes. Diese Erkenntnis ist der Schlüssel
zum Wesen jeder Erscheinung in der Natur; alle Objekte müssen ihrem inneren
Wesen nach dasselbe sein, was wir an uns Wille nennen. Der
Wille ist das Ding an sich (),
also ist er auch das innerste Wesen des Menschen. Der Wille als Ding an sich liegt
außer aller Zeit und allem Raum, wie auch außer aller Kausalität:
er ist grundlos, ursachlos, ziellos und erkenntnislos. Sobald
er sich der objektiven Erkenntnis darstellt, zeigt er sich in Raum und Zeit dem
principium individuationis unterworfen und wird dadurch Wille zum Leben.
Die durch Raum und Zeit bestimmten Objekte (Vorstellungen) betrachtet die Wissenschaft
()
am Leitfaden der Kausalität. Darüber hinaus vermag allein das Genie
in der Kunst durch reine Kontemplation und ungewöhnliche Kraft der Phantasie
die ewigen Ideen aufzufassen und darzustellen, in der Poesie, der bildenden Kunst,
der Musik. Die Musik nimmt eine besonders hohe Stellung ein, da sie nicht wie
die anderen Kunstgattungen die Ideen abbildet, sondern die unmittelbare Objektivation
des Weltwillens in uns ist.Der Wille muß immer streben, weil Streben
sein alleiniges Wesen ist, dem kein erreichtes Ziel ein Ende macht, das daher
keiner endlichen Befriedigung. d.h. keines Glückes, fähig ist. Laut
Schopenhauer ist jede Lebensgeschichte Leidensgeschichte: Der Lebenslauf
des Menschen besteht darin, daß er, von der Hoffnung genarrt,
dem Tod in die Arme tanzt. Die ganze
Natur ist ein unbarmherziger Kampf ums Dasein. Sie ist ein Tummelplatz gequälter
und geängstigter Wesen, welche nur dadurch bestehen, daß eines das
andere verzehrt, wo daher jedes reißende Tier das lebendige Grab tausend
anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist. Was alles
Wirkliche kennzeichnet, ist der endlose, aus dem Leben wesentlich entspringende
Schmerz, davon die Welt übervoll ist. So zeigt sich: Diese ist an
allen Enden bankrott. Sie ist, entgegen Leibniz (),
der sie für die bestmögliche hielt, die schlechteste aller möglichen
Welten. In summa: Die Welt ist etwas, was nicht sein sollte. Mitleid ist nach
Schopenhauer das Fundament der Moral. Das Gefühl des Mitleids bezieht sich
nicht nur auf Menschen, sondern, was für Schopenhauer besonders wichtig war,
ebenso auf Tiere. Aus Egoismus entspringt das Böse, aus Mitleid das Gute.
Das ist das Grundprinzip der Ethik Schopenhauers. Ihr gemäß wird der
das Leiden schaffende Wille durch die Tat des Mitleids verneint. Die Verneinung
des Willens zum Leben kann also in letzter Konsequenz nichts anderes sein als
die Aufhebung des Individuationsprinzips oder gar der Übergang ins Nichtsein,
ins Nichts (Nirwana). Diese radikale
Skepsis - ein Nihilismus ()
- ist eine Reaktion auf die Ideale bzw. auf den Idealismus ().
Der faustische Nihilist flüchtet vor den (alten) Idealen bis ins Unendliche,
der apollinische Nihilist enthält sich ihnen bis zur Unerschütterlichkeit.
Alle Kulturen folgen der Notwendigkeit eines Skeptizismus (radikal: eines Nihilismus).
Die Richtungen des Entgegengesetzten in Antike und Abendland sind
jedoch ebenfalls gegensätzlich, weil auch diese beiden Kulturen gegensätzlich
sind: Faustisch versus apollinisch und Unendlichkeitsraum versus Einzelkörper
kommen auch in der Selbstverneinung deutlich zum Ausdruck. Für
Schopenhauer war der Tod der Musaget der Philosophie, ein Musenanführer,
Freund, Förderer, d.h. rettende Verneinung des Willens zum Leben, die zur
Aufhebung des Individuationsprinzips führt, also zum Übergang ins Nichtsein
(Nirwana).Schopenhauers Nihilismus ist durchaus buddhistisch: sein Nichts
ist Erlösung. Es bedeutet schon zu Lebzeiten Klarsicht, Einsicht ins Wesen
der Welt durch Kontemplation. Denn Kontemplation ist Stillegung des auf Leben
und Fortzeugung drängenden Willens, welcher nach Schopenhauer der Grund der
Welt ist. Auf diese Weise wußte Schopenhauer alles, ähnlich wie Hegel
().
Und er insistiert mit Penetranz und Polemik auf der absoluten Wahrheit seiner
Weltsicht. Kant (),
d.h. Kants Wahrheit - die Welt ist meine Vorstellung - wurde zu Schopenhauers
Ausgangspunkt. Schopenhauer fand sie in der indischen Philosophie bestätigt,
in der Lehre vom Schleier der Maja, die die Welt der Vielheit, der Individuation
in Raum und Zeit, zum Schein erklärt. Hinter den Schleier der Erscheinungswelt
blicken wir, wenn wir des Weltwillens gewahr werden, dessen Objektivation
wir, wie jede andere Kreatur, sind. Dieses Gewahrwerden ist das Gefühl des
Mitleids beim Leid anderer. Und Leben ist wesentlich Leiden, Verbrauch der Individuen
beim Kampf ums Dasein und um Fortzeugung. Nur Mitleiden ermöglicht unegoistisches
oder selbstloses und das heißt: moralisches Handeln, so Schopenhauer. Damit
stellte er den eigenen, egoistischen Willen ab. Die Urbilder (oder Ideen) der
Willensobjektivation erkennen wir kontemplativ, d.h. bei meditativ abgestelltem
Willen, in der Kunst, besonders in der Musik.Philosophie
und Kunst lagen für Schopenhauer auf dem halben Weg zur Erlösung,
sie verwirklichen einen Weltabstand durch Kontemplation. ().
Seinen eigenen Gedanken gegenüber erschien Schopenhauer, was von allen
früheren Philosophen - außer Platon, Aristoteles, Kant und vielleicht
noch einigen englischen Philosophen - gedacht worden war, als flach.
Er war der heimlicher Kaiser der Philosophie.Schopenhauers
einfache übersichtliche Konzeption der Welt als Wille und Vorstellung
hatte erst spät, nach dem Scheitern der 1848er Revolution, ihre größte
Wirkung, besonders auf Künstler und Literaten. Die berühmtesten Beispiele:
Richard Wagner (1813-1883), Thomas Mann (1875-1955) und selbstverständlich
Schopenhauers Schüler Friedrich Nietzsche (1844-1900),
der auch in seinen Schriften von seinem Lehrer Schopenhauer als Erzieher sprach
(vgl z.B.: Friedrich Nietzsche, Schopenhauer als Erzieher, in: 1874)
sowie dessen Schüler Sigmund Freud (1856-1939 ),
der im Willen Schopenhauers sein Unbewußtes entdecken
konnte. ().
Als nachhaltig, nämlich die heutige evolutionäre Erkenntnistheorie hervorbringend,
erwies sich auch die naturalistische Wende, die Schopenhauer der Kantschen Erkenntnistheorie
()
gab. Die Schopenhauersche Wende bestand darin, daß Schopenhauer
das Kantsche Erkenntnisvermögen (das transzendentale Ich) mit dem
Gehirn als Erkenntnisapparat identifizierte. Die Welt, wie wir sie sehen, die
sogenannte Vorstellungswelt, ist demnach ein Gehirnerzeugnis. Dann stehen wir
aber vor einem Paradox, das Schopenhauersche Gehirnparadox: die Vorstellungswelt
ist ein Produkt des Gehirns und das Gehirn zugleich ein Teil der vorgestellten
Welt. Man kann sich vor diesem Paradox nur in einen hypothetischen Realismus flüchten,
wie es unsere heutige evolutionäre Erkenntnistheorie macht. Man nimmt dann
an, es gäbe eine reale Welt, nämlich das Weltall mit seinen Galaxien,
Sternen und ihren Planetensystemen sowie unserem Planeten Erde mit seiner
Evolution der Lebewesen bis hin zum Menschen, in dessen Bewußtsein sich
nun vermöge seines Gehirns die Welt gewissermaßen selbst abbildet.
Die sinnliche Abbildung durch die Wahrnehmung ist dabei nur eine beschränkte,
z.B. verschieden von der Wahrnehmungswelt eines jeden anderen Menschen, eines
Elefanten oder einer Maus, eines Fisches oder einer Zecke u.s.w.; aber die Naturwissenschaft
mit ihrer Erweiterung unserer Erfahrungsmöglichkeit durch Instrumente, die
dann auch z.B. Ultraschall registrieren, liefert dem Menschen eine stetig wachsende
Erfahrung von Realität - sie scheint immer vollständiger zu werden,
aber sie ist eben (immer noch) nicht vollständig.Schopenhauer
ging es überhaupt nicht um Popularität. Der Beifall der Menge
hatte für ihn, wie er in seinen Werken oftmals betonte, keinen Wert.
Irgendwelche billige Effekthascherei war ihm völlig fremd. Er legte zwar
größten Wert darauf, seine Philosophie verständlich und anschaulich
darzustellen, machte aber dabei, was ihren Inhalt betrifft, keine Kompromisse.
Medizin, die hilft, schmeckt - das kann jeder aus eigener Erfahrung bestätigen
- zumeist bitter. Süße Verlockungen hingegen sind zwar wohlschmeckend,
haben aber nicht selten bittere Folgen. Der Erlösungsgedanke, der in der
Tiefe der Philosophie Schopenhauers (wie übrigens auch im Buddhismus) enthalten
ist, liegt nicht an der Oberfläche und verspricht daher nicht den schnellen
Trost, der von manchen anderen Lehren und deren Heilspropheten angeboten wird
(ob solche - mitunter fast marktschreierisch aufgedrängten - Verheißungen
den Menschen auf Dauer wirklich helfen, sei doch dahingestellt). Popularität
ist noch kein Beweis für den geistigen Rang einer Person und die Bedeutung
ihres Werkes, die mitunter weit über ihre Zeit hinausreichen kann. Schopenhauer
ist hierfür wohl das beste Beipiel: Er mag zwar nicht besonders populär
sein, dennoch darf sein Einfluß auf das europäische Geistesleben nicht
unterschätzt werden. So hat Arthur Hübscher (1897-1985), langjähriger
Präsident der Schopenhauer-Gesellschaft, hierzu in seinem Buch, das - auf
Schopenhauer bezogen - den bezeichnenden Titel Denker gegen den Strom
trägt, auf die weitreichende Wirkung Schopenhauers hingewiesen. Schopenhauers
unmittelbare und mittelbare Nachfolger bzw. Schüler sowie Theodor Fontane
(1819-1898) und Wilhelm Busch (1832-1908) sind hierfür wenige unter vielen
Persönlichkeiten, deren Denken und Werke von Schopenhauer erheblich beeinflußt
wurden. Selbst dort, wo Schopenhauers Name nicht erwähnt, ja vielleicht sogar
bewußt verschwiegen wird, sind oft deutliche Spuren Schopenhauerscher Philosophie
nachzuweisen. Und nicht zufällig begründete Schopenhauer die Lebensphilosophie
als eine der modernen Schule der abendländischen Philosophie.
Tatsächlich
wurde die von Schopenhauer begründete Lebensphilosophie wie seine Willensmetaphysik
nicht nur zur Modephilosophie des 19. Jahrhunderts, sondern auch ein Wegbereiter
für Nachfolger und Nachahmer. Solch einer war wohl tendenziell bereits Sören
Kierkegaard (1813-1855 )
mit seinem Existenz-Subjektivismus. Man darf gerade Kierkegaards Lebensphilosophie
auch Existenzphilosophie nennen. ().
Seine Lebensphilosophie ist Nachahmung und Seitenlinie der Schopenhauer-Philosophie;
der Schopenhauer-Nachfolger Kierkegaard begründete einen Zweiten Schopenhauer-Bildungsweg
(eine Abendschule der Alten Schule ):
eine Zweite Bildungschance für besonders Traurige! Er nahm es
mit dem Pessimimus besonders ernst, denn sein Leben war ein besonders unglückliches
Leben. Aufgewachsen in häuslicher Atmosphäre christlichen Schuldbewußtseins
und mit einem starken Hang zur Melancholie, den er wohl von seinem Vater geerbt
hatte, begann er sehr früh, diese Melancholie hinter Sarkasmus und Ironie
zu verstecken. Wie später Nietzsche (),
vermochte er es nicht, ein Mädchen glücklich zu machen.
Das schrieb er 1841 an seine Braut Regine Olsen und löste damit die Verlobung.
Im selben Jahr war er Hörer Schellings
();
wandte sich später jedoch schroff gegen ihn und Hegel ()
und bekämpfte die Unangemessenheit der Philosophie als reiner Theorie des
absoluten Geistes zur existierenden Wirklichkeit und zur wirklichen Existenz des
Menschen. Kierkegard hatte sich gegen Hegel gewandt, weil in dessen vom Weltgeist
regierten System für den Einzelnen kein Platz und kein Sinn war. Diese Wendung
hatte aber auch schon der späte Schelling gemacht, dessen Vorlesungen Kierkegaard
in Berlin gehört hatte. Schelling sprach auch erstmals von Existenz
und dem reinen Daß, von dem seine positive Philosophie ausgeht.»Wenn
Gott nicht selber die Wiederholung gewollt hätte, dann wäre die Welt
nie entstanden ..., deshalb besteht die Welt und besteht dadurch, daß sie
eine Wiederholung ist, das ist die Wirklichkeit und der Ernst des Daseins.«
(Sören Kierkegaard, Die Wiederholung, 1843, S. 8 ). | Auf
der Wiederholung ruht offenbar der Bestand der Welt - womit gegen das Einmalige
nichts gesagt ist, außer daß man es mißbraucht, wenn man nur
um das Goldene Kalb »Ereignis« tanzt. Es liegt in der Natur der naturen,
Wiederholungssysteme für das Bewährte zu sein, und für Kulturen
gilt das in nahezu gleichem Maß. Gott selbst muß das meiste durch
die Routinen der Natur tun lassen und kann nur hin und wieder von seiner ontologischen
Waffe Gebrauch machen. (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern,
2009, S. 505). Mit dem oben zitierten Satz spricht Kierkegaard vom Reflexionswissen
der Modernen her, und dem sollte später Nietzsche ()
hinzuzfügen, daß der Stil der Mensch selbst ist - vorausgesetzt, man
weiß, daß Stil eine Kulturgestalt der Wiederholung bezeichnet.Kierkegaards
einziger Gegenstand war sein Leben, seine Existenz. Seine Philosophie ist Autobiographie
- wie bei Nietzsche auch. Kierkegaard war der Meinung, daß man auch durch
eine lebenslange Beschäftigung mit Logik nicht selbst zur Logik wird, sondern
man existiert selbst in anderen Kategorien. Kierkegaard unterschied
drei Existenzweisen: die ästhetische, die ethische und die religiöse,
je nachdem man nach Genuß strebe, oder unabhängig vom Äußeren
nach moralischen Maßstäben lebe, oder im Glauben. - Später sollte
Heidegger ()
in seiner Existenzphilosophie solche Kategorien des Existierens Existenziale
nennen und sein Denken dann bereits Hermeneutik des Daseins heißen.
().
Kiergegaard schrieb, daß der Denker, der vergißt, ein Existierender
zu sein, den Versuch mache, mit dem Menschsein aufzuhören und selbst zu einem
Buch oder einem objektiven Etwas zu werden. Das Dasein spottet dessen, der im
Begriff ist, rein objektiv werden zu wollen. Die einzige Wirklichkeit, um die
ein Existierender nicht bloß weiß, ist seine eigene Wirklichkeit,
daß er da ist.In Kierkegaards Schriften geht es fast immer um das
Zerbrochen- und Sinnlos-Sein der Welt, auf das Angst und Verzweiflung die Antwort
sein muß. (Vgl. Kierkegaard, Der Begriff der Angst, 1844). Kierkegaard
war gegen jedes Sichstützen auf die Außenwelt, die er lediglich als
ästhetisch ansah, und mißtraute auch der selbstverantworteten
Innerlichkeit, d.h. dem Ethischen. Kierkegaard war für die gänzliche
Preisgabe des Selbst an Gott, denn das war für Kierkegaard Leben im Religiösen,
freilich auch im Paradoxen. (Vgl. Kierkegaard, Chrisliche Reden,
1848). Dabei bekundete Kierkegaard schärfste Ablehnung des offiziellen Christentums
der Christenheit, das die klare Forderung des wahren Christentums verleugne: existentiell
zu denken, ganz dem Absoluten zu leben, in rückhaltloser Hingabe an die christliche
Wahrheit, selbst bis zum Martyrium. Deshalb knüpfte auch die dialektische
Theologie an Kierkegaard an, dessen Verdienst aber eigentlich mehr darin liegt,
die Alte Schule (Schopenhauer-Schule )
um eine weitere Komponente, die durchaus noch zu dieser Alten Schule
zu zählen ist (vielleicht als B-Klasse?), bereichert zu haben
- eine Variante der Lebensphilosophie: Existenzphilosophie.
Mittlere Schule der LebensphilosophieFriedrich
W. Nietzsche (1844-1900 )
wollte von der Philosophie nicht mehr lassen, als ihm Schopenhauers Werk (Die
Welt als Wille und Vorstellung )
in die Hände kam. Er hatte im Oktober 1865 in einem Leipziger Antiquariat
die beiden Bände der »Welt als Wille und Vorstellung« entdeckt,
gekauft und sogleich durchgelesen und war danach, wie er in einer seiner Autobiographien
berichtet, einige Zeit wie im Rausch herumgetappt: die von der Vernunft, dem historischen
Sinn und der Moral zurechtgemachte Welt sei nicht die eigentliche Welt, las er
dort. Dahinter oder darunter braust das wirkliche Leben: der Wille. ().
Nietzsches Philosophie ist von Schopenhauers Willensmetaphysik und vom Kampf-ums-Dasein-Prinzip
seiner Zeit stark beeinflußt. Der Kampf ums Dasein stammt also
ursprünglich von Schopenhauer und nicht von Darwin, der Schopenhauer nur
kopierte - 40 Jahre später. ().
Nietzsche wollte von dieser Basis aus den neuen Menschen, den Übermenschen,
schaffen, dessen Aufgabe es sein sollte, alles Verlogene, Krankhafte, Lebensfeindliche
zu vernichten. In seiner 1874 verfaßten Abhandlung über Schopenhauer
spricht Nietzsche deutlich aus, daß ihm Schopenhauer nicht nur ein Lehrer,
sondern vor allem ein Erzieher gewesen ist. Den wahrhaften Erzieher definiert
er dort als Befreier (Schopenhauer als Erzieher, 1,341),
der einer jungen Seele dabei hilft, das Grundgesetz des eigentlichen Selbst
zu entdecken. ().
Friedrich Nietzsche |
1. Stadium (Winter) | 2.
Stadium (Frühling) | 3.
Stadium (Sommer) | 4.
Stadium (Herbst) | Vor-/Urdenken:
Nietzsches Vor-/Urphilosophie | Frühdenken:
Nietzsches Frühphilosophie | Hochdenken:
Nietzsches Hochphilosophie | Spätdenken:
Nietzsches Spätphilosophie | (Dauer:
20 Jahre) | (Dauer: 12 Jahre) | (Dauer:
7 Jahre) | (Dauer: 17 Jahre) | 1844
bis 1864 | 1864 bis 1876 | 1876
bis 1883 | 1883 bis 1900 |
Geburt (15.10.) | INNERLICHER
BRUCH MIT RICHARD WAGNER | Tod
(25.08.) |
Übergang Schule /
Studium | | | Also
sprach Zarathustra |
Frühe Kindheit | Grund-
schule |
Gym- nasium
| 1864 - 1868 |
1868 - 1872 | 1872 - 1876 | 1876 -
1878 | 1878 - 1880 | 1880 -
1883 | 1883 -1885 | 1885 -1889 | 1889 -
1900 | |
-
3 große Denkstadien in Nietzsches Leben -
1.)
Nietzsches geistiger Weg begann mit einer Verehrung all dessen, was als kulturelle
Schöpfung aus der Vergangenheit an die Gegenwart überliefert war.
Diese 1. Stadium endete damit, daß der Glaube an die Kultur zerbrach.
2.)
Nietzsche entdeckte die Zeit eines großen inneren Verfalles und Auseinanderfalles,
kurz: des Nihilismus. Nietzsche begriff es als seine Aufgabe, den Nihilismus
in sich selbst auszutragen. So, wie er sich sah, war er der erste vollkommene
Nihilist Europas, der aber den Nihilismus selbst schon zu Ende gelebt hat.
Nietzsche wollte enthüllen, entlarven und zeigen, daß und wie die Gegenwart
nihilistisch war. Nihilismus bedeutete für Nietzsche zum ersten: Es ist
nichts mit der Wahrheit. Alles ist falsch. Nihilismus bedeutete für Nietzsche
zum zweiten: Es ist nichts mit der Moral. Sie ist zweifach. Nihilismus bedeutete
für Nietzsche zum dritten: Es ist nichts mit der Religion. Gott ist tot!
Er fragte sich am Ende dieses 2. Stadiums, ob man beim Nihilismus stehen bleiben
kann und stellte fest: Nihilismus ist nichts Endgültiges. Das Positive
an ihm ist, daß er ein Übergang ist. Durch ihn ist in Europa
eine so prachtvolle Spannung des Geistes geschaffen. Mit einem so gespannten
Bogen kann man nach den fernsten Zielen schießen. Das war die Wende
zum 3. Stadium. 3.)
Im 3. Stadium kam es Nietzsche darauf an, allem weiter wirkenden Nihilismus zum
Trotz das Leben zu bejahen. Darum erblickte er jetzt im Nihilismus das
hoffnungsvollste aller Schauspiele. Neu zu schaffen war vor allem die
zerbrochene und entlarvte Moral. Der Philosoph mußte neue Werte auf
neue Tafeln schreiben. Das heißt: Umwertung aller Werte.
Dies solle aber nicht aus einem Glauben an eine Transzendenz heraus geschehen,
sondern ausschließlich vom Menschen her. Das schaffende, wollende,
werdende Ich wurde nun das Maß und der Wert aller Dinge; der Grundwert
der neuen Wertordnung: das Leben. Die Bestimmung, über sich hinaus zu
drängen, kommt nicht nur dem menschlichen Dasein zu, denn Nietzsche verstand
sie als Grundzug des Lebens, des Seins überhaupt. Alles, was ist, hatte
für Nietzsche den Charakter des Willens zur Macht. Was
mir die Welt ist? Ein Ungeheuer von Kraft, ohne Anfang, ohne Ende, die sich
nicht verbraucht, sondern nur verwandelt - vom Nichts umschlossen ....
Dieses Leben in Schaffen und Zerstören hat nichts, worauf es zugeht,
keinen Zweck und kein Ziel. Darum ist es im tiefsten Wesen nihilistisch. Bejahung
des Lebens heißt also zuletzt Bejahung des nihilistischen Charakters
des Lebens. Das höchste Symbol dafür war für Nietzsche der
Gedanke der ewigen Wiederkehr: Alles, was je gewesen ist, kommt wieder.
Damit ist das Äußerste des Nihilismus erreicht: Das Dasein,
so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein
Finale ins Nichts: die ewige Wiederkehr. Das ist die extremste Form
des Nihilismus: das Nichts (das Sinnlose) ewig. Die
Rettung aus dem Nihilismus sah Nietzsche darin, eben dieses sinnlose Dasein zu
bejahen und so in der Mitte der Sinnlosigkeit Sinn zu schaffen. Ein
frei gewordner Geist steht mit einem freudigen und vertrauenden Fatalismus
mitten im All, im Glauben, daß nur das Einzelne verwerflich ist, daß
im Ganzen sich alles erlöst und bejaht - er verneint nicht mehr.
Darum war der tiefste Ausdruck der Haltung Nietzsches die Liebe zum Schicksal:
A M O R F A T I .Galt
Nietzsches Buch Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872)
zum nicht geringen Teil als stilistisch beschwörend und zum geringen Teil
als orakelhaft, so operierte er mit seinen im Februar und im März 1872 gehaltenen
Vorträgen Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten mit
dem Versuch platonisierender Dialoge. Hier trat Nietzsche erstmals als Kritiker
der deutschen Kultur an die Öffentlichkeit: Das Ideal der strengen Wissenschaft
mit seiner Spezialisierung verringere Bildung, vernichte sie sogar, da die Arbeitsteiligkeit
das Wissen um Zusammengehörendes aufsprenge. Der Journalismus werde zur Kommunikationsform
der Industriegesellschaft, die dieses Defizit aufzufangen versuche, dabei aber
nur einen Zerrspiegel wahrer Bildung produziere. Der Journalist werde zum Diener
des Augenblicks, er trete an die Stelle des großen Genius. Nietzsche zeichnete
in diesen Vorträgen künftige Bildungsdebatten vor. (Bernd Kettern,
in: BBKL ).
Nietzsche erfaßte die Schwächen des Kulturbetriebes sehr hellsichtig.
Auch Nietzsche wollte - jedenfalls während seines frühphilophischen
Stadiums ()
-, daß am deutschen Wesen und besonders am deutschen Geist die Zeit, Europa
und die Welt genesen sollte. Anders als heutige Verantwortliche aus Politik, Lobby,
Medien, Bildung u.ä., die nachweislich wollen, daß vom deutschen Wesen
namens Sozialamt aus die Welt geneseen soll, wollten Nietzsche und
fast alle seiner Zeitgenossen, daß deutschen Wesen und besonders am deutschen
Geist die Welt genesen soll, weil Deutschland nachweislich mit weitem Abstand
führend in der Welt war (und geblieben ist)!In
seinem Buch Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872)
sah Nietzsche die Welt an sich, also das, was Schopenhauer in seinem Hauptwerk
Die Welt als Wille und Vorstellung (1818) den Willen ()
nannte, in Dionysos, dem griechsichen Gott des Rausches, der Auflsöung von
Individuation und Irrationalem, und die Erscheinungswelt, die Schopenhauer Vorstellung
()
nannte, in Apollon, dem griechischen Gott des Traumes, der Individuation und des
Rationalen, repräsentiert. Nietzsche plädierte für die Wiederkehr
der dionysischen Weltsicht, der Tragödie - aus dem Geiste der Wagnerischen
Musik. Zu dieser Zeit stand Nietzsche ganz im Banne der Persönlichkeit Richard
Wagners, der ein Anhänger Schopenhauers war.Nietzsches Lehrer
und Erzieher Schopenhauer hatte den Willen zum Leben noch verneint,
sein Schüler und Zögling Nietzsche bejahte ihn
jetzt. Aber Nietzsche glaubte fest an Schopenhauer und seine 2 Grundideen:
I.) die Idee, der zufolge die Welt ihrer inneren Natur nach nicht
etwas Vernunft- und Geistartiges ist, sondern Drang und dunkler Trieb, dynamisch
und sinnlos, gemessen am Maßstab unserer Vernunft (),
II.) die Idee als die von Schopenhauer unter
dem Titel der Willensverneinung beschriebene Möglichkeit einer transzendierenden
Erkenntnis. Keine Transzendenz im religiösen Sinne, kein jenseitiger Gott
sind hier im Spiel, aber es soll eine Gelassenheit möglich sein, die das
gewöhnliche egoistische Verhalten überwindet. Ein Freiwerden von der
Macht des Willens, ein ans Wunder grenzender Vorgang, der von Schopenhauer auch
als eine Art Ekstase beschrieben wurde. An dieser Mystik der Verneinung fasziniert
Nietzsche nicht so sehr das »Nein«, sondern die Kraft eines Willens,
der sich gegen sich selbst, also gegen seine gewöhnlichen Antriebe wendet.
Diese souveräne Steigerung des Willens bis zu jenem Punkt, wo er sich gegen
sich selbst kehrt, wird Nietzsche später in der dritten »Unzeitgemäßen
Betrachtung« über Schopenhauer ... als die Emanzipation von der Thierheit
bezeichnen. Sie gelingt den Nicht-mehr-Thieren, es sind die Philosophen,
Künstler und Heiligen, bei denen das Ich ganz zusammengeschmolzen
ist und dessen leidendes Leben nicht oder fast nicht mehr individuell empfunden
wird, sondern als tiefstes Gleich- Mit- und Eins-Gefühl in allem Lebendigen:
des Heiligen, an dem jenes Wunder der Verwandlung eintritt, auf welches das Spiel
des Werdens nie verfällt, jene endliche und höchste Menschwerdung, nach
welcher alle Natur hindrängt und -treibt, zu ihrer Erlösung von sich
selbst (in: Unzeitgemäße Betrachtungen, 1,380 und 1,382).
Später wird Nietzsche diese Inversion des Willens als Askese deuten und als
Triumph eines Willens, der noch lieber das Nichts will als nicht zu wollen. Dieses
»Nichts«, das da gewollt wird, versteht Nietzsche als Negation der
nützlichen, lebensdienlichen, auf Selbstbehauptung fixierten Einstellungen.
().
Nietzsches Denken
war aufs innigste mit seinem Leben verbunden. Darum waren die Wandlungen, die
bei ihm der Gedanke durchmachte, immer auch Stadien seines Existierens. Von ihm
selber gilt, was er Zarathustra sagen läßt: Drei Wandlungen nenne
ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel,
und zum Kinde zuletzt der Löwe. (in: Also sprach Zarathustra,
S. 25). Das Kamel meint das Stadium der Ehrfurcht, des Glaubens an Ideale, des
geduldigen Tragens des Überlieferten. Der Löwe symbolisiert das Zerbrechen
dieses Glaubens, die Zeit des freien Geistes, des Durchlebens des Nihilismus.
().
Das Kind schließlich weist auf das Suchen nach der Überwindung des
Nihilismus hin; es ist das Stadium des unschuldigen Jasagens zum Leben, die Zeit
einer neuen Gläubigkeit.Schopenhauers
Willensverneinung war also für Nietzsche nicht Verneinung, sondern gesteigerte
Bejahung, verstanden als Sieg des geistigen Willens über den naturhaften
Willen. Nietzsches Philosophie sollte an die Stelle eines philosophischen Nihilismus
treten, den er überall sah und durchlebte. Sein Kampf richtete sich gegen
das Christentum, von dem er behauptete, es erzeuge eine Sklavenmoral,
gegen das Bürgertum, dessen Moral er für verlogen hielt, und gegen den
Pöbel, der alles Edle und Hohe bedrohe. Sklavenmoral (oder: Herdenmoral)
und Herrenmoral sind nach Nietzsche zwei Grundtypen der Moral. Der Schwache und
Unterdrückte bilde als Ausgleich seines Ressentiments gegen seinen Herrn
eine Moral aus, in der Schwache und Unterdrückte Höchstwerte sind; z.B.
sind nach Nietzsche (in: Genealogie der Moral, 1887 )
die christlichen Werte der Demut und des Mitleids so entstanden und müßten
deshalb durch entsprechende Werte einer Herrenmoral ersetzt werden, durch Distanzgefühl,
Machtbewußtsein u.s.w.. Nietzsches Modell des Übermenschen ist der
Herrenmensch. Nietzsches metaphysische
These lautet: Alles, was ist, auch das menschliche Erkennen, ist Erscheinungsform
des Willens zur Macht; es gibt kein absolutes Sein, sondern Sein ist Werden, aber
kein endloses Neuwerden, sondern ewige Wiederkehr dessen, was schon
unendlich oft dagewesen ist - die ewige Sanduhr wird immer wieder umgedreht
()
-; das identische Ich ist eine Fiktion ebenso wie das wahre Sein. Mehr noch als
in seiner Metaphysik liegt Nietzsches Bedeutung in dem Beitrag, den er für
die Bekämpfung des spekulativen Denkens und vor allem für die Einbeziehung
des Denkens in das Leben geleistet hat. Er
lehrte einen resignierten A M O R F A T I : Schicksal
ich folge dir freiwillig, denn täte ich es nicht, müßte ich es
ja doch unter Tränen tun! Für die spätere Existenzphilosophie
sollte auch die folgende Stelle (aus: Schopenhauer als Erzieher, 1874,
S. 6 )
wichtig werden: Der Mensch, welcher nicht zur Masse gehören will, braucht
nur aufzuhören, gegen sich bequem zu sein; er folge seinem Gewissen, welches
ihm zuruft: »Sei du selbst! Das bist du alles nicht, was du jetzt tust,
meinst, begehrst«. Jetzt bist du nur ein »öffentlich meinender
Scheinmensch«. Dieser öffentlich meinende Scheinmensch, den Nietzsches
Sei-du-selbst überwinden sollte, läßt sich als eine
Vorwegnahme des Man bei Martin Heidegger (1889-1976 )
deuten. Nietzsches
Amor fati ergibt sich natürlich auch aus der ewigen Wiederkehr,
denn sie beinhaltet auch die geforderte Anerkennung der Tatsache, daß alle
höhere Kultur auf Sklaverei beruht (also: auf Entlastung der Herren zu höheren
Tätigkeiten; vgl. Herrenmoral) und daß es Sieger und Verlierer gibt;
hieraus ergibt sich ja das unbedingte Streben danach, zu den Siegern zu gehören
(also: Wille zum Sieg; vgl. Wille zur Macht) und das Credo des Fatalismus
(also: der Glaube an die Schicksalsmächte; vgl. Amor fati). Für
Nietzsche war klar, daß wegen der ewigen Wiederkehr auch der
Fatalismus wiederkehrt. Nietzsche sah das Ende des
Christentums voraus - oder er wollte es voraussehen, weil nämlich gerade
das Christentum genau dieser Unterwerfung unter das Schicksal bzw. die Mächte
von Glück und Unglück widersprochen und letztlich auch mit seiner Orientierung
an der Erlösungsbedürftigkeit aller und am Mitleid mit den Verlierern
dem Fatalismus der antiken Kultur ein Ende bereitet hatte. Die Antike begründete
ihren Inegalitarismus mit der Überzeugung, daß die Götter selbst
- ungerecht, wie sie sind - die Schicksalslose der Sterblichen verteilen. Für
Christen jedoch ist vor dem wahren Gott der weltliche Unterschied zwischen Siegern
und Verlierern bedeutungslos, denn der christliche Gott ist ein Gott der Überlegenheit
über irdische Unterschiede; er unterscheidet nach Heiligkeitsaspekten, wählt
die Seinen nach unweltlichen und überweltlichen Kriterien aus, und seine
Urteilskraft ist ein Ausfluß der Gnade. Nietzsche aber kam zu dem Schluß,
daß diese Einschränkungen und Umkehrungen immer mehr zurückgenommen
worden wären und verneinte die Möglichkeit, daß die Unterschiede
in der Welt durch die Unterschiede Gottes annulliert werden könnten. Alles
geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles
blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins. Alles bricht, Alles
wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet,
Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins. In jedem
Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall.
Krumm ist der Pfad der Ewigkeit. (Friedrich Nietzsche, Der Genesende,
in: Also sprach Zarathustra [III], 1883-1885, S. 268-269).Nietzsches
Lehre beinhaltet 3 große Lehrstücke: (1)
Übermensch; (2) ewige Wiederkunft
des Gleichen; (3) Wille zur Macht.An
der Verknüpfung der drei Lehrstücke vom Übermenschen, von
der ewigen Wiederkehr und vom Willen zur Macht wird er weiter arbeiten mit
dem Bewußtsein, das Entscheidende immer noch nicht zureichend getroffen
und formuliert zu haben. (Rüdiger Safranski, Nietzsche, 2000,
S. 286).Nicht
Freud (),
sondern Nietzsche erfand die Psychoanalyse, die deshalb eigentlich Nietzsche-Psychologie
genannt werden muß. Auch alle aus der Psychoanalyse hervorgegangenen Psychotherapie-Arten
gehen somit auf Nietzsche zurück. Nietzsche lebte im 19. Jahrhundert und
als Psychologe bereits im 20. Jahrhundert, denn er und sonst niemand war der Begründer
der für das 20. Jahrhundert typischen Psychotherapie (ob das auch noch für
für spätere Jahrhunderte gelten wird, wird man erst in Zukunft beurteilen können).
Die Tatsache, daß Freud von Nietzsche abgeschaut und abgeschrieben und dabei
auch noch viele Fehler gemacht hat, bestätigt die Regel, daß das Original
besser ist als seine Kopien. Nietzsche war Philosoph (Lebensphilosoph), Philologe,
Dichter, Psychologe, Psychagoge, Psychoanalytiker, Psychotherapeut und insofern
ein Genie des Egoismus (Rüdiger Safranski), als mit einen Egoisten
nur derjenige gemeint ist, der mit sich selbst gut befreundet
sein kann und das Ressentiment, den Neid und den Haß aus
einer Selbstverfeindung heraus nicht (mehr) nötig hat, und genau dieser Egoismus
ist auch Ziel der Psychonalyse und jeder der aus ihr hervorgegangenen Psychotherapie-Arten.
Egoismus bedeutet für die meisten Psychotherapeuten wie schon viel früher
für ihren Übervater Nietzsche etwas Positives, Anzustrebendes, Gesundes.
Wenn ich dem Christenthum den Krieg mache, so
steht dies mir zu, weil ich von dieser Seite aus keine Fatalitäten und Hemmungen
erlebt habe, - die ernstesten Christen sind mir immer gewogen gewesen. Ich selber,
ein Gegner des Christenthums de rigueur, bin ferne davon, es dem Einzelnen nachzutragen,
was das Verhängniss von Jahrtausenden ist. - Darf ich noch einen letzten
Zug meiner Natur anzudeuten wagen, der mir im Umgang mit Menschen keine kleine Schwierigkeit macht? Mir eignet eine vollkommen unheimliche Reizbarkeit
des Reinlichkeits-Instinkts, so daß ich die Nähe oder - was sage ich
? - das Innerlichste, die »Eingeweide« jeder Seele physiologisch
wahrnehme - rieche .... Ich habe an dieser Reizbarkeit psychologische Fühlhörner
.... Das macht mir aus dem Verkehr mit Menschen keine kleine Gedulds-Probe; meine
Humanität besteht nicht darin, mitzufühlen, wie der Mensch ist, sondern
es auszuhalten, daß ich ihn mitfühle .... Meine Humanität ist
eine beständige Selbstüberwindung. - Aber ich habe Einsamkeit nöthig,
will sagen, Genesung, Rückkehr zu mir, den Athem einer freien leichten spielenden
Luft .... Mein ganzer Zarathustra ist ein Dithyrambus auf die Einsamkeit, oder,
wenn man mich verstanden hat, auf die Reinheit .... - Der Ekel am Menschen, am
»Gesindel« war immer meine grösste Gefahr .... Will man die Worte
hören, in denen Zarathustra von der Erlösung vom Ekel redet? ....
(Friedrich Nietzsche, Warum ich so weise bin, in: Ecce homo, 1889,
S. 21-22).Die
Skeptiker, der einzige ehrenwerthe Typus unter dem so zwei- bis fünfdeutigen
Volk der Philosophen! | .... Ich
selbst habe irgendwo gesagt: was war der grösste Einwand gegen das Dasein
bisher? Gott .... Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich
Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer
gleich süssen und leidenschaftlichen Musik. Er besass jene göttliche
Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag .... Alles erwogen,
hätte ich meine Jugend nicht ausgehalten ohne Wagnerische Musik. .... Wenn
man von einem unerträglichen Druck loskommen will, so hat man Haschisch nöthig.
Wohlan, ich hatte Wagner nöthig. .... Von dem Augenblick an, wo es einen
Klavierauszug des Tristan gab ..., war ich Wagnerianer. Die älteren Werke
Wagner's sah ich unter mir - .... Aber ich suche heute noch nach einem Werke von
gleich gefährlicher Fascination, von einer gleich schauerlichen und süssen
Unendlichkleit, wie der Tristan ist, - ich suche in allen Künsten vergebens.
Alle Fremdheiten Lionardo da Vinci's entzaubern sich beim ersten Tone des Tristan.
Dies Werk ist durchaus das non plus ultra Wagner's .... Ich nehme es als Glück
ersten Ranges, zur rechten Zeit gelebt und gerade unter Deutschen gelebt zu haben,
um reif für dies Werk zu sein: so weit geht bei mir die Neugierde des Psychologen.
Die Welt ist arm für den, der niemals krank genug für diese »Wollust
der Hölle« gewesen ist: es ist erlaubt, es ist fast geboten, hier eine
MyStoiker-Formel anzuwenden. - Ich denke, ich kenne besser als irgend Jemand das
Ungeheure, das Wagner vermag, die fünfzig Welten fremder Entzückungen,
zu denen Niemand ausser ihm Flügel hatte; und so wie ich bin, stark genung,
um mir auch das Fragwürdigste und Gefährlichste noch zum Vortheil zu
wenden und damit stärker zu werden, nenne ich Wagner den grossen Wohltäter
meines Lebens. Das, worin wir verwandt sind, daß wir tiefer gelitten haben,
auch an einander, als Menschen dieses Jahrhunderts zu leiden vermöchten,
wird unsre Namen ewig wieder zusammenbringen .... (Friedrich Nietzsche,
Warum ich so klug bin, in: Ecce homo, 1889, S. 30, 32, 35-36).Dass
aus meinen Schriften ein P s y c h o l o g e
redet, der nicht seines Gleichen hat, das ist vielleicht die erste Einsicht, zu
der ein guter Leser gelangt - ein Leser, wie ich ihn verdiene .... (Friedrich
Nietzsche, Warum ich so gute Bücher schreibe, in: Ecce homo,
1889, S. 51). | Ich kenne mein
Loos, es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung an etwas Ungeheures anknüpfen,
- an eine Krisis, wie es keine auf Erden gab, an die tiefste Gewissens-Collision,
an eine Entscheidung, heraufbeschworen g e g e n
Alles, was bis dahin geglaubt und geheiligt war. Ich bin kein Mensch, ich bin
Dynamit. - Und mit Alledem ist Nichts in mir von einem Religionsstifter - Religionen
sind Pöbel-Affairen, ich habe nöthig, mir die Hände nach der Berührung
mit religiösen Menschen zu waschen. .... Ich w i l l
keine »Gläubigen«, ich denke, ich bin zu boshaft dazu, um an
mich selbst zu glauben, ich rede niemals zu Massen. .... Ich habe eine schreckliche
Angst davor, dass man mich eines Tages h e i l i g
spricht: man wird errathen, weshalb ich dies Buch v o r h e r
herausgebe, es soll verhüten, dass man Unfug mit mir treibt. .... Ich will
kein Heiliger sein, lieber noch ein Hanswurst. .... Vielleicht bin ich ein Hanswurst.
Und trotzdem oder vielmehr n i c h t trotzdem
- denn es gab nichts Verlogeneres als Heilige - redet aus mir die Wahrheit. -
Aber meine Wahrheit ist f u r c h t b a r :
denn man hiess bisher die Lüge Wahrheit. - U m w e r t h u n g
a l l e r W e r t h e :
das ist meine Formel für einen Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit,
der in mir Fleisch und Genie geworden ist. Mein Loos will, dass ich mich gegen
die Verlogenheit von Jahrtausenden im Gegensatz weiss. .... Ich erst habe die
Wahrheit entdeckt, dadruch dass ich zuerst die Lüge als Lüge empfand
- roch. .... Mein Genie ist in meinen Nüstern. .... Ich widerspreche, wie
nie widersprochen worden ist und bin trotzdem der Gegensatz eines neinsagenden
Geistes. Ich bin ein f r o h e r B o t s c h a f t e r ,
wie es keinen gab. Ich kenne Aufgaben von einer Höhe, dass der Begriff dafür
bisher gefehlt hat; erst von mir an giebt es wieder Hoffnungen. Mit Alledem bin
ich nothwendig auch der Mensch des Verhängnisses. Denn wenn die Wahrheit
mit der Lüge von Jahrtausenden in Kampf tritt, werden wir Erschütterungen
haben, einen Kampf von Erdbeben, eine Versetzung von Berg und Thal, wie dergleichen
nie geträumt worden ist. Der Begriff Politik ist dann gänzlich in einen
Geisterkrieg aufgegangen, alle Machtgebilde der alten Gesellschaft sind in die
Luft gesprengt - sie ruhen allesamt auf der Lüge: es wird Kriege geben, wie
es noch keine auf Erden gegeben hat. Erst von mir an giebtes auf Erden g r o s s e
P o l i t i k . - Will man eine Formel
für ein solches Schicksal, d a s M e n s c h
w i r d? - Sie steht in meinem Zarathustra.
U n d w e r e i n
S c h ö p f e r s e i n
w i l l i m G u t e n
w i e i m B ö s e n ,
d e r m u s s e i n
V e r n i c h t e r e r s t
s e i n u n d W e r t h e
z e r b r e c h e n . A l s o
g e h ö r t d a s h ö c h s t e
B ö s e z u r h ö c h s t e n
G ü t e : d i e s e
a b e r i s t d i e
s c h ö p f e r i s c h s t e . | Ich
bin bei weitem der furchtbarste Mensch, den es bisher gegeben hat; dies schliesst
nicht aus, dass ich der wohltätigste sein werde. Ich kenne die Lust am
V e r n i c h t e n in
einem Grade, die meiner Kraft zum vernichten gemäss ist, - in Beidem gehorche
ich neiner dionysischen Natur, welche das Neinthun und das Jasagen zu trennen
weiss. Ich bin der erste I m m o r a l i s t :
damit bin ich der erste V e r n i c h t e r
par excellence. - (Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S.
111-112).Die E n t d e c k u n g
der christlichen Moral ist ein Ereigniss, das nicht seines Gleichen hat, ein wirkliche
Katastrophe. Wer über sie aufklärt, ist ... ein Schicksal, - er bricht
die Geschichte der Menschheit in zwei Stücke. Man lebt v o r
ihm, man lebt n a c h ihm. .... Der Blitz der Wahrheit
traf gerade das, was bisher am Höchsten stand: wer begreift, w a s
da vernichtet wurde, mag zusehn, ob er überhaupt noch Etwas in den Händen
hat. Alles, was bisher »Wahrheit« hiess, ist als die schädlichste,
tückischste, unter irdischste Form der Lüge erkannt; der heilige Vorwand,
di, Menschheit zu »verbessern« als die List, das Leben selbst
a u s z u s a u g e n ,
blutarm zu machen. Moral als V a m p y r i s m u s .
.... Wer die Moral entdeckt, hat den Unwerth aller Werthe mit entdeckt, an die
man glaubt oder geglaubt hat; er sieht in der verehrtesten, in den selbst
h e i l ig gesprochnen Typen des Menschen nichts Ehrwürdiges
mehr, er sieht die verhängnissvollste Art von Missgeburten darin, verhängnissvoll,
w e i l s i e f a s c i n i r t e n
.... Der Begriff »Gott« erfunden als Gegensatz-Begriff zum Leben,
- in ihm alles Schädliche, Vergiftende, Verleumderische, die ganze Todfeindschaft
gegen das Leben in eine entsetzliche Einheit gebracht! Der Begriff »Jenseits«,
»wahre Welt« erfunden, um die e i n z i g e
Welt zu entwerthen, die es giebt, - um kein Ziel, keine Vernunft, keine Aufgabe
für unsre Erden-Realität übrig zu behalten! Der Begriff »Seele«,
»Geist«, zuletzt gar noch »unsterbliche Seele«, erfunden,
um den Leib zu verachten, um ihn krank - »heilig« - zu machen, um
allen Dingen, die Ernst im Leben verdienen, den Fragen von Nahrung, Wohnung, geistiger
Diät, Krankenbehandlung, Reinlichkeit, Wetter, einen schauerlichen Leichtsinn
entgegenzubringen! Statt der Gesundheit das »Heil der Seele« - will
sagen eine folie circulaire zwischen Busskrampf und Erlösungs-Hysterie! Der
Begriff »Sünde« erfunden sammt dem zugehörigen Folter-Instrument,
dem Begriff »freier Wille«, um die Instinkte zu verwirren, um das
Misstrauen gegen die Instinkte zur zweiten Natur zu machen! Im Begriff des »Selbstlosen«,
des »Sich-selbst-Verleugnenden« das eigentliche decadence-Abzeichen,
das G e l o c k t-werden vom Schädlichen,
das Seinen-Nutzen-nicht-mehr-finden-k ö n n e n ,
die Selbst-Zerstörung zum Werthzeichen überhaupt gemacht, zur »Pflicht«,
zur »Heiligkeit«, zum »Göttlichen« im Menschen! Endlich
- es ist das Furchtbarste - im Begriff des g u t e n
Menschen die Partei alles Schwachen, Kranken, Missrathnen, An-sich-selber-Leidenden
genommen, alles dessen, w a s z u G r u n d e
g e h n s o l l -, das Gesetz
der S e l e k t i o n gekreuzt,
ein Ideal aus dem Widerspruch gegen den stolzen und wohlgerathenen, gegen den
jasagenden, gegen den zukunftsgewissen, zukunftverbürgenden Menschen gemacht
- dieser heisst nunmehr d e r B ö s e
.... Und das Alles wurde geglaubt als Moral! (Friedrich Nietzsche,
Ecce homo, 1889, S. 119-120). Hat man mich verstanden?
D i o n y s o s g e g e n
d e n G e k r e u z i g t e n
.
(Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 120).Untergangserwartung
(!!!): Was ich erzähle, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte.
.... Diese Geschichte kann jetzt schon erzählt werden, denn die Notwendigkeit
selbst ist hier am Werke. Diese Zukunft redet schon in hundert Zeichen, dieses
Schicksal kündigt überall sich an; für diese Musik der Zukunft
sind alle Ohren bereits gespitzt. Unsre ganze europäische Kultur bewegt sich
seit langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt
wächst, wie auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, überstürzt:
einem Strom ähnlich, der ans Ende will, der sich nicht mehr besinnt, der
Furcht davor hat, sich zu besinnen. (Friedrich Nietzsche, Der Wille zur
Macht, Hrsg.: Elisabeth Förster-Nietzsche & Peter Gast, S. 3). Das
Moralisieren, das sogenannte Verbessern u.ä. waren
und sind Lügen, wie Nietzsche meinte.
Es gibt keine moralischen
Tatsachen (Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung, 1889,
in: Werke III, S. 425 bzw. 979).
Sowohl die Zähmung der Bestie Mensch, als die Züchtung
einer bestimmten Gattung Mensch ist »Besserung« genannt worden ....
Die Zähmung eines Tieres seine »Besserung« nennen ist in unsern
Ohren beinahe ein Scherz. Wer weiß, was in Menagerien geschieht, zweifelt
daran, daß die Bestie daselbst »verbessert« wird. Sie wird geschwächt,
sie wird weniger schädlich gemacht, sie wird durch den depressiven Affekt
der Furcht, durch Schmerz, durch Wunden, durch Hunger zur krankhaften Bestie.
Nicht anders steht es mit dem gezähmten Menschen, den der Priester
»verbessert« hat. Im frühen Mittelalter, wo in der Tat die Kirche
vor allem eine Menagerie war, machte man allerwärts auf die schönsten
Exemplare der »blonden Bestie« Jagd man »verbesserte«
zum Beispiel die vornehmen Germanen. Aber wie sah hinterdrein ein solcher »verbesserter«,
ins Kloster verführter Germane aus? Wie eine Karikatur des Menschen, wie
eine Mißgeburt: er war zum »Sünder« geworden, er stak im
Käfig, man hatte ihn zwischen lauter schreckliche Begriffe eingesperrt...
Da lag er nun, krank, kümmerlich, gegen sich selbst böswillig; voller
Haß gegen die Antriebe zum Leben, voller Verdacht gegen alles, was noch
stark und glücklich war. Kurz, ein »Christ«... Physiologisch
geredet: im Kampf mit der Bestie kann Krankmachen das einzige Mittel sein,
sie schwach zu machen. Das verstand die Kirche: sie verdarb den Menschen,
sie schwächte ihn aber sie nahm in Anspruch, ihn »verbessert«
zu haben. (Ebd., S. 425-426 bzw. 979-980).Verbessern
bedeutet, wenn Moralisten und andere Priester davon sprechen, stets das Gegenteil:
Verschlechtern, erniedrigen, krankmachen u.s.w..
Moralisch argumentieren nur Unmoralische! Unmoralisch ist, wer vorgibt, moralisch
gut zu sein. Gutmemnschen sind also Schlechtmenschen,
also böse Menschen!Die
Sozis (Egalitaristen, Kommunisten, Links-Sozialisten, Links-Feministen, Links-Ökos
u.ä.) bemühen die Soziologie, um zu beweisen, daß
es moralisch »richtig« sei, aus der Unterschicht
bzw. den Schlechtweggekommenen mittels Diktatur (des Proletariats)
eine Ober- bzw. Herrenschicht zu machen, damit die »klassenlose«
Gesellschaft (das Paradies) geschaffen werden könne. Die
Nazis (Nationalsozialisten, Faschisten, Fraternitaristen, Rechts-Sozialisten,
Rechts-Feministen, Rechts-Ökos u.ä.) bemühen die Biologie, besonders
die Evolutionsbiologie (den Darwinismus, Sozialdarwinismus), um zu beweisen,
daß es moralisch »richtig« sei, aus einem
Volk (einer Nation), einer Volksgruppe oder Rasse eine Ober- bzw. Herrenschicht
oder Herrenrasse (Herrscher der Welt) zu machen, damit sie die Welt »verbessern«
könne. |
In
der Natur gilt, daß für alle Lebewesen die Umwelt entscheidend
ist für deren Evolution (Geschichte). In der Kultur gilt, daß
für alle Kulturangehörigen die Welt dieser Kultur entscheidend
ist für deren Geschichte (Evolution).Alle
nichtmenschlichen Lebewesen sind abhängig von ihrer Umwelt, doch der
Mensch nur bedingt, weil er es geschafft hat, sich aus seiner Umwelt herauszulösen.
Der Mensch hat seitdem seine Welt. |
Züchtung
findet immer statt - auch und gerade dann, wenn Moralisten und andere Priester
(z.B. unsere Politiker) das Gegenteil behaupten, also lügen.Ein
Sozi züchtet nach unten, ein Nazi nach oben.Ein
Sozi züchtet so lange, bis alle Züchtlinge gleich arm, gleich
dumm und gleich krank sind. Ein Nazi züchtet so lange,
bis die Ungleichheit zementiert ist, d.h. bis seine Herrenrasse unangreifbar
die Welt beherrscht.Beide
- Sozis und Nazis - züchten!Der
Sozi läßt die Intelligenten verkümmern, sie ohne (Zeit
für) Kinder so lange für die Dummen mit vielen Kindern arbeiten,
bis kein Intelligenter mehr übrig ist. (Sprichwort: Gleichheit macht dumm
und arm!). Ähnlich wie der Sozi verfährt auch der Liberale, jedenfalls
der Links-Liberale. Sie betreiben negative Bevölkerungspolitik, Negativ-Eugenik,
d.h. Dysgenik, also: Verschlechterung der Menschen (obwohl sie selbstverständlich
das Gegnteil behaupten, also: lügen!), eine Survival-of-the-Unfittest-Politik.Der
Nazi tut genau das Gegenteil. |
Tiere zähmen oder
züchten sich nicht oder nur bedingt selbst. Sie werden von ihrer Umwelt
selektiert, also letztendlich gezüchtet und vielleicht auch,
falls sie Objekt der Menschen werden, gezähmt. Weil Menschen
wegen ihrer relativen Unabhängigkeit gegenüber ihrer Umwelt darauf angewiesen
sind, sich verhältnismäßig selbst zu selektieren,
zu züchten und zu zähmen, sind sie dazu verurteilt, zwischen Umwelt
und Welt, zwischen Natur und Kultur hin und her zu manövrieren. Deshalb sind
sie zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten unterschiedlich stark auf
Umwelt und Welt spezialisiert; sind sie mehr in ihre Umwelt eingebettet,
ist ihre Kultur primitiv oder nur schwach ausgeprägt; sind
sie mehr in ihre Welt eingebettet, ist ihre Kultur stark ausgeprägt.
In diesem Sinne gilt: schwache Kultur bedeutet starke Natur; starke Kultur bedeutet
schwache Natur. Eine schwache Kultur hat sich nicht (vgl. Primitvkultur, sogenannte
Naturvölker) oder noch nicht sehr (vgl. sehr junge Kultur) von
der Natur gelöst oder sich ihr wieder angenähert (vgl. ältere,
vergreisende und vergreiste Kultur: Zivilisation);
eine starke Kultur hat sich dagegen von der Natur weit entfernt. Der Mensch züchtet
um so mehr selbst (im Rahmen seiner Kultur), je mehr er Welt, je mehr
er Kultur hat und je weniger er sich zähmt. Umgekehrt gilt also: Der Mensch
züchtet sich um so weniger selbst (im Rahmen seiner Kultur), je weniger er
Welt, je weniger er Kultur, je mehr er (noch oder wieder) Umweltje
mehr er Natur hat und je mehr er sich zähmt.Wenn ein Tier Haustier
wird, hat der Mensch den Vergleich zu sich selbst, wenn er (Hausmensch)
zivilisiert wird. Das Tier wird vom Menschen zum Haustier gemacht (gezüchtet/gezähmt),
der Mensch vom Menschen zum Zivilisationsangehörigen. Während also die
Zucht die Kultur allgemein betrifft betrifft, betrifft die Zähmung nur die
Zivilisation (= ältere, vergreisende und vergreiste Kultur). Die Zivilisation
ist Teil einer Kultur (das gilt logischerweise nicht umgekehrt!);
die Zähmung ist Teil einer Züchtung (das gilt logischerweise ebenfalls
nicht umgekehrt!). Das Zähmen kann nicht vor der Züchtung
beginnen! Man kann nicht erst zähmen und dann züchten, sondern nur züchten
und dann zähmen. Zähmung ohne Züchtung ist deshalb nicht möglich,
weil ein zahm werdendes und mehr noch ein schon zahm gewordenenes Lebewesen auf
seinen Züchter angewiesen ist, d.h. seiner natürlichen Umwelt beraubt
worden ist. Wer mit dem Zähmen beginnt, hat immer schon zuvor gezüchtet.
Eine Zivilisation kann nicht vor ihrer Kultur beginnen. Man kann nicht erst zivilisieren
und dann kultivieren, sondern nur kultivieren und dann zivilisieren (nämlich
im Rahmen der dafür dann alt genug gewordenen Kultur). Zivilisierung ohne
Kultivierung ist deshalb nicht möglich, weil ein zivilisiert werdendenr Mensch
und mehr noch ein schon zivilisiert gewordener Mensch auf seinen Kultivierer angewiesen
ist, d.h. seiner noch-nicht-ziviliserten kulturellen Welt beraubt worden
ist Wer mit dem Zivilisieren beginnt, hat immer schon zuvor kultiviert. Die Zivilisierten
hat man genauso wie das zahme Tier geschwächt, ... weniger schädlich
gemacht, sie wird durch den depressiven Affekt der Furcht, durch Schmerz, durch
Wunden, durch Hunger zur krankhaften Bestie. (Friedrich Nietzsche,
Götzen-Dämmerung, 1889, in: Werke III, S. 425-426 bzw. 979-980).
Also: wir dürfen als obersten Satz hinstellen, daß, um Moral
zu machen, man den unbedingten Willen zum Gegenteil haben muß. ....
In Formel ausgedrückt dürfte man sagen: alle Mittel, wodurch
bisher die Menschheit moralisch gemacht werden sollte, waren von Grund aus unmoralisch.
(Ebd, S. 428 bzw. 982).Nietzsche
war, seit er Aphorismen schrieb, unbewußt ein Schüler Darwins ....
Und so stammt die »Herrenmoral« dieses letzten
Romantikers auf einem merkwürdigen, aber für den Sinn der Zeit bezeichnenden
Wege aus der Quelle aller geistigen Modernität, der Atmosphäre der englischen
Maschinenindustrie. Der Macchiavellismus, den Nietzsche als Renaissance-Erscheinung
pries und dessen Verwandtschaft mit Darwins Begriff der mimicry man nicht
übersehen sollte, war tatsächlich der im »Kapital« von Marx
- dem andern berühmten Jünger von Malthus - behandelte, und die Vorstufe
dieses seit 1867 erscheinenden Grundbuches des politischen (nicht des ethischen)
Sozialismus, die Schrift »Zur Kritik der politischen Ökonomie«,
erschien gleichzeitig mit Darwins Hauptwerk. Das ist die Genealogie der Herrenmoral.
Der »Wille zur Macht«, ins Reale, Politische, Nationalökonomische
übersetzt, findet seinen stärksten Ausdruck in Shaws »Major Barbara«
(1905). Sicherlich ist Nietzsche als Persönlichkeit der Gipfel dieser Reihe
von Ethikern, aber hier reicht Shaw, der Parteipolitiker, als Denker an ihn heran.
Der Wille zur Macht ist heute durch die beiden Pole des öffentlichen Lebens,
die Arbeiterklasse und die großen Geld- und Gehirnmenschen, viel entschiedener
vertreten als je durch einen Borgia. Der Milliardär Undershaft
in dieser besten Komödie Shaws ist Übermensch. Nur hätte
Nietzsche, der Romantiker, sein Ideal nicht wiedererkannt. Er sprach stets von
einer Umwertung aller Werte, von einer Philosophie der Zukunft, also doch zunächst
der westeuropäischen und nicht chinesischen oder afrikanischen Zukunft, aber
wenn seine immer in dionysischer Ferne verschwimmenden Gedanken sich wirklich
einmal zu greifbaren Gebilden verdichteten, so erschien ihm der Wille zur Macht
unter dem Bilde von Dolch und Gift und nicht von Streiks und der Energie des Geldes.
(Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918, S. 477-478).
Aber (!): Nietzsche schrieb auch seinen Anti-Darwin.
Was den berühmten »Kampf ums Leben« betrifft, so scheint er mir
einstweilen mehr behauptet als bewiesen. Er kommt vor, aber als Ausnahme; der
Gesamt-Aspekt des Lebens ist nicht die Notlage, die Hungerlage, vielmehr
der Reichtum, die Üppigkeit, selbst die absurde Verschwendung wo gekämpft
wird, kämpft man um Macht .... Man soll nicht Malthus mit der Natur
verwechseln. Gesetzt aber, es gibt diesen Kampf und in der Tat,
er kommt vor , so läuft er leider umgekehrt aus, als die Schule Darwins
wünscht, als man vielleicht mit ihr wünschen dürfte: nämlich
zu Ungunsten der Starken, der Bevorrechtigten, der glücklichen Ausnahmen.
Die Gattungen wachsen nicht in der Vollkommenheit: die Schwachen werden
immer wieder über die Starken Herr das macht, sie sind die große
Zahl, sie sind auch klüger .... Darwin hat den Geist vergessen (
das ist englisch!), die Schwachen haben mehr Geist .... Man muß Geist
nötig haben, um Geist zu bekommen man verliert ihn, wenn man ihn nicht
mehr nötig hat. Wer die Stärke hat, entschlägt sich des Geistes
( »laß fahren dahin!« denkt man heute in Deutschland »
das Reich muß uns doch bleiben« ...). Ich verstehe unter Geist,
wie man sieht, die Vorsicht, die Geduld, die List, die Verstellung, die große
Selbstbeherrschung und alles, was mimicry ist (zu letzterem gehört
ein großer Teil der sogenannten Tugend). (Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung,
1889, in: Werke III, S. 444-445 bzw. 998-999).
Interessant! Vgl. hierzu weitere Nietzsche-Zitate ()und
besonders auch z.B. meine Abhandlungen Kulturelle Evolution als Komplement
zur natürlichen Evolution ()
und Evolution birgt in ihrer Ziellosigkeit auch die Möglichkeit zur Zielhaftgkeit
([besonders:
Anpassung und Distanz])
sowie den Beitrag von Peter Mersch: Die Prinzipien der Evolutionstheorie wirken
eugenisch, moderne menschliche Gesellschaften reproduzieren sich dagegen dysgenisch
().
Solche Widersprüche lassen sich nicht leugnen! Was
das Politische betrifft, so hatte Nietzsche tatsächlich ein eher romantisches
Bild vor Augen, war diesbezüglich tatsächlich eher Romantiker, der
letzte Romantiker (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes,
1918, S. 477).
Da die Romantiker durchweg Nationalgesinnte waren und Nietzsche dem zuletzt Gesagten
zufolge auch Romantiker war, kann man ihn zwar auch deshalb Romantiker nennen,
jedoch war er insbesondere seit dem Bruch mit Richard Wagner (um 1876)
gegen die Neugründung des Deutschen Reiches (sie erfolgte bekanntlich in
Versailles am 18.01.1871),
weshalb man ihn eher einen der Romantik auf widersprüchliche Weise verhafteten
Neo-Romantiker nennen könnte. Nietzsche war vor allem deshalb gegen die
Gründung dieses 2. Deutschen Reiches, weil er - fälschlicherweise -
annahm, daß es das Freigeistige im Nationalen ersticken wolle, und
davor hatte er, der Freigeist, Angst. Nietzsche war gegen das Deutsche
Reich, weil er - und hier irrte er - glaubte, daß es an der Neugründung
des Deutschen Reiches gelegen habe, daß die abendländische Kultur noch
schneller unterginge, als sie es ohnehin schon tat, und diese Beschleunigung an
einer von ihm fälschlicherweise angenommenen Unterdrückung des freien
Geistes durch das Reich läge. Was Nietzsches Beziehung zu allem Deutschen
angeht, so ist festzustellen, daß er seit seinem Bruch mit Wagner
immer mehr zu einer völlig übertriebenen, überflüssigen, ja
völlig falschen Kritik und zu einem völlig megalomanischen, ja völlig
paranoiden Spott überging. Er schätzte die Situation Deutschlands völlig
falsch ein bzw. hatte gegenüber Deutschland, das sowieso Weltmeister in Wissenschaft
und Technik und nachweislich mit weitem Abstand führend in der Welt war (und
geblieben ist),
unrealistische Erwartungen. Das Land der Dichter und Denker sollte gemäß
Nietzsches Wunsch nicht national, sondern freigeistig bleiben -
auch auf die Gefahr hin, daß es dadurch wirtschaftliche und also wohlstandsmäßige
Einbußen hinzunehmen hätte. Auch diesbezüglich blieb er der Romantik
auf widersprüchliche Weise verhaftet. Nietzsche war kein Politiker und von
der zeitgenössischen Politik, Politologie und Soziologie u.s.w. nicht sehr
überzeugt. Außerdem war er gegen Martin Luthers Protestantismus, die
Reformationm, weil Luther die Renaissance, die Nietzsche verehrte und wörtlich
nahm (er glaubte und wollte unbedingt die Wiedergeburt der Antike, weil
er die Antike vergöttlichte) und - nebenbei gesagt - auch die Einigung Deutschlands
verhindert hatte, denn gemäß Nietzsche: liegt das Verhängnis
der neueren deutschen Geschichte in den Tagen jener Disputation von Regensburg:
der friedliche Ausgang der kirchlichen und sittlichen Dinge, ohne Religionskriege,
Gegenreformation, schien gewährleistet, ebenso die Einheit der deutschen
Nation .... (Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches,
1878-1880, S. 438).
Luther hatte auch sie verhindert, so Nietzsche vorwurfsvoll ().Für
Nietzsche war das, was groß ist im Sinn der Kultur, war unpolitisch,
selbst antipolitisch (Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung,
1889, in: Werke III, S. 431 bzw. 985),
und deshalb alles Politische ihm ein Dorn im Auge, und zwar um so mehr, je größer
die Politik und je realpolitischer die Politiker (man denke nur an Bismarck, den
wohl größten Realpolitiker, den Europa je hervorgebracht hat).
Dem ganzen höheren Erziehungswesen in Deutschland ist die Hauptsache
abhanden gekommen: Zweck sowohl als Mittel zum Zweck. Daß Erziehung,
Bildung selbst Zweck ist und nicht »das Reich«
, daß es zu diesem Zweck der Erzieher bedarf und nicht
der Gymnasiallehrer und Universitäts-Gelehrten man vergaß das
.... Erzieher tun not, die selbst erzogen sind, überlegne, vornehme
Geister, in jedem Augenblick bewiesen, durch Wort und Schweigen bewiesen, reife,
süß gewordene Kulturen nicht die gelehrten Rüpel,
welche Gymnasium und Universität der Jugend heute als »höhere
Ammen« entgegenbringt. Die Erzieher fehlen, die Ausnahmen der Ausnahmen
abgerechnet, die erste Vorbedingung der Erziehung: daher der Niedergang
der deutschen Kultur. (Ebd., S. 432 bzw. 986).
Daß eine solche Feststellung von Tatsachen viel mehr auf alle anderen abendländischen
Staaten als auf Deutschland zutraf, brauche ich wohl nicht zu erwähnen -
die Geschichte hat es bewiesen!Was die
»höheren Schulen« Deutschlands tatsächlich erreichen, das
ist eine brutale Abrichtung, um, mit möglichst geringem Zeitverlust, eine
Unzahl junger Männer für den Staatsdienst nutzbar, ausnutzbar zu machen.
(Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung, 1889, in: Werke III,
S. 432 bzw. 986).
Diese Aussage Nietzsches trifft viel mehr auf das heutige Deutschland (die sogenannte
Bundesrepublik) zu als auf das damalige, das - wie gesagt - weltweit
führend war (und geblieben ist).
Nietzsche erkannte einfach nicht, daß der Untergang des Abendlandes sich
keineswegs in Deutschland schneller ereignete als in anderen Ländern des
Abendlandes und daß die Nutzbarmachnung für den Staatsdienst in anderen
abendländischen Ländern viel rücksichtsloser im Gange war als in
Deutschland. Und die Tatsache, daß Nietzsche vom Staatsdienst überhaupt
nichts hielt, ehrt ihn zwar sehr, zeugt aber auch wiederum davon, daß er
Romantiker - der letzte Romantiker (Oswald Spengler, Der Untergang
des Abendlandes, 1918, S. 477)
bzw. ein (der Romantik auf widersprüchliche Weise verhafteter) Neo-Romantiker
()
- war, denn: wem nützt es, wenn alle Nationalstaaten mittels Staatsdienst
ihre Bürger nutzbar machen und nur der deutsche Staat nicht? Antwort: Den
Nationalstaaten außerhalb Deutschlands! Hier zeigt sich in Nietzsches Denken
das Micheltum (),
das man nicht zufällig besonders den Romantikern und ganz besonders den Biedermeiern
unter ihnen nachsagte und nachsagt. Das hätte er wissen können, ja müssen,
und wahrscheinlich hat er es auch gewußt, aber wie schon gesagt: das Politische
und insbesondere das Realpolitische, wie es Bismarck praktizierte, war ihm ein
Dorn im Auge ().
Was bedingt den Niedergang der deutschen Kultur? Daß »höhere
Erziehung« kein Vorrecht mehr ist der Demokratismus der »allgemeinen«,
der gemein gewordnen »Bildung«. (Friedrich Nietzsche,
Götzen-Dämmerung, 1889, in: Werke III, S. 433 bzw. 987).
Dies ist völlig richtig, doch dieser Prozeß betraf damals nicht nur
Deutschland allein, sondern den gesamten europäischen Norden und Westen.
Es ist schon sehr bezeichnend, daß Nietzsche Deutschland Demokratismus
vorwirft - und nicht Frankreich, das doch angeblich damals so demokratisch
war, während Deutschland laut unserer heutigen Propaganda es nicht
gewesen sein soll. Die Wahrheit ist doch, daß Deutschland als das 2. Deutsche
Reich durchaus demokrat(ist)isch war, in vielerlei Hinsicht sogar mehr
als diejenigen Staaten, die gemäß heutiger Propaganda mit dieser
Eigenschaft bestückt gewesen sein sollen. Nietzsche wollte Deutschland -
als die deutsche Kultur - durch Zurückversetzung in frühere Zeiten
retten. Wieder ein Indiz mehr für sein Verhaftet(geblieben)sein in der
Romantik. Für die Art von Erziehung bzw. Bildung, wie sie Nietzsche
vorschwebte, mochte die Zeit vor der 2. Reichsgründung besser
geeignet gewesen sein (Freizügigkeit gegenüber dem Ausland u.s.w.),
aber politisch war sie nicht besser, sondern schlechter, weil die Entwicklung
insgesamt so weit fortgeschritten war, daß eine einheitliche
Politik gemacht werden mußte und zu dieser Zeit nur national
gemacht werden konnte, und eine nationale Politik hat doch auch viele positive
Seiten, z.B. den, daß durch Konkurrenz bzw. Wettbewerb die Entwicklung -
auch und besonders die von Erziehung und Bildung (!) - beschleunigt wird. Doch
diese Art von Entwicklung war für Nietzsche eher schädlich als nützlich
- auf ähnliche Weise wie Goethe sah er in ihr das zu bekämpfende Veloziferische
().
Bezüglich der Freigeisterei, die Nietzsche voschwebte, war Politik
nur hinderlich und lediglich in der Lage, Erziehung und Bildung mehr zu schaden
als zu nützen. Daß die Politik sich in Erziehung und Bildung nicht
einmischen soll, ist auch meine feste Überzeugung. So gesehen ist es auch
konsequent und richtig, daß für Nietzsche der politische Gedanke hierbei
nur eine eher untergeordnete Rolle spielte (ähnlich wie heute für Sloterdijk).
Nietzsche verstand schon das Politische, aber seine Träumerei, seine Michelei,
seine Romantiziererei - ich meine eben: sein der Romantik auf widersprüchliche
Weise Verhaftet(geblieben)sein - stieß ihn immer wieder auf die Politik
und besonders die Realpolitik (siehe: Bismarck)
ablehnende Ideale, obwohl er Ideale doch eigentlich ebenfalls rigoros
bekämpfte, jedenfalls: die bisherigen Ideale, die allesamt lebensfeindliche
Ideale, Weltverleumder-Ideale sind (ebd., Zur Genealogie der Moral,
1887, S. 282 bzw. 836).
Es steht niemandem mehr frei, im jetzigen Deutschland
seinen Kindern eine vornehme Erziehung zu geben: unsre »höheren«
Schulen sind allesamt auf die zweideutigste Mittelmäßigkeit eingerichtet,
mit Lehrern, mit Lehrplänen, mit Lehrzielen. Und überall herrscht eine
unanständige Hast, wie als ob etwas versäumt wäre, wenn der junge
Mann mit 23 Jahren noch nicht »fertig« ist, noch nicht Antwort weiß
auf die »Hauptfrage«: welchen Beruf? Eine höhere
Art Mensch, mit Verlaub gesagt, liebt nicht »Berufe«, genau deshalb,
weil sie sich berufen weiß .... Sie hat Zeit, sie nimmt sich Zeit, sie denkt
gar nicht daran, »fertig« zu werden mit dreißig Jahren
ist man, im Sinne hoher Kultur, ein Anfänger, ein Kind. Unsre überfüllten
Gymnasien, unsre überhäuften, stupid gemachten Gymnasiallehrer sind
ein Skandal: um diese Zustände in Schutz zu nehmen, wie es jüngst die
Professoren von Heidelberg getan haben, dazu hat man vielleicht Ursachen
Gründe dafür gibt es nicht. (Ebd., Götzen-Dämmerung,
1889, in: Werke III, S. 433 bzw. 987).
Man hat den unwiderstehlichen Eindruck, daß Nietzsche nicht das Deutschland
des späten 19., sondern das des frühen 21. Jahrhunderts beschreibt.
Nietzsche wehrte sich gegen einen Zeitgeist, dem er selbst zumindest
teil- bzw. zeitweise noch anhing und der sowieso schon zu der Zeit, als Nietzsche
seine Werke schrieb, in seinen letzten Atemzügen lag: die Romantik! Die Revolte
oder Revolution gegen einen Zeitgeist kommt fast immer dann, wenn er sowieso
schon dabei ist, sich zu verändern oder ganz aufzugeben. Dies war Nietzsche
wohl nicht ganz klar. Trotz oder wegen der Tatsache, daß er
teil- bzw. zeitweise der Romantik verhaftet blieb, und wegen der Tatsache,
daß er ebenfalls teil- bzw. zeitweise ein Anhänger Schopenhauers sowie
ununterbrochen bis zum Schluß ein Anhänger Goethes blieb, wurde Nietzsche
für die Lebensphilosophie so bedeutend, daß ich ihn den Begründer
der Mittleren Schule der Lebensphilosophie nennen muß.
Der Mensch ist ein Raubtier. Ich werde es immer wieder sagen.
1917 dankte Oswald Spengler (1880-1936 )
Goethe und Nietzsche: Von Goethe habe ich die Methode, von Nietzsche die
Fragestellungen, und wenn ich mein Verhältnis zu diesem in eine Formel bringen
soll, so darf ich sagen: ich habe aus seinem Augenblick einen Überblick gemacht.
Goethe aber war in seiner ganzen Denkweise, ohne es zu wissen, ein Schüler
von Leibniz gewesen. (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes,
S. IX ).
In der westeuropäischen Modernität von Schopenhauer an
()
ist laut Spengler der Schwerpunkt des Philosophierens aus dem Abstrakt-Systematischen
ins Praktisch-Ethische gerückt und an Stelle des Problems der
Erkenntnis das Problem des Lebens (des Willens zum Leben, zur Macht, zur Tat)
getreten: Hier wird nicht mehr das ideale Abstraktum »Mensch«
wie bei Kant (),
sondern der wirkliche Mensch, wie er in historischer Zeit, als primitiver oder
als Kulturmensch völkerhaft gruppiert die Erdoberfläche bewohnt, der
Betrachtung unterworfen, und es ist sinnlos, wenn auch da noch die Struktur der
höchsten Begriffe durch das Schema Altertum-Mittelalter-Neuzeit ()
und die damit verbundene örtliche Beschränkung bestimmt wird. Aber das
ist der Fall. (Oswald Spengler, 1918, S. 32 ).
1. Stadium (Winter) | 2.
Stadium (Frühling) | 3.
Stadium (Sommer) | 4.
Stadium (Herbst) | Vor-/Urdenken:
Spenglers Vor-/Urphilosophie | Frühdenken:
Spenglers Frühphilosophie | Hochdenken:
Spenglers Hochphilosophie | Spätdenken:
Spenglers Spätphilosophie | (Dauer:
19 Jahre) | (Dauer: 18 Jahre) | (Dauer:
12 Jahre) | (Dauer: 7 Jahre) | 1880
bis 1899 | 1899 bis 1917 | 1917
bis 1929 | 1929 bis 1936 |
Geburt (29.05.) | DER
UNTERGANG DES ABENDLANDES (1. Band) | Tod
(08.05.) |
Übergang Schule /
Studium | | | Hamburger Vortrag |
Frühe Kindheit
| Grund-
schule |
Gym- nasium
| 1899 - 1903 |
1903 - 1911 | 1911 - 1917 | 1917 -
1922 | 1922 - 1927 | 1927 -
1929 | 1929 - 1933 | 1933 -
1934 | 1934 - 1936 | |
Spenglers Weltgeschichte - (Die Welt als Geschichte) - Goethes Methode
Betrachten wir den geschichtlichen Horizont Nietzsches. Seine Begriffe der
Dekadenz, des Nihilismus (),
der Umwertung aller Werte (),
des Willens zur Macht (),
die tief im Wesen der abendländischen Zivilisation begründet liegen
und für ihre Analyse schlechthin entscheidend sind - welches war die Grundlage
ihrer Schöpfung? Römer und Griechen, Renaissance und europäische
Gegenwart, einen flüchtigen Seitenblick auf die indische Philosophie eingerechnet,
kurz: Altertum-Mittelalter-Neuzeit. Darüber ist er, streng genommen, nie
hinausgegangen und die andern Denker seiner Zeit so wenig wie er. Aber in welcher
Beziehung steht denn sein Begriff des Dionysischen zum Innenleben der hochzivilisierten
Chinesen aus der Zeit des Konfuzius oder eines modernen Amerikaners? Was
bedeutet der Typus des Übermenschen für die Welt des Islam? Oder
was sollen die Begriffe Natur und Geist, heidnisch und christlich, antik und modern
als gestaltende Antithese im Seelentum des Inders und Russen bedeuten? Was
hat Tolstoi, der aus seiner tiefen Menschlichkeit heraus die ganze Ideenwelt des
Westens als etwas Fremdes und Fernes ablehnte, mit dem »Mittelalter«,
mit Dante, mit Luther, was hat ein Japaner mit dem Parsifal und dem Zarathustra,
was ein Inder mit Sophokles zu schaffen ? Und ist die Gedankenwelt Schopenhauers,
Comtes, Feuerbachs, Hebbels, Strindbergs etwa weiträumiger? Ist ihre
gesamte Psychologie trotz aller Absichten auf Weltgeltung nicht von rein abendländischer
Bedeutung? ().
Wie komisch wirken Ibsens Frauenprobleme, die ebenfalls mit dem Anspruch auf die
Aufmerksamkeit der ganzen »Menschheit« auftreten, wenn man an die
Stelle der berühmten Nora, einer nordwesteuropäischen Großstadtdame,
deren Gesichtskreis etwa einer Mietwohnung von 2000 bis 6000 Mark und einer protestantischen
Erziehung entspricht, Cäsars Frau, Madame de Sévigné, eine
Japanerin oder eine Tiroler Bäurin setzt? Aber Ibsen selbst besitzt
den Gesichtskreis der großstädtischen Mittelklasse von gestern und
heute. Seine Konflikte, deren seelische Voraussetzungen etwa seit 1850 vorhanden
sind und 1950 kaum überdauern werden, sind weder die der großen Welt
noch die der unteren Masse, geschweige denn die von Städten mit nichteuropäischer
Bevölkerung. (Oswald Spengler, 1918, S. 32-33 ).
Alles das sind episodische und örtliche, meist sogar auf die
augenblickliche Intelligenz der Großstädte von westeuropäischem
Typus beschränkte, nichts weniger als welthistorische und »ewige«
Werte, und wenn sie der Genereation Ibsens und Nietzsches noch so wesentlich sind,
so heißt es eben doch dem Sinn des Wortes Weltgeschichte - die keine Auswahl,
sondern eine Totalität darstellt - mißverstehen, wenn man die außerhalb
des modernen Interesses liegenden Faktoren ihnen unterordnet, sie unterschätzt
oder übersieht. Und das ist in einem ungewöhnlicheh hohem Grade der
Fall. Was im Abendlande bisher über die Probleme des Raumes, der Zeit, der
Bewegung, der Zahl, des Willens, der Ehe, des Eigentums, des Tragischen, der Wissenschaft
gesagt und gedacht worden ist, blieb eng und zweifelhaft, weil man immer darauf
aus war, die Lösung der Frage zu finden, statt einzusehen, daß
zu vielen Fragenden viele Antworten gehören, daß jede philosophische
Frage nur der verhüllte Wunsch ist, eine bestimmte Antwort zu erhalten, die
in der Frage schon beschlossen liegt, daß man die großen Fragen einer
Zeit gar nicht vergänglich genug fassen kann und daß demnach eine Gruppe
historisch bedingter Lösungen angenommen werden muß, deren Übersicht
erst - unter Ausschaltung aller eigenen Wertmaßstäbe - die letzten
Geheimnisse aufschließt. Für den echten Menschenkenner gibt es keine
absolut richtigen oder falschen Standpunkte. Es genügt nicht, angesichts
so schwerer Probleme wie dem der Zeit oder der Ehe die persönliche Erfahrung,
die innere Stimme, die Vernunft, die Meinung der Vorgänger oder Zeitgenossen
zu befragen. So erfährt man, was für den Frager selbst und seine Zeit
wahr ist, aber das ist nicht alles. Die Erscheinung andrer Kulturen redet eine
andre Sprache. Für andere Menschen gibt es andere Wahrheiten. Für den
Denker sind sie alle gültig oder keine. (Oswald Spengler, 1918, S.
33-34 ).
Man begreift, welcher Erweiterung und Vertiefung die abendländische
Weltkritik fähig ist und was alles über den harmlosen Relativismus Nietzsches
und seiner Generation hinaus in den Kreis der Betrachtung gezogen, welche Feinheit
des Formgefühls, welcher Grad von Psychologie, welche Entsagung und Unabhängigkeit
von praktischen Interessen, welche Unumschränktheit des Horizonts erreicht
werden muß, bevor man sagen darf, man habe die Weltgeschichte, die Welt
als Geschichte, verstanden. (Oswald Spengler, 1918, S. 34 ).
Diesem allem, den willkürlichen,
engen, von außen gekommenen, von eigenen Wünschen diktierten, der Historie
aufgezwungenen Formen, stelle ich die natürliche, die »kopernikanische«
Gestalt des Weltgeschehens entgegen, die ihm in der Tiefe innewohnt und sich nur
dem nicht voreingenommenen Blick offenbart. ().
Ich erinnere an Goethe. ().
Was er die lebendige Natur genannt hat, ist genau das, was hier Weltgeschichte
im weitesten Umfange, die Welt als Geschichte genannt wird. ().
Goethe, der als Künstler wieder und immer wieder das Leben, die Entwicklung
seiner Gestalten, das Werden, nicht das Gewordne, herausbildete, wie es der »Wilhelm
Meister« und »Wahrheit und Dichtung« zeigen, haßte die
Mathematik. Hier stand die Welt des Mechanismus der Welt als Organismus, die tote
der lebendigen Natur, das Gesetz der Gestalt gegenüber. Jede Zeile, die er
schrieb, sollte die Gestalt des Werdenden, »geprägte Form, die lebend
sich entwickelt«, vor Augen stellen. Nachfühlen, Anschauen, vergleichen,
die unmittelbare innere Gewißheit, die exakte sinnliche Phantasie - das
waren seine Mittel, dem Geheimnis der bewegten Erscheinung nahe zu kommen. Und
das sind die Mittel der Geschichtsforschung überhaupt. Es gibt keine
andern. Dieser göttliche Blick ließ ihn am Abend der Schlacht
von Valmy (* 20. September 1792) am Lagerfeuer jenes
Wort aussprechen: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte
aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.« Kein Heerführer,
kein Diplomat, von Philosophen zu schweigen, hat Geschichte so unmittelbar werden
gefühlt. Es ist das tiefste Urteil, das je über einen großen Akt
der Geschichte in dem Augenblick ausgesprochen wurde, als er sich vollzog.
(Oswald Spengler, 1918, S. 34-35 ).
Und so wie er die Entwicklung der Pflanzenform aus dem Blatt,
die Entstehung des Wirbeltiertypus, das Werden der geologischen Schichten verfolgte
- das Schicksal der Natur, nicht ihre Kausalität - soll hier die Formensprache
der menschlichen Geschichte, ihre periodische Struktur, ihre organische Logik
aus der Fülle aller sinnfälligen Einzelheiten entwickelt werden.
(Oswald Spengler, 1918, S. 35 ).
Spenglers Geschichtsphilosophie - (Philosophie der Geschichte) - historischer
Skeptizismus Die
systematische Philosophie war mit Ausgang des 18. Jahrhunderts vollendet. Kant
()
hatte ihre äußersten Möglichkeiten in eine große und - für
den westeuropäischen Geist - vielfach endgültige Form gebracht. ().
Ihr folgt eine ... spezifisch großstädtische, nicht spekulative, sondern
praktische, irreligiöse, ethisch-gesellschaftliche Philosophie. Sie beginnt
... im Abendlande mit Schopenhauer, der zuerst den Willen zum Leben (»schöpferische
Lebenskraft« )
in den Mittelpunkt stellte, aber, was die tiefere Tendenz seiner Lehre verschleiert
hat, die veralteten Unterscheidungen von der Erscheinung und dem Ding an sich
(),
von Form und Inhalt der Anschauung, von Verstand und Vernunft unter dem Eindruck
einer großen Tradition noch beibehielt. Es ist derselbe schöpferische
Lebenswille, der im Tristan schopenhauerisch verneint, im Siegfried darwinistisch
bejaht wurde, den Nietzsche im Zarathustra glänzend und theatralisch formulierte,
der durch den Hegelianer Marx ()
der Anlaß einer nationalökonomischen, durch den Malthusianer Darwin
()
der einer zoologischen Hypothese wurde, die beide gemeinsam und unvermerkt das
Weltgefühl des westeuropäischen Großstädters verwandelt haben,
und der von Hebbels »Judith« bis zu Ibsens Epilog eine Reihe tragischer
Konzeptionen von gleichem Typus hervorrief, damit aber ebenfalls den Umkreis echter
philosophischer Möglichkeiten erschöpft hat. (Oswald Spengler,
1917, S. 63 ).
Die systematische Philosophie liegt uns heute unendlich fern; die
ethische ist abgeschlossen. Es bleibt noch eine dritte, dem antiken Skeptizismus
()
entsprechende Möglichkeit innerhalb der abendländischen Geisteswelt,
die, welche durch die bisher unbekannte Methode der vergleichenden historischen
Morphologie bezeichnet wird. Eine Möglichkeit, das heißt eine Notwendigkeit.
Der antike Skeptizismus ist
ahistorisch: er zweifelt, indem er einfach nein sagt. Der des Abendlandes muß,
wenn er innereNotwendigkeit besitzen, wenn er ein Symbol unseres dem Ende sich
zuneigenden Seelentums sein soll, durch und durch historisch sein. Er hebt auf,
indem er alles als relativ, als geschichtliche Erscheinung versteht. Er verfährt
physiognomisch. Die skeptische Philosophie tritt im Hellenismus als Negation der
Philosophie auf - man erklärt sie für zwecklos. Wir nehmen demgegenüber
die Geschichte der Philosophie als letztes ernsthaftes Thema der Philosophie
an. Das ist Skepsis. ().
Man verzichtet auf absolute Standpunkte, der Grieche, indem er über die Vergangenheit
seines Denkens lächelt, wir, indem wir sie als Organismus begreifen.
(Oswald Spengler, 1918, S. 63-64 ).In
diesem Buche (* Der Untergang des Abendlandes - Umrisse
einer Morphologie der Weltgeschichte )
liegt der Versuch vor, diese »unphilosophische Philosophie« der Zukunft
- es würde die letzte Westeuropas sein - zu skizzieren. ().
Der Skeptizismus ist Ausdruck
einer reinen Zivilisation; er zersetzt das Weltbild der voraufgegangenen Kultur.
().
Hier erfolgt die Auflösung aller älteren Probleme ins Genetische. ().
Die Überzeugung, daß alles, was ist, auch geworden ist, daß allem
Naturhaften und Erkennbaren ein Historisches zugrunde liegt, ... auch Ausdruck
eines Lebendigen sein muß. Auch Erkenntnisse und Wertungen sind Akte
lebender Menschen. Dem vergangenen Denken war die äußere Wirklichkeit
Erkenntnisprodukt und Anlaß ethischer Schätzungen; dem künftigen
ist sie vor allem Ausdruck und Symbol. Die Morphologie der Weltgeschichte wird
notwendig zu einer universellen Symbolik. ().
Damit fällt auch der Anspruch des höheren Denkens, allgemeine und ewige
Wahrheiten zu besitzen. Wahrheiten gibt es nur in bezug auf ein bestimmtes Menschentum.
Meine Philosophie selbst würde demnach Ausdruck und Spiegelung nur
der abendländischen Seele, im Unterschiede etwa von der antiken und indischen,
und zwar nur in deren heutigem zivilisierten Stadium sein, womit ihr Gehalt
als Weltanschauung, ihre praktische Tragweite und ihr Geltungsbereich bestimmt
sind. (Oswald Spengler, 1918, S. 64 ).
Als Nietzsche das Wort »Umwertung aller Werte« ()
zum ersten Male niederschrieb, hatte endlich die seelische Bewegung dieser Jahrhunderte,
in deren Mitte wir leben (* Spengler schrieb dies 1911 bis
1917), ihre Formel gefunden. Umwertung aller Werte - das ist der innerste
Charakter jeder Zivilisation. Sie beginnt damit, alle Formen der voraufgegangenen
Kultur umzuprägen, anders zu verstehen, anders zu handhaben. Sie erzeugt
nicht mehr, sie deutet nur um. Darin liegt das Negative aller Zeitalter dieser
Art. Sie setzen den eigentlichen Schöpfungsakt voraus. Sie treten nur eine
Erbschaft von großen Wirklichkeiten an. .... Die Kultur wird dialektisch
vernichtet. Lassen wir die großen Namen des 19. Jahrhunderts vorüberziehen,
an die sich für uns dies mächtige Schauspiel knüpft: Schopenhauer,
Hebbel, Wagner, Nietzsche, Ibsen, Strindberg, so überblicken wir das, was
Nietzsche in dem fragmentarischen Vorwort zu seinem unvollendeten Hauptwerk beim
Namen nannte, die Heraufkunft des Nihilismus. ().
Sie ist keiner der großen Kulturen fremd. (Oswald Spengler, 1918,
S. 448-450 ).
Die
Philosophie wird keine unmittelbare Veränderung des jetzigen Weltzustandes
bewirken können. .... Nur noch ein Gott kann uns retten. Uns bleibt die
einzige Möglichkeit, im Denken und Dichten eine Bereitschaft vorzubereiten
für die Erscheinung Gottes oder für die Abwesenheit des Gottes im Untergang.
(Martin Heidegger im Gespräch mit Rudolf Augstein, in: Der Spiegel,
# 10, 1966)
Die Existenzphilosophie
des 20. Jahrhunderts kennt 3 Arten: I.)
die Existenzial-Ontologie ()
von Martin Heidegger (1889-1976 ),
deren Leitfrage die nach dem Sinn des Seins ist; II.)
die Existenzerhellung von Karl Jaspers (1883-1969 ),
die jene Frage als unmöglich ablehnt und sich auf die Erhellung der Seinsweise
der menschlichen Existenz und ihrer Beziehungen zur Transendenz konzentriert;
III.)
der Existentialismus von Jean-Paul Sartre (1905-1980 ),
der, von Heidegger ausgehend, einen realistischen Standpunkt im Bezug auf Sinn
und Zweck des Daseins vertritt. Als Begriff wird Existenzphilosophie also unterschiedlich
gebraucht; den stärksten Ausdruck verlieh ihm aber Martin Heidegger. An seiner
Biographie läßt sich übrigens auch gut ablesen, daß es sinvoll
sein kann, persönliche wie auch historische Entwicklungen in Analogie zu
setzen mit den natürlichen Entwicklungen, vor allem mit dem Klima (das man
ja natürlich und kultürlich verstehen darf )
und darum mit den Jahreszeiten:
1. Stadium (Winter) | 2.
Stadium (Frühling) | 3.
Stadium (Sommer) | 4.
Stadium (Herbst) | Vor-/Urdenken:
Heideggers Vor-/Urphilosophie | Frühdenken:
Heideggers Frühphilosophie | Hochdenken:
Heideggers Hochphilosophie | Spätdenken:
Heideggers Spätphilosophie | (Dauer:
20 Jahre) | (Dauer: 18 Jahre) | (Dauer:
18 Jahre) | (Dauer: 31 Jahre)* |
1889 bis 1909 | 1909
bis 1927 | 1927 bis 1945 | 1945
bis 1976 * |
Geburt (26.09.) | SEIN
UND ZEIT | Tod
(26.05.) |
Übergang Schule /
Studium | | | Verbindung nach
Frankreich |
Frühe Kindheit | Grund-
schule |
Gym- nasium
| 1909 - 1913 |
1913 - 1919 | 1919 - 1927 | 1927 -
1933 | 1933 - 1939 | 1939 -
1945 | 1945 - 1949 | 1949 -
1953 | 1953 - 1976 * |
|
* 11 Jahre Winter
(1965-1976) (5. Stadium) Martin Heidegger wurde am 26.09.1889
in Meßkirch geboren, war als Kind auch ein Läuterbub der dortigen katholischen
Kirche, besuchte das Gymnasium in Konstanz, wo er im katholischen Internat (Konradihaus)
wohnte, und in Freiburg, hier im erzbischöflichen Konvikt. 1909 begann er
mit dem Studium der Theologie und Philosophie in Freiburg, brach 1911 die Priesterausbildung
ab, studierte weiterhin Philosophie sowie Geistes- und Naturwissenschaften in
Freiburg. Heidegger promovierte 1913 mit der Dissertation Die Lehre vom Urteil
im Psychologismus und habilitierte sich 1915 mit der Arbeit Die Kategorien-
und Bedeutungslehre des Duns Scotus. ().
Im Wintersemester 1918-1919 erhielt er in Freiburg eine Stelle als Privatdozent
und Assistent. Den endgültigen Bruch mit dem Katholizismus vollzog er 1919.
Von da an begann Heidegger mit seiner eigenen Gotik. Und die gipfelte
bekanntlich 1927 in: SEIN UND ZEIT. Die
philosophische Situation der ersten 3 Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts war gekennzeichnet
durch ein Zurücktreten der methodologisch-erkenntnistheoretischen Problematik
(Wilhelm Dilthey, 1833-1911 ),
durch eine Wende zum Objekt (Edmund Husserl, 1859-1938 ),
durch eine Erneuerung der Metaphysik (Nicolai Hartmann, 1882-1950 )
und durch die Idee einer Philosophischen Anthropologie (Max Scheler,
1874-1928 ).
- Die Einsamkeit des Menschen vor Gott, die Kierkegaard (existentiell
!) erkannt hatte, wurde jetzt in der Existenzphilosophie zur Einsamkeit des
Menschen vor dem Nichts, aus der sich die Grundbefindlichkeit der Angst ergibt,
die jedoch allein zum Offenbarwerden des Seins, zum Selbstsein und zur Freiheit
führt. Deshalb muß diese Angst bewußt übernommen und ertragen
werden. Die Existenz bedeutet jenen innersten Kern im
Menschen, der auch dann noch unberührt übrig bleibt, wenn alles, was
der Mensch in dieser Welt besitzen und an das er zugleich sein Herz hängen
kann, ihm verlorengeht oder sich als trügerisch erweist. - Die Existenzphilosophie
hält den Verstand (bzw. Rationalismus) für ein untaugliches Werkzeug
zur Erforschung der Wahrheit und mißt dem Erkenntnisvorgang nur dann einen
Wert bei, wenn er als eine natürliche Verhaltensweise der Gesamtpersönlichkeit
(z.B. als Besorgen ),
nicht aber als eine Funktion der Geisteskräfte allein aufgefaßt werden
kann. Existentielles Denken ist ein Denken, an dem jeweils der ganze körperlich-seelisch-geistige
Mensch mit seinen Erfahrungen und Hoffnungen, seinen Sorgen und Nöten beteiligt
ist. Nur einem solchen Denker erschließt sich die Wahrheit,
das Wesentliche an den Dingen. Die Existenzphilosophie ist also der Versuch, die
Weise des ursprünglichen existentiellen Denkens aufzuzeichnen und seine Ergebnisse
darzustellen. Die Grundverfassung des menschlichen Daseins ist das In-der-Welt-Sein
(
vgl. Existenzialien ).Die
Seinsfrage und die Entfaltung dieser Frage, so Heidegger, setzt ja gerade eine
Interpretation des Daseins voraus, das heißt: des Wesens des Menschen. Der
Grundgedanke meines Denkens ist ja gerade der, daß das Sein beziehungsweise
die Offenbarkeit des Seins den Menschen braucht und daß umgekehrt der Mensch
nur Mensch ist, insofern er in der Offenbarkeit des Seins steht.
Es gibt kein Sosein ohne Dasein und kein Dasein
ohne Sosein. Alles Sosein von etwas ist selbst auch Dasein von etwas,
und alles Dasein von etwas ist selbst auch Sosein von etwas. Nur das
Etwas ist hierbei nicht ein und dasselbe. Beispiel: das Dasein des Baumes an seiner
Stelle ist selbst ein Sosein des Waldes, denn ohne ihn wäre der Wald anders,
also von anderer Beschaffenheit; das Dasein eines Astes am Baum ist ein Sosein
des Baumes; das Dasein eines Zweiges am Ast ist das Sosein des Astes; das Dasein
eines Blattes am Zweig ist das Sosein des Zweiges u.s.w.. Immer ist das Dasein
des einen zugleich das Sosein des anderen. Diese Reihe läßt sich nach
beiden Seiten verlängern und auch umkehren. In
der Existenzphilosophie wird das Dasein des Menschen, da es unserer Erkenntnis
am leichtesten zugängig ist, mittels einer Daseinsanalytik (Existenzialanalytik)
dazu benutzt, das Wesen und den Sinn des (im menschlichen Dasein anwesenden) Seins
zu erschließen. Die in Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit ()
1927 niedergelegten Ergebnisse seiner Untersuchungen bilden die Grundlage und
somit auch die Grundlehre vom Sein, die Fundamentalontologie heißt. ().
Heideggers Untersuchungen betreffen das (menschliche) Dasein zu dem Zwecke, das
Sein (als ein auch im Dasein, einer sich selbst verstehenden Seienden Anwesendes)
und den Sinn von Sein zu erschließen. Die Fundamentalontologie zeigt, wie
das Sein sich im Dasein kundgibt. Sie will die Grundlage für alle Erfahrungswissenschaft
sein. Existenz ist Dasein in seiner einfachen Tatsächlichkeit. Das
Sein ist die Lichtung (),
die das Seiende entbirgt, es erfaßbar macht. In dieser entbergenden
Funktion besteht nach Heidegger der Sinn vom Sein. Dieser Sinn kann
nur erscheinen in dem Da des menschlichen Daseins, d.h. in der Erschlossenheit
des Daseins durch die Stimmungen. Im Dasein liegt eine wesenhafte
Tendenz auf Nähe. (Martin Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S.
105 ).
Der Sinn des Daseins aber ist es, das Sein als Lichtung alles Seienden als Möglichkeit
zu nutzen bzw. es geschehen zu lassen. In einem solchen Raum wird die Möglichkeit
der Zuhandenheit ()
gewonnen. Das Sein entspringt aus dem Nichten des Nichts,
indem das Nichts das Seiende versinken läßt und dadurch das Sein enthüllt.
Laut Heidegger ist Existenz das Seiende desjenigen Seienden, das offen steht
für die Öffentlichkeit des Seins, in der es steht, indem es sie aussteht.
(Martin Heidegger, Was ist Metaphysik?, 1929).
Dieses Seiende ist der Mensch, und etwas ausstehen hat die Bedeutung
von sich um etwas sorgen. In der Beziehung zur Umwelt ist das Dasein
Besorgen, in der Beziehung zu den Mitmenschen ist das Dasein Fürsorge.
In der Sorge selbst sind die drei Strukturmomente des Daseins zusammengefaßt:
1.) das Sich-vorweg-sein,
das Über-sich-hinaus-sein
des Daseins zu seinem Seinkönnen, so, wie die
Angst es erschließt, 2.)
die Geworfenheit (Faktizität, das unentrinnbare Überantwortetsein
des Daseins an sein eigenes In-der-Welt-Sein, d.h. an sich selbst,
das Wovor der Angst), 3.)
das Verfallen. - Sein ist ein Vernehmen von Sein. Der Ruf der Sorge ist das Gewissen.
Es ruft den Menschen aus der
Verlorenheit an das Man (Seinsart des Alltäglichen - wir essen,
wie man ißt, wir wohnen, wie man wohnt, u.s.w. )
zurück in die Freiheit auf dem Grunde des Nichts. Und genau dieser Ruf ist
es, der die Bewegung des eigentlichen Selbstwerdens ermöglicht. Das Gewissenhabenwollen
konstituiert das eigentliche Seinkönnen des Daseins.Das
In-der-Welt-Sein (oder: Inderweltsein) ist die transzendentale Grundverfassung
des Daseins. An ihm sind erkennbar: a) das In-Sein
als solches - wobei Sein bedeutet wohnen bei (),
vertraut sein mit -, b) die Welt
als die Wirklichkeit des Daseins - insofern zum Sein des Daseins die Angewiesenheit
auf eine begegnende Welt wesenhaft gehört -, c) das
Mitsein der Anderen. Das Dasein als Existenz, dem es um
sein eigenes Seinkönnen geht, hat als In-der-Welt-Sein immer schon eine Welt
entdeckt. Durch den Begriff des In-der-Welt-Seins werden der Bewußtseinsbegriff
und der Subjekt-Objekt-Gegensatz ausgeschaltet. Den Begriff Physis
deutete Heidegger anders als die Tradition, denn Heidegger leitete ihn nicht mehr
- wie üblich - von phyein (wachsen lassen) ab, woraus
sich die Bedeutung Natur, Körper ergibt, sondern von phaeinein:
ans Licht bringen. Dann wäre Physis das leuchtende Offene,
in diesem Sinne sprach Heidegger von der ursprünglichen Offenheit des
Seienden. (Vgl. Lichtung ).
Gegen das Entleben ()
als den Prozeß der Zerstörung der Umwelt durch die Wissenschaft hatte
schon der noch junge Heidegger das Leben gestellt: das Leben als den Prozeß
des Erlebens der Welt durch das menschliche Lebe-Wesen. Leben:
Heidegger war schon in der Schule der Phänomenologie bewußt geworden,
daß es mit dem Begriff Leben ein Problem gibt, das er versuchen müsse
zu lösen. Er hatte sich nämlich in gut phänomenologischer
Art die Frage gestellt, welche Einstellung muß ich wählen, damit das
menschliche Leben sich in seiner Eigentümlichkeit zeigen kann. Die
Antwort auf diese Frage legt den Grund für die eigene Philosophie: die Kritik
an der Vergegenständlichung. Das menschliche Leben entgleitet uns, so lehrt
er, wenn wir es in theoretischer, objektivierender Einstellung erfassen wollen.
.... Im objektivierenden Denken verschwindet der Reichtum der lebensweltlichen
Bezüge. Die objektive Einstellung entlebt das Erleben und entweltet
die uns begegnende Welt. ().
Heideggers Philosophieren wendet sich dem Dunkel des gelebten Augenblicks zu.
Es geht dabei um ... die Selbstdurchsichtigkeit der Lebensvollzüge .... In
SEIN UND ZEIT arbeitet Heidegger an den philosophischen Nachweis, daß menschliches
Dasein keinen anderen Halt hat als dieses da, das es zu sein hat. ....
Der Sinn von Sein ist - die Zeit. .... Die Seinsfrage. Genaugenommen stellt Heidegger
zwei Fragen. (A) Sinn des Seins selbst, ... die Frage
nach dem Sinn von Sein, ich nenne sie die »emphatische Frage« ()
... (B) Sinn des Ausdrucks Sein, die »semantsche
Frage«, die lautet: Was meinen wir, wenn wir den Ausdruck seiend
verwenden, in welchem »Sinn« sprechen wir vom »Sein«?
Diese Frage gehört durchaus auch in den Zusammenhang der modernen Wissenschaften.
Jede Wissenschaft ... bearbeitet einen bestimmten Bezirk des Seienden .... Jede
methodische Besinnung darauf, wie man sich angemessen seinem Gegenstand zu nähern
habe, impliziert eine regionale Ontologie, auch wenn man das nicht mehr so nennt.
.... Gerade bei der Erforschung des Menschen werde deutlich, daß die Wissenschaften
sich nicht darüber im klaren sind, in welchem Sinne sie den Menschen seiend
sein lassen. Sie tun so, als könnte man den Menschen wie andere vorhandene
Gegenstände in der Welt als Ganzes in den Blick bekommen. .... Zum Dasein
gehört Möglich-sein. .... Das Intransitive am Dasein nennt Heidegger
die »Geworfenheit« »Hat je ein Dasein als es selbst frei darüber
entschieden ..., ob es ins Dasein kommen will oder nicht?« (Martin
Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 228). Aber wenn wir - intransitiv -
da sind, so können wir nicht anders, als das, was an uns intransitiv ist,
transitiv zu leben. Was wir intransitiv geworden sind, können und müssen
wir transitiv sein. Sarte wird später die Formel dafür finden: »etwas
aus dem machen, wozu man gemacht worden ist«. .... Und niemals sind wir
wie etwas Vorhandenes fertig ..., an jedem Punkt sind wir offen für die Zukunft.
Wir müssen unser Leben - führen. .... Beide Aspekte der Zeitlichkeit
()
- ihr abschließender und ihr eröffnender, das Sein zum Tod und das
Möglich-sein - sind eine schwere Herausforderung für das Dasein. ....
Die wissenschaftliche Objektivierung des Menschen ist für Heidegger ein Ausweichen
vor der beunruhigenden Zeitlichkeit des Daseins. (Rüdiger Safranski,
Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, 1994, S. 170-175).
Heidegger begann beim In-Sein
(),
denn phänomenal wird nicht zuerst das Selbst und dann die Welt und
auch nicht zuerst die Welt und dann das Selbst erfahren, sondern in der Erfahrung
ist beides zugleich in unauflöslicher Verbindung da. Die Analyse des In-Seins
führt zu der typischen Heidegger-Terminologie, weil jede begriffliche Aussage
vermeiden muß, in die so naheliegende Trennung von Subjekt und Objekt
und in die Wahl eines entweder subjektiven (innerlichen) oder objektiven
(äußerlichen) Standpunkts zurückzufallen (denn
es gilt ja die Ausschaltung des Subjekt-Objekt-Dualismus ).
So entstehen die Bindestrich-Wortungetüme, welche die Strukturen in ihrem
unzerreißbaren Zusammenhang bezeichnen sollen. (Rüdiger Safranski,
ebd., 1994, S. 179). In-Sein meint eine Seinsverfassung
des Daseins und ist ein Existenzial ().
Dann kann damit aber nicht gedacht werden an das Vorhandensein eines Körperdings
(Menschenleib) »in« einem vorhandenen Seienden. Das In-Sein meint
so wenig ein räumliches »Ineinander« Vorhandener, als »in«
ursprünglich gar nicht eine räumliche Beziehung der genannten Art bedeutet
(vgl. Jacob Grimm, Kleinere Schriften, Band VII, S. 247); »in«
stammt von innan-, wohnen, habitare, sich aufhalten; »an« bedeutet:
ich bin gewohnt, vertraut mit, ich pflege etwas; es hat die Bedeutung von colo
im Sinne habito und diligo. Dieses Seiende, dem das In-Sein in dieser Bedeutung
zugehört, kennzeichneten wir als das Seiende, das ich je selbst bin. Der
Ausdruck »bin« hängt zusammen mit »bei«; »ich
bin« besagt wiederum: ich wohne, halte mich auf bei ... der Welt, als dem
so und so Vertrauten. Sein als Infinitiv des »ich bin«, d.h. als Existenzial
verstanden, bedeutet wohnen bei ..., vertraut sein mit .... In-Sein ist demnach
der formale existenziale Ausdruck des Seins des Daseins, das die wesentliche Verfassung
des In-der-Welt-Seins hat. Das »Sein bei« der Welt, in dem noch
näher auszulegenden Sinne des Aufgehens in der Welt, ist ein im In-Sein fundiertes
Existenzial. (Martin Heidegger, Sein und Zeit, 1927, S. 54).
Heideggers Existenzialien sind die Arten des menschlichen
Existierens, die Kategorien des menschlichen Seins, vor allem das In-Sein, die
Angst, das In-der-Welt-Sein, die Sorge, die Geworfenheit, die Gestimmtheit, die
Befindlichkeit, das Verstehen, das Verfallen u.s.w.; durch die Angst wird z.B.
das Nichts offenbar, denn in der Angst liegt stets ein Zurückweichen vor
etwas, das in Wirklichkeit das Nichts ist. Das Wesen des Nichts ist die Nichtung,
nämlich die abweisende Verweisung auf das versinkende Seiende im Ganzen,
d.h. auf die Nichtigkeit alles Seienden. In der hellen Nacht des Nichts
der Angst entsteht erst die ursprüngliche Offenbarkeit des Seienden als eines
solchen: daß es Seiendes ist - und nicht Nichts. Einzig weil das Nichts
im Grunde des Daseins offenbar ist, kann die volle Befremdlichkeit des Seienden
über uns kommen und die Grundfrage der Metaphysik: warum ist überhaupt
Seiendes und nicht vielmehr Nichts? (Martin Heidegger, Was ist Metaphysik
?, 1929;
vgl. G. W. Leibniz ).
Im Unterscheid zum Soseinsurteil: A ist P ( z.B. A ist grün)
bezieht sich das Daseinsurteil ja auf das nackte Dasein und heißt deswegen
auch Existenzialurteil: A ist (nämlich: da, seiend, existent).Was
dem Menschen am nächsten ist, was ihm in seiner Umwelt als Umgebung
für das Umgehen (mit ...; vgl. Umgang) und die Umsicht da ist - all
dies hatte die Philosophie vor Heidegger überhaupt nicht bemerkt! Der erste
Nähe-Philosoph heißt: Martin Heidegger. Was alle Philosophen vor Heidegger
überhaupt nicht beachtet hatten, sagt vielleicht folgender Heidegger-Satz
aus: Das ontisch Nächste und Bekannte ist das ontologisch Fernste,
Unerkannte und ... Übersehene (Martin Heidegger, Sein und Zeit,
1927, S. 43). Bei Heidegger bezieht sich nämlich z.B. das Umgehen
auf die Umwelt (natürlich, dinglich), auf die Selbstwelt (das Selbstverhältnis)
und auf die Mitwelt (Gesellschaft). Umgehen bedeutet Handeln - Heideggers
Ansatz ist also pragmatisch - und gilt als die grundlegende Struktur des Daseins.
Der pragmatische Ökologist oder Ökosoph Martin Heidegger war also auch
der erste Chirotopologe (vgl. Zuhandenheit).
Pragmatisch ist auch die Verknüpfung von Handeln und Erkennen, denn: das
primäre Umgehen hat seine jeweils zugehörige Umsicht. Das Erkennen ist
eine Funktion des Handelns, und da das Erkennen aus dem praktischen Umgehen mit
der Welt hervorgeht, muß es auch von der praktischen Lebenstätigkeit
her erforscht werden. Daß dies aber trotzdem nicht der Rückgriff auf
das bekannte materialistische Prinzip ist, nach dem das Sein das Bewußtsein
bestimmen soll, zeigt sich an Heideggers Einwand, daß wir nicht wissen,
was das Sein ist, und demzufolge auch nicht wissen, ob es bestimmt oder bestimmt
wird. Danach fragen wir, so Heidegger. Man kann nur aufmerksam beobachten und
muß auch diese Aufmerksamkeit aufmerksam beobachten u.s.w., und phänomenologisch
beschreiben, wie die Umwelt, Selbstwelt und Mitwelt dem Dasein begegnen.
(Vgl. z.B. Zeug).
Wie gesagt: Heideggers Daseinsanalyse beginnt deshalb mit dem In-Sein, weil das
Dasein damit beginnt. Durch
die Fundamentalontologie ()
sollte die in Sein und Zeit (1927)
gestellte Frage nach dem Sinn von Sein vorbereitet werden: mittels einer Analyse
des menschlichen Daseins, der Daseinsanalyse (oder: Existenzialanalyse),
entwickelte Heidegger diese Fundamentalontologie, die auf der Seite der Person
das Ganze der (wesentlich unerkennbaren) Existenz des Menschen voraussetzt, der
sich zunächst aber nicht in dieser, sondern in der Geworfenheit
()
vorfindet. Die praktischen Dinge des Lebens begegnen im Rahmen des In-der-Welt-Seins
()
als Zuhandenes (),
die theoretischen und nur betrachteten als bloß Vorhandenes
().
Der Mensch ist ein in der Welt seiendes, in seinem Sein an Kosmos und Mitmenschen
gekoppeltes, in seinem tiefsten Grunde gestimmtes, verstehendes Wesen, das sich
zur Umwelt besorgend, zu den Mitmenschen fürsorgend (*man
beachte die Umkehrung) verhält und durch den Tod aufgerufen wird zu
seinem eigensten Seinkönnen. Heidegger vereinigte sozuagen die Existenzlehre
von Martin Luther (1483-1546 )
und Sören Kierkegaard (1813-1855 ),
in die reine Diesseitigkeit gesetzt, mit der Geschichtshermeneutik von Wilhelm
Dilthey (1833- 1911 )
zu einer neuen Lehre vom Sinn des Seins und vom Wesen des Menschen. Die
Grunderfahrung vom Nichts liegt nach Heidegger im Anschluß an Kierkegaard
in der Angst (): |