Kulturtheorie
und zwei Kulturtheorien im Vergleich ** |
Kulturtheorie
von Oswald Spengler **Spenglers
Hauptwerk - Der Untergang des Abendlandes - trägt den Untertitlel:
Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Titel und Untertitel verraten
nicht nur, worum es Spengler zu tun war, sondern auch die ihm zur Seite stehenden
Geistespaten:Goethe und Nietzsche verdankte Spengler so gut wie
alles, wie er selbst sagte. (**).
Spenglers Ansatz gehört zu den zyklischen Geschichtsvorstellungen, die davon
ausgehen, daß die Geschichte nicht einfach nur linear verläuft, sondern
auch zyklisch, sich also in einem ständigen Auf und Ab befindet. Weil besonders
der westliche Kulturkreis, die abendländische Kultur, der Linearität
gegenüber der Zyklizität höhere Priorität einräumt, gilt
es, den Blick auf die Zyklizität zu richten: Völker und Kulturen entstehen,
haben einen Höhepunkt und vergehen letztendlich wieder. So schließt
sich immer wieder ein Kreis, in dem ständig dieselben Muster und Stufen durchschritten
werden, obwohl dieser Kreis nicht zweidimensional, sondern dreidimensional ist:
eine Spirale. Die Geschichte hat, so scheint es, keinen Anfang und kein Ende,
sondern läuft ewig innerhalb dieser Kreisläufe weiter. Die
großen acht Kulturen (**)
durchlaufen nach Spenglers Vorstellung bestimmte Stadien, die man in Kurzform
durch Vorzeit (bis zur Geburt!), Aufstieg, Blütezeit und Verfall
definieren könnte. Laut Spengler entsteht jede Kultur fast urplötzlich,
ihr Auftauchen ist fast rein zufällig und kaum zu erklären (nicht
nur deshalb muß - jedenfalls gemäß der Theorie von Hubert Brune
- auch die vorgeburtliche Zeit unbedingt berücksichtigt werden!).
Im Sinne Spenglers erlebt jede Kultur nach ihrer Geburt ein Bewußtsein,
das in der Zeit vor ihrer Geburt nicht existiert hatte. Am Ende steht der völlige
Zerfall der Kultur, der oft nach außen hin lange nicht sichtbar ist, sich
nach innen aber unaufhörlich fortsetzt. Wenn auch der Herbst der Kultur zu
Ende ist, wird auch nach außen sichtbar, daß die Kultur vergreisen
wird. Schließlich erstarrt die Kultur, nimmt ihre endgültige, versteinerte
Gestalt an, die sie aus eigener Kraft nicht mehr verändern kann. Der Wiedereintritt
in eine nahezu geschichtslose Zeit ist somit vollzogen, so Spengler, denn: was
folgt, ist wieder das zoologische Auf und Ab des primitiven Zeitalters, mag es
sich auch in noch so durchgeistigte religiöse, philosophische und vor allem
politische Formen hüllen.Jede
der acht Kulturen wird geprägt von Raum (Landschaft) und Zeit,
in deren Verlauf ihr Seelenbild und ihr Ursymbol immer
deutlicher erkennbar werden (jedenfalls für den [Er-]Kenner).
So sind z.B. die antike Kultur und die abendländische Kultur gegensätzlich,
was sich an den beiden Seelenbildern - apollinisch (Antike) und faustisch
(Abendland) und den beiden Ursymbolen Einzelkörper (Antike) und
Unendlicher Raum (Abendland) erkennen läßt. Wie ein Dogma
gegenüber aller Erfahrung, gelten auch Seelenbild und Ursymbol allgemein
als unbeweisbar, deshalb sei hier darauf hingewiesen, daß der Unterschied
zwischen Antike und Abendland sogar am Beispiel Parallelenaxiom deutlich
werden kann: Euklid hat in seinen Elementen (um 312 v. Chr.) die mathematische
Entsprechung für das antike Beispiel gegeben und Gauß fast einen platonischen
Monat später (um 1800) die für das abendländische.Folgende
Ursymbole sind in Spenglers Hauptwerk vornehmlich thematisiert: Weg
(ägyptische Kultur), Nirwana (indische Kultur), Tao (auch
als Weg) oder auch Naturlandschaft, Naturarchitektur (chinesische Kultur),
Einzelkörper (antike Kultur) Welthöhle (magische
[arabische] Kultur), Unendlicher Raum (faustische [abendländische]
Kultur). Diese Ausdrucksformen machen das Einzigartige einer jeden Kultur aus,
das sie von jeder anderen immer unterscheiden wird. Alles, was überhaupt
geworden ist, alles, was die Kultur im Laufe ihres Lebens erzeugt
hat, geht zurück auf das kulturspezifische Ursymbol und ist Ausdruck einer
Kulturseele. Nach Leo Frobenius: Paideuma.Spenglers Hauptwerk
war in der ersten Niederschrift vollendet, als der große Krieg ausbrach.
Es ist bis zum Frühling 1917 noch einmal durchgearbeitet und in Einzelheiten
ergänzt und verdeutlicht worden. Die außerordentlichen Verhältnisse
haben sein Erscheinen weiterhin verzögert. .... Der Titel, seit 1912 feststehend,
bezeichnet in strengster Wortbedeutung und im Hinblick auf den Untergang der Antike
eine welthistorische Phase vom Umfang mehrerer Jahrhunderte .... (Ebd.,
[Vorwort zur Ausgabe des 1. Bandes], S. X **).
Spengler fragt nach einer Logik der Geschichte (ebd., S. 3 **).
Er fragt sich, ob es eine metaphysische Struktur der historischen Menschheit,
die von den weithin sichtbaren, populären geistig-politischen Gebilden der
Oberfläche wesentlich unabhängig ist (ebd., S. 3 **),
ja diese Wirklichkeit geringeren Ranges vielmehr erst hevorruft (ebd.,
S. 3 **).
Der Untergang des Abendlandes, zunächst ein örtlich
und zeitlich beschränktes Phänomen wie das ihm entsprechende des Untergangs
der Antike, ist, wie man sieht, ein philosophisches Thema, das in seiner ganzen
Schwere begriffen alle großen Fragen des Seins in sich schließt. Will
man erfahren, in welcher Gestalt sich das Schicksal der abendländischen Kultur
erfüllen wird, so muß man zuvor erkannt haben, was Kultur ist,
in welchem Verhältnis sie zur sichtbaren Geschichte, zum Leben, zur Seele,
zur Natur, zum Geiste steht, unter welchen Formen sie in Erscheinung tritt und
inwiefern diese Formen ... Symbole und als solche zu deuten sind. Das
Mittel, tote Formen zu erkennen, ist das mathematische Gesetz. Das Mittel, lebendige
Formen zu verstehen, ist die Analogie. Auf diese Weise unterscheiden sich Polarität
und Periodizität der Welt. Das Bewußtsein davon, daß die Zahl
der weltgeschichtlichen Erscheinungsformen eine begrenzte ist, daß Zeitalter,
Epochen, Lagen, Personen sich dem Typus nach wiederholen, war immer vorhanden.
(Ebd., S. 4 **).Ich
nenne dies dem heutigen Westeuropäer geläufige Schema (Altertum-Mittelalter-Neuzeit
ist gemeint [Herr Schütze]), in dem die hohen Kulturen ihre Bahnen
um uns als den vermeintlichen Mittelpunkt alles Weltgeschehens ziehen,
das ptolemäische System der Geschichte und ich betrachte es als die
kopernikanische Entdeckung im Bereich der Historie, daß in diesem
Buche ein System an seine Stelle tritt, in dem Antike und Abendland neben Indien,
Babylon, China, Ägypten, der arabischen und mexikanischen Kultur - Einzelwelten
des Werdens, die im Gesamtbilde der Geschichte ebenso schwer wiegen, die an Großzügigkeit
der seelischen Konzeption, an Gewalt des Aufstiegs die Antike vielfach übertreffen
- eine in keiner Weise bevorzugte Stellung einnehmen. (Ebd., S. 24 **).
Spengler
erteilte der damals und auch heute immer noch üblichen Periodisierung Altertum-Mittelalter-Neuzeit
mit ihrer teleologischen Grundkonzeption sowie ihrer Vernachlässigung der
nicht-westlichen Kulturen eine gehörige Absage. Kulturen sind überindividuelle
Wesenheiten, die Spengler als Organismen auffaßte; sie durchlaufen
somit jeweils einen Zyklus - mit Schicksal!Diesem allem,
den willkürlichen, engen, von außen gekommenen, von eigenen Wünschen
diktierten, der Historie aufgezwungenen Formen, stelle ich die natürliche,
die »kopernikanische« Gestalt des Weltgeschehens entgegen, die ihm
in der Tiefe innewohnt und sich nur dem nicht voreingenommenen Blick offenbart.
(Ebd., S. 34 **).
Ich erinnere an Goethe. Was er die lebendige Natur genannt
hat, ist genau das, was hier Weltgeschichte im weitesten Umfange, die Welt
als Geschichte genannt wird. (Ebd., S. 35 **).Der
Untergang des Abendlandes, so betrachtet, bedeutet nichts Geringeres als das Problem
der Zivilisation. Eine der Grundfragen aller höheren Geschichte liegt
hier vor. Was ist Zivilisation, als organisch-logische Folge, als Vollendung und
Ausgang einer Kultur begriffen? Denn jede Kultur hat ihre eigne Zivilisation.
(Ebd., S. 43 **).Die
Zivilisation ist das unausweichliche Schicksal einer Kultur. Hier ist der
Gipfel erreicht, von dem aus die letzten und schwersten Fragen der historischen
Morphologie lösbar werden. Zivilisationen sind die äußersten
und künstlichsten Zustände, deren eine höhere Art von
Menschen fähig ist. Sie sind ein Abschluß; sie folgen dem Werden als
das Gewordene, dem Leben als der Tod, der Entwicklung als die Starrheit, dem Lande
und der seelischen Kindheit, wie sie Dorik und Gotik zeigen, als das geistige
Greisentum und die steinerne, versteinernde Weltstadt. Sie sind ein Ende,
unwiderruflich, aber sie sind mit innerster Notwendigkeit immer wieder erreicht
worden. (Ebd., S. 43 **).
Spengler
veranschlagt für jede Kultur einen Zeitraum von rund 1000 Jahren oder mehr
- einen Toleranzwert von mehreren Jahrhunderten durchaus zulassend.Jede
Kultur durchläuft die Altersstufen des einzelnen Menschen. Jede hat ihre
Kindheit, ihre Jugend, ihre Männlichkeit und ihr Greisentum. (Ebd.,
S. 144 **).Jede
Kultur, jede Frühzeit, jeder Aufstieg und Niedergang, jede ihrer innerlich
notwendigen Stufen und Perioden hat eine bestimmte, immer gleiche, immer mit dem
Nachdruck eines Symbols wiederkehrende Dauer. (Ebd., S. 148 **).Wie
Blätter, Blüten, Zweige, Früchte in ihrer Gestalt, Tracht und Haltung
ein Pflanzendasein zum Ausdruck bringen, so tun es die religiösen, gelehrten,
politischen, wirtschaftlichen Bildungen im Dasein einer Kultur.
(Ebd., S. 148 **).In
diesem Sinne wiederholt nun auch mit tiefster Notwendigkeit jedes irgendwie bedeutende
Einzeldasein alle Epochen der Kultur, welcher es angehört. (Ebd., S.
149 **)Als
Goethe den Urfaust entwarf, war er Parzival. Als er den ersten Teil abschloß,
war er Hamlet. Erst mit dem Zweiten Teil wurde er der Weltmann des 19. Jahrhunderts
.... (Ebd., S. 149 **).Und
Goethes zweiter Faust, Wagners Parsifal verraten im voraus, welche Gestalt unser
Seelentum in den nächsten, den letzten schöpferischen Jahrhunderten
annehmen wird. (Ebd., S. 149 **).Als
Homologie der Organe bezeichnet die Biologie deren morphologische
Gleichwertigkeit im Gegensatz zur Analogie, die sich auf die Gleichwertigkeit
der Funktion bezieht. Goethe hat diesen bedeutenden und in der Folge so
fruchtbaren Begriff konzipiert, dessen Verfolgung ihn zur Entdeckung des os
intermaxillare beim Menschen führte; Owen hat ihm eine streng wissenschaftliche
Fassung gegeben. Ich führe auch diesen Begriff in die historische Methode
ein. (Ebd., S. 149 **).Homolog
sind die Lunge der Landtiere und die Schwimmblase der Fische, analog - in bezug
auf den Gebrauch - sind Lunge und Kiemen. (**).
Hier äußert sich eine vertiefte, durch strengste Schulung des Blicks
erworbene morphologische Begabung, die der heutigen Geschichtsforschung mit ihren
oberflächlichen Vergleichen - zwischen Christus und Buddha, Archimedes und
Galilei, Cäsar und Wallenstein, der deutschen und der hellenischen Kleinstaaterei
- völlig fremd ist. Es wird im Verlauf dieses Buches immer deutlicher werden,
welch ungeheure Perspektiven sich dem historischen Blick eröffnen, sobald
jene strenge Methode auch innerhalb der Geschichtsbetrachtung verstanden und ausgebildet
worden ist. Homologe Bildungen sind, um hier nur weniges zu nennen, die antike
Plastik und die abendländische Instrumentalmusik, die Pyramiden der 4. Dynastie
und die gotischen Dome, der indische Buddhismus und der römische Stoizismus
(Buddhismus und Christentum sind nicht einmal analog), die Zeit der »kämpfenden
Staaten« Chinas, der Hyksos und der Punischen Kriege, die des Perikles und
der Ommaijaden, die Epochen des Rigveda, Plotins und Dantes. Homolog sind dionysische
Strömung und Renaissance, analog dionysische Strömung und Reformation.
Für uns - das hat
Nietzsche richtig gefühlt - »resümiert Wagner die Modernität«
(**).
Folglich muß es für die antike Modernität etwas Entsprechendes
geben: es ist die pergamenische Kunst. (Die Tafeln am Anfang geben einen vorläufigen
Begriff von der Fruchtbarkeit dieses Aspekts **).
(Ebd., S. 150 **).
Gemäß
Spengler gibt es zwischen den Kulturen Gleichzeitigkeiten, weil das,
was (in) einer Kultur passiert, auch (in) jeder anderen Kultur passiert ist oder
noch passieren wird. Zwar sind für uns die zeitlichen Unterschiede zwischen
ihnen im mathematischen bzw. chronologischen Sinne abzählbar, also zahlenmäßig
unterscheidbar, doch kommt es beim Verstehen der Kultur(en)geschichte darauf gar
nicht so sehr an, weil die Kulturen in homolog(isch)er und analog(isch)er Beziehung
zueinander stehen.Alles Vergängliche ist nur ein
Gleichnis. (Ebd., S. 209 **).
Aufgrund
der Gleichzeitigkeit passiert in Kulturen quasi immer wieder das Gleiche,
das nur dadurch verschiedenartig wirkt, da es jeweils auf das Ursymbol zurückgeht
und darum Ausdruck einer bestimmten Kulturseele ist, die die einzigartige Prägung
verleiht. Alle Erscheinungen innerhalb einer Kultur - z.B. jeder Stil in Architektur
und Kunst, jede Philosophie oder Wissenschaft, jede Staatsform, jedes Stadtbild
u.s.w. - sind für sie ganz einzigartig und neu, innerhalb der Menschheitsgeschichte
aber nur Symbole für das Ewig-Gleiche.Ein zentraler Punkt in Spenglers
Terminologie liegt in der Unterscheidung, die er zwischen Kultur und Zivilisation
anstellt (**|**|**|**).
Hat eine Kultur ihre Tag-und-Nacht-Gleiche überschritten, ist
sie Zivilisation. Demnach ist der Eintritt der Kultur in ihre Zivilisation identisch
mit dem Eintritt der Kultur in ihren Herbst (**|**).
Die Zivilisation ist gekennzeichnet z.B. durch die Künstlichkeit von Architektur
und Kunst, das Anwachsen der großen Weltstädte und durch generelle
Dekadenzerscheinungen, die mit dem breitflächigen Absterben des ursprünglichen
Lebensgeistes der Kultur verbunden sind. Für Spengler steht die Kultur näher
am Zenit und die Zivilisation näher am Nadir.Spengler beschreibt
z.B. das Individuum der Zivilisation als den innerlich erstorbenen Menschen der
späten Städte, seien es Babylon und Alexandria oder Paris und Berlin,
dessen ganze geistige Existenz sich auf das Kausalitätsprinzip gründet.
Wissenschaft und Atheismus sind die großen Themen jeder beginnenden Zivilisation.
Bedeutsam ist der Rationalismus, der Verstand, der alles überprüfen
und nichts mehr glauben will. Die Kunst wird künstlich, die Architektur wird
form- und maßlos. Die alten Formen der Blütezeit werden plötzlich
als Zwang empfunden, die man durchbrechen muß. Was nun stattfindet sind
nur mehr Moden, pure Abwechslung, die für Entwicklung gehalten wird. Alte
Stile werden wiederbelebt und verschmolzen, aber es entsteht nichts großes
Neues. Das letzte Ergebnis ist laut Spengler ein feststehender, unermüdlich
kopierter Formenschatz. Je mehr sich die Zivilisation ihrem Nadir nähert,
desto mehr nähert sich z.B. auch die Macht der Wissenschaft dem Ende, eingeleitet
durch eine Stimmung des Skeptizismus. In ihm kommen einer Kultur zum ersten Mal
wieder Zweifel an den Möglichkeiten und dem Wahrheitsgehalt der Wissenschaft.
Es zeigt sich für Spengler, daß Wissenschaft ein spätes und vorübergehendes
Schauspiel ist. Das Abendland erlebte nach Spengler den letzten Höhepunkt
seiner Wissenschaften im 19. Jahrhundert. Spengler räumt allerdings ein,
daß die abendländische Wissenschaft durchaus etwas besonderes sei,
das es noch in keiner bisherigen Kultur gegeben habe. Dennoch sei auch sie nur
eine vorübergehende Erscheinung. Spengler prophezeit, daß Wissenschaft
und Technik nur solange aufrecht erhalten, weiterentwickelt und von Nutzen sein
werden, solange es Menschen gibt, die ihre Funktionsweise verstehen. Nimmt die
Zahl dieser Menschen allmählich ab - wie es die von ihm in Aussicht gestellte
zunehmende Kinderlosigkeit der Zivilisationsmenschen zwangsläufig mit sich
bringen wird - so wird auch die von ihnen aufrecht erhaltene Technik irgendwann
verschwunden sein.Für das Abendland haben gemäß Spengler
die Riesenkämpfe mit Napoleon begonnen und im 1. Weltkrieg, der gerade zu
Ende ging, als Der Untergang des Abendlandes erschien, ihren vorläufigen
Höhepunkt gefunden. Die Tatsache, daß das 19. Jahrhundert verglichen
mit Spenglers Beschreibungen relativ wenige solcher vernichtenden Kriege hervorgebracht
hat, erklärt Spengler, indem er auf die angestrengte Diplomatie und die stehenden,
jederzeit bereiten Heere jenes Jahrhunderts verweist. Dies beweise, daß
man ständig zum Krieg bereit gewesen sei und nur die Angst vor den Folgen
ihn immer noch im letzten Moment verhindert habe. Noch im 20. Jahrhundert werde,
so prophezeite Spengler damals, diese Entwicklung ihren endgültigen Höhepunkt
finden und der Zeitpunkt kommen, an dem die Diplomatie irgendwann nicht mehr greifen
wird. (Den 2. Weltkrieg hat der 1936 verstorbene Spengler
nicht mehr erlebt! Eine Wiederbelebung erhielten seine Ideen erst in den 1990er
Jahren durch Samuel P. Huntington. In den 1990er Jahren erlebte Spenglers Gedankengut
eine Renaissance, als Huntington in seinem 1996 erschienen Werk - Der Kampf
der Kulturen - Spenglers Vorstellung weitgehend autonomer Kulturkreise wieder
aufgriff und in seinem Modell einer neuen Weltordnung verwendete.).Kennzeichnend
für den Untergang einer jeden Kultur ist laut Spengler weiterhin die Erscheinung
der zweiten Religiosität, die mit der schrittweisen Abkehr von der rationalen
Wissenschaft einhergeht. Je mehr also die Wissenschaft ihren Sinn für die
Menschen verliert, desto mehr verfällt jene Kulturseele wieder einem ursprünglichen
Glauben, wie sie ihn ganz zu Beginn hatte. Die zweite Religiosität ist der
ersten sehr ähnlich, nur daß sie diesmal nicht zur Geburt führt,
sondern in ihrem zügellosen Drang zur Wiedergeburt in den Synkretismus, in
die von da an von der fremden Seite dominierten Pseudomorphose (**)
und nicht selten zum Tod der betreffenden Kultur. Das Besondere an dieser zweiten
Religiosität ist ihre Massenwirkung bzw. die Tatsache, daß sie von
unten kommt. Die Massen beginnen wieder zu glauben, zu beten. Die zweite Religiosität
manifestiert sich in der Form von zahlreichen Sekten und Kulten, die immer mehr
Zulauf finden, und der Verbreitung von esoterischen Moden. Laut Spengler geht
mit der zweiten Religiosität der Cäsarismus einher. Es ist die Vollendnung,
der Ausgang und das Ende der Demokratie. Demokratie ist für Spengler eine
bloße Theorie, die darüber hinwegtäuscht, daß es in ihr
ein anderes Mittel gibt, das darüber entscheidet, wer wirklich die Macht
hat - denn das Volk hat sie sicher nicht. Dieses Mittel ist das Geld. Geld als
ein von Gütern völlig abgelöster Begriff ist ein weiteres Symptom
einer niedergehenden Kulturseele. Jede Zivilisation ist eine Diktatur des Geldes,
jenem Wert, dem sich jetzt alles unterwirft. Geld bedeutet für Spengler den
entscheidenden und einzigen echten Machtfaktor in jeder Demokratie.Historische
Pseudomorphosen nenne ich Fälle, in welchen eine fremde Kultur so mächtig
über dem Lande liegt, daß eine junge, die hier zu Hause ist, nicht
zu Atem kommt und nicht nur zu keiner Bildung reiner, eigener Ausdrucksformen,
sondern nicht einmal zur vollen Entfaltung ihres Selbstbewußtseins gelangt.
(Ebd., S. 784 **).
Auch eine junge Kultur kann so mächtig sein, daß
sie eine alte dort, wo sie zu Hause ist, überlagert. Das Beispiel zwischen
der (alten) apollinischen Kultur, auch kurz Antike genannt, und der
(jungen) magischen Kultur, auch Persien/Arabien genannt, macht es
deutlich: Solange die Antike sich seelisch aufrecht
hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle östlichen Kirchen
zu Kulten westlichen Stils wurden. Dies ist eine wesentliche Seite des Synkretismus.
.... Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen
Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis
der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens, die zu einer
neuen Kirche des Ostens werden. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich
eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben,
und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum
als magische Nation. (Ebd., S. 800-801 **).
Bevor
sich das Verhältnis der Pseudomorphose umkehrt und die Kultur geschichtslos
wird, befindet sich die Kultur in ihrer letzten Phase, d.h. ihrer letzten geschichtlichen
Phase. Sie ist gekennzeichnet von den letzten großen Taten, den Taten der
Cäsaristen, und heißt folglich Cäsarismus.Cäsarismus
bedeutet auch, daß hinter den Parteien, welche die Fassade der Selbstbestimmung
des Volkes aufrechterhalten, die wahre Macht in immer privatere Kreise verlagert
wird. Die Parteien selbst lösen sich langsam und zunächst unbemerkt
in persönliche Gefolgschaften auf. Sie sind nur noch scheinbar Mittelpunkt
der entscheidenden Aktionen, die nach unten die Illusion einer Selbstbestimmung
des Volkes aufrechterhalten. Cäsarismus ist jene Regierungsart, die trotz
aller staatsrechtlichen Formen in ihrem inneren Wesen wieder die Herrschaft eines
Einzelnen oder einer Gruppe ist - die Macht in Händen haltend, während
der Bevölkerung weiterhin Demokratie suggeriert wird. Alle gesellschaftlichen
Institutionen sind - trotz ihrer außenwirksamen Beibehaltung - letztendlich
ohne Sinn und Gewicht. Bedeutung hat nur die ganz persönliche Gewalt, welche
der Cäsar oder an seiner Stelle irgend jemand durch seine Fähigkeiten
ausübt. Der Cäsarismus beendet die Diktatur des Geldes und gleichzeitig
die Demokratie.Was uns bevorsteht, ist die typische Geschichte einer
ausgereiften Zivilisation, in welcher einzelne Völker (und nicht selten auch
immer mehr aus unterschiedlichen Kulturen) um die militärische Vorherrschaft
ringen werden. Daß ausgerechnet in dieser Zeit die Vorstellungen von Weltfrieden
und Völkerversöhnung aufkeimen, ist laut Spengler kein Widerspruch.
Die Abkehr der großen Mehrheit vom Krieg impliziert ja auch die uneingestandene
Bereitschaft, die Beute der anderen zu werden, die nicht auf das Mittel des Krieges
verzichten wollen. So erklärt es sich, daß die großen Kulturen
in ihrem Endstadium nicht selten zum Opfer von immer wechselnden Fremdherrschaften
wurden. Imperialismus ist nach Spengler reine Zivilisation. Der kultivierte
Mensch richtet seine Energie nach innen, der zivilisierte nach außen. Doch
es sind erstarrte Imperien, deren innere Kraft längst erloschen ist und die
ihre Macht höchstens aus einer rein militärischen Überlegenheit
ableiten. Im Inneren zerfallen sie langsam aber sicher, was sich am Verfall der
Wissenschaften, der Rückkehr der Bevölkerung zu alten Mythen und Religionen,
der Kinderlosigkeit und ähnlichen Symptomen offenbart. Es ist nur noch eine
Frage der Zeit, bis die Kultur Opfer von anderen wird, Barbaren etwa oder jungen
Völkern einer gerade erwachenden Kulturseele.Und so schließt
sich der Kreis. Eine aus dem Fast-Geschichtslosen urplötzlich geborene Kultur
erfüllt sich, indem sie ihre eigenen Künste, Stile, Wissenschaften,
Kriege, Persönlichkeiten u.s.w. hervorbringt, bis sich ihre Gestaltungskraft
langsam erschöpft und schließlich erlöscht. Die Kultur erstarrt,
ihre Formen hören auf, sich zu entwickeln und sie kehrt in den nahezu geschichtslosen
Zustand zurück, aus dem sie einst erwachsen ist. Diesem Schicksal wird, so
Spengler, auch die abendländische Kultur nicht entgehen können.Kulturtheorie
von Hubert Brune **Brune
geht unter Vorbehalt von ähnlichen Voraussetzungen aus wie Spengler.
Anders als bei Spengler sind bei Brune vor allem folgende
Hauptaspekte: | Kulturen
sind keine Monaden (wie bei Spengler), sondern grundsätzlich offen gegenüber
anderen Kulturen (fast wie bei Toynbee). | | Vorgeburtliche
Phasen der Kulturphasen sind von großer Bedeutung (bei Spengler spielen
sie nur eine untergeordnete Rolle). | | Zivilisatorische
Phasen der Kulturen sind auch als bereits vergreiste Phasen noch nicht
völlig starr (wie bei Spengler), sondern können noch im Zyklus bleiben
- wenn auch nur schwach. | | Die
Geschichte der Menschen verläuft auf mindestens zwei Bahnen, d.h. als eine
Geschichte i.w.S. (Menschenkultur) und als eine Geschichte i.e.S. (Historienkulturen,
die bei Spengler Hochkulturen heißen und als die einzigen geschichtlich
relevanten Kulturformen gelten). | Neben
diesen Hauptaspekten gibt es noch weniger bedeutsame Aspekte und fast zu vernachlässigende
Nebenaspekte, mit denen die Unterschiede zwischen Brune und Spengler in puncto
Kulturtheorie herausgeschält werden können.
Kultur ist auch in Brunes Theorie eine
zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Raum gebundene Gemeinschaftsform
- alltagssprachlich auch Kulturkreis genannt -, wird aber großzügiger
definiert als in Spenglers Theorie. Für Brune ist sogar die Natur
auf gewisse Art eine Kultur: die 1. Kultur (**).
Kulturelle Einschachtelungen sind zu berücksichtigen,
um zu verstehen, daß Kulturen nichts anderes sind als abgeleitete
Modernen aus einer ursprünglichen Kultur:
 |
Die
Natur (Universum, Galaxien u.s.w.) als 1. Kultur ermöglicht die
1. Moderne (»Höheres Leben«); das »Höhere Leben«
als 2. Kultur ermöglicht die 2. Moderne (Menschwerdung oder:
Menschen-Kultur); die Menschen-Kultur als 3. Kultur ermöglicht
die 3. Moderne (Historisierung oder: Neanthropinen-Kultur); die Neanthropinen-Kultur
als 4. Kultur ermöglicht die 4. Moderne (Historiographik
oder: Historien-Kultur[en]); die Historien-Kultur(en) als 5. Kultur ermöglicht
die 5. Moderne (Historismus oder Modernismus der Historien-Kultur[en]).
**Ermöglicht!
Ob die Menschen-Kultur oder die Neanthropinen-Kultur oder die Historien-Kultur(en)
auch realisiert wurden und/oder werden, ist prinzipiell nicht wichtig; wir wissen
aber, daß es hinsichtlich unseres hier gestellten Themas (Vergleich zweier
Kulturtheorien) mindestens eine menschliche Kulturform geben muß, aber
auch mehrere menschliche Kulturformen geben kann. Brunes Kulturtheorie stellt
sogar drei menschliche Kulturformen in Aussicht, doch zur Verdeutlichung der Geschichte
als Unterscheidungsmerkmal kommen nur zwei in Frage, denn die mittlere (Historisierung
oder Neanthropinen-Kultur) steckt ja als Übergangsform sowohl in der älteren
(Menschwerdung oder Menschen-Kultur) als auch in der jüngeren (Historiographie
oder Historien-Kultur[en]). Bei dieser Unterscheidung berücksichtigt Brune
also zwei menschliche kulturelle Phänomene:
(1.)
»Menschen-Kultur« (Evolution bzw. Geschichte der Menschheit)
als ein bis heute doch ziemlich abstrakt gebliebener Kulturkreis,
da die Kultur dieser einen Menschheit ja konkret kaum existiert. ** |
|
(2.)
»Historien-Kultur« als die aus bislang acht unterschiedlichen
»Historien-Kulturen« bestehende »Historiographie-Kultur«,
und das heißt: die »Moderne der Moderne der Menschen-Kultur«
bzw. die »Historiographie-Kultur der Historisierung der Menschen-Kultur«
oder aber sogar die »Zivilisation der Zivilisation der Menschen-Kultur«.
** |
| Brune
geht davon aus, daß die Kultur als Hyperonym bzw. Superordination
die Zivilisation als deren Hyponym bzw. Subordination in sich birgt.Man
kann die Entwicklung der Menschheit evolutiv und/oder histori(ographi)sch beschreiben,
aber sie blieb so lange nur evolutiv, so lange ihr die Schrift fehlte - also ist
sie erst seit Beginn der Schrift zusätzlich auch historiographisch. Gemäß
meiner Theorie ist die Schriftlichkeit - zusätzlich zu der ihr vorausgegangenen
Seßhaftigkeit, der »Neolithischen Revolution«, den ersten Städten
u.ä. - der Grund für die Notwendigkeit der Aufteilung einer Erscheinung
in zwei Erscheinungen: »Menschen-Kultur« (Evolution
bzw. Geschichte der Menschheit) und die in ihr enthaltene »Historiographie-Kultur«
(»Historien-Kultur«) mit den unterschiedlichen
»Historien-Kulturen«. Die Aufteilung in diese
beiden menschlichen Kulturphänomene ist auch aus folgendem Grund sehr sinnvoll:
Die »Menschen-Kultur« hat bis heute keine wirkliche Einheit bzw. kein
wirkliches Organisationssystem werden können, ihre einzelnen Historien-Kulturen
dagegen sehr wohl. Die Menschen-Kultur ist diesbezüglich bis
heute sehr blaß und abstrakt geblieben - ganz im Gegenteil zu ihren »Historien-Kulturen«.
**
Zu
1.) Die Menschen-Kultur
umfaßt also die Evolution bzw. die Geschichte der Menschheit
(**), nämlich:
die Prähominisierung, die Hominisierung , die Sapientisierung
und die Historisierung (siehe Abbildung [**|**]).
Mit ihrer »Moderne« als ihrer »Historisierung«
beginnt auch ihre »Zivilisation«, obwohl »Moderne«
und »Zivilisation« nicht genau dasselbe bedeuten. (**).
In Brunes Kulturtheorie ist auch die Unterscheidung von Neuzeit,
Moderne und Zivilisation bedeutsam (**).
(Doch darauf werden wir später eingehen **).
Die Menschwerdung ist noch lange nicht
beendet! Sie wird definitiv erst mit dem Tod des letzten Menschen beendet
sein. Das letztmalige echte Gefühl der Zusammengehörigkeit
der Menschen als eine Menschheit war vielleicht die Mondlandung
(1969). Aber Einrichtungen wie die UNO, die ein historienkulturelles
- nämlich ein abendländisches (und innerhalb des Abendlandes
ein angelsächsisches und also ein genuin sehr wikingerhaftes [Motto:
»Nimm dir, was du haben willst!«], zu individuelles
und darum unbrauchbares) - Konstrukt ist, oder der IWF, die Weltbank,
die WTO o.ä. dienen nur der Minderheit (0,0001%) einer Minderheit
(20% **)
aller Menschen (100%). UNO, IWF, Weltbank, WTO u.ä. sind also eher
Beispiele dafür, daß ein Zusammengehörigkeitsgefühl
aller Menschen eben gerade nicht entstehen soll. Die echten Gefühle
dafür müssen aus der kulturellen Seele selbst kommen.
**
 |
Zu
2.) Die Historien-Kultur
bedeutet die aus den 8 »Historien-Kulturen« (die je verschieden
sind **)
bestehende »Moderne der Menschen-Moderne« - und das heißt:
»Moderne der Moderne der Menschen-Kultur« oder auch »Historiographie-Kultur
der Historisierung der Menschen-Kultur« oder eben sogar »Zivilisation
der Zivilisation der Menschen-Kultur«. »Historien-Kultur«
bedeutet somit einerseits die Moderne der Moderne der Menschen-Kultur
und andererseits die eigenartigen und sich unterschiedlich (gemäß Spenglers
Theorie zu wenig und gemäß Toynbees Theorie zu viel) beeinflussenden
Historien-Kulturen (in der Fachliteratur oft »Hochkulturen«
oder auch einfach nur »Kulturen« genannt), für die gilt: je näher,
desto mehr Berührungen, gegenseitiger Einfluß und also Beziehungen,
aber auch entschiedene Abgrenzung voneinander .... (**).
Wie schon eingangs gesagt: Kulturen sind bei Brune keine Monaden
(wie bei Spengler), sondern grundsätzlich offen gegenüber anderen Kulturen
(fast wie bei Toynbee).Erstes
Datum einer Kultur ist gemäß Brunes Theorie nicht die Geburt,
sondern die Ur-Geburt einer Kultur: die Zeit der Befruchtung
oder - genauer gesagt - die Zeit der Schlüpfung. Spengler sah das anders,
obwohl auch er im Hinblick auf Kulturen die Vorgeburtlichkeit berücksichtigte
und von Schwangerschaft sprach. Er bezog sich aber mehr auf Kulturen zwischen
Geburt und Tod. (**).
So weichen Brunes Daten für den Beginn einer Kultur von Spenglers Angaben
erheblich ab. Spengler vermutete auch, daß beispielsweise Rußland
im 18. Jahrhundert die Chance zur 9. Kultur (gemeint ist:
»Historien-Kultur« [Herr Schütze]) verpaßt hätte:
Fehlgeburt! Rußland hatte (noch) keinen Karl Martell und auch (noch) keinen
Karl d. Gr.. (**).
Es ist ähnlich wie gemäß der Evolutionstheorie in der Natur: Versuch
und Irrtum, Optimierung und Versagen; gelingt etwas, entwickelt es sich entsprechend
der Möglichkeiten, und gelingt etwas nicht, ist es gleich wieder weg. |
Die
von Spengler angegebenen Daten bezüglich des Beginns abendländischer
Kultur weichen von Brunes angegebenen Daten um Jahrhunderte ab, denn Brunes Daten
beziehen sich auf die Zeit um die Urgeburt herum und Spenglers Daten
auf die Zeit um die Geburt herum. Das Abendland hatte seine »Ur-Geburt«
bzw. »Schlüpfung« in der Zeit von 20 v.C. bis 150 n.C.,
zu jener Zeit also, als z.B. Kaiser Augustus herrschte, Hermann der Cherusker
(Arminius) Rom besiegte, Jesus, Paulus und die Evangelisten lebten und wirkten.
(**). Die
Uterus-Zeit, die Brune auch die vor-/urkulturelle Zeit
nennt, dauerte auch für das Abendland viele Jahrhunderte. Begriffe wie pränatal,
perinatal, postnatal, die in Brunes Kulturtheorie vorkommen,
hat Spengler nie benutzt, aber er sprach von Vorzeit, und die ging
für ihn mit einem wichtigen Datum zu Ende, das Brune eben die Geburt
der Kultur nennt. Das Abendland hatte seine perinatale Zeit
zwischen 732, als Karl Martell die Araber besiegte, und 774, als Karl d. Gr. das
Langobarden-Reich eroberte. Karls Kaiserkrönung (800) war bereits die Abendland-»Taufe«.
(**).
Was mich an Brunes Kulturtheorie besonders fasziniert, ist die Berücksichtigung
der Zeit, als eine Kultur sich noch im Uterus der Mutterkultur aufhielt.
So ist laut Brune z.B. für die faustische Kultur (Abendland
**) die magische
Kultur (Persien/Arabien **)
die Mutterkultur und die apollinische Kultur (Antike
**) die Vaterkultur.
Zum Ausdruck kommt z.B. das Mütterliche in uns vertrauten Begriffen
wie dem Christentum, das sowohl gemäß Spenglers als auch
gemäß Brunes Kulturtheorie in der magischen Kultur seine
Wurzeln hat. |
Die
Einteilung der einzelnen Phasen einer Kultur orientiert sich in Brunes Theorie
an natürlichen Kreisläufen. Die Einteilung in 12 Phasen ist sinnvoll,
weil sie auf die Jahreszeiten und die Tageszeiten verteilbar sind. Die Phasen
bezeichnet Brune gemäß seiner Kultu(h)r
(**) entweder
(tageszeitlich) mit der Uhrzeit
im 2-Stunden-Rhythmus (0-2 bis 22-24 [Uhr]) oder (jahreszeitlich)
mit den Tierkreiszeichen
(Steinbock bis Schütze). Die Kultur beginnt ihr Leben also mit
Beginn des Tages um 0 Uhr bzw. mit Beginn des Winters
am 21./22. Dezember. Der Kreislauf ist prinzipiell nie beendet,
weil er ja eine Periodizität darstellt. Also beginnt er am Ende des
Kulturtages bzw. des Kulturjahres von neuem, wenn das
Schicksal dies zuläßt. Diese Zyklizität bezieht sich auf alle
Kulturen. Gemäß Brunes Fünf-Kulturen-Theorie (**|**),
die er auch Fünf-Modernen-Theorie oder einfach 5+X
nennt, ereignet sich nichts wirklich Neues - hierin stimmen Brune
und Spengler überein -, denn alles ereignet sich prinzipiell schon
in der 1. Kultur (**)
- der Natur, dem Universum, dem Kosmos, dem Weltall. Daß trotzdem auch
für die anderen vier Kulturen Entwicklung stattfindet, hat mit der Kultur-(Ur)symbolik
zu tun, denn eigentlich passiert in den anderen vier Kulturen quasi immer wieder
das Gleiche, das nur dadurch verschiedenartig wirkt, da es jeweils auf
das Ursymbol zurückgeht und darum Ausdruck einer bestimmten Kulturseele ist,
die die einzigartige Prägung verleiht. Brune akzeptiert die eben erwähnte
Entwicklung nur als eine in einen Zyklus integrierte Entwicklung, also
als Aspekt in einer Spirale; ansonsten hält er es auch diesbezüglich
mit Spengler, der in Anlehnnung an Goethe formulierte: Alles
Vergängliche ist nur ein Gleichnis. (Oswald Spengler, a.a.O. **).
**
Wenn wir Menschen
dank Planck, Einstein, Heisenberg und Hahn in der Lage sind, die Kernspaltung
oder gar die Kernfusion zu betreiben, so sagt das zwar etwas über
unsere kultur-(ur)symbolischen Leistungen aus, aber ansonsten nur etwas darüber,
was die Natur schon seit der Strahlungs-Ära (10 oder 20 Sekunden bis 100000
oder 1 Millionen Jahre nach dem sogenannten Urknall **)
betreibt. Wir können nichts tun, was nicht vor uns schon die
1. Kultur (**)
getan hat. Ob wir sie Natur, Universum, Kosmos,
Weltall oder Gott nennen: sie ist unabhängig von
uns und allen anderen Lebewesen. (Vgl. Schichtenlehre
**).
Auch dann, wenn wir wie Hubert Brune die 4 (Grund-)Naturkräfte
als Natur-Seelenbild
(hierfür könnten sich übrigens auch z.B. die Symmetrie
oder der Symmetriebruch o.ä. eignen) und die Elementarteilchen
als Natur-Ursymbol
(hierfür könnten sich übrigens auch z.B. der Raum,
die Zeit o.ä. eignen) benennen können, wissen wir nicht,
warum was geschieht.Für
Brune ist eine Kulturphase der Inbegriff einer wohltemperierten
Abrundung durch geistig-politische Tätigkeiten in einer bestimmten Zeitspanne,
oft ausgedrückt durch technische, künstlerische, ökonomisch-politische
und geistig-metaphysische Richtungen. Sie kann nur 30-115 Jahre andauern, wie
im Falle des Rokoko, oder gar 200-343 Jahre, wie im Falle der Karolingik
(einschließlich Ottonik) . Eine Phase umfaßt im Mittel etwa 180
Jahre. (Wenn Sie auf die Abbildung rechts klicken, können
Sie die für das Jahr 2000 ermittelte Position des Abendlandes in der Jahreszeit-Uhrzeit-Beziehung
sehen [22:02 Uhr bzw. 1° f
{Schütze}], ebenfalls in der Abbildung oben [**]:
241° [= 1° f {Schütze}]).
Ein Kulturquartal umfaßt
3 Phasen, das sind durchschnittlich 500-600 Jahre, tatsächlich aber manchmal
auch nur 300-350 Jahre, wie im Falle der abendländischen Jugend (Renaissance,
Barock und Rokoko). Kulturelle Quartale bezeichnet Brune häufig analog
zu den 4 Jahreszeiten (**|**)
mit Winter, Frühling, Sommer, Herbst,
zu den 4 Tageszeiten (grob gesehen) mit Nacht, Morgen,
Nachmittag Abend oder zu den 4 lebendigen Entwicklungszeiten
(grob gesehen) mit uterin (auch: pränatal), kindlich,
jugendlich, erwachsen.Ein Kulturquartal
ist eine Jahreszeit in dem Sinne, daß an ihr erkennbar wird, was sie ist,
wenn sie gewissermaßen innehält. Winter, Frühling, Sommer
und Herbst sind wie unterirdisches Wachstum, zarte Blüten, Hochblüte
und Verfall, wie die pflanzliche Welt immer wieder bezeugt, aber nicht nur sie:
die 4 Jahreszeiten (**|**)
sind wie uterines, kindliches, jugendliches und erwachsenes Leben, z.B.
auch vergleichbar mit dem der Säugetiere. Das erwachsene Leben kann mehrere
Quartale umfassen; in dem Falle teilen die Älteren (Elter[e]n)
ihr Leben mit den Kindern, Enkelkindern oder gar Urenkelkindern. In Kulturen
war und ist dies auch möglich: China, Indien und die magische Kultur existieren
als Zivilisationen (Erwachsene) schon länger als das Abendland. ** Ein
historienkultureller Umlauf bzw. ein Durchlauf durch die 12 Historienkulturphasen
dauert rund 2150 Jahre: ein Zwölftel der durch die Präzession
bedingten Verschiebung des Frühlingspunktes im Tierkreis (**),
die man auch Platonisches Jahr nennt.Zur
Unterscheidung von Neuzeit, Moderne und Zivilisation
in einer Kultur
K U L T U R
D E S A B E N D L A N D E S
( A L S B E I S P I E L ) |
Altzeit | Neuzeit | Nach-/Endzeit | Ur-/Vorkultur | Frühkultur | Hochkultur | Spätkultur |
Nach-/Endkultur |
20/150711/800 |
711/8001416/1517 | 1416/15171770/1815 | 1770/18152130/2300 | 2130/2300....?.... | Ur-/Vorzeit | Frühzeit | Hochzeit | Spätzeit | Nach-/Endzeit | Spätantike | Mittelalter | Neuzeit | Moderne | | | | Neuzeit
i.w.S. | | | | Neuzeit
i.e.S. | | | | | Moderne
i.w.S. | | | | | Moderne
i.e.S. | | | | | Zivilisation
i.e.S. | | | Zivilisation
i.w.S. | | | (Ur-/Vorzivilisation) | (Frühzivilisation) | (Hochzivilisation) | Zivilisation
i.w.S. (Fortsetzung) | (Hochzivilisation) | (Spätzivilisation) | (Nach-/Endzivilisation) |
So wie es die Tabelle zeigt, so möchte ich
den Unterschied von »Neuzeit«, »Moderne« und »Zivilisation«
verstanden wissen. Das »Ab«, der »Abbau« einer Kultur
ist identisch mit »Neuzeit« und / oder »Moderne« (also
entweder »Neuzeit i.e.S.« + »Moderne i.e.S.« oder »Neuzeit
i.w.S.« = »Moderne i.w.S.«), aber nur bis zu einer bestimmten
Zeit mit »Zivilisation«, denn zur »Zivilisation« zählt
auch noch die »Nach-/Endzeit«. Was »Moderne« und »Zivilisation«
angeht, so gibt es allerdings auch noch Definitionen, die über die in der
Tabelle dargestellte in gewisser Hinsicht hinausgehen, und zwar dann, wenn man
eine Kultur selbst (a) als Moderne bzw. Teil einer
Moderne oder (b) als Zivilisation bzw. Teil einer
Zivilisation betrachtet. Solange Moderne und Zivilisation sich zeitlich noch
decken, macht es bezüglich der zeitlichen Abgrenzung noch keinen Unterschied,
welche Begriffe verwendet werden - inhaltlich dagegen bleibt der Unterschied stets
gewahrt. So kann z.B. die gesamte Zeit der Historienkulturen (der Historiographik
als nur einer Historien-Kultur) als Moderne oder Zivilisation der Historisierung
noch so lange gleichermaßen angesehen werden, wie sie noch zeitgleich
bleiben. Da aber in der Regel die Zivilisation später als die Moderne endet
und bezüglich unserer Zukunft niemand genau vorhersagen kann, ob und wie
lange unsere Zivilisation länger dauern wird als unsere Moderne, sollte man
beide auch diesbezüglich möglichst nicht synonym verwenden. **
Brune
verwendet diesbezüglich meistens den Moderne-Begriff, wie z.B. auch die folgende
Abbildung verdeutlicht:Vorteilhaft an dem Kulturmodell von Hubert
Brune sind besonders die bereits angesprochenen Hauptaspekte, die die Unterschiede
zu Spenglers Kulturmodell verdeutlichen (**):
Gemäß Brunes Theorie sind nämlich die einzelnen Kulturen (1.)
keine Monaden oder Inseln in einem riesigen Ozean, sondern
nur relativ geschlossene und ansonsten gegenüber anderen Kulturen offene
Inseln in einem kleinen See auf einer größeren
Insel in einem relativ kleinen Binnenmeer, (2.)
keine urplötzlich aus dem Nichts hervorgende, sondern zu dieser Zeit pränatal
sich entwickelnde Gebilde, (3.)
keine ebenso plötzlich wieder verschwindende, sondern von schwachen auf starke,
von starken auf schwache Schwankungen wechselnde und zuletzt nur noch schwachen
Schwankungen ausgesetzte Gebilde, (4.)
keine nur auf einer Bahn, sondern auf mindestens zwei Bahnen
sich entwickelnde Gebilde u.s.w.. Dadurch läßt sich - nur z.B. - viel
besser (als bei Spengler) verstehen, warum Mesopotamien/Sumer, Ägypten, Antike,
Maya/Inka gegen Ende ihres Lebens den Einflüssen fremder Kulturen
erlegen sind und Indien, China, Morgenland überleben konnten.
(Was aus dem Abendland werden wird, wird die Zukunft zeigen.) China schaffte es
durch zunehmende Abschottung zur richtigen Zeit; das Morgenland schaffte es durch
Aggressivität, mit der es aufgewachsen war (man bedenke allein schon seine
geographische und in dem Zusammenhang zeitliche Mittellage!) und die es
auch und besonders in zivilisatorischer Zeit noch begleitete und begleitet
(was heute der Westen Islamismus nennt, ist ... Islam, also: aggressives
Morgenland ohne Trennung von Religion und Politik); Indien schaffte es
mit Mühe durch eine Mischung aus beiden Taktiken.Lieber
Admin, die von Ihnen angesprochenen Antinomien sind mir alle bekannt - auch die
Vorgeschichten, Geschichten und Nachgeschichten dazu -, ich hatte eher eine Information
über Rudolf Steiner und dessen Anthroposophie erwartet, wie mein damaliger
Text ja auch bezeugt (**|**).
Vielleicht könnten Sie mir folgenden Satz erläutern: Der volle
Realitätsbezug ist erst hergestellt unter Berücksichtigung der geistig
schaffenden personalen Mächte. (**).
Wer sind - Ihrer Meinung oder Ihrem Glauben nach - diese geistig schaffenden
personalen Mächte? |